Silberner Fluch
Wie lebendig können Träume werden? Ein fantastisches Abenteuer beginnt ...
Als die junge Designerin Garet James in einem New Yorker Antiquariat auf eine Schatulle mit dem Symbol eines schwarzen Schwans stößt, ahnt sie noch nicht,...
Als die junge Designerin Garet James in einem New Yorker Antiquariat auf eine Schatulle mit dem Symbol eines schwarzen Schwans stößt, ahnt sie noch nicht,...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
15.00 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Silberner Fluch “
Wie lebendig können Träume werden? Ein fantastisches Abenteuer beginnt ...
Als die junge Designerin Garet James in einem New Yorker Antiquariat auf eine Schatulle mit dem Symbol eines schwarzen Schwans stößt, ahnt sie noch nicht, dass darin ihr Schicksal verborgen ist. Denn der gleiche Schwan befindet sich auf dem Siegelring ihrer verstorbenen Mutter. Ein Zufall? Sie öffnet die Schatulle - und damit auch das Tor in eine magische Welt. Eine Welt der Feen, Vampire und Magier, voller Geheimnisse und Gefahren. Nur der zwielichtige Geschäftsmann Will Hughes scheint mehr darüber zu wissen. Mit seiner Hilfe erkennt Garet schließlich, dass das Siegel des Schwans sie zur letzten Hüterin des Tors zwischen den Welten macht ...
Dunkel und magisch wie ein Traum - Lee Carroll verzaubert mit einer starken Heldin und einer fantastischen Welt.
Als die junge Designerin Garet James in einem New Yorker Antiquariat auf eine Schatulle mit dem Symbol eines schwarzen Schwans stößt, ahnt sie noch nicht, dass darin ihr Schicksal verborgen ist. Denn der gleiche Schwan befindet sich auf dem Siegelring ihrer verstorbenen Mutter. Ein Zufall? Sie öffnet die Schatulle - und damit auch das Tor in eine magische Welt. Eine Welt der Feen, Vampire und Magier, voller Geheimnisse und Gefahren. Nur der zwielichtige Geschäftsmann Will Hughes scheint mehr darüber zu wissen. Mit seiner Hilfe erkennt Garet schließlich, dass das Siegel des Schwans sie zur letzten Hüterin des Tors zwischen den Welten macht ...
Dunkel und magisch wie ein Traum - Lee Carroll verzaubert mit einer starken Heldin und einer fantastischen Welt.
Klappentext zu „Silberner Fluch “
Ein fantastisches Abenteuer beginnt ...Als die junge Designerin Garet James in einem New Yorker Antiquariat auf eine Schatulle mit dem Symbol eines schwarzen Schwans stößt, ahnt sie noch nicht, dass darin ihr Schicksal verborgen ist. Denn der gleiche Schwan befindet sich auf dem Siegelring ihrer verstorbenen Mutter. Ein Zufall? Sie öffnet die Schatulle - und damit auch das Tor in eine magische Welt. Eine Welt der Feen, Vampire und Magier, voller Geheimnisse und Gefahren. Nur der zwielichtige Geschäftsmann Will Hughes scheint mehr darüber zu wissen. Mit seiner Hilfe erkennt Garet schließlich, dass das Siegel des Schwans sie zur letzten Hüterin des Tors zwischen den Welten macht ...
Lese-Probe zu „Silberner Fluch “
Silberner Fluch von Lee Carroll Aus dem Amerikanischen übersetzt von Kirsten Borchardt
Die silberne Schatulle
ich war noch nie zuvor in diesem antiquitätengeschäft gewesen.
Das war der erste seltsame Umstand, denn eigentlich kannte ich das Village wie meine westentasche. Schließlich war ich im west Village in einem Stadthaus aufgewachsen, von dem ich gerade erfahren hatte, dass eine so große hypothek auf ihm lastete, dass selbst dann ein Berg von Schulden zurückbleiben würde, wenn mein Vater und ich es verkauften. Diese nachricht war es gewesen, begleitet von einer Litanei über die allgemein schlechte wirtschaftslage, die mich so schockiert und durcheinandergebracht hatte, dass ich ganz benommen aus der anwaltskanzlei in Lower manhattan gestolpert war. mir war noch nicht einmal der leichte Regen aufgefallen, der inzwischen eingesetzt hatte, oder der nebel, der vom hudson River heraufzog.
... mehr
Erst, als ein plötzlicher, heftiger guss mich zwang, in einem Eingang Schutz zu suchen, erkannte ich, dass ich mich verirrt hatte. Durch den Vorhang aus Regen sah ich, dass ich mich in einer schmalen, kopfsteingepflasterten Straße befand. Von den Straßenecken war ich zu weit entfernt, als dass ich durch den dichten nebel ein Schild hätte erkennen können. wo mochte ich sein - irgendwo im west Village, oder vielleicht auch in Tribeca? hatte ich die Canal Street überquert? Dieser Teil der Stadt hatte sich unglaublich verändert, war in den letzten Jahren so viel trendiger geworden, dass alles ganz anders aussah. allerdings befand ich mich offenbar in der nähe des Flusses. Der wind wehte von westen, brachte den geruch des hudson und des atlantiks mit, der sich weit hinter der Bucht erstreckte. an kühlen herbsttagen wie diesen, an denen tiefhängende wolken die Dächer der gebäude einhüllten und der nebel die harten Linien von Backstein und granit aufweichte, stellte ich mir gern vor, in einem längst vergangenen manhattan unterwegs zu sein: in einem holländischen hafen, in dem händler und kaufleute aus der alten welt anlegten, um ihr glück zu machen, und nicht in einem Finanzzentrum, das am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs stand.
inzwischen war ich bis auf die haut durchnässt und zitterte vor kälte. Schließlich wandte ich mich zu der Tür in meinem Rücken, um zu sehen, ob ich dort eine adresse entdecken konnte. Stattdessen starrte mich eine große Frau mit wildem Blick an: Das lange schwarze haar hing ihr strähnig ins gesicht und ließ sie wie einen Rachegeist aus einem japanischen horrorfilm erscheinen. Es war mein eigenes Spiegelbild. Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass ich, als ich am morgen das haus verlassen hatte, eine einigermaßen attraktive sechsundzwanzigjährige Frau gewesen war, aber die schlechten neuigkeiten und der Regen hatten ihre Spuren hinterlassen. ich schob mir das haar hinter die Ohren und bückte mich, um nach einer adresse zu suchen, aber die goldenen Lettern an der Tür waren schon lange verwittert und hatten lediglich eine Spur goldstaub wie einen Zauberschleier und ein paar versprengte Buchstaben hinterlassen. Das einzig erkennbare wort war Dunst oder, wie ich überlegte, vielleicht auch Kunst; allerdings befand sich hier jetzt keine kunsthandlung mehr. Es war ein antiquitätengeschäft, das ließ sich zweifelsfrei an den auslagen im Schaufenster erkennen: georgianisches Silber, Saphir-und Diamant- ringe, goldene Taschenuhren, alle wunderschön, aber für meinen geschmack ein wenig zu edel. Durch die glastür entdeckte ich, dass der ganze Laden wie ein kleines Schmuckkästchen aussah, die wände mit dunklem holz getäfelt, die funkelnden glasvitrinen mit granatfarbenem Samt ausgeschlagen. Ein Vorhang aus weinrotem Damast hing hinter dem polierten mahagonitresen mit sinnlichen art-nouveau-kurven. Der weißhaarige mann, der hinter dem Tresen saß, sah aus, als hätte man ihn so sorgfältig dort platziert wie eine Perle in einer Onyx-Brosche. Er untersuchte etwas unter einer Uhrmacherlupe, doch dann blickte er auf - ein auge grotesk durch die Linse vergrößert - und sah mich im Eingang stehen. Sofort griff er unter den Ladentisch und drückte einen knopf, um mich einzulassen.
Ich kann schnell nach dem Weg zur nächsten U-Bahn- Station fragen, dachte ich, als ich die Tür öffnete. nun wollte ich allerdings nicht so unhöflich sein, das sofort zu tun. ich hasste es, wenn Touristen den kopf in unsere kunstgalerie steckten, nur um nach dem weg zu fragen. Zunächst einmal würde ich mich umsehen, obwohl ich bezweifelte, dass dieses geschäft die art von Siegelringen führte, wie ich sie für meine gussformen benutzte, und ohnehin kaufte ich kaum noch für mich selbst ein - etwas, das sich in Zukunft sicherlich auch nicht ändern würde. an meinem rechten Ringfinger trug ich den silbernen Siegelring, den meine mutter mir zum sechzehnten geburtstag geschenkt hatte. in das Silber war ein Schwan mit gebogenem hals und ausgebreiteten Flügeln eingraviert, der sich in die Luft erheben wollte - wie man in der wappenkunde sagte, ein auffliegender Schwan. Das Tier umgaben in Spiegelschrift, so dass die Buchstaben im abdruck richtig herum erscheinen würden, die worte: Rava avis in terris, nigroque simillima cygno.
»Ein seltener Vogel auf der Erde, sehr ähnlich einem schwarzen Schwan«, hatte meine mutter es mir übersetzt. »Das ist es, was du bist, garet, ein seltener Vogel. Einzigartig. Lass dir von niemandem einreden, du müsstest genauso sein wie alle anderen.«
Jemand hatte mit dem Finger so oft über die worte gestrichen, dass sie kaum noch zu lesen waren, und feine Risse durchdrangen das Bild, aber wenn ich den Ring in heißes wachs drückte, waren der Schwan und die worte bemerkenswert klar. meine mutter, die als Lehrling bei asprey's in London gearbeitet hatte, hatte mir gezeigt, wie man eine gussform von dem wachsabdruck fertigte und dann ein medaillon darin goss - ebenjenes medaillon, das ich heute trug, so wie jeden Tag. mit der Zeit hatten mich so viele Leute darauf angesprochen, dass ich mich auf die Suche nach anderen Siegelringen begeben und weitere, ähnliche Stücke angefertigt hatte, die ich dann unter den Schülern und Lehrern meiner high school und den kunden in der kunstgalerie verkaufte. ich hatte genug davon gemacht, um im FiT, dem Fashion institute Of Technology, erfolgreich einen kurs für Schmuckdesign zu absolvieren und im obersten Stockwerk unseres hauses ein kleines Unternehmen mit einer werkstatt einzurichten, das ich nach dem lateinischen wort für Schwan Cygnet Design genannt hatte. auch jetzt, vier Jahre später, lief die Firma gut, aber ich verdiente längst nicht so viel, als dass ich den großen Schuldenberg hätte abtragen können, den uns mein Vater eingebrockt hatte.
Wie viele meiner Kunden werden sich in diesen schweren Zeiten weiterhin kleine Schmuckstücke wie ein Medaillon leisten, fragte ich mich, als ich das geschäft betrat. Wie lange werden kuriose Unternehmen wie das meine - oder dieses hier - noch bestehen können, wenn sich die Lage erst richtig zuspitzt?
Falls der Eigentümer des Ladens sich gegenwärtig um seinen Umsatz sorgte, dann zeigte er es nicht. Er spielte weiterhin mit der Uhr, die er reparierte, während ich den Blick über die Regale streifen ließ. Sie enthielten eine seltsame Zusammenstellung verschiedener Dinge. Es gab medaillons, geöffnet dargeboten, so dass sie sepiafarbene Fotos unter stumpfem glas preisgaben, und Broschen, die man aus den haaren Verstorbener gefertigt hatte. Viele der Ringe und Broschen waren mit Urnen, weidenbäumen und Tauben verziert - Symbolen, die traditionell für Trauer stehen. Ein ganzes Regal enthielt nichts weiter als Broschen mit gemalten augen. Von ihnen hatte ich anlässlich eines Seminars in Schmuckgeschichte schon einmal etwas gelesen. man nannte sie Liebaugenbroschen, und sie waren im georgianischen England in mode gekommen, nachdem der Prinz von wales seinen hofmaler angewiesen hatte, lediglich die augen seiner geliebten zu porträtieren, damit niemand ihre identität würde erraten können. ich hatte abbildungen in Büchern und ein oder zwei dieser Stücke in antiquitätengeschäften gesehen, aber es war befremdlich, so viele der körperlosen augen an einem Ort vorzufinden.
»Sind Sie auf der Suche nach etwas Bestimmtem?«
Die Frage erklang so leise, dass ich einen augenblick lang dachte, sie lediglich in meinem kopf gehört zu haben. Unwillkürlich antwortete ich ebenfalls nur in gedanken: Nach einer Lösung für meine Probleme, sonst brauche ich nichts. Dann sagte ich laut: »ich bin immer auf der Suche nach Siegelringen für meine Schmuckentwürfe.« Dabei hob ich mein kettchen, damit der mann den anhänger betrachten konnte. Er hielt sein Vergrößerungsglas hoch und beugte sich über den Tresen, um das medaillon besser sehen zu können.
kaum hatte er das motiv erkannt, senkte er das glas und sah auf. Seine augen hatten eine seltsame Bernsteinfarbe, die in dem tiefgebräunten gesicht, das von schneeweißem haar und einem sorgfältig gestutzten Spitzbart eingerahmt wurde, besonders überraschte.
»Sind Sie zufällig garet James, die inhaberin von Cygnet Designs?«, fragte er.
»Ja, tatsächlich«, sagte ich erfreut. Zwar war in der Presse gelegentlich positiv über mich berichtet worden, aber ich war es nicht gewöhnt, dass man mich erkannte. »Das bin ich. Es überrascht mich, dass ein antiquitätenhändler das weiß.«
»ich versuche, mit der modernen Zeit Schritt zu halten «, sagte er. als er lächelte, durchzogen millionen kleiner Fältchen seine bronzefarbene haut. ich stellte mir vor, dass er einige Zeit zur See gefahren war, wo er am Bug eines Schiffes in die Sonne geblinzelt und dem Regen getrotzt hatte, aber es wahr wohl wahrscheinlicher, dass er ein bisschen zu oft seine Runden auf dem golfplatz drehte. »Letzte woche habe ich den artikel im New York Magazine gelesen. ich bewundere, wie Sie alte materialien verwenden, um daraus etwas neues zu erschaffen. Sie sind eine echte künstlerin.«
»nur eine handwerkerin«, wehrte ich schnell ab.
»Sie sind zu bescheiden.«
»nein, das bin ich nicht. ich kenne den Unterschied.« Schließlich war ich unter diesen Leuten aufgewachsen - unter malern und Bildhauern -, und ich wusste, was es bedeutete, ein echter künstler zu sein. aber all das musste ich diesem Fremden nicht auf die nase binden, ebenso wenig wie die Tatsache, dass ich alles sein wollte, nur eben keine künstlerin.
Er kniff leicht die augen zusammen. »ich habe mir ihre Entwürfe auf ihrer webseite angesehen. aber ich glaube, dieses Design hier war nicht darunter.«
»nein. Es war das erste medaillon, das ich je gemacht habe ... von diesem Ring.« ich streckte die hand aus, damit er den Siegelring betrachten konnte. »ich habe es nie wieder verwendet.«
Der Juwelier nahm meine hand und hielt sie an seine Lupe, um den Ring besser in augenschein nehmen zu können. Seine Finger waren kalt und gepudert, und er hielt meine hand länger fest, als notwendig zu sein schien.
Vielleicht hatte er Schwierigkeiten, den wahlspruch zu entziffern.
»Die worte stehen in Spiegelschrift. Es heißt: ›Ein seltener Vogel ...‹«
»ich kenne diesen Spruch sehr gut«, sagte er, ließ meine hand abrupt los und sah wieder hoch. »Dieses wappen habe ich tatsächlich schon einmal gesehen ... warten Sie ... ich zeige es ihnen ...«
Bevor ich protestieren konnte, erhob sich der Juwelier von seinem Stuhl. Er war größer, als ich vermutet hatte, und auch kräftiger. Die lange, weite Strickjacke, die er trug, hatte seine körpermaße im Sitzen gut verborgen, aber nun, da er sich aufrichtete, besaß er eine recht beeindruckende Präsenz. Vermutlich hatte er in etwa das alter meines Vaters - mitte achtzig -, aber während Roman in jüngster Zeit recht gebrechlich geworden war, erschien dieser mann mächtig. geradezu befremdlich mächtig, als seien die Strickjacke und das weiße haar reine Tarnung.
Er entschuldigte sich und verschwand hinter dem braunen Brokatvorhang. ich wollte mich noch einmal in dem geschäft umsehen, aber es war zu klein, als dass man sich wirklich darin hätte umdrehen können, und egal, wo ich stand, immer schienen mir die körperlosen augen zu folgen. also starrte ich lieber durch das beschlagene Fenster hinaus auf die regennasse Straße. wieso wartete ich überhaupt? ich hatte ganz sicher nicht die absicht, etwas zu kaufen. nicht nach den nachrichten, die mir an diesem morgen vom anwalt meines Vaters, Charles Chennery, auf seine unverblümte, knappe Connecticut-art mitgeteilt worden waren. Vor fünf monaten hatte mein Vater sich von einem wall-Street-Unternehmen 2,5 millionen Dollar geliehen und als Sicherheit das auf vier millionen Dollar geschätzte Stadthaus an der west 12th Street eintragen lassen. Er hatte das geld dazu verwendet, um damit verschiedene gemälde zu erwerben - Schnäppchen, wie er Charles versicherte -, deren wert bei einem wiederverkauf mit fünf millionen veranschlagt wurde. aber dann war mit den Finanzmärkten im herbst auch der kunstmarkt zusammengebrochen. Ein großer Teil der Bilder war bei auktionen nicht einmal verkauft worden, und wenn doch, dann für wesentlich weniger, als mein Vater sich erhofft hatte. Doch das größte Problem war, dass in diesen Zeiten vielfach sogar Darlehen, die als gut abgesichert galten, vorzeitig wieder zurückgefordert wurden. (»niemand liest das kleingedruckte«, hatte Chennery düster angesichts meiner überraschung erwidert, dass investment-Banken so etwas taten.) Da der wert des Stadthauses mit jedem Tag geringer wurde, wollten die kreditgeber keine Risiken mehr eingehen. Und so drohte das wall-Street-Unternehmen nun damit, das haus und die galerie in dreißig Tagen zu übernehmen (am 11. Januar, rief ich mir erneut ins gedächtnis), falls wir die anleihe nicht würden zurückzahlen können. Chuck Chennery hatte verschiedene möglichkeiten skizziert, um die hypothek neu zu finanzieren, aber keine dieser Optionen hatte sich auch nur ansatzweise als machbar dargestellt. wenn wir eine Umschuldung vornahmen, würden wir zwar mehr Zeit zur Begleichung der Schulden haben, aber wesentlich höhere Zinsen zahlen. wir würden jeden monat mit fünfzigtausend Dollar in der kreide stehen. wie sollten wir bei der jetzigen marktsituation solche Summen auftreiben? Und wenn wir die galerie verkauften, um die Schulden zu bezahlen, wovon sollten wir dann leben? Und vor allem, wo? Das haus war nicht nur unsere geschäftsadresse, sondern auch unser heim. Schon allein bei dem gedanken bekam ich das gefühl, als würde ich seekrank. kein wunder, dass ich mich auf dem weg hierher verlaufen hatte.
»Ja, ich hatte Recht, das wappen hier ist beinahe identisch mit dem auf ihrem Ring und dem medaillon.« Die Stimme des geschäftsinhabers drängte sich in den Strudel finanziellen Ruins, der in meinem kopf immer größere kreise zog. »ich glaube tatsächlich, dass es sich um dasselbe wappen handeln könnte.«
ich wandte mich um und betrachtete das Objekt, das er auf ein blaues Samttuch auf dem gläsernen Tresen stellte. Es war ein flaches, silbernes kästchen, ungefähr von derselben größe wie mein 13-Zoll-macBook, und es war so angelaufen, dass ich die gravur selbst dann kaum erkennen konnte, als ich mich hinunterbeugte. Es wunderte mich, dass der Besitzer eines so tadellos sauberen Ladens es zugelassen hatte, dass dieser gegenstand in einen so desolaten Zustand geriet. konzentriert musterte ich die Verzierungen auf der Oberseite der Schatulle und suchte nach dem wappen, von dem er gesprochen hatte, aber der Deckel zeigte lediglich ein abstraktes muster konzentrischer Ovale.
»Das wappen ist hier«, sagte er und deutete auf die Stelle vorn an der kante, wo sich ein Verschluss hätte befinden sollen. Doch anstelle eines solchen - oder vielleicht auch darüber - war dort eine runde Silberscheibe, die den Deckel versiegelte. Der Rand dieser Silberoblate war nicht ganz gleichmäßig und teilweise etwas aufgeworfen, genau wie ein Tropfen wachs, in den man einen Siegelring gedrückt hatte. Es sah tatsächlich ganz ähnlich aus wie die medaillons, die ich aus den wachsabdrücken herstellte. Vor allem aber war das motiv tatsächlich das gleiche wie auf meinem Ring: der Schwan, der die Flügel spreizte, der gleiche lateinische wappenspruch ... war das möglich?
Vorsichtig beugte ich mich zu der Schatulle hinunter, und der Juwelier reichte mir wortlos seine Lupe. ich hob sie an mein rechtes auge, und kurz erschreckte mich ein kribbeln statischer Energie, das über meine augenbraue und den wangenknochen rann, als habe der Juwelier das metall elektrisch aufgeladen. ich ging so nahe heran, bis das Siegel durch die dicke Linse klar zu erkennen war. Feine Linien durchzogen das metall. aus Erfahrung wusste ich, dass sie von den Rissen in dem Siegel stammten, das den abdruck hinterlassen hatte. ich sah auf den Ring an meinem Finger und auf das kästchen. Die Linien stimmten überein.
»Das ist faszinierend«, sagte ich, als ich mich wieder streckte, die Lupe noch immer vor dem auge, und den Juwelier ansah. Der alte mann verschwamm leicht in meinem Blickfeld, die Umrisse seines körpers waren verwischt und durchbrochen wie durch Sonnenflecken. Eine wolke aus schimmerndem Licht, als hätte man einen Schwarm glühwürmchen im Laden losgelassen, schwebte über seinem kopf. ich legte die Lupe ab und schloss die augen, um meinen Blick zu klären.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich, »ich habe öfters ...«
»augenflimmern? metamorphopsie?«, fragte der Juwelier und nannte damit zwei Symptome der optischen migräne, einer krankheit, die mich seit meiner Jugendzeit heimsuchte.
»Genau. Dann leiden Sie wohl auch daran?«
»Viele von uns tun das«, sagte er rätselhafterweise.
wen meinte er mit uns? Der mann war wirklich ein wenig seltsam. ich sollte mich nach dem richtigen weg erkundigen und gehen. Jedenfalls hatte ich nicht die geringste absicht, die Schatulle zu kaufen. nicht, dass ich das nicht gern getan hätte. Vielmehr hatte ich geradezu das gefühl, sie sollte mir gehören. wie groß war die wahrscheinlichkeit, auf ein Objekt zu stoßen, das mit genau jenem Siegelring verschlossen worden war, den mir meine mutter gegeben hatte? Und das noch dazu ausgerechnet an diesem Tag, als alles andere in meinem Leben so düster erschien?
Doch genau das war der grund, weshalb ich nicht einmal daran denken durfte, einen derart nutzlosen gegenstand zu erwerben - unter den gegebenen wirtschaftlichen Umständen wäre das leichtsinnig und dumm gewesen. Dennoch ... ich malte mir bereits aus, wie ich das Silber polierte, bis es leuchtete ... Sanft legte ich die Spitze meines Fingers auf die Oberfläche des kästchens, stellte mir vor, wie das wirbelnde muster aus der Umklammerung des angelaufenen metalls hervorbrach ... und zuckte zusammen, als ich sah, dass die fein gravierten Linien plötzlich blau schimmerten. ich beugte mich hinunter und verfolgte voll Staunen, wie die glühenden Linien wellen schlugen, sich verbogen und sich von meiner Fingerspitze ausgehend weiter ausbreiteten, als sei das kästchen aus wasser und nicht aus Silber, und die glatte Oberfläche sei von meiner Berührung wie von einem geworfenen Stein durchbrochen worden.
als ich den Finger wegzog, wurden die Linien wieder ruhig und stumpf. ich sah auf und bemerkte, dass der Juwelier das kästchen anstarrte. Langsam hob er die au- gen. in ihnen schien dasselbe Licht zu glühen, das ich gerade zuvor auf der Schatulle hatte schimmern sehen. Sein Blick war so bohrend, dass ich fürchtete, etwas Falsches getan zu haben. Vielleicht hatte ich das kleine Behältnis beschädigt. aber anstatt mir das kistchen wegzunehmen, schob er es mir entgegen. »ich möchte ihnen einen Vorschlag unterbreiten«, sagte er.
»was?«, fragte ich, von seiner wortwahl aufgeschreckt.
»ich möchte einen handel mit ihnen abschließen.« Seine hände zuckten zwischen dem Siegel auf dem kästchen und meinem Ring hin und her. Sie zitterten. als ich das geschäft betreten hatte, hatten seine Finger ohne den geringsten Tremor die Uhrmacherwerkzeuge festgehalten, aber nun bebten sie in der Luft wie die Flügel eines Schmetterlings.
»Es tut mir leid«, sagte ich und fürchtete, den mann noch weiter aufzuregen. »ich verstehe nicht. ich kann ihnen nichts anbieten ...«
»Sie können mir ihre Dienste anbieten.« Er schlang die hände ineinander und zwang ein höfliches Lächeln auf seine Lippen.
»welche Dienste?« Plötzlich wurde mir bewusst, wie allein wir hier waren, in diesem kleinen Laden in dieser verlassenen Straße, mit abgeschlossener Vordertür und dem heftigen Regen, der uns wie ein Vorhang aus silbernen kettengliedern vom Rest der welt isolierte. war der mann verrückt? in seinen augen lag ein hektischer Schimmer, und er wrang die hände, als habe er angst, sie würden aus eigenem antrieb davonfliegen.
»ihre Dienste mit Lötkolben und Zinn. ich habe gesehen, welch herrliche arbeiten Sie für Cygnet Designs gefertigt haben ... und Sie machen doch auch metallskulpturen, oder? wenn ich mich recht erinnere, dann hatten Sie letztes Jahr eine ausstellung in Chelsea ... ich habe für diese spezielle arbeit genau nach jemandem wie ihnen gesucht. Es ist sehr heikel, verstehen Sie ...« Er löste die hände und deutete auf den Rand des kästchens. Zwei Dinge fielen mir dabei auf. Er berührte das kleine Behältnis nicht, und seine Fingernägel zeigten denselben gelbton wie seine augen. »Die Schatulle ist ringsum versiegelt worden.«
ich folgte seinem Blick und sah, was er meinte. an der kante zwischen Deckel und korpus verlief ein dünner Strich aus metall, der im gegensatz zum Silber des kästchens überhaupt nicht angelaufen war. Er schimmerte wie geschmolzenes Quecksilber. Jemand hatte die kleine kiste zugelötet und dann das Siegel darauf gedrückt, als sei sie ein Brief, der nur von seinem bestimmungsgemäßen Empfänger geöffnet werden durfte. Und ich war diejenige, die das passende Siegel besaß.
»Das ist seltsam.«
»Ja, und sehr lästig. ich kann eine derart versiegelte Schatulle schlecht verkaufen. wenn es ihnen gelingt, sie zu öffnen, gebe ich ihnen das Siegel und zahle ihnen tausend Dollar.«
»Das ist eine menge geld ...«
»nicht für eine so heikle arbeit. mir ist es die Sache wert, jemanden von ihren Fähigkeiten mit dieser aufgabe zu betrauen ... und davon einmal abgesehen, glaube ich, dass das Schicksal Sie heute hierhergeführt hat, und wer wären wir denn, dass wir die möglichkeiten beiseitestießen, die uns das Schicksal derart auf dem Silbertablett serviert?«
Ja, wer? nach den finsteren Enthüllungen über unsere finanzielle Situation heute früh - sollte ich da nicht ein geschenk annehmen, das mir das Schicksal geradezu in den Schoß legte? Tausend Dollar würden meine geldprobleme nicht lösen, aber dennoch, konnte ich es mir wirklich leisten, einen bezahlten auftrag abzulehnen?
»Okay«, sagte ich und streckte die hand aus. »ich bin einverstanden. ich werde das kästchen heute abend öffnen und es ihnen morgen früh zurückbringen.«
Der Juwelier nahm die Schatulle mit dem blauen Samttuch auf, und ich erkannte, dass es sich dabei um einen Schmuckbeutel handelte. als er sie mir reichte, hörte ich, dass sich etwas darin bewegte; ein Rascheln erklang, als ob der wind durch herbstlaub fuhr.
»Oh, und ich hätte auch gern die Papiere, die sich darin befinden«, sagte er, als ich das kästchen an mich nahm. Es war schwerer, als ich erwartet hatte. als ich es betrachtete, sah ich, dass sich die Linien wieder bewegten. Es muss eine Täuschung sein, die durch das Design entsteht - ein trompe l'oeil. aber statt sich auszubreiten, zogen sich die Linien nun zusammen, türmten sich auf und rollten dahin wie die wogen des meeres, angezogen von der kraft des mondes. Einen augenblick lang war der Raum vom brackigen atem der Ebbströmung erfüllt. ich schüttelte mich, um die illusion zu vertreiben, und bevor der mann seine meinung über den auftrag ändern konnte - oder ich selbigen ablehnen. Dann ließ ich das kästchen in den samtenen Beutel gleiten und verstaute es in meiner geräumigen kuriertasche - meine Mary-Poppins- Tasche, wie meine Freundin Becky immer sagte. Schließlich bedankte ich mich bei dem Juwelier und ging hinaus in den Regen.
mein Fuß hatte kaum den Bürgersteig berührt, als ein Taxi erschien. Seine Leuchtanzeige schien wie der Lichtkegel eines Leuchtturms durch den nebel und den Regen und verkündete, dass es frei war. meine guten Vorsätze hinsichtlich der Sparsamkeit vergessend, winkte ich den wagen heran und sank dankbar auf den Rücksitz. Dann gab ich dem Fahrer meine adresse und schloss die augen, um weitere subjektive Sehstörungen abzuwehren, die meine migräne mit sich brachte. Erst, als das Taxi vor unserem haus hielt, wurde mir klar, dass ich weder den namen noch die adresse des Juweliers wusste - oder mir auch nur gemerkt hatte, in welcher Straße das geschäft lag. ich hatte keine ahnung, wie ich die Schatulle zurückbringen sollte, sobald sie geöffnet war.
Verschneite Felder in Frankreich
Zwar hatte die galerie geschlossen, aber maia, unsere Rezeptionistin, war noch da. Seltsamerweise schien sie immer länger und engagierter zu arbeiten, seit wir sie nur noch für drei Tage die woche bezahlen konnten. Der »Berater«-Status, den wir ihr angeboten hatten - inklusive einer kleinen Beteiligung an jedem Verkauf anstelle des gehalts für zwei Tage -, kam ihr offenbar entgegen, obwohl wir kein geheimnis daraus gemacht hatten, welches Risiko die Rezession für den Bestand der galerie bedeutete.
»ich wollte ihnen nur sagen, dass die Pissarros von Sotheby's zurückgekommen sind«, erklärte sie, während sie in einen taubengrauen Brokatmantel schlüpfte, der aussah, als hätte ihn auch ein höfling zur Zeit karls ii. tragen können, wenngleich vermutlich nicht in der kombination mit einem paisleygemusterten Samtminirock und Ugg-Boots. »mr. James hat sie ins hintere Büro gebracht, aber ich bin nicht sicher, ob er sie noch in den Safe stellen konnte ... mr. Reese kam ungefähr zur selben Zeit.«
»mit einer Flasche Stolichnaya vermutlich«, bemerkte ich. Zach Reese, einer der ältesten und besten Freunde meines Vaters, war ein abstrakter maler, dessen werke sich in den frühen achtzigern gut verkauft hatten. Sie waren immer noch recht gefragt, obwohl Zach kaum noch etwas neues erschuf. Er saß lieber im hinterzimmer der galerie seines besten Freundes und ließ die ruhmreichen Tage von Basquiat und David hockney wiederaufleben. »was war diesmal der anlass?«, fragte ich.
»Eine willkommensparty für die Pissarros«, sagte maia und rollte mit den augen. »Zu schade, dass sie nicht verkauft wurden«, setzte sie dann hinzu. »aber Sie wissen ja, was man über Schneegemälde sagt ...«
»Sie verkaufen sich nicht während einer Rezession. wobei wir beim Thema wären - gab es kundschaft?«
»nur ein paar feine Damen aus Long island, die sich hier nach dem Schlussverkauf bei marc Jacobs kurz die Zeit vertrieben haben. Sie redeten unaufhörlich über ihre neuen Sparmaßnahmen: Dass sie ihre haarstylistin so lange in die Zange genommen haben, bis sie für einen Bruchteil der kosten zu ihnen nach hause kam, und dass sie ihren Töchtern nur noch eine einzige marc-Jacobs-Tasche pro nase zugestehen würden.«
»wow, da sieht es ja wirklich überall ganz schlecht aus!« ich zwang mich zu lachen, obwohl mir bei dem gedanken, dass schon die Ladys von Long island den geldbeutel enger schnürten, ziemlich mulmig wurde. Rund um die weihnachtszeit machte ich allgemein gute geschäfte mit monogrammanhängern, die sich ansonsten das ganze Jahr über auch anlässlich der geburtstage erwachsen werdender Töchter, konfirmationen oder Bat mizwas recht gut verkauften. »ich werde dafür sorgen, dass die Pissarros eingeschlossen werden. Danke, dass Sie auf mich gewartet haben.«
»gern geschehen. ich wollte sowieso noch zu einer Show in der knitting Factory und musste ein bisschen Zeit totschlagen. Schönes wochenende.«
ich folgte maia zur Vordertür und schloss diese hinter ihr zweimal ab. Dann dimmte ich das Licht, stellte das Sicherheitssystem auf nachtbetrieb und aktivierte die Bewegungsmelder. anschließend betrat ich den schmalen korridor, der zum Treppenhaus und zum hinterzimmer führte. noch während ich die galerietür hinter mir schloss, konnte ich Zach Reeses heiseres Lachen hören.
»... und dann hat er gesagt, ›Sie haben draufgepisst, damit haben Sie es auch gekauft‹ und hat ihm die Rechnung gegeben.« Es war eine alte geschichte aus Zachs frühen Tagen in warhols Factory, und eine, die er stets in besonders schlechten Zeiten erzählte, um Roman zum Lachen zu bringen. normalerweise brüllte mein Vater vor Begeisterung, aber an diesem abend war nur Zach Reeses Johlen zu hören, das seinen breiten mittelwest-akzent verriet.
mein Vater sah auf, als ich das Büro betrat, und an seinem angestrengten Blick erkannte ich, dass er auf mich gewartet hatte. Er hat in letzter Zeit nicht richtig gegessen, dachte ich, als mir seine eingesunkenen wangen und der unruhige Schimmer in seinen dunklen augen auffiel, und auch nicht gut geschlafen. Dass meine Eltern älter waren als die anderer kinder - Roman war achtundfünfzig, als ich zur welt kam, meine mutter fünfundvierzig -, hatte mir nie etwas ausgemacht, weil Roman so vital war, und
Deutsche Erstausgabe 08/2010 Redaktion: Sabine Thiele Copyright © 2010 by Carol Goodman and Lee Slonimsky Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random house GmbH
Erst, als ein plötzlicher, heftiger guss mich zwang, in einem Eingang Schutz zu suchen, erkannte ich, dass ich mich verirrt hatte. Durch den Vorhang aus Regen sah ich, dass ich mich in einer schmalen, kopfsteingepflasterten Straße befand. Von den Straßenecken war ich zu weit entfernt, als dass ich durch den dichten nebel ein Schild hätte erkennen können. wo mochte ich sein - irgendwo im west Village, oder vielleicht auch in Tribeca? hatte ich die Canal Street überquert? Dieser Teil der Stadt hatte sich unglaublich verändert, war in den letzten Jahren so viel trendiger geworden, dass alles ganz anders aussah. allerdings befand ich mich offenbar in der nähe des Flusses. Der wind wehte von westen, brachte den geruch des hudson und des atlantiks mit, der sich weit hinter der Bucht erstreckte. an kühlen herbsttagen wie diesen, an denen tiefhängende wolken die Dächer der gebäude einhüllten und der nebel die harten Linien von Backstein und granit aufweichte, stellte ich mir gern vor, in einem längst vergangenen manhattan unterwegs zu sein: in einem holländischen hafen, in dem händler und kaufleute aus der alten welt anlegten, um ihr glück zu machen, und nicht in einem Finanzzentrum, das am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs stand.
inzwischen war ich bis auf die haut durchnässt und zitterte vor kälte. Schließlich wandte ich mich zu der Tür in meinem Rücken, um zu sehen, ob ich dort eine adresse entdecken konnte. Stattdessen starrte mich eine große Frau mit wildem Blick an: Das lange schwarze haar hing ihr strähnig ins gesicht und ließ sie wie einen Rachegeist aus einem japanischen horrorfilm erscheinen. Es war mein eigenes Spiegelbild. Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass ich, als ich am morgen das haus verlassen hatte, eine einigermaßen attraktive sechsundzwanzigjährige Frau gewesen war, aber die schlechten neuigkeiten und der Regen hatten ihre Spuren hinterlassen. ich schob mir das haar hinter die Ohren und bückte mich, um nach einer adresse zu suchen, aber die goldenen Lettern an der Tür waren schon lange verwittert und hatten lediglich eine Spur goldstaub wie einen Zauberschleier und ein paar versprengte Buchstaben hinterlassen. Das einzig erkennbare wort war Dunst oder, wie ich überlegte, vielleicht auch Kunst; allerdings befand sich hier jetzt keine kunsthandlung mehr. Es war ein antiquitätengeschäft, das ließ sich zweifelsfrei an den auslagen im Schaufenster erkennen: georgianisches Silber, Saphir-und Diamant- ringe, goldene Taschenuhren, alle wunderschön, aber für meinen geschmack ein wenig zu edel. Durch die glastür entdeckte ich, dass der ganze Laden wie ein kleines Schmuckkästchen aussah, die wände mit dunklem holz getäfelt, die funkelnden glasvitrinen mit granatfarbenem Samt ausgeschlagen. Ein Vorhang aus weinrotem Damast hing hinter dem polierten mahagonitresen mit sinnlichen art-nouveau-kurven. Der weißhaarige mann, der hinter dem Tresen saß, sah aus, als hätte man ihn so sorgfältig dort platziert wie eine Perle in einer Onyx-Brosche. Er untersuchte etwas unter einer Uhrmacherlupe, doch dann blickte er auf - ein auge grotesk durch die Linse vergrößert - und sah mich im Eingang stehen. Sofort griff er unter den Ladentisch und drückte einen knopf, um mich einzulassen.
Ich kann schnell nach dem Weg zur nächsten U-Bahn- Station fragen, dachte ich, als ich die Tür öffnete. nun wollte ich allerdings nicht so unhöflich sein, das sofort zu tun. ich hasste es, wenn Touristen den kopf in unsere kunstgalerie steckten, nur um nach dem weg zu fragen. Zunächst einmal würde ich mich umsehen, obwohl ich bezweifelte, dass dieses geschäft die art von Siegelringen führte, wie ich sie für meine gussformen benutzte, und ohnehin kaufte ich kaum noch für mich selbst ein - etwas, das sich in Zukunft sicherlich auch nicht ändern würde. an meinem rechten Ringfinger trug ich den silbernen Siegelring, den meine mutter mir zum sechzehnten geburtstag geschenkt hatte. in das Silber war ein Schwan mit gebogenem hals und ausgebreiteten Flügeln eingraviert, der sich in die Luft erheben wollte - wie man in der wappenkunde sagte, ein auffliegender Schwan. Das Tier umgaben in Spiegelschrift, so dass die Buchstaben im abdruck richtig herum erscheinen würden, die worte: Rava avis in terris, nigroque simillima cygno.
»Ein seltener Vogel auf der Erde, sehr ähnlich einem schwarzen Schwan«, hatte meine mutter es mir übersetzt. »Das ist es, was du bist, garet, ein seltener Vogel. Einzigartig. Lass dir von niemandem einreden, du müsstest genauso sein wie alle anderen.«
Jemand hatte mit dem Finger so oft über die worte gestrichen, dass sie kaum noch zu lesen waren, und feine Risse durchdrangen das Bild, aber wenn ich den Ring in heißes wachs drückte, waren der Schwan und die worte bemerkenswert klar. meine mutter, die als Lehrling bei asprey's in London gearbeitet hatte, hatte mir gezeigt, wie man eine gussform von dem wachsabdruck fertigte und dann ein medaillon darin goss - ebenjenes medaillon, das ich heute trug, so wie jeden Tag. mit der Zeit hatten mich so viele Leute darauf angesprochen, dass ich mich auf die Suche nach anderen Siegelringen begeben und weitere, ähnliche Stücke angefertigt hatte, die ich dann unter den Schülern und Lehrern meiner high school und den kunden in der kunstgalerie verkaufte. ich hatte genug davon gemacht, um im FiT, dem Fashion institute Of Technology, erfolgreich einen kurs für Schmuckdesign zu absolvieren und im obersten Stockwerk unseres hauses ein kleines Unternehmen mit einer werkstatt einzurichten, das ich nach dem lateinischen wort für Schwan Cygnet Design genannt hatte. auch jetzt, vier Jahre später, lief die Firma gut, aber ich verdiente längst nicht so viel, als dass ich den großen Schuldenberg hätte abtragen können, den uns mein Vater eingebrockt hatte.
Wie viele meiner Kunden werden sich in diesen schweren Zeiten weiterhin kleine Schmuckstücke wie ein Medaillon leisten, fragte ich mich, als ich das geschäft betrat. Wie lange werden kuriose Unternehmen wie das meine - oder dieses hier - noch bestehen können, wenn sich die Lage erst richtig zuspitzt?
Falls der Eigentümer des Ladens sich gegenwärtig um seinen Umsatz sorgte, dann zeigte er es nicht. Er spielte weiterhin mit der Uhr, die er reparierte, während ich den Blick über die Regale streifen ließ. Sie enthielten eine seltsame Zusammenstellung verschiedener Dinge. Es gab medaillons, geöffnet dargeboten, so dass sie sepiafarbene Fotos unter stumpfem glas preisgaben, und Broschen, die man aus den haaren Verstorbener gefertigt hatte. Viele der Ringe und Broschen waren mit Urnen, weidenbäumen und Tauben verziert - Symbolen, die traditionell für Trauer stehen. Ein ganzes Regal enthielt nichts weiter als Broschen mit gemalten augen. Von ihnen hatte ich anlässlich eines Seminars in Schmuckgeschichte schon einmal etwas gelesen. man nannte sie Liebaugenbroschen, und sie waren im georgianischen England in mode gekommen, nachdem der Prinz von wales seinen hofmaler angewiesen hatte, lediglich die augen seiner geliebten zu porträtieren, damit niemand ihre identität würde erraten können. ich hatte abbildungen in Büchern und ein oder zwei dieser Stücke in antiquitätengeschäften gesehen, aber es war befremdlich, so viele der körperlosen augen an einem Ort vorzufinden.
»Sind Sie auf der Suche nach etwas Bestimmtem?«
Die Frage erklang so leise, dass ich einen augenblick lang dachte, sie lediglich in meinem kopf gehört zu haben. Unwillkürlich antwortete ich ebenfalls nur in gedanken: Nach einer Lösung für meine Probleme, sonst brauche ich nichts. Dann sagte ich laut: »ich bin immer auf der Suche nach Siegelringen für meine Schmuckentwürfe.« Dabei hob ich mein kettchen, damit der mann den anhänger betrachten konnte. Er hielt sein Vergrößerungsglas hoch und beugte sich über den Tresen, um das medaillon besser sehen zu können.
kaum hatte er das motiv erkannt, senkte er das glas und sah auf. Seine augen hatten eine seltsame Bernsteinfarbe, die in dem tiefgebräunten gesicht, das von schneeweißem haar und einem sorgfältig gestutzten Spitzbart eingerahmt wurde, besonders überraschte.
»Sind Sie zufällig garet James, die inhaberin von Cygnet Designs?«, fragte er.
»Ja, tatsächlich«, sagte ich erfreut. Zwar war in der Presse gelegentlich positiv über mich berichtet worden, aber ich war es nicht gewöhnt, dass man mich erkannte. »Das bin ich. Es überrascht mich, dass ein antiquitätenhändler das weiß.«
»ich versuche, mit der modernen Zeit Schritt zu halten «, sagte er. als er lächelte, durchzogen millionen kleiner Fältchen seine bronzefarbene haut. ich stellte mir vor, dass er einige Zeit zur See gefahren war, wo er am Bug eines Schiffes in die Sonne geblinzelt und dem Regen getrotzt hatte, aber es wahr wohl wahrscheinlicher, dass er ein bisschen zu oft seine Runden auf dem golfplatz drehte. »Letzte woche habe ich den artikel im New York Magazine gelesen. ich bewundere, wie Sie alte materialien verwenden, um daraus etwas neues zu erschaffen. Sie sind eine echte künstlerin.«
»nur eine handwerkerin«, wehrte ich schnell ab.
»Sie sind zu bescheiden.«
»nein, das bin ich nicht. ich kenne den Unterschied.« Schließlich war ich unter diesen Leuten aufgewachsen - unter malern und Bildhauern -, und ich wusste, was es bedeutete, ein echter künstler zu sein. aber all das musste ich diesem Fremden nicht auf die nase binden, ebenso wenig wie die Tatsache, dass ich alles sein wollte, nur eben keine künstlerin.
Er kniff leicht die augen zusammen. »ich habe mir ihre Entwürfe auf ihrer webseite angesehen. aber ich glaube, dieses Design hier war nicht darunter.«
»nein. Es war das erste medaillon, das ich je gemacht habe ... von diesem Ring.« ich streckte die hand aus, damit er den Siegelring betrachten konnte. »ich habe es nie wieder verwendet.«
Der Juwelier nahm meine hand und hielt sie an seine Lupe, um den Ring besser in augenschein nehmen zu können. Seine Finger waren kalt und gepudert, und er hielt meine hand länger fest, als notwendig zu sein schien.
Vielleicht hatte er Schwierigkeiten, den wahlspruch zu entziffern.
»Die worte stehen in Spiegelschrift. Es heißt: ›Ein seltener Vogel ...‹«
»ich kenne diesen Spruch sehr gut«, sagte er, ließ meine hand abrupt los und sah wieder hoch. »Dieses wappen habe ich tatsächlich schon einmal gesehen ... warten Sie ... ich zeige es ihnen ...«
Bevor ich protestieren konnte, erhob sich der Juwelier von seinem Stuhl. Er war größer, als ich vermutet hatte, und auch kräftiger. Die lange, weite Strickjacke, die er trug, hatte seine körpermaße im Sitzen gut verborgen, aber nun, da er sich aufrichtete, besaß er eine recht beeindruckende Präsenz. Vermutlich hatte er in etwa das alter meines Vaters - mitte achtzig -, aber während Roman in jüngster Zeit recht gebrechlich geworden war, erschien dieser mann mächtig. geradezu befremdlich mächtig, als seien die Strickjacke und das weiße haar reine Tarnung.
Er entschuldigte sich und verschwand hinter dem braunen Brokatvorhang. ich wollte mich noch einmal in dem geschäft umsehen, aber es war zu klein, als dass man sich wirklich darin hätte umdrehen können, und egal, wo ich stand, immer schienen mir die körperlosen augen zu folgen. also starrte ich lieber durch das beschlagene Fenster hinaus auf die regennasse Straße. wieso wartete ich überhaupt? ich hatte ganz sicher nicht die absicht, etwas zu kaufen. nicht nach den nachrichten, die mir an diesem morgen vom anwalt meines Vaters, Charles Chennery, auf seine unverblümte, knappe Connecticut-art mitgeteilt worden waren. Vor fünf monaten hatte mein Vater sich von einem wall-Street-Unternehmen 2,5 millionen Dollar geliehen und als Sicherheit das auf vier millionen Dollar geschätzte Stadthaus an der west 12th Street eintragen lassen. Er hatte das geld dazu verwendet, um damit verschiedene gemälde zu erwerben - Schnäppchen, wie er Charles versicherte -, deren wert bei einem wiederverkauf mit fünf millionen veranschlagt wurde. aber dann war mit den Finanzmärkten im herbst auch der kunstmarkt zusammengebrochen. Ein großer Teil der Bilder war bei auktionen nicht einmal verkauft worden, und wenn doch, dann für wesentlich weniger, als mein Vater sich erhofft hatte. Doch das größte Problem war, dass in diesen Zeiten vielfach sogar Darlehen, die als gut abgesichert galten, vorzeitig wieder zurückgefordert wurden. (»niemand liest das kleingedruckte«, hatte Chennery düster angesichts meiner überraschung erwidert, dass investment-Banken so etwas taten.) Da der wert des Stadthauses mit jedem Tag geringer wurde, wollten die kreditgeber keine Risiken mehr eingehen. Und so drohte das wall-Street-Unternehmen nun damit, das haus und die galerie in dreißig Tagen zu übernehmen (am 11. Januar, rief ich mir erneut ins gedächtnis), falls wir die anleihe nicht würden zurückzahlen können. Chuck Chennery hatte verschiedene möglichkeiten skizziert, um die hypothek neu zu finanzieren, aber keine dieser Optionen hatte sich auch nur ansatzweise als machbar dargestellt. wenn wir eine Umschuldung vornahmen, würden wir zwar mehr Zeit zur Begleichung der Schulden haben, aber wesentlich höhere Zinsen zahlen. wir würden jeden monat mit fünfzigtausend Dollar in der kreide stehen. wie sollten wir bei der jetzigen marktsituation solche Summen auftreiben? Und wenn wir die galerie verkauften, um die Schulden zu bezahlen, wovon sollten wir dann leben? Und vor allem, wo? Das haus war nicht nur unsere geschäftsadresse, sondern auch unser heim. Schon allein bei dem gedanken bekam ich das gefühl, als würde ich seekrank. kein wunder, dass ich mich auf dem weg hierher verlaufen hatte.
»Ja, ich hatte Recht, das wappen hier ist beinahe identisch mit dem auf ihrem Ring und dem medaillon.« Die Stimme des geschäftsinhabers drängte sich in den Strudel finanziellen Ruins, der in meinem kopf immer größere kreise zog. »ich glaube tatsächlich, dass es sich um dasselbe wappen handeln könnte.«
ich wandte mich um und betrachtete das Objekt, das er auf ein blaues Samttuch auf dem gläsernen Tresen stellte. Es war ein flaches, silbernes kästchen, ungefähr von derselben größe wie mein 13-Zoll-macBook, und es war so angelaufen, dass ich die gravur selbst dann kaum erkennen konnte, als ich mich hinunterbeugte. Es wunderte mich, dass der Besitzer eines so tadellos sauberen Ladens es zugelassen hatte, dass dieser gegenstand in einen so desolaten Zustand geriet. konzentriert musterte ich die Verzierungen auf der Oberseite der Schatulle und suchte nach dem wappen, von dem er gesprochen hatte, aber der Deckel zeigte lediglich ein abstraktes muster konzentrischer Ovale.
»Das wappen ist hier«, sagte er und deutete auf die Stelle vorn an der kante, wo sich ein Verschluss hätte befinden sollen. Doch anstelle eines solchen - oder vielleicht auch darüber - war dort eine runde Silberscheibe, die den Deckel versiegelte. Der Rand dieser Silberoblate war nicht ganz gleichmäßig und teilweise etwas aufgeworfen, genau wie ein Tropfen wachs, in den man einen Siegelring gedrückt hatte. Es sah tatsächlich ganz ähnlich aus wie die medaillons, die ich aus den wachsabdrücken herstellte. Vor allem aber war das motiv tatsächlich das gleiche wie auf meinem Ring: der Schwan, der die Flügel spreizte, der gleiche lateinische wappenspruch ... war das möglich?
Vorsichtig beugte ich mich zu der Schatulle hinunter, und der Juwelier reichte mir wortlos seine Lupe. ich hob sie an mein rechtes auge, und kurz erschreckte mich ein kribbeln statischer Energie, das über meine augenbraue und den wangenknochen rann, als habe der Juwelier das metall elektrisch aufgeladen. ich ging so nahe heran, bis das Siegel durch die dicke Linse klar zu erkennen war. Feine Linien durchzogen das metall. aus Erfahrung wusste ich, dass sie von den Rissen in dem Siegel stammten, das den abdruck hinterlassen hatte. ich sah auf den Ring an meinem Finger und auf das kästchen. Die Linien stimmten überein.
»Das ist faszinierend«, sagte ich, als ich mich wieder streckte, die Lupe noch immer vor dem auge, und den Juwelier ansah. Der alte mann verschwamm leicht in meinem Blickfeld, die Umrisse seines körpers waren verwischt und durchbrochen wie durch Sonnenflecken. Eine wolke aus schimmerndem Licht, als hätte man einen Schwarm glühwürmchen im Laden losgelassen, schwebte über seinem kopf. ich legte die Lupe ab und schloss die augen, um meinen Blick zu klären.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich, »ich habe öfters ...«
»augenflimmern? metamorphopsie?«, fragte der Juwelier und nannte damit zwei Symptome der optischen migräne, einer krankheit, die mich seit meiner Jugendzeit heimsuchte.
»Genau. Dann leiden Sie wohl auch daran?«
»Viele von uns tun das«, sagte er rätselhafterweise.
wen meinte er mit uns? Der mann war wirklich ein wenig seltsam. ich sollte mich nach dem richtigen weg erkundigen und gehen. Jedenfalls hatte ich nicht die geringste absicht, die Schatulle zu kaufen. nicht, dass ich das nicht gern getan hätte. Vielmehr hatte ich geradezu das gefühl, sie sollte mir gehören. wie groß war die wahrscheinlichkeit, auf ein Objekt zu stoßen, das mit genau jenem Siegelring verschlossen worden war, den mir meine mutter gegeben hatte? Und das noch dazu ausgerechnet an diesem Tag, als alles andere in meinem Leben so düster erschien?
Doch genau das war der grund, weshalb ich nicht einmal daran denken durfte, einen derart nutzlosen gegenstand zu erwerben - unter den gegebenen wirtschaftlichen Umständen wäre das leichtsinnig und dumm gewesen. Dennoch ... ich malte mir bereits aus, wie ich das Silber polierte, bis es leuchtete ... Sanft legte ich die Spitze meines Fingers auf die Oberfläche des kästchens, stellte mir vor, wie das wirbelnde muster aus der Umklammerung des angelaufenen metalls hervorbrach ... und zuckte zusammen, als ich sah, dass die fein gravierten Linien plötzlich blau schimmerten. ich beugte mich hinunter und verfolgte voll Staunen, wie die glühenden Linien wellen schlugen, sich verbogen und sich von meiner Fingerspitze ausgehend weiter ausbreiteten, als sei das kästchen aus wasser und nicht aus Silber, und die glatte Oberfläche sei von meiner Berührung wie von einem geworfenen Stein durchbrochen worden.
als ich den Finger wegzog, wurden die Linien wieder ruhig und stumpf. ich sah auf und bemerkte, dass der Juwelier das kästchen anstarrte. Langsam hob er die au- gen. in ihnen schien dasselbe Licht zu glühen, das ich gerade zuvor auf der Schatulle hatte schimmern sehen. Sein Blick war so bohrend, dass ich fürchtete, etwas Falsches getan zu haben. Vielleicht hatte ich das kleine Behältnis beschädigt. aber anstatt mir das kistchen wegzunehmen, schob er es mir entgegen. »ich möchte ihnen einen Vorschlag unterbreiten«, sagte er.
»was?«, fragte ich, von seiner wortwahl aufgeschreckt.
»ich möchte einen handel mit ihnen abschließen.« Seine hände zuckten zwischen dem Siegel auf dem kästchen und meinem Ring hin und her. Sie zitterten. als ich das geschäft betreten hatte, hatten seine Finger ohne den geringsten Tremor die Uhrmacherwerkzeuge festgehalten, aber nun bebten sie in der Luft wie die Flügel eines Schmetterlings.
»Es tut mir leid«, sagte ich und fürchtete, den mann noch weiter aufzuregen. »ich verstehe nicht. ich kann ihnen nichts anbieten ...«
»Sie können mir ihre Dienste anbieten.« Er schlang die hände ineinander und zwang ein höfliches Lächeln auf seine Lippen.
»welche Dienste?« Plötzlich wurde mir bewusst, wie allein wir hier waren, in diesem kleinen Laden in dieser verlassenen Straße, mit abgeschlossener Vordertür und dem heftigen Regen, der uns wie ein Vorhang aus silbernen kettengliedern vom Rest der welt isolierte. war der mann verrückt? in seinen augen lag ein hektischer Schimmer, und er wrang die hände, als habe er angst, sie würden aus eigenem antrieb davonfliegen.
»ihre Dienste mit Lötkolben und Zinn. ich habe gesehen, welch herrliche arbeiten Sie für Cygnet Designs gefertigt haben ... und Sie machen doch auch metallskulpturen, oder? wenn ich mich recht erinnere, dann hatten Sie letztes Jahr eine ausstellung in Chelsea ... ich habe für diese spezielle arbeit genau nach jemandem wie ihnen gesucht. Es ist sehr heikel, verstehen Sie ...« Er löste die hände und deutete auf den Rand des kästchens. Zwei Dinge fielen mir dabei auf. Er berührte das kleine Behältnis nicht, und seine Fingernägel zeigten denselben gelbton wie seine augen. »Die Schatulle ist ringsum versiegelt worden.«
ich folgte seinem Blick und sah, was er meinte. an der kante zwischen Deckel und korpus verlief ein dünner Strich aus metall, der im gegensatz zum Silber des kästchens überhaupt nicht angelaufen war. Er schimmerte wie geschmolzenes Quecksilber. Jemand hatte die kleine kiste zugelötet und dann das Siegel darauf gedrückt, als sei sie ein Brief, der nur von seinem bestimmungsgemäßen Empfänger geöffnet werden durfte. Und ich war diejenige, die das passende Siegel besaß.
»Das ist seltsam.«
»Ja, und sehr lästig. ich kann eine derart versiegelte Schatulle schlecht verkaufen. wenn es ihnen gelingt, sie zu öffnen, gebe ich ihnen das Siegel und zahle ihnen tausend Dollar.«
»Das ist eine menge geld ...«
»nicht für eine so heikle arbeit. mir ist es die Sache wert, jemanden von ihren Fähigkeiten mit dieser aufgabe zu betrauen ... und davon einmal abgesehen, glaube ich, dass das Schicksal Sie heute hierhergeführt hat, und wer wären wir denn, dass wir die möglichkeiten beiseitestießen, die uns das Schicksal derart auf dem Silbertablett serviert?«
Ja, wer? nach den finsteren Enthüllungen über unsere finanzielle Situation heute früh - sollte ich da nicht ein geschenk annehmen, das mir das Schicksal geradezu in den Schoß legte? Tausend Dollar würden meine geldprobleme nicht lösen, aber dennoch, konnte ich es mir wirklich leisten, einen bezahlten auftrag abzulehnen?
»Okay«, sagte ich und streckte die hand aus. »ich bin einverstanden. ich werde das kästchen heute abend öffnen und es ihnen morgen früh zurückbringen.«
Der Juwelier nahm die Schatulle mit dem blauen Samttuch auf, und ich erkannte, dass es sich dabei um einen Schmuckbeutel handelte. als er sie mir reichte, hörte ich, dass sich etwas darin bewegte; ein Rascheln erklang, als ob der wind durch herbstlaub fuhr.
»Oh, und ich hätte auch gern die Papiere, die sich darin befinden«, sagte er, als ich das kästchen an mich nahm. Es war schwerer, als ich erwartet hatte. als ich es betrachtete, sah ich, dass sich die Linien wieder bewegten. Es muss eine Täuschung sein, die durch das Design entsteht - ein trompe l'oeil. aber statt sich auszubreiten, zogen sich die Linien nun zusammen, türmten sich auf und rollten dahin wie die wogen des meeres, angezogen von der kraft des mondes. Einen augenblick lang war der Raum vom brackigen atem der Ebbströmung erfüllt. ich schüttelte mich, um die illusion zu vertreiben, und bevor der mann seine meinung über den auftrag ändern konnte - oder ich selbigen ablehnen. Dann ließ ich das kästchen in den samtenen Beutel gleiten und verstaute es in meiner geräumigen kuriertasche - meine Mary-Poppins- Tasche, wie meine Freundin Becky immer sagte. Schließlich bedankte ich mich bei dem Juwelier und ging hinaus in den Regen.
mein Fuß hatte kaum den Bürgersteig berührt, als ein Taxi erschien. Seine Leuchtanzeige schien wie der Lichtkegel eines Leuchtturms durch den nebel und den Regen und verkündete, dass es frei war. meine guten Vorsätze hinsichtlich der Sparsamkeit vergessend, winkte ich den wagen heran und sank dankbar auf den Rücksitz. Dann gab ich dem Fahrer meine adresse und schloss die augen, um weitere subjektive Sehstörungen abzuwehren, die meine migräne mit sich brachte. Erst, als das Taxi vor unserem haus hielt, wurde mir klar, dass ich weder den namen noch die adresse des Juweliers wusste - oder mir auch nur gemerkt hatte, in welcher Straße das geschäft lag. ich hatte keine ahnung, wie ich die Schatulle zurückbringen sollte, sobald sie geöffnet war.
Verschneite Felder in Frankreich
Zwar hatte die galerie geschlossen, aber maia, unsere Rezeptionistin, war noch da. Seltsamerweise schien sie immer länger und engagierter zu arbeiten, seit wir sie nur noch für drei Tage die woche bezahlen konnten. Der »Berater«-Status, den wir ihr angeboten hatten - inklusive einer kleinen Beteiligung an jedem Verkauf anstelle des gehalts für zwei Tage -, kam ihr offenbar entgegen, obwohl wir kein geheimnis daraus gemacht hatten, welches Risiko die Rezession für den Bestand der galerie bedeutete.
»ich wollte ihnen nur sagen, dass die Pissarros von Sotheby's zurückgekommen sind«, erklärte sie, während sie in einen taubengrauen Brokatmantel schlüpfte, der aussah, als hätte ihn auch ein höfling zur Zeit karls ii. tragen können, wenngleich vermutlich nicht in der kombination mit einem paisleygemusterten Samtminirock und Ugg-Boots. »mr. James hat sie ins hintere Büro gebracht, aber ich bin nicht sicher, ob er sie noch in den Safe stellen konnte ... mr. Reese kam ungefähr zur selben Zeit.«
»mit einer Flasche Stolichnaya vermutlich«, bemerkte ich. Zach Reese, einer der ältesten und besten Freunde meines Vaters, war ein abstrakter maler, dessen werke sich in den frühen achtzigern gut verkauft hatten. Sie waren immer noch recht gefragt, obwohl Zach kaum noch etwas neues erschuf. Er saß lieber im hinterzimmer der galerie seines besten Freundes und ließ die ruhmreichen Tage von Basquiat und David hockney wiederaufleben. »was war diesmal der anlass?«, fragte ich.
»Eine willkommensparty für die Pissarros«, sagte maia und rollte mit den augen. »Zu schade, dass sie nicht verkauft wurden«, setzte sie dann hinzu. »aber Sie wissen ja, was man über Schneegemälde sagt ...«
»Sie verkaufen sich nicht während einer Rezession. wobei wir beim Thema wären - gab es kundschaft?«
»nur ein paar feine Damen aus Long island, die sich hier nach dem Schlussverkauf bei marc Jacobs kurz die Zeit vertrieben haben. Sie redeten unaufhörlich über ihre neuen Sparmaßnahmen: Dass sie ihre haarstylistin so lange in die Zange genommen haben, bis sie für einen Bruchteil der kosten zu ihnen nach hause kam, und dass sie ihren Töchtern nur noch eine einzige marc-Jacobs-Tasche pro nase zugestehen würden.«
»wow, da sieht es ja wirklich überall ganz schlecht aus!« ich zwang mich zu lachen, obwohl mir bei dem gedanken, dass schon die Ladys von Long island den geldbeutel enger schnürten, ziemlich mulmig wurde. Rund um die weihnachtszeit machte ich allgemein gute geschäfte mit monogrammanhängern, die sich ansonsten das ganze Jahr über auch anlässlich der geburtstage erwachsen werdender Töchter, konfirmationen oder Bat mizwas recht gut verkauften. »ich werde dafür sorgen, dass die Pissarros eingeschlossen werden. Danke, dass Sie auf mich gewartet haben.«
»gern geschehen. ich wollte sowieso noch zu einer Show in der knitting Factory und musste ein bisschen Zeit totschlagen. Schönes wochenende.«
ich folgte maia zur Vordertür und schloss diese hinter ihr zweimal ab. Dann dimmte ich das Licht, stellte das Sicherheitssystem auf nachtbetrieb und aktivierte die Bewegungsmelder. anschließend betrat ich den schmalen korridor, der zum Treppenhaus und zum hinterzimmer führte. noch während ich die galerietür hinter mir schloss, konnte ich Zach Reeses heiseres Lachen hören.
»... und dann hat er gesagt, ›Sie haben draufgepisst, damit haben Sie es auch gekauft‹ und hat ihm die Rechnung gegeben.« Es war eine alte geschichte aus Zachs frühen Tagen in warhols Factory, und eine, die er stets in besonders schlechten Zeiten erzählte, um Roman zum Lachen zu bringen. normalerweise brüllte mein Vater vor Begeisterung, aber an diesem abend war nur Zach Reeses Johlen zu hören, das seinen breiten mittelwest-akzent verriet.
mein Vater sah auf, als ich das Büro betrat, und an seinem angestrengten Blick erkannte ich, dass er auf mich gewartet hatte. Er hat in letzter Zeit nicht richtig gegessen, dachte ich, als mir seine eingesunkenen wangen und der unruhige Schimmer in seinen dunklen augen auffiel, und auch nicht gut geschlafen. Dass meine Eltern älter waren als die anderer kinder - Roman war achtundfünfzig, als ich zur welt kam, meine mutter fünfundvierzig -, hatte mir nie etwas ausgemacht, weil Roman so vital war, und
Deutsche Erstausgabe 08/2010 Redaktion: Sabine Thiele Copyright © 2010 by Carol Goodman and Lee Slonimsky Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random house GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Lee Carroll
Lee Carroll studierte Betriebswirtschaft an der California Western University in Point Loma in Kalifornien, USA. Im Alter von 48 Jahren begann er mit seiner wahren Lebensbestimmung: der Übermittlung der Botschaften von Kryon. Dabei gelingt es ihm in wunderbarer Weise, sich selber als ganzen Menschen, mit all seiner Skepsis, seinen Zweifeln und Ängsten sowie mit all seinem staunenden Berührtsein, seinem Humor und seiner logischen Vorgehensweise einzubringen. Lee ist derzeit zu Hause in San Diego weiterhin schriftstellerisch tätig. Er lebt dort mit seiner Ehefrau Patricia und seinem Malteser Mini.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lee Carroll
- 2010, 511 Seiten, Maße: 13,5 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Borchardt, Kirsten
- Übersetzer: Kirsten Borchardt
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 345352697X
- ISBN-13: 9783453526976
Kommentare zu "Silberner Fluch"
0 Gebrauchte Artikel zu „Silberner Fluch“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Silberner Fluch".
Kommentar verfassen