Schleuderprogramm
Als weit gereiste Opernsängerin und zweifache Mutter hat Ella Herbst gelernt zu improvisieren. Kinder, Küche, Karriere - kein Problem, alles nur eine Frage der Organisation. Doch dann steht sie plötzlich vor dem Aus. Auf der Bühne singt ihre Erzfeindin,...
Als weit gereiste Opernsängerin und zweifache Mutter hat Ella Herbst gelernt zu improvisieren. Kinder, Küche, Karriere - kein Problem, alles nur eine Frage der Organisation. Doch dann steht sie plötzlich vor dem Aus. Auf der Bühne singt ihre Erzfeindin, ihre Konten sind leer gefegt und der Göttergatte ist über alle Berge. Ohne Netz und doppelten Boden beginnt Ella ein neues Leben und ist zum ersten Mal wirklich glücklich.
Die Opernsängerin Ella Herbst hat alles im Griff: ihre Karriere, ihre zwei Kinder, ihren Mann Felix. Bis ihr Vater plötzlich Betreuung braucht und Ella unfreiwillig eine Schaffenspause einlegen muss. Und tatsächlich geht von diesem Moment an alles schief. Die Zicke aus Russland übernimmt Ellas Rolle auf der Bühne - und wird gefeiert. Felix ist bedenklich oft geschäftlich unterwegs und tröstet Ella mit einem halbherzigen ''Das wird schon wieder''. Ella glaubt ihm. Auch dann noch, als sie feststellt, dass kein Pfennig Geld mehr auf den Konten ist. Den Gerichtsvollzieher, der ihr gesamtes Hab und Gut konfisziert, hält sie für ein Missverständnis. Doch endlich fällt sie aus allen Wolken. Sie jagt Felix zum Teufel und nimmt ihr Leben selbst in die Hand.
Als weit gereiste Operns ngerin und zweifache Mutter hat Ella Herbst gelernt zu improvisieren. Kinder, K che, Karriere - kein Problem, alles nur eine Frage der Organisation. Doch dann steht sie pl tzlich vor dem Aus. Auf der B hne singt ihre Erzfeindin, ihre Konten sind leer gefegt und der G ttergatte ist ber alle Berge. Ohne Netz und doppelten Boden beginnt Ella ein neues Leben und ist zum ersten Mal wirklich gl cklich ...Die Operns ngerin Ella Herbst hat alles im Griff: ihre Karriere, ihre zwei Kinder, ihren Mann Felix. Bis ihr Gro vater pl tzlich Betreuung braucht und Ella unfreiwillig eine Schaffenspause einlegen muss. Und tats chlich geht von diesem Moment an alles schief. Die sehr viel j ngere Russin Krasnenko bernimmt Ellas Rolle auf der B hne - und wird gefeiert. Felix ist bedenklich oft gesch ftlich unterwegs und tr stet Ella mit einem halbherzigen 'Das wird schon wieder'. Ella glaubt ihm. Auch dann noch, als sie feststellt, dass kein einziger Cent mehr auf den Konten ist. Erst als der Gerichtsvollzieher ihr gesamtes Hab und Gut konfisziert, wei Ella, dass ihre Existenz auf dem Spiel steht. Endlich siegt ihr Lebensmut und sie nimmt mit Herz und Verstand ihr Leben selbst in die Hand.
Schleuderprogramm von Hera Lind
LESEPROBE
»Nebenanist ein Anruf für Sie.«
»Nichtjetzt, Menschenskind!«
»Esist Ihr Großvater!«
»Mein Großvater? - Jetzt?«
»Tutmir leid. Er sagte, es sei dringend.«
Zitterndbegebe ich mich in den Probensaal, wo der Hörer auf dem Tisch liegt.
»Großvater?«
»Ja.«
»Hallo!Wie geht es dir?«
»Schlecht.«
»Großvater,ich habe gleich Premiere, kann sich Frau Bär um dich kümmern?«
»Nein.«
»Warumnicht?«
Schweigen.
Angespannt presse ich den Hörer ans Ohr.
»Großvater?Ich hör dich ganz schlecht, hier ist so ein Lärm, ich bin im Festspielhaus, undeigentlich dürfen wir so kurz vor dem Auftritt keine Anrufe mehr entgegennehmen Also warum geht es dir schlecht?«
Schweigen.Dann, in Verbindung mit einem Seufzer: »Frau Bär ist wohl tot.«
»Wie,Frau Bär ist wohl tot? Ich meine, ist das eine vage Vermutung, oder ist sie totim Sinne von tot?«
Seufzen.Dann: »Sie bewegt sich nicht mehr.«
Okay.Keine Panik. Keine Panik. Das kriegen wir hin. Sie schläft vielleichtnur. Ich meine, so eine Haushälterin muss sich ja auch mal ausruhen. Besonderswenn sie einen so schwierigen Pflegefall wie meinen Großvater hat. Seit fünfJahren ist Frau Bär rund um die Uhr für ihn da. Und sie ist ja auch nicht mehrdie Jüngste. Ich hole tief Luft:
»Wo ist sie denn?«
»Aufdem Sofa.«
»Naalso. Großväterchen!« Ich lache erleichtert auf. »Die macht ein Schläfchen!«
»Nein.«
»Nein?Sie macht kein Was macht sie denn?«
»Sieatmet nicht.«
»Seitwann?!« Mir bricht der Schweiß aus.
»Seitheute Morgen.«
»Seitheute Morgen sitzt sie auf dem Sofa und atmet nicht?«
»Nein.«
Alsofür Eingeweihte ist die Sache klar. Leute, die stundenlang auf dem Sofa sitzenund dabei nicht atmen, sind in der Regel tot.
Undda Großvater nur noch mich hat, weil meine Eltern vor vielen Jahren bei einemAutounfall ums Leben gekommen sind und Großmutter auch schon lange im Nirwanaweilt, hat Großvater mich angerufen.
Aberich will das nicht wahrhaben. Nicht hier und nicht jetzt. In drei Stunden kanndie meinetwegen tot sein, aber nicht vor der Carmen-Premiere. Nicht vor meinemgroßen Auftritt!
Einletzter Hoffnungsschimmer keimt in mir auf.
»Großvater?Rüttel sie doch mal.«
Istdas ein guter Vorschlag? Wenn sie wirklich tot ist, kippt sie jetzt womöglichkopfüber auf den Glastisch.
Eskommt jetzt nur darauf an, ruhig weiterzuatmen. Ich nestle den Hörer aus derschwarzlockigen Zigeunerinnenperücke, die mir die Maskenbildnerin gerade mitviel Geduld und Spucke aufgesetzt hat, und reiße mir den klapperndenRiesenohrring wieder ab. Man versteht ja sein eigenes Wort nicht mehr.
»So,Großvater. Jetzt noch mal von vorn. Du sagst also, sie bewegt sich nicht mehr.«
DieTür fliegt auf und Dutzende von geschminkten und verkleideten Darstellern sowieMusikern im Frack strömen aufgeregt in den Saal. Um mich herum setzt freudigesGefiedel und Geflöte ein. Premierenfieber.Normalerweise liebe ich das. Dieser Adrenalinschub. Aber doch nicht jetzt,Leute! Ruhe doch mal!
Ichpresse den Hörer ans Ohr.
»Großvater?Bist du noch da?«
Amanderen Ende der Leitung entsteht eine lange Pause. »Großvater?« Meine Stimmeklingt leider hysterisch statt tonrein.
»Ja.«
»Istsie wirklich und unmissverständlich tot?«
Schweigen.Ich werde wahnsinnig.
Ichpresse den Hörer an mein Ohr, bis er sich beinahe daran festsaugt.
»Großvater?!Bist du noch dran?«
Pause,dann: »Ja.«
»Aha.«O Gott, bitte. Bitte alles, aber nicht das.
MeinHerz rast und hämmert, der kalte Schweiß steht mir auf der Stirn. Die gepudertenPerücken um mich herum bewegen sich wie in Zeitlupe, die staubigen Kostüme, dieSchminke, die Kollegen. Das geschäftige Gewusel, das Lampenfieber, die letztenKlänge von den sich einspielenden Orchestermitgliedern.
Nebenmir bläst einer rücksichtslos in sein Fagott, als ob ich hier nur zum Spaßtelefonieren würde. Und der Don Escamillo schmettertkeine zwei Meter neben mir: »Auf in den Kampf, Toreheheherooo!« Die Kinder vom Chor toben aufgeregt durcheinander, der Chordirektor klatschtin die Hände, der Inspizient mustert mich besorgt.
»FrauBär ist also wirklich und unmissverständlich tot?«,brülle ich in den Krach hinein. Als wenn sie davon wieder lebendig würde.
»Ja«,kommt es ganz leise und kraftlos aus dem Hörer.
Ichatme so tief ich kann in meinen bebenden und hämmernden Brustkorb.
WildeStiche durchzucken meine Schläfen, Adrenalin schießt mir bis in die Fußspitzen.
FrauBär.
Aber das kann doch gar nicht sein. Wir haben doch erst gestern telefoniert,sie hat mir noch Toi, toi, toi gewünscht für meine Premiere und sagte, sie würde sichdie Übertragung im Fernsehen ansehen.
Opasgeliebte alte treue Frau Bär kann doch nicht einfach Obwohl, ihr Herz hatteschon häufig verrückt gespielt Sie wollte nur noch den Großvater überleben,hat sie immer gesagt.
Ja, ohne Frau Bär ist mein Großvater
Hilflos.Aufgeschmissen.
Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe: Mein Großvater sitztim Rollstuhl!
Siekann doch nicht einfach so sterben! Ich meine, doch nicht jetzt! Nichtin diesem Moment!
»Orchester,bitte auf die Plätze! Die Vorstellung beginnt in fünfzehn Minuten!«
DieStimme des Inspizienten erreicht mich wie durch eine dicke Wattewolke.
Ichpresse das Telefon ans Ohr und fahre mir mit der anderen Hand wie wild durchdie lange schwarze Perücke, unter der mir so unerträglich heiß geworden ist.
Okay.Ruhe bewahren. Keine Panik. Mir fällt schon was ein. In fünfzehn Minuten kannman viel organisieren. Das haben wir gleich.
Außerdemfangen sie ohne mich nicht an. Hahaha, das nenn ich Galgenhumor.
»Großvater?!Wer ist denn jetzt bei dir?!«
Ichmeine, außer der toten Frau Bär?, denke ich. Michfriert, und alle Härchen auf meiner Haut stehen senkrecht.
LangePause.
»Niemand.«
Aha,niemand also.
Okay.Das muss ich jetzt mal kurz überdenken.
Zwischenuns liegen siebenhundert Kilometer, aber ich werde das jetzt hier regeln. Esist ja nicht so, dass ich keine Erfahrung im Improvisieren habe, als um dieWelt reisende Opernsängerin und geschiedene Mutter von zwei Kindern.
»Großvater,warte, das haben wir gleich. Ich lass mir was einfallen!«Ich schaffe das. Ich bin eine starke Frau.
»Wasist denn mit den Renners von nebenan?«, frage ich so sachlichwie möglich. Okay, ich weiß, dass Renners und mein Großvater seit dreißigJahren nicht mehr miteinander reden, aber es gibt Situationen, in denen kannman ja mal eine Ausnahme machen.
LangesSchweigen.
»Hallo,Großvater?!« Mein Gott, was brüllen die hier alle so! Wenn diesesverdammte Telefon nicht fest installiert wäre, könnte ich es mit in meineGarderobe nehmen, aber hier sind wir im Chorsaal!
»Diesind im Urlaub.«
»Unddie anderen Nachbarn? Hermanns?!« Ich werde langsam hysterisch.
»Diesind auf den Festspielen.«
Ichmöchte weinen. Die Hermanns, die den Schlüssel zum Reihenhaus meines Großvatersin Oer-Erkenschwick haben, sitzen jetzt hier im Festspielhaus und scharren mitden Füßen, weil sie mich sehen wollen, Ella Herbst, das einstige Mädchen vonnebenan, das es zur erfolgreichen Sängerin gebracht hat. O Gott, denke ich.Bitte, Gott. Vorhang. Ende des ersten Aktes. Pause.
Irgendwas.Denk dir was aus. Du führst doch sonst immer so genial Regie. Fast völligpannenfrei. Also, Pannen gab es schon viele, aber doch keine Katastrophe!
»FrauHerbst? Sie müssten jetzt auflegen«, sagt mir der Inspizient, der besorgt aufmich herabsieht. »Sie müssen auf die Bühne.«
»Hatsie die Kastagnetten?«, brüllt er nach hinten. »Wosind die verdammten Kastagnetten?«
»Wasist mit dem Roten Kreuz?«, schreie ich in den Hörer.»Ärztlicher Notdienst?!«
Jemandbringt diensteifrig die Kastagnetten und hält sie mir kokett klappernd vor dieNase. Nicht doch! Ich winke verzweifelt ab. »Großvater?«
Pause.Schweigen.
Jemandanders reicht mir ein Glas Wasser.
»Großvater?!«Ich spüre, wie mir das Glas aus der schweißnassen Hand rutscht. Wasser spritztauf mein Kostüm. Ich fasse mir zitternd an den Hals. Wie soll ich gleichsingen?
Wiesoll ich gleich auf dem Tisch tanzen, barfuß, mitKastagnetten in den Händen, die Hüften schwingen und »tralalalala- die Liebe ist wie ein bunter Vogel« gurren? Vor laufender Fernsehkamera, vordem anspruchsvollen Festspielpublikum, vor der Welt? Während meinGroßvater neben seiner toten Haushälterin im Reihenhaus in Oer-Erkenschwicksitzt?
Ichkann nicht.
Ruhigwerden. Durchatmen. Keine Panik. Eins nach dem anderen. Jetzt gehe ich auf dieBühne und singe. Das ist der Auftritt meines Lebens.
Gleichmorgen früh werde ich nach Düsseldorf fliegen. Die zweite Vorstellung kann auchjemand anders singen. Die Russin, wenn es sein muss.
Nein.Jetzt nicht darüber nachdenken. Für diese Rolle habe ich mein Leben langgekämpft. Sie ist mein absoluter Lebenstraum. Und der wird sich in zehn Minutenerfüllen.
Wenkann ich denn jetzt verdammt noch mal anrufen?
Ichräuspere mich.
»Unddie Hengstenbergs von gegenüber?« Ich weiß, dass erdie nicht leiden kann, weil sie seiner Meinung nach Proleten sind. Aber da musser jetzt eben mal über seinen Schatten
»Dasind seit Tagen die Rollläden runter.«
»DieCaritas? Essen auf Rädern?!«
»Ja.«
»Damüssen doch irgendwelche Nummern am Küchenbrett hängen! Frau Bär hat doch immeralle Nummern aufgeschrieben, für den Notfall !«,kreische ich ins Telefon.
»Ja.«
»Kannstdu die wählen?«
Pause.
»Großvater!Kannst du jetzt die Notfallnummer wählen? Was für Nummern stehen denn amSchwarzen Brett?«
Pause.Seufzen. Dann: »Deine.«
Jemandschiebt mir einen Stuhl in die Kniekehlen. Mein Gott, wie ich mich schäme. Ichkann doch meinen Großvater jetzt nicht im Stich lassen! Mein Mund schmeckt nachtotem Biber.
»FrauHerbst?!« Der Inspizient hat den Dirigenten geholt. Beide reden auf mich ein,aber ich sehe nur, wie sie ihre Münder aufund zumachen,wie Fische im Aquarium. Kein Ton von dem, was sie sagen, dringt zu mir durch.
Plötzlichdurchzuckt mich ein sehr klarer, sehr realer Gedanke. Die große Uhr über derGarderobentür zeigt sieben Minuten vor sechs.
Esklingelt zum zweiten Mal.
DieGeräuschkulisse um mich herum hat sich zu einem unangenehmen Dauerton in meinemInnenohr verdichtet. Es dröhnt und scheppert und pfeift und rauscht.
Wiedurch dicken Nebel sehe ich jetzt Dieter Fux in die Garderobe stürmen, meinenManager. Er hat rote Flecken am Hals und zupft nervös an seiner Krawatte.
DieMenschen, die sich besorgt um mich scharen, reden auf ihn ein. Er wirdputerrot, der Schweiß steht ihm auf der Stirn, er rauft sich die Haare, brülltmich an, dass ich jetzt sofort meinen Arsch auf die Bühne bewegen soll, ummeinen Opa könne sich doch irgendein Wehrdienstverweigerer oder einebarmherzige Tante kümmern, der sei doch jetzt wirklich nicht unser Problem! Dasehe ich in der amorphen Masse derer, die sich um mich scharen, ganz deutlichdas liebe, gütige Gesicht von Frau Bär. Sie nickt mir aufmunternd zu.
Plötzlichdurchzuckt mich ein sehr klarer, sehr realer Gedanke. Ich frage mich, was ichhier eigentlich noch mache.
Miteiner ruckartigen Bewegung reiße ich mir die Perücke vom Kopf.
© Diana Verlag
- Autor: Hera Lind
- 2007, 350 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453351371
- ISBN-13: 9783453351370
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