Schokoladenküsse
Ihr Verlobter findet sie süß, aber chaotisch. Ihre Mutter findet sie zu groß, zu laut und zu mollig. Für ihre Freundinnen ist sie ein bunter Hund.
Richtig happy ist Maddy eigentlich nur, als sie ihren Traumjob in einer Agentur ergattert - wenn es da...
Ihr Verlobter findet sie süß, aber chaotisch. Ihre Mutter findet sie zu groß, zu laut und zu mollig. Für ihre Freundinnen ist sie ein bunter Hund.
Richtig happy ist Maddy eigentlich nur, als sie ihren Traumjob in einer Agentur ergattert - wenn es da nicht den Fotografen Patrick gäbe: Er kann sie innerhalb von Sekunden auf die Palme bringen. Ausgerechnet er will Fotos von ihr machen.
Schokoladenküsse von Maeve Haran
LESEPROBE
»Mmm «
Mit geschlossenen Augen ließ Maddy ihre Geschmacksknospen vom fabelhaften intensiven Schokoladenaroma des Cadbury s Flake verführen und ihre Sinne berauschen.
»Mmmmmmm«, wiederholte sie. Lasziv umschlossen ihre Lippen den gerippten Schokoriegel, als wäre er
»Maddy!«, durchbrach ein Schrei ihren Tagtraum. Das war Shirley, ihre Kollegin im Fotogeschäft FabSnaps, in dem sie arbeitete. »Deine Freundin Jude war am Telefon. In fünf Minuten ist sie hier, hat sie gesagt.«
Verdammt, Maddy hatte ganz vergessen, dass Jude herkommen würde, um sie loszueisen und mit ihr nach einem Brautkleid Ausschau zu halten. Ob sie in der richtigen Stimmung für die Beurteilung eines Brautkleids war, wusste sie nicht. Im April würde sie heiraten, und sie musste streng Diät halten. Unglücklicherweise bildeten Maddy und eine Diät unüberbrückbare Gegensätze. Wäre es der Wunsch des lieben Gottes gewesen, auf seiner Welt nur schlanke Menschen zu sehen, hätte er weder HobNob-Biskuits noch McDonald s-Fritten erfunden - und Cadbury s Flakes schon gar nicht.
Seufzend wickelte sie den Schokoriegel wieder ein und steckte ihn in die Tasche ihrer engen Jeans. Sie war so glücklich über die Größe 42 gewesen. Dank des großzügig mit dem Denim verwobenen Lycra-Anteils passte Maddy gerade noch hinein und konnte sich trotzdem bewegen.
»Jeans?«, hatte ihre Mutter bemerkt, als Maddy mit ihrer neuen Errungenschaft nach Hause gekommen war. Damit wollte sie zweifellos andeuten: Mit einem Arsch wie deinem? Nicht, dass Mum das Wort »Arsch« jemals in den Mund nehmen würde. Sie war eine Meisterin diskreter Umschreibungen. Vielleicht »Kehrseite«. Oder »Hinterteil«. An einem Tag wilden Übermuts allerhöchstens »Gesäß«. Um diese Diskretion noch zu unterstreichen, besaß Maddys Mutter nicht einmal einen Arsch, ebenso wenig wie ihre Schwester Belinda. Die beiden waren zierliche Blondinen und extrem gepflegt, der Frauentyp, den man nur anschauen musste, um zu wissen, dass sie makellose, hübsche Unterhöschen trugen - was Maddy nicht immer von sich behaupten konnte.
Manchmal glaubte Maddy, sie sei nach ihrer Geburt vertauscht worden. Wie sonst hätte eine eins achtzig große, üppig proportionierte Person mit Zigeuneraugen und Oliventeint in eine Familie geraten können, zu der zart gebaute Blondinen gehörten? Jene entnervende Sorte von Frauen, die Verkäuferinnen fragten: »Entschuldigen Sie bitte, haben Sie das auch in Größe 34?« Zugegeben, Maddy kam nach ihrem Vater, allerdings eher geistig als körperlich. Ihre äußere Erscheinung war ihr ein Rätsel.
Ihr Verlobter Chris sagte immer, eines Tages würde eine Zigeunerschar ins vorstädtische Eastfield stürmen und Maddy für sich beanspruchen. Bis dahin würde sie eben weiterhin im FabSnaps jobben müssen.
In diesem Laden arbeitete sie sehr gern, obwohl ihre Mutter das für reine Zeitverschwendung hielt und dann stets auf Belindas glanzvolle Karriere als Balletttänzerin verwies, oder auf Alison, die grässliche Tochter der Nachbarin, die als Trainee in der Halifax Bank eine Managementausbildung absolvierte und einen Firmenwagen fahren durfte. Im Fotoladen herrschte eine nette, freundschaftliche Atmosphäre, und das einzige Konkurrenzdenken galt der Frage, wer um halb sechs am schnellsten zur Tür hinaus war.
Neben Cadbury s Flakes und ihrem Verlobten Chris gab es nur noch eins, was Maddy ganz besonders liebte - das Fotografieren. Sie hatte ziemlich ausgefallene Jobs angenommen - holländischen Studenten Englischunterricht gegeben (die diese Sprache besser beherrschten als sie selbst), am Ende des Piers den Passanten die Zukunft prophezeit (vielleicht das Zigeunerblut in ihren Adern) und im Outfit einer französischen Zofe die Gäste einer Weinbar namens »Lush and Luscious« bedient. Damals hatte sie auch einen Lehrgang in Fotografie am örtlichen Technical College absolviert.
Im FabSnaps genoss sie einen zusätzlichen Vorteil. Mr. Wingate, der Boss, mochte sie und erlaubte ihr, alle ihre Filme kostenlos zu entwickeln. Da sie viel fotografierte, machte das pro Woche mindestens zwanzig Pfund aus. Außerdem durfte sie mit seinem hochmodernen Digital-Developer experimentieren, und er stellte ihr seine romantische, antiquierte Dunkelkammer zur Verfügung, in der sie Schwarzweißfilme entwickelte.
»Maddy!«, kreischte Shirley wieder.
Hastig kehrte sie in den Laden zurück und sah nach den noch nicht erledigten Aufträgen. Eine der großen Entwicklungsmaschinen spuckte Fotos aus.
»He, Jude!«, begrüßte Maddy ihre Freundin auf die übliche Weise, und beide brachen in Lachen aus. »Das muss ich noch fertig machen. Der Kunde hat extra etwas mehr bezahlt, damit er seine Bilder in einer Stunde kriegt.«
Normalerweise schaute sie sich die Fotos kurz an, um die Qualität zu kontrollieren und sicherzugehen, dass sie nichts Obszönes oder Illegales zeigten. Während die Bilder durch die Maschine glitten, musste Maddy blinzeln. Lauter nackte Ärsche. Und als sie genauer hinschaute, grinste sie. Auf den Fotos prangte ein ganzes Rugbyteam ohne Hosen, und die Aufschrift ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG, ALTER JUNGE zog sich über die Hinterbacken - oder »Gesäße«, wie es Maddys Mum ausdrücken würde. Im Allgemeinen weigerte sich FabSnaps, Fotos von nackten Tatsachen abzuziehen. Doch Maddy entschied, dass an diesen Bildern kein Mensch Anstoß nehmen könnte, es sei denn, sein Humor wäre chirurgisch entfernt worden.
»Nette Hintern«, kommentierte Jude.
»Hoffentlich teilt das Geburtstagskind deine Meinung.«
»Sehen Sie zu, dass Sie um zwei wieder da sind!«, rief Mr. Wingate. Maddy war eine tüchtige, gewissenhafte Angestellte, die oft genug auf ihre Mittagspause verzichtete, wenn es viel zu tun gab. Deshalb drückte er manchmal ein Auge zu.
»Danke, Mr. Wingate.« Sie steckte die Fotos in einen rot-weiß-blauen Umschlag. Diese Farbkomposition, vom britischen Unionjack inspiriert, hatte sich der Boss ausgedacht, um mit Patriotismus als Marketing-Waffe die größeren Rivalen aus dem Feld zu schlagen. »Bald wird der Kunde diese Bilder abholen. Um Punkt zwei komme ich zurück. Das verspreche ich Ihnen.«
Gleich um die Ecke lag das Geschäft, in das Jude sie führen wollte. Obwohl sich Wedding Belles nicht im schicken Knightsbridge oder in den angesagten Regionen von Soho befand, hatte die Boutique schon mehrere TV-Stars und Girly-DJs ausstaffiert. Einem Gerücht zufolge war sogar Madonna schon einmal hier gewesen.
»O Maddy!«, quietschte Jude und zeigte auf ein Kleid in der Auslage. »Darin würdest du sensationell aussehen! Chris würde schon einen Orgasmus kriegen, während er all die vielen Knöpfe öffnet.«
Mit zusammengekniffenen Augen musterte Maddy die hinreißende Kreation. Im Gegensatz zu ihr selbst war das Kleid schmal und elegant, aus elfenbeinfarbenem Satin, täuschend schlicht geschnitten, mit einer Reihe winziger Knöpfe am Rücken.
Gab es eine auch nur annähernd realistische Chance, dass sie da hineinkommen würde? Warum wurde eine Frau, sobald ihre Kleidergröße ein kleines bisschen über 42 hinausging, plötzlich in die Kategorie 46 bis 48 bugsiert?
»Warum gehen wir nicht rein und schauen s uns an?«, versuchte Jude sie zu umgarnen, wie Satan, der Eva einen Red Delicious hinhielt. »Ich meine - was hast du zu verlieren?«
»Meine Würde und meine ohnehin schon gefährdete Selbstachtung«, erwiderte Maddy und erinnerte sich an diverse Begegnungen mit arroganten Verkäuferinnen, die ihr das Gefühl gegeben hatten, man müsse eigens für sie einen Modeladen für Mammuts gründen. »Warum nicht, zum Teufel?« Verdammt wollte sie sein, wenn sie sich von dieser hochnäsigen Bande einschüchtern ließe.
Den Kopf hoch erhoben, versuchte sie ebenso stilvoll zu wirken wie das Kleid - ein schwieriges Unterfangen, weil sie ihre Stretch-Jeans und ihren vergammelten gestreiften Lieblingshut im Grunge-Look trug, der ihre widerspenstigen dunklen Haare bändigen sollte Wenigstens bin ich mit meinen eins achtundsiebzig nicht zu übersehen, dachte sie. Ihr Vater hatte stets betont (meist nach einer von Mums ätzenden Bemerkungen über Elefanten in Porzellanläden), Maddy verfüge zumindest über Ausstrahlung.
»Nun komm schon!« Jude stieß sie zur Tür. »Probier s an. Du musst es ja nicht kaufen.«
»Dazu werde ich mich wohl kaum durchringen«, murmelte Maddy, »weil ich noch nicht zu sparen angefangen habe.« Oder mit der Slim-Fast-Diät. Das fügte sie nur in Gedanken hinzu. In der Boutique herrschte eine beängstigend edle Atmosphäre. Das Dekor schrie geradezu nach Platin-Kreditkarten - dicke weiße Teppiche, schwere elfenbeinfarbene Seidenvorhänge, die von geflochtenen Schnüren zusammengehalten wurden, extravagante Seidenblumen in riesigen Vasen und ein kleines Tablett mit Espresso und Fruchtsaft. Als Tüpfelchen auf dem i waren frische Rosenblütenblätter auf dem Boden verstreut. Maddy spürte geradezu, wie die VISA aus ihrer Brieftasche gelockt wurde. Was niemandem etwas nutzen würde, weil sie die Karte schon fast bis zum Limit belastet hatte.
Noch immer ließ sich keine einzige Verkäuferin blicken.
»Wie in einem Geisterladen«, wisperte Maddy. »Vielleicht wurde das Personal von der militanten Brigade alter Jungfern niedergeschossen.« Sie ging zur Auslage und inspizierte das traumhafte Kleid. »Typisch. Kein Etikett mit der Größe, kein Preisschild. Soll ich die Schaufensterpuppe würgen und ins Verhör nehmen?«
»Das wird nicht nötig sein.«
Schuldbewusst drehte sie sich zu einer Verkäuferin mit tintenschwarzem Haar um, die Stiefel mit überdimensionalen High Heels trug. Es lag Maddy auf der Zunge zu fragen, ob sie irrtümlich in einem Sex-Shop gelandet seien. Oder in einem Bestattungsinstitut mit einem Spezialangebot für Nekrophilie-Fans.
»Was ist bloß aus den mütterlichen Verkäuferinnen im knitterfreien blauen Trevira geworden?«, flüsterte sie Jude zu.
»Wahrscheinlich arbeiten die jetzt in den Ann-Summers-Läden.«
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Oder wollen Sie sich nur umschauen?« Diese beiden letzten Wörter sprach die Verkäuferin so verächtlich aus, als handelte es sich um eine besonders perverse Sexualpraktik.
»Hier war s so still, dass wir dachten, Sie wären alle ermordet worden«, erklärte Maddy.
»Wegen des Shootings.«
»Mein Gott«, hauchte Jude, »also wurde tatsächlich jemand erschossen.«
Die Domina ignorierte sie. »Wegen des Foto-Shootings«, fuhr sie fort und wies in einen l-förmigen Nebenraum. Dort posierte eine Braut, ausstaffiert wie Britney Spears, wenn auch nicht ganz so raffiniert, in einem Wald aus silbernen Schirmen vor einer Kamera.
Sofort legte Maddy ihre Handtasche beiseite, holte ihren eigenen Fotoapparat hervor und knipste den Knipser.
»Keine Bange, das tut sie immer«, informierte Jude die Verkäuferin, »Fotografieren ist ihr Hobby.«
»Das ist Patrick Jamieson«, verkündete die Frau ehrfürchtig, »und er fotografiert sie für das Bride & Groom Magazine.«
Gleichmütig zuckte Jude die Achseln. »Von Patrick Lichfield habe ich schon gehört. Und von Patrick Sowieso, der damals Prinzessin Di «
»Patrick Jamieson ist Weltklasse«, fiel ihr die Verkäuferin bissig ins Wort.
Auf Maddys Zunge lag die Frage: Was hat ihn dann nach Eastfield ins Wedding Belles verschlagen?
Selbst wenn Eastfield nur acht Meilen von der Londoner City entfernt lag, kam man sich hier manchmal vor wie auf einem anderen Planeten.
»Dieses glückliche Mädchen hat einen Wettbewerb gewonnen«, erläuterte die Verkäuferin, »und Patrick wird auch die Fotos bei der Hochzeit machen. Außerdem stellt er ein Album für das Brautpaar zusammen.«
»Sicher wird er auf seinen Superbildern nicht den Kopf des Bräutigams abschneiden«, meinte Jude, »oder einen Gast übersehen, der im Hintergrund kotzt - das ist auf der Hochzeit meiner Kusine Susan passiert.«
»Also, Ladys « Die Frau taxierte die beiden Freundinnen von Kopf bis Fuß, um zu entscheiden, welche eher wie eine Braut aussah. »Was kann ich für Sie tun?«
»Das Brautkleid im Schaufenster.« Tapfer wappnete sich Maddy gegen die demütigende Mitteilung, das sei Größe 38. »Wir wüssten gern, welche Größe «
»Das Catherine-Walker-Modell? Mal sehen « Die Verkäuferin trippelte zur Auslage. »Tut mir wirklich Leid.« So wie die versnobte Kuh das sagte, klang es ganz anders. »Größe 40.« Bedeutungsvoll starrte sie Maddy an. »Versuchen Sie s bei Bride Plus in Palmer s Green. Und falls es da nicht klappt, in einem Kaufhaus. Manche führen auch Brautmoden.«
»Besten Dank.« Maddy richtete sich zu ihrer vollen Länge von eins achtundsiebzig auf. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich das Kleid trotzdem anprobieren.« Das letzte Mal hatte sie bei ihrer Erstkommunion in Größe 40 gepasst. Aber sie wollte wenigstens eine Genugtuung genießen und die aufgeblasene Gans zwingen, ihre Schaufensterdekoration durcheinander zu bringen. Das würde sich unzweifelhaft lohnen. Außerdem würde sie ihr Brautkleid niemals in einem Discountladen kaufen.
»Los, Maddy, versuch s einfach mal«, wurde sie von Jude ermutigt.
Verstimmt holte die Verkäuferin das Kleid aus dem Schaufenster und trug es mit einer Ehrerbietung, wie man sie normalerweise nur dem Turiner Grabtuch Christi zollt, zur Umkleidekabine. »Läuten Sie, wenn Sie meine Hilfe brauchen«, sagte sie und hängte es an einen Haken.
Mit dem Kleid allein gelassen, fühlte sich Maddy plötzlich am Rande einer Panik. Sie, Madeleine Adams, würde wirklich und wahrhaftig heiraten. Und zwar Chris Stephens, in seiner großen griechischen Familie unter dem Namen Christos Stephanides bekannt, den sie seit den Tagen der Park-Street-Mittelschule kannte. Chris - attraktiv, der Mädchenschwarm in der neunten Schulklasse, allgemein beliebt. Ohne irgendwelche Qualifikationen war er von der Schule abgegangen und ins Autohaus seines Vaters eingestiegen, eifrig bestrebt, mit dem »richtigen Leben« zu beginnen. Chris, der einen brandneuen Mazda-Sportwagen fuhr. Chris, der Maddy amüsant und sexy fand und den es nicht im Mindesten störte, dass sie zweieinhalb Zentimeter größer war als er. Natürlich konnte ihre Mutter nicht fassen, dass Belinda immer noch Single war und nicht einmal einen Freund hatte, während ihre Schwester Aber nach Mums Ansicht waren Männer nun mal dumm, angefangen bei ihrem eigenen.
Gavin, Maddys Vater, hatte ganz anders reagiert. »Wenn der Junge dich kriegt, kann er von Glück reden. Hoffentlich ist er es wert.«
Als sie in das Kleid stieg, spürte sie den glatten Kuss des Satins auf ihren Hüften und betrachtete die schimmernden Falten. Der Augenblick der Wahrheit lag noch vor ihr. Bestand auch nur die geringste Chance, dass es ihr gelingen würde, das Kleid anzuziehen?
»Soll ich dir helfen?«, rief Jude.
»Ja, bitte!«, schrie Maddy zurück und zog den Bauch ein, so gut sie es vermochte.
»Nun komm schon, Miss Scarlett!« Jude schlug ihren besten Mammy-Ton aus »Vom Winde verweht« an. »Halt dich fest und atme tief ein.«
Während Maddy so tief Luft holte, dass es ausgereicht hätte, um drei Meter tief zu tauchen, zog Jude die beiden Seiten des Kleids am Rücken zusammen. Glücklicherweise verdeckte die Knopfreihe einen Reißverschluss, und - o Wunder - er ließ sich bis ganz nach oben ziehen.
»Also, ich muss schon sagen, Miss Scarlett - du siehst so süß und hübsch aus, mein Lämmchen.«
Vor lauter Freude strahlte Maddy über das ganze Gesicht. Es gab keinen Spiegel in der Umkleidekabine, weil man von den Bräuten erwartete, in den Geschäftsraum zu treten - vor die Augen der Mütter und künftigen Schwiegermütter, die daraufhin entzückt aufstöhnten oder verstohlen kicherten.
Doch Maddy wusste es schon - dieses Kleid könnte das einzig Wahre sein. Darin fühlte sie sich wirklich »sensationell«.
»Willst du die Gotenkönigin herausfordern und zum Spiegel hinauslaufen, um dich in deiner ganzen Schönheit zu bewundern?«, fragte Jude. »Dann sollest du vielleicht deinen «
Aber Maddy, nach ihrem Erfolg von unbändigem Selbstvertrauen erfüllt, ignorierte ihre Freundin und rauschte hinaus.
Verwirrt zuckte sie zurück, als sie einen Mann neben dem riesigen Spiegel entdeckte. Eine Kamera in der Hand, lehnte er lässig an der Wand und musterte sie.
Das Erste, was ihr auffiel, waren seine Augen - so blau wie die Farbe von Mundwasser. Nein, der Vergleich hinkte, denn dieses leuchtende Blau erinnerte einen eher an den Himmel über Griechenland. Sein Leinenanzug war total zerknittert, das dunkle Haar musste dringend geschnitten werden. Und seine nackten Füße steckten doch tatsächlich in Sandalen!
»Cooles Motiv«, sagte er erstaunlicherweise. »Stört es Sie, wenn ich « Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er zu knipsen. »Und die Braut trug Grunge « Lachend ließ er die Kamera sinken.
Erst jetzt sah sich Maddy im Spiegel. Das Kleid war ein Traum. Aber - o Gott - sie trug immer noch ihren schäbigen gestreiften Hut. Feuerrot vor Verlegenheit riss sie ihn sich vom Kopf. Dabei bewegte sie sich etwas zu heftig. Ratsch - das Platzen der Naht hallte laut durch den stillen Raum - so gewaltig, als würde ein Bündel Fünfzig-Pfund-Noten entzweigerissen.
»Das wusste ich ja - mit Größe 40 haben Sie zu viel riskiert«, zischte die Verkäuferin und rannte zu ihr, um den Schaden abzuschätzen.
»O Scheiße, tut mir ehrlich Leid!«, platzte Maddy heraus. Beide inspizierten den langen Riss unter einem Arm.
»Mir auch«, versicherte die Frau in einem Tonfall, der sogar eine Flasche Bier unter Zimmertemperatur gekühlt hätte. »Wenn Sie ein Kleid beschmutzen oder zerreißen, müssen Sie s bedauerlicherweise kaufen.«
»Hören Sie «, mischte sich Patrick ein, sobald er Maddys Miene sah.
»Wir müssen leider darauf bestehen, es ist eines unserer Geschäftsprinzipien, weil diese Kleider unglaublich wertvoll sind.«
Maddy erblasste. Wie teuer das Kleid war, wusste sie nicht. Abgesehen davon hatte sie bisher weder damit angefangen, Diät zu halten noch zu sparen. Beides wurde jetzt beinahe überlebenswichtig.
Endlich gehorchte ihr die Stimme wieder. »Wie viel kostet es?«
»Eintausendachthundert Pfund«, antwortete die Verkäuferin. »Inklusive Preisnachlass, weil das Modell im Schaufenster gezeigt wurde. Ich fürchte, Sie haben unser teuerstes Kleid zerfetzt.«
© der deutschsprachigen Ausgabe 2005 by Verlagsgruppe Random House, München
Übersetzung: Eva Malsen
Autoren-Porträtvon Maeve Haran
Maeve Haran lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in London.Ihre Biographie könnte einem ihrer Romane entstammen, denn Maeve Haran hat esgeschafft, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen: Nach demJura-Studium wurde sie eine erfolgreiche TV-Produzentin, gab diese Laufbahnjedoch für ihre schriftstellerische Karriere auf. Dass dies nicht immer ohneTurbulenzen verlief, spiegelt sich in ihren selbstbewusst-frechen Bestsellernwie "Liebling, vergiss die Socken nicht" und zuletzt "Der Stoff, aus dem dieMänner sind" wider. Inzwischen haben sich ihre Romane allein inDeutschland über zweieinhalb Millionen mal verkauft.
Interview mitMaeve Haran
Sie haben in Ihren Romanen schon sehr verschiedeneFrauentypen charakterisiert. Erzählen Sie uns bitte etwas über die jungeLondonerin Maddy aus "Schokoladenküsse". Was ist das Besondere an ihr?
Da ich selber einbisschen üppiger bin, hat es mich immer geärgert, dass ein Mädchen immer dünnsein oder werden soll, bevor es einen Mann erobern kann. Maddy ist füllig. Sie ist sinnlich undimpulsiv. Es geht ihr um Erfahrungen und nicht darum, Kalorien zu zählen. Siehasst Diäten und Redewendungen wie: "Einen Moment auf Deinen Lippen - für immerauf Deinen Hüften". Ich bewundere Maddy sehr!
Maddys Leidenschaft ist das Fotografieren. Sie steht sogarselbst Modell als "Venus im Gemüse" und posiert halbnackt mit ein paarKarotten. Wann und wie kamen Sie auf diese Idee? Und welche Bedeutung hat dasFotografieren für Maddy?
Ich habediese Szene, in der Maddy ihre Kleidung gegen ein "Kleid" aus Obst und Gemüseeintauscht, hereingenommen, um zu zeigen: Maddy ist eine reife, sinnliche Fraumit einer Pfirsichhaut. Als ich an dieser Szene schrieb, erinnerte ich mich andie lustige Situation, die ich einmal in einem Restaurant erlebt hatte: Ein gutaussehender Ire gab mir eine ziemlich sexy Demonstration dafür, wie man eineFeige essen sollte. Ich wollte etwas von dieser reifen, "fruchtigen"Sinnlichkeit einfangen.
Dass Maddygerne fotografiert, hängt mit ihrer unkonventionellen Wahrnehmung zusammen. Sieist kein Durchschnittsmensch, sie sieht die Dinge auf eine originelle,instinktive Weise. Sie ist einfach offen für Eindrücke.
Ich bineine geborene Romantikerin, und ich glaube unbedingt an die Kraft kleinerromantischer Gesten. Diese so genannten "Essentials" wie Shopping oder Kochenlangweilen mich. Aber ich liebe es, Geschenke zu machen, Blumen zu verschenken(übrigens auch an mich selbst!), ein Bad bei Kerzenschein zu nehmen - und immerwieder einfach meinen Mann anzurufen, um ihm zu sagen, dass ich ihn liebe;damit wir nicht nur über die Schule oder darüber sprechen, wer nun wieder dranist, im Supermarkt einzukaufen.
Sie leben mit Ihrem Mann und Ihren Kindern seit Jahrenglücklich zusammen. Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre verworrenenLiebesgeschichten?
Jetzt istmein Leben glücklich und stabil - aber ich kann aus den vielen Fehlern meinerVergangenheit schöpfen! Erst Ende dreißig bin ich etwas zur Ruhe gekommen. Undich habe eine Menge erlebt, bevor ich Mutter wurde. Also bietet mir meineigenes Leben ziemlich viel Material. Außerdem habe ich viele Freundinnen, diemich anrufen und mir von ihren Problemen erzählen. Ich weiß also, was in unseremLiebesleben so alles schief gehen kann. Moderne Frauen leben in einer sehrkomplizierten Zeit!
Ihre Geschichten gelten als Frauenromane. Hätten Sie gernemehr männliche Leser?
VieleMänner mögen meine Bücher. Ich war ziemlich gerührt, als mir der Europa-Chefdes Discovery Channel erzählte, dass er all meine Bücher gelesen habe, nachdemihm eines in einem Ferienhaus in Frankreich in die Hände gefallen war. MeineVerleger sagen, meine männlichen Protagonisten seien realistisch beschrieben.Ich würde mich freuen, mehr männliche Leser zu haben! Es gibt eine ziemlichwitzige Website über mich und meine Bücher, die doch tatsächlich von einem Mannin die Welt gesetzt wurde! Eine meiner Töchter hat sie entdeckt und mir davonerzählt. Diese Entdeckung war ein ziemlicher Schock für mich! Die Fragen stellte Sandy Brunzel,Literaturtest.
- Autor: Maeve Haran
- 2006, 416 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Herausgegeben: Sigrun Zühlke
- Übersetzer: Eva Malsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442361214
- ISBN-13: 9783442361212
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