Succubus Blues - Komm ihr nicht zu nah / Georgina Kincaid Bd.1
Die Buchhändlerin Georgina ist ein Sukkubus, eine Dämonin in Menschengestalt, die sich von der Lebensenergie junger Männer ernährt. Das Leben als Sukkubus hat durchaus Vorteile: Georgie kann nach Belieben ihre Gestalt ändern, und alle Männer liegen ihr zu...
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Produktinformationen zu „Succubus Blues - Komm ihr nicht zu nah / Georgina Kincaid Bd.1 “
Klappentext zu „Succubus Blues - Komm ihr nicht zu nah / Georgina Kincaid Bd.1 “
Die Buchhändlerin Georgina ist ein Sukkubus, eine Dämonin in Menschengestalt, die sich von der Lebensenergie junger Männer ernährt. Das Leben als Sukkubus hat durchaus Vorteile: Georgie kann nach Belieben ihre Gestalt ändern, und alle Männer liegen ihr zu Füßen. Allerdings zahlt jeder, der sich von ihr verführen lässt, einen hohen Preis. Georgie hat ihr Dasein als Sukkubus deshalb ziemlich satt und wünscht sich sehnlichst, eine feste Beziehung eingehen zu können. Da kommt ihr Lieblingsautor Seth Mortensen zu einer Lesung in den Buchladen, und Georgie ist von ihm absolut hingerissen. Aber wie kann sie sich ihm nähern, ohne ihn in Gefahr zu bringen?
Lese-Probe zu „Succubus Blues - Komm ihr nicht zu nah / Georgina Kincaid Bd.1 “
Succubus Blues, komm ihr nicht zu nahe von Richelle Mead1
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Statistisch gesehen verkaufen die meisten Sterblichen ihre Seele aus fünf Gründen: Sex, Geld, Macht, Rache und Liebe. In dieser Reihenfolge.
So gesehen hätte es mich dann vermutlich beruhigen sollen, dass ich hier draußen bei Numero uno aushelfen sollte, aber ich kam mir trotzdem ein wenig ... nun ja, schmutzig vor. Und wenn ich so etwas sage, will das schon was heißen.
Vielleicht kann ich es nicht mehr so richtig nachvollziehen. Es ist schon allzu lange her. Als ich Jungfrau war, glaubten die Menschen noch daran, dass Schwäne Mädchen schwängern können.
Hugh neben mir wartete geduldig darauf, dass ich meine Zurückhaltung überwand. Er hatte die Hände in die Taschen seiner gut gebügelten Stoffhose geschoben und sich mit seinem langen Körper an den Lexus gelehnt. »Was soll denn da so besonders dran sein? Das machst du doch sowieso ständig!«
Was nicht genau stimmte, aber wir wussten beide, was er meinte. Ich beachtete ihn nicht weiter, sondern musterte betont sorgfältig meine Umgebung. Nicht, dass das meine Laune beträchtlich gesteigert hätte. Vorstädte deprimierten mich immer. Identische Häuser. Perfekte Rasenflächen. Viel zu viele Geländewagen. Irgendwo wollte ein Köter in dieser Nacht einfach nicht zu kläffen aufhören.
» So was mach ich nicht ständig«, erklärte ich schließlich. »Selbst ich habe gewisse Ansprüche.«
Hugh schnaubte, um seine Ansicht über meine Ansprüche kundzutun. »Na gut, na gut, wenn du dich damit besser fühlst, dann betrachte es eben nicht unter dem Aspekt der Verdammnis. Sieh es einfach ... sagen wir ... als einen Fall von christlicher Nächstenliebe.«
»Christlicher Nächstenliebe?«
»Natürlich.«
Er holte seinen Pocket-PC heraus und wirkte auf einmal trotz der unorthodoxen Umgebung sehr geschäftsmäßig. Nicht, dass ich überrascht gewesen wäre. Hugh war ein professioneller Kobold, ein Meister in der Kunst, Sterbliche zum Verkauf ihrer Seelen zu überreden, ein Experte in Verträgen und legalen Schlupflöchern, bei denen jeder Anwalt vor Neid erblasst wäre. Er war auch mein Freund. Was der Redensart »Bei solchen Freunden brauchst du keine Feinde« in gewisser Hinsicht eine völlig neue Bedeutung verlieh.
»Hör dir das doch mal an«, fuhr er fort. »Martin Miller. Männlich, natürlich. Weißer. Nicht praktizierender Lutheraner. Arbeitet in einem Geschäft für Computerspiele im Einkaufszentrum. Lebt hier im Souterrain ... im Haus seiner Eltern.«
»Mein Gott!«
»Hab's dir gesagt.«
»Nächstenliebe oder nicht, das kommt mir alles so ... extrem vor. Wie alt ist er gleich?«
»Vierunddreißig.«
»Aua.«
»Genau. Wenn du so alt wärst und noch nie einen gehabt hättest, würdest du vielleicht auch zu verzweifelten Maßnahmen greifen.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Also, tust du das jetzt oder nicht?«
Zweifelsohne hielt ich Hugh von einer Verabredung mit irgendeiner heißen Dame ab, die halb so alt war wie er -- womit ich natürlich meine, halb so alt, wie er aussah. In Wirklichkeit ging er auf die hundert zu.
Ich setzte meine Tasche ab und warf ihm einen warnenden Blick zu. »Dafür bist du mir was schuldig.«
»Ja, ja«, gab er zu.
Das waren schließlich nicht meine üblichen Engagements, wofür ich der Göttin heiß und innig dankte. Der Kobold vergab solche Sachen normalerweise »außer Haus«, aber heute Nacht hatte es wohl Terminprobleme gegeben. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer das sonst für ihn erledigte.
Ich wollte zum Haus gehen, aber er hielt mich zurück. »Georgina?«
»Ja?«
»Da ist ... noch was ... «
Ich drehte mich um, weil mir sein Tonfall ganz und gar nicht gefiel. »Jaaa?«
»Er, äh, hat was Spezielles bestellt.«
Ich wartete mit hochgezogenen Brauen.
»Siehst du, äh, er fährt voll auf diese Sache mit dem Bösen ab. Weißt du, wenn er seine Seele schon dem Teufel verkauft -- sozusagen, jedenfalls -, dann sollte er seine Jungfräulichkeit auch an, ich weiß nicht so recht, eine Dämonin oder so was in der Preisklasse verlieren.«
Ich schwöre, dass selbst der Köter bei diesen Worten zu kläffen aufhörte. »Das soll doch wohl 'n Witz sein?«
Hugh reagierte nicht.
»Ich bin keine ... nein. Unter gar keinen Umständen werde ich ...«
»Komm schon, Georgina. Ist doch nichts dabei! Kleines Sahnehäubchen. Rauch und Spiegel. Bitte! Tu's für mich, ja?« Nun verlegte er sich aufs Betteln, Einschmeicheln. Schwer zu widerstehen. Wie gesagt, er war echt gut in seinem Job. »Ich stecke wirklich in der Klemme ... Wenn du mir hier raushelfen kannst ... Es würde so viel bedeuten ... «
Ich stöhnte. Bei dem bemitleidenswerten Ausdruck auf seinem breiten Gesicht konnte ich ihm einfach nichts abschlagen. »Wenn irgendjemand etwas davon erfährt ...«
»Meine Lippen sind versiegelt!« Er besaß tatsächlich die Dreistigkeit, eine entsprechende Handbewegung zu vollführen.
Resigniert beugte ich mich herab und löste die Riemchen an meinen Schuhen.
»Was tust du da?«, fragte er.
»Das sind meine Lieblingsschuhe, Bruno Maglis. Sie sollen
nicht absorbiert werden, wenn ich die Gestalt wechsele.«
»Ja, aber ... kannst du sie nicht wieder zurückverwandeln?« »Das wäre nicht dasselbe.«
»Doch. Du kannst alles daraus machen, was du willst. Das ist schlicht bescheuert.«
»Sieh mal«, sagte ich zu ihm, »soll ich hier draußen mit dir über meine Schuhe debattieren, oder soll ich aus deiner Jungfrau einen Mann machen? Was ist dir lieber?«
Hugh presste die Lippen aufeinander und machte eine winkende Geste in Richtung Haus.
Ich stapfte über das Gras davon, es kitzelte an meinen bloßen Füßen. Die hintere Terrassentür, die ins Souterrain führte, stand offen, wie Hugh es versprochen hatte. Ich betrat das schlafende Haus und hoffte, dass sie hier keinen Hund hatten. Niedergeschlagen überlegte ich, wie ich nur auf diesem Tiefpunkt meiner Existenz angelangen konnte. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich bald die Einzelheiten eines gemütlichen Mittelklasse-Wohnzimmers: Sofa, Fernseher, Bücherregale. Eine Treppe führte nach links weg und ein Flur nach rechts.
Ich wandte mich zum Flur und veränderte im Gehen mein Erscheinungsbild. Das Gefühl war so vertraut, so zur zweiten Natur geworden, dass ich mein Äußeres nicht einmal sehen musste, um
zu wissen, was geschah. Meine zierliche Gestalt wurde größer, der schlanke Körperbau blieb, nahm jedoch eine härtere Note an. Meine Haut wurde blasser, bis sie totenbleich war und keine Spur der üblichen leichten Bräune mehr aufwies. Das Haar, das mir bereits bis weit auf den Rücken hinabreichte, behielt seine Länge, dunkelte jedoch zu einem Pechschwarz, und die leichten Wellen glätteten sich. Meine Brüste - sowieso schon recht beeindruckend - schwollen noch mehr an und konnten jetzt mit jenen von Comic-Heldinnen, mit denen dieser Knabe zweifelsohne groß geworden war, locker mithalten.
Und mein Outfit ... na ja, die süße Bluse nebst kurzer Hose war futsch. Hohe schwarze Lederstiefel tauchten an meinen Beinen auf, dazu ein passendes Top sowie ein Rock, mit dem ich mich nie hätte bücken können. Stachelige Flügel, Hörner sowie eine Peitsche vervollständigten die Ausstattung.
»Meine Güte!«, brummelte ich, als ich mein Erscheinungsbild zufällig in einem kleinen Spiegel an der Wand wahrnahm. Ich hoffte, dass keine der hiesigen Dämoninnen je etwas davon erführe. Sie waren echt stinkvornehm.
Ich wandte mich von dem höhnischen Bild im Spiegel ab und ging durch den Flur zu einer geschlossenen Tür, an der ein gelbes Schild mit der Aufschrift »Vorsicht, Bauarbeiten!« hing. Ich glaubte, schwach das Piepen eines Videospiels zu vernehmen, obwohl die Geräusche sofort verstummten, als ich anklopfte.
Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet, und ich stand einem Typen von etwa eins siebzig gegenüber, mit schulterlangem schmutzig blondem Haar, das sich an der Stirn schon rapide lichtete. Eine mächtige behaarte Wampe lugte unter seinem Homer-Simpson-T-Shirt hervor, und in einer Hand hielt er eine Tüte Kartoffelchips.
Bei meinem Anblick ließ er die Tüte zu Boden fallen. »Martin Miller?«
»J-ja«, brachte er keuchend heraus.
Ich ließ die Peitsche knallen. »Bist du bereit für ein Spiel mit mir?«
Exakt sechs Minuten später verließ ich die millersche Wohnung. Vierunddreißig Lebensjahre sagen über das Stehvermögen anscheinend nicht sonderlich viel aus.
»Mann, das ging aber wie bei der Feuerwehr!«, bemerkte Hugh, als er mich über die Einfahrt kommen sah. Er lehnte wieder am Auto und rauchte.
»Allerdings. Hast du noch eine?«
Er grinste, reichte mir seine Zigarette und musterte mich noch mal von oben bis unten. »Wärst du eingeschnappt, wenn ich dir sage, dass mich die Flügel so richtig anmachen?«
Ich nahm die Zigarette entgegen, inhalierte und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Ein rascher, prüfender Blick versicherte mir, dass sonst niemand in der Gegend war, und ich verwandelte mich wieder in meine übliche Gestalt.
»Du bist mir verdammt was schuldig!«, erinnerte ich ihn, als ich die Schuhe wieder anzog.
»Weiß ich. Natürlich könnte man auch der Ansicht sein, dass du mir was schuldig bist. Du hast 'n ordentlichen Kick gekriegt. Besser als das übliche Zeugs.«
Das konnte ich nicht leugnen, aber mir war dabei auch nicht allzu wohl in meiner Haut. Armer Martin! Versager hin oder her, seine Seele der ewigen Verdammnis auszuliefern, war ein höllischer Preis für sechs Minuten.
»Möchtest du was trinken gehen?«, fragte Hugh.
»Nein, zu spät. Ich geh nach Hause. Muss ein Buch lesen.« »Ah, natürlich. Wann ist der große Tag?«
»Morgen!«, verkündete ich.
Der Kobold kicherte über meine Heldenverehrung. »E r schreibt bloß Mainstream! Wahrlich kein Nietzsche oder Thoreau.«
»He, man muss nicht surreal oder transzendental sein, um ein großer Autor zu sein. Ich sollte das wissen; ich habe über die Jahre ein paar davon kennengelernt.«
Hugh grunzte und verneigte sich angesichts meines gebieterischen Auftretens spöttisch vor mir. »Fern sei es mir, einer Dame Ihres Alters zu widersprechen.«
Ich gab ihm ein rasches Küsschen auf die Wange und ging dann die beiden Blocks hinab, wo ich meinen Wagen geparkt hatte. Ich schloss ihn gerade auf, da spürte ich es: Das kitzelnde Gefühl von Wärme, das auf einen anderen Unsterblichen in der Nähe hindeutete. Vampir, dachte ich nur eine Millisekunde lang, bevor er neben mir auftauchte. Verdammt, waren die schnell!
»Georgina, meine Schöne, mein süßer Sukkubus, meine entzückende Göttin!«, deklamierte er und legte sich dabei dramatisch die Hand aufs Herz.
Na super! Genau das, was ich brauchte. Duane war sehr wahrscheinlich der widerlichste Unsterbliche, der mir je über den Weg gelaufen war. Er rasierte sich das blonde Haar kurz und bewies wie üblich seinen entsetzlichen Geschmack sowohl bei der Kleidung als auch beim Deodorant.
»Verschwinde, Duane! Ich habe dir nichts zu sagen.«
»Oh, nun komm schon«, gurrte er, und seine Hand schoss an mir vorbei, um die Tür festzuhalten, die ich gerade öffnen wollte. »Selbst du kannst diesmal nicht einen auf schüchtern machen. Sieh dich doch an! Du glühst ja förmlich. Gut gejagt, hm?«
Bei der Erwähnung von Martins Lebensenergie blickte ich finster drein, da ich wusste, dass sie mich umgab. Beharrlich versuchte ich, meine Tür gegen Duanes Griff aufzuziehen. Vergebens.
»Er wird vier Tage lang hinüber sein, so wie du aussiehst«, fügte der Vampir hinzu, nachdem er mich genau in Augenschein genommen hatte. »Dennoch könnte ich mir vorstellen, dass der Betreffende den Ritt genossen hat -- sowohl den auf dir als auch den zur Hölle.« Er lächelte mich träge an und bleckte seine spitzen Zähne nur ein ganz klein wenig. »Er muss dir ziemlich gutgetan haben, wenn du so heiß bist. Was ist passiert? Ich dachte, du würdest nur den Abschaum der Erde ficken. Die richtigen Arschlöcher.«
»Kurswechsel. Ich möchte dir allerdings keine falschen Hoffnungen machen.«
Er schüttelte anerkennend den Kopf. »Oh, Georgina, du enttäuschst mich nie -- du und deine geistreichen Bemerkungen. Aber na ja, man trifft ja immer wieder auf Huren, die ihr loses Mundwerk einzusetzen wissen, ob während des Jobs oder hinterher.«
»Lass los!«, fauchte ich und riss heftiger an der Tür.
»Warum die Eile? Ich habe ein Recht zu erfahren, was ihr hier zu tun habt, du und der Kobold. Die Eastside ist mein Revier.«
»Wir müssen uns wohl kaum nach deinen ›Revierregeln‹ richten, und das weißt du.«
»Dennoch verlangt es die allgemeine Höflichkeit, dass du, wenn du dich in der Nachbarschaft herumtreibst -- in diesem Fall buchstäblich -, zumindest Hallo sagst. Übrigens, wie kommt's, dass wir niemals einen draufmachen? Du bist mir ein paar schöne Stunden schuldig. Schließlich verbringst du genug Zeit mit diesen anderen Versagern.«
Die Versager, von denen er sprach, waren meine Freunde und die einzigen anständigen Vampire, die mir je begegnet waren. Die meisten Vampire -- wie Duane -- waren arrogant, ohne jegliche gesellschaftliche Umgangsformen und besessen von der Verteidigung ihres Territoriums. Darin waren sie vielen sterblichen Männern, denen ich bislang begegnet war, übrigens gar nicht so unähnlich.
»Wenn du mich nicht gehen lässt, wirst du eine völlig neue Definition von ›Höflichkeit‹ kennenlernen.«
Na gut, das war eine bescheuerte, verlogene Phrase aus einem Actionfilm, aber es war das Beste, was mir so auf die Schnelle einfallen wollte. Ich ließ meine Worte so bedrohlich wie möglich klingen, aber es war nackte Tollkühnheit, und er wusste das. Sukkuben waren mit Charisma und der Fähigkeit zum Gestaltwechsel ausgestattet; Vampire waren superstark und superschnell. Was bedeutete, dass einer von uns besser auf Partys zurechtkam und der andere jemandem schon beim Händeschütteln das Handgelenk brechen konnte.
»Du willst mir tatsächlich drohen?« Er strich spielerisch mit einer Hand an meiner Wange entlang, sodass sich mir die Härchen im Nacken aufrichteten - auf unangenehme Weise. Ich drehte und wand mich. »Bewundernswert. Und fast sogar erregend. Ich würde dich wirklich gern mal in der Offensive erleben. Vielleicht, wenn du dich wie ein braves Mädchen benimmst - au! Du kleines Miststück!«
Da seine Hände gerade beschäftigt waren, hatte ich die Gelegenheit genutzt: Ein rascher Gestaltwechsel, und scharfe, sechs Zentimeter lange Klauen erschienen an meiner rechten Hand, die ich ihm über die Wange zog. Wegen seiner überlegenen Reflexe kam ich mit dieser Geste nicht allzu weit, aber er blutete, bevor er mich am Handgelenk packen und es gegen die Tür knallen konnte.
»Was soll das? Noch nicht offensiv genug für dich?«, brachte ich trotz der Schmerzen heraus. Weitere miese Filmsprüche.
»Süß, Georgina. Sehr süß. Sehen wir mal, wie süß du bist, wenn ich ...«
Scheinwerfer leuchteten durch die Nacht, als ein Wagen um die Ecke des nächsten Blocks bog und auf uns zukam. In diesem Sekundenbruchteil erkannte ich die Unschlüssigkeit auf Duanes Gesicht. Der Fahrer würde unser Tête-à-Tête bestimmt bemerken. Während Duane leicht einen Sterblichen, der dazwischen-gehen wollte, töten könnte - Teufel, damit verdiente er sich den Lebensunterhalt -, sähe ein Mord in Verbindung mit der sexuellen Belästigung meiner Person bei unseren Chefs gar nicht gut aus. Selbst ein Arschloch wie Duane würde es sich zweimal überlegen, bevor er dieses Fass aufmachen würde.
»Wir sind noch nicht fertig miteinander«, zischte er und ließ mein Handgelenk los.
»Oh, ich glaube schon.« Ich konnte jetzt gut einen auf tapfer machen, wo doch meine Rettung nahte. »Das nächste Mal, wenn du mir zu nahe kommst, wird auch das letzte Mal sein.«
»Ich zittere vor Angst«, sagte er affektiert. Seine Augen leuchteten einmal in der Dunkelheit auf, und dann war er weg, in der Nacht verschwunden, gerade als der Wagen vorüberfuhr. Gott sei Dank hatte es den Fahrer des Wagens heute wegen einer Liebschaft oder einer Portion Eis auf die Straße getrieben.
Ohne weiter Zeit zu vergeuden, stieg ich in meinen Wagen und fuhr davon, denn ich wollte unbedingt in die Innenstadt zurück. Ich versuchte, das Zittern meiner Hände auf dem Lenkrad zu ignorieren, aber die Wahrheit lautete, dass Duane mir eine Scheißangst einjagte. Ich hatte ihm oft in Anwesenheit meiner unsterblichen Freunde gesagt, er solle sich vom Acker machen, aber es mit ihm allein in einer dunklen Straße aufzunehmen, war eine völlig andere Sache, insbesondere da meine Drohungen allesamt nur heiße Luft waren.
Eigentlich verabscheute ich Gewalt in jeglicher Form. Vermutlich ein Ergebnis dessen, dass ich Phasen in der Geschichte erlebt hatte, deren Grausamkeit und Brutalität in der modernen Welt niemand auch nur im Entferntesten erfassen konnte. Angeblich leben wir heutzutage ja in gewalttätigen Zeiten, aber wer so was sagt, hat schlicht keine Ahnung. Natürlich konnte es einem eine gewisse Befriedigung verschaffen, wenn vor Jahrhunderten ein Vergewaltiger für sein Verbrechen rasch und prompt kastriert wurde, ohne endlose Gerichtsdramen oder eine vorzeitige Entlassung wegen »guter Führung«. Leider wissen jedoch diejenigen, die total auf Rache und Selbstjustiz abfahren, nur selten, wo die Grenzen sind, weshalb mir die Bürokratie des modernen Rechtssystems dann doch um einiges lieber ist.
Beim Gedanken daran, dass der zufällig vorüberkommende Fahrer sich eventuell ein Eis besorgen wollte, kam ich zu dem Entschluss, dass ein kleines Dessert mir auch guttäte. Sobald ich wieder in Seattle war, hielt ich an einem Geschäft, das rund um die Uhr geöffnet hatte, und entdeckte Eis mit Tiramisu-Geschmack. Tiramisu und Eis. Der Einfallsreichtum der Sterblichen brachte mich immer wieder zum Staunen.
Als ich gerade bezahlen wollte, kam ich an ein paar Blumensträußen vorbei. Sie waren billig und leicht zerzaust, aber ich beobachtete einen jungen Mann, der sie nervös musterte. Schließlich wählte er einige Chrysanthemen in herbstlichen Farben aus und nahm sie mit. Mein Blick folgte ihm wehmütig, und ich war ein bisschen neidisch auf das Mädchen, das sie bekommen würde.
Wie Duane so richtig bemerkt hatte, ernährte ich mich gewöhnlich von Versagern - Typen, bei denen ich keine Schuldgefühle haben musste, weil ich ihnen wehgetan oder sie für ein paar Tage außer Gefecht gesetzt hatte. Diese Sorte Mann schickte keine Blumen und machte um romantische Gesten im Allgemeinen einen weiten Bogen. Und Typen, die Blumen schickten, nun ja, die mied ich. Um ihretwillen. Das entsprach so gar nicht dem Charakter eines Sukkubus, aber ich war zu erledigt, um mir noch irgendwelche Sorgen zu machen, welches Verhalten angemessen war und welches nicht.
Da ich mich traurig und einsam fühlte, nahm ich einen Bund roter Nelken für mich selbst und bezahlte.
Als ich zu Hause eintraf, klingelte das Telefon. Ich stellte meine Einkäufe hin und warf einen Blick auf das Display. Unbekannt.
»Mein Herr und Meister«, meldete ich mich. »Welch perfektes Ende einer perfekten Nacht!«
»Spar dir deine blöden Bemerkungen, Georgie. Warum hast du gerade Duane angemacht?«
»Jerome, ich ... was?«
»Er hat gerade angerufen. Hat gesagt, du habest ihn unangemessen belästigt.«
»Belästigt? Ihn?« Entrüstung wallte in mir auf. »Er hat damit angefangen! Er ist zu mir gekommen und ...«
»Hast du ihn geschlagen?«
»Ich ...«
»Hast du, oder hast du nicht?«
Ich seufzte. Jerome war der Erzdämon in der größeren Hierarchie des Bösen von Seattle, dazu auch mein Vorgesetzter. Sein Job war es, uns alle zu managen, dafür zu sorgen, dass wir unseren Pflichten nachkamen, und uns bei der Stange zu halten. Wie jeder faule Dämon zog er es jedoch vor, dass wir ihm so wenig Arbeit wie möglich machten. Seine Verärgerung war durch den Hörer fast mit Händen zu greifen.
»In gewisser Weise habe ich ihn wohl irgendwie geschlagen. Eigentlich war es mehr ein Klaps.«
»Ah ja. Ein Klaps. Und hast du ihn auch bedroht?«
»Na ja, vermutlich schon, wenn man's ganz genau nimmt, aber Jerome, nun komm schon! Er ist ein Vampir. Ich kann ihm nichts anhaben. Das weißt du.«
Der Erzdämon zögerte, weil er sich anscheinend das Ergebnis eines Zweikampfs zwischen mir und Duane vorstellte. Ich musste die hypothetische Schlacht verloren haben, weil ich einen Moment später hörte, wie Jerome ausatmete.
»Ja, vermutlich. Aber provoziere ihn nicht mehr. Ich habe momentan genug Arbeit am Hals, auch ohne euch Kinder, die sich um ihr Spielzeug streiten.«
»Seit wann arbeitest du?« Kinder, also wirklich!
»Gute Nacht, Georgie. Lass dich nicht wieder mit Duane ein!«
Die Verbindung brach ab. Dämonen hatten nicht viel übrig für Small Talk.
Ich legte höchst beleidigt auf, weil ich einfach nicht glauben konnte, dass Duane sich über mich beschwert und mich zum Bösewicht gemacht hatte. Schlimmer noch, Jerome hatte ihm anscheinend auch noch geglaubt. Zumindest anfangs. Das schmerzte wahrscheinlich am allermeisten, weil ich, ließ man meine grundsätzlich eher arbeitsscheuen Sukkubusgewohnheiten mal außen vor, für den Erzdämon stets eine Musterschülerin war und daher mit entsprechender Nachsicht behandelt wurde.
Trost suchend trug ich mein Eis zum Schlafzimmer hinüber und zog ein lockeres Nachthemd über. Aubrey, meine Katze, erhob sich vom Fuß meines Betts, wo sie geschlafen hatte, und streckte sich. Sie war völlig weiß, von einigen schwarzen Flecken auf der Stirn einmal abgesehen, und kniff die grünen Augen zusammen, wie um mir Hallo zu sagen.
»Ich kann noch nicht ins Bett kommen«, erklärte ich ihr und unterdrückte ein Gähnen. »Ich muss zuerst noch was lesen.«
Ich machte es mir mit dem Eis und meinem Buch gemütlich und dachte daran, dass ich morgen endlich meinen Lieblingsautor bei der Signierstunde treffen würde. Seth Mortensens Literatur sprach mich stets an, weckte etwas in meinem Innern, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass es dort schlief. Sein neuestes Buch, The Glasgow Pact, konnte das Schuldgefühl wegen Martin nicht lindern, aber es füllte trotzdem eine schmerzende Leere in mir. Ich bewunderte es, dass Sterbliche, die doch nur so kurz lebten, so herrliche Dinge erschaffen konnten.
»Als ich sterblich war, habe ich nie etwas erschaffen«, sagte ich zu Aubrey, nachdem ich fünf Seiten gelesen hatte.
Sie rieb sich an mir, schnurrte mitfühlend, und ich war gerade noch geistesgegewärtig genug, das Eis wegzustellen, bevor ich ins Bett fiel und einschlief.
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Statistisch gesehen verkaufen die meisten Sterblichen ihre Seele aus fünf Gründen: Sex, Geld, Macht, Rache und Liebe. In dieser Reihenfolge.
So gesehen hätte es mich dann vermutlich beruhigen sollen, dass ich hier draußen bei Numero uno aushelfen sollte, aber ich kam mir trotzdem ein wenig ... nun ja, schmutzig vor. Und wenn ich so etwas sage, will das schon was heißen.
Vielleicht kann ich es nicht mehr so richtig nachvollziehen. Es ist schon allzu lange her. Als ich Jungfrau war, glaubten die Menschen noch daran, dass Schwäne Mädchen schwängern können.
Hugh neben mir wartete geduldig darauf, dass ich meine Zurückhaltung überwand. Er hatte die Hände in die Taschen seiner gut gebügelten Stoffhose geschoben und sich mit seinem langen Körper an den Lexus gelehnt. »Was soll denn da so besonders dran sein? Das machst du doch sowieso ständig!«
Was nicht genau stimmte, aber wir wussten beide, was er meinte. Ich beachtete ihn nicht weiter, sondern musterte betont sorgfältig meine Umgebung. Nicht, dass das meine Laune beträchtlich gesteigert hätte. Vorstädte deprimierten mich immer. Identische Häuser. Perfekte Rasenflächen. Viel zu viele Geländewagen. Irgendwo wollte ein Köter in dieser Nacht einfach nicht zu kläffen aufhören.
» So was mach ich nicht ständig«, erklärte ich schließlich. »Selbst ich habe gewisse Ansprüche.«
Hugh schnaubte, um seine Ansicht über meine Ansprüche kundzutun. »Na gut, na gut, wenn du dich damit besser fühlst, dann betrachte es eben nicht unter dem Aspekt der Verdammnis. Sieh es einfach ... sagen wir ... als einen Fall von christlicher Nächstenliebe.«
»Christlicher Nächstenliebe?«
»Natürlich.«
Er holte seinen Pocket-PC heraus und wirkte auf einmal trotz der unorthodoxen Umgebung sehr geschäftsmäßig. Nicht, dass ich überrascht gewesen wäre. Hugh war ein professioneller Kobold, ein Meister in der Kunst, Sterbliche zum Verkauf ihrer Seelen zu überreden, ein Experte in Verträgen und legalen Schlupflöchern, bei denen jeder Anwalt vor Neid erblasst wäre. Er war auch mein Freund. Was der Redensart »Bei solchen Freunden brauchst du keine Feinde« in gewisser Hinsicht eine völlig neue Bedeutung verlieh.
»Hör dir das doch mal an«, fuhr er fort. »Martin Miller. Männlich, natürlich. Weißer. Nicht praktizierender Lutheraner. Arbeitet in einem Geschäft für Computerspiele im Einkaufszentrum. Lebt hier im Souterrain ... im Haus seiner Eltern.«
»Mein Gott!«
»Hab's dir gesagt.«
»Nächstenliebe oder nicht, das kommt mir alles so ... extrem vor. Wie alt ist er gleich?«
»Vierunddreißig.«
»Aua.«
»Genau. Wenn du so alt wärst und noch nie einen gehabt hättest, würdest du vielleicht auch zu verzweifelten Maßnahmen greifen.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Also, tust du das jetzt oder nicht?«
Zweifelsohne hielt ich Hugh von einer Verabredung mit irgendeiner heißen Dame ab, die halb so alt war wie er -- womit ich natürlich meine, halb so alt, wie er aussah. In Wirklichkeit ging er auf die hundert zu.
Ich setzte meine Tasche ab und warf ihm einen warnenden Blick zu. »Dafür bist du mir was schuldig.«
»Ja, ja«, gab er zu.
Das waren schließlich nicht meine üblichen Engagements, wofür ich der Göttin heiß und innig dankte. Der Kobold vergab solche Sachen normalerweise »außer Haus«, aber heute Nacht hatte es wohl Terminprobleme gegeben. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer das sonst für ihn erledigte.
Ich wollte zum Haus gehen, aber er hielt mich zurück. »Georgina?«
»Ja?«
»Da ist ... noch was ... «
Ich drehte mich um, weil mir sein Tonfall ganz und gar nicht gefiel. »Jaaa?«
»Er, äh, hat was Spezielles bestellt.«
Ich wartete mit hochgezogenen Brauen.
»Siehst du, äh, er fährt voll auf diese Sache mit dem Bösen ab. Weißt du, wenn er seine Seele schon dem Teufel verkauft -- sozusagen, jedenfalls -, dann sollte er seine Jungfräulichkeit auch an, ich weiß nicht so recht, eine Dämonin oder so was in der Preisklasse verlieren.«
Ich schwöre, dass selbst der Köter bei diesen Worten zu kläffen aufhörte. »Das soll doch wohl 'n Witz sein?«
Hugh reagierte nicht.
»Ich bin keine ... nein. Unter gar keinen Umständen werde ich ...«
»Komm schon, Georgina. Ist doch nichts dabei! Kleines Sahnehäubchen. Rauch und Spiegel. Bitte! Tu's für mich, ja?« Nun verlegte er sich aufs Betteln, Einschmeicheln. Schwer zu widerstehen. Wie gesagt, er war echt gut in seinem Job. »Ich stecke wirklich in der Klemme ... Wenn du mir hier raushelfen kannst ... Es würde so viel bedeuten ... «
Ich stöhnte. Bei dem bemitleidenswerten Ausdruck auf seinem breiten Gesicht konnte ich ihm einfach nichts abschlagen. »Wenn irgendjemand etwas davon erfährt ...«
»Meine Lippen sind versiegelt!« Er besaß tatsächlich die Dreistigkeit, eine entsprechende Handbewegung zu vollführen.
Resigniert beugte ich mich herab und löste die Riemchen an meinen Schuhen.
»Was tust du da?«, fragte er.
»Das sind meine Lieblingsschuhe, Bruno Maglis. Sie sollen
nicht absorbiert werden, wenn ich die Gestalt wechsele.«
»Ja, aber ... kannst du sie nicht wieder zurückverwandeln?« »Das wäre nicht dasselbe.«
»Doch. Du kannst alles daraus machen, was du willst. Das ist schlicht bescheuert.«
»Sieh mal«, sagte ich zu ihm, »soll ich hier draußen mit dir über meine Schuhe debattieren, oder soll ich aus deiner Jungfrau einen Mann machen? Was ist dir lieber?«
Hugh presste die Lippen aufeinander und machte eine winkende Geste in Richtung Haus.
Ich stapfte über das Gras davon, es kitzelte an meinen bloßen Füßen. Die hintere Terrassentür, die ins Souterrain führte, stand offen, wie Hugh es versprochen hatte. Ich betrat das schlafende Haus und hoffte, dass sie hier keinen Hund hatten. Niedergeschlagen überlegte ich, wie ich nur auf diesem Tiefpunkt meiner Existenz angelangen konnte. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich bald die Einzelheiten eines gemütlichen Mittelklasse-Wohnzimmers: Sofa, Fernseher, Bücherregale. Eine Treppe führte nach links weg und ein Flur nach rechts.
Ich wandte mich zum Flur und veränderte im Gehen mein Erscheinungsbild. Das Gefühl war so vertraut, so zur zweiten Natur geworden, dass ich mein Äußeres nicht einmal sehen musste, um
zu wissen, was geschah. Meine zierliche Gestalt wurde größer, der schlanke Körperbau blieb, nahm jedoch eine härtere Note an. Meine Haut wurde blasser, bis sie totenbleich war und keine Spur der üblichen leichten Bräune mehr aufwies. Das Haar, das mir bereits bis weit auf den Rücken hinabreichte, behielt seine Länge, dunkelte jedoch zu einem Pechschwarz, und die leichten Wellen glätteten sich. Meine Brüste - sowieso schon recht beeindruckend - schwollen noch mehr an und konnten jetzt mit jenen von Comic-Heldinnen, mit denen dieser Knabe zweifelsohne groß geworden war, locker mithalten.
Und mein Outfit ... na ja, die süße Bluse nebst kurzer Hose war futsch. Hohe schwarze Lederstiefel tauchten an meinen Beinen auf, dazu ein passendes Top sowie ein Rock, mit dem ich mich nie hätte bücken können. Stachelige Flügel, Hörner sowie eine Peitsche vervollständigten die Ausstattung.
»Meine Güte!«, brummelte ich, als ich mein Erscheinungsbild zufällig in einem kleinen Spiegel an der Wand wahrnahm. Ich hoffte, dass keine der hiesigen Dämoninnen je etwas davon erführe. Sie waren echt stinkvornehm.
Ich wandte mich von dem höhnischen Bild im Spiegel ab und ging durch den Flur zu einer geschlossenen Tür, an der ein gelbes Schild mit der Aufschrift »Vorsicht, Bauarbeiten!« hing. Ich glaubte, schwach das Piepen eines Videospiels zu vernehmen, obwohl die Geräusche sofort verstummten, als ich anklopfte.
Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet, und ich stand einem Typen von etwa eins siebzig gegenüber, mit schulterlangem schmutzig blondem Haar, das sich an der Stirn schon rapide lichtete. Eine mächtige behaarte Wampe lugte unter seinem Homer-Simpson-T-Shirt hervor, und in einer Hand hielt er eine Tüte Kartoffelchips.
Bei meinem Anblick ließ er die Tüte zu Boden fallen. »Martin Miller?«
»J-ja«, brachte er keuchend heraus.
Ich ließ die Peitsche knallen. »Bist du bereit für ein Spiel mit mir?«
Exakt sechs Minuten später verließ ich die millersche Wohnung. Vierunddreißig Lebensjahre sagen über das Stehvermögen anscheinend nicht sonderlich viel aus.
»Mann, das ging aber wie bei der Feuerwehr!«, bemerkte Hugh, als er mich über die Einfahrt kommen sah. Er lehnte wieder am Auto und rauchte.
»Allerdings. Hast du noch eine?«
Er grinste, reichte mir seine Zigarette und musterte mich noch mal von oben bis unten. »Wärst du eingeschnappt, wenn ich dir sage, dass mich die Flügel so richtig anmachen?«
Ich nahm die Zigarette entgegen, inhalierte und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Ein rascher, prüfender Blick versicherte mir, dass sonst niemand in der Gegend war, und ich verwandelte mich wieder in meine übliche Gestalt.
»Du bist mir verdammt was schuldig!«, erinnerte ich ihn, als ich die Schuhe wieder anzog.
»Weiß ich. Natürlich könnte man auch der Ansicht sein, dass du mir was schuldig bist. Du hast 'n ordentlichen Kick gekriegt. Besser als das übliche Zeugs.«
Das konnte ich nicht leugnen, aber mir war dabei auch nicht allzu wohl in meiner Haut. Armer Martin! Versager hin oder her, seine Seele der ewigen Verdammnis auszuliefern, war ein höllischer Preis für sechs Minuten.
»Möchtest du was trinken gehen?«, fragte Hugh.
»Nein, zu spät. Ich geh nach Hause. Muss ein Buch lesen.« »Ah, natürlich. Wann ist der große Tag?«
»Morgen!«, verkündete ich.
Der Kobold kicherte über meine Heldenverehrung. »E r schreibt bloß Mainstream! Wahrlich kein Nietzsche oder Thoreau.«
»He, man muss nicht surreal oder transzendental sein, um ein großer Autor zu sein. Ich sollte das wissen; ich habe über die Jahre ein paar davon kennengelernt.«
Hugh grunzte und verneigte sich angesichts meines gebieterischen Auftretens spöttisch vor mir. »Fern sei es mir, einer Dame Ihres Alters zu widersprechen.«
Ich gab ihm ein rasches Küsschen auf die Wange und ging dann die beiden Blocks hinab, wo ich meinen Wagen geparkt hatte. Ich schloss ihn gerade auf, da spürte ich es: Das kitzelnde Gefühl von Wärme, das auf einen anderen Unsterblichen in der Nähe hindeutete. Vampir, dachte ich nur eine Millisekunde lang, bevor er neben mir auftauchte. Verdammt, waren die schnell!
»Georgina, meine Schöne, mein süßer Sukkubus, meine entzückende Göttin!«, deklamierte er und legte sich dabei dramatisch die Hand aufs Herz.
Na super! Genau das, was ich brauchte. Duane war sehr wahrscheinlich der widerlichste Unsterbliche, der mir je über den Weg gelaufen war. Er rasierte sich das blonde Haar kurz und bewies wie üblich seinen entsetzlichen Geschmack sowohl bei der Kleidung als auch beim Deodorant.
»Verschwinde, Duane! Ich habe dir nichts zu sagen.«
»Oh, nun komm schon«, gurrte er, und seine Hand schoss an mir vorbei, um die Tür festzuhalten, die ich gerade öffnen wollte. »Selbst du kannst diesmal nicht einen auf schüchtern machen. Sieh dich doch an! Du glühst ja förmlich. Gut gejagt, hm?«
Bei der Erwähnung von Martins Lebensenergie blickte ich finster drein, da ich wusste, dass sie mich umgab. Beharrlich versuchte ich, meine Tür gegen Duanes Griff aufzuziehen. Vergebens.
»Er wird vier Tage lang hinüber sein, so wie du aussiehst«, fügte der Vampir hinzu, nachdem er mich genau in Augenschein genommen hatte. »Dennoch könnte ich mir vorstellen, dass der Betreffende den Ritt genossen hat -- sowohl den auf dir als auch den zur Hölle.« Er lächelte mich träge an und bleckte seine spitzen Zähne nur ein ganz klein wenig. »Er muss dir ziemlich gutgetan haben, wenn du so heiß bist. Was ist passiert? Ich dachte, du würdest nur den Abschaum der Erde ficken. Die richtigen Arschlöcher.«
»Kurswechsel. Ich möchte dir allerdings keine falschen Hoffnungen machen.«
Er schüttelte anerkennend den Kopf. »Oh, Georgina, du enttäuschst mich nie -- du und deine geistreichen Bemerkungen. Aber na ja, man trifft ja immer wieder auf Huren, die ihr loses Mundwerk einzusetzen wissen, ob während des Jobs oder hinterher.«
»Lass los!«, fauchte ich und riss heftiger an der Tür.
»Warum die Eile? Ich habe ein Recht zu erfahren, was ihr hier zu tun habt, du und der Kobold. Die Eastside ist mein Revier.«
»Wir müssen uns wohl kaum nach deinen ›Revierregeln‹ richten, und das weißt du.«
»Dennoch verlangt es die allgemeine Höflichkeit, dass du, wenn du dich in der Nachbarschaft herumtreibst -- in diesem Fall buchstäblich -, zumindest Hallo sagst. Übrigens, wie kommt's, dass wir niemals einen draufmachen? Du bist mir ein paar schöne Stunden schuldig. Schließlich verbringst du genug Zeit mit diesen anderen Versagern.«
Die Versager, von denen er sprach, waren meine Freunde und die einzigen anständigen Vampire, die mir je begegnet waren. Die meisten Vampire -- wie Duane -- waren arrogant, ohne jegliche gesellschaftliche Umgangsformen und besessen von der Verteidigung ihres Territoriums. Darin waren sie vielen sterblichen Männern, denen ich bislang begegnet war, übrigens gar nicht so unähnlich.
»Wenn du mich nicht gehen lässt, wirst du eine völlig neue Definition von ›Höflichkeit‹ kennenlernen.«
Na gut, das war eine bescheuerte, verlogene Phrase aus einem Actionfilm, aber es war das Beste, was mir so auf die Schnelle einfallen wollte. Ich ließ meine Worte so bedrohlich wie möglich klingen, aber es war nackte Tollkühnheit, und er wusste das. Sukkuben waren mit Charisma und der Fähigkeit zum Gestaltwechsel ausgestattet; Vampire waren superstark und superschnell. Was bedeutete, dass einer von uns besser auf Partys zurechtkam und der andere jemandem schon beim Händeschütteln das Handgelenk brechen konnte.
»Du willst mir tatsächlich drohen?« Er strich spielerisch mit einer Hand an meiner Wange entlang, sodass sich mir die Härchen im Nacken aufrichteten - auf unangenehme Weise. Ich drehte und wand mich. »Bewundernswert. Und fast sogar erregend. Ich würde dich wirklich gern mal in der Offensive erleben. Vielleicht, wenn du dich wie ein braves Mädchen benimmst - au! Du kleines Miststück!«
Da seine Hände gerade beschäftigt waren, hatte ich die Gelegenheit genutzt: Ein rascher Gestaltwechsel, und scharfe, sechs Zentimeter lange Klauen erschienen an meiner rechten Hand, die ich ihm über die Wange zog. Wegen seiner überlegenen Reflexe kam ich mit dieser Geste nicht allzu weit, aber er blutete, bevor er mich am Handgelenk packen und es gegen die Tür knallen konnte.
»Was soll das? Noch nicht offensiv genug für dich?«, brachte ich trotz der Schmerzen heraus. Weitere miese Filmsprüche.
»Süß, Georgina. Sehr süß. Sehen wir mal, wie süß du bist, wenn ich ...«
Scheinwerfer leuchteten durch die Nacht, als ein Wagen um die Ecke des nächsten Blocks bog und auf uns zukam. In diesem Sekundenbruchteil erkannte ich die Unschlüssigkeit auf Duanes Gesicht. Der Fahrer würde unser Tête-à-Tête bestimmt bemerken. Während Duane leicht einen Sterblichen, der dazwischen-gehen wollte, töten könnte - Teufel, damit verdiente er sich den Lebensunterhalt -, sähe ein Mord in Verbindung mit der sexuellen Belästigung meiner Person bei unseren Chefs gar nicht gut aus. Selbst ein Arschloch wie Duane würde es sich zweimal überlegen, bevor er dieses Fass aufmachen würde.
»Wir sind noch nicht fertig miteinander«, zischte er und ließ mein Handgelenk los.
»Oh, ich glaube schon.« Ich konnte jetzt gut einen auf tapfer machen, wo doch meine Rettung nahte. »Das nächste Mal, wenn du mir zu nahe kommst, wird auch das letzte Mal sein.«
»Ich zittere vor Angst«, sagte er affektiert. Seine Augen leuchteten einmal in der Dunkelheit auf, und dann war er weg, in der Nacht verschwunden, gerade als der Wagen vorüberfuhr. Gott sei Dank hatte es den Fahrer des Wagens heute wegen einer Liebschaft oder einer Portion Eis auf die Straße getrieben.
Ohne weiter Zeit zu vergeuden, stieg ich in meinen Wagen und fuhr davon, denn ich wollte unbedingt in die Innenstadt zurück. Ich versuchte, das Zittern meiner Hände auf dem Lenkrad zu ignorieren, aber die Wahrheit lautete, dass Duane mir eine Scheißangst einjagte. Ich hatte ihm oft in Anwesenheit meiner unsterblichen Freunde gesagt, er solle sich vom Acker machen, aber es mit ihm allein in einer dunklen Straße aufzunehmen, war eine völlig andere Sache, insbesondere da meine Drohungen allesamt nur heiße Luft waren.
Eigentlich verabscheute ich Gewalt in jeglicher Form. Vermutlich ein Ergebnis dessen, dass ich Phasen in der Geschichte erlebt hatte, deren Grausamkeit und Brutalität in der modernen Welt niemand auch nur im Entferntesten erfassen konnte. Angeblich leben wir heutzutage ja in gewalttätigen Zeiten, aber wer so was sagt, hat schlicht keine Ahnung. Natürlich konnte es einem eine gewisse Befriedigung verschaffen, wenn vor Jahrhunderten ein Vergewaltiger für sein Verbrechen rasch und prompt kastriert wurde, ohne endlose Gerichtsdramen oder eine vorzeitige Entlassung wegen »guter Führung«. Leider wissen jedoch diejenigen, die total auf Rache und Selbstjustiz abfahren, nur selten, wo die Grenzen sind, weshalb mir die Bürokratie des modernen Rechtssystems dann doch um einiges lieber ist.
Beim Gedanken daran, dass der zufällig vorüberkommende Fahrer sich eventuell ein Eis besorgen wollte, kam ich zu dem Entschluss, dass ein kleines Dessert mir auch guttäte. Sobald ich wieder in Seattle war, hielt ich an einem Geschäft, das rund um die Uhr geöffnet hatte, und entdeckte Eis mit Tiramisu-Geschmack. Tiramisu und Eis. Der Einfallsreichtum der Sterblichen brachte mich immer wieder zum Staunen.
Als ich gerade bezahlen wollte, kam ich an ein paar Blumensträußen vorbei. Sie waren billig und leicht zerzaust, aber ich beobachtete einen jungen Mann, der sie nervös musterte. Schließlich wählte er einige Chrysanthemen in herbstlichen Farben aus und nahm sie mit. Mein Blick folgte ihm wehmütig, und ich war ein bisschen neidisch auf das Mädchen, das sie bekommen würde.
Wie Duane so richtig bemerkt hatte, ernährte ich mich gewöhnlich von Versagern - Typen, bei denen ich keine Schuldgefühle haben musste, weil ich ihnen wehgetan oder sie für ein paar Tage außer Gefecht gesetzt hatte. Diese Sorte Mann schickte keine Blumen und machte um romantische Gesten im Allgemeinen einen weiten Bogen. Und Typen, die Blumen schickten, nun ja, die mied ich. Um ihretwillen. Das entsprach so gar nicht dem Charakter eines Sukkubus, aber ich war zu erledigt, um mir noch irgendwelche Sorgen zu machen, welches Verhalten angemessen war und welches nicht.
Da ich mich traurig und einsam fühlte, nahm ich einen Bund roter Nelken für mich selbst und bezahlte.
Als ich zu Hause eintraf, klingelte das Telefon. Ich stellte meine Einkäufe hin und warf einen Blick auf das Display. Unbekannt.
»Mein Herr und Meister«, meldete ich mich. »Welch perfektes Ende einer perfekten Nacht!«
»Spar dir deine blöden Bemerkungen, Georgie. Warum hast du gerade Duane angemacht?«
»Jerome, ich ... was?«
»Er hat gerade angerufen. Hat gesagt, du habest ihn unangemessen belästigt.«
»Belästigt? Ihn?« Entrüstung wallte in mir auf. »Er hat damit angefangen! Er ist zu mir gekommen und ...«
»Hast du ihn geschlagen?«
»Ich ...«
»Hast du, oder hast du nicht?«
Ich seufzte. Jerome war der Erzdämon in der größeren Hierarchie des Bösen von Seattle, dazu auch mein Vorgesetzter. Sein Job war es, uns alle zu managen, dafür zu sorgen, dass wir unseren Pflichten nachkamen, und uns bei der Stange zu halten. Wie jeder faule Dämon zog er es jedoch vor, dass wir ihm so wenig Arbeit wie möglich machten. Seine Verärgerung war durch den Hörer fast mit Händen zu greifen.
»In gewisser Weise habe ich ihn wohl irgendwie geschlagen. Eigentlich war es mehr ein Klaps.«
»Ah ja. Ein Klaps. Und hast du ihn auch bedroht?«
»Na ja, vermutlich schon, wenn man's ganz genau nimmt, aber Jerome, nun komm schon! Er ist ein Vampir. Ich kann ihm nichts anhaben. Das weißt du.«
Der Erzdämon zögerte, weil er sich anscheinend das Ergebnis eines Zweikampfs zwischen mir und Duane vorstellte. Ich musste die hypothetische Schlacht verloren haben, weil ich einen Moment später hörte, wie Jerome ausatmete.
»Ja, vermutlich. Aber provoziere ihn nicht mehr. Ich habe momentan genug Arbeit am Hals, auch ohne euch Kinder, die sich um ihr Spielzeug streiten.«
»Seit wann arbeitest du?« Kinder, also wirklich!
»Gute Nacht, Georgie. Lass dich nicht wieder mit Duane ein!«
Die Verbindung brach ab. Dämonen hatten nicht viel übrig für Small Talk.
Ich legte höchst beleidigt auf, weil ich einfach nicht glauben konnte, dass Duane sich über mich beschwert und mich zum Bösewicht gemacht hatte. Schlimmer noch, Jerome hatte ihm anscheinend auch noch geglaubt. Zumindest anfangs. Das schmerzte wahrscheinlich am allermeisten, weil ich, ließ man meine grundsätzlich eher arbeitsscheuen Sukkubusgewohnheiten mal außen vor, für den Erzdämon stets eine Musterschülerin war und daher mit entsprechender Nachsicht behandelt wurde.
Trost suchend trug ich mein Eis zum Schlafzimmer hinüber und zog ein lockeres Nachthemd über. Aubrey, meine Katze, erhob sich vom Fuß meines Betts, wo sie geschlafen hatte, und streckte sich. Sie war völlig weiß, von einigen schwarzen Flecken auf der Stirn einmal abgesehen, und kniff die grünen Augen zusammen, wie um mir Hallo zu sagen.
»Ich kann noch nicht ins Bett kommen«, erklärte ich ihr und unterdrückte ein Gähnen. »Ich muss zuerst noch was lesen.«
Ich machte es mir mit dem Eis und meinem Buch gemütlich und dachte daran, dass ich morgen endlich meinen Lieblingsautor bei der Signierstunde treffen würde. Seth Mortensens Literatur sprach mich stets an, weckte etwas in meinem Innern, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass es dort schlief. Sein neuestes Buch, The Glasgow Pact, konnte das Schuldgefühl wegen Martin nicht lindern, aber es füllte trotzdem eine schmerzende Leere in mir. Ich bewunderte es, dass Sterbliche, die doch nur so kurz lebten, so herrliche Dinge erschaffen konnten.
»Als ich sterblich war, habe ich nie etwas erschaffen«, sagte ich zu Aubrey, nachdem ich fünf Seiten gelesen hatte.
Sie rieb sich an mir, schnurrte mitfühlend, und ich war gerade noch geistesgegewärtig genug, das Eis wegzustellen, bevor ich ins Bett fiel und einschlief.
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Richelle Mead
Richelle Mead, geb. in Michigan, studierte Kunst, Religion und Englisch. Mit ihrer Jugendbuchserie Vampire Academy gelang ihr auf Anhieb der Sprung auf die internationalen Bestsellerlisten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Richelle Mead
- 2011, 416 Seiten, Maße: 12,4 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Ins Deutsche übertr. v. Alfons Winkelmann
- Übersetzer: Alfons Winkelmann
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802582314
- ISBN-13: 9783802582318
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