Sturm der Liebe
Band 10 "Trügerische Hoffnung"
Roman. Zur Fernsehserie im Ersten. Originalausgabe
Neuer Band zur erfolgreichen TV-Serie: André lebt für seinen Traum vom eigenen Restaurant. Doch der Preis für diesen Traum ist hoch.
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Taschenbuch
4.95 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Sturm der Liebe
Band 10 "Trügerische Hoffnung" “
Band 10 "Trügerische Hoffnung" “
Neuer Band zur erfolgreichen TV-Serie: André lebt für seinen Traum vom eigenen Restaurant. Doch der Preis für diesen Traum ist hoch.
Klappentext zu „Sturm der Liebe
Band 10 "Trügerische Hoffnung" “
André kocht für sein Leben gern und ist stolz, bei einem Starkoch lernen zu können. Schlagartig ändert sich sein Leben, als sein Bruder Werner aus der DDR flieht und André nur noch eines ist der Bruder eines Republikflüchtlings. Fortan wird er schikaniert und muss sich mit einem Job in einer Großküche zufrieden geben. Doch André beißt sich durch, um sich und seinen Sohn Simon über die Runden zu bringen. Vor allem sein großer Traum treibt ihn an: Eines Tages wird er sein eigenes Restaurant eröffnen! Als er nach der Wende einer reichen Frau begegnet, die sich in ihn verliebt, scheint dieses Ziel zum Greifen nahe. Doch dann begeht er einen schweren Fehler.
Band 10 "Trügerische Hoffnung" “
Lese-Probe zu „Sturm der Liebe
Band 10 "Trügerische Hoffnung" “
Sturm der Liebe „Trügerische Hoffnung“ von Valerie Schönfeld LESEPROBE 1. Kapitel Band 10 "Trügerische Hoffnung" “
Unruhig wälzte André sich in seinem Bett hin und her. Er hatte geträumt, den gleichen Traum wie so oft in den letzten Jahren. Er war schweißgebadet erwacht und war froh, dass er sich doch noch in seiner kleinen Wohnung befand.
Leise stand er auf. Er wollte Simon nicht wecken, der in der Kammer nebenan schlief. Nur ein kleines Bett stand darin, ein Spind für Simons Sachen und ein winziger Tisch, an dem er seine Hausaufgaben machte. Simon war inzwischen in der dritten Klasse. Er war ein guter Schüler, und André war sehr stolz auf ihn.
André stand an der angelehnten Tür und lauschte den regelmäßigen Atemzügen seines Sohnes. Wenigstens er kann noch ruhig schlafen, dachte er und ging weiter zur Küche, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Nachdenklich saß er dann am Holztisch, stützte den Kopf in die Hände und dachte an das, was ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Dieses Mal war es noch schlimmer gewesen als in all den Nächten zuvor.
... mehr
Im Traum war André bei Nacht und Nebel aus seiner kleinen Wohnung aufgebrochen. Simon hatte er schweren Herzens zurückgelassen, voller Hoffnung, dass seine Freunde, denen er einen Zettel in den Briefkasten geworfen hatte, sich um seinen Sohn kümmern würden. Die Straßen, durch die er hastete, waren stockdunkel. André war froh darum. So blieb er unentdeckt. Trotzdem warf er immer wieder einen gehetzten Blick über die Schulter, glaubte dann, Schritte zu hören und drückte sich voller Panik in einen dunklen Hauseingang, bevor er weiterlief. Immer weiter. Sein Ziel kannte er. Und er hatte entsetzliche Angst davor. Gleichzeitig erfüllte ihn ein bisher unbekanntes Gefühl von Freiheit – oder vielmehr eine Ahnung davon, wie es sein könnte, frei zu sein. Endlich frei. Dieses Gefühl trieb ihn voran.
In seinem Traum wunderte André sich nicht darüber, dass er nicht in Halle lebte, sondern weiter westwärts, beinahe an der Grenze zu Westdeutschland. Es war nur ein kurzer Weg bis dorthin, und doch lag eine ganze Welt dazwischen, die es ihm verwehrte, dorthin zu gelangen. Er wollte es trotzdem versuchen. Er musste es versuchen. Anders konnte er sich seinen größten Wunsch nicht erfüllen.
Ohne genau zu wissen, wie er dorthin gekommen war, fand sich André im Traum plötzlich in der Nähe eines hohen Zauns wieder. Doch es war nicht irgendein Zaun. Einen anderen Zaun hätte er einfach überwinden können. Aber dieser Zaun hier trennte Menschen, die vorher zueinander gehört hatten. Und er konnte zur tödlichen Falle für jeden werden, der doch versuchte, ihn zu bezwingen.
André kauerte im Schatten einiger Bäume und warf einen Blick zu dem Wachturm, der verdächtig still dalag. Keiner der Grenzposten war zu sehen. Sie wachten sonst mit scharfem Auge darüber, dass niemand sich dem Zaun näherte. Bevor André sich aus seinem Versteck löste, erschien plötzlich ein Bild vor seinem geistigen Auge: das Bild seines älteren Bruders Werner. Er hatte es vor einigen Jahren geschafft, in den Westen zu flüchten.
Als André losrannte, sah er nur seinen Bruder vor sich, nicht den Mann in der Uniform, der plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Er hörte nicht, wie er rief: "Halt! Hände hoch!" Er sah auch nicht die Pistole in der Hand dieses Mannes, die jetzt auf ihn gerichtet war. Erst, als es mit einem Mal gleißend hell um ihn wurde und ein scharfer Schmerz ihn erfasste, blieb er stehen. Er schaute zu dem Zaun hoch, der sich bis in den dunklen Himmel zu erstrecken schien, ehe er in sich zusammensackte. Langsam, unendlich langsam. Als wollte sein Körper sich in einem letzten Gewaltakt weigern, sich dem Unvermeidlichen zu fügen.
Früher, wenn André aus diesem Traum erwacht war, hatte er nie gewusst, ob er tatsächlich gestorben war. Doch in dieser Nacht hatte er sich selbst gesehen. Auf dem Boden. In seinem eigenen Blut. Er hatte nicht mehr geatmet. André Konopka, der gerade seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert hatte, war tot.
André zitterte immer noch. Auch wenn er jetzt am Küchentisch saß, auch wenn es nur ein Traum gewesen war, wusste er, dass immer wieder Menschen erschossen wurden, die nichts weiter wollten, als einen Zaun zu überwinden, der für sie eine unmenschliche Grenze markierte. Gedankenvoll starrte André noch eine ganze Weile hinaus in die dunkle Nacht, dann erhob er sich und ging zu der alten Kiste, in der er seinen kostbarsten Schatz aufbewahrte. Er öffnete den Deckel und nahm eines der Bücher heraus, die dort verwahrt lagen. Dann setzte er sich wieder an den Küchentisch und schlug das Buch auf. Und wie durch Zauberhand befand er sich plötzlich in einer anderen Welt.
Leise lächelte André in sich hinein. Andere Menschen schauten sich Reiseprospekte an, wenn sie der Alltagswelt entfliehen und sich an einen anderen Ort träumen wollten. Er hingegen musste nur seine Kochbücher aufschlagen und die Rezepte studieren, um alles andere um sich herum vergessen zu können. Schon als Junge hatte er manchmal mehr Zeit in der Küche bei seiner Mutter verbracht als draußen mit seinen Spielkameraden. Deren Hänseleien hatte er damals in Kauf genommen, auch wenn sie ihn verletzt hatten. Mit großen Augen sah er dann seiner Mutter zu, die leidenschaftlich gern für die Familie kochte – ausgefallene Gerichte, die es bei anderen nicht gab. Geduldig erklärte sie ihrem Sohn, wie man Schwarzwurzeln mit französischer Eiersoße zubereitete. Begierig sog André alles in sich auf. Schon früh wusste er, dass es für ihn nur einen einzigen Beruf geben konnte: Er wollte Koch werden. Und er wollte zu den Besten gehören.
Eines hatte er tatsächlich geschafft: Er war Koch geworden. Nur gehörte er nicht zu den Besten. Doch eines Tages …
André schaute von seinem Kochbuch auf. Ja, eines Tages würde er ein eigenes Restaurant haben. Immer und immer wieder stellte er sich vor, wie es dort aussehen würde. Ein nicht zu großer Raum, warmes Kerzenlicht, weiß gedeckte Tische und Stoffservietten. Im Hintergrund eine schöne Anrichte mit Digestifs wie Apfelschnaps und Wodka, die nach dem Essen serviert wurden. Die Gäste sollten sich rundum wohl fühlen. Er würde dann am Herd endlich all das zaubern, wovon er immer geträumt hatte. Mit wehmütigem Lächeln strich er über die Seiten. Ich werde es schon schaffen, dachte er. Ich muss es schaffen! Sonst habe ich mein Leben vergeudet.
André war erst in den frühen Morgenstunden eingeschlafen und schreckte hoch, als Simon ihn am Arm wachrüttelte.
"Aufstehen, Papa", sagte er mit seiner hohen Kinderstimme und schaute seinen Vater mit leuchtenden Augen an. "Ich gehe heute nach der Schule wieder Altstoff sammeln", erklärte er stolz. "Unsere Klasse hat bis jetzt die meisten Punkte."
André warf einen Blick auf den Wecker. Es war bereits kurz nach fünf, und wenn Simon ihn nicht geweckt hätte, hätte er sicherlich verschlafen. Er lächelte seinen Sohn an und schwang sich aus dem Bett. Simon war mit seinen acht Jahren bei den Jungpionieren, die dazu angehalten wurden, alte Flaschen und Zeitungen zu sammeln. Zusammen mit den anderen Kindern zog er in seinem weißen Pionierhemd mit dem blauen Halstuch von Haus zu Haus und sammelte fleißig alles ein. Am Ende des Schuljahres wurden dann Klassenpreise an die besten und fleißigsten Sammler verteilt.
"Weiter so!", antwortete er Simon aufmunternd. "Man muss immer ein Ziel vor Augen haben."
Simon nickte mit ernstem Gesicht und folgte seinem Vater in die Küche. Das Frühstücksgeschirr hatte er schon aufgedeckt. Es gab selbst gebackene Brötchen, die beim Bäcker gerade mal wieder aus waren, und die köstliche Erdbeermarmelade mit den ganzen Stückchen, die André selbst eingekocht hatte.
André warf seinem Sohn einen verstohlenen Blick zu. Er war sehr selbständig für sein Alter und half mit, wo er nur konnte. André war froh darüber. Er selbst arbeitete den ganzen Tag und war abends oft sehr müde. Oft wünschte er sich, Simon hätte mehr Zeit zum Spielen, doch seit seine Frau, Simons Mutter, sie beide verlassen hatte, musste der Junge seinen Teil zur Hausarbeit mittragen. Er tat es, ohne zu murren, doch manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, sah André ihm an, wie sehr er unter der Situation litt.
Dass seine Mutter für ein paar Tage zu Verwandten gefahren war, hatte er seinem Sohn aufgetischt. Aber aus den paar Tagen waren Wochen geworden und aus Wochen Monate, und wenn der Junge wieder und wieder fragte, wann seine Mutter wieder nach Hause kommen würde, wusste sich André oft nicht zu helfen. Wie konnte er ihm die Wahrheit sagen? Wie konnte er ihm nicht die Wahrheit sagen?
Sie würde nicht zurückkommen. Sie hatte sie beide verlassen, weil André sich mit einer anderen Frau eingelassen hatte, wieder einmal. Sie konnte ihm seine Eskapaden einfach nicht mehr verzeihen und war gegangen.
"Machen wir halt unsere Männerwirtschaft", pflegte er dann zu sagen, um Simon spielerisch in die Rippen zu boxen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Manchmal wurde eine kleine Balgerei draus, und das war ihm gerade recht. Denn es zerriss ihm das Herz, seinen Sohn so leiden zu sehen.
"Vielleicht können wir am Wochenende zusammen was unternehmen", sagte André betont fröhlich und lächelte seinen Sohn an. Was vorbei ist, ist vorbei, dachte er. Wir müsst an die Zukunft denken.
Simons Miene hellte sich sofort auf. "Das wäre riesig, Papa", sagte er begeistert und biss herzhaft in sein Brötchen, von dem die Erdbeermarmelade tropfte.
André lächelte in sich hinein. Auch wenn sie nicht viel hatten, versuchte er doch, immer etwas Besonderes zu machen, das Simon schmeckte.
Nach dem Frühstück gab er seinem Sohn, der schon in die neueste "Frösi" vertieft war, eine Zeitschrift für Kinder, die er gern vor der Schule las, einen liebevollen Klaps und verabschiedete sich. Draußen im Hausflur stöhnte er verärgert auf. Wieder einmal war das Licht ausgefallen, und er musste sich im Dunkeln die Treppe hinunter tasten.
Draußen lief er durch die triste Plattenbausiedlung zur Straßenbahn. Einige Menschen grüßten ihn. Sie waren ebenfalls unterwegs zu dem großen Chemiewerk, in dem André als Hilfskoch in der Großküche arbeitete. Er grüßte zurück, ohne sich auf ein Gespräch einzulassen. Manche hielten ihn deshalb für arrogant. "Der meint wohl, er ist was Besseres", hatte ein Mann eines Morgens in der überfüllten Straßenbahn hinter Andrés Rücken abfällig gezischt. André hatte nichts dazu gesagt. Er wollte sich nicht mit dem Mann anlegen und würde ihm ganz sicher nicht erklären, warum er anderen gegenüber so zurückhaltend war.
© Mira Taschenbuch im Cora Verlag
In seinem Traum wunderte André sich nicht darüber, dass er nicht in Halle lebte, sondern weiter westwärts, beinahe an der Grenze zu Westdeutschland. Es war nur ein kurzer Weg bis dorthin, und doch lag eine ganze Welt dazwischen, die es ihm verwehrte, dorthin zu gelangen. Er wollte es trotzdem versuchen. Er musste es versuchen. Anders konnte er sich seinen größten Wunsch nicht erfüllen.
Ohne genau zu wissen, wie er dorthin gekommen war, fand sich André im Traum plötzlich in der Nähe eines hohen Zauns wieder. Doch es war nicht irgendein Zaun. Einen anderen Zaun hätte er einfach überwinden können. Aber dieser Zaun hier trennte Menschen, die vorher zueinander gehört hatten. Und er konnte zur tödlichen Falle für jeden werden, der doch versuchte, ihn zu bezwingen.
André kauerte im Schatten einiger Bäume und warf einen Blick zu dem Wachturm, der verdächtig still dalag. Keiner der Grenzposten war zu sehen. Sie wachten sonst mit scharfem Auge darüber, dass niemand sich dem Zaun näherte. Bevor André sich aus seinem Versteck löste, erschien plötzlich ein Bild vor seinem geistigen Auge: das Bild seines älteren Bruders Werner. Er hatte es vor einigen Jahren geschafft, in den Westen zu flüchten.
Als André losrannte, sah er nur seinen Bruder vor sich, nicht den Mann in der Uniform, der plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Er hörte nicht, wie er rief: "Halt! Hände hoch!" Er sah auch nicht die Pistole in der Hand dieses Mannes, die jetzt auf ihn gerichtet war. Erst, als es mit einem Mal gleißend hell um ihn wurde und ein scharfer Schmerz ihn erfasste, blieb er stehen. Er schaute zu dem Zaun hoch, der sich bis in den dunklen Himmel zu erstrecken schien, ehe er in sich zusammensackte. Langsam, unendlich langsam. Als wollte sein Körper sich in einem letzten Gewaltakt weigern, sich dem Unvermeidlichen zu fügen.
Früher, wenn André aus diesem Traum erwacht war, hatte er nie gewusst, ob er tatsächlich gestorben war. Doch in dieser Nacht hatte er sich selbst gesehen. Auf dem Boden. In seinem eigenen Blut. Er hatte nicht mehr geatmet. André Konopka, der gerade seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert hatte, war tot.
André zitterte immer noch. Auch wenn er jetzt am Küchentisch saß, auch wenn es nur ein Traum gewesen war, wusste er, dass immer wieder Menschen erschossen wurden, die nichts weiter wollten, als einen Zaun zu überwinden, der für sie eine unmenschliche Grenze markierte. Gedankenvoll starrte André noch eine ganze Weile hinaus in die dunkle Nacht, dann erhob er sich und ging zu der alten Kiste, in der er seinen kostbarsten Schatz aufbewahrte. Er öffnete den Deckel und nahm eines der Bücher heraus, die dort verwahrt lagen. Dann setzte er sich wieder an den Küchentisch und schlug das Buch auf. Und wie durch Zauberhand befand er sich plötzlich in einer anderen Welt.
Leise lächelte André in sich hinein. Andere Menschen schauten sich Reiseprospekte an, wenn sie der Alltagswelt entfliehen und sich an einen anderen Ort träumen wollten. Er hingegen musste nur seine Kochbücher aufschlagen und die Rezepte studieren, um alles andere um sich herum vergessen zu können. Schon als Junge hatte er manchmal mehr Zeit in der Küche bei seiner Mutter verbracht als draußen mit seinen Spielkameraden. Deren Hänseleien hatte er damals in Kauf genommen, auch wenn sie ihn verletzt hatten. Mit großen Augen sah er dann seiner Mutter zu, die leidenschaftlich gern für die Familie kochte – ausgefallene Gerichte, die es bei anderen nicht gab. Geduldig erklärte sie ihrem Sohn, wie man Schwarzwurzeln mit französischer Eiersoße zubereitete. Begierig sog André alles in sich auf. Schon früh wusste er, dass es für ihn nur einen einzigen Beruf geben konnte: Er wollte Koch werden. Und er wollte zu den Besten gehören.
Eines hatte er tatsächlich geschafft: Er war Koch geworden. Nur gehörte er nicht zu den Besten. Doch eines Tages …
André schaute von seinem Kochbuch auf. Ja, eines Tages würde er ein eigenes Restaurant haben. Immer und immer wieder stellte er sich vor, wie es dort aussehen würde. Ein nicht zu großer Raum, warmes Kerzenlicht, weiß gedeckte Tische und Stoffservietten. Im Hintergrund eine schöne Anrichte mit Digestifs wie Apfelschnaps und Wodka, die nach dem Essen serviert wurden. Die Gäste sollten sich rundum wohl fühlen. Er würde dann am Herd endlich all das zaubern, wovon er immer geträumt hatte. Mit wehmütigem Lächeln strich er über die Seiten. Ich werde es schon schaffen, dachte er. Ich muss es schaffen! Sonst habe ich mein Leben vergeudet.
André war erst in den frühen Morgenstunden eingeschlafen und schreckte hoch, als Simon ihn am Arm wachrüttelte.
"Aufstehen, Papa", sagte er mit seiner hohen Kinderstimme und schaute seinen Vater mit leuchtenden Augen an. "Ich gehe heute nach der Schule wieder Altstoff sammeln", erklärte er stolz. "Unsere Klasse hat bis jetzt die meisten Punkte."
André warf einen Blick auf den Wecker. Es war bereits kurz nach fünf, und wenn Simon ihn nicht geweckt hätte, hätte er sicherlich verschlafen. Er lächelte seinen Sohn an und schwang sich aus dem Bett. Simon war mit seinen acht Jahren bei den Jungpionieren, die dazu angehalten wurden, alte Flaschen und Zeitungen zu sammeln. Zusammen mit den anderen Kindern zog er in seinem weißen Pionierhemd mit dem blauen Halstuch von Haus zu Haus und sammelte fleißig alles ein. Am Ende des Schuljahres wurden dann Klassenpreise an die besten und fleißigsten Sammler verteilt.
"Weiter so!", antwortete er Simon aufmunternd. "Man muss immer ein Ziel vor Augen haben."
Simon nickte mit ernstem Gesicht und folgte seinem Vater in die Küche. Das Frühstücksgeschirr hatte er schon aufgedeckt. Es gab selbst gebackene Brötchen, die beim Bäcker gerade mal wieder aus waren, und die köstliche Erdbeermarmelade mit den ganzen Stückchen, die André selbst eingekocht hatte.
André warf seinem Sohn einen verstohlenen Blick zu. Er war sehr selbständig für sein Alter und half mit, wo er nur konnte. André war froh darüber. Er selbst arbeitete den ganzen Tag und war abends oft sehr müde. Oft wünschte er sich, Simon hätte mehr Zeit zum Spielen, doch seit seine Frau, Simons Mutter, sie beide verlassen hatte, musste der Junge seinen Teil zur Hausarbeit mittragen. Er tat es, ohne zu murren, doch manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, sah André ihm an, wie sehr er unter der Situation litt.
Dass seine Mutter für ein paar Tage zu Verwandten gefahren war, hatte er seinem Sohn aufgetischt. Aber aus den paar Tagen waren Wochen geworden und aus Wochen Monate, und wenn der Junge wieder und wieder fragte, wann seine Mutter wieder nach Hause kommen würde, wusste sich André oft nicht zu helfen. Wie konnte er ihm die Wahrheit sagen? Wie konnte er ihm nicht die Wahrheit sagen?
Sie würde nicht zurückkommen. Sie hatte sie beide verlassen, weil André sich mit einer anderen Frau eingelassen hatte, wieder einmal. Sie konnte ihm seine Eskapaden einfach nicht mehr verzeihen und war gegangen.
"Machen wir halt unsere Männerwirtschaft", pflegte er dann zu sagen, um Simon spielerisch in die Rippen zu boxen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Manchmal wurde eine kleine Balgerei draus, und das war ihm gerade recht. Denn es zerriss ihm das Herz, seinen Sohn so leiden zu sehen.
"Vielleicht können wir am Wochenende zusammen was unternehmen", sagte André betont fröhlich und lächelte seinen Sohn an. Was vorbei ist, ist vorbei, dachte er. Wir müsst an die Zukunft denken.
Simons Miene hellte sich sofort auf. "Das wäre riesig, Papa", sagte er begeistert und biss herzhaft in sein Brötchen, von dem die Erdbeermarmelade tropfte.
André lächelte in sich hinein. Auch wenn sie nicht viel hatten, versuchte er doch, immer etwas Besonderes zu machen, das Simon schmeckte.
Nach dem Frühstück gab er seinem Sohn, der schon in die neueste "Frösi" vertieft war, eine Zeitschrift für Kinder, die er gern vor der Schule las, einen liebevollen Klaps und verabschiedete sich. Draußen im Hausflur stöhnte er verärgert auf. Wieder einmal war das Licht ausgefallen, und er musste sich im Dunkeln die Treppe hinunter tasten.
Draußen lief er durch die triste Plattenbausiedlung zur Straßenbahn. Einige Menschen grüßten ihn. Sie waren ebenfalls unterwegs zu dem großen Chemiewerk, in dem André als Hilfskoch in der Großküche arbeitete. Er grüßte zurück, ohne sich auf ein Gespräch einzulassen. Manche hielten ihn deshalb für arrogant. "Der meint wohl, er ist was Besseres", hatte ein Mann eines Morgens in der überfüllten Straßenbahn hinter Andrés Rücken abfällig gezischt. André hatte nichts dazu gesagt. Er wollte sich nicht mit dem Mann anlegen und würde ihm ganz sicher nicht erklären, warum er anderen gegenüber so zurückhaltend war.
© Mira Taschenbuch im Cora Verlag
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Bibliographische Angaben
- Autor: Valerie Schönfeld
- 2008, 300 Seiten, Maße: 12,5 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3899415078
- ISBN-13: 9783899415070
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