So finster die Nacht
Als in dem Stockholmer Vorort Blackeberg die Leiche eines Jungen gefunden wird, geht die Angst vor einem Ritualmörder um. Noch ahnt niemand, was tatsächlich geschehen ist. Auch der 12-jährige Oskar verfolgt fasziniert die Nachrichten. Wer könnte der...
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Als in dem Stockholmer Vorort Blackeberg die Leiche eines Jungen gefunden wird, geht die Angst vor einem Ritualmörder um. Noch ahnt niemand, was tatsächlich geschehen ist. Auch der 12-jährige Oskar verfolgt fasziniert die Nachrichten. Wer könnte der Mörder sein? Warum sind in der Nachbarwohnung die Fenster verhangen? Und wieso verhält sich seine neue Freundin Eli so seltsam? Eine fesselnde Geschichte über Liebe, Rache - und das Grauen.
"Der schwedische Stephen King"
DAGENS NYHETER
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In dem Stockholmer Vorort Blackeberg wird die Leiche eines Jungen gefunden. Sein Körper enthält keinen Tropfen Blut mehr. Alles deutet auf einen Ritualmörder hin.
Noch ahnt niemand, was tatsächlich geschehen ist. Auch der zwölfjährige Oskar verfolgt fasziniert die Nachrichten. Wer könnte der Mörder sein? Und warum sind in der Nachbarwohnung die Fenster stets verhangen ...
Eine fesselnde Geschichte über Liebe, Rache - und das Grauen.
Nacht von John Ajvide Lindqvist
LESEPROBEMittwoch, 21. OKTOBER 1981
»Und wasglaubt ihr, was das hier ist?«
Gunnar Holmberg, Polizeikommissar aus Vällingby, hielt eine kleine Tüte in die Höhe, die mit einem weißenPulver gefüllt war.
Möglicherweise Heroin, doch daswagte niemand auszusprechen. Niemand wollte in den Verdacht geraten, sich beiso etwas auszukennen. Insbesondere dann nicht, wenn man einen Bruder oder derBruder einen Freund hatte, der sich mit so etwas abgab. Sich einen Schusssetzte. Sogar die Mädchen blieben stumm. Der Polizist schüttelte die Tüte.
»Meint ihrvielleicht, das wäre Backpulver? Mehl?«
Verneinendes Gemurmel. Der Polizist sollte auch nichtdenken, dass Klasse 6 b aus lauter Idioten bestand. Es ließ sich zwar unmöglicherkennen, was in der Tüte war, aber in dieser Schulstunde ging es nun einmal umDrogen, sodass man gewisse Schlussfolgerungen ziehen konnte. Der Polizistwandte sich an die Lehrerin.
»Was bringt ihr denen im Haushaltsunterricht eigentlich bei?«
Die Lehrerin lächelte und zuckte mit den Schultern. DieKlasse lachte; der Bulle war okay. Einige Jungen hatten vor Beginn der Stundesogar seine Pistole anfassen dürfen. Sie war zwar nicht geladen, aber immerhin.
Es brodelte in Oskars Brust. Er kannte die Antwort auf dieFrage, und es tat ihm innerlich weh, nichts zu sagen, wenn er etwas wusste. Erwollte, dass der Polizist ihn anschaute. Ihn anschaute und etwas zu ihm sagte,wenn er die richtige Antwort gab. Es war dumm von ihm, dies zu tun, das wussteer, trotzdem streckte er die Hand in die Höhe.
»Ja?«
»Das ist Heroin, oder?«
»Das ist es.« Der Polizist sah ihnfreundlich an. »Wie hast du es erraten?«
Köpfe wandten sich zu ihm um, waren neugierig, was er nunantworten würde.
»Ach, ich ... lese viel und so.«
Der Polizist nickte.
»Das ist gut. Lesen ist gut.« Erschüttelte die kleine Tüte. »Dazu hat man leider keine Zeit mehr, wenn man dashier nimmt. Was glaubt ihr, wie viel könnte dieser Beutel hier wohl wert sein?«
Oskar musste nichts mehr sagen. Er hatte seinen Blick undseine Worte bekommen, hatte dem Polizisten sogar sagen dürfen, dass er viellas. Das war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte.
Er träumte sich fort. Sah den Polizisten nach der Schulstundezu ihm kommen und sich für ihn interessieren, sich zu ihm setzen. Dann würde erihm alles erzählen. Und der Polizist würde ihn verstehen. Ihm über die Haarestreichen und sagen, dass er ein guter Junge war; ihn hochheben, ihn im Armhalten und sagen ...
»Verdammte Petze.«
Jonny Forsberg bohrte ihm einengestreckten Finger in die Seite. Jonnys Bruder gehörte zu den Junkies, undJonny kannte eine Menge Worte, die sich die anderen Jungen in der Klasse raschgemerkt hatten. Jonny wusste vermutlich exakt, wie viel diese Tüte wert war,war aber keine Petze. Redete nicht mit den Bullen.
Es war Pause, und Oskar trödelte unentschlossen bei denKleiderhaken herum. Jonny wollte ihm wehtun - wie konnte er ihm am besten ausdem Weg gehen? Indem er im Schulflur blieb, oder indem er nach draußen ging?Jonny und die anderen aus seiner Klasse stürmten auf den Schulhof hinaus.
Ja richtig; der Polizist würde mit seinem Streifenwagen aufdem Schulhof stehen, und wer Interesse hatte, durfte zu ihm kommen und ihn sichanschauen. Jonny würde es nicht wagen, sich auf ihn zu stürzen, solange derPolizist dabei war.
Oskar ging zu den Türen und blickte durch die Glasscheibe.Seine Klassenkameraden hatten sich wie erwartet ausnahmslos um den Wagen desPolizisten geschart. Auch Oskar wäre gerne dort gewesen, aber das hatte keinenSinn. Jemand würde ihm ein Knie in den Bauch rammen, ein anderer seineUnterhose in die Poritze hochziehen, Polizist hin oder her.
Doch er bekam zumindest eine Galgenfrist, diese Pause. Erging auf den Schulhof hinaus und schlich sich auf die Rückseite desSchulgebäudes, zu den Toiletten.
In der Schultoilette lauschte er, räusperte sich. DasGeräusch hallte zwischen den Kabinen. Schnell zog er den Pinkelball aus seinerUnterhose, ein Stück Schaumgummi von der Größe einer Mandarine, das er sich auseiner alten Matratze zurechtgeschnitten hatte und das eine Öffnung hatte, indie er seinen Pimmel stecken konnte. Er roch daran.
War ja klar, natürlich hatte er sich ein bisschen in dieHose gemacht. Er spülte den Ball unter dem Wasserhahn aus, wrang möglichst vielWasser heraus.
Inkontinenz. Sonannte man das. Das hatte er in einer Broschüre gelesen, die er heimlich in derApotheke eingesteckt hatte. Größtenteils etwas, das alte Schachteln hatten.
Und ich.
Man könne Hilfsmittelkaufen, stand in der Broschüre, aber er hatte nichtdie Absicht, sein Taschengeld dafür zu vergeuden, sich in der Apotheke zuschämen. Und Mama würde er ganz bestimmt nichts erzählen; sie würde ihn sonstderart bemitleiden, dass er krank werden würde.
Er hatteseinen Pinkelball, und solange es nicht schlimmer wurde, funktionierte das ganzgut.
Schritte vor der Tür, Stimmen. Den Ball in die Handgepresst, schob er sich in eine der Kabinen und schloss hinter sich ab, als dieTür geöffnet wurde. Lautlos stieg er auf den Toilettensitz und kauerte sich sozusammen, dass seine Füße nicht zu sehen sein würden, falls jemand unter derTür hindurchsah. Er versuchte, nicht zu atmen.
»Schweiiinchen?«
Jonny, natürlich.
»Schweinchen, bist du hier?«
Und Micke. Die beiden Übelsten. Nein. Tomas war gemeiner,aber er machte nur selten bei etwas mit, das mit Schlägen und Schrammen zu tunhatte. Dafür war er zu smart. Tomas stand vermutlich draußen und schleimte sichbei dem Polizisten ein. Wenn sie den Pinkelball entdeckten, würde Tomas diesweidlich ausnutzen, um ihn dauerhaft zu beleidigen und zu demütigen. Jonny undMicke würden ihm nur ein paar knallen und es dabei belassen. In gewissem Sinnehatte er also Glück ...
»Schweinchen? Wir wissen, dass du hier bist.«
Sie versuchten die Tür zu öffnen. Rüttelten an der Tür.Schlugen gegen die Tür. Oskar schlang die Arme um die Knie und biss die Zähnezusammen, um nicht loszuschreien.
Gehtweg! Lasst mich in Ruhe! Warum könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?
Jetzt sprach Jonny mit samtener Stimme.
»KleinesSchweinchen, wenn du nicht bald herauskommst, müssen wir dich nach der Schuleeinkassieren. Willst du das?«
Einen Moment lang wurde es still, und Oskar atmetevorsichtig aus.
Dann attackierten sie die Tür mit Tritten und Schlägen. Esdonnerte in der Toilette, und der Türhaken wurde nach innen gebogen. Er sollteaufmachen, zu ihnen hinausgehen, bevor sie wütend wurden, aber er konnte eseinfach nicht.
»Schweiiinchen?«
Er hatte die Hand hochgereckt und behauptet, dass es ihngab, dass er etwas konnte. Das war verboten. Zumindest ihm. Sie fanden allemöglichen Gründe dafür, dass er gequält werden musste; er war zu dick, zuhässlich, zu eklig. Doch das eigentliche Problem bestand im Grunde darin, dasser überhaupt existierte, und jede Erinnerung an seine Existenz war einVerbrechen.
Vermutlich würden sie ihn nur »taufen«. Seinen Kopf in dieToilette tauchen und abziehen. Unabhängig davon, was sie sich einfallen ließen,war er stets unglaublich erleichtert, wenn es vorbei war. Warum konnte er alsonicht den Türhaken anheben, der ohnehin jeden Moment aufspringen würde, und sieihren Spaß haben lassen?
Er starrte auf den Türhaken, der mit einem Knacken ausseiner Gabel gebogen wurde, auf die Tür, die sich schlagartig öffnete und gegendie Kabinenwand knallte, auf Micke Siskovstriumphierend lächelndes Gesicht und wusste warum.
Weil dasSpiel so nicht lief.
Er hatte den Türhaken nicht angehoben, sie waren nichtinnerhalb von drei Sekunden über die Kabinenwand zu ihm hineingeklettert, weiles gegen die Spielregeln gewesen wäre.
Der Rausch der Jäger gebührte ihnen, der Schrecken desOpfers ihm. Hatten sie ihn gestellt, war der Spaßvorbei, und die eigentliche Bestrafung eher eine Pflicht, die erfüllt werdenmusste. Gab er zu früh auf, lief er Gefahr, dass sie ihre Energie nicht für dieJagd, sondern für seine Bestrafung einsetzen würden. Das wäre schlimmer.
Jonny Forsberg schob den Kopf vor.
»Hör mal, wenn du scheißen willst, musst du aber den Deckelaufmachen. Jetzt schrei gefälligst wie ein Schwein.«
Oskar schrie wie ein Schwein. Das gehörte dazu. Schrie erwie ein Schwein, bestraften sie ihn manchmal nicht. Diesmal strengte er sichganz besonders an, weil er fürchtete, sie könnten ihn sonst während derBestrafung zwingen, die Hand zu öffnen, und bei der Gelegenheit sein ekligesGeheimnis entdecken.
Er rümpfte die Nase zu einer Schweineschnauze und grunzteund schrie, grunzte und schrie. Jonny und Micke lachten. »Oh Scheiße,Schweinchen. Weiter.«
Oskar machte weiter. Kniff die Augen zusammen und machteweiter. Ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass sich die Fingernägel in seineHandteller bohrten, und machte weiter. Er grunzte und schrie, bis er einenseltsamen Geschmack im Mund hatte. Da hörte er auf und öffnete die Augen.
Sie warengegangen.
Er blieb zusammengekrümmt auf dem Toilettendeckel sitzen undstarrte zu Boden. Auf den Kacheln unter ihm war ein roter Fleck. Noch währender hinsah, fiel ein weiterer Tropfen Blut von seiner Nase zu Boden. Er zogetwas Toilettenpapier von der Rolle und hielt es sich vor die Nase.
Das passierte ihm manchmal, wenn ihn die Angst packte. Erbekam Nasenbluten, einfach so, was ihm ein paar Mal geholfen hatte, als sie ihneigentlich schlagen wollten, dann jedoch darauf verzichteten, weil er bereitsblutete.
Oskar Eriksson saßzusammengekauert mit einem Papierbausch in der einen Hand und dem Pinkelball inder anderen. Er blutete, bepinkelte sich, redete zu viel. Er leckte aus jedem Loch,das er hatte. Bald würde er bestimmt auch noch in die Hose kacken. DasSchweinchen.
Er stand auf, verließ die Toilette. Tat nichts gegen denBlutfleck auf dem Fußboden. Soll ihn doch ruhig jemand sehen, soll sich dochjemand wundern und glauben, dass hier ein Mensch getötet worden ist, weil hierein Mensch getötet worden war. Zum hundertsten Mal.
© 2004 by John AjvideLindqvist
© für die deutschsprachige Ausgabe 2007 by
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
Autoren-Porträtvon John Ajvide Lindqvist
Für Krimileser sind skandinavische Autoren längst keinGeheimtipp mehr, und so fügt sich auch der Schwede John Ajvide Lindqvistnahtlos in diese Erfolgsreihe ein.
Er wurde 1968 geboren und wuchs in Blackeberg auf, einemVorort von Stockholm. Das Bücherschreiben ist seine zweite Berufskarriere, erarbeitete zunächst als Standup-Comedian beim Fernsehen. Nun schreibt LindqvistHorrorthriller und wird in Schweden von Kritikern und Lesern als eines dergrößten Talente der schreibenden Zunft angesehen. Er hat bereits mehrere Romaneveröffentlicht, einige wurden übersetzt und machten ihn auch außerhalb Schwedensbekannt.
Als erste deutsche Übersetzung erschien 2007 "So finsterdie Nacht". In Schweden stand das Buch bereits monatelang auf derBestsellerliste. Die Geschichte spielt in Blackeberg, Lindqvists Heimatort, undbietet alles, was ein Horrorszenario ausmacht: blutsaugende Mörder, an denNerven zerrende Gruseleffekte, Fantasyelemente und menschliche Abgründe.Mehrere Handlungsstränge sind miteinander verwoben, und es tauchen vielebizarre Gestalten auf. Der Held der Geschichte ist der zwölfjährige Oskar, einEinzelgänger, der von seinen Klassenkameraden gemobbt und gequält wird und sichnur in seinen Träumen wehren und rächen kann. In seiner Fantasie ist er auchschon der Held, der den Mörder fängt, der in seinem Heimatort schon mehrereMenschen umgebracht hat. Oskar spielt ein gefährliches Spiel. Aber zunächsttrifft er auf das Mädchen Eli, das in der Nachbarschaft wohnt und ihn sehrbeeindruckt. So kommen in den Horror sanftere Töne, die von Sehnsucht,Freundschaft und Liebe erzählen. Diese gelungene Mischung in Lindqvists Romanhat auch Filmemacher davon überzeugt, dass der Stoff sich ideal für einenKinofilm eignet.
Eine gute Nachricht gibt es auch für die Leser, die an denHorrorszenarien des Schweden Geschmack gefunden haben. Im Herbst 2008 soll dieÜbersetzung eines zweiten Buches mit dem Titel "So ruhet in Frieden"erscheinen. Nach den Erfahrungen mit dem ersten Roman dürfte hier wohl niemandan friedliche Ruhe glauben.
- Autor: John Ajvide Lindqvist
- 2014, 6. Aufl., 637 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Paul Berf
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404157559
- ISBN-13: 9783404157556
- Erscheinungsdatum: 11.09.2007
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