Spreu im Wind
Tagebuch einer Verschollenen
Viele Jahrzehnte war das "Tagebuch einer Verschollenen" in Vergessenenheit geraten - jetzt wurde es durch einen Zufall wiederentdeckt und neu veröffentlicht!
Februar 1945: Die russischen Truppen, die Brände und...
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Produktinformationen zu „Spreu im Wind “
Viele Jahrzehnte war das "Tagebuch einer Verschollenen" in Vergessenenheit geraten - jetzt wurde es durch einen Zufall wiederentdeckt und neu veröffentlicht!
Februar 1945: Die russischen Truppen, die Brände und Detonationen kommen immer näher. Als die ersten Granaten im Dorf einschlagen, entschließt sich auch eine Mutter mit ihren vier Kindern Hals über Kopf zur Flucht. Endlose Strapazen, Erschöpfung, Kälte und Hunger machen ihnen zu schaffen, doch sie erreichen unversehrt die Auffanglager. Doch als die Fünf versuchen, sich auf ein Flüchtlingsschiff zu retten, geschieht die Katastrophe: die Kinder werden von der Mutter getrennt. Ein wahrer Alptraum beginnt.
Lese-Probe zu „Spreu im Wind “
Spreu im Wind von Fritz Nendel
31. Januar 1945
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Irgend etwas ist anders geworden. Ich merkte es sofort, als ich heute morgen aus dem Hause trat. Es mochte gegen sieben Uhr sein. Der Mond hing fahl und kränklich am Himmel. Zwei Sterne in seiner Nähe schienen ihn aufheitern zu wollen. Doch er hielt das wohl für jugendlichen Übermut. Griesgrämig hing er weiter dort oben, fast wie ein Greis, der mehr an seinen eigenen Untergang als an das jugendliche Werden in seiner Nachbarschaft denkt. Der an unseren Garten grenzende See leuchtete mir in der Morgendämmerung beinahe gehässig entgegen. Bei dem Wort »gehässig« mußte ich mir erst Mut machen, um es schreiben zu können. Es ist lächerlich, doch es dünkte mich, als dürfe ich den See nicht mit abträglichen Worten kränken. Weil man ein großes und mächtiges Wasser, das an den eigenen Garten grenzt, wie einen guten und hilfsbereiten Nachbarn und keineswegs wie einen Feind betrachten sollte, vor dessen heimlicher Tücke man sich zu wahren habe. So ist es bislang mit uns beiden ja auch gewesen. Er war stets wie ein guter und zuverlässiger Freund zu mir. In vielen schweren Stunden hat er mir geholfen, und nie erbat ich seine Hilfe vergeblich. Ich entsinne mich noch ganz deutlich, wie ich zu ihm eilte, nachdem der erste Streit mit meinem Manne nicht mit einer beiderseitigen schuldbewußten Versöhnung endete. Wie mir meine Tränen klein und unwürdig erschienen, wenn ich längere Zeit an seinem Ufer gesessen hatte. Und wie ich schließlich überhaupt nicht mehr begreifen konnte, warum ich mich mit solcher Heftigkeit gestritten und warum ich anschließend mit gleicher Heftigkeit geweint hatte. Eine erlösende Gelassenheit teilte sich mir mit, und gefaßt und geläutert kehrte ich ins Haus zurück. Knud mußte wohl den guten Einfluß erkannt haben, den das Wasser auf mich ausübte. Er baute mir bald eine Bank aus Birkenästen am Ufer, damit ich mich beim Sitzen im nassen Gras nicht erkälte. Von nun an saß ich immer darauf, konnte ich mit irgendetwas nicht fertig werden. Und immer wurde mir Hilfe zuteil. Ins Haus zurückgekehrt, gelang es mir dann stets, mit den Mißhelligkeiten fertig zu werden, die mir vordem allmächtig erschienen waren. Ich muß unserem großen Nachbarn also sehr dankbar sein, dankbarer als irgendeinem Menschen. Und dennoch kann ich nicht verschweigen, daß er mir heute zum ersten Male gehässig und unfreundschaftlich entgegentrat. Die Wahrheit fordert es. Ich war so bestürzt, daß ich mich auf den Sägebock setzen mußte, der noch aus der Zeit, bevor Knud Soldat wurde, am Schuppen steht. Doch auch im Sitzen änderte sich das nicht. Der Himmel hellte sich auf über den Wäldern im Osten, grün wie eine bösartige und giftige Wunde. Welch ein Unsinn! Ich denke und schreibe heute nur dummes Zeug. Der Himmel soll wie eine bösartige und giftige Wunde ausgesehen haben und grün! Dabei steht seit undenklichen Zeiten fest, das innerste Wesen des Himmels sei blau. Und um das innerste Wesen handelte es sich hier: Das war völlig klar. Während ich fassungslos auf den See und die Wälder und den giftigen Himmel blickte, geschah nichts Besonderes. Nur Pinsel, unser Hund, kroch unter meinen Rock und knurrte leise, wie er zu tun pflegte, wenn er eine Gefahr ahnt, sie mit seinen Sinnen jedoch noch nicht wahrnehmen kann. So starrten wir beide auf das vereiste Wasser, und ich wußte sicher ebensowenig, was eigentlich los war, wie das leise wimmernde Tier. Es gelang mir nicht, den Hund zu beruhigen, wahrscheinlich weil ich selbst ohne Ruhe war. Hunde scheinen so etwas sehr deutlich zu spüren. Schließlich erhob sich aus dem dunkeln Wald unterhalb des grünen Himmels ein großer Schwarm Krähen und flog über den See – schwarz, schweigend und schwer. Man konnte wahrhaftig meinen, auch sie wollten dem giftigen Himmel entfliehen. Eine Stunde später Ich vergaß zu schreiben, daß die Kinder während des ganzen Tages sich draußen nicht aufhalten mochten. Auch Pinsel nicht. Es war fast, als fürchteten sie sich dort und suchten Schutz hinter den festen Mauern unseres kleinen Häuschens. Mehrmals forderte ich sie auf, bei dem schönen Wetter doch draußen Schlitten zu fahren oder auf dem See Schlittschuh zu laufen. Sie kamen auch meiner Anregung nach und gingen hinaus, aber nach kurzer Zeit waren sie alle wieder da. Pinsel auch. Nein, sie wollten heute nicht draußen spielen. Es wäre dort sooo kalt. Dabei ist es heute um 8 Grad wärmer als gestern, wo sie doch den ganzen Tag draußen herumtollten. Die drei Kleineren fanden ihre Unbekümmertheit im Hause bald wieder. Nur Uwe, unser Ältester, blieb den ganzen Tag über ernster und nachdenklicher als sonst. Am Abend, nachdem ich die anderen drei schlafen ge8 schickt hatte, zog ich ihn auf meinen Schoß und fragte ihn, warum er heute nicht draußen gespielt habe. Er zog sich ein ganz klein wenig von mir zurück, als wolle er zwischen mir und seinem Geheimnis etwas mehr Entfernung herstellen. Dann trat ein listiger Ausdruck in seine Augen, und er meinte, sie hätten den Schlitten nicht finden können. Ich ließ mich nicht täuschen und entgegnete ihm, der Schlitten habe am üblichen Ort auf sie gewartet. Da meinte er zögernd und unschlüssig, ob er das sagen dürfte, es sei noch etwas anderes gewesen. Was, könne er nicht sagen. Das wäre beinahe gewesen, als hätte sich irgendwo einer versteckt, der einem aus dem Hinterhalt unvermittelt ein Bein stellen wolle. Nun müßte ich eigentlich schlafen gehen. Doch mir ist, als dürfe ich den Schlaf der Kinder jetzt nicht mehr unbewacht lassen. 1. Februar 1945 Ich habe in der vergangenen Nacht sehr unruhig geschlafen. Immer wieder fuhr ich entsetzt auf, als müsse ich ein meinen Kindern drohendes Unheil abwehren. Aber es war nie etwas Bedrohliches festzustellen. Die Kinder schliefen fest und ruhig. Wahrscheinlich war es draußen. Ich ging dorthin. Beim vierten Male hörte ich plötzlich neben mir eine Stimme. Mein Ältester. »Warum stehst du denn fortwährend auf, Mutti?« fragte er und drängte sich an mich. »Ich weiß es auch nicht. Geh ins Bett!« Er entfernte sich einige Schritte, blieb stehen, und wahrscheinlich wandte er sich mir wieder zu. »Ich weiß es aber doch, Mutti.« Ein leiser Triumph war in seiner Stimme. »Was weißt du?« fragte ich mit der Gereiztheit eines Erwachsenen, der es als eine Beleidigung empfindet, daß ein Kind mehr wissen könnte als er. »Weil Krieg ist«, flüsterte er zurück. »Und weil der jetzt zu uns will.« »So?« Ich mühte mich, meinem Ton einen leichtfertigen Anstrich zu geben. Doch das mißlang mir völlig. Leichtfertigkeit lag meiner Zunge noch nie. »Der Dieter von Bromkowskis hat es mir gesagt. Bei denen sind gestern zwei Frauen angekommen. Die konnten nicht mehr weitergehen. Die hatten die Füße ganz voll Blasen, weil sie so schnell vor dem Krieg davongelaufen sind. Und dann haben sie bei Bromkowskis im Kuhstall geschlafen.« »Es wäre gut, wenn du endlich auch schlafen gingest.« »Aber wenn dir nun – ich dachte nur, wenn dir jemand etwas tun will, ich kann doch besser mit Steinen werfen als du, Mutti.« Da zog ich meinen Großen an mich. Ein schwerer Stein entfiel seiner Hand. Am Morgen kämpfte ich lange Zeit mit mir, wollte ich doch heute keinesfalls an den See gehen. Es war mir, als dürfe ich das Schicksal nicht solcherart herausfordern. Aber ich tat es doch. Und es war gut so. Jetzt weiß ich endlich, was mich seit gestern in dieser ruhelosen und quälenden Beklemmung hält. Heute morgen enthüllte es sich mir. Ich habe zu den Kindern noch nicht davon gesprochen. Nur Pinsel weiß es. Der aber schwatzt nicht. Und auch das ist gut. Die Kinder sind noch ruhig, von keinem heranrückenden Unheil geängstigt. Nur Uwe scheint mehr zu wissen, als er sollte. Er war heute wieder im Dorfe. Von dort bezog er seit je seine Neuigkeiten, die sonst nur sehr langsam den Weg zu unserem Häuschen im Walde fanden. Sicher hat er dort wieder Unerfreuliches erfahren. Er guckte mich im Laufe des Tages oftmals mit so reifen und besorgten Augen an, daß ich versucht war, ihm zu sagen, er möchte vorläufig seine Gänge nach dem Dorfe einstellen. Wie ähnlich der Bengel übrigens seinem Vater ist! Kaum ward er inne, daß ich seine besorgten Blicke bemerkt hatte, wandte er sich ab und begann, fröhlich zu pfeifen. Genau wie Knud.
Sorgen teilnehmen.Copyright der Originalausgabe © 1949 by Annegret Sterneck
Genehmigte Lizenzausgabe 2009 für die
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Projektleitung: Dr. Ulrike Strerath-Bolz, Gerald Fiebig
Redaktion: Hilke Bemm
Herausgeber: Axel Dornemann
Umschlaggestaltung: zeichenpool,
Design und Kommunikation, München
Umschlagmotiv: Corbis GmbH, Düsseldorf
(© Hulton-Deutsch Collection);
Shutterstock (© Sibrikov Valery, © Martina I. Meyer,
© Roman Sigaev)
Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen
Druck und Bindung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-280-5
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Bibliographische Angaben
- Autor: FRITZ NENDEL
- 2009, 1, 160 Seiten, Maße: 13,3 x 19,2 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868002804
- ISBN-13: 9783868002805
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