Stille in Montparnasse, m. Audio-CD
augenzwinkernden Blick auf die Kulturpessimisten unserer Zeit. Ein amokartiger Monolog à la Thomas Bernhard. Die Mini-CD enthält drei Lieder, gesungen von Hermann Prey. »Das ist ein einzigartiges Buch und wunderschön dazu. Danke.« (Pascal Quignard)
LESEPROBE
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Als ich im Oktober 1998 an einem grauen Sonntagmorgen leichtzerstreut den deutschen Beitext las, der zu einer Platte gehörte, die ich mirerst kürzlich gekauft hatte, stieß ich auf diesen verblüffenden letzten Satz: HermannPrey starb am 23. Juli 1998, kurz nach seinem neunundsechzigstenGeburtstag. STARB. Unwillkürlich kam mir The LongGoodbye ins Gedächtnis, Philip Marlows Bemerkung: Der Tod, dieses inallen Sprachen schrecklichste Wort. Es war also möglich, so sagte ich mir sonderbarerweise,dass Hermann Prey starb, und dazu noch so jung. Das schien mir unglaublich. Ichfühlte, wie plötzlich Tränen in mir aufstiegen, jene Tränen, die hinter derMaske des Gesichts von den Augen ins Herz zu fallen scheinen, jene Tränen,die die Musik und der Tod so leicht hervorbringen. Wie häufig in solchenSituationen begann alles Wirkliche zu brennen, fern und nah, beängstigend, verstörend.Dann verwandelten sich meine Angst und Trauer rasch in Wut, ich fragte mich,wie es möglich war, dass ich das nicht aus den Zeitungen erfahren hatte - einerder größten Sänger des Jahrhunderts, dachte ich voller Wut, meinLieblingsliedinterpret, ein außerordentlicher Künstler, und ich erfuhr von seinemTod rein zufällig, mehrere Monate später, das schien mir unfassbar, als wäreich Opfer eines Komplotts gewesen, als wäre dieser Tod durch irgendwelche verrücktenMachenschaften geheim gehalten worden. Starb. Da erinnerte ich michschlagartig, dass der letzte furchtbare Juni und der letzte furchtbare Juli diescheußlichen Monate Juni und Juli der Fußballweltmeisterschaft gewesen waren,dass der vergangene verregnete Sommer ganz einfach der schreckliche Sommer derFußballweltmeisterschaft gewesen war, in dem die Massenpropaganda der
Ich hatte das Glück, in den 1980er Jahren Hermann Prey mehrmals beiden »Montagen« im L Athénée zu hören (denn man kann einen Sänger und vor allemeinen Liedinterpreten natürlich unmöglich kennen und lieben, wenn man ihn nichtim Konzert gehört hat). Bei diesen »Montagen«, die ein berühmtermusikbegeisterter Millionär ins Leben gerufen und nach einigen Jahren aus Überdrusswieder aufgegeben hatte - ein bedeutender Industrieller aus der Mode undParfumbranche, mein falscher Namensvetter, sagte mein Freund MarkusBerger lachend zu mir, dessen eigener Name, da er Deutschschweizer war, deutschausgesprochen wurde, mit hartem g und eur am Ende, meinfalscher Namensvetter, der César Birotteau aus der zwielichtigenMitterrand-Zeit -, bei diesen »Montagen«, sage ich, hörte ich wirklicheLieder- Rezitale, die es in Frankreich leider viel zu selten gibt, wahrscheinlich,weil diese Sparte, im Wesentlichen für Männerstimmen, beinahe genauso zur Lyrikgehört wie zur Musik und die Liebhaber des Belcanto abschreckt, es warenLiederabende der großen Interpreten der Nachkriegszeit, die damals noch auf derHöhe ihrer Kunst waren, wie etwa Peter Schreier. Im Geiste sehe ich Hermann Preywieder vor mir, sein blondes, in tadellose Wellen frisiertes Haar, seine hohemassige Gestalt im traditionellen schwarzen Frack, absurd und ergreifendwie das Lichtgewand des Toreros, blieb er nahe beim Klavier stehen, eineStelle, von der er sich übrigens nicht mehr wegrührte, und dann, nachdem dasVorspiel des Klaviers (ein nicht über jeden Verdacht erhabener Bösendorfer, bemerktenpuristische Nörgler) zu Ende war, nach jenem magischen Moment völliger Stille,wo der Saal den Atem anhält, jenem beinahe schmerzhaften Augenblick reinerErwartung, bevor wie ein Weltenanfang auf wunderbare Weise der Gesang entsteht,füllte wie aus einer unsichtbaren Zauberquelle strömendes klares dunkles Wasserseine unvergleichliche Stimme mühelos den Saal, verkörperte jenseits vonSamtstoffen, Vergoldungen und Stuck die nie versiegende Kraft der deutschenRomantik.
© Atrium Verlag
Übersetzung: Regine Hermannsdörfer
- Autor: Ariel Denis
- 2007, 1, 141 Seiten, Maße: 12,5 x 20,8 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Übersetzer: Regine Herrmannsdörfer
- Verlag: Atrium Verlag
- ISBN-10: 3855359814
- ISBN-13: 9783855359813
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