Statistik und Rassismus
Das Dilemma der Erfassung von Ethnizität. Dissertationsschrift
Seit 2000 gilt in der Europäischen Union das Antidiskriminierungsgesetz. Der Bedarf, Daten über die Ethnizität von Menschen zu erheben, ist seither deutlich gewachsen. Am Beispiel des britischen Zensus zeigt Linda Supik, dass die statistische Erfassung von...
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Produktinformationen zu „Statistik und Rassismus “
Seit 2000 gilt in der Europäischen Union das Antidiskriminierungsgesetz. Der Bedarf, Daten über die Ethnizität von Menschen zu erheben, ist seither deutlich gewachsen. Am Beispiel des britischen Zensus zeigt Linda Supik, dass die statistische Erfassung von Ethnizität zwar unvermeidlich rassifizierende Effekte hervorbringt. Sie macht Rassismus aber auch als strukturelles Problem europäischer Gesellschaften thematisierbar, sichtbar und gezielt bekämpfbar.
Klappentext zu „Statistik und Rassismus “
Seit 2000 gilt in der Europäischen Union das Antidiskriminierungsgesetz. Der Bedarf, Daten über die Ethnizität von Menschen zu erheben, ist seither deutlich gewachsen. Am Beispiel des britischen Zensus zeigt Linda Supik, dass die statistische Erfassung von Ethnizität zwar unvermeidlich rassifizierende Effekte hervorbringt. Sie macht Rassismus aber auch als strukturelles Problem europäischer Gesellschaften thematisierbar, sichtbar und gezielt bekämpfbar.
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Lese-Probe zu „Statistik und Rassismus “
EinleitungAls im Jahr 1860 wie alle zehn Jahre seit 1790 in den USA der Zensus durchgeführt wurde, erhielt das durchführende Zensuspersonal, welches mit Fragebögen von Haus zu Haus ging, die folgende schriftliche Anweisung:
In all den Fällen, wenn die Person weiß ist, lassen Sie das Feld leer; in all den Fällen, wenn die Person schwarz ohne Mischung ist, tragen sie den Buchstaben 'B' ein; wenn ein Mulatte, oder gemischten Blutes, schreiben Sie 'M'; bei einem Indianer [Indian], schreiben Sie 'Ind.' Es ist sehr erstrebenswert, dass diese Anweisungen sorgfältig befolgt werden. (zitiert nach Nobles 2000: 187)
An dieser technischen Instruktion zur Durchführung der statistischen Bevölkerungserfassung verblüffte mich ein kleines Detail besonders: Die ausdrückliche Anweisung, weiße* Personen bei ihrer Erfassung für die Statistik nicht als weiß zu markieren, sondern nur alle anderen, gleich ob frei oder versklavt, zu kennzeichnen, in Kategorien einzuordnen und mit Labels zu versehen, ist ein ungewöhnlich entlarvender Fund und Beleg für die Funktionsweise von rassistischer Herrschaft. Denn Herrschaft markiert sich in der Regel nicht selbst, sie benennt ihren eigenen Standpunkt nicht, durch die De-Thematisierung normalisiert sie ihn, sichert ihn ab und macht ihn zum einzig legitimen universalisierten Blickwinkel. Hier wird das Nicht-Markieren paradoxerweise explizit: "Lassen Sie das Feld leer". Aus der Sicht heutiger Umfrageforschung und anderer Datenerhebungstechniken ist das unprofessionell, so können 'weiße' nicht von fehlenden Werten (missing values) unterschieden werden.
Die staatliche Erfassung und Ordnung der Bevölkerung in Kategorien der 'Rasse'/Ethnizität* ist unter gewandelten Vorzeichen 150 Jahre später weiter in vielen Staaten der Welt üblich und derzeit in Europa verstärkt Gegenstand politischer Aushandlungen. Die Europäische Union hat etwa seit der Jahrtausendwende ein Politikfeld zum Schutz vor Diskriminierung ihrer Bevölkerungen etabliert, welches den
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bisherigen Fokus auf die Dimension Geschlecht ausweitet auf weitere Dimensionen sozialer Identität bzw. Ungleichheit. Neben Geschlecht sollen fortan auch die Dimensionen der sexuellen Orientierung/Identität, der Behinderung, des Alters, der Religion/Weltanschauung, sowie der 'Rasse'/ethnischen Herkunft vor Diskriminierung geschützt sein. Im Rahmen dieser Politiken wird von Politiker_innen, Bürokrat_innen, Menschenrechtsorganisationen, Jurist_innen, und Sozialwissenschaftler_innen zunehmend die Erhebung statistischer Daten gefordert (Simon 2004, 2007, Solanke 2007, Mannila 2005, Makkonen 2007a, 2007b, Goldston 2001, 2004, Krizsán 2001, Jacobs u.a. 2009). Die EU fordert die regelmäßige Erhebung von zusätzlichen Gleichstellungsdaten nicht, empfiehlt sie jedoch ausdrücklich, um den Status Quo in Bezug auf Gleichstellung in allen sechs Dimensionen feststellen, positive wie negative Tendenzen erkennen, sowie den Erfolg sogenannter Positiver Maßnahmen evaluieren zu können. Dieses neue Mandat zum Schutz vor Diskriminierung, welches sich die EU-Staaten und ihre demokratischen Gesellschaften gegeben haben, stellt diese vor komplexe Herausforderungen: So sollen explizit die zu schützenden Dimensionen auch in ihrer Intersektionalität (oder Mehrdimensionalität) berücksichtigt werden, um auch gegen Mehrfachdiskriminierung vorgehen zu können.
Die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien gehen in ihrer Bestimmung von direkter und indirekter Diskriminierung von der Betroffenenperspektive und den Effekten benachteiligender Handlungen, institutioneller Regelungen und Strukturen aus und damit weg von einem täter- oder verursacherzentrierten Diskriminierungsbegriff, der nach Intentionalität fragt. Insbesondere die Identifizierung von indirekter Diskriminierung im Sinne struktureller und institutioneller Benachteiligung kann durch Statistiken unterstützt werden. Dies erfordert wiederum die statistische Einteilung, Klassifizierung, und Ordnung der Bevölkerungen in Kat
Die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien gehen in ihrer Bestimmung von direkter und indirekter Diskriminierung von der Betroffenenperspektive und den Effekten benachteiligender Handlungen, institutioneller Regelungen und Strukturen aus und damit weg von einem täter- oder verursacherzentrierten Diskriminierungsbegriff, der nach Intentionalität fragt. Insbesondere die Identifizierung von indirekter Diskriminierung im Sinne struktureller und institutioneller Benachteiligung kann durch Statistiken unterstützt werden. Dies erfordert wiederum die statistische Einteilung, Klassifizierung, und Ordnung der Bevölkerungen in Kat
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Inhaltsverzeichnis zu „Statistik und Rassismus “
InhaltDank 9
1Einleitung11
1.1Ethnizitätsdaten oder Migrationsdaten?18
1.2Theoretische Perspektive: Gouvernementalität und kritisches Weißsein21
1.3Gegenstandsbestimmung: Statistik, amtliche Statistik und der Zensus26
1.4Gegenstandsbestimmung: Rassismus, 'Rasse'/Ethnizität und rassifizierte Subjektpositionen30
1.5Aufbau der Studie35
1.6Zur Übersetzung von Namen und Zensuslabels40
Erster Teil: Statistik und Rassismus
2Erfassen - Statistik als biopolitische Erfassungstechnologie der Bevölkerung45
2.1Anfänge im achtzehnten Jahrhundert: Ein neues "Wissen des Staates über den Staat"47
2.2"Statistischer Enthusiasmus", Rassismus, National- und Kolonialstaaten im neunzehnten Jahrhundert55
2.2.1Statistik meets Eugenik und Rasseforschung57
2.2.2Einschub: Biologische Rasseforschung gestern und heute60
2.3Aufhebung des Statistikgeheimnisses und Einführung der Melderegister im Nationalsozialismus64
2.4Volkszählungsboykott in Westdeutschland in den 1980ern68
2.5Amtliche Statistik in der Gegenwart70
3Zählen und Ordnen75
3.1Zählen - Die Macht des Zahlenwissens75
3.2Ordnen - Taxonomie als Wissens- und Regierungstechnik81
3.2.1Ordnungen des Wissens, Ordnungen des Regierens82
3.2.2Die ordnende Erfassung der Bevölkerung - Ordentlich erfasste Subjekte90
3.2.3Making Up People - Leute sortieren93
3.2.4Die Erfassung von 'Rasse'/Ethnizität - Statistische Praxen verschiedener Staaten99
3.2.5Making Up Ethnicities in der amtlichen Statistik111
3.3Erfasste und Gewusste: Das Subjekt in der Statistik114
4Messen - Ethnizitätsdaten erheben?
Mittelbare und institutionelle Diskriminierung messen117
4.1Wofür messen? Diskriminierende Zwecke der Erhebung von Ethnizitätsdaten118
4.1.1Migration überwachen121
4.1.2Rasterfahndung und Generalverdacht: Ethnisches Profiling122
4.1.3Integrationsleistungen von Migrant_innen und soziale Kohäsion überwachen124
4.1.4Diversität und den Schutz kultureller Räume fördern126
4.2Antidiskriminierung in der EU: Ein politisches Programm
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im Entstehen128
4.2.1Entwicklungen auf EU-Ebene128
4.2.2Britanniens Race Relations-Gesetzgebung als Vorbild für die EU-Nichtdiskriminierungsrichtlinien137
4.2.3Antidiskriminierung in Deutschland140
4.2.4Unmittelbare und mittelbare, strukturelle und institutionelle Diskriminierung146
4.3Mit Statistik gegen rassistische Diskriminierung?151
4.3.1Wie genau Diskriminierung messen?151
4.3.2Datenschutz158
4.3.3Zentrale Dilemmata160
4.3.4Der Wille zum Nichtwissen? Vorsichtige Thematisierung von Ethnizitätsdaten in Deutschland167
Resümierendes zum ersten Teil: Statistik und Rassismus174
Zweiter Teil: Die Ordnung von 'Rasse'/Ethnizität im Zensus von England und Wales
5Entstehung und Wandel der Ordnung von 'Rasse'/Ethnizität im Zensus von England und Wales179
5.1Die Vorgeschichte der Ethnizitätsfrage: "Es ist prinzipiell falsch, solche Daten zu erheben"182
5.2Zensus 1981: Scheitern beim ersten Anlauf186
5.3Zensus 1991: Gewöhnung der Bevölkerung durch lokale Monitoringpraxen198
5.4Zensus 2001: Ethnische Ordnung 2.0 und die Kategorie "Mixed"210
5.4.1Die "Mixed"-Kategorien219
5.4.2Die Frage nach Religion228
5.5 Zensus 2011: Das Wuchern des Wissens über Ethnizität230
5.5.1Konkrete Vorbereitungen für 2011230
5.5.2Änderungen in der Taxonomie239
5.5.3Sozialwissenschaftliche Kommentierungen243
5.5.4Die Frage nach nationaler Identität251
5.5.5Die Frage nach Sprache(n)255
5.6 Zwischenresümee256
6Zur Vorgehensweise bei der Sekundäranalyse der ONS-Nutzer_innenbefragung265
6.1Methodologie266
6.2Datenkorpus268
6.3Materialreduktion, Methodik und Leitfragen272
7Tickbox Politics - Ergebnisse der Sekundäranalyse281
7.1Wer spricht hier? Gewusste und Wissbegierige281
7.1.1Portrait 1: African Women's Group Aberdeen282
7.1.2Portrait 2: Federation of Irish Societies290
7.1.3Portrait 3: NHS Sickle Cell and Thalassaemia Screening Programme294
7.2Die Kategorie "Weiß" und das Weißsein302
7.2.1English only - Die Antwort des Steadfast Trust308
7.3Themen des Diskurses: Identitätspolitische Kampagnen, Ordnung und Chaos313
7.3.1Kampagnen314
7.3.2Ordnung und Chaos317
7.4Who doesn't fit in a box? Auf der Suche nach den 'Unordentlichen'326
7.4.1Die Kategorie "Mixed"327
7.4.2Die Mehrfachantwortenoption333
7.4.3Eine offene Frage als Alternative?334
7.4.4Antwortverweigerung340
7.4.5"In my mind I am British full stop"341
7.5Worum es ursprünglich ging: Messung von Diskriminierung345
7.6Resümee der Untersuchung der Nutzer_innenbefragung350
8Statistik und Rassismus - der Wille zum Wissen oder zum Nicht-Wissen?355
Literatur369
Anhang401
Register405
4.2.1Entwicklungen auf EU-Ebene128
4.2.2Britanniens Race Relations-Gesetzgebung als Vorbild für die EU-Nichtdiskriminierungsrichtlinien137
4.2.3Antidiskriminierung in Deutschland140
4.2.4Unmittelbare und mittelbare, strukturelle und institutionelle Diskriminierung146
4.3Mit Statistik gegen rassistische Diskriminierung?151
4.3.1Wie genau Diskriminierung messen?151
4.3.2Datenschutz158
4.3.3Zentrale Dilemmata160
4.3.4Der Wille zum Nichtwissen? Vorsichtige Thematisierung von Ethnizitätsdaten in Deutschland167
Resümierendes zum ersten Teil: Statistik und Rassismus174
Zweiter Teil: Die Ordnung von 'Rasse'/Ethnizität im Zensus von England und Wales
5Entstehung und Wandel der Ordnung von 'Rasse'/Ethnizität im Zensus von England und Wales179
5.1Die Vorgeschichte der Ethnizitätsfrage: "Es ist prinzipiell falsch, solche Daten zu erheben"182
5.2Zensus 1981: Scheitern beim ersten Anlauf186
5.3Zensus 1991: Gewöhnung der Bevölkerung durch lokale Monitoringpraxen198
5.4Zensus 2001: Ethnische Ordnung 2.0 und die Kategorie "Mixed"210
5.4.1Die "Mixed"-Kategorien219
5.4.2Die Frage nach Religion228
5.5 Zensus 2011: Das Wuchern des Wissens über Ethnizität230
5.5.1Konkrete Vorbereitungen für 2011230
5.5.2Änderungen in der Taxonomie239
5.5.3Sozialwissenschaftliche Kommentierungen243
5.5.4Die Frage nach nationaler Identität251
5.5.5Die Frage nach Sprache(n)255
5.6 Zwischenresümee256
6Zur Vorgehensweise bei der Sekundäranalyse der ONS-Nutzer_innenbefragung265
6.1Methodologie266
6.2Datenkorpus268
6.3Materialreduktion, Methodik und Leitfragen272
7Tickbox Politics - Ergebnisse der Sekundäranalyse281
7.1Wer spricht hier? Gewusste und Wissbegierige281
7.1.1Portrait 1: African Women's Group Aberdeen282
7.1.2Portrait 2: Federation of Irish Societies290
7.1.3Portrait 3: NHS Sickle Cell and Thalassaemia Screening Programme294
7.2Die Kategorie "Weiß" und das Weißsein302
7.2.1English only - Die Antwort des Steadfast Trust308
7.3Themen des Diskurses: Identitätspolitische Kampagnen, Ordnung und Chaos313
7.3.1Kampagnen314
7.3.2Ordnung und Chaos317
7.4Who doesn't fit in a box? Auf der Suche nach den 'Unordentlichen'326
7.4.1Die Kategorie "Mixed"327
7.4.2Die Mehrfachantwortenoption333
7.4.3Eine offene Frage als Alternative?334
7.4.4Antwortverweigerung340
7.4.5"In my mind I am British full stop"341
7.5Worum es ursprünglich ging: Messung von Diskriminierung345
7.6Resümee der Untersuchung der Nutzer_innenbefragung350
8Statistik und Rassismus - der Wille zum Wissen oder zum Nicht-Wissen?355
Literatur369
Anhang401
Register405
... weniger
Autoren-Porträt von Linda Supik
Linda Supik ist Research Fellow im Forschungsschwerpunkt Interkultur am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) Essen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Linda Supik
- 2014, 411 Seiten, 12 Abbildungen, Maße: 14,1 x 21,3 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: CAMPUS VERLAG
- ISBN-10: 359350197X
- ISBN-13: 9783593501970
- Erscheinungsdatum: 08.09.2014
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