Sommerträume
3 Romane in einem Band
Lassen Sie sich von diesen drei Romanen von Nora Roberts zu Sommertagträumen verführen! Romantischer geht's kaum!
Nicholas Geheimnis:
Eine romantische Mondnacht in Griechenland. Bei einem Bad im Meer...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Weltbild Ausgabe
8.95 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Sommerträume “
Lassen Sie sich von diesen drei Romanen von Nora Roberts zu Sommertagträumen verführen! Romantischer geht's kaum!
Nicholas Geheimnis:
Eine romantische Mondnacht in Griechenland. Bei einem Bad im Meer begegnet Melanie einem geheimnisvollen Fremden, der sie heiß küsst. Doch Melanie ist etwas misstrauisch. Sie ist überzeugt, dass sie ihn bei etwas Gefährlichem gestört hat. Ist er etwa ein Schmuggler? Einige Tage später wird ihr auf einer Party der charmante Unternehmer Nicholas Gregoras vorgestellt. Und Melanie erkennt ihren "Bekannten aus dem Meer" sofort wieder.
Rebeccas Traum:
Einmal reich sein: Für wenige Wochen mietet Rebecca sich in einem Luxushotel auf der Trauminsel Korfu ein - und begegnet dort der Liebe. Und als der vermögende Stephanos Nikodemos sie zärtlich umwirbt, scheinen sich ihre Träume zumindest für kurze Zeit zu erfüllen. Wie wird er jedoch reagieren, wenn er erfährt, dass sie arm ist?
Die Geliebte des Malers:
Alice braucht dringend einen neuen Job! Da taucht wie aus dem Nichts plötzlich ein Unbekannter vor ihr auf, der ihr ein höchst interessantes Angebot macht. Erst am nächsten Tag findet Alice heraus, dass der charmante Ire kein anderer als der Künstler Colin Sullivan ist - berühmt nicht nur für seine Bilder, sondern auch für seine Affären. Empört beschließt sie, Colin gehörig die Meinung zu sagen. Doch dann kommt alles anders, als geplant.
Lese-Probe zu „Sommerträume “
Sommerträume von Nora Roberts3 Romane in einem Band
Nicholas Geheimnis
1. Kapitel
Der Himmel war wolkenlos und blau wie auf einer Ansichtspostkarte. Vor der fernen Silhouette der Berge hing ein leichter Dunstschleier. Ein sanfter Wind strich raschelnd durch das Laub der Bäume und Sträucher und trug den Duft von Rosen, feuchtem Gras und Meerestang heran. Melanie seufzte glücklich. Sie beugte sich noch weiter über das Balkongitter und musste immer nur schauen.
Hatte sie wirklich erst gestern noch aus ihrem Fenster auf die Stahl- und Betonwüste New Yorks hinausgeblickt? War sie durch den kühlen Aprilregen die Straße entlanggerannt, um ein Taxi zum Flughafen zu erwischen? Nur einen einzigen Tag war das her. Es konnte doch nicht möglich sein, dass zwischen zwei Welten nur ein einziger Tag lag.
Dennoch war es so. Melanie stand auf dem Balkon einer Villa auf der Insel Lesbos. Hier gab es keinen grauen Himmel, keinen Nieselregen, keinen Lärm, nur Sonne und Meer und lichtdurchflutete Stille unter dem leuchtenden Himmel Griechenlands.
Es klopfte. „Herein!" rief Melanie, atmete noch einmal tief durch und drehte sich um.
„Oh, du bist ja schon aufgestanden und angezogen?" Liz schwebte in den Raum, eine goldhaarige Elfe, gefolgt von einem Mädchen mit einem beladenen Tablett.
„Das nenne ich Zimmerservice", lächelte Melanie, als das Mädchen das Tablett auf einem Glastischchen abstellte. Das Frühstück duftete verführerisch. „Leistest du mir Gesellschaft, Liz?"
„Nur auf einen Kaffee." Liz setzte sich in einen Sessel, strich ihr Negligee aus Seide und Spitze glatt und musterte Melanie nachdenklich.
Ihr Blick glitt über das leuchtend blonde, auf die Schultern herabfallende Haar und verweilte auf dem zarten Gesicht mit der kleinen geraden Nase, den hohen Wangenknochen und den großen
... mehr
meerblauen Augen. Manches Fotomodell hätte alles für ein solches Engelsgesicht gegeben.
„Oh Melanie, du bist schöner denn je! Ich freue mich so, dass du endlich hier bist."
Melanie blickte auf die Landschaft hinaus. „Und da ich endlich hier bin, verstehe ich nicht, wie ich es so lange hinauszögern konnte."
Das Dienstmädchen schenkte den Kaffee ein.
„Efcharistó", bedankte sich Melanie.
„Unglaublich!" schimpfte Liz gespielt ärgerlich. „Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, bis ich endlich guten Tag, wie geht es Ihnen?' auf Griechisch sagen konnte?" Als Melanie etwas erwidern wollte, winkte sie lächelnd ab, Brillanten und Saphire ihres Eherings blitzten in der Sonne auf. „Lass nur! Nach drei Jahren mit Alex und einem ebenso langen Leben in Athen und auf Lesbos stolpere ich noch immer über diese Sprache. Danke, Zena", fügte sie hinzu und entließ das Mädchen mit einem Lächeln.
„Weil du dich weigerst, sie zu lernen." Melanie biss in ein Stück Toast. Erst jetzt merkte sie, wie hungrig sie war. „Wenn du dich einer fremden Sprache nicht verschließt, nimmst du sie ganz von selbst auf."
„Du hast gut reden." Liz schaute Melanie vorwurfsvoll an. „Du sprichst mindestens ein Dutzend Sprachen." „Fünf."
„Vier mehr, als ein normaler Mensch braucht."
„Das gilt aber nicht für eine Dolmetscherin." Melanie machte sich über das Rührei her. „Spräche ich nicht Griechisch, hätte ich Alex nicht kennen gelernt, und du wärst jetzt nicht Elizabeth Theocharis. Schicksal", fuhr sie fort, „ist ein seltsames und wunderbares Phänomen."
„Philosophie beim Frühstück", sagte Liz in ihre Kaffeetasse hinein. „Manchmal frage ich mich, wie es mir heute ginge, wenn ich nicht zufällig zwischen zwei Flügen zu Hause gewesen wäre, als Alex aufkreuzte. Du hättest uns nicht miteinander bekannt gemacht." Sie nahm sich eine Scheibe Toast und gab einen Klecks Pflaumengelee darauf.
„Alles ist vorbestimmt, Liz", sagte Melanie. „Das Schicksal hat euch zusammengeführt, nicht ich. Bei euch beiden war es Liebe auf den ersten Blick - nur ist das nicht mein Verdienst." Sie lächelte zu der kühlen blonden Schönheit hinüber. „Kaum hattet ihr euch kennen gelernt, hattet ihr auch schon geheiratet und flogt davon, und ich saß allein in dem leeren Apartment."
„Wir hatten beschlossen, erst zu heiraten und uns danach kennen zu lernen." Liz lachte leise in sich hinein. „Und so geschah es dann auch."
„Wo ist Alex eigentlich?"
„Unten in seinem Arbeitszimmer." Liz legte ihren Toast auf den Teller zurück. „Er baut wieder mal ein Schiff."
Melanie musste lachen. „Du sagst das, als wäre er mit seiner Spielzeugeisenbahn beschäftigt. Du solltest dich entschieden snobistischer ausdrücken. Das erwartet man von Frauen, die einen Millionär geheiratet haben - noch dazu einen ausländischen."
„Ja? Na, mal sehen, was ich tun kann." Liz trank einen Schluck Kaffee. „Alex wird wahrscheinlich in den kommenden Wochen furchtbar beschäftigt sein. Schon deshalb freue ich mich so, dass du hier bist."
„Du brauchst einen Partner zum Cribbage - stimmt's?"
„Unsinn!" Liz lachte. „Du bist der miserabelste CribbagePartner, den ich kenne, aber mach dir nichts draus, es geht mir nicht ums Kartenspielen. Ich finde es herrlich, meine beste Freundin, eine waschechte Amerikanerin, um mich zu haben!"
„Spassiba."
„Bitte Englisch, ja?" tadelte Liz. „Außerdem ... denk nicht, ich hätte nicht gemerkt, dass das kein Griechisch, sondern Russisch war. Merk dir, dass du für die nächsten vier Wochen keinen politischen Unsinn bei den Vereinten Nationen dolmetschst, sondern dich ganz normal mit Freunden unterhältst."
Liz beugte sich etwas vor und schaute ihre Freundin nachdenklich an. „Ganz ehrlich, Melanie, hast du nicht manchmal Angst, du könntest etwas falsch übersetzen und damit den Dritten Weltkrieg auslösen?"
„Wer - ich?" Melanie machte große Augen. „Keine Angst! Der Trick besteht darin, in der Sprache zu denken, die man übersetzt. Ganz einfach."
„Oh natürlich, ganz einfach." Liz lehnte sich wieder zurück. „Aber jetzt hast du Urlaub und brauchst nicht in fremden Sprachen zu denken. Es sei denn, du willst dich mit meinem Koch streiten."
„Nichts liegt mir ferner", versicherte Melanie und schob ihren Teller zurück.
„Wie geht es eigentlich deinem Vater?"
„Großartig wie immer." Melanie schenkte sich Kaffee nach. Wann hatte sie sich zum letzten Mal morgens Zeit für eine zweite Tasse Kaffee genommen? Ferien, hatte Liz gesagt, und das bedeutete, sie war frei wie ein Vogel in der Luft. „Er lässt dich grüßen und hat mir aufgetragen, ein paar Flaschen Ouzo nach New York zu schmuggeln."
„Ich habe nicht vor, dich nach New York zurückkehren zu lassen." Liz stand auf und ging auf dem Balkon hin und her. Der spitzenbesetzte Saum ihres Morgenmantels glitt über die Fliesen. „Ich werde mich nach einem passenden Mann für dich umsehen und dich hier in Griechenland etablieren."
„Du ahnst gar nicht, wie dankbar ich dir dafür wäre", gab Melanie trocken zurück.
„Keine Ursache. Wozu sind Freunde schließlich da?" Liz nahm Melanies Spott nicht zur Kenntnis. „Dorian wird dir gefallen, da bin ich sicher. Ein toller Mann! Einer von Alex'
Top-Mitarbeitern, ungeheuer attraktiv. Blond, männlich ... ein Typ wie Robert Redford. Du wirst ihn morgen kennen lernen."
„Ich werde heute noch meinen Vater veranlassen, die Mitgift zusammenzustellen."
„Ich scherze nicht!" Liz blickte Melanie vorwurfsvoll an. „Du kommst hier nur über meine Leiche wieder weg. Wir werden herrliche Tage am Strand verbringen, und du wirst die fantastischsten Männer kennen lernen und vergessen, dass es New York und die UNO überhaupt gibt."
„Das habe ich schon vergessen." Melanie warf die Haare über die Schultern zurück. „Also See, Sonne und Männer, ja? Ich bin dir leider ausgeliefert. Und jetzt schleppst du mich wohl gleich an den Strand und gibst erst Ruhe, wenn ich bronzebraun bin, wie?"
„Richtig!" Liz nickte nachdrücklich. „Zieh dich um. Bis gleich."
Eine halbe Stunde später hatte Melanie schon nichts mehr gegen Liz' Behandlungsmethoden. Weißer Sand, blaues Meer ... Sie ließ sich von den sanften Wellen wiegen.
Warf ihr Vater ihr nicht auch immer vor, sie sei besessen von der Arbeit? Melanie drehte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Nach dem beruflichen Stress und der Katastrophe mit Jack war sie nirgends besser aufgehoben als auf dieser friedlichen Insel. Hier würde sie endlich zur Ruhe kommen.
Jack gehörte der Vergangenheit an. Es war keine leidenschaftliche Liebe gewesen, eher Gewohnheit, gestand Melanie sich ein. Sie hatte einen intelligenten männlichen Partner gebraucht und Jack eine attraktive Frau, deren Image seiner politischen Karriere förderlich sein konnte.
Hätte ich ihn je geliebt, überlegte Melanie, könnte ich das jetzt nicht so sachlich beurteilen. Das Ende hatte für sie weder Schmerz noch Einsamkeit bedeutet, sondern eher Erleichterung. Erleichterung und eine seltsame Leere ... Das bedrückende Gefühl, im luftleeren Raum zu schweben, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Liz' Einladung war gerade zur rechten Zeit gekommen. Diese Insel war eine Oase der Ruhe und des Friedens - ein Paradies. Melanie öffnete die Augen. Leuchtend blauer Himmel, Sonne, der Sand, Felsen und überall Spuren, die Erinnerungen an die Götter der Antike weckten. Und jenseits des Golfs von Edremit die Türkei mit ihren geheimnisumwobenen goldenen Palästen ... Melanie schloss die Augen wieder und wäre fast eingeschlafen, hätte Liz sie nicht gerufen.
„Melanie! Der Mensch muss in regelmäßigen Abständen etwas zu sich nehmen."
„Du denkst immer nur ans Essen."
„Und an deinen Teint", erwiderte Liz vom Strand her. „Du bist schon viel zu lange in der prallen Sonne. Das Mittagessen kann man verschmerzen, einen Sonnenbrand nicht."
Seufzend schwamm Melanie zum Strand zurück, richtete sich auf und schüttelte sich wie ein nasser Hund.
„Nun komm schon!" drängte Liz. „Alex reißt sich spätestens zum Lunch von seinen Schiffen los."
Essen auf der Terrasse, daran könnte ich mich gewöhnen, dachte Melanie, als sie bei Eiskaffee und Früchten angelangt waren. Sie merkte deutlich, dass Alexander Theocharis von seiner kleinen goldblonden Frau noch genauso begeistert war wie damals in New York.
Obwohl Melanie es Liz gegenüber nicht zugeben wollte, war sie stolz darauf, die beiden zusammengebracht zu haben. Ein ideales Paar, dachte sie. Alex war nicht nur charmant, er sah blendend aus. Das markante, sonnengebräunte Gesicht wirkte durch die Narbe über der Augenbraue verwegen männlich. Er war groß und schlank - eine aristokratische Erscheinung. Alles in allem war er das ideale Gegenstück zu Liz' zarter blonder Schönheit.
Rebeccas Traum
1. Kapitel
Rebecca wusste, es war verrückt. Aber genau das war es, was sie daran reizte. Es war gegen jede
Vernunft und widersprach eigentlich ihrem Wesen. Aber sie erlebte gerade die aufregendste Zeit ihres Lebens. Vom Balkon ihrer Suite aus hatte sie einen wundervollen Ausblick auf das tiefblaue Wasser des Ionischen Meeres. Die Sonne ging gerade unter und warf leuchtend rote Strahlen über das nur leicht bewegte Wasser.
Korfu. Allein schon der Name klang geheimnisvoll und verlockend. Und sie war hier, wirklich hier. Sie, Rebecca Malone, eine nüchtern denkende und ebenso handelnde Frau, die sich vorher nie mehr als ein paar hundert Kilometer von Philadelphia entfernt hatte, war in Griechenland! Und zwar auf Korfu, einem der bevorzugten Ferienparadiese Europas.
Aber so hatte sie es sich auch vorgestellt. Nur vom Besten, solange es eben ging. Dazu war sie fest entschlossen.
Rebeccas Chef hatte sie ungläubig angesehen, als sie ihm von ihrem Vorhaben erzählte und ihm anschließend die Kündigung überreicht hatte. Ihr war klar gewesen, dass er für ihren Entschluss niemals wirkliches Verständnis aufbringen würde. Rebecca arbeitete bei einer der besten Steuerberatungsfirmen Philadelphias als Buchhalterin. Sie bekam ein ansehnliches Gehalt und hatte gute Aufstiegschancen.
Auch ihre Freunde hatten sich sehr gewundert, dass sie diesen Job aufgab, ohne einen besseren gefunden zu haben.
Aber Rebecca hatte sich um all dies nicht gekümmert. Als ihr letzter Arbeitstag gekommen war, hatte sie ihren Schreibtisch aufgeräumt, ihre Sachen eingepackt und war gegangen.
Als sie dann auch noch ihre Wohnung mitsamt der Einrichtung innerhalb einer Woche verkauft hatte, zweifelten wirklich einige Freunde und Bekannte an ihrem Verstand.
Aber Rebecca hatte sich niemals klarer bei Verstand gefühlt.
Nun besaß sie tatsächlich nicht mehr, als in einen Koffer passte. Sie hatte keinerlei Verpflichtungen und seit sechs Wochen keine Rechenmaschine und Steuerbelege mehr zu Gesicht bekommen.
Zum ersten Mal, und vielleicht zum letzten Mal in ihrem Leben, war sie völlig frei und ungebunden. Sie stand nicht unter Zeitdruck, brauchte morgens ihren Kaffee nicht in Eile hinunterzustürzen und nach der Uhr zu leben. Sie hatte nicht einmal einen Wecker eingepackt. Sie besaß gar keinen mehr. Verrückt? Nein! Rebecca schüttelte den Kopf und lachte. Sie war entschlossen, das Leben in vollen Zügen zu genießen, solange es nur irgend ging.
Der Tod ihrer Tante Jeannie war der Wendepunkt in ihrem Leben gewesen. Völlig unerwartet stand Rebecca ohne jeden weiteren Verwandten in der Welt allein da.
Tante Jeannie hatte ihr Leben lang hart gearbeitet. Sie war immer pünktlich gewesen, immer zuverlässig. Ihre Stellung als Leiterin einer Bibliothek war ihr einziger Lebensinhalt gewesen. Sie hatte niemals auch nur einen Tag gefehlt oder auch nur einmal ihre Pflicht nicht erfüllt. Sie war ein Mensch gewesen, der seine Versprechen immer einhielt und auf den man sich verlassen konnte.
Mehr als nur einmal hatte man Rebecca gesagt, sie ähnle ihrer Tante sehr. Sie war zwar erst vierundzwanzig, aber sie war ebenso korrekt und solide wie ihre unverheiratete Tante. Tante Jeannie hatte gerade zwei Monate Zeit gehabt, Reisepläne zu schmieden und ihr wohlverdientes Rentenalter zu genießen. Dann war sie im Alter von fünfundsechzig Jahren gestorben. Mehr Zeit war ihr nicht geblieben, die Früchte ihres langen Arbeitslebens zu genießen.
Zuerst hatte Rebecca außer großer Traurigkeit nichts verspürt. Doch nach und nach war ihr klar geworden, dass sie das
gleiche Schicksal erwartete, wenn sie weiterlebte wie bisher. Sie arbeitete, schlief und aß allein in ihrer schönen Wohnung, die sie von ihrer Tante geerbt hatte. Sie besaß einen kleinen Kreis netter Freunde, auf die sie sich in schwierigen Zeiten verlassen konnte. Rebecca war ein Mensch, der sich immer zu helfen wusste. Sie würde niemals jemanden mit ihren Problemen belasten - sie hatte nämlich keine.
Irgendwann begriff sie dann, dass sie ihr Leben ändern musste. Und sie tat es.
Es war eigentlich kein Davonlaufen gewesen, eher ein „Sichbefreien" von vielen Zwängen und starren Gewohnheiten. Bisher hatte sie immer getan, was man von ihr erwartete. Sie hatte immer versucht, wenig Aufhebens um ihre Person zu machen. Während ihrer Schulzeit war sie ein eher schüchternes Mädchen gewesen, das lieber las, als mit ihren Altersgenossen herumzutollen. Als sie dann aufs College ging, wollte sie Tante Jeannies Erwartungen erfüllen und saß noch mehr über ihren Büchern als vorher.
Rebecca hatte schon immer gut mit Zahlen umgehen können, und zudem war sie sehr gewissenhaft. Was lag da näher, als dies zu ihrem Beruf zu machen? Es war eine Arbeit gewesen, die ihr entsprach und Spaß machte. Sie hatte nie von einem anderen Leben geträumt.
Und nun war sie dabei, sich selbst kennen zu lernen, die Rebecca Malone, die sie nicht kannte. In den Wochen oder Monaten, die vor ihr lagen, wollte sie mehr über sich erfahren. Außerdem war sie entschlossen, sich so zu akzeptieren und zu mögen, wie sie war.
Wenn ihr Geld aufgebraucht sein würde, würde sie sich einen neuen Job suchen und wieder die vernünftige, praktische Rebecca werden. Aber bis zu diesem ungewissen Zeitpunkt würde sie reich sein, ohne Verpflichtung und bereit, alles auf sich zukommen zu lassen. Und plötzlich merkte sie, dass sie Hunger hatte.
Stephanos sah Rebecca, als sie das Restaurant betrat. Sie war eigentlich keine wirkliche Schönheit. Schöne Frauen sah man jeden Tag. Aber an dieser war etwas, das ihn faszinierte. Sie ging stolz und aufrecht, als gehöre ihr die Welt.
Stephanos betrachtete die Fremde genauer. Sie war schlank und besaß eine gute Figur und helle Haut. Sie muss gerade angekommen sein, dachte er. Das weiße Strandkleid ließ Schulter und Rücken frei und stand in aufregendem Gegensatz zu dem pechschwarzen, kurz geschnittenen Haar.
Sie blieb stehen und holte Luft, wie es schien. Dann lächelte sie dem Kellner zu und ließ sich von ihm an einen freien Tisch führen. Stephanos gefiel ihr Gesicht. Es wirkte fröhlich, intelligent und offen. Besonders beeindruckend fand er ihre Augen. Sie waren von einem blassen, beinahe durchsichtigen Grau. Aber in ihrem Ausdruck war absolut nichts Blasses. Wieder lächelte die Frau dem Kellner zu und sah sich im Raum um. Sie machte auf ihn den Eindruck, als wäre sie in ihrem Leben nie glücklicher gewesen als jetzt.
Schließlich trafen sich ihre Blicke.
Rebecca schaute rasch in eine andere Richtung, als sie bemerkte, dass der hoch gewachsene, gut aussehende Mann an der Bar sie ansah. Sie wurde oft von Männern bewundernd betrachtet, aber diese Blicke machten sie verlegen. Sie wusste nie, wie sie damit umgehen sollte. Um ihre Verwirrung zu verbergen, nahm sie die Speisekarte zur Hand.
Eigentlich hatte Stephanos gehen wollen, aber impulsiv entschied er sich anders. Er winkte den Kellner heran und sprach ein paar Worte mit ihm. Der Kellner nickte und verschwand. Gleich darauf brachte er eine Flasche Champagner an Rebeccas Tisch.
„Mit der besten Empfehlung von Mr. Nikodemos", sagte er
und deutete unauffällig mit dem Kopf zur Bar.
Rebecca sah überrascht hinüber. „Also, ich ...", stammelte sie. Doch dann riss sie sich zusammen. Eine Frau von Welt durfte sich doch nicht von einer Flasche Champagner aus dem Gleichgewicht bringen lassen.
Warum sollte sie das Geschenk eines ausgesprochen attraktiven Mannes nicht annehmen? Und vielleicht sogar ein wenig mit ihm flirten?
Fasziniert beobachtete Stephanos das wechselnde Mienenspiel auf dem Gesicht der Unbekannten. Kurz zuvor hatte er noch ein Gefühl der Langeweile empfunden. Plötzlich war es wie weggeblasen.
Als sie die Hand leicht hob und ihm zulächelte, ahnte er nicht, dass ihr Herz heftig schlug. Er nahm es nur als eine Geste des Dankes - und als Einladung, an ihren Tisch zu kommen.
Als er auf ihren Tisch zukam, bemerkte Rebecca erst, wie blendend dieser Mann aussah. Er war schlank und hoch gewachsen und hatte dichtes blondes Haar. Seine Haut war sonnengebräunt, und an seinem Kinn entdeckte sie eine kaum sichtbare Narbe. Es war ein ausdrucksstarkes Gesicht mit einem Kinn, das Willensstärke und Energie ausdrückte. Die Augen des Mannes waren dunkelblau.
Die Geliebte des Malers
1. Kapitel
Alice stand da und wartete geduldig. Mrs. Sommerson, Stammkundin in „The Best Boutique", nahm nun bereits das dritte Kleid hastig vom Bügel, hielt es hoch, betrachtete es einen Moment kritisch und übergab es ihr dann unzufrieden.
„Das wird wahrscheinlich auch nicht passen", murmelte sie dabei und sah währenddessen nach einem dunkelblauen Leinenkleid. Interessiert holte sie es hervor, überlegte eine Sekunde, dann landete auch das schöne Stück in Alices Armen. Tapfer versuchte diese, nicht die Geduld zu verlieren.
Sie war nun schon seit drei Monaten in „The Best Boutique" als Verkäuferin angestellt, und ihrer Meinung nach hatte sie inzwischen eine Menge gelernt. Am schwersten war es ihr gefallen, Geduld zu haben, auch wenn das manchmal nicht ganz einfach war - wie bei Mrs. Sommerson zum Beispiel.
Pflichtschuldig folgte sie der vollschlanken Mrs. Sommerson zum nächsten Kleiderständer. Inzwischen spürte sie das Gewicht der Kleider auf dem Arm. Sie wechselte zum linken hinüber und kam zu dem Schluss, dass nun bald der Punkt erreicht wäre, an dem sie das mühsam Erlernte vergessen und die Geduld verlieren würde.
„Ich werde dies hier auf jeden Fall mal anprobieren", verkündete Mrs. Sommerson endlich und begab sich in die Umkleidekabine.
Leise vor sich hin schimpfend, machte sich Alice daran, die verschmähten Kleider an ihren Platz zurückzuhängen.
Zwischendurch steckte sie eine Haarnadel fest, die sich aus der Frisur löste. Ihre Chefin, Julia Wilson, die Besitzerin der Boutique, liebte Ordnung über alles. Sie gestattete es daher keiner ihrer Angestellten, das Haar während der Arbeitszeit offen zu tragen.
Dass wir alle sauber und ordentlich aussehen sollen, dagegen ist ja nichts zu sagen, seufzte Alice im Stillen. Aber muss man deshalb auch fantasielos daherkommen?
Sie schüttelte den Kopf über Mrs. Wilson, während sie das dunkelblaue Leinenkleid auf den Bügel zurückhängte. Leider war Alice eher unordentlich, dazu besaß sie eine Menge Fantasie und legte keinen Wert auf ein streng wirkendes Äußeres.
Ihr Haar schien wie ein Spiegel ihrer Persönlichkeit. Seine Schattierungen reichten von zartem Goldblond bis hin zu einem satten, kräftigen Braun. Sie trug es lang, und es war kräftig. Deshalb widersetzte es sich allen Bändigungsversuchen, wie etwa durch Haarnadeln, erfolgreich. Alice störte das nicht, aber Mrs. Wilson umso mehr.
Alices frisches, natürliches Aussehen hatte vor allem dazu beigetragen, dass sie diese Stelle erhalten hatte. Berufserfahrung konnte sie nämlich nicht vorweisen. Aber Mrs. Wilson hatte sofort erkannt, dass Alices Erscheinung ein gutes Aushängeschild für ihre Kollektion abgeben würde. Sie hoffte, dass Alices Figur - sie war schlank und groß - anregend auf die Kundinnen wirkte und deren Kauflust anstachelte.
Auch Alices Gesicht hatte Mrs. Wilson gefallen. Sie ging zwar nicht so weit zu behaupten, sie sei schön - das hätte der weibliche Neid wohl auch nicht zugelassen -, aber sie fand Alices Gesicht auf jeden Fall interessant.
Alice hatte ein klares Profil, hübsch geschwungene Brauen und veilchenblaue Augen, die in ihrem schmalen Gesicht beinahe übergroß wirkten.
Für Mrs. Wilson waren zwar Alices Gesicht, ihre Figur und die wohltönende Stimme ausschlaggebend für die Einstellung gewesen, aber sie bestand darauf, dass sie das Haar aufsteckte. Ihrer Meinung nach verlieh nämlich offenes, ungebändigtes Haar selbst feinen aristokratischen Zügen etwas Alltägliches, ja fast Gewöhnliches.
Sie fand auch Gefallen an Alices jugendlicher Lebensfreude, ihrer Intelligenz und ihrer Energie. Aber schon bald nach der Einstellung kam sie widerstrebend zu der Erkenntnis, dass Alice doch nicht ganz so fügsam war, wie sie es sich eigentlich, schon mit Hinblick auf ihre Jugend, erhofft hatte.
Nach ihrer Auffassung hatte Alice einen etwas unglücklichen Hang zu vergessen, wo sie sich befand. Mehr als einmal hatte sie Alice dabei ertappt, wie sie Kunden ungehörige Fragen stellte oder ungebetene Ratschläge erteilte. Von Zeit zu Zeit pflegte sie selbstvergessen vor sich hin zu lächeln. Dann dachte sie wohl gerade an etwas sehr Amüsantes, und oft, viel zu oft, verlor sie sich in Tagträumereien.
Mrs. Wilson waren daher inzwischen ernsthafte Zweifel gekommen, ob sie Allee St. John wirklich als Gewinn für die Boutique ansehen sollte.
Alice hatte inzwischen die von Mrs. Sommerson abgelehnten Kleider wieder an ihren Platz gehängt und bezog nun Posten vor der Umkleidekabine. Aus dem Inneren vernahm sie das Rascheln von Stoff. Wie so oft, wenn sie Gelegenheit dazu hatte, ließ sie die Gedanken auf Wanderschaft gehen.
Im Moment drehten sie sich um das Manuskript, das aufgeschlagen auf Alices Schreibtisch in ihrer Wohnung lag und dort auf sie wartete.
Soweit sie sich zurückerinnern konnte, war die Schriftstellerei ihr Traum gewesen. Sie hatte deshalb sogar angefangen, Literatur zu studieren, um sich ernsthaft mit der Materie auseinander zu setzen. Aber das war nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich gewesen, denn mit neunzehn Jahren hatte sie plötzlich allein gestanden, ohne Familie und mit nur wenig Geld. Um ihr Studium finanzieren zu können, hatte sie verschiedene Jobs angenommen. So war ihr zwischen Ausbildung und Berufstätigkeit nur wenig Zeit geblieben, und diese hatte sie für die Arbeit an ihrem ersten Roman verwendet.
Für Alice bedeutete das Schreiben nicht Beruf, sondern Berufung. Ihre ganzen Wünsche hatten sich seit frühester Jugend darauf gerichtet, und da blieb ihr nur wenig Zeit für irgendwelche anderen Dinge. Sie liebte die Menschen, aber sie hatte kaum Umgang mit Freunden oder Bekannten. Sie schrieb von komplizierten Beziehungen, aber ihre Kenntnisse darüber stammten meist aus zweiter Hand. Was ihren Versuchen Qualität verlieh, waren ihr ausgezeichnetes Beobachtungsvermögen und die überraschende Gefühlstiefe, die in den Erzählungen, die sie schrieb, zum Ausdruck kam.
Vor einem Jahr hatte sie ihr Studium beendet, nun arbeitete sie hier in der Boutique, um die Miete für ihre Wohnung bezahlen zu können. Mit ihrem ersten fertigen Manuskript hatte sie sich bereits auf die Suche nach einem Verleger begeben, das zweite war im Entstehen begriffen.
Als Mrs. Sommerson den Vorhang der Umkleidekabine öffnete, war Allee gerade in Gedanken damit beschäftigt, eine Szene ihres zweiten Buches zu überarbeiten. Mrs. Sommerson nickte ihr wohlwollend zu.
„Das passt doch ausgezeichnet, nicht wahr?" Die Kundin stand in einem flammend roten Seidenkleid zufrieden vor ihr.
Alice stellte fest, dass die Farbe des Kleides Mrs. Sommersons ohnehin blühenden Teint noch wirkungsvoller unterstrich und einen ausgesprochen aparten Kontrast zu dem dichten pechschwarzen Haar bot. Das Kleid hätte wahrhaft ideal für sie sein können, wenn Mrs. Sommerson ein paar Pfund weniger gewogen hätte. Aber Alice sah dennoch gewisse Möglichkeiten.
„Sie werden die Blicke aller auf sich ziehen, Mrs. Sommerson", prophezeite sie nach einer Weile. Mit den passenden Accessoires wird Mrs. Sommerson bestimmt beeindruckend aussehen, fand sie. Nur spannte der Seidenstoff leider etwas über den Hüften. Da hilft nur die nächste Größe, stellte Alice kritisch bei sich fest.
„Ich glaube, das Kleid haben wir auch noch eine Nummer größer vorrätig", dachte sie laut.
„Wie bitte?"
Alice war so damit beschäftigt, die Hüften von Mrs. Sommerson in Augenschein zu nehmen, dass sie dabei den unwilligen Gesichtsausdruck der Kundin völlig übersah.
„Eine Nummer größer", wiederholte sie hilfsbereit. „Dieses Kleid spannt etwas über den Hüften. Eine Nummer größer, und es sitzt sicher wie angegossen."
„Das ist meine Größe, Junge Frau!" Mrs. Sommersons Busen hob und senkte sich Unheil drohend.
Aber Alice weilte in Gedanken schon bei den Accessoires. Sie lächelte und nickte. „Goldener Modeschmuck wäre wohl passend dazu." Nachdenklich legte sie den Finger auf die Lippen. „Aber ich hole erst einmal das größere Kleid."
„Dies ist meine Größe!" beharrte Mrs. Sommerson in einem Tonfall, der Alice zusammenzucken ließ. Jede Silbe drückte Empörung aus.
Alice erkannte ihren Fehler und verspürte ein flaues Gefühl in der Magengrube. Krampfhaft versuchte sie sich etwas Besänftigendes einfallen zu lassen, wie sollte sie bloß Mrs. Sommerson beschwichtigen? Sie hatte sie offenbar gekränkt. Aber noch ehe sie dazu kam, den Schaden wieder gutzumachen, stand Mrs. Wilson hinter ihr.
„Eine ausgezeichnete Wahl, Mrs. Sommerson", stellte sie mit ihrer melodischen Altstimme fest. Mit verbindlichem Lächeln wanderte ihr Blick zwischen der Kundin und der Verkäuferin hin und her. „Gibt es ein Problem?"
„Diese junge Frau ..." Mrs. Sommerson konnte sich gar nicht wieder beruhigen. „Sie besteht darauf, dass ich mich in meiner Größe geirrt habe!"
„Aber nein, gnädige Frau!" protestierte Alice. Sie verstummte, weil ihre Chefin ihr einen scharfen Blick zuwarf.
„Ich bin sicher, Miss St. John wollte damit nur sagen, dass diese Modelle hier alle viel kleiner ausfallen als gewöhnlich. Man kann sich bei dieser Firma überhaupt nicht auf die Größenangaben verlassen."
Natürlich, dass sie daran nicht gedacht hatte! Alice ärgerte sich über sich selbst.
„Nun gut." Mrs. Sommersons Stimme klang noch immer leicht verärgert, und sie sah Alice missbilligend an. „Das hätte sie mir ja schließlich sagen können. Stattdessen versucht sie mir einzureden, ich sei dicker geworden. Wirklich, meine Liebe", sie wandte sich kopfschüttelnd um, um in die Kabine zurückzugehen. „Sie sollten Ihr Personal besser anleiten. Die jungen Mädchen dürfen doch nicht so unhöflich zu Kundinnen sein."
Alice blickte vor Empörung düster drein, aber auf Mrs. Wilsons warnenden Blick hin verschluckte sie die Antwort, die ihr auf der Zunge lag.
„Ich selbst werde Ihnen das Kleid in der nächsten Größe holen, Mrs. Sommerson", beschwichtigte Mrs. Wilson sie und lächelte wieder. „Ich bin sicher, es wird genau passen. Sie warten in meinem Büro auf mich, Alice", fügte sie strenger hinzu.
Mit gemischten Gefühlen sah Alice Mrs. Wilson nach. Diesen Ton kannte sie nur zu gut. Ganze drei Monate bin ich hier gewesen, überlegte sie seufzend. Auch gut! Mit einem letzten Blick auf Mrs. Sommerson ging sie den engen Flur entlang, der zu dem kleinen, geschmackvollen Büro ihrer Chefin führte.
Mäßig interessiert betrachtete sie den rechteckigen fensterlosen Raum und ließ sich in einem der kleinen, goldgelb gepolsterten Sessel nieder. Hier hatte alles angefangen, hier würde es in Kürze enden, dessen war sie sich sicher.
Sie wusste genau, was gleich kommen würde, und malte sich in Gedanken die Szene aus: In ein paar Minuten wird sie hereinkommen und sich hinter ihren hübschen Rosenholzschreibtisch setzen. Sie wird mich ansehen, sich räuspern, und dann geht es los.
Genehmigte Sonderausgabe 2009 für
Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
„Oh Melanie, du bist schöner denn je! Ich freue mich so, dass du endlich hier bist."
Melanie blickte auf die Landschaft hinaus. „Und da ich endlich hier bin, verstehe ich nicht, wie ich es so lange hinauszögern konnte."
Das Dienstmädchen schenkte den Kaffee ein.
„Efcharistó", bedankte sich Melanie.
„Unglaublich!" schimpfte Liz gespielt ärgerlich. „Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, bis ich endlich guten Tag, wie geht es Ihnen?' auf Griechisch sagen konnte?" Als Melanie etwas erwidern wollte, winkte sie lächelnd ab, Brillanten und Saphire ihres Eherings blitzten in der Sonne auf. „Lass nur! Nach drei Jahren mit Alex und einem ebenso langen Leben in Athen und auf Lesbos stolpere ich noch immer über diese Sprache. Danke, Zena", fügte sie hinzu und entließ das Mädchen mit einem Lächeln.
„Weil du dich weigerst, sie zu lernen." Melanie biss in ein Stück Toast. Erst jetzt merkte sie, wie hungrig sie war. „Wenn du dich einer fremden Sprache nicht verschließt, nimmst du sie ganz von selbst auf."
„Du hast gut reden." Liz schaute Melanie vorwurfsvoll an. „Du sprichst mindestens ein Dutzend Sprachen." „Fünf."
„Vier mehr, als ein normaler Mensch braucht."
„Das gilt aber nicht für eine Dolmetscherin." Melanie machte sich über das Rührei her. „Spräche ich nicht Griechisch, hätte ich Alex nicht kennen gelernt, und du wärst jetzt nicht Elizabeth Theocharis. Schicksal", fuhr sie fort, „ist ein seltsames und wunderbares Phänomen."
„Philosophie beim Frühstück", sagte Liz in ihre Kaffeetasse hinein. „Manchmal frage ich mich, wie es mir heute ginge, wenn ich nicht zufällig zwischen zwei Flügen zu Hause gewesen wäre, als Alex aufkreuzte. Du hättest uns nicht miteinander bekannt gemacht." Sie nahm sich eine Scheibe Toast und gab einen Klecks Pflaumengelee darauf.
„Alles ist vorbestimmt, Liz", sagte Melanie. „Das Schicksal hat euch zusammengeführt, nicht ich. Bei euch beiden war es Liebe auf den ersten Blick - nur ist das nicht mein Verdienst." Sie lächelte zu der kühlen blonden Schönheit hinüber. „Kaum hattet ihr euch kennen gelernt, hattet ihr auch schon geheiratet und flogt davon, und ich saß allein in dem leeren Apartment."
„Wir hatten beschlossen, erst zu heiraten und uns danach kennen zu lernen." Liz lachte leise in sich hinein. „Und so geschah es dann auch."
„Wo ist Alex eigentlich?"
„Unten in seinem Arbeitszimmer." Liz legte ihren Toast auf den Teller zurück. „Er baut wieder mal ein Schiff."
Melanie musste lachen. „Du sagst das, als wäre er mit seiner Spielzeugeisenbahn beschäftigt. Du solltest dich entschieden snobistischer ausdrücken. Das erwartet man von Frauen, die einen Millionär geheiratet haben - noch dazu einen ausländischen."
„Ja? Na, mal sehen, was ich tun kann." Liz trank einen Schluck Kaffee. „Alex wird wahrscheinlich in den kommenden Wochen furchtbar beschäftigt sein. Schon deshalb freue ich mich so, dass du hier bist."
„Du brauchst einen Partner zum Cribbage - stimmt's?"
„Unsinn!" Liz lachte. „Du bist der miserabelste CribbagePartner, den ich kenne, aber mach dir nichts draus, es geht mir nicht ums Kartenspielen. Ich finde es herrlich, meine beste Freundin, eine waschechte Amerikanerin, um mich zu haben!"
„Spassiba."
„Bitte Englisch, ja?" tadelte Liz. „Außerdem ... denk nicht, ich hätte nicht gemerkt, dass das kein Griechisch, sondern Russisch war. Merk dir, dass du für die nächsten vier Wochen keinen politischen Unsinn bei den Vereinten Nationen dolmetschst, sondern dich ganz normal mit Freunden unterhältst."
Liz beugte sich etwas vor und schaute ihre Freundin nachdenklich an. „Ganz ehrlich, Melanie, hast du nicht manchmal Angst, du könntest etwas falsch übersetzen und damit den Dritten Weltkrieg auslösen?"
„Wer - ich?" Melanie machte große Augen. „Keine Angst! Der Trick besteht darin, in der Sprache zu denken, die man übersetzt. Ganz einfach."
„Oh natürlich, ganz einfach." Liz lehnte sich wieder zurück. „Aber jetzt hast du Urlaub und brauchst nicht in fremden Sprachen zu denken. Es sei denn, du willst dich mit meinem Koch streiten."
„Nichts liegt mir ferner", versicherte Melanie und schob ihren Teller zurück.
„Wie geht es eigentlich deinem Vater?"
„Großartig wie immer." Melanie schenkte sich Kaffee nach. Wann hatte sie sich zum letzten Mal morgens Zeit für eine zweite Tasse Kaffee genommen? Ferien, hatte Liz gesagt, und das bedeutete, sie war frei wie ein Vogel in der Luft. „Er lässt dich grüßen und hat mir aufgetragen, ein paar Flaschen Ouzo nach New York zu schmuggeln."
„Ich habe nicht vor, dich nach New York zurückkehren zu lassen." Liz stand auf und ging auf dem Balkon hin und her. Der spitzenbesetzte Saum ihres Morgenmantels glitt über die Fliesen. „Ich werde mich nach einem passenden Mann für dich umsehen und dich hier in Griechenland etablieren."
„Du ahnst gar nicht, wie dankbar ich dir dafür wäre", gab Melanie trocken zurück.
„Keine Ursache. Wozu sind Freunde schließlich da?" Liz nahm Melanies Spott nicht zur Kenntnis. „Dorian wird dir gefallen, da bin ich sicher. Ein toller Mann! Einer von Alex'
Top-Mitarbeitern, ungeheuer attraktiv. Blond, männlich ... ein Typ wie Robert Redford. Du wirst ihn morgen kennen lernen."
„Ich werde heute noch meinen Vater veranlassen, die Mitgift zusammenzustellen."
„Ich scherze nicht!" Liz blickte Melanie vorwurfsvoll an. „Du kommst hier nur über meine Leiche wieder weg. Wir werden herrliche Tage am Strand verbringen, und du wirst die fantastischsten Männer kennen lernen und vergessen, dass es New York und die UNO überhaupt gibt."
„Das habe ich schon vergessen." Melanie warf die Haare über die Schultern zurück. „Also See, Sonne und Männer, ja? Ich bin dir leider ausgeliefert. Und jetzt schleppst du mich wohl gleich an den Strand und gibst erst Ruhe, wenn ich bronzebraun bin, wie?"
„Richtig!" Liz nickte nachdrücklich. „Zieh dich um. Bis gleich."
Eine halbe Stunde später hatte Melanie schon nichts mehr gegen Liz' Behandlungsmethoden. Weißer Sand, blaues Meer ... Sie ließ sich von den sanften Wellen wiegen.
Warf ihr Vater ihr nicht auch immer vor, sie sei besessen von der Arbeit? Melanie drehte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Nach dem beruflichen Stress und der Katastrophe mit Jack war sie nirgends besser aufgehoben als auf dieser friedlichen Insel. Hier würde sie endlich zur Ruhe kommen.
Jack gehörte der Vergangenheit an. Es war keine leidenschaftliche Liebe gewesen, eher Gewohnheit, gestand Melanie sich ein. Sie hatte einen intelligenten männlichen Partner gebraucht und Jack eine attraktive Frau, deren Image seiner politischen Karriere förderlich sein konnte.
Hätte ich ihn je geliebt, überlegte Melanie, könnte ich das jetzt nicht so sachlich beurteilen. Das Ende hatte für sie weder Schmerz noch Einsamkeit bedeutet, sondern eher Erleichterung. Erleichterung und eine seltsame Leere ... Das bedrückende Gefühl, im luftleeren Raum zu schweben, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Liz' Einladung war gerade zur rechten Zeit gekommen. Diese Insel war eine Oase der Ruhe und des Friedens - ein Paradies. Melanie öffnete die Augen. Leuchtend blauer Himmel, Sonne, der Sand, Felsen und überall Spuren, die Erinnerungen an die Götter der Antike weckten. Und jenseits des Golfs von Edremit die Türkei mit ihren geheimnisumwobenen goldenen Palästen ... Melanie schloss die Augen wieder und wäre fast eingeschlafen, hätte Liz sie nicht gerufen.
„Melanie! Der Mensch muss in regelmäßigen Abständen etwas zu sich nehmen."
„Du denkst immer nur ans Essen."
„Und an deinen Teint", erwiderte Liz vom Strand her. „Du bist schon viel zu lange in der prallen Sonne. Das Mittagessen kann man verschmerzen, einen Sonnenbrand nicht."
Seufzend schwamm Melanie zum Strand zurück, richtete sich auf und schüttelte sich wie ein nasser Hund.
„Nun komm schon!" drängte Liz. „Alex reißt sich spätestens zum Lunch von seinen Schiffen los."
Essen auf der Terrasse, daran könnte ich mich gewöhnen, dachte Melanie, als sie bei Eiskaffee und Früchten angelangt waren. Sie merkte deutlich, dass Alexander Theocharis von seiner kleinen goldblonden Frau noch genauso begeistert war wie damals in New York.
Obwohl Melanie es Liz gegenüber nicht zugeben wollte, war sie stolz darauf, die beiden zusammengebracht zu haben. Ein ideales Paar, dachte sie. Alex war nicht nur charmant, er sah blendend aus. Das markante, sonnengebräunte Gesicht wirkte durch die Narbe über der Augenbraue verwegen männlich. Er war groß und schlank - eine aristokratische Erscheinung. Alles in allem war er das ideale Gegenstück zu Liz' zarter blonder Schönheit.
Rebeccas Traum
1. Kapitel
Rebecca wusste, es war verrückt. Aber genau das war es, was sie daran reizte. Es war gegen jede
Vernunft und widersprach eigentlich ihrem Wesen. Aber sie erlebte gerade die aufregendste Zeit ihres Lebens. Vom Balkon ihrer Suite aus hatte sie einen wundervollen Ausblick auf das tiefblaue Wasser des Ionischen Meeres. Die Sonne ging gerade unter und warf leuchtend rote Strahlen über das nur leicht bewegte Wasser.
Korfu. Allein schon der Name klang geheimnisvoll und verlockend. Und sie war hier, wirklich hier. Sie, Rebecca Malone, eine nüchtern denkende und ebenso handelnde Frau, die sich vorher nie mehr als ein paar hundert Kilometer von Philadelphia entfernt hatte, war in Griechenland! Und zwar auf Korfu, einem der bevorzugten Ferienparadiese Europas.
Aber so hatte sie es sich auch vorgestellt. Nur vom Besten, solange es eben ging. Dazu war sie fest entschlossen.
Rebeccas Chef hatte sie ungläubig angesehen, als sie ihm von ihrem Vorhaben erzählte und ihm anschließend die Kündigung überreicht hatte. Ihr war klar gewesen, dass er für ihren Entschluss niemals wirkliches Verständnis aufbringen würde. Rebecca arbeitete bei einer der besten Steuerberatungsfirmen Philadelphias als Buchhalterin. Sie bekam ein ansehnliches Gehalt und hatte gute Aufstiegschancen.
Auch ihre Freunde hatten sich sehr gewundert, dass sie diesen Job aufgab, ohne einen besseren gefunden zu haben.
Aber Rebecca hatte sich um all dies nicht gekümmert. Als ihr letzter Arbeitstag gekommen war, hatte sie ihren Schreibtisch aufgeräumt, ihre Sachen eingepackt und war gegangen.
Als sie dann auch noch ihre Wohnung mitsamt der Einrichtung innerhalb einer Woche verkauft hatte, zweifelten wirklich einige Freunde und Bekannte an ihrem Verstand.
Aber Rebecca hatte sich niemals klarer bei Verstand gefühlt.
Nun besaß sie tatsächlich nicht mehr, als in einen Koffer passte. Sie hatte keinerlei Verpflichtungen und seit sechs Wochen keine Rechenmaschine und Steuerbelege mehr zu Gesicht bekommen.
Zum ersten Mal, und vielleicht zum letzten Mal in ihrem Leben, war sie völlig frei und ungebunden. Sie stand nicht unter Zeitdruck, brauchte morgens ihren Kaffee nicht in Eile hinunterzustürzen und nach der Uhr zu leben. Sie hatte nicht einmal einen Wecker eingepackt. Sie besaß gar keinen mehr. Verrückt? Nein! Rebecca schüttelte den Kopf und lachte. Sie war entschlossen, das Leben in vollen Zügen zu genießen, solange es nur irgend ging.
Der Tod ihrer Tante Jeannie war der Wendepunkt in ihrem Leben gewesen. Völlig unerwartet stand Rebecca ohne jeden weiteren Verwandten in der Welt allein da.
Tante Jeannie hatte ihr Leben lang hart gearbeitet. Sie war immer pünktlich gewesen, immer zuverlässig. Ihre Stellung als Leiterin einer Bibliothek war ihr einziger Lebensinhalt gewesen. Sie hatte niemals auch nur einen Tag gefehlt oder auch nur einmal ihre Pflicht nicht erfüllt. Sie war ein Mensch gewesen, der seine Versprechen immer einhielt und auf den man sich verlassen konnte.
Mehr als nur einmal hatte man Rebecca gesagt, sie ähnle ihrer Tante sehr. Sie war zwar erst vierundzwanzig, aber sie war ebenso korrekt und solide wie ihre unverheiratete Tante. Tante Jeannie hatte gerade zwei Monate Zeit gehabt, Reisepläne zu schmieden und ihr wohlverdientes Rentenalter zu genießen. Dann war sie im Alter von fünfundsechzig Jahren gestorben. Mehr Zeit war ihr nicht geblieben, die Früchte ihres langen Arbeitslebens zu genießen.
Zuerst hatte Rebecca außer großer Traurigkeit nichts verspürt. Doch nach und nach war ihr klar geworden, dass sie das
gleiche Schicksal erwartete, wenn sie weiterlebte wie bisher. Sie arbeitete, schlief und aß allein in ihrer schönen Wohnung, die sie von ihrer Tante geerbt hatte. Sie besaß einen kleinen Kreis netter Freunde, auf die sie sich in schwierigen Zeiten verlassen konnte. Rebecca war ein Mensch, der sich immer zu helfen wusste. Sie würde niemals jemanden mit ihren Problemen belasten - sie hatte nämlich keine.
Irgendwann begriff sie dann, dass sie ihr Leben ändern musste. Und sie tat es.
Es war eigentlich kein Davonlaufen gewesen, eher ein „Sichbefreien" von vielen Zwängen und starren Gewohnheiten. Bisher hatte sie immer getan, was man von ihr erwartete. Sie hatte immer versucht, wenig Aufhebens um ihre Person zu machen. Während ihrer Schulzeit war sie ein eher schüchternes Mädchen gewesen, das lieber las, als mit ihren Altersgenossen herumzutollen. Als sie dann aufs College ging, wollte sie Tante Jeannies Erwartungen erfüllen und saß noch mehr über ihren Büchern als vorher.
Rebecca hatte schon immer gut mit Zahlen umgehen können, und zudem war sie sehr gewissenhaft. Was lag da näher, als dies zu ihrem Beruf zu machen? Es war eine Arbeit gewesen, die ihr entsprach und Spaß machte. Sie hatte nie von einem anderen Leben geträumt.
Und nun war sie dabei, sich selbst kennen zu lernen, die Rebecca Malone, die sie nicht kannte. In den Wochen oder Monaten, die vor ihr lagen, wollte sie mehr über sich erfahren. Außerdem war sie entschlossen, sich so zu akzeptieren und zu mögen, wie sie war.
Wenn ihr Geld aufgebraucht sein würde, würde sie sich einen neuen Job suchen und wieder die vernünftige, praktische Rebecca werden. Aber bis zu diesem ungewissen Zeitpunkt würde sie reich sein, ohne Verpflichtung und bereit, alles auf sich zukommen zu lassen. Und plötzlich merkte sie, dass sie Hunger hatte.
Stephanos sah Rebecca, als sie das Restaurant betrat. Sie war eigentlich keine wirkliche Schönheit. Schöne Frauen sah man jeden Tag. Aber an dieser war etwas, das ihn faszinierte. Sie ging stolz und aufrecht, als gehöre ihr die Welt.
Stephanos betrachtete die Fremde genauer. Sie war schlank und besaß eine gute Figur und helle Haut. Sie muss gerade angekommen sein, dachte er. Das weiße Strandkleid ließ Schulter und Rücken frei und stand in aufregendem Gegensatz zu dem pechschwarzen, kurz geschnittenen Haar.
Sie blieb stehen und holte Luft, wie es schien. Dann lächelte sie dem Kellner zu und ließ sich von ihm an einen freien Tisch führen. Stephanos gefiel ihr Gesicht. Es wirkte fröhlich, intelligent und offen. Besonders beeindruckend fand er ihre Augen. Sie waren von einem blassen, beinahe durchsichtigen Grau. Aber in ihrem Ausdruck war absolut nichts Blasses. Wieder lächelte die Frau dem Kellner zu und sah sich im Raum um. Sie machte auf ihn den Eindruck, als wäre sie in ihrem Leben nie glücklicher gewesen als jetzt.
Schließlich trafen sich ihre Blicke.
Rebecca schaute rasch in eine andere Richtung, als sie bemerkte, dass der hoch gewachsene, gut aussehende Mann an der Bar sie ansah. Sie wurde oft von Männern bewundernd betrachtet, aber diese Blicke machten sie verlegen. Sie wusste nie, wie sie damit umgehen sollte. Um ihre Verwirrung zu verbergen, nahm sie die Speisekarte zur Hand.
Eigentlich hatte Stephanos gehen wollen, aber impulsiv entschied er sich anders. Er winkte den Kellner heran und sprach ein paar Worte mit ihm. Der Kellner nickte und verschwand. Gleich darauf brachte er eine Flasche Champagner an Rebeccas Tisch.
„Mit der besten Empfehlung von Mr. Nikodemos", sagte er
und deutete unauffällig mit dem Kopf zur Bar.
Rebecca sah überrascht hinüber. „Also, ich ...", stammelte sie. Doch dann riss sie sich zusammen. Eine Frau von Welt durfte sich doch nicht von einer Flasche Champagner aus dem Gleichgewicht bringen lassen.
Warum sollte sie das Geschenk eines ausgesprochen attraktiven Mannes nicht annehmen? Und vielleicht sogar ein wenig mit ihm flirten?
Fasziniert beobachtete Stephanos das wechselnde Mienenspiel auf dem Gesicht der Unbekannten. Kurz zuvor hatte er noch ein Gefühl der Langeweile empfunden. Plötzlich war es wie weggeblasen.
Als sie die Hand leicht hob und ihm zulächelte, ahnte er nicht, dass ihr Herz heftig schlug. Er nahm es nur als eine Geste des Dankes - und als Einladung, an ihren Tisch zu kommen.
Als er auf ihren Tisch zukam, bemerkte Rebecca erst, wie blendend dieser Mann aussah. Er war schlank und hoch gewachsen und hatte dichtes blondes Haar. Seine Haut war sonnengebräunt, und an seinem Kinn entdeckte sie eine kaum sichtbare Narbe. Es war ein ausdrucksstarkes Gesicht mit einem Kinn, das Willensstärke und Energie ausdrückte. Die Augen des Mannes waren dunkelblau.
Die Geliebte des Malers
1. Kapitel
Alice stand da und wartete geduldig. Mrs. Sommerson, Stammkundin in „The Best Boutique", nahm nun bereits das dritte Kleid hastig vom Bügel, hielt es hoch, betrachtete es einen Moment kritisch und übergab es ihr dann unzufrieden.
„Das wird wahrscheinlich auch nicht passen", murmelte sie dabei und sah währenddessen nach einem dunkelblauen Leinenkleid. Interessiert holte sie es hervor, überlegte eine Sekunde, dann landete auch das schöne Stück in Alices Armen. Tapfer versuchte diese, nicht die Geduld zu verlieren.
Sie war nun schon seit drei Monaten in „The Best Boutique" als Verkäuferin angestellt, und ihrer Meinung nach hatte sie inzwischen eine Menge gelernt. Am schwersten war es ihr gefallen, Geduld zu haben, auch wenn das manchmal nicht ganz einfach war - wie bei Mrs. Sommerson zum Beispiel.
Pflichtschuldig folgte sie der vollschlanken Mrs. Sommerson zum nächsten Kleiderständer. Inzwischen spürte sie das Gewicht der Kleider auf dem Arm. Sie wechselte zum linken hinüber und kam zu dem Schluss, dass nun bald der Punkt erreicht wäre, an dem sie das mühsam Erlernte vergessen und die Geduld verlieren würde.
„Ich werde dies hier auf jeden Fall mal anprobieren", verkündete Mrs. Sommerson endlich und begab sich in die Umkleidekabine.
Leise vor sich hin schimpfend, machte sich Alice daran, die verschmähten Kleider an ihren Platz zurückzuhängen.
Zwischendurch steckte sie eine Haarnadel fest, die sich aus der Frisur löste. Ihre Chefin, Julia Wilson, die Besitzerin der Boutique, liebte Ordnung über alles. Sie gestattete es daher keiner ihrer Angestellten, das Haar während der Arbeitszeit offen zu tragen.
Dass wir alle sauber und ordentlich aussehen sollen, dagegen ist ja nichts zu sagen, seufzte Alice im Stillen. Aber muss man deshalb auch fantasielos daherkommen?
Sie schüttelte den Kopf über Mrs. Wilson, während sie das dunkelblaue Leinenkleid auf den Bügel zurückhängte. Leider war Alice eher unordentlich, dazu besaß sie eine Menge Fantasie und legte keinen Wert auf ein streng wirkendes Äußeres.
Ihr Haar schien wie ein Spiegel ihrer Persönlichkeit. Seine Schattierungen reichten von zartem Goldblond bis hin zu einem satten, kräftigen Braun. Sie trug es lang, und es war kräftig. Deshalb widersetzte es sich allen Bändigungsversuchen, wie etwa durch Haarnadeln, erfolgreich. Alice störte das nicht, aber Mrs. Wilson umso mehr.
Alices frisches, natürliches Aussehen hatte vor allem dazu beigetragen, dass sie diese Stelle erhalten hatte. Berufserfahrung konnte sie nämlich nicht vorweisen. Aber Mrs. Wilson hatte sofort erkannt, dass Alices Erscheinung ein gutes Aushängeschild für ihre Kollektion abgeben würde. Sie hoffte, dass Alices Figur - sie war schlank und groß - anregend auf die Kundinnen wirkte und deren Kauflust anstachelte.
Auch Alices Gesicht hatte Mrs. Wilson gefallen. Sie ging zwar nicht so weit zu behaupten, sie sei schön - das hätte der weibliche Neid wohl auch nicht zugelassen -, aber sie fand Alices Gesicht auf jeden Fall interessant.
Alice hatte ein klares Profil, hübsch geschwungene Brauen und veilchenblaue Augen, die in ihrem schmalen Gesicht beinahe übergroß wirkten.
Für Mrs. Wilson waren zwar Alices Gesicht, ihre Figur und die wohltönende Stimme ausschlaggebend für die Einstellung gewesen, aber sie bestand darauf, dass sie das Haar aufsteckte. Ihrer Meinung nach verlieh nämlich offenes, ungebändigtes Haar selbst feinen aristokratischen Zügen etwas Alltägliches, ja fast Gewöhnliches.
Sie fand auch Gefallen an Alices jugendlicher Lebensfreude, ihrer Intelligenz und ihrer Energie. Aber schon bald nach der Einstellung kam sie widerstrebend zu der Erkenntnis, dass Alice doch nicht ganz so fügsam war, wie sie es sich eigentlich, schon mit Hinblick auf ihre Jugend, erhofft hatte.
Nach ihrer Auffassung hatte Alice einen etwas unglücklichen Hang zu vergessen, wo sie sich befand. Mehr als einmal hatte sie Alice dabei ertappt, wie sie Kunden ungehörige Fragen stellte oder ungebetene Ratschläge erteilte. Von Zeit zu Zeit pflegte sie selbstvergessen vor sich hin zu lächeln. Dann dachte sie wohl gerade an etwas sehr Amüsantes, und oft, viel zu oft, verlor sie sich in Tagträumereien.
Mrs. Wilson waren daher inzwischen ernsthafte Zweifel gekommen, ob sie Allee St. John wirklich als Gewinn für die Boutique ansehen sollte.
Alice hatte inzwischen die von Mrs. Sommerson abgelehnten Kleider wieder an ihren Platz gehängt und bezog nun Posten vor der Umkleidekabine. Aus dem Inneren vernahm sie das Rascheln von Stoff. Wie so oft, wenn sie Gelegenheit dazu hatte, ließ sie die Gedanken auf Wanderschaft gehen.
Im Moment drehten sie sich um das Manuskript, das aufgeschlagen auf Alices Schreibtisch in ihrer Wohnung lag und dort auf sie wartete.
Soweit sie sich zurückerinnern konnte, war die Schriftstellerei ihr Traum gewesen. Sie hatte deshalb sogar angefangen, Literatur zu studieren, um sich ernsthaft mit der Materie auseinander zu setzen. Aber das war nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich gewesen, denn mit neunzehn Jahren hatte sie plötzlich allein gestanden, ohne Familie und mit nur wenig Geld. Um ihr Studium finanzieren zu können, hatte sie verschiedene Jobs angenommen. So war ihr zwischen Ausbildung und Berufstätigkeit nur wenig Zeit geblieben, und diese hatte sie für die Arbeit an ihrem ersten Roman verwendet.
Für Alice bedeutete das Schreiben nicht Beruf, sondern Berufung. Ihre ganzen Wünsche hatten sich seit frühester Jugend darauf gerichtet, und da blieb ihr nur wenig Zeit für irgendwelche anderen Dinge. Sie liebte die Menschen, aber sie hatte kaum Umgang mit Freunden oder Bekannten. Sie schrieb von komplizierten Beziehungen, aber ihre Kenntnisse darüber stammten meist aus zweiter Hand. Was ihren Versuchen Qualität verlieh, waren ihr ausgezeichnetes Beobachtungsvermögen und die überraschende Gefühlstiefe, die in den Erzählungen, die sie schrieb, zum Ausdruck kam.
Vor einem Jahr hatte sie ihr Studium beendet, nun arbeitete sie hier in der Boutique, um die Miete für ihre Wohnung bezahlen zu können. Mit ihrem ersten fertigen Manuskript hatte sie sich bereits auf die Suche nach einem Verleger begeben, das zweite war im Entstehen begriffen.
Als Mrs. Sommerson den Vorhang der Umkleidekabine öffnete, war Allee gerade in Gedanken damit beschäftigt, eine Szene ihres zweiten Buches zu überarbeiten. Mrs. Sommerson nickte ihr wohlwollend zu.
„Das passt doch ausgezeichnet, nicht wahr?" Die Kundin stand in einem flammend roten Seidenkleid zufrieden vor ihr.
Alice stellte fest, dass die Farbe des Kleides Mrs. Sommersons ohnehin blühenden Teint noch wirkungsvoller unterstrich und einen ausgesprochen aparten Kontrast zu dem dichten pechschwarzen Haar bot. Das Kleid hätte wahrhaft ideal für sie sein können, wenn Mrs. Sommerson ein paar Pfund weniger gewogen hätte. Aber Alice sah dennoch gewisse Möglichkeiten.
„Sie werden die Blicke aller auf sich ziehen, Mrs. Sommerson", prophezeite sie nach einer Weile. Mit den passenden Accessoires wird Mrs. Sommerson bestimmt beeindruckend aussehen, fand sie. Nur spannte der Seidenstoff leider etwas über den Hüften. Da hilft nur die nächste Größe, stellte Alice kritisch bei sich fest.
„Ich glaube, das Kleid haben wir auch noch eine Nummer größer vorrätig", dachte sie laut.
„Wie bitte?"
Alice war so damit beschäftigt, die Hüften von Mrs. Sommerson in Augenschein zu nehmen, dass sie dabei den unwilligen Gesichtsausdruck der Kundin völlig übersah.
„Eine Nummer größer", wiederholte sie hilfsbereit. „Dieses Kleid spannt etwas über den Hüften. Eine Nummer größer, und es sitzt sicher wie angegossen."
„Das ist meine Größe, Junge Frau!" Mrs. Sommersons Busen hob und senkte sich Unheil drohend.
Aber Alice weilte in Gedanken schon bei den Accessoires. Sie lächelte und nickte. „Goldener Modeschmuck wäre wohl passend dazu." Nachdenklich legte sie den Finger auf die Lippen. „Aber ich hole erst einmal das größere Kleid."
„Dies ist meine Größe!" beharrte Mrs. Sommerson in einem Tonfall, der Alice zusammenzucken ließ. Jede Silbe drückte Empörung aus.
Alice erkannte ihren Fehler und verspürte ein flaues Gefühl in der Magengrube. Krampfhaft versuchte sie sich etwas Besänftigendes einfallen zu lassen, wie sollte sie bloß Mrs. Sommerson beschwichtigen? Sie hatte sie offenbar gekränkt. Aber noch ehe sie dazu kam, den Schaden wieder gutzumachen, stand Mrs. Wilson hinter ihr.
„Eine ausgezeichnete Wahl, Mrs. Sommerson", stellte sie mit ihrer melodischen Altstimme fest. Mit verbindlichem Lächeln wanderte ihr Blick zwischen der Kundin und der Verkäuferin hin und her. „Gibt es ein Problem?"
„Diese junge Frau ..." Mrs. Sommerson konnte sich gar nicht wieder beruhigen. „Sie besteht darauf, dass ich mich in meiner Größe geirrt habe!"
„Aber nein, gnädige Frau!" protestierte Alice. Sie verstummte, weil ihre Chefin ihr einen scharfen Blick zuwarf.
„Ich bin sicher, Miss St. John wollte damit nur sagen, dass diese Modelle hier alle viel kleiner ausfallen als gewöhnlich. Man kann sich bei dieser Firma überhaupt nicht auf die Größenangaben verlassen."
Natürlich, dass sie daran nicht gedacht hatte! Alice ärgerte sich über sich selbst.
„Nun gut." Mrs. Sommersons Stimme klang noch immer leicht verärgert, und sie sah Alice missbilligend an. „Das hätte sie mir ja schließlich sagen können. Stattdessen versucht sie mir einzureden, ich sei dicker geworden. Wirklich, meine Liebe", sie wandte sich kopfschüttelnd um, um in die Kabine zurückzugehen. „Sie sollten Ihr Personal besser anleiten. Die jungen Mädchen dürfen doch nicht so unhöflich zu Kundinnen sein."
Alice blickte vor Empörung düster drein, aber auf Mrs. Wilsons warnenden Blick hin verschluckte sie die Antwort, die ihr auf der Zunge lag.
„Ich selbst werde Ihnen das Kleid in der nächsten Größe holen, Mrs. Sommerson", beschwichtigte Mrs. Wilson sie und lächelte wieder. „Ich bin sicher, es wird genau passen. Sie warten in meinem Büro auf mich, Alice", fügte sie strenger hinzu.
Mit gemischten Gefühlen sah Alice Mrs. Wilson nach. Diesen Ton kannte sie nur zu gut. Ganze drei Monate bin ich hier gewesen, überlegte sie seufzend. Auch gut! Mit einem letzten Blick auf Mrs. Sommerson ging sie den engen Flur entlang, der zu dem kleinen, geschmackvollen Büro ihrer Chefin führte.
Mäßig interessiert betrachtete sie den rechteckigen fensterlosen Raum und ließ sich in einem der kleinen, goldgelb gepolsterten Sessel nieder. Hier hatte alles angefangen, hier würde es in Kürze enden, dessen war sie sich sicher.
Sie wusste genau, was gleich kommen würde, und malte sich in Gedanken die Szene aus: In ein paar Minuten wird sie hereinkommen und sich hinter ihren hübschen Rosenholzschreibtisch setzen. Sie wird mich ansehen, sich räuspern, und dann geht es los.
Genehmigte Sonderausgabe 2009 für
Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
... weniger
Autoren-Porträt von Nora Roberts
Autoren-Porträt von Nora RobertsNora Roberts ist die derzeit wahrscheinlich erfolgreichste Liebesroman-Autorin – weltweit. Geboren wurde sie als jüngste von fünf Kindern in Silver Spring Maryland und besuchte zeitweise eine katholische Schule. Sie heiratete früh und arbeitete – nach eigenen Angaben eher erfolglos – einige Zeit als Sekretärin. Nach der Geburt ihrer zwei Söhne wurde sie Hausfrau. Der Legende nach brachte sie ein Schneesturm zum Schreiben: Sie war mit ihren Söhnen eingeschlossen, die Schokoladenvorräte gingen zu Ende und sie erfand, damit es nicht langweilig würde, kleine Geschichten, die sie später aufschrieb. Zwei Jahre später, 1981, erschien ihr erster Buch. Seitdem ging es steil bergauf. Roberts schrieb dutzende Liebesromane, die sich weltweit millionenfach verkaufen. Auf die Frage, weshalb sie gerade Beziehungsromane schreibe, sagt sie: „Für mich sind Beziehungen, Emotionen und der Sturm der Gefühle, wenn man sich verliebt, einfach faszinierend.“ Etwas pragmatischer meinte sie bei anderer Gelegenheit, dass sie immer Männer um sich herum hatte: die vier älteren Brüder, Ehemann, zwei Söhne. Sie hatte also nur die Wahl: versuchen, sie zu verstehen oder durchdrehen...
Inzwischen lebt Nora Roberts mit ihrem zweiten Mann auf einem malerischen Hügel im Westen von Maryland. Ihr Mann ist Tischler und sollte ursprünglich Bücherregale im Haus einbauen. „Er kam und ging einfach nicht mehr“, wie Nora Roberts es beschreibt. Er hat dafür gesorgt, dass das Haus nun auch ein drittes Geschoss und ein eigenes Schwimmbad hat.
Nora Roberts arbeitet 6-8 Stunden täglich an ihren Büchern, steht in E-Mail-Kontakt mit den vielen Fans und entspannt abends am liebsten mit einem guten Buch oder vor dem Fernseher. Manchmal bleibt ihr sogar etwas Zeit für den großen
... mehr
Garten. Hier hat sie, wie sie selbst sagt, „den vollkommenen Ort“ gefunden.
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Nora Roberts
- 464 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3899417003
- ISBN-13: 9783899417005
Kommentare zu "Sommerträume"
0 Gebrauchte Artikel zu „Sommerträume“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 3Schreiben Sie einen Kommentar zu "Sommerträume".
Kommentar verfassen