Stalingrad - Das Drama
Krieg ist kein Kartenspiel der Generäle sondern ein schmutziges Geschäft voller Dreck, Blut und Tod, bei dem es keine Helden, sondern nur Opfer gibt.
Guido Knopp lässt jene zu Wort kommen, die den Schrecken von...
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Produktinformationen zu „Stalingrad - Das Drama “
Krieg ist kein Kartenspiel der Generäle sondern ein schmutziges Geschäft voller Dreck, Blut und Tod, bei dem es keine Helden, sondern nur Opfer gibt.
Guido Knopp lässt jene zu Wort kommen, die den Schrecken von Stalingrad am eigenen Leib erlebt haben. Sie berichten vom langen Sterben der 6. Armee, die am 31. Januar 1943 schließlich kapitulierte. Ein schockierendes Buch über den Wahn der nationalsozialistischen Eroberungspolitik.
Lese-Probe zu „Stalingrad - Das Drama “
Stalingrad von Guido KnoppDas Drama Stalingrad
Kaum ein anderer Ort ist in unseren Köpfen so fest mit dem Zweiten Weltkrieg verknüpft wie Stalingrad. Kaum ein Ereignis der gesamten Kriegsgeschichte hat sich so traumatisch ins Bewusstsein eingeprägt wie die Katastrophe an der Wolga.
Stalingrad, das sprichwörtliche Massengrab der Wehrmacht, blieb im Zweiten Weltkrieg nicht das einzige. Doch es war aus deutscher Sicht das erste. Schockartig machte es den Menschen an der Front und in der Heimat klar, dass die Entscheidung, wer den Krieg gewinnen würde, jetzt gefallen war.
Strategisch war die Schlacht vor Moskau im Dezember 1941 Wendepunkt des Weltkriegs. Taktisch war die Panzerschlacht von Kursk der »point of no return«. Psychologisch war die Schlacht von Stalingrad der tiefste Einschnitt. Nach ihr begann das blinde Vertrauen der Deutschen in ihre Führung zu schwinden. Fortan konnten nur die Märchen von den neuen Wunderwaffen die verstörten Volksgenossen bei der Stange halten. Moskau 1941 markierte das Ende des Anfangs, Stalingrad 1943 war der Anfang vom Ende.
Spätestens seit Heiligabend 1942 war die »Schlacht« von Stalingrad nur noch ein Schlachten. Hitlers Generalstab war entmachtet, der Diktator, angefüllt mit eitler Hybris, mehr denn je entschlossen, diese ominöse Stadt am Wolgaufer freiwillig nicht preiszugeben, koste es auch hunderttausende Soldatenleben.
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Dieses Buch berichtet von den Folgen jenes Starrsinns. Es zeigt, wie Hitler hoch dekorierte Generäle zu beflissenen Befehlsempfängern degradierte, die am Ende nichts mehr waren als willige Lametta- und Bedenkenträger, hoch qualifizierte Fachleute für den technischen Vollzug eines verbrecherischen Plans.
In den zwölf Monaten des Jahres 1942, zwischen Moskau und Stalingrad, trat immer deutlicher zutage, dass sich hinter der Figur des »größten Feldherrn aller Zeiten« nichts anderes verbarg als ein gewissenloser Scharlatan, der vorher heillos Glück gehabt hat. Trotz der Winterkatastrophe wollte der Diktator für den Sommer unbedingt am ursprünglichen Plan des Ostfeldzugs festhalten, ihn sogar forcieren, die Entscheidung auf einmal erzwingen. Ein Jahr nach Beginn des »Unternehmens Barbarossa« schlug die Wehrmacht wieder los. Es sah am Anfang fast so aus, als ob es diesmal gelingen könnte. Die deutschen Divisionen konnten ihren Angriffsschwung bis zum Kaukasus und an die Wolga halten. Dann waren sie erschöpft. Mehr war nicht möglich.
Ihr Gegner hat sie buchstäblich ins Leere laufen lassen. Die Rote Armee wollte sich diesmal partout nicht stellen, einkesseln und, »melde gehorsamst «, vernichten lassen. Sie wich einfach zurück. Die deutsche Front glich einem Luftballon kurz vor dem Platzen - vor allem wegen Stalingrad, das militärisch überhaupt nicht wichtig war. Die Unterbrechung der Transporte auf der Wolga? Die Rettung der Truppen am Kaukasus? Aber nein, es war der Name, das Symbol, das Hitler reizte und immer mehr zum Äußersten herausforderte. Jetzt ließ er sich in seinem Starrsinn nichts mehr sagen - und er ahnte das eigene Scheitern. Um es abzuwenden, suchte er sein Heil in einem sturen Dogmatismus und in der bedingungslosen Entscheidung, alles oder nichts zu wählen.
Nichts? Früh schon, im November 1941, hatte er, der Außenseiter aus dem Innviertel, ein Fremder in der deutschen Nationalgeschichte, kühl erklärt, wenn alles schief ginge, dann werde er dem deutschen Volke keine Träne nachweinen. Dieses Volk war für den Usurpator nur ein Werkzeug seines Herrschaftstriebs.
Nach dem Scheitern seines Blitzkriegplans vor Moskau gab es für ihn nur noch eine Wahl: Weltmacht oder Untergang. Es war Vabanquespiel, Wettlauf mit der Zeit, in einer neuerlichen Kraftanstrengung die Entscheidung im Osten vielleicht doch noch erzwingen zu können und dann im Westen fünf vor zwölf einen »Siegfrieden« mit England zu erreichen. Und wenn das nicht gelang? Dann eben der totale Untergang.
Warum jedoch, fragt Elie Wiesel, macht das Volk der Täter so viel Aufhebens um Hunderttausende Verhungerter, Erfrorener, Erschossener in Stalingrad, wenn gleichzeitig in Auschwitz, Sobibor, Majdanek, Treblinka und anderswo Millionen brutal ermordet wurden? Weil es seine eigenen Toten waren? Eher wohl, weil sich ihr sinnloses Massensterben vor den Augen der Welt abspielte - im Gegensatz zum Rassenmord von Auschwitz.
Die Berichte vom Kampf der Hunderttausende ums Überleben - sie erschüttern. Und es sind nicht nur die Erinnerungen Deutscher, die in diesem Buch zu Worte kommen. Unfassbar groß war auch die Zahl der russischen Soldaten, die das Massengrab von Stalingrad barg. In die Hunderttausende geht ebenfalls die Zahl der Zivilisten, die der Schlacht zum Opfer fielen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, 60 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen, ist es wohl das letzte Mal, dass Überlebende von beiden Seiten befragt werden konnten. Und es ist zugleich das erste Mal, dass russische Archive ihre Tore so weit öffneten, dass auch die letzten Lücken unseres Wissens über Stalingrad gefüllt werden können. Wissen über eine Schlacht, die zeigt, was Krieg vor allem ist und immer war: kein Kartenspiel der Generäle, ausgeführt von gut gedrillten Helden, sondern Dreck und Blut und Tod.
Die Botschaft, die von Stalingrad ausgeht, hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Überall auf Erden sterben heute Menschen - in Dutzenden von Kriegen. Können Völker Lehren auch aus der Geschichte anderer ziehen? Sie ziehen sie bestenfalls aus bitteren Erfahrungen der eigenen Geschichte.
Im Januar 1943 schrieb ein deutscher Oberleutnant in Stalingrad an seinen Vater, einen Oberst im Generalstab: »Die Hölle an der Wolga soll euch Warnung sein. Ich bitte euch, schlagt diese Erkenntnis nicht in den Wind.«
Dieser Brief erreichte seinen Empfänger ebenso wenig wie eines jener Schreiben, die erst 50 Jahre nach der Schlacht von Stalingrad in russischen Archiven entdeckt worden sind: »Ich habe damals mit euch Heil Hitler gebrüllt und muss nun verrecken oder nach Sibirien. Das wäre ja nicht das Schlimmste. Aber dass man weiß, dass alles für eine völlig sinnlose Sache vor sich geht, treibt das Blut in den Kopf.«
Auf dem Piskarow-Friedhof, der Ruhestätte Hunderttausender von Bürgern Leningrads, die während der Blockade jämmerlich verhungerten, findet sich eine Inschrift: »Möge keiner vergessen. Möge nichts vergessen werden.« Dies gilt auch für die russischen und deutschen Toten Stalingrads. Ihnen ist das Buch gewidmet.
Die tödliche Weisung
Die »alten Kameraden« johlten, als ihr Idol mit seinem jüngsten Erfolg prahlte. »Ich wollte zur Wolga kommen, und zwar an einer bestimmten Stelle!«, rief Adolf Hitler am 8. November 1942 im Münchener Bürgerbräukeller. Von hier aus war er fast 20 Jahre zuvor aufgebrochen, um die Macht in Deutschland zu erobern - und dabei kläglich gescheitert. Doch hartnäckig hatte er weitergekämpft, bis er am 30. Januar 1933 an der Spitze des Deutschen Reiches stand. Seit dieser »Machtergreifung« feierte der Diktator den Jahrestag des »Marschs zur Feldherrnhalle« und gedachte an historischer Stätte der »heldenhaften Opfer« des 9. November 1923, der Anfänge der nationalsozialistischen Partei, seiner Mission, seiner Erfolge und seiner Ziele.
Der »Führer« versuchte sich in Ironie, als er auf die Stadt zu sprechen kam, deren Name im Spätherbst 1942 die Schlagzeilen beherrschte: Stalingrad. »Zufälligerweise trägt sie den Namen von Stalin selber. Aber denken Sie nur nicht, dass ich aus diesem Grund dorthin marschiert bin - die Stadt könnte auch ganz anders heißen -, sondern deshalb, weil dort ein ganz wichtiger Punkt ist. Den wollte ich nehmen.« Und dann erklärte er mit gespielter Beiläufigkeit: »Wissen Sie, wir sind bescheiden, wir haben ihn nämlich.«
Nichts daran entsprach der Wahrheit. Hitler war auf diesen »Punkt« zunächst nicht erpicht, und als er ihn mit geballtem militärischen Einsatz erobern wollte, bekam er ihn nicht.
»Ich wollte zur Wolga kommen« - doch aus strategischer Sicht war Stalingrad zunächst kein besonders wichtiges Ziel. In den ursprünglichen Planungen der deutschen Heeresführung hatte die Stadt an der Wolga keine zentrale Rolle gespielt. Erst im Verlauf veränderter Vorgaben ihres obersten Befehlshabers konzentrierte sich die Wehrmacht auf die Metropole im Süden der Sowjetunion. Der Name »Stalingrad« fiel am 17. Juli zum ersten Mal in einem Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht - drei Wochen nach dem Beginn der Sommeroperationen am 28. Juni. Erst danach wurde das Ziel Stalingrad fast täglich beschworen - in den Mitteilungen der Wehrmacht ebenso wie in der Berichterstattung der gleichgeschalteten NS-Presse. Zugleich geriet die Einnahme der Stadt für Hitler zur fixen Idee, zu einer Frage des Prestiges: »Die Eroberung ist aus psychologischen Gründen dringend notwendig«, erklärte er Anfang Oktober 1942 Generaloberst Paulus, dem Oberbefehlshaber der 6. Armee, die Stalingrad einnehmen sollte: »Der Kommunismus muss seines Heiligtums beraubt werden.« So wurde Stalingrad für Hitler zu einem Phantom, dem er, je länger die Kämpfe dauerten, immer verbissener nachjagte.
Einfache Soldaten wie Günter Wolff, der als Versorgungsflieger im Winter 1942/43 die Stadt an der Wolga ansteuerte, spürten: »Stalingrad war für Hitler ein Prestige-Unternehmen. Für Majakowska oder Kalinowka hätte man nicht das gemacht, was man mit Stalingrad gemacht hat. Stalingrad war seine Vision. Er glaubte: Wenn ich Stalingrad zerstöre, zerstöre ich Stalin.«
»Wir haben ihn«, brüstete sich der Kriegsherr am 8. November gegenüber einer auserlesenen Schar alter Kampfgefährten der NSDAP. Zum Jahrestag des Putschversuchs von 1923 ging es nicht um irgendeinen weiteren ordinären Sieg. Und es sollte nicht irgendein Erfolg werden. Mit seiner vorzeitigen Ankündigung der sowjetischen Niederlage in der Entscheidungsschlacht um Stalingrad wollte Hitler den endgültigen Triumph im Osten ankündigen.
Auch diese Erfolgsmeldung war falsch. Trotz aller Anstrengungen war es den Deutschen bis dahin nicht gelungen, die Stadt gänzlich zu erobern. Die 6. Armee hatte sie an diesem 8. November nicht völlig unter Kontrolle - und sie sollte sie auch nie erhalten.
»Es sind nur ein paar ganz kleine Plätzchen da«, bagatellisierte der oberste Befehlshaber der Wehrmacht die sowjetischen Verteidigungsstellungen, welche seine Truppen in den vergangenen drei Monaten trotz massiven Einsatzes aller Kräfte nicht ausschalten konnten. 2500 Kilometer weiter östlich verfolgten Soldaten der 6. Armee die Rede Hitlers im Radio. Einige schüttelten den Kopf, als sie die Prahlereien ihres Kriegsherrn anhörten.
»Nun sagen die anderen: Warum kämpfen Sie denn nicht schneller? Weil ich dort kein zweites Verdun haben will, sondern es lieber mit ganz kleinen Stoßtrupps mache. Die Zeit spielt dabei gar keine Rolle.«
In Wirklichkeit drängte Hitler darauf, die »ganz kleinen Plätzchen« möglichst schnell zu erobern. »Er zwang uns, die kleinen Ecken, die noch auf dem Westufer von den Russen gehalten wurden, zu beseitigen. Selbst die Fahrer der Panzerdivisionen und motorisierten Einheiten wurden zur Beseitigung dieser russischen Widerstandsnester eingesetzt - was dann nicht gelungen ist«, berichtete Winrich Behr, Erster Ordonnanzoffizier im Kommandostab der 6. Armee. Überdies ließ das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) noch im November 1942 auf Anweisung Hitlers fünf Pionierbataillone nach Stalingrad einfliegen, um die letzte Gegenwehr zu ersticken. Wozu die für den Häuserkampf ungeeigneten Panzertruppen nicht in der Lage waren, das sollten nun Spezialisten erledigen. Hitler befahl sogar, »dass für den letzten Stoß selbst Panzerfahrer zur Infanterie eingeteilt werden sollten«, kritisierte ein Unteroffizier der 371. Division die Einscheidung des »größten Feldherrn aller Zeiten«. Es war eine Verschwendung personeller Ressourcen, die fatale Folgen haben sollte.
Viele Soldaten in Stalingrad erlebten eine Wirklichkeit, die nicht zum Pathos Hitlers passte. Frierend und hungernd kauerten sie in ihren Stellungen. Anfang Oktober war bereits der erste Schnee gefallen - und wieder traf die Kälte die Deutschen nahezu unvorbereitet. Umso hitziger tobten die Kämpfe in den zerstörten Straßen der Stadt, wo Einheiten der 6. Armee an den gegnerischen Verteidigungsstellungen aufgerieben wurden. Der deutsche Angriff hatte sich in einem erbarmungslosen Graben- und Häuserkampf festgefahren. Die sowjetische Propaganda sprach längst von einem »roten Verdun«. Und wie in einem »zweiten Verdun«, das Hitler unter allen Umständen hatte vermeiden wollen, suchten die deutschen Soldaten Schutz in notdürftig ausgebuddelten Erdmulden. Starr vor Kälte hockten sie in kleinen Schützenlöchern - denn Schützengräben, wie in Schlachten an der Westfront des Ersten Weltkriegs, gab es nicht. Die Männer wagten nicht, den Kopf zu heben oder gar aufrecht zu gehen. Die Wenigen, die so leichtsinnig gewesen waren, waren sofort von der Kugel eines russischen Scharfschützen getroffen worden.
»Wir haben ihn, den Platz!«, tönte Hitler in der aufgeheizten Atmosphäre des Münchener Bierkellers. Tatsächlich war die Schlacht um Stalingrad Anfang November 1942 keineswegs zu Ende, sondern strebte ihrem ersten dramatischen Höhepunkt zu. Mehr als 2000 Kilometer östlich von Berlin und fast 1000 südlich von Moskau ging es an der Wolga auch um ein Duell zweier Diktatoren, um ein Ringen zweier Tyrannen, die sich gegenseitig zu vernichten suchten - und die stellvertretend für den verhassten und doch unerreichbaren Todfeind ganze Armeen verschlissen.
»Sie dürfen versichert sein - und ich wiederhole es mit voller Verantwortung vor Gott und der Geschichte -, dass wir Stalingrad nie wieder verlassen werden!« Für Zehntausende deutscher Soldaten, die im Kessel von Stalingrad starben, wurde dieses »Versprechen« zur bitteren Wahrheit. Für hunderttausende Deutsche und Russen hatte die Ankündigung unbeschreibliche Entbehrungen zur Folge. Für Millionen Menschen in der ganzen Welt ging von dieser Schlacht eine enorme psychologische Wirkung aus. Wohl kaum ein Ereignis der Kriegsgeschichte prägte sich ähnlich in das Bewusstsein in Ost und West ein.
Der Name der Stadt an der Wolga löste traumatische Folgen in Deutschland aus, wo »Stalingrad« Symbol und Menetekel zugleich wurde. Für die Menschen in der Heimat war das Massengrab an der Wolga Symbol für massenhaftes Sterben. Die NS-Propaganda missbrauchte die Opfer zur Beschwörung eines fragwürdigen Mythos - von heldenhaftem Soldatentum, von freudiger Opferbereitschaft. Der Verlust einer ganzen Armee galt als das »größte Heldenlied der deutschen Geschichte«. Das Sterben wurde zum freudigen Opfertod uminterpretiert, das Gemetzel zum heroischen Kampf stilisiert. Zugleich war es Hinweis auf die drohende Niederlage, das Ende aller nationalsozialistischen Weltmachtfantasien.
Und schließlich war die Entscheidung an der Wolga auch ein Anfang: der Auftakt zu einer sowjetischen Siegesserie, die von Stalingrad bis nach Berlin führen sollte. Zum ersten Mal gelang es der Roten Armee, die Angreifer nicht nur zum Rückzug zu zwingen, sondern ihnen darüber hinaus eine verheerende Niederlage beizubringen. Doch es war ein teuer erkaufter Sieg. Der militärische Triumph wurde mit dem Leben Hunderttausender sowjetischer Soldaten und dem Sterben ebenso vieler Zivilisten bezahlt.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Taschenbuchausgabe © 2006 Wilhelm Goldmann Verlag, München
Originalausgabe © 2003 C. Bertelsmann Verlag, München
Dieses Buch berichtet von den Folgen jenes Starrsinns. Es zeigt, wie Hitler hoch dekorierte Generäle zu beflissenen Befehlsempfängern degradierte, die am Ende nichts mehr waren als willige Lametta- und Bedenkenträger, hoch qualifizierte Fachleute für den technischen Vollzug eines verbrecherischen Plans.
In den zwölf Monaten des Jahres 1942, zwischen Moskau und Stalingrad, trat immer deutlicher zutage, dass sich hinter der Figur des »größten Feldherrn aller Zeiten« nichts anderes verbarg als ein gewissenloser Scharlatan, der vorher heillos Glück gehabt hat. Trotz der Winterkatastrophe wollte der Diktator für den Sommer unbedingt am ursprünglichen Plan des Ostfeldzugs festhalten, ihn sogar forcieren, die Entscheidung auf einmal erzwingen. Ein Jahr nach Beginn des »Unternehmens Barbarossa« schlug die Wehrmacht wieder los. Es sah am Anfang fast so aus, als ob es diesmal gelingen könnte. Die deutschen Divisionen konnten ihren Angriffsschwung bis zum Kaukasus und an die Wolga halten. Dann waren sie erschöpft. Mehr war nicht möglich.
Ihr Gegner hat sie buchstäblich ins Leere laufen lassen. Die Rote Armee wollte sich diesmal partout nicht stellen, einkesseln und, »melde gehorsamst «, vernichten lassen. Sie wich einfach zurück. Die deutsche Front glich einem Luftballon kurz vor dem Platzen - vor allem wegen Stalingrad, das militärisch überhaupt nicht wichtig war. Die Unterbrechung der Transporte auf der Wolga? Die Rettung der Truppen am Kaukasus? Aber nein, es war der Name, das Symbol, das Hitler reizte und immer mehr zum Äußersten herausforderte. Jetzt ließ er sich in seinem Starrsinn nichts mehr sagen - und er ahnte das eigene Scheitern. Um es abzuwenden, suchte er sein Heil in einem sturen Dogmatismus und in der bedingungslosen Entscheidung, alles oder nichts zu wählen.
Nichts? Früh schon, im November 1941, hatte er, der Außenseiter aus dem Innviertel, ein Fremder in der deutschen Nationalgeschichte, kühl erklärt, wenn alles schief ginge, dann werde er dem deutschen Volke keine Träne nachweinen. Dieses Volk war für den Usurpator nur ein Werkzeug seines Herrschaftstriebs.
Nach dem Scheitern seines Blitzkriegplans vor Moskau gab es für ihn nur noch eine Wahl: Weltmacht oder Untergang. Es war Vabanquespiel, Wettlauf mit der Zeit, in einer neuerlichen Kraftanstrengung die Entscheidung im Osten vielleicht doch noch erzwingen zu können und dann im Westen fünf vor zwölf einen »Siegfrieden« mit England zu erreichen. Und wenn das nicht gelang? Dann eben der totale Untergang.
Warum jedoch, fragt Elie Wiesel, macht das Volk der Täter so viel Aufhebens um Hunderttausende Verhungerter, Erfrorener, Erschossener in Stalingrad, wenn gleichzeitig in Auschwitz, Sobibor, Majdanek, Treblinka und anderswo Millionen brutal ermordet wurden? Weil es seine eigenen Toten waren? Eher wohl, weil sich ihr sinnloses Massensterben vor den Augen der Welt abspielte - im Gegensatz zum Rassenmord von Auschwitz.
Die Berichte vom Kampf der Hunderttausende ums Überleben - sie erschüttern. Und es sind nicht nur die Erinnerungen Deutscher, die in diesem Buch zu Worte kommen. Unfassbar groß war auch die Zahl der russischen Soldaten, die das Massengrab von Stalingrad barg. In die Hunderttausende geht ebenfalls die Zahl der Zivilisten, die der Schlacht zum Opfer fielen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, 60 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen, ist es wohl das letzte Mal, dass Überlebende von beiden Seiten befragt werden konnten. Und es ist zugleich das erste Mal, dass russische Archive ihre Tore so weit öffneten, dass auch die letzten Lücken unseres Wissens über Stalingrad gefüllt werden können. Wissen über eine Schlacht, die zeigt, was Krieg vor allem ist und immer war: kein Kartenspiel der Generäle, ausgeführt von gut gedrillten Helden, sondern Dreck und Blut und Tod.
Die Botschaft, die von Stalingrad ausgeht, hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Überall auf Erden sterben heute Menschen - in Dutzenden von Kriegen. Können Völker Lehren auch aus der Geschichte anderer ziehen? Sie ziehen sie bestenfalls aus bitteren Erfahrungen der eigenen Geschichte.
Im Januar 1943 schrieb ein deutscher Oberleutnant in Stalingrad an seinen Vater, einen Oberst im Generalstab: »Die Hölle an der Wolga soll euch Warnung sein. Ich bitte euch, schlagt diese Erkenntnis nicht in den Wind.«
Dieser Brief erreichte seinen Empfänger ebenso wenig wie eines jener Schreiben, die erst 50 Jahre nach der Schlacht von Stalingrad in russischen Archiven entdeckt worden sind: »Ich habe damals mit euch Heil Hitler gebrüllt und muss nun verrecken oder nach Sibirien. Das wäre ja nicht das Schlimmste. Aber dass man weiß, dass alles für eine völlig sinnlose Sache vor sich geht, treibt das Blut in den Kopf.«
Auf dem Piskarow-Friedhof, der Ruhestätte Hunderttausender von Bürgern Leningrads, die während der Blockade jämmerlich verhungerten, findet sich eine Inschrift: »Möge keiner vergessen. Möge nichts vergessen werden.« Dies gilt auch für die russischen und deutschen Toten Stalingrads. Ihnen ist das Buch gewidmet.
Die tödliche Weisung
Die »alten Kameraden« johlten, als ihr Idol mit seinem jüngsten Erfolg prahlte. »Ich wollte zur Wolga kommen, und zwar an einer bestimmten Stelle!«, rief Adolf Hitler am 8. November 1942 im Münchener Bürgerbräukeller. Von hier aus war er fast 20 Jahre zuvor aufgebrochen, um die Macht in Deutschland zu erobern - und dabei kläglich gescheitert. Doch hartnäckig hatte er weitergekämpft, bis er am 30. Januar 1933 an der Spitze des Deutschen Reiches stand. Seit dieser »Machtergreifung« feierte der Diktator den Jahrestag des »Marschs zur Feldherrnhalle« und gedachte an historischer Stätte der »heldenhaften Opfer« des 9. November 1923, der Anfänge der nationalsozialistischen Partei, seiner Mission, seiner Erfolge und seiner Ziele.
Der »Führer« versuchte sich in Ironie, als er auf die Stadt zu sprechen kam, deren Name im Spätherbst 1942 die Schlagzeilen beherrschte: Stalingrad. »Zufälligerweise trägt sie den Namen von Stalin selber. Aber denken Sie nur nicht, dass ich aus diesem Grund dorthin marschiert bin - die Stadt könnte auch ganz anders heißen -, sondern deshalb, weil dort ein ganz wichtiger Punkt ist. Den wollte ich nehmen.« Und dann erklärte er mit gespielter Beiläufigkeit: »Wissen Sie, wir sind bescheiden, wir haben ihn nämlich.«
Nichts daran entsprach der Wahrheit. Hitler war auf diesen »Punkt« zunächst nicht erpicht, und als er ihn mit geballtem militärischen Einsatz erobern wollte, bekam er ihn nicht.
»Ich wollte zur Wolga kommen« - doch aus strategischer Sicht war Stalingrad zunächst kein besonders wichtiges Ziel. In den ursprünglichen Planungen der deutschen Heeresführung hatte die Stadt an der Wolga keine zentrale Rolle gespielt. Erst im Verlauf veränderter Vorgaben ihres obersten Befehlshabers konzentrierte sich die Wehrmacht auf die Metropole im Süden der Sowjetunion. Der Name »Stalingrad« fiel am 17. Juli zum ersten Mal in einem Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht - drei Wochen nach dem Beginn der Sommeroperationen am 28. Juni. Erst danach wurde das Ziel Stalingrad fast täglich beschworen - in den Mitteilungen der Wehrmacht ebenso wie in der Berichterstattung der gleichgeschalteten NS-Presse. Zugleich geriet die Einnahme der Stadt für Hitler zur fixen Idee, zu einer Frage des Prestiges: »Die Eroberung ist aus psychologischen Gründen dringend notwendig«, erklärte er Anfang Oktober 1942 Generaloberst Paulus, dem Oberbefehlshaber der 6. Armee, die Stalingrad einnehmen sollte: »Der Kommunismus muss seines Heiligtums beraubt werden.« So wurde Stalingrad für Hitler zu einem Phantom, dem er, je länger die Kämpfe dauerten, immer verbissener nachjagte.
Einfache Soldaten wie Günter Wolff, der als Versorgungsflieger im Winter 1942/43 die Stadt an der Wolga ansteuerte, spürten: »Stalingrad war für Hitler ein Prestige-Unternehmen. Für Majakowska oder Kalinowka hätte man nicht das gemacht, was man mit Stalingrad gemacht hat. Stalingrad war seine Vision. Er glaubte: Wenn ich Stalingrad zerstöre, zerstöre ich Stalin.«
»Wir haben ihn«, brüstete sich der Kriegsherr am 8. November gegenüber einer auserlesenen Schar alter Kampfgefährten der NSDAP. Zum Jahrestag des Putschversuchs von 1923 ging es nicht um irgendeinen weiteren ordinären Sieg. Und es sollte nicht irgendein Erfolg werden. Mit seiner vorzeitigen Ankündigung der sowjetischen Niederlage in der Entscheidungsschlacht um Stalingrad wollte Hitler den endgültigen Triumph im Osten ankündigen.
Auch diese Erfolgsmeldung war falsch. Trotz aller Anstrengungen war es den Deutschen bis dahin nicht gelungen, die Stadt gänzlich zu erobern. Die 6. Armee hatte sie an diesem 8. November nicht völlig unter Kontrolle - und sie sollte sie auch nie erhalten.
»Es sind nur ein paar ganz kleine Plätzchen da«, bagatellisierte der oberste Befehlshaber der Wehrmacht die sowjetischen Verteidigungsstellungen, welche seine Truppen in den vergangenen drei Monaten trotz massiven Einsatzes aller Kräfte nicht ausschalten konnten. 2500 Kilometer weiter östlich verfolgten Soldaten der 6. Armee die Rede Hitlers im Radio. Einige schüttelten den Kopf, als sie die Prahlereien ihres Kriegsherrn anhörten.
»Nun sagen die anderen: Warum kämpfen Sie denn nicht schneller? Weil ich dort kein zweites Verdun haben will, sondern es lieber mit ganz kleinen Stoßtrupps mache. Die Zeit spielt dabei gar keine Rolle.«
In Wirklichkeit drängte Hitler darauf, die »ganz kleinen Plätzchen« möglichst schnell zu erobern. »Er zwang uns, die kleinen Ecken, die noch auf dem Westufer von den Russen gehalten wurden, zu beseitigen. Selbst die Fahrer der Panzerdivisionen und motorisierten Einheiten wurden zur Beseitigung dieser russischen Widerstandsnester eingesetzt - was dann nicht gelungen ist«, berichtete Winrich Behr, Erster Ordonnanzoffizier im Kommandostab der 6. Armee. Überdies ließ das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) noch im November 1942 auf Anweisung Hitlers fünf Pionierbataillone nach Stalingrad einfliegen, um die letzte Gegenwehr zu ersticken. Wozu die für den Häuserkampf ungeeigneten Panzertruppen nicht in der Lage waren, das sollten nun Spezialisten erledigen. Hitler befahl sogar, »dass für den letzten Stoß selbst Panzerfahrer zur Infanterie eingeteilt werden sollten«, kritisierte ein Unteroffizier der 371. Division die Einscheidung des »größten Feldherrn aller Zeiten«. Es war eine Verschwendung personeller Ressourcen, die fatale Folgen haben sollte.
Viele Soldaten in Stalingrad erlebten eine Wirklichkeit, die nicht zum Pathos Hitlers passte. Frierend und hungernd kauerten sie in ihren Stellungen. Anfang Oktober war bereits der erste Schnee gefallen - und wieder traf die Kälte die Deutschen nahezu unvorbereitet. Umso hitziger tobten die Kämpfe in den zerstörten Straßen der Stadt, wo Einheiten der 6. Armee an den gegnerischen Verteidigungsstellungen aufgerieben wurden. Der deutsche Angriff hatte sich in einem erbarmungslosen Graben- und Häuserkampf festgefahren. Die sowjetische Propaganda sprach längst von einem »roten Verdun«. Und wie in einem »zweiten Verdun«, das Hitler unter allen Umständen hatte vermeiden wollen, suchten die deutschen Soldaten Schutz in notdürftig ausgebuddelten Erdmulden. Starr vor Kälte hockten sie in kleinen Schützenlöchern - denn Schützengräben, wie in Schlachten an der Westfront des Ersten Weltkriegs, gab es nicht. Die Männer wagten nicht, den Kopf zu heben oder gar aufrecht zu gehen. Die Wenigen, die so leichtsinnig gewesen waren, waren sofort von der Kugel eines russischen Scharfschützen getroffen worden.
»Wir haben ihn, den Platz!«, tönte Hitler in der aufgeheizten Atmosphäre des Münchener Bierkellers. Tatsächlich war die Schlacht um Stalingrad Anfang November 1942 keineswegs zu Ende, sondern strebte ihrem ersten dramatischen Höhepunkt zu. Mehr als 2000 Kilometer östlich von Berlin und fast 1000 südlich von Moskau ging es an der Wolga auch um ein Duell zweier Diktatoren, um ein Ringen zweier Tyrannen, die sich gegenseitig zu vernichten suchten - und die stellvertretend für den verhassten und doch unerreichbaren Todfeind ganze Armeen verschlissen.
»Sie dürfen versichert sein - und ich wiederhole es mit voller Verantwortung vor Gott und der Geschichte -, dass wir Stalingrad nie wieder verlassen werden!« Für Zehntausende deutscher Soldaten, die im Kessel von Stalingrad starben, wurde dieses »Versprechen« zur bitteren Wahrheit. Für hunderttausende Deutsche und Russen hatte die Ankündigung unbeschreibliche Entbehrungen zur Folge. Für Millionen Menschen in der ganzen Welt ging von dieser Schlacht eine enorme psychologische Wirkung aus. Wohl kaum ein Ereignis der Kriegsgeschichte prägte sich ähnlich in das Bewusstsein in Ost und West ein.
Der Name der Stadt an der Wolga löste traumatische Folgen in Deutschland aus, wo »Stalingrad« Symbol und Menetekel zugleich wurde. Für die Menschen in der Heimat war das Massengrab an der Wolga Symbol für massenhaftes Sterben. Die NS-Propaganda missbrauchte die Opfer zur Beschwörung eines fragwürdigen Mythos - von heldenhaftem Soldatentum, von freudiger Opferbereitschaft. Der Verlust einer ganzen Armee galt als das »größte Heldenlied der deutschen Geschichte«. Das Sterben wurde zum freudigen Opfertod uminterpretiert, das Gemetzel zum heroischen Kampf stilisiert. Zugleich war es Hinweis auf die drohende Niederlage, das Ende aller nationalsozialistischen Weltmachtfantasien.
Und schließlich war die Entscheidung an der Wolga auch ein Anfang: der Auftakt zu einer sowjetischen Siegesserie, die von Stalingrad bis nach Berlin führen sollte. Zum ersten Mal gelang es der Roten Armee, die Angreifer nicht nur zum Rückzug zu zwingen, sondern ihnen darüber hinaus eine verheerende Niederlage beizubringen. Doch es war ein teuer erkaufter Sieg. Der militärische Triumph wurde mit dem Leben Hunderttausender sowjetischer Soldaten und dem Sterben ebenso vieler Zivilisten bezahlt.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Taschenbuchausgabe © 2006 Wilhelm Goldmann Verlag, München
Originalausgabe © 2003 C. Bertelsmann Verlag, München
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Bibliographische Angaben
- Autor: Guido Knopp
- 319 Seiten, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,2 x 19,1 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828944981
- ISBN-13: 9783828944985
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