Sommerflammen
Roman
Rowan ist Feuerspringerin und kämpft jeden Sommer gegen die schrecklichen Brände in den Wäldern Montanas. Doch dann kommt ihr Kollege Jim dabei ums Leben - und Rowan wird von Schuldgefühlen verfolgt. Ist sie verantwortlich für...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Sommerflammen “
Rowan ist Feuerspringerin und kämpft jeden Sommer gegen die schrecklichen Brände in den Wäldern Montanas. Doch dann kommt ihr Kollege Jim dabei ums Leben - und Rowan wird von Schuldgefühlen verfolgt. Ist sie verantwortlich für Jims Tod oder hätte sie ihn retten können? Als bei weiteren Einsätzen wieder zwei Leichen gefunden werden, wird Rowan von ihrer Vergangenheit eingeholt. Und wenn sie ihre Unschuld nicht beweisen kann, wird sie alles verlieren.
Klappentext zu „Sommerflammen “
Wenn die Wälder in Flammen stehenRowan liebt die Gefahr. Wann immer die Feuerspringerin zu einem Einsatz mit Fallschirmen gerufen wird, um die tödlichen Flammen in den Wäldern Montanas zu bekämpfen, riskiert sie ihr Leben. Doch dann stirbt ihr Kollege Jim bei einem Einsatz. War sie wirklich machtlos, wie der attraktive Gull ihr immer wieder versichert? Fast ist sie bereit, sich Gulls Fürsorge hinzugeben, als kurz hintereinander zwei verkohlte Leichen gefunden werden. Der Verdacht fällt auf Rowan. Wird sie ihre Unschuld beweisen und Gull je vertrauen können?
Rowan liebt die Gefahr. Wann immer die Feuerspringerin zu einem Einsatz mit Fallschirmen gerufen wird, um die tödlichen Flammen in den Wäldern Montanas zu bekämpfen, riskiert sie ihr Leben. Doch dann stirbt ihr Kollege Jim bei einem Einsatz. War sie wirklich machtlos, wie der attraktive Gull ihr immer wieder versichert? Fast ist sie bereit, sich Gulls Fürsorge hinzugeben, als kurz hintereinander zwei verkohlte Leichen gefunden werden. Der Verdacht fällt auf Rowan. Wird sie ihre Unschuld beweisen und Gull je vertrauen können?
Lese-Probe zu „Sommerflammen “
Sommerflammen von Nora Roberts1
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Gefangen im Fadenkreuz des Windes über den Bitterroot Mountains, tat sich das Flugzeug schwer, die richtige Strömung zu erwischen. Flammen loderten aus dichten Rauchsäulen empor, als würden sie drohend die Faust heben und zum finalen K.-o.-Schlag ansetzen.
Rowan Tripp beugte sich vor, um das Schauspiel einer schwer erzürnten Mutter Natur zu betrachten. In wenigen Minuten würde sie sich mittendrin befinden, umzingelt von sengender Hitze, lodernden Flammen und beißendem Rauch. Mit nichts als Schaufel und Säge, Mut und klugen Manövern würde sie in den Krieg ziehen, einen Krieg, den sie auf keinen Fall verlieren wollte.
Ihr Magen hüpfte mit dem Flugzeug auf und ab, ein Gefühl, das sie inzwischen ignorieren konnte. Sie war mit Flugzeugen groß geworden und bekämpfte seit ihrem achtzehnten Lebensjahr Waldbrände. Acht Jahre war das her, und seit vier Jahren arbeitete sie als Feuerspringerin.
Sie hatte gebüffelt, geblutet, sich gequält und sich verbrannt, Schmerz und Erschöpfung getrotzt, um eine der Zulies zu werden, der Feuerspringer von Missoula, Montana.
Sie streckte ihre langen Beine aus, so gut es ging, und ließ die Schultern unter dem Fallschirmrucksack kreisen, um sie zu lockern. Ihr Kollege ließ sie nicht aus den Augen. Seine Finger vollführten einen wilden Stepptanz auf seinen Oberschenkeln.
»Das sieht schlimm aus.«
»Wir sind noch schlimmer.«
Er grinste sie breit an. »Worauf du einen lassen kannst!«
Seine Nerven. Sie spürte regelrecht, wie sie unter seiner Haut zuckten.
Seine erste Saison neigt sich dem Ende zu, dachte Rowan. Jim Brayner musste sich vor dem Sprung noch etwas Mut machen. Manche brauchen das, überlegte sie, während andere ein kurzes Nickerchen machten, um dem drohenden Schlafmangel etwas entgegensetzen zu können.
Sie würde heute als Erste springen, Jim direkt nach ihr. Wenn er ein wenig Aufmunterung gebrauchen konnte, wollte sie ihm die nicht vorenthalten.
»Hauptsache, du machst dir nicht in die Hosen. Das ist der erste richtig böse Brand seit einer Woche.« Sie stupste ihn aufmunternd an. »Hast du nicht immer behauptet, die Saison wäre vorbei?«
Er fuhr damit fort, sich auf die Oberschenkel zu trommeln. »Nö, das war Matt«, korrigierte er sie mit nach wie vor breitem Grinsen und schob die Behauptung damit seinem Bruder in die Schuhe.
»Das ist wieder typisch für euch Bauernlümmel aus Nebraska. Hast du morgen Abend nicht ein heißes Date?« »Meine Dates sind immer heiß.«
Das ließ sich nicht leugnen, sie selbst hatte schon oft miterlebt, dass Jim Frauen an Land zog wie Regenbogenforellen, sobald er seine Angel auswarf - und das jedes Mal, wenn ihre Einheit in der Stadt einen draufmachte. Auch sie hatte er angemacht, keine zwei Sekunden, nachdem er den Fliegerhorst betreten hatte. Trotzdem hatte er gut auf ihren Korb reagiert. Sie hatte strenge Prinzipien, was Kollegen anging.
Ansonsten hätte er sie durchaus reizen können. Er besaß ein offenes, unschuldiges Gesicht, das sein Grinsen und sein provozierender Blick etwas kaschieren sollten. Nur so zum Spaß, dachte sie. Um es mal wieder so richtig krachen zu lassen. Für etwas Ernsteres käme er sowieso nicht infrage - falls sie so etwas angestrebt hätte. Obwohl gleichaltrig, war er ihr zu jung und viel zu grün hinter den Ohren. Vielleicht war er auch etwas zu nett für sie.
»Und welches Mädchen muss dann traurig und allein ins Bett gehen, falls du immer noch den Feuerdrachen reiten solltest?«, fragte sie.
»Lucille.«
»Die Kleine, die so gern kichert?«
Seine Finger hörten gar nicht mehr auf, sein Knie zu bearbeiten. »Sie kann mehr als nur kichern.«
»Du bist ein Schwein, Romeo.«
Er legte den Kopf in den Nacken und grunzte mehrmals, woraufhin sie lachen musste.
»Hauptsache, Dolly bekommt nicht mit, wo du dich überall herumwälzt«, bemerkte sie. Es war ein offenes Geheimnis, dass er eine der Köchinnen des Fliegerhorsts den ganzen Sommer lang genagelt hatte.
»Mit Dolly komme ich klar.« Das Trommeln wurde schneller. »Das kriege ich schon hin.«
Aha, dachte Rowan, da gab es anscheinend Probleme. Und genau deshalb fing man als einigermaßen intelligenter Mensch nichts mit Kollegen an.
Sie gab ihm einen sanften Stups, denn das nervöse Trommeln machte ihr Sorgen. »Alles okay, Kumpel?«
Seine hellblauen Augen sahen kurz in die ihren, dann schaute er wieder weg, während sein Knie zu zucken begann. »Alles bestens. Das Ding hier werden wir locker durchziehen. Hauptsache, ich kann endlich da runter.«
Sie legte ihre Hand auf die seine und hielt sie fest. »Du solltest ganz bei der Sache sein, Jim.«
»Da ist er! Schau nur, wie der Feuerdrache seinen Schwanz durch die Luft peitscht«, sagte er. »Aber wenn wir erst bei ihm sind, wird er nicht mehr aufmucken. Wir werden ihn zur Strecke bringen, und morgen Abend feiere ich mit Lucille.«
Das dürfte sehr unwahrscheinlich sein, dachte Rowan. Wenn sie sich das Feuer so ansah, lagen bestimmt zwei Tage harter, schweißtreibender Arbeit vor ihnen - wenn alles glattlief.
Rowan griff nach ihrem Helm und nickte ihrem Absetzer zu. »Ich bin so weit. Bleib cool, Kumpel.«
»Ich bin so cool wie ein Eisblock.«
Cards bahnte sich seinen Weg durch die zehn Feuerspringer und die Ausrüstung bis ins Heck des Flugzeugs. Dort verband er seinen Haupttragegurt mit der Fangleine. Er hieß so, weil er ständig Spielkarten in der Tasche hatte.
Bevor Cards rief, sie sollten gut auf ihren Reserveschirm aufpassen, legte Rowan bereits schützend den Arm darüber. Cards, ein zäher Bursche, riss die Tür auf. Rauch und Treibstoffwolken wehten herein. Als er nach dem ersten Set Winddrifter griff, drückte Rowan den Helm auf ihre blonden Haare, schloss den Kinnriemen und rückte ihre Schutzmaske zurecht.
Sie sah zu, wie die Winddrifter einen farbenfrohen Tanz am rauchgeschwängerten Himmel aufführten. Ihre langen Papierstreifen flatterten wild inmitten der Turbulenzen, drehten sich nach Südwesten, stiegen sich überschlagend in die Höhe, zuckten im Fallen ein letztes Mal nach oben, bevor sie sich in den Bäumen verfingen.
»Weiter nach rechts«, rief Cards in sein Headset, und der Pilot gehorchte.
Das zweite Set Winddrifter wurde nach draußen gerissen und kreiselte wie das Jo -Jo eines Kindes. Die vormals aufgerollten Papierstreifen folgten dem Wind und fielen dann auf das von Bäumen gesäumte Zielgebiet.
»Die Windachse verläuft quer über diesen Bach, dann runter bis zu den Bäumen und dem Zielpunkt«, sagte Rowan zu Jim.
Über ihr nahmen Absetzer und Pilot weitere Anpassungen vor, und ein weiteres Set Winddrifter wurde von der Strömung fortgerissen.
»Der Wind ist ganz schön böig.«
»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen.« Jim fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, bevor er Helm und Schutzmaske fixierte.
»Bring sie auf neunhundert Meter«, rief Cards.
Das war die Absetzhöhe. Als erste Springerin stand Rowan auf, um ihre Position einzunehmen.
»Etwa dreihundert Meter Abdrift«, rief sie Jim zu und wiederholte damit, was Cards dem Piloten gesagt hatte. »Aber der Wind ist böig. Lass dich nicht vom Fallwind erwischen!«
»Das ist schließlich nicht mein erster Sprung.«
Sie sah, wie er selbstbewusst hinter seiner Schutzmaske grinste, fast so, als könnte er es kaum erwarten. Aber für den Bruchteil einer Sekunde war da so ein merkwürdiger Ausdruck in seinen Augen ... Sie wollte ihm noch etwas sagen, doch Cards hatte bereits seine Position rechts von der Tür eingenommen und rief: »Seid ihr so weit?«
»Wir sind so weit«, antwortete sie.
»Einhaken!«
Rowan hakte die Aufziehleine ein.
»In die Tür!«
Sie setzte sich, hielt die Beine in den tückischen Luftstrom und lehnte den Oberkörper zurück. In ihren Ohren dröhnte es. Unter ihren Beinen wütete rotgolden das Feuer.
In diesem Moment gab es nichts außer dem Wind, dem Feuer und dieser Mischung aus Angst und Aufregung, die sie immer wieder aufs Neue überraschte.
»Hast du die Drifter gesehen?«
»J a.«
»Siehst du das Zielgebiet?«
Sie nickte, vergegenwärtigte sich beides und sah zu, wie die bunten Papierstreifen ihr Ziel erreichten.
Cards wiederholte beinahe Wort für Wort, was sie Jim bereits gesagt hatte. Sie nickte noch einmal, den Blick fest auf den Horizont geheftet, und atmete tief durch. Sie stellte sich vor, wie sie fliegen, fallen, die Mitte des Zielgebiets ansteuern würde.
Während das Flugzeug einen Kreis beschrieb, bis die Schnauze wieder nach vorn zeigte, ging sie ruhig noch einmal alle vier Punkte auf der Checkliste durch.
Cards zog seinen Kopf zurück. »Macht euch bereit.«
Auf die Plätze, fertig ... hörte sie ihren Vater sagen. Sie hielt sich am Türrahmen fest und atmete tief ein.
Als ihr der Absetzer auf die Schulter klopfte, ließ sie sich hinausfallen.
Nichts sonst konnte diesen verrückten Moment toppen, in dem sie ins Leere sprang. Sie begann lautlos zu zählen, was genauso automatisch ging wie das Atmen, vertraute sich dem rauchgeschwängerten Himmel an und sah das Flugzeug abdrehen. Dann geriet Jim in ihr Blickfeld, der sich hinter ihr aus dem Flugzeug gestürzt hatte.
Wieder drehte sie sich in der Luft, kämpfte gegen den Wind an, bis ihre Füße nach unten zeigten. Mit einem Ruck öffnete sich ihr Fallschirm. Sie sah sich nach Jim um und war erleichtert, als sich sein Schirm vor dem leeren Himmel abhob. In diesem Moment unheimlicher Stille, jenseits von Flugzeuglärm und Feuerbrausen, griff sie nach ihren Steuerleinen.
Der Wind wollte sie hartnäckig nach Norden zerren, doch Rowan hielt genauso hartnäckig jenen Kurs, den sie sich bereits im Vorfeld zurechtgelegt hatte. Sie sah nach unten, während sie der heftigen Gegenströmung Widerstand leistete.
Die Turbulenzen, die schon die Drifter erfasst hatten, begegneten ihr als stürmische Böen, gleichzeitig schlug ihr von unten die Hitze des Brandes entgegen. Behielt der Wind die Oberhand, würde sie über das Zielgebiet hinausschießen, in den Bäumen landen und riskieren, sich darin zu verfangen. Oder aber er trieb sie nach Westen, direkt in die Flammen hinein.
Sie riss an ihrer Steuerleine und sah gerade noch rechtzeitig, wie Jim in den Fallwind und damit ins Trudeln geriet.
»Rechts ziehen. Rechts ziehen!«
»Verstanden, ich habe verstanden.«
Aber zu ihrem Entsetzen zog er links.
»Ich habe rechts gesagt, verdammt noch mal!«
Sie musste sich ein letztes Mal drehen, und die Freude über den fast ungetrübten Gleitflug wich nackter Angst: Jim hing hilflos an seinem Fallschirm und segelte nach Westen.
Rowan landete im Zielgebiet und rollte sich ab. Sie kam gleich wieder auf die Beine und trennte den Hauptschirm ab. Dann hörte sie ihn, inmitten der Feuersbrunst.
Den Schrei ihres Sprungpartners.
Der Schrei verfolgte Rowan, wenn sie im Bett hochschreckte, hallte in ihrem Kopf wider, wenn sie zusammengekauert im Dunkeln saß.
Stopp, stopp, stopp, befahl sie sich und ließ ihren Kopf auf den angezogenen Knien ruhen, bis sie wieder zu Atem gekommen war.
Das ist so sinnlos, dachte sie. Es bringt nichts, das Ganze noch mal zu durchleben - jedes einzelne Detail, jede Sekunde - und sich dabei zu fragen, ob sie etwas hätte ändern können. Dass Jim ihr nicht zum Zielgebiet gefolgt war, zum Beispiel. Dass er an der falschen Steuerleine gezogen hatte. Denn er hatte an der falschen Steuerleine gezogen! Und war direkt in die todbringenden Zweige der sich vor ihm auftürmenden, brennenden Bäume geflogen.
Das Ganze lag bereits Monate zurück, machte sie sich klar. Ein langer Winter lag hinter ihr, der ihr helfen sollte, darüber hinwegzukommen. Was sie im Grunde auch geschafft hatte. Ihre Rückkehr zum Fliegerhorst musste die Albträume ausgelöst haben. Sie fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und die pflegeleichte Kurzhaarfrisur, die sie sich erst vor wenigen Tagen hatte schneiden lassen.
Die Waldbrandsaison stand kurz bevor. In wenigen Stunden begann das Auffrischungstraining. Erinnerungen, Selbstvorwürfe, Trauer - all das würde sie erneut heimsuchen. Aber sie musste schlafen, denn in einer Stunde klingelte der Wecker. Ein anstrengender Fünfkilometerlauf stand ihr bevor.
Normalerweise konnte sie überall und jederzeit schlafen, wenn es sein musste: An einem geschützten Ort während eines Brandes, in einem wackeligen Flugzeug. Sie konnte essen und schlafen, wenn es nötig war und sich die Möglichkeit ergab.
Aber als sie erneut die Augen schloss, sah sie wieder Jims Grinsen im Flugzeug vor sich.
Sie wusste, dass sie es verdrängen musste, und kletterte aus dem Bett. Sie würde duschen, sich Koffein und Kohlenhydrate zuführen und dann ein kleines Work-out machen, um sich auf den Fitnesstest vorzubereiten.
Ihre Kollegen wunderten sich, dass sie nur dann Kaffee trank, wenn ihr nichts anderes übrig blieb. Sie mochte kalte, süße Getränke. Nachdem sie sich angezogen hatte, nahm sich Rowan eine Cola und gönnte sich einen Energieriegel. Sie trug beides nach draußen, wo die Morgendämmerung noch nicht hereingebrochen war. Die Luft im Westen Montanas war zu Beginn des Frühlings noch kühl.
Am weiten Himmelszelt erloschen Sterne wie Kerzen, die ausgeblasen werden. Sie konzentrierte sich auf die Dunkelheit und die Stille und fand ein wenig Trost darin. In etwa einer Stunde würde der Fliegerhorst zum Leben erwachen, und die Luft wäre testosterongeschwängert.
Da sie sich unter Männern wohlfühlte, machte es ihr nichts aus, als Frau zur Minderheit zu gehören. Trotzdem genoss sie die seltenen Augenblicke, in denen sie allein sein konnte. Diese Momente wurden in der Hauptsaison immer seltener und kostbarer. Sie waren als Vorbereitung auf einen anstrengenden Tag das Zweitbeste nach Schlaf, dachte sie.
Sie brauchte sich keine Sorgen um den Morgenlauf zu machen, redete sie sich gut zu. Schließlich hatte sie den ganzen Winter streng auf ihre Fitness geachtet. Sie war so gut in Form wie noch nie in ihrem Leben. Doch das musste nichts heißen, es konnte alles Mögliche passieren: Sie konnte sich den Knöchel verknacksen, einen Aussetzer haben, einen Krampf bekommen. Oder einfach eine schlechte Zeit laufen. Das war anderen auch schon passiert. Manchmal erholten sie sich davon, manchmal nicht.
Aber eine negative Einstellung half ihr sicher nicht weiter. Sie knabberte am Energieriegel, führte ihrem Körper Koffein zu und beobachtete, wie das erste Tageslicht über die gezackten, schneebedeckten Gipfel im Westen kroch.
Als sie Minuten später in den Kraftraum schlich, merkte sie, dass ihre Zeit des Alleinseins vorbei war.
»Hallo, Trigger.« Sie nickte dem Mann zu, der Bauchpressen auf einer Matte absolvierte. »Was gibt's Neues?«
»Nichts, außer dass wir alle komplett verrückt sind. Was zum Teufel mache ich hier eigentlich, Ro? Ich bin stolze dreiundvierzig.«
Sie rollte eine Matte aus und begann mit den Dehnübungen. »Wenn du nicht verrückt wärst, wärst du nicht da. Aber dreiundvierzig wärst du immer noch.«
Mit seinen einen Meter fünfundneunzig blieb Trigger Gulch knapp unter der maximal erlaubten Körpergröße. Er war ein taffer Typ mit einem texanischen Akzent und einer Vorliebe für Cowboystiefel.
Er absolvierte ein Set schneller Bauchpressen. »Ich könnte auch in Waikiki am Strand liegen.«
»Du könntest als Immobilienmakler in Amarillo arbeiten.«
»Ja, das könnte ich.« Er wischte sich übers Gesicht und zeigte auf sie. »Ein Bürojob für die nächsten fünfzehn Jahre, und danach ziehe ich mich an diesen Strand von Waikiki zurück.«
»In Waikiki soll es nur so von Leuten wimmeln, habe ich gehört.«
»Ja, das ist ja das Problem.« Er setzte sich auf.
Trigger war ein gut aussehender Mann mit grauen Schläfen und einer gezackten Narbe am linken Knie, die von einer Meniskusoperation herrührte. Er lächelte ihr zu, als sie sich auf den Rücken legte und ihr rechtes Bein zur Nase brachte. »Du siehst gut aus, Ro. Wie war die Winterspeck-Saison?«
»Stressig.« Sie wiederholte die Dehnung mit dem linken Bein. »Ich freue mich, dass ich wieder hier bin, damit ich mich endlich ein bisschen erholen kann.«
Er musste lachen. »Wie geht es deinem Dad?«
»Bestens.« Rowan setzte sich auf. »Zu dieser Jahreszeit wird er immer melancholisch.« Sie schloss die eisblauen Augen und zog ihre angewinkelten Beine in Richtung Scheitel. »Er vermisst den Beginn der Saison, das Wiedersehen mit den Kollegen. Aber seine Firma lässt ihm nicht viel Zeit zum Grübeln.«
»Sogar Leute, die nicht so sind wie wir, springen gern aus Flugzeugen.«
»Und zahlen dafür sogar gutes Geld. Letzte Woche hatten wir super Kunden.« Sie grätschte die Beine, beugte sich vor und griff nach ihren Zehen. »Ein Paar hat seinen fünfzigsten Hochzeitstag mit einem Fallschirmsprung gefeiert. Statt Trinkgeld habe ich eine Flasche französischen Champagner bekommen.«
Trigger blieb sitzen und sah zu, wie sie aufstand, um mit ihrem ersten Sonnengruß zu beginnen. »Unterrichtest du noch diese Hippies?«
Rowan ging aus dem aufschauenden in den herabschauenden Hund und drehte dann den Kopf, um Trigger einen mitleidigen Blick zuzuwerfen. »Das ist Yoga, alter Knabe, und ja, in der Nebensaison arbeite ich nach wie vor als Personal Trainer. Das hilft mir dabei, kein Fett anzusetzen. Und du?«
»Ich lege mir ein paar Speckröllchen zu, damit ich mehr zu verbrennen habe, wenn die eigentliche Arbeit wieder losgeht.«
»Wenn diese Saison genauso langsam beginnt wie die letzte, haben wir bald alle einen fetten Hintern. Hast du Cards gesehen? Der scheint in diesem Winter keine Mahlzeit ausgelassen zu haben.«
»Er hat eine Neue.«
»Echt?« Schon etwas lockerer, erhöhte sie das Tempo und fügte Ausfallschritte hinzu.
»Er hat sie im Oktober in der Tiefkühlabteilung eines Supermarkts kennengelernt. An Silvester ist er bei ihr eingezogen. Sie hat Kinder und ist Lehrerin.«
»Lehrerin? Kinder? Cards?« Rowan schüttelte den Kopf. »Das muss Liebe sein.«
»So was in der Art. Die Frau und die Kinder besuchen ihn vielleicht Ende Juli und bleiben dann für den Rest des Sommers, hat er erzählt.«
»Das hört sich nach was Ernstem an.« Sie ging in eine Drehhaltung und ließ Trigger dabei nicht aus den Augen.
...
Übersetzung: Christiane Burkhardt
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Gefangen im Fadenkreuz des Windes über den Bitterroot Mountains, tat sich das Flugzeug schwer, die richtige Strömung zu erwischen. Flammen loderten aus dichten Rauchsäulen empor, als würden sie drohend die Faust heben und zum finalen K.-o.-Schlag ansetzen.
Rowan Tripp beugte sich vor, um das Schauspiel einer schwer erzürnten Mutter Natur zu betrachten. In wenigen Minuten würde sie sich mittendrin befinden, umzingelt von sengender Hitze, lodernden Flammen und beißendem Rauch. Mit nichts als Schaufel und Säge, Mut und klugen Manövern würde sie in den Krieg ziehen, einen Krieg, den sie auf keinen Fall verlieren wollte.
Ihr Magen hüpfte mit dem Flugzeug auf und ab, ein Gefühl, das sie inzwischen ignorieren konnte. Sie war mit Flugzeugen groß geworden und bekämpfte seit ihrem achtzehnten Lebensjahr Waldbrände. Acht Jahre war das her, und seit vier Jahren arbeitete sie als Feuerspringerin.
Sie hatte gebüffelt, geblutet, sich gequält und sich verbrannt, Schmerz und Erschöpfung getrotzt, um eine der Zulies zu werden, der Feuerspringer von Missoula, Montana.
Sie streckte ihre langen Beine aus, so gut es ging, und ließ die Schultern unter dem Fallschirmrucksack kreisen, um sie zu lockern. Ihr Kollege ließ sie nicht aus den Augen. Seine Finger vollführten einen wilden Stepptanz auf seinen Oberschenkeln.
»Das sieht schlimm aus.«
»Wir sind noch schlimmer.«
Er grinste sie breit an. »Worauf du einen lassen kannst!«
Seine Nerven. Sie spürte regelrecht, wie sie unter seiner Haut zuckten.
Seine erste Saison neigt sich dem Ende zu, dachte Rowan. Jim Brayner musste sich vor dem Sprung noch etwas Mut machen. Manche brauchen das, überlegte sie, während andere ein kurzes Nickerchen machten, um dem drohenden Schlafmangel etwas entgegensetzen zu können.
Sie würde heute als Erste springen, Jim direkt nach ihr. Wenn er ein wenig Aufmunterung gebrauchen konnte, wollte sie ihm die nicht vorenthalten.
»Hauptsache, du machst dir nicht in die Hosen. Das ist der erste richtig böse Brand seit einer Woche.« Sie stupste ihn aufmunternd an. »Hast du nicht immer behauptet, die Saison wäre vorbei?«
Er fuhr damit fort, sich auf die Oberschenkel zu trommeln. »Nö, das war Matt«, korrigierte er sie mit nach wie vor breitem Grinsen und schob die Behauptung damit seinem Bruder in die Schuhe.
»Das ist wieder typisch für euch Bauernlümmel aus Nebraska. Hast du morgen Abend nicht ein heißes Date?« »Meine Dates sind immer heiß.«
Das ließ sich nicht leugnen, sie selbst hatte schon oft miterlebt, dass Jim Frauen an Land zog wie Regenbogenforellen, sobald er seine Angel auswarf - und das jedes Mal, wenn ihre Einheit in der Stadt einen draufmachte. Auch sie hatte er angemacht, keine zwei Sekunden, nachdem er den Fliegerhorst betreten hatte. Trotzdem hatte er gut auf ihren Korb reagiert. Sie hatte strenge Prinzipien, was Kollegen anging.
Ansonsten hätte er sie durchaus reizen können. Er besaß ein offenes, unschuldiges Gesicht, das sein Grinsen und sein provozierender Blick etwas kaschieren sollten. Nur so zum Spaß, dachte sie. Um es mal wieder so richtig krachen zu lassen. Für etwas Ernsteres käme er sowieso nicht infrage - falls sie so etwas angestrebt hätte. Obwohl gleichaltrig, war er ihr zu jung und viel zu grün hinter den Ohren. Vielleicht war er auch etwas zu nett für sie.
»Und welches Mädchen muss dann traurig und allein ins Bett gehen, falls du immer noch den Feuerdrachen reiten solltest?«, fragte sie.
»Lucille.«
»Die Kleine, die so gern kichert?«
Seine Finger hörten gar nicht mehr auf, sein Knie zu bearbeiten. »Sie kann mehr als nur kichern.«
»Du bist ein Schwein, Romeo.«
Er legte den Kopf in den Nacken und grunzte mehrmals, woraufhin sie lachen musste.
»Hauptsache, Dolly bekommt nicht mit, wo du dich überall herumwälzt«, bemerkte sie. Es war ein offenes Geheimnis, dass er eine der Köchinnen des Fliegerhorsts den ganzen Sommer lang genagelt hatte.
»Mit Dolly komme ich klar.« Das Trommeln wurde schneller. »Das kriege ich schon hin.«
Aha, dachte Rowan, da gab es anscheinend Probleme. Und genau deshalb fing man als einigermaßen intelligenter Mensch nichts mit Kollegen an.
Sie gab ihm einen sanften Stups, denn das nervöse Trommeln machte ihr Sorgen. »Alles okay, Kumpel?«
Seine hellblauen Augen sahen kurz in die ihren, dann schaute er wieder weg, während sein Knie zu zucken begann. »Alles bestens. Das Ding hier werden wir locker durchziehen. Hauptsache, ich kann endlich da runter.«
Sie legte ihre Hand auf die seine und hielt sie fest. »Du solltest ganz bei der Sache sein, Jim.«
»Da ist er! Schau nur, wie der Feuerdrache seinen Schwanz durch die Luft peitscht«, sagte er. »Aber wenn wir erst bei ihm sind, wird er nicht mehr aufmucken. Wir werden ihn zur Strecke bringen, und morgen Abend feiere ich mit Lucille.«
Das dürfte sehr unwahrscheinlich sein, dachte Rowan. Wenn sie sich das Feuer so ansah, lagen bestimmt zwei Tage harter, schweißtreibender Arbeit vor ihnen - wenn alles glattlief.
Rowan griff nach ihrem Helm und nickte ihrem Absetzer zu. »Ich bin so weit. Bleib cool, Kumpel.«
»Ich bin so cool wie ein Eisblock.«
Cards bahnte sich seinen Weg durch die zehn Feuerspringer und die Ausrüstung bis ins Heck des Flugzeugs. Dort verband er seinen Haupttragegurt mit der Fangleine. Er hieß so, weil er ständig Spielkarten in der Tasche hatte.
Bevor Cards rief, sie sollten gut auf ihren Reserveschirm aufpassen, legte Rowan bereits schützend den Arm darüber. Cards, ein zäher Bursche, riss die Tür auf. Rauch und Treibstoffwolken wehten herein. Als er nach dem ersten Set Winddrifter griff, drückte Rowan den Helm auf ihre blonden Haare, schloss den Kinnriemen und rückte ihre Schutzmaske zurecht.
Sie sah zu, wie die Winddrifter einen farbenfrohen Tanz am rauchgeschwängerten Himmel aufführten. Ihre langen Papierstreifen flatterten wild inmitten der Turbulenzen, drehten sich nach Südwesten, stiegen sich überschlagend in die Höhe, zuckten im Fallen ein letztes Mal nach oben, bevor sie sich in den Bäumen verfingen.
»Weiter nach rechts«, rief Cards in sein Headset, und der Pilot gehorchte.
Das zweite Set Winddrifter wurde nach draußen gerissen und kreiselte wie das Jo -Jo eines Kindes. Die vormals aufgerollten Papierstreifen folgten dem Wind und fielen dann auf das von Bäumen gesäumte Zielgebiet.
»Die Windachse verläuft quer über diesen Bach, dann runter bis zu den Bäumen und dem Zielpunkt«, sagte Rowan zu Jim.
Über ihr nahmen Absetzer und Pilot weitere Anpassungen vor, und ein weiteres Set Winddrifter wurde von der Strömung fortgerissen.
»Der Wind ist ganz schön böig.«
»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen.« Jim fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, bevor er Helm und Schutzmaske fixierte.
»Bring sie auf neunhundert Meter«, rief Cards.
Das war die Absetzhöhe. Als erste Springerin stand Rowan auf, um ihre Position einzunehmen.
»Etwa dreihundert Meter Abdrift«, rief sie Jim zu und wiederholte damit, was Cards dem Piloten gesagt hatte. »Aber der Wind ist böig. Lass dich nicht vom Fallwind erwischen!«
»Das ist schließlich nicht mein erster Sprung.«
Sie sah, wie er selbstbewusst hinter seiner Schutzmaske grinste, fast so, als könnte er es kaum erwarten. Aber für den Bruchteil einer Sekunde war da so ein merkwürdiger Ausdruck in seinen Augen ... Sie wollte ihm noch etwas sagen, doch Cards hatte bereits seine Position rechts von der Tür eingenommen und rief: »Seid ihr so weit?«
»Wir sind so weit«, antwortete sie.
»Einhaken!«
Rowan hakte die Aufziehleine ein.
»In die Tür!«
Sie setzte sich, hielt die Beine in den tückischen Luftstrom und lehnte den Oberkörper zurück. In ihren Ohren dröhnte es. Unter ihren Beinen wütete rotgolden das Feuer.
In diesem Moment gab es nichts außer dem Wind, dem Feuer und dieser Mischung aus Angst und Aufregung, die sie immer wieder aufs Neue überraschte.
»Hast du die Drifter gesehen?«
»J a.«
»Siehst du das Zielgebiet?«
Sie nickte, vergegenwärtigte sich beides und sah zu, wie die bunten Papierstreifen ihr Ziel erreichten.
Cards wiederholte beinahe Wort für Wort, was sie Jim bereits gesagt hatte. Sie nickte noch einmal, den Blick fest auf den Horizont geheftet, und atmete tief durch. Sie stellte sich vor, wie sie fliegen, fallen, die Mitte des Zielgebiets ansteuern würde.
Während das Flugzeug einen Kreis beschrieb, bis die Schnauze wieder nach vorn zeigte, ging sie ruhig noch einmal alle vier Punkte auf der Checkliste durch.
Cards zog seinen Kopf zurück. »Macht euch bereit.«
Auf die Plätze, fertig ... hörte sie ihren Vater sagen. Sie hielt sich am Türrahmen fest und atmete tief ein.
Als ihr der Absetzer auf die Schulter klopfte, ließ sie sich hinausfallen.
Nichts sonst konnte diesen verrückten Moment toppen, in dem sie ins Leere sprang. Sie begann lautlos zu zählen, was genauso automatisch ging wie das Atmen, vertraute sich dem rauchgeschwängerten Himmel an und sah das Flugzeug abdrehen. Dann geriet Jim in ihr Blickfeld, der sich hinter ihr aus dem Flugzeug gestürzt hatte.
Wieder drehte sie sich in der Luft, kämpfte gegen den Wind an, bis ihre Füße nach unten zeigten. Mit einem Ruck öffnete sich ihr Fallschirm. Sie sah sich nach Jim um und war erleichtert, als sich sein Schirm vor dem leeren Himmel abhob. In diesem Moment unheimlicher Stille, jenseits von Flugzeuglärm und Feuerbrausen, griff sie nach ihren Steuerleinen.
Der Wind wollte sie hartnäckig nach Norden zerren, doch Rowan hielt genauso hartnäckig jenen Kurs, den sie sich bereits im Vorfeld zurechtgelegt hatte. Sie sah nach unten, während sie der heftigen Gegenströmung Widerstand leistete.
Die Turbulenzen, die schon die Drifter erfasst hatten, begegneten ihr als stürmische Böen, gleichzeitig schlug ihr von unten die Hitze des Brandes entgegen. Behielt der Wind die Oberhand, würde sie über das Zielgebiet hinausschießen, in den Bäumen landen und riskieren, sich darin zu verfangen. Oder aber er trieb sie nach Westen, direkt in die Flammen hinein.
Sie riss an ihrer Steuerleine und sah gerade noch rechtzeitig, wie Jim in den Fallwind und damit ins Trudeln geriet.
»Rechts ziehen. Rechts ziehen!«
»Verstanden, ich habe verstanden.«
Aber zu ihrem Entsetzen zog er links.
»Ich habe rechts gesagt, verdammt noch mal!«
Sie musste sich ein letztes Mal drehen, und die Freude über den fast ungetrübten Gleitflug wich nackter Angst: Jim hing hilflos an seinem Fallschirm und segelte nach Westen.
Rowan landete im Zielgebiet und rollte sich ab. Sie kam gleich wieder auf die Beine und trennte den Hauptschirm ab. Dann hörte sie ihn, inmitten der Feuersbrunst.
Den Schrei ihres Sprungpartners.
Der Schrei verfolgte Rowan, wenn sie im Bett hochschreckte, hallte in ihrem Kopf wider, wenn sie zusammengekauert im Dunkeln saß.
Stopp, stopp, stopp, befahl sie sich und ließ ihren Kopf auf den angezogenen Knien ruhen, bis sie wieder zu Atem gekommen war.
Das ist so sinnlos, dachte sie. Es bringt nichts, das Ganze noch mal zu durchleben - jedes einzelne Detail, jede Sekunde - und sich dabei zu fragen, ob sie etwas hätte ändern können. Dass Jim ihr nicht zum Zielgebiet gefolgt war, zum Beispiel. Dass er an der falschen Steuerleine gezogen hatte. Denn er hatte an der falschen Steuerleine gezogen! Und war direkt in die todbringenden Zweige der sich vor ihm auftürmenden, brennenden Bäume geflogen.
Das Ganze lag bereits Monate zurück, machte sie sich klar. Ein langer Winter lag hinter ihr, der ihr helfen sollte, darüber hinwegzukommen. Was sie im Grunde auch geschafft hatte. Ihre Rückkehr zum Fliegerhorst musste die Albträume ausgelöst haben. Sie fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und die pflegeleichte Kurzhaarfrisur, die sie sich erst vor wenigen Tagen hatte schneiden lassen.
Die Waldbrandsaison stand kurz bevor. In wenigen Stunden begann das Auffrischungstraining. Erinnerungen, Selbstvorwürfe, Trauer - all das würde sie erneut heimsuchen. Aber sie musste schlafen, denn in einer Stunde klingelte der Wecker. Ein anstrengender Fünfkilometerlauf stand ihr bevor.
Normalerweise konnte sie überall und jederzeit schlafen, wenn es sein musste: An einem geschützten Ort während eines Brandes, in einem wackeligen Flugzeug. Sie konnte essen und schlafen, wenn es nötig war und sich die Möglichkeit ergab.
Aber als sie erneut die Augen schloss, sah sie wieder Jims Grinsen im Flugzeug vor sich.
Sie wusste, dass sie es verdrängen musste, und kletterte aus dem Bett. Sie würde duschen, sich Koffein und Kohlenhydrate zuführen und dann ein kleines Work-out machen, um sich auf den Fitnesstest vorzubereiten.
Ihre Kollegen wunderten sich, dass sie nur dann Kaffee trank, wenn ihr nichts anderes übrig blieb. Sie mochte kalte, süße Getränke. Nachdem sie sich angezogen hatte, nahm sich Rowan eine Cola und gönnte sich einen Energieriegel. Sie trug beides nach draußen, wo die Morgendämmerung noch nicht hereingebrochen war. Die Luft im Westen Montanas war zu Beginn des Frühlings noch kühl.
Am weiten Himmelszelt erloschen Sterne wie Kerzen, die ausgeblasen werden. Sie konzentrierte sich auf die Dunkelheit und die Stille und fand ein wenig Trost darin. In etwa einer Stunde würde der Fliegerhorst zum Leben erwachen, und die Luft wäre testosterongeschwängert.
Da sie sich unter Männern wohlfühlte, machte es ihr nichts aus, als Frau zur Minderheit zu gehören. Trotzdem genoss sie die seltenen Augenblicke, in denen sie allein sein konnte. Diese Momente wurden in der Hauptsaison immer seltener und kostbarer. Sie waren als Vorbereitung auf einen anstrengenden Tag das Zweitbeste nach Schlaf, dachte sie.
Sie brauchte sich keine Sorgen um den Morgenlauf zu machen, redete sie sich gut zu. Schließlich hatte sie den ganzen Winter streng auf ihre Fitness geachtet. Sie war so gut in Form wie noch nie in ihrem Leben. Doch das musste nichts heißen, es konnte alles Mögliche passieren: Sie konnte sich den Knöchel verknacksen, einen Aussetzer haben, einen Krampf bekommen. Oder einfach eine schlechte Zeit laufen. Das war anderen auch schon passiert. Manchmal erholten sie sich davon, manchmal nicht.
Aber eine negative Einstellung half ihr sicher nicht weiter. Sie knabberte am Energieriegel, führte ihrem Körper Koffein zu und beobachtete, wie das erste Tageslicht über die gezackten, schneebedeckten Gipfel im Westen kroch.
Als sie Minuten später in den Kraftraum schlich, merkte sie, dass ihre Zeit des Alleinseins vorbei war.
»Hallo, Trigger.« Sie nickte dem Mann zu, der Bauchpressen auf einer Matte absolvierte. »Was gibt's Neues?«
»Nichts, außer dass wir alle komplett verrückt sind. Was zum Teufel mache ich hier eigentlich, Ro? Ich bin stolze dreiundvierzig.«
Sie rollte eine Matte aus und begann mit den Dehnübungen. »Wenn du nicht verrückt wärst, wärst du nicht da. Aber dreiundvierzig wärst du immer noch.«
Mit seinen einen Meter fünfundneunzig blieb Trigger Gulch knapp unter der maximal erlaubten Körpergröße. Er war ein taffer Typ mit einem texanischen Akzent und einer Vorliebe für Cowboystiefel.
Er absolvierte ein Set schneller Bauchpressen. »Ich könnte auch in Waikiki am Strand liegen.«
»Du könntest als Immobilienmakler in Amarillo arbeiten.«
»Ja, das könnte ich.« Er wischte sich übers Gesicht und zeigte auf sie. »Ein Bürojob für die nächsten fünfzehn Jahre, und danach ziehe ich mich an diesen Strand von Waikiki zurück.«
»In Waikiki soll es nur so von Leuten wimmeln, habe ich gehört.«
»Ja, das ist ja das Problem.« Er setzte sich auf.
Trigger war ein gut aussehender Mann mit grauen Schläfen und einer gezackten Narbe am linken Knie, die von einer Meniskusoperation herrührte. Er lächelte ihr zu, als sie sich auf den Rücken legte und ihr rechtes Bein zur Nase brachte. »Du siehst gut aus, Ro. Wie war die Winterspeck-Saison?«
»Stressig.« Sie wiederholte die Dehnung mit dem linken Bein. »Ich freue mich, dass ich wieder hier bin, damit ich mich endlich ein bisschen erholen kann.«
Er musste lachen. »Wie geht es deinem Dad?«
»Bestens.« Rowan setzte sich auf. »Zu dieser Jahreszeit wird er immer melancholisch.« Sie schloss die eisblauen Augen und zog ihre angewinkelten Beine in Richtung Scheitel. »Er vermisst den Beginn der Saison, das Wiedersehen mit den Kollegen. Aber seine Firma lässt ihm nicht viel Zeit zum Grübeln.«
»Sogar Leute, die nicht so sind wie wir, springen gern aus Flugzeugen.«
»Und zahlen dafür sogar gutes Geld. Letzte Woche hatten wir super Kunden.« Sie grätschte die Beine, beugte sich vor und griff nach ihren Zehen. »Ein Paar hat seinen fünfzigsten Hochzeitstag mit einem Fallschirmsprung gefeiert. Statt Trinkgeld habe ich eine Flasche französischen Champagner bekommen.«
Trigger blieb sitzen und sah zu, wie sie aufstand, um mit ihrem ersten Sonnengruß zu beginnen. »Unterrichtest du noch diese Hippies?«
Rowan ging aus dem aufschauenden in den herabschauenden Hund und drehte dann den Kopf, um Trigger einen mitleidigen Blick zuzuwerfen. »Das ist Yoga, alter Knabe, und ja, in der Nebensaison arbeite ich nach wie vor als Personal Trainer. Das hilft mir dabei, kein Fett anzusetzen. Und du?«
»Ich lege mir ein paar Speckröllchen zu, damit ich mehr zu verbrennen habe, wenn die eigentliche Arbeit wieder losgeht.«
»Wenn diese Saison genauso langsam beginnt wie die letzte, haben wir bald alle einen fetten Hintern. Hast du Cards gesehen? Der scheint in diesem Winter keine Mahlzeit ausgelassen zu haben.«
»Er hat eine Neue.«
»Echt?« Schon etwas lockerer, erhöhte sie das Tempo und fügte Ausfallschritte hinzu.
»Er hat sie im Oktober in der Tiefkühlabteilung eines Supermarkts kennengelernt. An Silvester ist er bei ihr eingezogen. Sie hat Kinder und ist Lehrerin.«
»Lehrerin? Kinder? Cards?« Rowan schüttelte den Kopf. »Das muss Liebe sein.«
»So was in der Art. Die Frau und die Kinder besuchen ihn vielleicht Ende Juli und bleiben dann für den Rest des Sommers, hat er erzählt.«
»Das hört sich nach was Ernstem an.« Sie ging in eine Drehhaltung und ließ Trigger dabei nicht aus den Augen.
...
Übersetzung: Christiane Burkhardt
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Nora Roberts
Durch einen Blizzard entdeckte Nora Roberts ihre Leidenschaft fürs Schreiben: Tagelang fesselte sie 1979 ein eisiger Schneesturm in ihrer Heimat Maryland ans Haus. Um sich zu beschäftigen, schrieb sie ihren ersten Roman. Zum Glück - denn inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.<br /><br />Unter dem Namen J.D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nora Roberts
- 2011, 607 Seiten, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Burkhardt, Christiane
- Übersetzer: Christiane Burkhardt
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453291190
- ISBN-13: 9783453291195
Rezension zu „Sommerflammen “
"Unglaublich spannend!"
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