Sebastian Bergman Band 3: Die Toten, die niemand vermisst
Kriminalroman
Mit einer deutschen Gesamtauflage von 500.000 verkauften Exemplaren sind die Schweden Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt die neuen Sterne am skandinavischen Krimi-Himmel. Nun schicken sie ihren widerlich-genialen Profiler Sebastian Bergman in...
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Produktinformationen zu „Sebastian Bergman Band 3: Die Toten, die niemand vermisst “
Mit einer deutschen Gesamtauflage von 500.000 verkauften Exemplaren sind die Schweden Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt die neuen Sterne am skandinavischen Krimi-Himmel. Nun schicken sie ihren widerlich-genialen Profiler Sebastian Bergman in seinen dritten Fall.
In den Bergen von Jämtland stürzt eine Wanderin ab. Sie überlebt, doch aus der Erde vor ihr ragen die Knochen einer Hand. Die Polizei birgt sechs Leichen, darunter zwei Kinder. Niemand scheint die Toten zu vermissen. Kommissar Höglund und sein Team reisen in die Provinz. Darüber hinaus belasten auch noch Spannungen zwischen Bergman und Vanja die Arbeit.
Sebastian Bergman: Genie oder Kotzbrocken?
"Sie werden es lieben, ihn zu hassen" - dieser Satz kann nur für einen gelten: Profiler Sebastian Bergman.
Bergman macht es den Lesern tatsächlich schwer, ihn zu mögen. Er ist arrogant, zynisch, unerträglich, ein notorischer Schürzenjäger mit Hang zur Sexsucht. Kurz gesagt: ein echtes Ekelpaket. Sogar seine Mutter sagt über ihn: "Den meisten Menschen geht es ohne Sebastian in ihrem Leben besser."
Dass das nicht immer so war, legt Bergmans Vorgeschichte nahe: Einst war er glücklich verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. Doch seine Familie kam durch einen Tsunami ums Leben - ein tragischer Verlust, der Bergman depressiv und arbeitsunfähig werden ließ.
Gleichzeitig ist Bergman ein hochintelligenter Profiler. Deshalb kann Kommissar Torkel Höglund seine Hilfe in kniffligen Mordfällen nur zu gut gebrauchen.
Und dann gibt es da noch die junge Kriminalbeamtin Vanja. Sie steht Sebastian Bergman erheblich näher, als er es je hätte vermuten können.
Ermittlerporträt Sebastian Bergman
Er studierte in den USA, ist Schwedens bester Profiler, Bestsellerautor und Kriminalpsychologe. Doch wer nun glaubt, Sebastian Bergman sei ein feinsinniger und kultivierter Mensch mit viel Verständnis für seine Mitmenschen, der liegt völlig falsch. Sebastian Bergman ist ein echtes Ekel: rechthaberisch, rücksichtslos, sexsüchtig und ungefähr so beliebt wie Picknick auf einem Ameisenhaufen. Wenn Torkel Höglund von der Reichsmordkommission entscheidet, dass Sebastian zur Aufklärung eines heiklen Falls mit ins Team soll, sinkt die Stimmung in den Minusgradbereich. Doch der asoziale Bergman ist eben auch hochintelligent und brillant.
Unausstehlich und traumatisiert: Profiler Sebastian Bergman
War der schon immer so?, fragt man sich und erfährt, dass Bergman schwer traumatisiert ist: Bei einem Tsunami hat er seine geliebte Frau Lily und seine kleine Tochter verloren - nur er überlebte die Katastrophe. Seitdem ist er noch unausstehlicher geworden, obwohl er auch schon als Dozent an der Uni - das war vor dem Unglück - gefürchtet und berüchtigt war. Er konnte keinen anderen neben sich gelten lassen. Wer es wagte, ihm zu widersprechen, hatte verloren - und das für den Rest seines Studiums. Doch seit Bergman von einer seiner zahlreichen Affären erfuhr, dass er Vater einer mittlerweile erwachsenen Tochter ist, läuft er noch mehr aus dem Ruder. Noch dazu arbeitet Tochter Vanja, Jahrgang 1980, bei der Reichsmordkommission und hasst Bergman. Sie weiß nicht, dass er ihr leiblicher Vater ist. Vanja ist die beste Ermittlerin im Team und hat ambitionierte Pläne: Sie will zum FBI in die USA, und ihre Bewerbung läuft - für Sebastian, für den Vanja so etwas wie der Rest von Familie bedeutet, eine Katastrophe. Er will ihr nahe sein, versteckt sich dafür nachts im Gebüsch vor ihrem Haus und wirkt manisch, noch manipulativer als sonst.
Berechnend und sich selbst sein einziger Gegner
Ist er freundlich, hat er sich vorher genau überlegt, was ihm das bringt bzw. ob es ihm überhaupt etwas bringt. Bestünde diese Möglichkeit nicht, wäre er auch nicht freundlich, sondern sarkastisch, verletzend und gnadenlos. Auch bei seinen Bettgeschichten hilft dem leicht übergewichtigen und ziemlich verbrauchten Bergman dieses Berechnende: Er sagt im richtigen Moment die richtigen Dinge, stellt die Frauen ins Zentrum seines Interesses und gibt ihnen so das Gefühl, begehrenswert zu sein. Dass er am Morgen danach aber definitiv keine Lust hat, mit ihnen zu frühstücken ... Bei all seiner Intelligenz, andere Menschen zu "lesen" - bei ihm selbst versagt er in dieser Kunst und scheint sich immer mehr zu verlieren. Er ist und bleibt sein einziger Gegner. Sein Feind. Und ob dahinter der sympathische Sebastian jemals zum Vorschein kommen wird, ob es ihn überhaupt gibt ... wer weiß.
"Die Toten, die niemand vermisst"
Diese Fjäll-Wanderung hatten sich Maria und Karin auch ganz anders vorgestellt. Es regnet Bindfäden, sie schlagen den falschen Weg ein und dann rutscht Karin einen steilen Hang hinunter und landet zwischen Skeletten. Sechs Leichen liegen hier vergraben, darunter zwei Kinder. Dieser Fund ruft die Stockholmer Reichsmordkommission mit Teamleiter Torkel Höglund auf den Plan und natürlich den hochintelligenten, aber leider unmöglichen Kriminalpsychologen Sebastian Bergman. Bergman, Profiler, Bestsellerautor, Egomane und Frauenheld, findet die Idee, nach Jämtland reisen zu müssen, einzig und allein deshalb reizvoll, weil er dadurch Vanja nahe sein kann.
Sebastian Bergman: absolut indiskutabel und team-unfähig
Vor einiger Zeit erfuhr er von einer seiner zahlreichen Exbettgefährtinnen, dass er Vater einer erwachsenen Tochter ist: Vanja. Die begabte Ermittlerin arbeitet ausgerechnet auch bei der Reichsmordkommission, und sie findet Sebastian Bergman absolut indiskutabel. Dieser Meinung ist zwar auch der Rest des Teams, doch Vanja scheint eine besondere Abneigung gegenüber Sebastian zu hegen. Doch nun müssen beide irgendwie miteinander klarkommen. Die Toten - es sind eine vierköpfige Familie und zwei weitere Erwachsene - scheint indes niemand zu vermissen.
Skrupelloser und manischer denn je, aber Schwedens bester Profiler
Aber Sebastian Bergman quält auch noch etwas anderes: Der Killer Hinde hatte irgendwie herausgefunden, dass Vanja seine Tochter ist. Hinde ist zwar mittlerweile tot, doch Bergman fürchtet sich davor, dass auch andere Menschen so kombinieren und dieses Geheimnis lüften könnten. Sebastian wirkt in "Die Toten, die niemand vermisst" noch manischer als in den Büchern davor. Er spioniert seiner Tochter nach, will ihr nahe sein und steht nachts im Gebüsch vor ihrem Haus. Und auch weitere unglaubliche Aktionen lassen ernsthaft an seinem Verstand zweifeln ... Grenzen erkannte Bergman zwar noch nie an, aber nun scheint er völlig außer Rand und Band. Skrupelloser denn je. Verzweifelter denn je.
Ellinor Bergkvist: eine Haushälterin, mit der Sebastian auch Sex hat
Eine weitere private "Baustelle" von Sebastian heißt Ellinor Bergkvist. Im Gegensatz zu sonst gelingt es ihm einfach nicht, die Frau so schnell wie möglich wieder aus seinem Leben zu vertreiben. Gehässige Kommentare perlen an Ellinor ab - sie schafft es sogar, bei ihm einzuziehen. Sie spielt Hausfrau, kocht, macht die Wohnung schön - und ja, Sebastian und sie haben auch weiterhin Sex. Aber für ihn ist Ellinor eben nicht mehr als eine Haushälterin, mit der er auch schläft. Für Ellinor scheint die Sache ganz anders zu liegen.
Die Toten, die niemand vermisst: Warum sollte ein Killer eine Familie exekutieren?
Und auch der Fall mit den vermissten Toten gerät zu einem Puzzle mit immer noch mehr unbekannten Teilen. Es war in jedem Fall professioneller Mord. Doch warum sollte ein Auftragskiller eine Familie exekutieren? Waren die vier einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und haben sie etwas gesehen? Parallel recherchiert der Journalist Lennart Stridh das Verschwinden von Hamid Khan, einem Afghanen, und dessen gutem Freund Said. Hamids Frau Shibeka hatte sich an Lennart gewandt, ihn um Hilfe gebeten. Auch Sohn Mehran stellt eigene Nachforschungen an und versucht, dem Rätsel seines verschwundenen Vaters auf die Spur zu kommen.
Entdeckt Tochter Vanja Sebastians positive Seiten?
Und Sebastian? Er hat es geschafft, dass seine Tochter nicht mehr total abblockt, wenn sie ihn sieht. Obwohl Vanja nach wie vor rätselt, warum dieser leicht übergewichtige und ziemlich verbrauchte 55-Jährige so einen Schlag bei Frauen hat, scheint sie eine andere, positive Seite von Sebastian entdeckt zu haben. Doch wer Bergman kennt und ihm durch „Die Toten, die niemand vermisst" mit einer Mischung aus Faszination und Widerwillen "gefolgt" ist, der kann noch nicht ganz glauben, dass dieser Frieden zwischen Vanja und Sebastian von Dauer ist ...
Klappentext zu „Sebastian Bergman Band 3: Die Toten, die niemand vermisst “
Sebastian Bergman, Kriminalpsychologe Ganz nah am Abgrund.
Beruflich und privat.
In den Bergen von Jämtland stürzt eine Wanderin ab. Sie überlebt. Jemand anderes hatte dafür weniger Glück: Aus der Erde vor ihr ragen die Knochen einer Hand. Die Polizei vor Ort birgt sechs Leichen, darunter die zweier Kinder. Alle per Kopfschuss getötet.
Stockholm wird um Verstärkung gebeten, und Kommissar Höglund reist mit großem Tross in die Provinz. Doch die Ermittlungen stehen unter keinem guten Stern. Den Kriminalpsychologen Sebastian Bergman plagen private Probleme, Spannungen belasten das ganze Team. Und auch der Fall entpuppt sich als kompliziert. Die Identität der Toten gibt Rätsel auf, niemand vermisst sie.
Als Höglund und Bergman endlich auf eine brauchbare Spur stoßen, schaltet sich der schwedische Geheimdienst ein...
Sebastian Bergmans dritter Fall
Großformatiges Paperback. Klappenbroschur
Lese-Probe zu „Sebastian Bergman Band 3: Die Toten, die niemand vermisst “
Die Toten, die niemand vermisst von Hjorth & Rosenfeldt... mehr
Diesmal hieß sie Patricia.
Patricia Wellton.
Neue Orte, neue Namen.
Am Anfang war das am schwersten gewesen - zu reagieren, wenn sie von Hotelportiers und Taxifahrern angesprochen wurde. Aber das war lange her. Mittlerweile nahm sie den Namen auf ihren neuen Papieren an, sobald sie sie in der Hand hielt. Auf dieser Reise war sie bisher nur einmal namentlich angesprochen worden, von dem Autovermieter in Östersund, der ihr mitteilte, dass der von ihr bestellte Mietwagen nun frisch gereinigt und fahrbereit sei.
Sie war pünktlich gelandet, um kurz nach fünf am Mittwochabend, und hatte den Arlanda Express in die Stockholmer Innenstadt genommen. Es war ihr erster Besuch in der schwedischen Hauptstadt, aber sie beschränkte ihr Sightseeing auf ein nahegelegenes Restaurant, in dem sie ein frühes und ziemlich geschmacksarmes Abendessen einnahm.
Um kurz vor neun stieg sie dann in den Nachtzug, der sie nach Östersund bringen sollte. Sie hatte sich ein eigenes Abteil im Schlafwagen gebucht. Nicht weil sie glaubte, dass man ihr auf die Spur käme, auch wenn ihre Täterbeschreibung womöglich der Polizei und anderen Behörden mehrfach vorlag, sondern weil sie nicht gern mit fremden Menschen in einem Raum schlief. Es nie gern getan hatte.
Nicht in jungen Jahren mit ihrer Volleyballmannschaft, wenn sie zu Turnieren fuhren. Nicht während der Ausbildung, weder auf der Basis noch im Feld.
Und auch nicht bei ihren Aufträgen.
Nachdem der Zug den Bahnhof verlassen hatte, war sie ins Bistro gegangen, hatte sich eine kleine Flasche Wein und ein Tütchen Erdnüsse gekauft und sich in ihr Abteil zurückgezogen, um zu lesen. I know what you're really thinking, ein neues Buch mit dem etwas skurrilen Untertitel: Reading Body Language like a Trial Lawyer. Die Frau, die derzeit Patricia Wellton hieß, wusste nicht, warum ausgerechnet Strafverteidiger eine besondere Begabung für die Deutung von Körpersprache haben sollten. Sie war jedenfalls noch nie auf einen von ihnen gestoßen, der sich auf diesem Gebiet hervorgetan hätte. Doch das Buch war, wenn schon nicht unbedingt lehrreich, so doch zumindest spannend und unterhaltsam. Um kurz nach eins schlüpfte sie zwischen die sauberen, weißen Laken und löschte das Licht.
Fünf Stunden später stieg sie in Östersund aus und fragte sich zu einem Hotel durch, wo sie ein ausgiebiges Frühstück einnahm, ehe sie sich zu der Avis-Filiale begab, bei der sie einen Wagen reserviert hatte. Aber das Auto stand noch nicht bereit, also musste sie warten und bekam eine Tasse Maschinenkaffee angeboten.
Es war ein neuer anthrazitfarbener Toyota Avensis, mit dem sie nach knapp hundert Kilometern die Stadt Åre erreichte. Die ganze Fahrt über hatte sie sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen gehalten, denn es war nicht nötig, sich einen Strafzettel einzuhandeln, obwohl es im Prinzip auch nichts ausmachen würde. Soweit sie in Erfahrung gebracht hatte, durchsuchte die schwedische Polizei bei kleineren Verkehrsdelikten nicht gleich das Auto und das Gepäck. Und ihr Auftrag konnte höchstens dadurch gefährdet werden, dass man ihre Pistole entdeckte. Sie hatte keine Papiere, die sie dazu berechtigten, in Schweden eine Waffe zu tragen. Wenn Polizeibeamte ihre Beretta M9 fänden, würden sie jedoch nachforschen und entdecken, dass Patricia Wellton an keinem anderen Ort als im Hier und Jetzt existierte. Daher drückte sie nicht allzu sehr aufs Gas, sondern fuhr gemächlich an den grasgrünen Skipisten vorbei und hinein in die kleine Stadt, die über dem See lag.
Sie machte einen kurzen Spaziergang, wählte auf gut Glück ein Café und bestellte sich ein Panino und eine Cola light. Während sie aß, studierte sie die Landkarte. Vor ihr lagen noch knapp fünfzig Kilometer auf der E 14, ehe sie abfahren und den Wagen parken würde, anschließend war es noch eine Laufstrecke von etwa zwanzig Kilometern. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Wenn sie drei Stunden rechnete, bis sie vor Ort war, und eine weitere, um die Spuren zu beseitigen, zwei, um sich wieder zum Auto zu begeben und Bericht zu erstatten ... dann wäre sie am Abend pünktlich in Trondheim, um von dort den Flug nach Oslo zu erreichen und am Freitag den Anschluss nach Hause.
Nach einem weiteren Spaziergang durch Åre setzte sie ihre Fahrt nach Westen fort. Obwohl sie bei ihrer Arbeit schon viel herumgekommen war, hatte sie eine solche Landschaft noch nie erlebt. Die sanften Berge, die deutliche Baumgrenze, das Sonnenglitzern auf dem Wasser im Tal. Hier könnte sie sich wohl fühlen. In dieser Einöde. Der Stille. Der klaren Luft. Hier würde sie gern einmal eine einsame Hütte mieten und lange Wanderungen unternehmen. Angeln. Im Sommer das Licht genießen und im Winter am offenen Kaminfeuer sitzen und lesen.
Vielleicht irgendwann einmal.
Vermutlich nie.
Als ein Schild anzeigte, dass es links nach Rundhögen ging, verließ sie die E14 und kurz darauf auch ihren Mietwagen, griff nach ihrem Rucksack, holte die Gebirgskarte über das Gebiet heraus und lief los.
Hundertzweiundzwanzig Minuten später hielt sie an. Etwas außer Atem, aber keineswegs müde. Sie war nicht so schnell gelaufen, wie sie konnte, auf langen Strecken teilte sie sich ihre Kräfte lieber ein. An einer Bergflanke ließ sie sich nieder und trank etwas Wasser, ihre Atmung normalisierte sich schnell wieder. Anschließend setzte sie ihren Feldstecher an die Augen und nahm das kleine Holzhaus ins Visier, das etwa dreihundert Meter entfernt lag. Sie war am richtigen Ort. Die Hütte sah genau so aus wie auf dem Foto, das sie von ihrem Informanten bekommen hatte.
Soweit sie wusste, war es heutzutage nicht mehr erlaubt, am Fuß des Berges zu bauen, wo die kleine Hütte lag. Doch sie war bereits in den dreißiger Jahren errichtet worden. Irgendein Direktor mit guten Beziehungen zum Königshaus hatte einen Unterstand gebraucht, um sich bei seinen Jagden in diesem Gebiet aufzuwärmen. Im Grunde konnte man das Gebäude kaum als Haus, ja nicht einmal als Hütte bezeichnen. Wie groß mochte es sein? Achtzehn Quadratmeter? Zwanzig? Gezimmerte Wände, kleine Fenster und ein schmächtiger Schornstein, der aus der Dachpappe emporragte. Zwei Stufen führten zu einer Tür an der Schmalseite, zehn Meter daneben lag ein kleinerer zweigeteilter Verschlag; die eine Hälfte mit Tür, vermutlich ein Plumpsklo, die andere ohne, höchstwahrscheinlich ein Holzvorrat, denn es stand ein Hackklotz davor.
Hinter den grünen Mückennetzen am Fenster nahm sie eine Bewegung wahr. Er war zu Hause.
Sie legte das Fernglas beiseite, steckte die Hand erneut in den Rucksack, holte die Beretta hervor und montierte mit schnellen, routinierten Bewegungen den Schalldämpfer. Dann stand sie auf, schob die Waffe in die eigens dafür angefertigte Tasche in ihrer Jacke, hängte sich den Rucksack wieder um und ging weiter. Hin und wieder warf sie einen Blick zurück, konnte aber nirgendwo eine Regung ausmachen. Die Hütte lag ein gutes Stück von dem markierten Weg entfernt, und jetzt, Ende Oktober, wimmelte es in dieser Gegend nicht gerade von Wanderern. Seit sie das Auto verlassen hatte, war sie erst zweien begegnet.
Knapp fünfzig Meter vor dem Ziel zog sie die Pistole aus der Tasche. Sie wägte die Möglichkeiten ab. Anklopfen und schießen, sobald er öffnete, oder darauf vertrauen, dass das Haus unverschlossen war, hineinschleichen und ihn überraschen. Sie hatte sich gerade für die erste Variante entschieden, als die Tür des Hauses geöffnet wurde. Die Frau erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde, ging dann aber blitzschnell in die Hocke. Ein Mann in den Vierzigern trat auf die kleine Treppe. Es war ein offenes Gelände, das keinerlei Verstecke bot. Das Einzige, was sie tun konnte, war, so still wie möglich in der Hocke zu bleiben. Jede Bewegung konnte seine Aufmerksamkeit erregen. Ihr Griff um die Pistole wurde fester. Selbst wenn er sie sähe, bliebe ihr noch genügend Zeit, um aufzuspringen und auf ihn zu schießen, ehe er entkommen konnte. Knapp vierzig Meter. Sie würde definitiv treffen, ihn vermutlich auch töten, aber optimal wäre dieser Ablauf nicht. Im schlimmsten Fall konnte er sich verletzt in die Hütte schleppen und dort eine Waffe holen. Wenn er sie jetzt entdeckte, wäre alles viel riskanter.
Doch er bemerkte sie nicht. Er schloss die Tür, ging die zwei Stufen hinab, dann nach rechts und steuerte auf den Schuppen zu. Sie beobachtete, wie er die Axt nahm, die im Hackklotz steckte, und Holz zu hacken begann.
Langsam stand sie auf, zog sich ein wenig nach rechts zurück, damit sie vom Haus verdeckt war, falls der Mann eine Pause machen, den Rücken strecken und in die schöne Landschaft hinausschauen würde.
Die Axt. Konnte sie zum Problem werden? Vermutlich nicht. Wenn alles nach Plan lief, würde er sie gar nicht rechtzeitig als Bedrohung wahrnehmen und ihr daher auch nicht mit einer solchen Nahkampfwaffe gefährlich werden können.
Sie blieb direkt hinter dem Haus stehen, atmete durch, sammelte sich einige Sekunden lang und schlich dann um den Hausgiebel.
Der Mann wirkte mehr als überrascht, sie zu sehen. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, vermutlich wollte er fragen, wer sie war, vielleicht auch, was sie hier zu suchen hatte, mitten in der Gebirgslandschaft Jämtlands, und ob er ihr weiterhelfen könnte. Es spielte keine Rolle.
Sie verstand kein Schwedisch, und er würde nie eine Antwort bekommen.
Die schallgedämpfte Pistole hustete leise, und alle Bewegungen des Mannes froren unmittelbar ein, als hätte jemand in einem Film auf die Pause-Taste gedrückt. Dann glitt die Axt aus seiner Hand, die Knie sackten nach links, der Körper fiel nach rechts. Ein dumpfer Rums, als seine achtzig Kilo Gewicht auf dem Boden aufschlugen. Er war bereits tot, sein Herz von der Kugel punktiert, als er aufkam. Ganz so, als hätte ihn eine unsichtbare Hand brutal in die stabile Seitenlage geworfen.
Sie steckte die Beretta wieder in die Tasche und überlegte, ob sie sich um das Blut auf dem Boden kümmern oder diese Aufgabe der Natur überlassen sollte. Selbst wenn man den Toten vermisste - und das würde, wie sie bereits wusste, der Fall sein - und jemand zu der kleinen Hütte kommen und ihn suchen würde, würde man seine Leiche nie finden. Das Blut verriet, dass ihm etwas zugestoßen war, mehr aber auch nicht. Und niemand würde je einen Beweis entdecken, auch wenn er das Schlimmste befürchtete. Der Mann würde für immer verschwunden sein.
«Papa?»
Die Frau zog erneut ihre Waffe und drehte sich blitzschnell um. Ein einziger Gedanke schoss ihr durch den Kopf.
Kinder. Es sollte hier keine Kinder geben.
Er zitterte leicht an den Schultern, und sein Kopf wackelte ein wenig. Merkwürdig. Diese Bewegung konnte er nicht mit seinem Traum in Verbindung bringen. Träumte er denn überhaupt? Wenn, dann jedenfalls nicht das Übliche. Nicht von einer kleinen Hand in der seinen. Es gab kein brausendes Donnern, das sich unerbittlich näherte. Kein wirbelndes Chaos. Doch, er musste träumen, denn jemand sagte seinen Namen.
Sebastian.
Aber wenn er nun tatsächlich träumte, er war sich da ganz und gar nicht sicher, so war er auf jeden Fall allein in diesem Traum. Allein in der Finsternis.
Er schlug die Augen auf und sah direkt in ein anderes Augenpaar. Blau. Darüber schwarze Haare, kurzgeschnitten, zerzaust. Darunter eine gerade, kleine Nase und ein lachender Mund.
«Guten Morgen. Entschuldige bitte, aber ich wollte dich gern wecken, bevor ich gehe.»
Mühsam stemmte Sebastian sich auf die Ellbogen. Die Frau, die ihn geweckt hatte, schien mit seiner Anstrengung zufrieden, ging wieder zum Fußende des Bettes, blieb vor einem Ganzkörperspiegel stehen und zog ein Paar Ohrringe an, die sie zuvor aus einem kleinen Regal an der Wand genommen hatte.
Kurz darauf war Sebastians Schlaftrunkenheit wie weggeblasen, und die Erinnerungen an den gestrigen Tag tauchten wieder auf.
Gunilla, siebenundvierzig Jahre, Krankenschwester. Sie wa- ren sich einige Male im Karolinska-Krankenhaus begegnet, jener Uniklinik, in der Sebastian mit seiner schweren Verletzung behandelt worden war. Gestern hatte er seinen letzten Termin zur Nachsorge gehabt, und im Anschluss hatte sie ihn begleitet. Erst waren sie in der Stadt ausgegangen, dann zu ihr. Erstaunlich guter Sex.
«Du bist schon aufgestanden.»
Er begriff, dass seine Feststellung nicht gerade genial war. Dies war eine Situation, in der er sich unwohl fühlte: nackt im Bett zu liegen, während die Frau, mit der er die Nacht verbracht hatte, bereits angezogen und bereit für den Tag vor ihm stand. In der Regel war er derjenige, der zuerst aufstand. Meist und am liebsten, ohne seine jeweiligen Partnerinnen dabei zu wecken. So wollte er es. Je weniger er reden musste, ehe er ging, desto besser.
«Ich muss zur Arbeit», informierte sie ihn und warf ihm im Spiegel einen schnellen Blick zu.
«Was denn? Jetzt?»
«Ja. Jetzt. Eigentlich bin ich sogar etwas spät dran.»
Sebastian streckte sich nach rechts und angelte seine Armbanduhr vom Nachttisch. Kurz vor halb neun. Gunilla war mit dem Ohrschmuck fertig und schloss eine schmale Silberkette im Nacken. Sebastian sah sie ungläubig an. Diese Frau war siebenundvierzig Jahre alt und wohnte mitten in Stockholm. Wie konnte ein Mensch trotzdem so naiv und gutgläubig sein?
«Bist du nicht ganz bei Trost?», fragte er und setzte sich auf. «Du hast mich gestern erst kennengelernt. Ich könnte deine halbe Wohnung ausräumen.»
Gunilla sah ihn erneut im Spiegel an und lächelte verschmitzt. «Hast du denn vor, meine halbe Wohnung auszuräumen?» «Nein. Aber das würde ich wohl auch antworten, wenn es so wäre.»
Inzwischen hatte Gunilla all ihren Schmuck angelegt, und nach einem letzten, prüfenden Blick in den Spiegel kehrte sie zu seiner Betthälfte zurück. Sie setzte sich auf die Kante und legte eine Hand auf seinen Brustkorb.
«Erstens kenne ich dich nicht erst seit gestern. Gestern bin ich zum ersten Mal mit dir ausgegangen. Aber in der Arbeit habe ich all deine Kontaktdaten. Solltest du also den Fernseher mitnehmen, weiß ich, wo ich dich finden kann ... »
Für einen kurzen Moment schwirrte Sebastian der Gedanke an Ellinor durch den Kopf, doch er verdrängte ihn sofort wieder. Er würde gezwungenermaßen sowieso bald ziemlich viel Zeit und Energie für sie aufbringen müssen. Aber nicht jetzt. Gunilla lächelte ihn erneut an. Sie scherzte mit ihm. Sebastian erinnerte sich an das gestrige Rendezvous.
Ja, sie lachte viel.
War ein fröhlicher Mensch.
Es war ein netter Abend gewesen.
Jetzt beugte Gunilla sich kurz vor und küsste ihn so schnell auf den Mund, dass er sich nicht rechtzeitig wehren konnte. Dann stand sie auf. Auf dem Weg zur Schlafzimmertür sagte sie: «Außerdem wird Jocke dich schon im Auge behalten.»
«Jocke?» Sebastian wühlte in seinem Gedächtnis nach irgendeinem Jocke, den er mit ihr in Verbindung bringen konnte. Fehlanzeige.
«Joakim. Mein Sohn. Du kannst mit ihm zusammen frühstücken, wenn du willst.»
Sebastian starrte sie an. Er brachte kein Wort heraus. War das ihr Ernst? Ein Sohn? In dieser Wohnung? Wie alt mochte er sein? Und wie lange war er schon hier? Etwa die ganze Nacht? Sebastian erinnerte sich, dass sie nicht gerade diskret gewesen waren.
«Aber jetzt muss ich wirklich los. Danke für den schönen Abend.»
«Danke gleichfalls», stammelte Sebastian, ehe Gunilla das Schlafzimmer verließ und die Tür hinter sich zuzog. Er sank mit dem Kopf auf das Kissen zurück und hörte, wie sie sich von jemandem verabschiedete - vermutlich dem Sohn - , woraufhin eine weitere Tür ins Schloss fiel. Dann wurde es still in der Wohnung.
Sebastian räkelte sich, ohne dass es weh tat.
Eigentlich hatte er schon seit einigen Wochen keine Schmerzen mehr, doch er genoss das Gefühl, sich wieder ohne Qualen bewegen zu können, noch immer.
Vor etwas mehr als zwei Monaten war er von Edward Hinde, Psychopath und Serienmörder, mit dem Messer attackiert worden, an den Waden und am Bauch. Sebastian war sofort operiert worden, und zunächst hatten seine Heilungschancen sehr gut gestanden, doch dann gab es Komplikationen. Über eine Woche hatte er eine Drainage getragen, da seine Lunge punktiert gewesen war. Wenn man den Schlauch entfernt habe, sei es nur noch eine Frage der Zeit, ehe er wieder der Alte wäre, hatte man ihm gesagt. Doch er bekam eine Entzündung, bei der sich Flüssigkeit bildete, und sie stachen ein neues Loch in ihn hinein, saugten das Wasser in der Lunge ab und nähten ihn wieder zusammen. Er bekam allerlei Aufgaben und Verhaltensregeln mit nach Hause. Viel zu umfangreich, zu anstrengend und zu langweilig, um sie zu befolgen. Vielleicht erkrankte er deshalb anschließend an einer Lungenentzündung, vielleicht hätte er sie auch so bekommen. Aber nun war er endgültig geheilt. Seit gestern auch offiziell.
Doch auch wenn sein Körper wieder gesund war, ging ihm der Fall Hinde nicht aus dem Kopf.
Das lag zum einen daran, dass Hinde sich an ihm gerächt hatte, indem er mehrere Frauen ermorden ließ, mit denen Sebastian einmal eine sexuelle Beziehung gehabt hatte. Da er seit dem Jahr 1996, als Sebastian für Hindes Verhaftung gesorgt hatte, im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Lövhaga gesessen hatte, war er natürlich nicht in der Lage gewesen, die Morde selbst auszuführen, aber mit Hilfe eines dort angestellten Putzmannes war es ihm trotzdem gelungen, seinen Rachefeldzug teilweise in die Tat umzusetzen.
Vier Frauen hatten ihr Leben gelassen.
Frauen, die nur einen gemeinsamen Nenner hatten: Sebastian Bergman.
Das Gefühl, dass er am Tod der vier Frauen Schuld hatte, war irrational, aber ganz abschütteln konnte er es trotzdem nicht.
Nachdem die Reichsmordkommission den Putzmann gefasst hatte, war Hinde aus dem Gefängnis geflohen und hatte Vanja Lithner gekidnappt, und auch das keineswegs zufällig. Aber nicht deswegen, weil sie mit Sebastian gemeinsam in der Reichsmordkommission arbeitete. Nein, Hinde hatte irgendwie herausgefunden, dass sie Sebastians Tochter war.
Nun war Edward Hinde tot, doch mitunter plagte Sebastian die Frage, ob - wenn schon Hinde es herausgefunden hatte - nicht auch andere Menschen diesen Schluss ziehen konnten. Das wollte er auf keinen Fall. Vanja und er hatten inzwischen ein gutes Verhältnis zueinander. Ein besseres denn je.
Er hatte Vanja das Leben gerettet, dort draußen in dem einsamen Haus, wohin Hinde sie verschleppt hatte. Das war natürlich ein wichtiger Grund. Doch Sebastian war es egal, ob sie es nur aus Dankbarkeit mit ihm aushielt. Hauptsache, sie tat es. Und sogar mehr als das. Seit dem dramatischen Ereignis hatte sie seine Nähe sogar ganze zwei Mal freiwillig gesucht. Erst war sie zu ihm ins Krankenhaus gekommen, und als er schließlich wieder entlassen worden war, vor seiner Lungenentzündung, hatte sie sogar vorgeschlagen, sich auf einen Kaffee zu treffen.
Sebastian erinnerte sich noch gut daran, was für ein Gefühl das gewesen war, ihre Frage zu hören.
Seine Tochter rief ihn an und wollte ihn sehen.
Er wusste kaum mehr, worüber sie sich bei dem Treffen unterhalten hatten. Eigentlich wollte er sich an jedes Detail, an jede Nuance erinnern, aber der Augenblick war zu überwältigend gewesen. Die Situation zu groß. Eineinhalb Stunden hatten sie im Café gesessen, nur sie und er. Auf ihre Initiative hin. Keine harten Worte. Kein Kampf. Seit dem zweiten Weihnachtstag 2004 hatte er sich nicht mehr so lebendig, so gegenwärtig gefühlt. Immer wieder kehrte er in Gedanken zu den neunzig Minuten zurück, die sie miteinander verbracht hatten.
Und es konnte mehr Zeit werden. Musste mehr werden. Denn er durfte wieder arbeiten und wollte es auch. Manchmal ertappte er sich sogar dabei, sich nach dem Job zu sehnen. Eingebunden zu sein, das war auch wichtig. Aber am wichtigsten war es ihm, in Vanjas Nähe zu sein. Er hatte sich damit ausgesöhnt, dass er nie ihr Vater werden konnte. Jeder Versuch, Valdemar Lithner diese Rolle abzuluchsen, würde alles zerstören. Obwohl er bisher ohnehin nicht viel hatte aufbauen können, was sich zerstören ließ. Ein Krankenbesuch und neunzig Minuten Kaffeetrinken, immerhin.
Akzeptanz.
Eine gewisse Fürsorge.
Vielleicht sogar eine beginnende Freundschaft.
Sebastian schlug die Decke beiseite und verließ das Bett. Er fand seine Boxershorts auf dem Boden und die übrigen Kleidungsstücke auf der Stuhllehne, über die er sie neun Stunden zuvor geworfen hatte. Nach einem abschließenden Blick in den Spiegel fuhr er sich durch das Haar, öffnete die Schlafzimmertür und schlich ins Wohnzimmer hinaus. Einen Moment blieb er in der Tür stehen und lauschte. Aus der Küche am anderen Ende der Wohnung drangen Geräusche. Musik. Ein Löffel, der gegen Porzellan klirrte. Offenbar frühstückte Jocke bereits ohne ihn. Sebastian ging die letzten Schritte zur Toilette, schlüpfte hinein und schloss hinter sich ab. Er hatte das starke Bedürfnis nach einer Dusche, aber der Gedanke, sich ein weiteres Mal Wand an Wand mit Gunillas Sohn auszuziehen, sorgte dafür, dass dies ein unerfülltes Bedürfnis blieb. Er betätigte die Spülung, wusch sich Hände und Gesicht und ging wieder hinaus.
Auf dem Weg zur Haustür begriff er mit Schrecken, dass er gezwungen war, an der Küche vorbeizugehen. Genau dabei wollte er es auch belassen. Beim Vorbeigehen. Der Sohn, der dort saß, sollte höchstens einen Rücken zu Gesicht bekommen, wenn er von seinem Teller aufblickte. Sebastian eilte an der Küche vorüber, fand im Flur seine Schuhe, zog sie an und suchte die Garderobenhaken an der Wand nach seiner Jacke ab. Sie war nirgends zu sehen.
«Deine Jacke ist hier», sagte eine tiefe Stimme aus der Küche. Sebastian kniff die Augen zusammen und fluchte still vor sich hin. Genau so war es. Er hatte an der Haustür die Schuhe ausgezogen, nicht aber die Jacke. Hatte den Eindruck vermitteln wollen, ein wenig auf dem Sprung zu sein, ganz so, als hätte er vielleicht nicht genügend Zeit, um zu bleiben, obwohl sie beide wussten, dass es genau darauf hinauslief. Erst in der Küche dann hatte er die Jacke abgestreift, während sie eine Flasche Wein für sich öffnete.
Sebastian seufzte schwer und stapfte in die Küche. Am Tisch saß ein junger Mann, schätzungsweise zwanzig, mit einem Teller Joghurt und einem eReader vor sich. Er deutete mit dem Kopf auf den Stuhl an der anderen Seite des Tischs, ohne von seiner Lektüre aufzusehen.
«Da drüben.»
Sebastian ging hin und nahm die Jacke von der Lehne.
«Danke.»
«Keine Ursache. Willst du was essen?»
«Nein danke.»
«Und, alles gekriegt, wofür du gekommen bist?»
Der junge Mann konzentrierte sich noch immer auf das Gerät vor ihm auf dem Tisch. Sebastian blickte zu ihm hinüber. Wahrscheinlich wäre es am einfachsten gewesen, den Kommentar zu überhören und einfach zu gehen, aber warum sollte er es sich leichtmachen?
«Hast du einen Kaffee für mich?», fragte Sebastian, während er sich in die Jacke zwängte. Wenn Gunillas Sohn ihn nicht hierhaben wollte, blieb er gern noch ein Weilchen. Ihn kostete es jedenfalls nichts. Verwundert sah der Jüngling von seiner Lektüre auf.
«Neben der Spüle», sagte er mit einer erneuten Kopfbewegung in Sebastians Richtung, die ihn vermuten ließ, dass der Kaffee hinter ihm stand. Er drehte sich um, sah aber weder eine Kaffee- noch eine Thermoskanne oder was auch immer er erwartet hatte. Dann erblickte er ein schwarzes, halbkreisförmiges Ungetüm, das eher an einen futuristischen Motorradhelm erinnerte. Aber es ragte ein kleiner Metallhahn daraus hervor, unter dem ein Auffanggitter angebracht war, und an der Seite gab es Knöpfe. Oben noch mehr Metall. Daneben standen drei kleine Glastassen, die Sebastian endgültig davon überzeugten, dass die Maschine wohl irgendeine Form von Getränk ausspuckte.
«Weißt du, wie sie funktioniert?», fragte der Sohn, als Sebastian keine Anstalten machte, sich dem Gerät zu nähern.
«Nein.»
Jocke schob den Stuhl zurück und ging an Sebastian vorbei zur Arbeitsfläche.
«Was möchtest du denn haben?»
«Irgendwas Starkes. War spät gestern.»
Jocke warf ihm nur einen müden Blick zu, nahm eine Kapselaus einem Gestell neben der Maschine, das Sebastian noch gar nicht bemerkt hatte, legte sie in die Maschine, stellte eine der Glastassen auf das Gitter und drückte einen Knopf.
«Aha. Und wer bist du, wenn ich fragen darf?», brummte er mit einem desinteressierten Blick in Sebastians Richtung.
«Dein neuer Papa.»
«Cool. Humor. Sie sollte dich behalten ... »
Dann drehte er sich um und setzte sich wieder an den Tisch. Sebastian dämmerte, dass Joakim schon zu viele Vormittage mit zu vielen unbekannten Männern in seiner Küche erlebt hatte. Schweigend nahm er das Tässchen vom Gitter. Der Kaffee war wirklich stark. Und heiß. Er verbrannte sich die Zunge, leerte die Tasse aber dennoch unter Schweigen.
Zwei Minuten später war er draußen im grauen Septembermorgen.
Übersetzung: Ursel Allenstein
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Diesmal hieß sie Patricia.
Patricia Wellton.
Neue Orte, neue Namen.
Am Anfang war das am schwersten gewesen - zu reagieren, wenn sie von Hotelportiers und Taxifahrern angesprochen wurde. Aber das war lange her. Mittlerweile nahm sie den Namen auf ihren neuen Papieren an, sobald sie sie in der Hand hielt. Auf dieser Reise war sie bisher nur einmal namentlich angesprochen worden, von dem Autovermieter in Östersund, der ihr mitteilte, dass der von ihr bestellte Mietwagen nun frisch gereinigt und fahrbereit sei.
Sie war pünktlich gelandet, um kurz nach fünf am Mittwochabend, und hatte den Arlanda Express in die Stockholmer Innenstadt genommen. Es war ihr erster Besuch in der schwedischen Hauptstadt, aber sie beschränkte ihr Sightseeing auf ein nahegelegenes Restaurant, in dem sie ein frühes und ziemlich geschmacksarmes Abendessen einnahm.
Um kurz vor neun stieg sie dann in den Nachtzug, der sie nach Östersund bringen sollte. Sie hatte sich ein eigenes Abteil im Schlafwagen gebucht. Nicht weil sie glaubte, dass man ihr auf die Spur käme, auch wenn ihre Täterbeschreibung womöglich der Polizei und anderen Behörden mehrfach vorlag, sondern weil sie nicht gern mit fremden Menschen in einem Raum schlief. Es nie gern getan hatte.
Nicht in jungen Jahren mit ihrer Volleyballmannschaft, wenn sie zu Turnieren fuhren. Nicht während der Ausbildung, weder auf der Basis noch im Feld.
Und auch nicht bei ihren Aufträgen.
Nachdem der Zug den Bahnhof verlassen hatte, war sie ins Bistro gegangen, hatte sich eine kleine Flasche Wein und ein Tütchen Erdnüsse gekauft und sich in ihr Abteil zurückgezogen, um zu lesen. I know what you're really thinking, ein neues Buch mit dem etwas skurrilen Untertitel: Reading Body Language like a Trial Lawyer. Die Frau, die derzeit Patricia Wellton hieß, wusste nicht, warum ausgerechnet Strafverteidiger eine besondere Begabung für die Deutung von Körpersprache haben sollten. Sie war jedenfalls noch nie auf einen von ihnen gestoßen, der sich auf diesem Gebiet hervorgetan hätte. Doch das Buch war, wenn schon nicht unbedingt lehrreich, so doch zumindest spannend und unterhaltsam. Um kurz nach eins schlüpfte sie zwischen die sauberen, weißen Laken und löschte das Licht.
Fünf Stunden später stieg sie in Östersund aus und fragte sich zu einem Hotel durch, wo sie ein ausgiebiges Frühstück einnahm, ehe sie sich zu der Avis-Filiale begab, bei der sie einen Wagen reserviert hatte. Aber das Auto stand noch nicht bereit, also musste sie warten und bekam eine Tasse Maschinenkaffee angeboten.
Es war ein neuer anthrazitfarbener Toyota Avensis, mit dem sie nach knapp hundert Kilometern die Stadt Åre erreichte. Die ganze Fahrt über hatte sie sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen gehalten, denn es war nicht nötig, sich einen Strafzettel einzuhandeln, obwohl es im Prinzip auch nichts ausmachen würde. Soweit sie in Erfahrung gebracht hatte, durchsuchte die schwedische Polizei bei kleineren Verkehrsdelikten nicht gleich das Auto und das Gepäck. Und ihr Auftrag konnte höchstens dadurch gefährdet werden, dass man ihre Pistole entdeckte. Sie hatte keine Papiere, die sie dazu berechtigten, in Schweden eine Waffe zu tragen. Wenn Polizeibeamte ihre Beretta M9 fänden, würden sie jedoch nachforschen und entdecken, dass Patricia Wellton an keinem anderen Ort als im Hier und Jetzt existierte. Daher drückte sie nicht allzu sehr aufs Gas, sondern fuhr gemächlich an den grasgrünen Skipisten vorbei und hinein in die kleine Stadt, die über dem See lag.
Sie machte einen kurzen Spaziergang, wählte auf gut Glück ein Café und bestellte sich ein Panino und eine Cola light. Während sie aß, studierte sie die Landkarte. Vor ihr lagen noch knapp fünfzig Kilometer auf der E 14, ehe sie abfahren und den Wagen parken würde, anschließend war es noch eine Laufstrecke von etwa zwanzig Kilometern. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Wenn sie drei Stunden rechnete, bis sie vor Ort war, und eine weitere, um die Spuren zu beseitigen, zwei, um sich wieder zum Auto zu begeben und Bericht zu erstatten ... dann wäre sie am Abend pünktlich in Trondheim, um von dort den Flug nach Oslo zu erreichen und am Freitag den Anschluss nach Hause.
Nach einem weiteren Spaziergang durch Åre setzte sie ihre Fahrt nach Westen fort. Obwohl sie bei ihrer Arbeit schon viel herumgekommen war, hatte sie eine solche Landschaft noch nie erlebt. Die sanften Berge, die deutliche Baumgrenze, das Sonnenglitzern auf dem Wasser im Tal. Hier könnte sie sich wohl fühlen. In dieser Einöde. Der Stille. Der klaren Luft. Hier würde sie gern einmal eine einsame Hütte mieten und lange Wanderungen unternehmen. Angeln. Im Sommer das Licht genießen und im Winter am offenen Kaminfeuer sitzen und lesen.
Vielleicht irgendwann einmal.
Vermutlich nie.
Als ein Schild anzeigte, dass es links nach Rundhögen ging, verließ sie die E14 und kurz darauf auch ihren Mietwagen, griff nach ihrem Rucksack, holte die Gebirgskarte über das Gebiet heraus und lief los.
Hundertzweiundzwanzig Minuten später hielt sie an. Etwas außer Atem, aber keineswegs müde. Sie war nicht so schnell gelaufen, wie sie konnte, auf langen Strecken teilte sie sich ihre Kräfte lieber ein. An einer Bergflanke ließ sie sich nieder und trank etwas Wasser, ihre Atmung normalisierte sich schnell wieder. Anschließend setzte sie ihren Feldstecher an die Augen und nahm das kleine Holzhaus ins Visier, das etwa dreihundert Meter entfernt lag. Sie war am richtigen Ort. Die Hütte sah genau so aus wie auf dem Foto, das sie von ihrem Informanten bekommen hatte.
Soweit sie wusste, war es heutzutage nicht mehr erlaubt, am Fuß des Berges zu bauen, wo die kleine Hütte lag. Doch sie war bereits in den dreißiger Jahren errichtet worden. Irgendein Direktor mit guten Beziehungen zum Königshaus hatte einen Unterstand gebraucht, um sich bei seinen Jagden in diesem Gebiet aufzuwärmen. Im Grunde konnte man das Gebäude kaum als Haus, ja nicht einmal als Hütte bezeichnen. Wie groß mochte es sein? Achtzehn Quadratmeter? Zwanzig? Gezimmerte Wände, kleine Fenster und ein schmächtiger Schornstein, der aus der Dachpappe emporragte. Zwei Stufen führten zu einer Tür an der Schmalseite, zehn Meter daneben lag ein kleinerer zweigeteilter Verschlag; die eine Hälfte mit Tür, vermutlich ein Plumpsklo, die andere ohne, höchstwahrscheinlich ein Holzvorrat, denn es stand ein Hackklotz davor.
Hinter den grünen Mückennetzen am Fenster nahm sie eine Bewegung wahr. Er war zu Hause.
Sie legte das Fernglas beiseite, steckte die Hand erneut in den Rucksack, holte die Beretta hervor und montierte mit schnellen, routinierten Bewegungen den Schalldämpfer. Dann stand sie auf, schob die Waffe in die eigens dafür angefertigte Tasche in ihrer Jacke, hängte sich den Rucksack wieder um und ging weiter. Hin und wieder warf sie einen Blick zurück, konnte aber nirgendwo eine Regung ausmachen. Die Hütte lag ein gutes Stück von dem markierten Weg entfernt, und jetzt, Ende Oktober, wimmelte es in dieser Gegend nicht gerade von Wanderern. Seit sie das Auto verlassen hatte, war sie erst zweien begegnet.
Knapp fünfzig Meter vor dem Ziel zog sie die Pistole aus der Tasche. Sie wägte die Möglichkeiten ab. Anklopfen und schießen, sobald er öffnete, oder darauf vertrauen, dass das Haus unverschlossen war, hineinschleichen und ihn überraschen. Sie hatte sich gerade für die erste Variante entschieden, als die Tür des Hauses geöffnet wurde. Die Frau erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde, ging dann aber blitzschnell in die Hocke. Ein Mann in den Vierzigern trat auf die kleine Treppe. Es war ein offenes Gelände, das keinerlei Verstecke bot. Das Einzige, was sie tun konnte, war, so still wie möglich in der Hocke zu bleiben. Jede Bewegung konnte seine Aufmerksamkeit erregen. Ihr Griff um die Pistole wurde fester. Selbst wenn er sie sähe, bliebe ihr noch genügend Zeit, um aufzuspringen und auf ihn zu schießen, ehe er entkommen konnte. Knapp vierzig Meter. Sie würde definitiv treffen, ihn vermutlich auch töten, aber optimal wäre dieser Ablauf nicht. Im schlimmsten Fall konnte er sich verletzt in die Hütte schleppen und dort eine Waffe holen. Wenn er sie jetzt entdeckte, wäre alles viel riskanter.
Doch er bemerkte sie nicht. Er schloss die Tür, ging die zwei Stufen hinab, dann nach rechts und steuerte auf den Schuppen zu. Sie beobachtete, wie er die Axt nahm, die im Hackklotz steckte, und Holz zu hacken begann.
Langsam stand sie auf, zog sich ein wenig nach rechts zurück, damit sie vom Haus verdeckt war, falls der Mann eine Pause machen, den Rücken strecken und in die schöne Landschaft hinausschauen würde.
Die Axt. Konnte sie zum Problem werden? Vermutlich nicht. Wenn alles nach Plan lief, würde er sie gar nicht rechtzeitig als Bedrohung wahrnehmen und ihr daher auch nicht mit einer solchen Nahkampfwaffe gefährlich werden können.
Sie blieb direkt hinter dem Haus stehen, atmete durch, sammelte sich einige Sekunden lang und schlich dann um den Hausgiebel.
Der Mann wirkte mehr als überrascht, sie zu sehen. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, vermutlich wollte er fragen, wer sie war, vielleicht auch, was sie hier zu suchen hatte, mitten in der Gebirgslandschaft Jämtlands, und ob er ihr weiterhelfen könnte. Es spielte keine Rolle.
Sie verstand kein Schwedisch, und er würde nie eine Antwort bekommen.
Die schallgedämpfte Pistole hustete leise, und alle Bewegungen des Mannes froren unmittelbar ein, als hätte jemand in einem Film auf die Pause-Taste gedrückt. Dann glitt die Axt aus seiner Hand, die Knie sackten nach links, der Körper fiel nach rechts. Ein dumpfer Rums, als seine achtzig Kilo Gewicht auf dem Boden aufschlugen. Er war bereits tot, sein Herz von der Kugel punktiert, als er aufkam. Ganz so, als hätte ihn eine unsichtbare Hand brutal in die stabile Seitenlage geworfen.
Sie steckte die Beretta wieder in die Tasche und überlegte, ob sie sich um das Blut auf dem Boden kümmern oder diese Aufgabe der Natur überlassen sollte. Selbst wenn man den Toten vermisste - und das würde, wie sie bereits wusste, der Fall sein - und jemand zu der kleinen Hütte kommen und ihn suchen würde, würde man seine Leiche nie finden. Das Blut verriet, dass ihm etwas zugestoßen war, mehr aber auch nicht. Und niemand würde je einen Beweis entdecken, auch wenn er das Schlimmste befürchtete. Der Mann würde für immer verschwunden sein.
«Papa?»
Die Frau zog erneut ihre Waffe und drehte sich blitzschnell um. Ein einziger Gedanke schoss ihr durch den Kopf.
Kinder. Es sollte hier keine Kinder geben.
Er zitterte leicht an den Schultern, und sein Kopf wackelte ein wenig. Merkwürdig. Diese Bewegung konnte er nicht mit seinem Traum in Verbindung bringen. Träumte er denn überhaupt? Wenn, dann jedenfalls nicht das Übliche. Nicht von einer kleinen Hand in der seinen. Es gab kein brausendes Donnern, das sich unerbittlich näherte. Kein wirbelndes Chaos. Doch, er musste träumen, denn jemand sagte seinen Namen.
Sebastian.
Aber wenn er nun tatsächlich träumte, er war sich da ganz und gar nicht sicher, so war er auf jeden Fall allein in diesem Traum. Allein in der Finsternis.
Er schlug die Augen auf und sah direkt in ein anderes Augenpaar. Blau. Darüber schwarze Haare, kurzgeschnitten, zerzaust. Darunter eine gerade, kleine Nase und ein lachender Mund.
«Guten Morgen. Entschuldige bitte, aber ich wollte dich gern wecken, bevor ich gehe.»
Mühsam stemmte Sebastian sich auf die Ellbogen. Die Frau, die ihn geweckt hatte, schien mit seiner Anstrengung zufrieden, ging wieder zum Fußende des Bettes, blieb vor einem Ganzkörperspiegel stehen und zog ein Paar Ohrringe an, die sie zuvor aus einem kleinen Regal an der Wand genommen hatte.
Kurz darauf war Sebastians Schlaftrunkenheit wie weggeblasen, und die Erinnerungen an den gestrigen Tag tauchten wieder auf.
Gunilla, siebenundvierzig Jahre, Krankenschwester. Sie wa- ren sich einige Male im Karolinska-Krankenhaus begegnet, jener Uniklinik, in der Sebastian mit seiner schweren Verletzung behandelt worden war. Gestern hatte er seinen letzten Termin zur Nachsorge gehabt, und im Anschluss hatte sie ihn begleitet. Erst waren sie in der Stadt ausgegangen, dann zu ihr. Erstaunlich guter Sex.
«Du bist schon aufgestanden.»
Er begriff, dass seine Feststellung nicht gerade genial war. Dies war eine Situation, in der er sich unwohl fühlte: nackt im Bett zu liegen, während die Frau, mit der er die Nacht verbracht hatte, bereits angezogen und bereit für den Tag vor ihm stand. In der Regel war er derjenige, der zuerst aufstand. Meist und am liebsten, ohne seine jeweiligen Partnerinnen dabei zu wecken. So wollte er es. Je weniger er reden musste, ehe er ging, desto besser.
«Ich muss zur Arbeit», informierte sie ihn und warf ihm im Spiegel einen schnellen Blick zu.
«Was denn? Jetzt?»
«Ja. Jetzt. Eigentlich bin ich sogar etwas spät dran.»
Sebastian streckte sich nach rechts und angelte seine Armbanduhr vom Nachttisch. Kurz vor halb neun. Gunilla war mit dem Ohrschmuck fertig und schloss eine schmale Silberkette im Nacken. Sebastian sah sie ungläubig an. Diese Frau war siebenundvierzig Jahre alt und wohnte mitten in Stockholm. Wie konnte ein Mensch trotzdem so naiv und gutgläubig sein?
«Bist du nicht ganz bei Trost?», fragte er und setzte sich auf. «Du hast mich gestern erst kennengelernt. Ich könnte deine halbe Wohnung ausräumen.»
Gunilla sah ihn erneut im Spiegel an und lächelte verschmitzt. «Hast du denn vor, meine halbe Wohnung auszuräumen?» «Nein. Aber das würde ich wohl auch antworten, wenn es so wäre.»
Inzwischen hatte Gunilla all ihren Schmuck angelegt, und nach einem letzten, prüfenden Blick in den Spiegel kehrte sie zu seiner Betthälfte zurück. Sie setzte sich auf die Kante und legte eine Hand auf seinen Brustkorb.
«Erstens kenne ich dich nicht erst seit gestern. Gestern bin ich zum ersten Mal mit dir ausgegangen. Aber in der Arbeit habe ich all deine Kontaktdaten. Solltest du also den Fernseher mitnehmen, weiß ich, wo ich dich finden kann ... »
Für einen kurzen Moment schwirrte Sebastian der Gedanke an Ellinor durch den Kopf, doch er verdrängte ihn sofort wieder. Er würde gezwungenermaßen sowieso bald ziemlich viel Zeit und Energie für sie aufbringen müssen. Aber nicht jetzt. Gunilla lächelte ihn erneut an. Sie scherzte mit ihm. Sebastian erinnerte sich an das gestrige Rendezvous.
Ja, sie lachte viel.
War ein fröhlicher Mensch.
Es war ein netter Abend gewesen.
Jetzt beugte Gunilla sich kurz vor und küsste ihn so schnell auf den Mund, dass er sich nicht rechtzeitig wehren konnte. Dann stand sie auf. Auf dem Weg zur Schlafzimmertür sagte sie: «Außerdem wird Jocke dich schon im Auge behalten.»
«Jocke?» Sebastian wühlte in seinem Gedächtnis nach irgendeinem Jocke, den er mit ihr in Verbindung bringen konnte. Fehlanzeige.
«Joakim. Mein Sohn. Du kannst mit ihm zusammen frühstücken, wenn du willst.»
Sebastian starrte sie an. Er brachte kein Wort heraus. War das ihr Ernst? Ein Sohn? In dieser Wohnung? Wie alt mochte er sein? Und wie lange war er schon hier? Etwa die ganze Nacht? Sebastian erinnerte sich, dass sie nicht gerade diskret gewesen waren.
«Aber jetzt muss ich wirklich los. Danke für den schönen Abend.»
«Danke gleichfalls», stammelte Sebastian, ehe Gunilla das Schlafzimmer verließ und die Tür hinter sich zuzog. Er sank mit dem Kopf auf das Kissen zurück und hörte, wie sie sich von jemandem verabschiedete - vermutlich dem Sohn - , woraufhin eine weitere Tür ins Schloss fiel. Dann wurde es still in der Wohnung.
Sebastian räkelte sich, ohne dass es weh tat.
Eigentlich hatte er schon seit einigen Wochen keine Schmerzen mehr, doch er genoss das Gefühl, sich wieder ohne Qualen bewegen zu können, noch immer.
Vor etwas mehr als zwei Monaten war er von Edward Hinde, Psychopath und Serienmörder, mit dem Messer attackiert worden, an den Waden und am Bauch. Sebastian war sofort operiert worden, und zunächst hatten seine Heilungschancen sehr gut gestanden, doch dann gab es Komplikationen. Über eine Woche hatte er eine Drainage getragen, da seine Lunge punktiert gewesen war. Wenn man den Schlauch entfernt habe, sei es nur noch eine Frage der Zeit, ehe er wieder der Alte wäre, hatte man ihm gesagt. Doch er bekam eine Entzündung, bei der sich Flüssigkeit bildete, und sie stachen ein neues Loch in ihn hinein, saugten das Wasser in der Lunge ab und nähten ihn wieder zusammen. Er bekam allerlei Aufgaben und Verhaltensregeln mit nach Hause. Viel zu umfangreich, zu anstrengend und zu langweilig, um sie zu befolgen. Vielleicht erkrankte er deshalb anschließend an einer Lungenentzündung, vielleicht hätte er sie auch so bekommen. Aber nun war er endgültig geheilt. Seit gestern auch offiziell.
Doch auch wenn sein Körper wieder gesund war, ging ihm der Fall Hinde nicht aus dem Kopf.
Das lag zum einen daran, dass Hinde sich an ihm gerächt hatte, indem er mehrere Frauen ermorden ließ, mit denen Sebastian einmal eine sexuelle Beziehung gehabt hatte. Da er seit dem Jahr 1996, als Sebastian für Hindes Verhaftung gesorgt hatte, im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Lövhaga gesessen hatte, war er natürlich nicht in der Lage gewesen, die Morde selbst auszuführen, aber mit Hilfe eines dort angestellten Putzmannes war es ihm trotzdem gelungen, seinen Rachefeldzug teilweise in die Tat umzusetzen.
Vier Frauen hatten ihr Leben gelassen.
Frauen, die nur einen gemeinsamen Nenner hatten: Sebastian Bergman.
Das Gefühl, dass er am Tod der vier Frauen Schuld hatte, war irrational, aber ganz abschütteln konnte er es trotzdem nicht.
Nachdem die Reichsmordkommission den Putzmann gefasst hatte, war Hinde aus dem Gefängnis geflohen und hatte Vanja Lithner gekidnappt, und auch das keineswegs zufällig. Aber nicht deswegen, weil sie mit Sebastian gemeinsam in der Reichsmordkommission arbeitete. Nein, Hinde hatte irgendwie herausgefunden, dass sie Sebastians Tochter war.
Nun war Edward Hinde tot, doch mitunter plagte Sebastian die Frage, ob - wenn schon Hinde es herausgefunden hatte - nicht auch andere Menschen diesen Schluss ziehen konnten. Das wollte er auf keinen Fall. Vanja und er hatten inzwischen ein gutes Verhältnis zueinander. Ein besseres denn je.
Er hatte Vanja das Leben gerettet, dort draußen in dem einsamen Haus, wohin Hinde sie verschleppt hatte. Das war natürlich ein wichtiger Grund. Doch Sebastian war es egal, ob sie es nur aus Dankbarkeit mit ihm aushielt. Hauptsache, sie tat es. Und sogar mehr als das. Seit dem dramatischen Ereignis hatte sie seine Nähe sogar ganze zwei Mal freiwillig gesucht. Erst war sie zu ihm ins Krankenhaus gekommen, und als er schließlich wieder entlassen worden war, vor seiner Lungenentzündung, hatte sie sogar vorgeschlagen, sich auf einen Kaffee zu treffen.
Sebastian erinnerte sich noch gut daran, was für ein Gefühl das gewesen war, ihre Frage zu hören.
Seine Tochter rief ihn an und wollte ihn sehen.
Er wusste kaum mehr, worüber sie sich bei dem Treffen unterhalten hatten. Eigentlich wollte er sich an jedes Detail, an jede Nuance erinnern, aber der Augenblick war zu überwältigend gewesen. Die Situation zu groß. Eineinhalb Stunden hatten sie im Café gesessen, nur sie und er. Auf ihre Initiative hin. Keine harten Worte. Kein Kampf. Seit dem zweiten Weihnachtstag 2004 hatte er sich nicht mehr so lebendig, so gegenwärtig gefühlt. Immer wieder kehrte er in Gedanken zu den neunzig Minuten zurück, die sie miteinander verbracht hatten.
Und es konnte mehr Zeit werden. Musste mehr werden. Denn er durfte wieder arbeiten und wollte es auch. Manchmal ertappte er sich sogar dabei, sich nach dem Job zu sehnen. Eingebunden zu sein, das war auch wichtig. Aber am wichtigsten war es ihm, in Vanjas Nähe zu sein. Er hatte sich damit ausgesöhnt, dass er nie ihr Vater werden konnte. Jeder Versuch, Valdemar Lithner diese Rolle abzuluchsen, würde alles zerstören. Obwohl er bisher ohnehin nicht viel hatte aufbauen können, was sich zerstören ließ. Ein Krankenbesuch und neunzig Minuten Kaffeetrinken, immerhin.
Akzeptanz.
Eine gewisse Fürsorge.
Vielleicht sogar eine beginnende Freundschaft.
Sebastian schlug die Decke beiseite und verließ das Bett. Er fand seine Boxershorts auf dem Boden und die übrigen Kleidungsstücke auf der Stuhllehne, über die er sie neun Stunden zuvor geworfen hatte. Nach einem abschließenden Blick in den Spiegel fuhr er sich durch das Haar, öffnete die Schlafzimmertür und schlich ins Wohnzimmer hinaus. Einen Moment blieb er in der Tür stehen und lauschte. Aus der Küche am anderen Ende der Wohnung drangen Geräusche. Musik. Ein Löffel, der gegen Porzellan klirrte. Offenbar frühstückte Jocke bereits ohne ihn. Sebastian ging die letzten Schritte zur Toilette, schlüpfte hinein und schloss hinter sich ab. Er hatte das starke Bedürfnis nach einer Dusche, aber der Gedanke, sich ein weiteres Mal Wand an Wand mit Gunillas Sohn auszuziehen, sorgte dafür, dass dies ein unerfülltes Bedürfnis blieb. Er betätigte die Spülung, wusch sich Hände und Gesicht und ging wieder hinaus.
Auf dem Weg zur Haustür begriff er mit Schrecken, dass er gezwungen war, an der Küche vorbeizugehen. Genau dabei wollte er es auch belassen. Beim Vorbeigehen. Der Sohn, der dort saß, sollte höchstens einen Rücken zu Gesicht bekommen, wenn er von seinem Teller aufblickte. Sebastian eilte an der Küche vorüber, fand im Flur seine Schuhe, zog sie an und suchte die Garderobenhaken an der Wand nach seiner Jacke ab. Sie war nirgends zu sehen.
«Deine Jacke ist hier», sagte eine tiefe Stimme aus der Küche. Sebastian kniff die Augen zusammen und fluchte still vor sich hin. Genau so war es. Er hatte an der Haustür die Schuhe ausgezogen, nicht aber die Jacke. Hatte den Eindruck vermitteln wollen, ein wenig auf dem Sprung zu sein, ganz so, als hätte er vielleicht nicht genügend Zeit, um zu bleiben, obwohl sie beide wussten, dass es genau darauf hinauslief. Erst in der Küche dann hatte er die Jacke abgestreift, während sie eine Flasche Wein für sich öffnete.
Sebastian seufzte schwer und stapfte in die Küche. Am Tisch saß ein junger Mann, schätzungsweise zwanzig, mit einem Teller Joghurt und einem eReader vor sich. Er deutete mit dem Kopf auf den Stuhl an der anderen Seite des Tischs, ohne von seiner Lektüre aufzusehen.
«Da drüben.»
Sebastian ging hin und nahm die Jacke von der Lehne.
«Danke.»
«Keine Ursache. Willst du was essen?»
«Nein danke.»
«Und, alles gekriegt, wofür du gekommen bist?»
Der junge Mann konzentrierte sich noch immer auf das Gerät vor ihm auf dem Tisch. Sebastian blickte zu ihm hinüber. Wahrscheinlich wäre es am einfachsten gewesen, den Kommentar zu überhören und einfach zu gehen, aber warum sollte er es sich leichtmachen?
«Hast du einen Kaffee für mich?», fragte Sebastian, während er sich in die Jacke zwängte. Wenn Gunillas Sohn ihn nicht hierhaben wollte, blieb er gern noch ein Weilchen. Ihn kostete es jedenfalls nichts. Verwundert sah der Jüngling von seiner Lektüre auf.
«Neben der Spüle», sagte er mit einer erneuten Kopfbewegung in Sebastians Richtung, die ihn vermuten ließ, dass der Kaffee hinter ihm stand. Er drehte sich um, sah aber weder eine Kaffee- noch eine Thermoskanne oder was auch immer er erwartet hatte. Dann erblickte er ein schwarzes, halbkreisförmiges Ungetüm, das eher an einen futuristischen Motorradhelm erinnerte. Aber es ragte ein kleiner Metallhahn daraus hervor, unter dem ein Auffanggitter angebracht war, und an der Seite gab es Knöpfe. Oben noch mehr Metall. Daneben standen drei kleine Glastassen, die Sebastian endgültig davon überzeugten, dass die Maschine wohl irgendeine Form von Getränk ausspuckte.
«Weißt du, wie sie funktioniert?», fragte der Sohn, als Sebastian keine Anstalten machte, sich dem Gerät zu nähern.
«Nein.»
Jocke schob den Stuhl zurück und ging an Sebastian vorbei zur Arbeitsfläche.
«Was möchtest du denn haben?»
«Irgendwas Starkes. War spät gestern.»
Jocke warf ihm nur einen müden Blick zu, nahm eine Kapselaus einem Gestell neben der Maschine, das Sebastian noch gar nicht bemerkt hatte, legte sie in die Maschine, stellte eine der Glastassen auf das Gitter und drückte einen Knopf.
«Aha. Und wer bist du, wenn ich fragen darf?», brummte er mit einem desinteressierten Blick in Sebastians Richtung.
«Dein neuer Papa.»
«Cool. Humor. Sie sollte dich behalten ... »
Dann drehte er sich um und setzte sich wieder an den Tisch. Sebastian dämmerte, dass Joakim schon zu viele Vormittage mit zu vielen unbekannten Männern in seiner Küche erlebt hatte. Schweigend nahm er das Tässchen vom Gitter. Der Kaffee war wirklich stark. Und heiß. Er verbrannte sich die Zunge, leerte die Tasse aber dennoch unter Schweigen.
Zwei Minuten später war er draußen im grauen Septembermorgen.
Übersetzung: Ursel Allenstein
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Autoren-Porträt von Michael Hjorth, Hans Rosenfeldt
Michael Hjorth ist ein erfolgreicher schwedischer Produzent, Regisseur und Drehbuchautor. Er schrieb u.a. Drehbücher für die Verfilmungen der Romane von Henning Mankell. Hans Rosenfeldt, Jahrgang 1964, ist einer der angesehensten Drehbuchautoren Schwedens und Schöpfer der bislang erfolgreichsten skandinavischen Serie «Die Brücke», die in über 170 Ländern ausgestrahlt wurde und zahlreiche Preise erhielt. Für die britische Fernsehserie «Marcella» wurde er mit dem British Screenwriters' Award in der Kategorie Best Crime Writing on Television ausgezeichnet. Als Teil des Autorenduos Hjorth & Rosenfeldt schrieb er acht Kriminalromane der Sebastian-Bergman-Reihe, die in 34 Ländern erscheint, sich weltweit über 4 Millionen mal verkauft hat - allein in Deutschland 2,5 Millionen mal - und die von Sveriges Television in Kooperation mit dem ZDF verfilmt wird. Alle Bände befanden sich monatelang in den Top 10 der Spiegel-Bestsellerlisten, mit Band 6 gelang der Sprung auf Platz 1 sowohl auf der Spiegel-Hardcover- als auch der Taschenbuch-Liste. In seinem Heimatland Schweden ist Hans Rosenfeldt ein beliebter Radio- und Fernsehmoderator. Ursel Allenstein, 1978 geboren, übersetzt u.a. Sara Stridsberg, Johan Harstad und Tove Ditlevsen. 2011 und 2020 erhielt sie den Hamburger Förderpreis, 2013 den Förderpreis der Kunststiftung NRW und 2019 den Jane-Scatcherd-Preis für ihre Übersetzungen aus den skandinavischen Sprachen.
Autoren-Interview mit Michael Hjorth
Interview mit Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt, Sie haben das Buch zusammen geschrieben. Ziemlich ungewöhnlich! Wie funktioniert das konkret - zum einen bei der Entwicklung der Ideen und dann beim Schreiben?
Hjorth/Rosenfeldt: Wir arbeiten in der Zeit des Entwickelns viel zusammen, genauso wie wenn wir Drehbücher schreiben. Wir treffen uns für ein paar Wochen, entwerfen die Geschichte, ihren Verlauf und planen alles Kapitel für Kapitel. Sowohl die Figuren als auch der Plot stehen also komplett. Dann teilen wir die Kapitel unter uns auf und fangen an zu schreiben - jeder für sich. Während wir schreiben treffen wir uns selten, halten aber Kontakt per Mail oder telefonieren und schicken das Geschriebene hin und her, schreiben Passagen neu, sprechen uns natürlich ab, wenn wir im Handlungsverlauf etwas verändern oder diskutieren neue Ideen, die während des Schreibens entstanden sind. Für den Endspurt treffen wir uns wieder und fügen alles so zusammen, dass es wie aus einem Guss wirkt. Wir feilen am Ton des Buches, dem Sprachrhythmus oder Ähnlichem - es muss sich lesen, als hätte es ein einzelner Autor geschrieben.
Die Hauptfigur Sebastian Bermann ist ein asozialer, streitsüchtiger Zeitgenosse und obendrein ein zweifelhafter Frauenheld. Seine Kollegen beißen die Zähne zusammen, wenn er erscheint. Warum haben Sie ihn so unsympathisch angelegt, warum muss er so ein Ekel sein?
Hjorth/Rosenfeldt: Wir wollten einen Anti-Helden schaffen und wir wollten sehen, wie weit wir gehen können, wie viele Macken unser Held verträgt und die Leser ihm dennoch die Daumen drücken für die Lösung des Falls und trotz allem Interesse an ihm haben. Außerdem wollten wir uns auch selbst herausfordern, indem wir über einen wirklich
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unfreundlichen Menschen schreiben - das aber immer auf einem Level, bei dem wir nach wie vor Interesse an ihm haben und wissen wollen, wie es weitergeht mit ihm. Und ganz ehrlich: Es macht viel mehr Spaß, über so ein richtiges Ekel zu schreiben.
Werden wir Sebastian Bergman in den nächsten Büchern vielleicht ein wenig mehr ins Herz schließen?
Hjorth/Rosenfeldt: Also, wir lieben ihn schon - aber er wird auch in den kommenden Büchern nicht netter werden. Allerdings hat es der Fall in dem nächsten Buch wirklich in sich und geht sehr in sein persönliches Leben hinein - vielleicht nimmt sie das ja etwas für ihn ein oder sie entwickeln ein wenig Mitgefühl für ihn. Aber wir tun alles dafür, ihn eben nicht zu nett oder zu verständnisvoll werden zu lassen. Gerade seine Unfreundlichkeit finden wir am interessantesten an ihm.
Schriftsteller lieben es, Menschen zu beobachten. In welchen Situationen tun Sie das besonders gerne?
Hjorth/Rosenfeldt: Wir betreiben keine solchen Studien ... ich glaube fast, unser beider "Weg" das zu tun ist, sich Fernsehsendungen anzusehen oder andere Bücher zu lesen.
Wäre es für Sie eigentlich spannend, mit einem echten Serienmörder zu sprechen, ihn zu interviewen?
Hjorth/Rosenfeldt: Nein, nicht wirklich. Wir arbeiten mit einer ausgedachten Story und sehen diese Krimis, in denen wir unsere eigene kleine Welt erschaffen, als Unterhaltung. Und genau deshalb wäre uns ein Treffen mit einem echten Serienmörder zu nah, eben weil wir die Realität und die Fantasiewelt in unseren Krimis auseinanderhalten wollen. Vermutlich sind echte Serienmörder auch nicht so interessant als Gesprächspartner. Die Figuren, die wir mit unserem Schreiben erschaffen, sind spannender weil wir ihre Geheimnisse kennen. Bei echten Menschen würden wir die vielleicht nie herausfinden, oder herausfinden wollen.
Gab es für "Der Mann, der kein Mörder war" auch einen realen Fall als Vorlage?
Hjorth/Rosenfeldt: Nein, gab es nicht. Es gab nur zwei Männer, die eine Geschichte und ihren „Helden" so gut wie irgend möglich in ein Buch packen wollten. Wir sehen den Krimi als unser Instrument, um über Menschen zu schreiben.
Michael Hjorth, Sie arbeiten als Drehbuchautor, Regisseur und sind ein erfolgreicher TV-Produzent. Sie haben zum Beispiel die Mankell-Drehbücher fürs Fernsehen geschrieben. „Der Mann, der kein Mörder war" ist Ihr Debütkrimi - was ist anders am Schreiben eines Drehbuchs und dem Schreiben eines Buches?
Michael Hjorth: Ich weiß, das hört sich albern an, aber der Unterschied für mich ist der, dass in einem Buch einfach viel mehr Worte stehen. Als Drehbuchautoren schreiben wir, wo die Figuren gerade sind und was sie gerade sagen - alles andere machen die Schauspieler, Regisseure, Produzenten und so weiter. Aber genau diese enormen Möglichkeiten beim Schreiben eines Buches hat uns am meisten Spaß gemacht. Wir konnten und durften so viele „Werkzeuge" mehr einsetzen, die wir beim Schreiben eines Drehbuchs nie verwenden dürfen. Was denken die Figuren gerade? Wie sehen bestimmte Dinge aus? Wie riechen oder schmecken sie? Und als Autor hat man so natürlich auch eine viel größere Kontrolle über das, was man schreibt. Als Drehbuchautor nicht.
„Der Mann, der kein Mörder war" wurde auch verfilmt. Wann war das, wer spielt Sebastian Bergman und wann können wir den Film im deutschen Fernsehen sehen?
Hjorth/Rosenfeldt: Der Fernsehfilm (90 Minuten) wurde im Frühjahr/Sommer 2010 gedreht und an Weihnachten in Schweden gezeigt. Rolf Lassgård spielt den Sebastian Bergman und bekam dafür gute Kritiken. Nachdem es eine Co-Produktion mit dem ZDF war, wird der Film auch in Deutschland zu sehen sein. Leider wissen wir noch nicht genau, wann das sein wird.
Drei Bücher, die Sie auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würden?
Hans Rosenfeldt: Titel kann ich nicht nennen, aber die Bücher wären von Stephen King, Cormac McCarthy und Ed McBain.
Michael Hjorth: Die "Essais" von Montaigne, „Der lange Abschied" von Raymond Chandler und „Anna Karenina" von Tolstoi.
Sebastian Bergman wird uns Leser noch länger begleiten - wie viele Bücher planen Sie und woran arbeiten Sie gerade?
Hjorth/Rosenfeldt: Wir haben vor, jedes Jahr ein Buch zu schreiben und das maximal fünf Jahre zu machen. Gerade weil uns Sebastian und das Team so ans Herz gewachsen sind haben wir uns Stoff für fünf Bücher ausgedacht. Aktuell schreiben wir an der Nummer drei. Das zweite Buch erschien diesen Sommer in Schweden. Sebastian ist hier hinter einem Serienmörder her, der er vor Jahren hinter Gitter gebracht hat.
Interview: Literaturtest
Werden wir Sebastian Bergman in den nächsten Büchern vielleicht ein wenig mehr ins Herz schließen?
Hjorth/Rosenfeldt: Also, wir lieben ihn schon - aber er wird auch in den kommenden Büchern nicht netter werden. Allerdings hat es der Fall in dem nächsten Buch wirklich in sich und geht sehr in sein persönliches Leben hinein - vielleicht nimmt sie das ja etwas für ihn ein oder sie entwickeln ein wenig Mitgefühl für ihn. Aber wir tun alles dafür, ihn eben nicht zu nett oder zu verständnisvoll werden zu lassen. Gerade seine Unfreundlichkeit finden wir am interessantesten an ihm.
Schriftsteller lieben es, Menschen zu beobachten. In welchen Situationen tun Sie das besonders gerne?
Hjorth/Rosenfeldt: Wir betreiben keine solchen Studien ... ich glaube fast, unser beider "Weg" das zu tun ist, sich Fernsehsendungen anzusehen oder andere Bücher zu lesen.
Wäre es für Sie eigentlich spannend, mit einem echten Serienmörder zu sprechen, ihn zu interviewen?
Hjorth/Rosenfeldt: Nein, nicht wirklich. Wir arbeiten mit einer ausgedachten Story und sehen diese Krimis, in denen wir unsere eigene kleine Welt erschaffen, als Unterhaltung. Und genau deshalb wäre uns ein Treffen mit einem echten Serienmörder zu nah, eben weil wir die Realität und die Fantasiewelt in unseren Krimis auseinanderhalten wollen. Vermutlich sind echte Serienmörder auch nicht so interessant als Gesprächspartner. Die Figuren, die wir mit unserem Schreiben erschaffen, sind spannender weil wir ihre Geheimnisse kennen. Bei echten Menschen würden wir die vielleicht nie herausfinden, oder herausfinden wollen.
Gab es für "Der Mann, der kein Mörder war" auch einen realen Fall als Vorlage?
Hjorth/Rosenfeldt: Nein, gab es nicht. Es gab nur zwei Männer, die eine Geschichte und ihren „Helden" so gut wie irgend möglich in ein Buch packen wollten. Wir sehen den Krimi als unser Instrument, um über Menschen zu schreiben.
Michael Hjorth, Sie arbeiten als Drehbuchautor, Regisseur und sind ein erfolgreicher TV-Produzent. Sie haben zum Beispiel die Mankell-Drehbücher fürs Fernsehen geschrieben. „Der Mann, der kein Mörder war" ist Ihr Debütkrimi - was ist anders am Schreiben eines Drehbuchs und dem Schreiben eines Buches?
Michael Hjorth: Ich weiß, das hört sich albern an, aber der Unterschied für mich ist der, dass in einem Buch einfach viel mehr Worte stehen. Als Drehbuchautoren schreiben wir, wo die Figuren gerade sind und was sie gerade sagen - alles andere machen die Schauspieler, Regisseure, Produzenten und so weiter. Aber genau diese enormen Möglichkeiten beim Schreiben eines Buches hat uns am meisten Spaß gemacht. Wir konnten und durften so viele „Werkzeuge" mehr einsetzen, die wir beim Schreiben eines Drehbuchs nie verwenden dürfen. Was denken die Figuren gerade? Wie sehen bestimmte Dinge aus? Wie riechen oder schmecken sie? Und als Autor hat man so natürlich auch eine viel größere Kontrolle über das, was man schreibt. Als Drehbuchautor nicht.
„Der Mann, der kein Mörder war" wurde auch verfilmt. Wann war das, wer spielt Sebastian Bergman und wann können wir den Film im deutschen Fernsehen sehen?
Hjorth/Rosenfeldt: Der Fernsehfilm (90 Minuten) wurde im Frühjahr/Sommer 2010 gedreht und an Weihnachten in Schweden gezeigt. Rolf Lassgård spielt den Sebastian Bergman und bekam dafür gute Kritiken. Nachdem es eine Co-Produktion mit dem ZDF war, wird der Film auch in Deutschland zu sehen sein. Leider wissen wir noch nicht genau, wann das sein wird.
Drei Bücher, die Sie auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würden?
Hans Rosenfeldt: Titel kann ich nicht nennen, aber die Bücher wären von Stephen King, Cormac McCarthy und Ed McBain.
Michael Hjorth: Die "Essais" von Montaigne, „Der lange Abschied" von Raymond Chandler und „Anna Karenina" von Tolstoi.
Sebastian Bergman wird uns Leser noch länger begleiten - wie viele Bücher planen Sie und woran arbeiten Sie gerade?
Hjorth/Rosenfeldt: Wir haben vor, jedes Jahr ein Buch zu schreiben und das maximal fünf Jahre zu machen. Gerade weil uns Sebastian und das Team so ans Herz gewachsen sind haben wir uns Stoff für fünf Bücher ausgedacht. Aktuell schreiben wir an der Nummer drei. Das zweite Buch erschien diesen Sommer in Schweden. Sebastian ist hier hinter einem Serienmörder her, der er vor Jahren hinter Gitter gebracht hat.
Interview: Literaturtest
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Bibliographische Angaben
- Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
- 2013, 5. Aufl., 624 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ursel Allenstein
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10:
- ISBN-13: 4026411312149
- Erscheinungsdatum: 18.06.2013
Rezension zu „Sebastian Bergman Band 3: Die Toten, die niemand vermisst “
Fesselnd bis zum überraschenden Schluss. Berliner Morgenpost
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Fesselnd bis zum überraschenden Schluss. Berliner Morgenpost
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