Sommertau und Wolkenbruch
Elinor ist erfolgreich im Beruf und glücklich verheiratet - nur der erhoffte Nachwuchs will sich nicht einstellen. Sie kann es nicht fassen, als sie herausfindet, dass ihr Mann Ted ein Verhältnis hat - ausgerechnet mit einer allein erziehenden Mutter. Ted...
Elinor ist erfolgreich im Beruf und glücklich verheiratet - nur der erhoffte Nachwuchs will sich nicht einstellen. Sie kann es nicht fassen, als sie herausfindet, dass ihr Mann Ted ein Verhältnis hat - ausgerechnet mit einer allein erziehenden Mutter. Ted zieht zu seiner Geliebten und deren Sohn. Der Junge ist überglücklich, endlich einen ''Vater'' zu haben. Doch dann ist Elinor schwanger.
Sommertau und Wolkenbruch von Lolly Winston
LESEPROBE
1
Elinor Mackeyräumt ihre Handtasche aus, um sie leichter zu machen, und fragt sich, wie einkaputter Rasensprengerkopf unter ihre Sachen geraten sein könnte, als sieerfährt, dass ihr Mann Ted eine Affäre hat.
Während sie sich in der Wärme ihrerschwach beleuchteten Waschküche mit ihrer Handtasche beschäftigt, versucht sie,die Energie zu mobilisieren, um die mehr als hundert beruflichen E-Mailsdurchzugehen, die sich auf ihrem Laptop, ihrem ständigen Begleiter, angesammelthaben. (Russische Teenies mit Winzigen Titties steckenin ihrem Spam-Filter fest. Soll sie sie freilassen?Finden Männer so was gut?) Vielleicht sollte sie eine Spankopita für den Abend mit ihrem Lesezirkel machen.
Ja, alle sollten ein griechischesGericht kochen, denn schließlich lesen sie zurzeit die Ilias. Neuerdingskommen Elinors Gedanken ständig vom Weg ab - wie dieHand eines Kindes, die beim Ausmalen eines Bildes nicht innerhalb der Konturenbleiben kann, sondern mit dem Stift quer über das Blatt fährt, so dass der Baumblau wird und der Himmel braun. Sie nimmt den Rasensprengerkopf in die Hand,und ihr fällt ein, dass sie damit zum Eisenwarenladen fahren wollte, um einenneuen zu kaufen. Das ist ein Trick, den ihr Vater sie gelehrt hat: Nimm daskaputte Teil mit, dann hilft dir in der Regel ein Angestellter, ein neues zufinden, und erklärt dir, wie du es anbringen musst. Elinorbeschließt, ihrer Freundin Kat wegen des griechischen Essens Bescheid zu sagen,doch als sie anrufen will, hört sie Teds Stimme in der Leitung.
»Gina, oh, Gina«, flüsterter.
Elinor hält den Atem an. Ihr Blick wandertzu den Waschmittelboxen auf dem Bord über der Maschine.
»Du fehlst mir«, sagt, wer immerdiese Gina ist, leise.
Der Rasensprengerkopf entgleitet Elinors Hand und landet klappernd auf dem Boden. Sieschaltet den Trockner aus. Ted?
Eine Affäre?
»Was war das für ein Geräusch?«, fragt Ted.
»Ich habe nichts gehört«, antwortetGina.
Oder ist vielleicht jemand Fremdesin der Leitung? Immerhin gibt es dieses seltsame Phänomen, dass man zufällig indas Telefonat eines Fremden hineingerät. Elinor hatdas schon einmal erlebt. Sie tippte eine Nummer ein, und plötzlich wurde sieZeuge eines Gesprächs, in dem ein Schüler einen Lehrer zu überreden versuchte,ihm eine bessere Note zu geben.
»Wir können uns nicht mehr so oftsehen«, sagt Ted. Nein, das ist kein Fremder. Es ist definitiv Ted, der da miteiner schniefenden Gina spricht. Ted, der es hasst, auf Partys zu gehen undneue Menschen kennen zu lernen! Ted, der in zerrissenen Flanellpyjamahosen mitCowboy- und Indianer-Design darauf schläft.
Elinor wendet den Mund von derSprechmuschel ab und bläst die angehaltene Luft in den Raum wie Zigarettenrauch
»Reden wir doch heute Abenddarüber«, bittet Gina. »Ich habe um sechs Schluss. Lass mich dir was kochen.« Sie stöhnt das Wort kochen, als sei es einlasziver Akt.
»Okay«, stimmt Ted zu, aber Elinor könnte schwören, dass Angst in seiner Stimme mitschwingt.
Eine Affäre. Elinor wartet darauf, dass Eifersucht sie in Rage versetzt.Stattdessen verspürt sie Mitleid. Für Ted. Für ihre Ehe. Und Erschöpfung. Siekriecht an ihrer Wirbelsäule hinauf und drückt ihren Kopf nach unten.
Elinor presst ihre leere Handtasche an dieBrust. Der Inhalt ist über den Trockner verstreut. Auf der Uni hatte sie eine,die groß genug war, um darin einen Sixpack in einRockkonzert schmuggeln zu können. Ihre jetzige enthält eine teureLederbrieftasche, die beinahe aus den Nähten platzt vor Kreditkarten undQuittungen, einen Palm Pilot, eine Lesebrille, ein Handy, Migränetabletten,einen Concealer für dunkle Augenringe mit demhübschen Namen »Vergebung in einer Flasche« und einen riesigen Bund Schlüssel,von denen einige ihr ein Rätsel sind.
Ted und Gina legen auf. Elinor presst das Telefon an ihre glühende Stirn. Ted hateine Affäre. Ihre Ehe geht kaputt.
Lauf zu ihm und sag ihm, du musstmit ihm reden, fordertsie sich auf. Und dann mach einen Termin mit der Eheberaterin.
Da spricht die nüchterne Vernunft,die Elinor durchs College, durch das Jurastudium unddurch fünfzehn Jahre als Anwältin für Arbeitsrecht und Arbeitsverhältnisse beimehreren Hightech-Firmen in Silicon Valley brachte. Doch neuerdings ist ihreTüchtigkeit einem überwältigenden Drang gewichen, sich hinzulegen. EinerErschöpfung, die ihr in den Knochen steckt wie eine Grippe.
Das Leiden stellte sich ein, nachdemsie und Ted ihre Bemühungen aufgegeben hatten, ein Kind zu bekommen. Ein Jahrlang versuchten sie es auf eigene Faust und ließen sich dann auf zwei JahreTests und Behandlungen ein, darunter drei intrauterine Inseminationen und zwei In-vitro-Fertilisationen.
Elinor wurde einmal schwanger, erlittjedoch schon früh eine Fehlgeburt. Trotzdem gab es ihnen Hoffnung. Sie wünschtesich zwei Söhne - sie liebt Jungen. Stattdessen bekam sie die Diagnose»Ungeklärte Unfruchtbarkeit« (wahrscheinlich altersbedingt, meinte der Arzt),sattelte zwanzig Pfunde drauf und litt unter hormonbedingter Unberechenbarkeit.
Als ihr vierzigster Geburtstag aufsie zukam, fühlte sie sich wie ein unbrauchbares Nutztier, das man schlachtensollte.
»Ist es dir recht, wenn ich mireinen Testosteron-Film ansehe?«, ruft Ted den Flurherunter und reißt Elinor damit aus ihren Gedanken.Erst jetzt wird ihr bewusst, dass sie vor dem offenen Trockner steht und eineSocke in der Hand hält.
»Mmm«,sagt sie. Es kommt öfter vor, dass Ted und sie getrennt ins Kino gehen. Sie magkünstlerische und Zeitgeist-Filme, während Ted das Hau-drauf-Genrebevorzugt. Stell ihn zur Rede! Die Socke zittert in ihrer Hand.
»Bist du da?«Besorgnis schwingt in Teds Stimme mit.
»Einen Film?«,ruft Elinor zurück. »Klar. Viel Spaß!« Sie klingt zubegeistert, übertrieben fröhlich. »Warte«, sagt sie leiser. Sie hört Ted denFlur entlanggehen und durch die Küche. Dann grummelt und quietscht dasGaragentor. Tu was! Sie lässt die Socke fallen und rennt den Flurhinunter. Fahr ihm nach. Auf dem Weg zur Garage fällt ihr ein, dass ihrWagen in der Werkstatt ist. Sie macht kehrt, stürmt zur Terrassentür hinaus undzwischen den Büschen hindurch zu ihrer Freundin Kat hinüber, um sich deren Minivan zu borgen.
»Ich erklär sdir später«, keucht sie, als sie Kat die Schlüssel aus der Hand reißt.
Kat, auf deren kurzem, dunklem Haareine Baseballkappe sitzt, schaut nach unten und deutet auf ElinorsFüße. »Du bist barfuß«, sagt sie, doch es ist einereine Feststellung, keine Kritik. Kat äußert so gut wie niemals irgendeineKritik am Verhalten eines anderen Menschen.
Elinor holt Ted bei dem Stoppschild amEnde ihrer Straße ein.
Sie schnappt sich Kats Sonnenbrille,die, wie sie weiß, immer hinter der Sonnenblende klemmt, und duckt sich. DieLuft im Wagen ist augusthitzestickig, und sie schaltet die Klimaanlage ein. Aufdem kleinen Bildschirm hinten im Van läuft »Der König der Löwen«. Elinor hat keine Ahnung, wie man dem verdammten Ding denSaft abdrehen kann. »Hukuna matata!«, ruft irgendein Tier, während sie wie wild auf die Tasteneinschlägt.
Ted überrascht sie damit, dass er inden Parkplatz ihres Fitnesscenters einbiegt. Elinorschlägt zu scharf ein, und der Wagen rumpelt über den Randstein. Eine Frau, dievor dem Eingang steht, winkt Ted zu. Elinor kennt sievon ihren sporadischen Ausflügen ins Center: Sie arbeitet dort als Trainerin,ist Anfang dreißig und hat glattes, hellbraunes Haar, das bis zu dem kleinen,festen Apfelpo reicht, um den Elinorsie glühend beneidet. Manchmal trägt das Mädchen einen untersetzergroßen Anstecker auf ihrem eng anliegenden »Fragen Sie mich nach The Zone!«-T-Shirt. Elinor bleibt im hinteren Teil des Parkplatzes stehen undbeobachtet, wie die Trainerin zu Ted ins Auto steigt und ihre Sporttasche aufden Rücksitz wirft.
Elinor folgt ihnen auf den nach Südenführenden Freeway.
Ein paar Ausfahrten später biegensie ab und fahren durch ein ihr unbekanntes Viertel. Schließlich hält Ted voreinem Healthy-Oats-Laden. Die Frau - Gina, es mussGina sein - steigt aus und macht einen kleinen Luftsprung, als habe er siezu Tiffany s gebracht. Als sie seine Hand nimmt,sieht er sich verstohlen um. Ted! Du hältst amhelllichten Tag Händchen mit deiner heimlichen Flamme? Er entzieht ihrseine Hand, doch sie scheint sein Unbehagen nicht zu bemerken, denn sie drängtsich eng an ihn, als sie auf das Geschäft zugehen. Elinorschaltet die Zündung aus und wartet. In ihrem Viertel gibt es ebenfalls eine Healthy-Oats-Filiale, doch Elinorwar nur ein paar Mal dort, um kreidige Proteinshakeszu kaufen, denn die Preise waren haarsträubend.
Vielleicht ist das hier dieErklärung für den Leinsamen.
Etwa vor einer Woche, als sie nacheinem Regenschirm suchte, fand sie eine Pfundpackung Körner auf dem Rücksitzvon Teds Wagen - aus einem Naturkostladen, in dem sie kaum je einkauften. Beinäherer Untersuchung stellte sie fest, dass es sich um kleine, honigbrauneSamen handelte, die glatt und glänzend durch die Plastikhülle schimmerten. Einzweiter Beutel enthielt ein feines, goldfarbenes Pulver. GemahleneLeinsamen.
»Wofür sind die?«,fragte sie und stellte die beiden Beutel auf die Frühstückstheke.
Als Ted sich vom Spülbecken zu ihrumdrehte und die Tüten sah, zuckte er regelrecht zusammen und wurde dunkelrot.
»Das das ist Leinsamen«, stotterteer.
»Okay.« Elinorlachte. »Ich wollte nicht indiskret sein.« GroßerGott. Er reagierte, als hätte sie ihn mit Pornos oder Zigaretten erwischt.
Ted stürzte sich in eine unnötigausführliche Erklärung, weshalb Leinsamen und Leinsamenpulver die gesündesteMethode seien, die notwendigen Ballaststoffe zu sich zu nehmen.
Leinsamen sei reich an Fasern,Omega-3-Fettsäuren und Lignin, was immer das auch wäre. Das habe Dr. Edwardsgesagt. Wenn man Kohlenhydrate esse, müssten es komplexe sein.
»Klingt gut«, meinte Elinor. »Wann hast du Dr. E. denn gesehen? « Auch diesmalwar es nicht als Verhör gemeint - sie versuchte lediglich, mit ihrem Mann zureden. Sie redeten in letzter Zeit so wenig miteinander.
»Letzte Woche.«
»Auf der Tagung in Monterey?«
Ted ist Arzt, ein Fußspezialist, undhat die gesamte vergangene Woche auf einer Tagung seiner Fußarztkollegenverbracht.
Dr. Edwards aber ist praktischerArzt.
»Auf dem Golfplatz.«
Ted hasst Golf. Für gewöhnlichschafft er es auf Tagungen, sich darum zu drücken, doch vielleicht hat erplötzlich Geschmack daran gefunden - wie an Leinsamen.
»Ich mache dirLeinsamenpfannkuchen«, erbot er sich, drehte endlich den Wasserhahn zu undtrocknete sich die Hände ab.
»Okay«, sagte Elinor.»Ich bin gespannt.«
Irgendwo ist eine Autoalarmanlageangegangen, und das penetrante Geräusch weckt in Elinorden Wunsch, Kats Minivan geradewegs in die dekorativePyramide aus Äpfeln und Erdbeeren vor dem Laden zu steuern. Ruf dieEheberaterin an, fordert sie sich auf, und machgleich für morgen einen Termin.
Doch sie hat ihr Handy zu Hausegelassen, ebenso wie ihre Brieftasche und ihre Schuhe. Sie mag dieKokon-Atmosphäre des sonnigen Therapiezimmers, die Orientteppiche, die deckenhohen Bücherregale, die Staubpartikel, die träge inder Luft schweben. Als sie und Ted darüber sprachen, wie die Unfruchtbarkeitihr Sexleben ruiniert hatte, nickte die Eheberaterin - Dr. Brewster- mitfühlend und meinte, das sei üblich.
Als Ted darüber klagte, wiejähzornig und abweisend Elinor geworden sei, erklärteDr. Brewster ihm, dass die Hormone dieseStimmungsschwankungen verursachten - Elinor könnenichts dafür.
Während der ersten Monate mitProzeduren und Arztterminen hat Elinor es geschafft,den Hormonterror zu bekämpfen.
Sie praktizierte Yoga undVisualisierung und belegte einen Kurs für Aquarellmalerei. Sie sah im Geistwinzige Osh-Kosh-Latzhosen und Cowboystiefel. DasLabor bewertete ihre ersten beiden Embryos während der ersten In-Vitro mit einer glatten Eins, der besten Note, auf dieman hoffen konnte. Elinor spielte mit dem Gedanken,sich einen Aufkleber für die Stoßstange machen zu lassen: Meine Embryoshaben vom Stanford Hospital eine glatte Eins bekommen! Aber es ging schief.
»Irgendwas stimmt nicht mit mir«,insistierte sie.
»Es ist nicht deine Schuld«,widersprach Ted und nahm sie in die Arme. »Ich liebe dich. Lass uns eine Pauseeinlegen. Lass uns nach Paris fliegen.«
Elinor stieß ihn weg. »Non, merci«, lehnte sie brüsk ab.
Während der zweiten In-Vitro, irgendwo um die zwanzigste Injektion herum, dieTed ihr gab, gewannen die Hormone die Oberhand. Elinorknallte Türen und schrie ihn an. Alles war seine Schuld. Schlechtes Wetter?Eine Reifenpanne? Eine anstrengende Konferenz? Sie kreidete es Ted an.
Eines Morgens wollte sie dasStäbchen eines Heim-Schwangerschaftstests mit einem Hammer zertrümmern, einundurchführbares Unterfangen, wie sich herausstellte. Gib mir die zweite.Rosa. Linie. Sie legte das Stäbchen auf ein Zellstofftuch, wusch sich dieHände und schloss die Augen. Sie öffnete sie. Nichts. Wie von Sinnen rannte sie in den Allzweckraum, riss den Hammer aus demWerkzeugkasten, rannte ins Bad zurück und zertrümmerte das Stäbchen. Bessergesagt, sie versuchte es. Der erste Schlag bewirkte gar nichts. Derzweite splitterte ein Stück vom Waschbecken ab, hinterließ auf dem Stäbchenjedoch nicht einmal eine Delle. Außer sich vor Wut und Verzweiflung drosch sielaut schluchzend immer und immer wieder mit dem Hammer auf das Stäbchen ein.Ihr Gesicht glühte, und sie spürte Speichelfäden aus ihrem Mund hängen.Irgendwann verließen sie die Kräfte, und sie sank im Schneidersitz zu Boden unddrückte den Hammer wie ein Kind an ihre Brust. Ted stieß die Tür auf undstarrte Elinor an wie eine Fremde auf der Straße, mitder er nichts zu schaffen haben wollte. Sie hatte sich noch nie so abstoßendgefühlt. In diesem Moment setzte die Erschöpfung ein, senkte sich, schwer wieeine Röntgenschürze, auf ihre Schultern.
© DroemerKnaurVerlag
Übersetzung: Georgia Sommerfeld
- Autor: Lolly Winston
- 2007, 396 Seiten, Maße: 14,5 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426662515
- ISBN-13: 9783426662519
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