Süßes, wildes Herz
Lady Eadyth ist Mutter eines unehelichen Kindes und wird deshalb gesellschaftlich geschnitten. Ein Ehemann wäre ihre Rettung. Aus Berechnung heiratet sie deshalb den berüchtigten Erik of Ravenshire. Doch was als reine Vernunftehe beginnt, entpuppt...
Leider schon ausverkauft
Weltbild Ausgabe
4.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Süßes, wildes Herz “
Lady Eadyth ist Mutter eines unehelichen Kindes und wird deshalb gesellschaftlich geschnitten. Ein Ehemann wäre ihre Rettung. Aus Berechnung heiratet sie deshalb den berüchtigten Erik of Ravenshire. Doch was als reine Vernunftehe beginnt, entpuppt sich schon bals als Leidenschaft.
"Ein sinnliches Lesevergnügen."
ROMANTIC TIMES
"Ein sinnliches Lesevergnügen."
ROMANTIC TIMES
Lese-Probe zu „Süßes, wildes Herz “
Süßes, wildes Herz von Sandra HillAus dem Amerikanischen von Ulrike Moreno
1. Kapitel
Ravenshire Castle, Northumbria,
946 A. D.
Himmeldonnerwetter! Was macht die denn hier?«
Eirik stürzte das restliche Bier aus seinem hölzernen Kelch hinunter und knallte ihn dann auf den erhöhten Tisch. Verärgert beobachtete er, wie die große, magere Gestalt anmutig den Saum ihres weiten Gewands anhob und mit übertrieben vorsichtigen Schritten über die schmutzige Binsenstreu zu ihm hinüberkam.
»Das muss Lady Eadyth von Hawk's Lair sein«, bemerkte Wilfrid, sein Seneschall und langjähriger Freund. »Ich dachte, ich hätte den Wachen gesagt, sie sollten sie schon am Tor abweisen, falls sie unerwartet hier auftauchen sollte.«
»Es sieht so aus, als hätte die junge Frau dich nun schließlich doch erwischt«, erklärte Wilfrid leise lachend. »Zumindest muss man ihr zugutehalten, dass sie offenbar ganz schön beharrlich ist.«
»Ha! Während der letzten zwei Jahre bin ich mehr als genug beharrlichen Damen und übereifrigen Müttern begegnet. Dafür musste ich nicht nach Ravenshire zurückkommen. Das Einzige, was ich will, ist ein bisschen Frieden, um ...«
... mehr
Das schrille Gejaule eines Hunds ließ ihre Unterhaltung jäh verstummen. Eirik riss überrascht die Augen auf, als er sah, wie Eadyth dem Tier mit der Spitze ihres weichen Lederschuhs einen kleinen Schubs versetzte, als der Hund sich auf die Hinterbeine niederließ und sich neben ihren Füßen in der
Binsenstreu ausstreckte. Selbst im verrauchten Halbdunkel des großen Saals konnte Eirik sehen, wie Eadyth angewidert ihre Lippen schürzte, als sie das unschöne ›Geschenk‹ sah, das der große Hund zurückgelassen hatte. Die Hände in die Hüften gestemmt funkelte die unverfrorene Person den winselnden Hund an, bis er schließlich schuldbewusst aus ihrer Sicht verschwand.
Eirik und Wilfrid brachen in schallendes Gelächter aus, genau wie die ungepflegten Ritter, die unterhalb der Empore an den langen Tischen im großen Saal herumlungerten. Mit Ausnahme der Dienstmägde hielten sich dort keine Frauen auf. Dem Himmel sei Dank! Eirik hoffte, dass es auch so bleiben würde.
»So ein dreistes Frauenzimmer!«, murmelte er, während er sich mit dem Ärmel seiner abgetragenen Tunika die Lachtränen aus den Augen wischte. »Erst platzt sie uneingeladen in meine Burg. Dann misshandelt sie meinen Hund. Sollte ich ihr vielleicht einen Tritt in ihren knochigen Hintern verpassen und sie gleich wieder nach Hause schicken?«
»Ach, lass sie doch reden. Vielleicht liefert sie mit dieser ›dringenden Angelegenheit‹, die sie mit dir besprechen will, ja einen Spaß, der uns die Langeweile ein bisschen vertreibt.«
Eirik zuckte mit den Schultern. »Möglich. Außerdem wollte ich mir das silberne Kleinod von Northumbria ohnehin schon immer mal genauer ansehen.«
»Nee, Eirik. Hast du es noch nicht gehört? Das Juwel hat seinen Glanz inzwischen längst verloren. Wusstest du denn nicht, dass die Klatschmäuler bei Hof sie heute das befleckte Kleinod nennen?« Er flüsterte Eirik ein paar rasche Worte der Erklärung zu.
Interessiert, aber auch ein bisschen skeptisch zog Eirik die Augenbrauen hoch. Aus eigener bitterer Erfahrung kannte er die Boshaftigkeit der Adligen an König Edmunds Hof nur zu gut. Trotzdem fragte er sich, ob Wilfrids Worte wahr sein konnten.
Inzwischen setzte die Frau hartnäckig ihren Weg zu dem erhöhten Podium fort, auf dem sie saßen. Eine rundliche Matrone und etliche Gefolgsleute watschelten ihr wie Entenküken einer dürren Gans hinterher.
Zwischendurch blieb sie einmal stehen, schnupperte und rümpfte hochmütig die Nase. Dann richtete sie einen vernichtenden Blick auf Ignold, einen von Eiriks treusten Gefolgsmännern, und warf ihm ein paar scharfe Worte zu. Der furchtlose Hüne von einem Krieger, der dafür bekannt war, dass er noch nie vor einem Kampf zurückgeschreckt war, starrte sie nur mit offenem Mund an.
Eirik konnte sich ungefähr vorstellen, was die Frau zu ihm gesagt hatte.
Nachdem Eirik vor einigen Monaten die nordische Hauptstadt Jorvik zurückgewonnen und später dann auch ganz Strathclyde erobert hatte, wurde er von König Edmund unter der Standarte des Goldenen Drachens als sein Abgesandter zum Herzog der Normandie geschickt, um die Freilassung des Neffen König Edmunds, Louis d'Outremer, auszuhandeln. Louis war im Sommer zuvor von den Wikingern von Rouen gefangengenommen worden, dann aber vom Herzog der Franken wieder befreit worden, der jedoch darauf bestanden hatte, den Neffen des Königs all dieseMonateals Geisel festzuhalten. Später, nach monatelanger Feilscherei und vielen Rückschlägen, wurde Louis dann schließlich seinem fränkischen Königreich zurückgegeben.
Eirik war froh gewesen, als er mit einer kleineren Gruppe seiner Gefolgsleute vor zwei Wochen in die Heimat zurückgekehrt war. Viele von Eiriks Männern, die zu seinem festen Truppen- kontingent gehörten, waren nach ihrer langen Rückreise aus dem Frankenland aber erst an ebendiesem Abend eingetroffen. Nach Wochen auf See und später dann zu Pferd, ohne eine Möglichkeit zu baden, stanken sie zum Himmel. Selbst er hatte vorhin auf dem Weg zum Abtritt den durchdringenden, beißenden Geruch von ungewaschenen Männerkörpern wahrgenommen. Vermutlich war es das, worüber die Beißzange von Hawk's Lair sich so missbilligend geäußert hatte.
Die Frau kam weiter in seine Richtung, ohne die anzüglichen Kommentare seiner Männer zu beachten, die in kleinen Grüppchen an den langen Tafeln zusammensaßen und Met tranken. Offensichtlich hatten sie sich alle schon viel zu lange nicht mehr in gepflegter Gesellschaft aufgehalten.
Ein leichtes Schuldbewusstsein beschlich Eirik. Vielleicht war es unhöflich von ihm gewesen, die Briefe zu ignorieren, in denen die Frau ihn in einer nicht näher benannten, aber ›dringenden Angelegenheit‹ um Hilfe ersucht hatte. Aber Eirik war völlig erschöpft. Immerhin hatte er zwei Jahre lang gekämpft und war als Botschafter des Königs hin-und hergereist, von den Gefahren politischer Intrigen, denen er ständig hatte aus dem Weg gehen müssen, erst ganz zu schweigen. Er wollte im Moment einfach nichts mehr mit der Aristokratie zu tun haben - ob es sich nun um Männer oder Frauen handelte. Er brauchte dringend eine kleine Atempause und ein bisschen Frieden.
Eirik lehnte sich in seinem Sessel zurück, verschränkte lässig die Arme vor der Brust und schlug seine langen Beine übereinander. Aus schmalen Augen betrachtete er Lady Eadyth nun genauer, obwohl weder ihr Gesicht noch ihr Körper unter dem weiten Umhang mit der großen Kapuze besonders gut zu erkennen waren. Erschwerend hinzu kam noch, dass seine Augen von dem ganzen Rauch zu tränen begonnen hatten, sodass er praktisch überhaupt nichts sah.
Die Frau schien graues, straff zurückgekämmtes Haar zu haben. Nicht eine einzige lose Strähne war zu sehen, die ihre griesgrämigen Gesichtszüge ein bisschen weicher hätte machen können.
Gedankenversunken strich Eirik mit dem Zeigefinger über seinen Schnurrbart, wie er es immer tat, wenn er ratlos war oder sich auf irgendetwas konzentrierte. »Für so alt hatte ich sie nicht gehalten.«
»Ich auch nicht«, pflichtete ihm Wilfrid bei.
Beide Männer richteten den Blick wieder auf die Frau. Sie war groß und schlank, dafür sprach die Zierlichkeit ihrer Knöchel, die zu sehen waren, als sie den Saum ihres Gewands anhob, um ihn nicht zu beschmutzen. Ihre altjüngferlichen Brüste waren so gut wie nicht zu erkennen, sie hatte eine Brust, die genauso flach wie sein Wappenschild war. Aber ihr unschönstes Attribut war die steile Falte zwischen ihren Brauen. Grundgütiger! Sie kam, um ihn um eine Gunst zu bitten, und bemühte sich trotzdem nicht einmal, eine etwas freundlichere Miene aufzusetzen.
Eirik lächelte. Es würde unterhaltsam sein, mit dieser unansehnlichen grauen Maus mit ihrem hoffärtigen Gebaren Katz und Maus zu spielen.
In diesem Moment räusperte sie sich und rief kühn vom Fuß der Treppe des erhöhten Podiums: »Mit Eurer gütigen Erlaubnis, Lord Ravenshire, würde ich Euch gern in einer dringenden Angelegenheit sprechen.«
Dringende Angelegenheit! Dringende Angelegenheit! Das sagten sie alle, wenn sie kamen, um ihn um eine Gefälligkeit zu bitten. Eirik nickte widerstrebend, bevor er mit einer Handbewegung einem in der Nähe stehenden Bediensteten zu verstehen gab, er solle sich um Eadyths Begleiter kümmern und ihnen etwas zu essen und zu trinken bringen lassen.
»Offenbar habt Ihr die Botschaft, die ich Euch überbringen ließ, nicht erhalten«, begann sie mit gestelzter Stimme und zusammengekniffenen Lippen, die ganz blutleer vor Anspannung waren. Zwei kleine Furchen zwischen ihren Brauen schienen auf eine permanent finstere Miene hinzudeuten. Eirik brach fast in Gelächter aus, als ihm bewusst wurde, wie schwer es der Frau fiel, sich so devot vor ihm zu geben, obwohl sie ihm wahrscheinlich viel lieber einen scharfen Rüffel für seine Ungefälligkeit erteilt hätte.
»Ich habe Euren Brief erhalten.«
Offenbar erstaunt darüber, dass er auf jede weitere Stellungnahme verzichtete, starrte Eadyth ihn mit offenem Munde an und offenbarte dabei für eine Frau in ihrem Alter erstaunlich weiße und gesunde Zähne. Wieder strich Eirik sich versonnen über seinen Schnurrbart und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Trotz der Fältchen um ihre Augen und ihren Mund war sie vielleicht doch nicht ganz so alt, wie er angenommen hatte. Tatsächlich war die Haut ihres feingeschnittenen Gesichts so makellos wie frische Sahne. Er wünschte, er könnte sie besser sehen; es wurmte ihn, dass er seiner schlechten Sehkraft wegen die Dinge aus der Nähe nicht mehr so genau erkannte.
»Ah! Ein aufrichtiger Mann. Wie erfrischend!«
»Hattet Ihr etwas anderes erwartet? Aufrichtigkeit ist eine Tugend, die ich mehr als jede andere schätze«, gab Eirik scharf zurück. Irgendwie kränkte ihn ihre spöttische Reaktion auf sein Geständnis, dass er ihren Brief zwar erhalten hatte, aber nicht einmal höflich genug war, ihn zu beantworten.
Seine Antwort schien ihr zu gefallen. »Ja, meistens rechne ich durchaus mit Unaufrichtigkeit. Leider gibt es meiner Erfahrung nach nicht viele vertrauenswürdige Männer.«
»Oder Frauen?«
»Oder Frauen«, stimmte sie mit einem leichten Nicken zu und begann ihn dann ganz unverblümt zu mustern.
Eadyths feingeschnittene Lippen mit der geradezu vollkommenen Einkerbung in ihrer Mitte verzogen sich zu einem Lächeln. Im Grunde war die Frau gar nicht so hässlich, wie er ursprünglich gedacht hatte. Zugegeben, für seinen Geschmack hielt sie ihre gerade kleine Nase etwas zu hochnäsig für seinen Geschmack in die Luft gestreckt, von ihrem eigensinnig vorgeschobenen Kinn erst ganz zu schweigen, aber ohne ihr graues Haar und ihren mageren Körper hätte sie womöglich sogar ganz passabel aussehen können. Bei näherem Hinschauen konnte Eirik nun erkennen, dass sie in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen sein musste - das silberne Kleinod von Northumbria.
Eiriks Hand glitt wieder unwillkürlich zu seinem Schnurrbart. Irgendetwas am Aussehen dieser Frau erschien ihm äußerst merkwürdig. Doch dann erinnerte er sich wieder an Wilfrids Worte über den Klatsch, der über sie verbreitet wurde. Sie war ein Rätsel, das er noch nicht entschlüsseln konnte. Im Stillen lächelte er aber schon über die Aussicht, ihr Geheimnis zu ergründen.
»Darf ich mich zu Euch setzen?«
»Selbstverständlich«, antwortete er und fühlte sich durch ihre sanften Worte, die ihn wieder an seine mangelnde Gastfreundschaft erinnerten, wie ein kleiner Junge zurechtgewiesen. Deshalb erhob er sich auch schnell und half ihr die Stufen zu dem erhöht stehenden Tisch hinauf, wobei ihm die Schlankheit ihres Arms unter dem dicken Stoff des Gewands auffiel. Wo hatte sie nur diesen grässlichen rotbraunen Stoff gefunden? Sie war größer als der Durchschnitt, reichte ihm aber dennoch kaum bis an die Schulter, registrierte er, als er sie Wilfrid vorstellte.
Bevor sie sich setzte, warf sie einen prüfenden Blick auf die Sitzfläche des Stuhls, vermutlich, um nach Staub Ausschau zu halten. Verdammt noch mal! Er warerst ein paar Wochen zu Hause und hatte wahrlich Wichtigeres zu tun, als sich mit trägen Bediensteten herumzuschlagen. Es war eine Sache, wenn Wilfrid ihm zusetzte, endlich seine Geldtruhen zu öffnen, um Ravenshire wiederaufzubauen, aber eine völlig andere, wenn diese unerwünschte Besucherin ihre Nase über ihn und seine Burg rümpfte.
Er griff nach einem leeren Becher und warf ihr einen spitzen Blick zu, als er mit dem Ärmel seines Untergewands den Rand abwischte. Damit sollte ihrer Vorstellung von Sauberkeit doch wohl Genüge getan sein, dachte er grimmig. Dann schenkte er ihr ein und reichte ihr den Becher mit aller Höflichkeit, um so zu beweisen, dass es ihm durchaus nicht an Manieren mangelte. Eirik bemerkte, wie sehr sie darauf bedacht war, jegliche Berührung ihrer Finger zu vermeiden - und als sie das Bier trank, sah er, wie sie schon wieder missbilligend die Nase rümpfte.
»Wie ich sehe, mögt Ihr nicht nur keine Hunde, sondern auch kein Bier«, bemerkte er gereizt.
»Nein, das ist nicht wahr. Ich mag Hunde, aber dort, wo sie hingehören, und das ist weder hier in der Halle noch in der Küche. Und was Euer Bier angeht, so ist es durchaus annehmbar «, erwiderte sie arrogant. »Ich muss allerdings gestehen, dass ich verwöhnt bin. Ich mache den besten Met in ganz Northumbria aus meinem eigenen Honig.«
»Ach wirklich? Wie bemerkenswert! Damit meine ich allerdings nicht, dass Ihr Euren Honigwein selbst herstellt, sondern dass Ihr Euch selber derart schamlos lobt.«
Eadyth schaute auf, um seinen Blick zu suchen, und Eirik sah, wie sie bis zu den Haarwurzeln errötete.
Gut so!, dachte er.
»Ich muss mich Eurer klugen Einschätzung meiner Fehler beugen, Mylord. Es ist richtig, dass ich nicht sehr bescheiden bin. Die weiblichen Tugenden sind mir über all die Jahre, in denen ich fern der Gesellschaft gelebt habe, leider abhanden gekommen«, entschuldigte sie sich ganz ohne Verlegenheit. »Manchmal vergesse ich, dass Damen von Stand immerzu sanftmütig und schwach zu sein haben. Ich wurde anders erzogen, mein Vater ließ mir meine Unabhängigkeit.«
Auch wenn Eirik ihr stolzes Kinn, das sich immer wieder trotzig vorschob, noch nicht bemerkt hätte, so konnte er doch jetzt instinktiv spüren, dass sie sich nicht häufig so demütig gab. Eine fast unmerkliche Verwundbarkeit klang in ihrer Stimme mit, die Eirik etwas nachgiebiger stimmte.
»Er war ein guter Mann, Euer Vater. Ich habe Arnulf vor Jahren kennengelernt, als er einmal meinen Großvater Dar besuchte. Es tut mir leid, von seinem Tod zu hören.«
Eadyth nahm seine mitfühlenden Worte mit einem knappen Kopfnicken zur Kenntnis.
»Ihr habt keine Brüder, soviel ich weiß«, fuhr Eirik fort. »Wer führt dann jetzt Hawk's Lair?«
»Ich.«
Eirik war so verblüfft, dass er sich an seinem Bier verschluckte und Wilfrid ihm kräftig auf den Rücken klopfen musste.
Eadyths Lippen verzogen sich zu einem herablassenden Lächeln, was Eiriks Blick auf das irritierende kleine Muttermal an ihrem rechten Mundwinkel lenkte. Er hatte von Frauen gehört, die sich solche Schönheitsflecken auf die Haut malten. War das auch bei ihr der Fall? Bestimmt nicht. Eine Frau, die ihr Haar so straff zurückkämmte wie eine Nonne und derart triste Kleider trug, würde solch eitlen Zierrat nur verächtlich ablehnen.
»Warum reagieren Männer immer so? Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Männer immer glauben, Frauen seien nicht in der Lage, mehr zu tun als zu schwatzen und zu sticken. «
Eirik beugte sich ein wenig vor und musterte Eadyth mit neu erwachtem Interesse. »Meiner Erfahrung nach sind die meisten Frauen hohlköpfige, hinterhältige Geschöpfe und recht zufrieden damit, sich mit nicht viel mehr als den von Ihnen gerade angesprochenen Beschäftigungen zu widmen. Auf jeden Fall war es bei meiner Frau so, bevor sie starb. Ich garantiere Euch, wenn Männer keine Erben bräuchten, würden die meisten bestimmt gerne auf das Ehebett verzichten und sich ihr Vergnügen anderswo beschaffen.«
Die Unverblümtheit seiner Worte schien Eadyths weibliches Feingefühl nicht zu verletzen. Vielmehr war Eiriks Aufrichtigkeit sogar offenbar ganz nach ihrem Geschmack.
Ihre Finger zeichneten ein unsichtbares Muster auf die Tischplatte, während sie ihn prüfend ansah. Warum?, fragte er sich. Eadyth befeuchtete nervös ihre Lippen, was Eiriks Blick erneut auf das entwaffnende kleine Muttermal lenkte. Fasziniert verfolgte er, wie ihre rosa Zungenspitze von einem ihrer Mundwinkel zu der kleinen Einkerbung in ihrer Oberlippe glitt, dann zum anderen Mundwinkel weiterwanderte und schließlich über ihre volle Unterlippe strich. Eirik versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, das Gleiche mit seiner eigenen Zunge zu tun, und spürte fast augenblicklich ein scharfes Ziehen in seinen Lenden.
Bei Gott und allen Heiligen! Jetzt musste er sich doch tatsächlich selbst zur Ordnung rufen. Er benahm sich ja wie ein Junge, der noch grün hinter den Ohren war. Wahrscheinlich hatte er schon viel zu lange keine Frau mehr an seiner Seite gehabt, wenn sogar eine schon nicht mehr ganz junge ihn so schnell erregen konnte.
Und dieses respektlose Frauenzimmer musterte ihn auch noch auf eine seltsam eindringliche Weise. Sie war wirklich ziemlich ungewöhnlich, diese Frau.
»Sind Eure Augen blau . . . hellblau wie ein Sommerhimmel, wie man mir erzählte?«, fragte Eadyth unvermittelt und riss Eirik aus seinen erotischen Träumereien.
Etwas irritiert über ihre merkwürdige Frage lehnte er sich wieder zurück. »Ja . . . sie sind ein Erbe meiner wikingischen Vorfahren.«
Eadyth nickte anerkennend.
Himmelherrgottsakra! Warum sollte es diese alte Jungfer kümmern,obseine Augenblauoderschmutzig braunwaren?
»Ihr seht gar nicht wie ein Wikinger aus. Euer Haar ist schwarz, nicht wahr?«, bemerkte sie wie nebenbei, aber ihr unüberhörbar gepresster Atem, verriet Eirik, dass seine Antwort von Bedeutung für sie war.
Was führte diese Frau im Schilde? Was sollten diese dummen Fragen nach der Farbe seiner Augen und seiner Haare? Wieder lehnte er sich zurück und betrachtete sie misstrauisch. »Ich bin nur zur Hälfte Wikinger. Meine Mutter war Angelsächsin. « Vor Ärger, dass er ihr Spiel nicht zu durchschauen vermochte, biss er sich auf die Unterlippe, um dann aber sogleich verschmitzt hinzufügen: »Möchtet Ihr meine Wikingerhälfte sehen?«
Wilfrid lachte vergnügt auf, während Eadyth errötete und seine Frage einfach überhörte.
»Ich meinte natürlich meine kampferprobten Muskeln«, setzte Eirik spöttisch hinzu und hob einen seiner kräftigen Arme, damit sie ihn bewundern konnte. »Und mein Talent, mit heiler Haut aus den angelsächsischen politischen Schlangen- gruben herauszukommen.« Er klopfte sich an den Kopf, als wollte er ihr damit demonstrieren, dass er nicht ganz hohl war.
Eadyth, der es nicht nur an Schönheit, sondern offenbar auch an Humor zu fehlen schien, verzog keine Miene über seinen Scherz. Stattdessen presste sie nachdenklich die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, während sie Eirik wieder einer unverhohlenen Musterung unterzog. Schließlich fragte sie: »Könnten wir unter vier Augen miteinander reden, Mylord? «
Eirik setzte eine ausdruckslose Miene auf, die nichts von seiner Überraschung offenbarte, bevor er Wilfrid mit einer Handbewegung aufforderte, sie einen Moment allein zu lassen.
Eadyth trommelte nervös mit ihren schlanken Fingern auf den Tisch, als beschäftigte sie ein ernsthaftes Problem, bevor sie sich dann offenbar zu einem Entschluss durchrang. Sie wartete, bis Wilfrid weg war, und schaute Eirik dann ganz offen in die Augen.
»Ich muss umgehend heiraten«, erklärte Eadyth ohne jede Einleitung. »Wärt Ihr unter Umständen interessiert?«
Eadyth sah, wie sehr der dunkelhaarige Ritter sich anstrengen musste, um sie nicht mit offenem Mund anzustarren. Nachdem er sich vom ersten Schock über ihren unerwarteten Vorschlag erholt hatte, gefror sein Gesicht jedoch zu einer ausdruckslosen Maske. Trotzdem sah man ihm an, dass er ihr bizarres Verhalten nicht ein bisschen verstehen konnte.
Ha! Männer waren so durchschaubar. Sie hielten Frauen für unfähig, logisch zu denken, und genau darin lag ihre Schwäche. Eadyth hatte in den vergangenen acht Jahren eine Lektion nach der anderen erhalten, welche Macht Männer über Frauen ausübten. Allerdings wusste sie inzwischen auch, dass es sich nicht um uneingeschränkte Macht handelte, und Eadyth war eine Expertin darin geworden, sie zu überlisten. Hatte sie nicht immer wieder ihre Fähigkeit bewiesen, Hawk's Lair zu verwalten und ihre eigenen Erzeugnisse auf dem Markt von Jorvik unters Volk zu bringen - den besten Honig und Met und die feinsten Bienenwachskerzen von ganz Northumbria?
Es wurmte Eadyth, sich vor dem gut aussehenden und wortgewandten Herrn von Ravenshire erniedrigen zu müssen. Als kümmerte es sie, dass seine feingeschnittenen Gesichtszüge die Herzen aller Frauen von Yorkshire bis nach Strathclyde schier zerfließen lassen konnten! Oder dass seine glattzüngigen Worte selbst die frommste aller Nonnen ihre Hemmungen verlieren lassen könnte. Sie wollte keinen Mann zum Ehemann, und schon erst recht nicht diesen schlecht gekleideten Flegel in seiner zerfallenden Burg, der in nur mühsam unterdrückter Verachtung mit arroganter Miene auf sie, Eadyth, herabsah.
Gott Allmächtiger! Der bloße Gedanke, die heiligen Bande der Ehe einzugehen, verursachte ihr Übelkeit. Bande! Das war das entscheidende Wort. Denn in all diesen Jahren hatte sie sich stets hartnäckig geweigert, sich von irgendeinem Mann binden zu lassen.
Nun aber blieb ihr keine andere Wahl mehr. Die Zeit lief ihr davon. Das Beste, was sie tun konnte, war, eine möglichst günstige Verlobungsvereinbarung auszuhandeln, die für ihren zukünftigen Gatten von Vorteil sein, ihr selbst aber erlauben würde, ihre Freiheit zu behalten. Doch würde der Herr von Ravenstein auf diesen Vorschlag eingehen?
»Möglicherweise spielen meine Ohren mir ja einen Streich, Mylady. Aber habt Ihr mich gerade um meine Hand gebeten?« Als Eadyth mit trotzig vorgeschobenem Kinn nickte, schnaubte er entrüstet. »Es ziemt sich nicht, dass Ihr eine solche Sache in Eure eigenen Hände nehmt.«
»Wer sollte denn sonst für mich verhandeln? Mein Vater ist tot. Ich habe keine Familie mehr.« Sie zuckte mit den Schultern. »Seid Ihr so puritanisch und so sehr um Eure Männlichkeit besorgt, dass Ihr nicht direkt mit einer Frau verhandeln könnt?«
Bei diesen herausfordernden Worten setzte Eirik sich aufrechter hin, und an seinem markanten Kinn begann ein Muskel zu zucken. »Ihr begebt Euch auf gefährliches Terrain, Mylady. Glaubt mir, ich fürchte weder Euch noch irgendjemand sonst auf dieser Welt. Ihr wollt direkt mit mir verhandeln? Na schön, das könnt Ihr haben. Ich sage Euch ganz direkt,dassmeine Antwort Nein ist. Ich bin an Eurem Vorschlag nicht interessiert. «
Zu ihrer großen Verärgerung spürte Eadyth, wie eine heiße Röte in ihre Wangen stieg. Warum konnte sie ihre freche Zunge auch nicht in Zaum halten? Aber da sie an Verhandlungen mit raffinierten Handelsherren und denkfaulen Dummerjanen gewöhnt war, vergaß sie oft jegliche Diplomatie. Nur mühsam unterdrückte sie jetzt die in ihr aufsteigende Wut und zwang sich, mit größter Vorsicht vorzugehen, als sie weitersprach.
»Ich bitte um Entschuldigung, Mylord, für meine übereilten Worte. Die Dringlichkeit meiner Situation hat mir die Zunge gelockert, aber . . . bitte lehnt mein Angebot nicht ab, bevor Ihr alle Einzelheiten gehört habt.«
Eirik schenkte sich Bier nach und nippte gedankenvoll daran, während er Eadyth aus schmalen Augen musterte und offenbar zum Schluss kam, dass ihr die bei einer Ehefrau gern gesehenen Attribute fehlten. Das überraschte Eadyth nicht. Nachdem sie vor acht Jahren ein einziges Mal einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte, gab sie sich die größte Mühe, niemals und unter gar keinen Umständen das sinnliche Interesse eines Mannes zu wecken.
»Bei allem gebotenen Respekt, Mylady, ich habe kein Interesse an einer weiteren Ehe - mit keiner Frau. Einmal war genug. «
»Für immer?«, fragte Eadyth überrascht. »Ich dachte, alle Männer hätten das Bedürfnis, Erben hervorzubringen. Eure Gemahlin hat Euch aber doch keine Söhne geboren, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Mein Bruder Tykir ist mein Erbe. Ich bin nämlich nicht sonderlich interessiert daran, mein eigenes Ich zu vermehren.« Dann legte er fragend seinen Kopf ein wenig schief, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. »Und abgesehen davon seid Ihr ja wohl kaum noch in einem gebärfähigen Alter, würde ich meinen.«
»Was?« Seine Feststellung ließ Eadyth jäh verstummen. Es war richtig, dass viele Mädchen schon mit vierzehn Jahren heirateten, aber sie war mal gerade fünfundzwanzig und wohl durchaus noch im richtigen Alter, um Kinder zu bekommen. Nicht, dass sie das gewollt hätte. Und schon gar nicht mit einem solchen Grobian wie ihm. Aber für wie alt hielt er sie?
Ah!, dachte sie plötzlich, während sie mit einer Hand nach ihrem Stirnband griff - offensichtlich vermittelte ihr silbriges Haar ihm eine falsche Vorstellung von ihrem Alter. Das und ihr absichtlich viel zu weit geschnittenes Gewand, unter dem sie ihre weiblichen Rundungen verbarg. Gut, dass er sie nicht am Morgen gesehen hatte, als sie beim Versuch ihre glänzenden, bis zur Taille reichenden Haare unter einem Schleier zu verbergen, schließlich auf Schweineschmalz hatte zurückgreifen müssen, um ihre üppige Lockenpracht zu bändigen. Anscheinend war es ihr mit dem Fett gelungen, auch die goldblonden Strähnchen in ihren silberblonden Haaren zu verbergen.
Doch dann kam ihr plötzlich ein Gedanke. Womöglich würde seine falsche Vorstellung von ihrem Alter ihr ja sogar zugute kommen. Nach diesem einen unangenehmen - nein, verheerenden Erlebnis mit den sinnlichen Neigungen eines Mannes hatte sie nicht das geringste Bedürfnis nach einem zweiten. Eadyth lächelte, die Rolle als alte Jungfer begann ihr zu gefallen. Um Eiriks Frage auszuweichen, erklärte sie in altjüngferlich schnippischem Tonfall: »He, he, he! Man sollte meinen, mein Alter sei nicht so wichtig, wenn Ihr keine Erben mehr zeugen wollt. Im Grunde könnte es sich sogar zu unser beider Vorteil auswirken.«
Mit dieser Erklärung weckte sie Eiriks Interesse, und er fuhr sich mit den Fingern durch sein schulterlanges, rabenschwarzes Haar. Dann strich er sich geistesabwesend über den Schnurrbart - eine Angewohnheit, die Eadyth nicht zum ersten Mal bei ihm bemerkte -, als er sie wie ein misstrauischer Vogel beäugte . . . oder wie der Rabe, der er seinem Wappen nach ja auch war. Und er kniff auch fortwährend die Augen zusammen. Schließlich zog er fragend die dichten schwarzen Brauen über seinen blauen Augen hoch.
Heilige Jungfrau Maria! Man konnte in den Tiefen dieser faszinierenden Augen ertrinken, musste Eadyth sich eingestehen, bevor sie sich rasch wieder zur Ordnung rief. In Wirklichkeit war Eirik gar nicht mal so gut aussehend wie Steven, die Ursache ihrer Probleme. Stevens distinguierte Erscheinung und seine feingeschnittenen Gesichtszüge waren nahezu vollkommen, während Eirik für Eadyths Geschmack zwar gut, aber zu kraftstrotzend aussah und sein eckiges Gesicht zu maskulin war. Auf merkwürdige Weise wirkte er irgendwie sogar ein bisschen einschüchternd auf sie.
Sie zwang sich, zu ihrem Gesprächsthema zurückzukehren, und sagte: »Lasst mich ganz offen sein...«
»Warum sollten wir jetzt damit aufhören?«
Eadyth warf Eirik einen vernichtenden Blick zu. Sie würde seine Spöttelei einstweilen noch ignorieren, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Hände sich verkrampften, sich zu Fäusten ballten und sich wieder öffneten, bevor sie weitersprach. Verflixt noch mal, aber Demut und Ergebenheit zur Schau zu tragen, fiel ihr wirklich sehr, sehr schwer.
»Ich muss so bald wie möglich heiraten. Mein Gemahl muss, sollte es zu einem Kampf kommen, Männer anführen können. Noch viel wichtiger ist aber, dass er ein Talent für Politik und diplomatisches Geschick hat, damit es möglichst erst gar nicht zu einer Konfrontation kommt. Versteht Ihr, was ich meine?«
»Warum gerade ich?«, versetzte Eirik knapp. »Ihr fühlt Euch doch ganz offensichtlich nicht von meinen unzählbaren Reizen angezogen.«
Aufmerksam verfolgte er die verräterisch nervösen Bewegungen ihrer Hände, und Eadyth zwang sich, sich zusammenzunehmen. Er sah zu viel. Und trotzdem sah er ihr wahres Aussehen nicht. Wie eigenartig, dachte sie.
Außerdem fand sie es unmöglich, dass er es für nötig gehalten hatte, eine derart frivole Bemerkung hinsichtlich seiner ›Reize‹ zu machen. Spielte er nur mit ihr und betrachtete ihren nur widerstrebend vorgebrachten Vorschlag als Vorwand, sich über sie lustig zu machen? Natürlich tat er das. Er hielt sie ja offenbar für viel zu alt, um sich noch für die körperlichen Vorzüge eines Mannes zu interessieren.
Genug! Sie vergeudete kostbare Zeit damit, um den heißen Brei herumzureden. Er hatte gesagt, er wisse Offenheit zu schätzen. Nun, dann würde sie ihm jetzt eine ordentliche Portion davon geben und ihm auch verdeutlichen, wie sie über seine ›Reize‹ dachte.
»Es stimmt, dass sich mein sinnliches Verlangen nach Eurem unvergleichlich schönen Körper in Grenzen hält«, bemerkte sie sarkastisch. »Und auch Eure männliche Präsenz lässt mir nicht die Knie weich werden. Ich möchte wetten, dass ich es sogar ertragen würde, Eure Gesellschaft zu genießen, ohne vor Bewunderung gleich ohnmächtig zu werden. Ehrlich gesagt würde ich sogar lieber Euren grässlichen Hund heiraten als Euch, wenn es meine Probleme lösen würde.« Eadyth sah den angespannten Zug, der um sein Kinn erschien. Gut! Jetzt hatte sie seine volle Aufmerksamkeit - er grinste nicht mehr und verkniff sich auch weitere indirekte Anspielungen. »Aber wisst Ihr, Euer Hund würde mir bedauerlicherweise überhaupt nichts nützen, weil er weder Eure blauen Augen noch Euer schwarzes Haar hat. Ich dachte, ich hätte schon erwähnt, dass das unentbehrliche Attribute für meinen zukünftigen Ehemann sind.«
»Blaue Augen und schwarzes Haar!«, entfuhr es Eirik. »Vorsicht, Mylady, Ihr geht zu weit. Und verschwendet bitte nicht meine Zeit mit unsinnigem Gerede über körperliche Merkmale. Ich will nicht heiraten, und und schon gar keine Keifzange. Und das ist mein letztes Wort zu diesem Thema.« Er stand auf, als sei ihre Unterredung für ihn damit beendet.
Seine brüsken Worte ließen Eadyths Hoffnung sinken, und sie musste einen Anfall von Panik unterdrücken. Wieder einmal hatte sie ihre Vernunft von ihrer Abneigung gegen eine erzwungene Heirat überschatten lassen.
»Hier«, sagte sie und drückte Eirik rasch ein Dokument in die Hände. »Vielleicht solltet Ihr Euch gut überlegen, was Ihr da so unbekümmert ablehnt.«
Eirik starrte sie mit ausdrucksloser Miene schweigend an, aber dann senkte er den Blick doch auf das Dokument und hielt es auf Armeslänge von sich ab. Nachdem er die Worte und die Zahlen überflogen hatte, ließ er sich auf seinen Stuhl zurückfallen und stieß einen gereizten Seufzer aus.
»Was in Herrgotts Namen soll das sein?«
Eadyth dachte, dass das Dokument im Grunde für sich selber sprach, da über dem Text klar und deutlich ›Verlobungsvereinbarung‹ in ihrer eigenen sauberen Handschrift stand. Vielleicht konnte der Herr von Ravenshire nicht lesen? »Das ist die Mitgift, die Ihr von mir erhalten werdet, wenn Ihr der Heirat zustimmt«, erklärte sie mit stolz vorgerecktem Kinn.
Eirik starrte sie einen langen Augenblick ungläubig und erstaunt an, bevor er sich wieder dem Dokument zuwandte und laut seinen Inhalt vorlas: »Fünfhundert Goldstücke; zweitausend Morgen an Ravenshire angrenzendes Land; zwanzig Ellen feinster Rohseide aus Bagdad; drei Kühe; zwölf Ochsen; fünfzehn Leibeigene, einschließlich eines Steinmetzes wie eines Schmieds, und fünfzig Bienenköniginnen mit etwa hunderttausend Arbeiterinnen und zehntausend Drohnen.« Spöttisch lächelnd richtete Eirik sich an Eadyth: »Bienen? Was soll ich denn mit Bienen?«
»Mit ihnen habe ich mein Geld verdient, Mylord. Macht Euch nicht über Dinge lustig, von denen Ihr keine Ahnung habt.«
Er legte das Dokument auf den Tisch, lehnte sich wieder zurück und legte die Fingerspitzen aneinander, um Eadyth nachdenklich zu mustern. Als er endlich wieder sprach, schien er seine Worte mit Bedacht zu wählen. »Sie ist wirklich eindrucksvoll - die Mitgift, die Ihr mir anbietet. Und erstaunlich. Ich hätte Hawk's Lair nicht für einen so gewinnbringenden Besitz gehalten.«
Und dann lächelte er. Es war ein nettes Lächeln, wie Eadyth innerlich zugeben musste. Und sie registrierte auch das vergnügte Funkeln in seinen ausdrucksvollen Augen. Oh ja, sie konnte verstehen, warum die Frauen ihm zu Füßen sanken, wenn er sie mit seinem fatalen Charme bedachte.
»Weiß der König von Eurem Reichtum? Seine Ratsversammlung wäre bestimmt an einer höheren Besteuerung Eurer Reichtümer interessiert.«
Eadyth reagierte etwas ungehalten auf sein verstecktes Kompliment. »Hawk's Lair ist eine kleine Burg, von der ich einfach jeden Teil sehr gut nutze. Trotzdem bin ich einzig und allein durch meine Bienenzucht zu einem gewissen Reichtum gekommen. Die letzten paar Jahre waren ganz besonders einträglich. Es hat sich herumgesprochen, dass ich erstklassigen Met, Honig und Bienenwachskerzen erzeuge. Meine zeitmessenden Kerzen werfen ganz besonders große Gewinne ab.«
»Ihr vertreibt Eure Produkte selbst?«
»Ja. Ich habe einen Vertreter in Jorvik, aber ich halte es für klüger, die Menschen, die für mich arbeiten, zu überprüfen undim Augezubehalten.«
Eirik lachte ungläubig und schüttelte den Kopf.
»Ihr findet eine vernünftige Geschäftsführung wohl lustig?«, sagte Eadyth ärgerlich.
»Nein, Mylady, ich finde Euch und Eure vielen Widersprüche lustig.«
»Wie meint Ihr das?«
»Ihr kommt uneingeladen in meine Burg hereingeplatzt, beleidigt meinen Hund, mein Bier und nicht zuletzt auch mich.Ihr hegt ganz offenkundig Zweifel an meiner Integrität und haltet trotzdem um meine Hand an. Ihr seid eine Dame von Stand und seid Euch trotzdem nicht zu schade, Euch mit Eurem Handel die Hände schmutzig zu machen. Und . . .« Er zögerte, und man merkte ihm an, dass er das untrügliche Gefühl hatte, zu weit gegangen zu sein.
»Und was? Sprecht weiter. Lasst uns ganz ehrlich zueinander sein.«
»Nun, ich habe schon häufiger gehört, dass man Euch Eurer großen Schönheit wegen ›das silberne Kleinod von Northumbria‹ nannte . . . aber ich kann diese Schönheit beim besten Willen nicht sehen.«
Seine harte, aber ehrliche Beurteilung traf Eadyth. Dabei hatte sie sich doch die größte Mühe gegeben, um das, was von ihrer großen Schönheit noch übrig war, zu verbergen. Also hätte es ihr eigentlich ziemlich egal sein müssen, dass er sie nicht hübsch fand, aber irgendwie kränkte es sie doch. Wahrscheinlich meldeten sich da gerade nur die letzten Reste ihrer früheren weiblichen Eitelkeit. Sie straffte ihre Schultern. »Habt Ihr mir noch mehr zu sagen?«
»Ja, da ist noch mehr.« Eirik zögerte, bevor er fortfuhr: »Ihr benehmt Euch wie eine verklemmte Nonne, die noch nie mit einem Mann zusammen war. Das verwundert mich ein wenig, da mir auch zu Ohren gekommen ist, dass Ihr in Eurer Jugendrecht leichtfertig gelebt habt. Ich kann mir eine Frau wie Euch einfach nicht unter einem Mann liegend vorstellen - und schon garnicht als Mutter eines unehelichen Kinds.«
Eadyth schloss für einen Moment die Augen, da sie nicht damit gerechnet hatte, dass das Gespräch so schnell auf ihren Sohn John kommen würde. Sie hatte gewusst, dass sie über ihn würde sprechen müssen, falls Eirik sich bereit erklärte, sie zu heiraten. Immerhin war John der Grund, dass sie sich zu einer solchen Verbindung gezwungen sah, gegen die sich eigentlich alles in ihr sträubte. Sie hatte jedoch gehofft, das Thema erst zu einem späteren Zeitpunkt anschneiden zu müssen.
»Ja, ich habe einen Sohn«, gab sie schließlich zu und erwiderte Eiriks Blick ganz offen. »Stellt John ein Hindernis für diese Ehe dar?«
Eirik strich mit seinem langen, wohlgeformten Zeigefinger über den Rand des Bechers, während er Eadyth weiter prüfend musterte. Sie bemerkte, dass ihm der kleine Finger fehlte, und fragte sich, ob er ihn im Kampf oder bei einem Unfall verloren hatte. Ihre Überlegungen wurden jedoch unterbrochen, als er langsam und mit anscheinend sehr vorsichtig gewählten Worten weitersprach.
»Wenn ich eine Frau heiraten wollen würde, wäre ein Kind für mich kein Grund, um nicht mit ihr vor den Altar zu treten. Natürlich würde ich eine Jungfrau als Gemahlin vorziehen, alles andere zu behaupten, wäre unehrlich. Aber wer bin ich schon, um mich zum Richter aufzuspielen? Auch ich trage den Makel unehelicher Herkunft, und darüber hinaus habe ich selbst zwei uneheliche Töchter.« Er grinste sie etwas betreten an. »Da scheinen wir ja wohl doch eine Gemeinsamkeit zu haben.«
Eadyth biss die Zähne zusammen und ballte die Hände so fest, dass sich die Fingernägel in ihre Handflächen bohrten. Sie hätte ihm nur zu gern gesagt, was sie davon hielt, dass er zwei illegitime Töchter in die Welt gesetzt hatte. Es war nicht ihre Schuld, dass ihr Sohn unehelich geboren worden war. Aber er, ein unverheirateter Mann, hätte seine Töchter vor diesem Schicksal bewahren können. Oh, wie gern hätte sie ihm gesagt, dass er wohl vor allem eine Gemeinsamkeit mit diesen vielen skrupellosen Männern hatte, die ihre Geschlechtsteile für Geschenke Gottes hielten, mit denen sie wahllos jede Frau beglücken konnten, die es wagte, ihren Weg zu kreuzen. Er widerte sie an. Gerade sie wusste selbst am besten, wie Frauen unter außerehelichen Liebschaften zu leiden hatten, selbst wenn sie mit einem Haufen romantischer Versprechungen verbunden waren.
Sie durfte ihre Gedanken aber nicht in Worte fassen. Nicht jetzt. Sie musste ihn zuerst dazu bringen, einer Ehe mit ihr zuzustimmen. Wenn sie erst einmal verheiratet waren - vorausgesetzt natürlich, es kam dazu -, würde er über seine unbedachte Zeugung zweier Bastarde von ihr schon einiges zu hören bekommen.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg Copyright der Originalausgabe © 1995 by Sandra Hill Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln Übersetzung: Ulrike Moreno
Das schrille Gejaule eines Hunds ließ ihre Unterhaltung jäh verstummen. Eirik riss überrascht die Augen auf, als er sah, wie Eadyth dem Tier mit der Spitze ihres weichen Lederschuhs einen kleinen Schubs versetzte, als der Hund sich auf die Hinterbeine niederließ und sich neben ihren Füßen in der
Binsenstreu ausstreckte. Selbst im verrauchten Halbdunkel des großen Saals konnte Eirik sehen, wie Eadyth angewidert ihre Lippen schürzte, als sie das unschöne ›Geschenk‹ sah, das der große Hund zurückgelassen hatte. Die Hände in die Hüften gestemmt funkelte die unverfrorene Person den winselnden Hund an, bis er schließlich schuldbewusst aus ihrer Sicht verschwand.
Eirik und Wilfrid brachen in schallendes Gelächter aus, genau wie die ungepflegten Ritter, die unterhalb der Empore an den langen Tischen im großen Saal herumlungerten. Mit Ausnahme der Dienstmägde hielten sich dort keine Frauen auf. Dem Himmel sei Dank! Eirik hoffte, dass es auch so bleiben würde.
»So ein dreistes Frauenzimmer!«, murmelte er, während er sich mit dem Ärmel seiner abgetragenen Tunika die Lachtränen aus den Augen wischte. »Erst platzt sie uneingeladen in meine Burg. Dann misshandelt sie meinen Hund. Sollte ich ihr vielleicht einen Tritt in ihren knochigen Hintern verpassen und sie gleich wieder nach Hause schicken?«
»Ach, lass sie doch reden. Vielleicht liefert sie mit dieser ›dringenden Angelegenheit‹, die sie mit dir besprechen will, ja einen Spaß, der uns die Langeweile ein bisschen vertreibt.«
Eirik zuckte mit den Schultern. »Möglich. Außerdem wollte ich mir das silberne Kleinod von Northumbria ohnehin schon immer mal genauer ansehen.«
»Nee, Eirik. Hast du es noch nicht gehört? Das Juwel hat seinen Glanz inzwischen längst verloren. Wusstest du denn nicht, dass die Klatschmäuler bei Hof sie heute das befleckte Kleinod nennen?« Er flüsterte Eirik ein paar rasche Worte der Erklärung zu.
Interessiert, aber auch ein bisschen skeptisch zog Eirik die Augenbrauen hoch. Aus eigener bitterer Erfahrung kannte er die Boshaftigkeit der Adligen an König Edmunds Hof nur zu gut. Trotzdem fragte er sich, ob Wilfrids Worte wahr sein konnten.
Inzwischen setzte die Frau hartnäckig ihren Weg zu dem erhöhten Podium fort, auf dem sie saßen. Eine rundliche Matrone und etliche Gefolgsleute watschelten ihr wie Entenküken einer dürren Gans hinterher.
Zwischendurch blieb sie einmal stehen, schnupperte und rümpfte hochmütig die Nase. Dann richtete sie einen vernichtenden Blick auf Ignold, einen von Eiriks treusten Gefolgsmännern, und warf ihm ein paar scharfe Worte zu. Der furchtlose Hüne von einem Krieger, der dafür bekannt war, dass er noch nie vor einem Kampf zurückgeschreckt war, starrte sie nur mit offenem Mund an.
Eirik konnte sich ungefähr vorstellen, was die Frau zu ihm gesagt hatte.
Nachdem Eirik vor einigen Monaten die nordische Hauptstadt Jorvik zurückgewonnen und später dann auch ganz Strathclyde erobert hatte, wurde er von König Edmund unter der Standarte des Goldenen Drachens als sein Abgesandter zum Herzog der Normandie geschickt, um die Freilassung des Neffen König Edmunds, Louis d'Outremer, auszuhandeln. Louis war im Sommer zuvor von den Wikingern von Rouen gefangengenommen worden, dann aber vom Herzog der Franken wieder befreit worden, der jedoch darauf bestanden hatte, den Neffen des Königs all dieseMonateals Geisel festzuhalten. Später, nach monatelanger Feilscherei und vielen Rückschlägen, wurde Louis dann schließlich seinem fränkischen Königreich zurückgegeben.
Eirik war froh gewesen, als er mit einer kleineren Gruppe seiner Gefolgsleute vor zwei Wochen in die Heimat zurückgekehrt war. Viele von Eiriks Männern, die zu seinem festen Truppen- kontingent gehörten, waren nach ihrer langen Rückreise aus dem Frankenland aber erst an ebendiesem Abend eingetroffen. Nach Wochen auf See und später dann zu Pferd, ohne eine Möglichkeit zu baden, stanken sie zum Himmel. Selbst er hatte vorhin auf dem Weg zum Abtritt den durchdringenden, beißenden Geruch von ungewaschenen Männerkörpern wahrgenommen. Vermutlich war es das, worüber die Beißzange von Hawk's Lair sich so missbilligend geäußert hatte.
Die Frau kam weiter in seine Richtung, ohne die anzüglichen Kommentare seiner Männer zu beachten, die in kleinen Grüppchen an den langen Tafeln zusammensaßen und Met tranken. Offensichtlich hatten sie sich alle schon viel zu lange nicht mehr in gepflegter Gesellschaft aufgehalten.
Ein leichtes Schuldbewusstsein beschlich Eirik. Vielleicht war es unhöflich von ihm gewesen, die Briefe zu ignorieren, in denen die Frau ihn in einer nicht näher benannten, aber ›dringenden Angelegenheit‹ um Hilfe ersucht hatte. Aber Eirik war völlig erschöpft. Immerhin hatte er zwei Jahre lang gekämpft und war als Botschafter des Königs hin-und hergereist, von den Gefahren politischer Intrigen, denen er ständig hatte aus dem Weg gehen müssen, erst ganz zu schweigen. Er wollte im Moment einfach nichts mehr mit der Aristokratie zu tun haben - ob es sich nun um Männer oder Frauen handelte. Er brauchte dringend eine kleine Atempause und ein bisschen Frieden.
Eirik lehnte sich in seinem Sessel zurück, verschränkte lässig die Arme vor der Brust und schlug seine langen Beine übereinander. Aus schmalen Augen betrachtete er Lady Eadyth nun genauer, obwohl weder ihr Gesicht noch ihr Körper unter dem weiten Umhang mit der großen Kapuze besonders gut zu erkennen waren. Erschwerend hinzu kam noch, dass seine Augen von dem ganzen Rauch zu tränen begonnen hatten, sodass er praktisch überhaupt nichts sah.
Die Frau schien graues, straff zurückgekämmtes Haar zu haben. Nicht eine einzige lose Strähne war zu sehen, die ihre griesgrämigen Gesichtszüge ein bisschen weicher hätte machen können.
Gedankenversunken strich Eirik mit dem Zeigefinger über seinen Schnurrbart, wie er es immer tat, wenn er ratlos war oder sich auf irgendetwas konzentrierte. »Für so alt hatte ich sie nicht gehalten.«
»Ich auch nicht«, pflichtete ihm Wilfrid bei.
Beide Männer richteten den Blick wieder auf die Frau. Sie war groß und schlank, dafür sprach die Zierlichkeit ihrer Knöchel, die zu sehen waren, als sie den Saum ihres Gewands anhob, um ihn nicht zu beschmutzen. Ihre altjüngferlichen Brüste waren so gut wie nicht zu erkennen, sie hatte eine Brust, die genauso flach wie sein Wappenschild war. Aber ihr unschönstes Attribut war die steile Falte zwischen ihren Brauen. Grundgütiger! Sie kam, um ihn um eine Gunst zu bitten, und bemühte sich trotzdem nicht einmal, eine etwas freundlichere Miene aufzusetzen.
Eirik lächelte. Es würde unterhaltsam sein, mit dieser unansehnlichen grauen Maus mit ihrem hoffärtigen Gebaren Katz und Maus zu spielen.
In diesem Moment räusperte sie sich und rief kühn vom Fuß der Treppe des erhöhten Podiums: »Mit Eurer gütigen Erlaubnis, Lord Ravenshire, würde ich Euch gern in einer dringenden Angelegenheit sprechen.«
Dringende Angelegenheit! Dringende Angelegenheit! Das sagten sie alle, wenn sie kamen, um ihn um eine Gefälligkeit zu bitten. Eirik nickte widerstrebend, bevor er mit einer Handbewegung einem in der Nähe stehenden Bediensteten zu verstehen gab, er solle sich um Eadyths Begleiter kümmern und ihnen etwas zu essen und zu trinken bringen lassen.
»Offenbar habt Ihr die Botschaft, die ich Euch überbringen ließ, nicht erhalten«, begann sie mit gestelzter Stimme und zusammengekniffenen Lippen, die ganz blutleer vor Anspannung waren. Zwei kleine Furchen zwischen ihren Brauen schienen auf eine permanent finstere Miene hinzudeuten. Eirik brach fast in Gelächter aus, als ihm bewusst wurde, wie schwer es der Frau fiel, sich so devot vor ihm zu geben, obwohl sie ihm wahrscheinlich viel lieber einen scharfen Rüffel für seine Ungefälligkeit erteilt hätte.
»Ich habe Euren Brief erhalten.«
Offenbar erstaunt darüber, dass er auf jede weitere Stellungnahme verzichtete, starrte Eadyth ihn mit offenem Munde an und offenbarte dabei für eine Frau in ihrem Alter erstaunlich weiße und gesunde Zähne. Wieder strich Eirik sich versonnen über seinen Schnurrbart und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Trotz der Fältchen um ihre Augen und ihren Mund war sie vielleicht doch nicht ganz so alt, wie er angenommen hatte. Tatsächlich war die Haut ihres feingeschnittenen Gesichts so makellos wie frische Sahne. Er wünschte, er könnte sie besser sehen; es wurmte ihn, dass er seiner schlechten Sehkraft wegen die Dinge aus der Nähe nicht mehr so genau erkannte.
»Ah! Ein aufrichtiger Mann. Wie erfrischend!«
»Hattet Ihr etwas anderes erwartet? Aufrichtigkeit ist eine Tugend, die ich mehr als jede andere schätze«, gab Eirik scharf zurück. Irgendwie kränkte ihn ihre spöttische Reaktion auf sein Geständnis, dass er ihren Brief zwar erhalten hatte, aber nicht einmal höflich genug war, ihn zu beantworten.
Seine Antwort schien ihr zu gefallen. »Ja, meistens rechne ich durchaus mit Unaufrichtigkeit. Leider gibt es meiner Erfahrung nach nicht viele vertrauenswürdige Männer.«
»Oder Frauen?«
»Oder Frauen«, stimmte sie mit einem leichten Nicken zu und begann ihn dann ganz unverblümt zu mustern.
Eadyths feingeschnittene Lippen mit der geradezu vollkommenen Einkerbung in ihrer Mitte verzogen sich zu einem Lächeln. Im Grunde war die Frau gar nicht so hässlich, wie er ursprünglich gedacht hatte. Zugegeben, für seinen Geschmack hielt sie ihre gerade kleine Nase etwas zu hochnäsig für seinen Geschmack in die Luft gestreckt, von ihrem eigensinnig vorgeschobenen Kinn erst ganz zu schweigen, aber ohne ihr graues Haar und ihren mageren Körper hätte sie womöglich sogar ganz passabel aussehen können. Bei näherem Hinschauen konnte Eirik nun erkennen, dass sie in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen sein musste - das silberne Kleinod von Northumbria.
Eiriks Hand glitt wieder unwillkürlich zu seinem Schnurrbart. Irgendetwas am Aussehen dieser Frau erschien ihm äußerst merkwürdig. Doch dann erinnerte er sich wieder an Wilfrids Worte über den Klatsch, der über sie verbreitet wurde. Sie war ein Rätsel, das er noch nicht entschlüsseln konnte. Im Stillen lächelte er aber schon über die Aussicht, ihr Geheimnis zu ergründen.
»Darf ich mich zu Euch setzen?«
»Selbstverständlich«, antwortete er und fühlte sich durch ihre sanften Worte, die ihn wieder an seine mangelnde Gastfreundschaft erinnerten, wie ein kleiner Junge zurechtgewiesen. Deshalb erhob er sich auch schnell und half ihr die Stufen zu dem erhöht stehenden Tisch hinauf, wobei ihm die Schlankheit ihres Arms unter dem dicken Stoff des Gewands auffiel. Wo hatte sie nur diesen grässlichen rotbraunen Stoff gefunden? Sie war größer als der Durchschnitt, reichte ihm aber dennoch kaum bis an die Schulter, registrierte er, als er sie Wilfrid vorstellte.
Bevor sie sich setzte, warf sie einen prüfenden Blick auf die Sitzfläche des Stuhls, vermutlich, um nach Staub Ausschau zu halten. Verdammt noch mal! Er warerst ein paar Wochen zu Hause und hatte wahrlich Wichtigeres zu tun, als sich mit trägen Bediensteten herumzuschlagen. Es war eine Sache, wenn Wilfrid ihm zusetzte, endlich seine Geldtruhen zu öffnen, um Ravenshire wiederaufzubauen, aber eine völlig andere, wenn diese unerwünschte Besucherin ihre Nase über ihn und seine Burg rümpfte.
Er griff nach einem leeren Becher und warf ihr einen spitzen Blick zu, als er mit dem Ärmel seines Untergewands den Rand abwischte. Damit sollte ihrer Vorstellung von Sauberkeit doch wohl Genüge getan sein, dachte er grimmig. Dann schenkte er ihr ein und reichte ihr den Becher mit aller Höflichkeit, um so zu beweisen, dass es ihm durchaus nicht an Manieren mangelte. Eirik bemerkte, wie sehr sie darauf bedacht war, jegliche Berührung ihrer Finger zu vermeiden - und als sie das Bier trank, sah er, wie sie schon wieder missbilligend die Nase rümpfte.
»Wie ich sehe, mögt Ihr nicht nur keine Hunde, sondern auch kein Bier«, bemerkte er gereizt.
»Nein, das ist nicht wahr. Ich mag Hunde, aber dort, wo sie hingehören, und das ist weder hier in der Halle noch in der Küche. Und was Euer Bier angeht, so ist es durchaus annehmbar «, erwiderte sie arrogant. »Ich muss allerdings gestehen, dass ich verwöhnt bin. Ich mache den besten Met in ganz Northumbria aus meinem eigenen Honig.«
»Ach wirklich? Wie bemerkenswert! Damit meine ich allerdings nicht, dass Ihr Euren Honigwein selbst herstellt, sondern dass Ihr Euch selber derart schamlos lobt.«
Eadyth schaute auf, um seinen Blick zu suchen, und Eirik sah, wie sie bis zu den Haarwurzeln errötete.
Gut so!, dachte er.
»Ich muss mich Eurer klugen Einschätzung meiner Fehler beugen, Mylord. Es ist richtig, dass ich nicht sehr bescheiden bin. Die weiblichen Tugenden sind mir über all die Jahre, in denen ich fern der Gesellschaft gelebt habe, leider abhanden gekommen«, entschuldigte sie sich ganz ohne Verlegenheit. »Manchmal vergesse ich, dass Damen von Stand immerzu sanftmütig und schwach zu sein haben. Ich wurde anders erzogen, mein Vater ließ mir meine Unabhängigkeit.«
Auch wenn Eirik ihr stolzes Kinn, das sich immer wieder trotzig vorschob, noch nicht bemerkt hätte, so konnte er doch jetzt instinktiv spüren, dass sie sich nicht häufig so demütig gab. Eine fast unmerkliche Verwundbarkeit klang in ihrer Stimme mit, die Eirik etwas nachgiebiger stimmte.
»Er war ein guter Mann, Euer Vater. Ich habe Arnulf vor Jahren kennengelernt, als er einmal meinen Großvater Dar besuchte. Es tut mir leid, von seinem Tod zu hören.«
Eadyth nahm seine mitfühlenden Worte mit einem knappen Kopfnicken zur Kenntnis.
»Ihr habt keine Brüder, soviel ich weiß«, fuhr Eirik fort. »Wer führt dann jetzt Hawk's Lair?«
»Ich.«
Eirik war so verblüfft, dass er sich an seinem Bier verschluckte und Wilfrid ihm kräftig auf den Rücken klopfen musste.
Eadyths Lippen verzogen sich zu einem herablassenden Lächeln, was Eiriks Blick auf das irritierende kleine Muttermal an ihrem rechten Mundwinkel lenkte. Er hatte von Frauen gehört, die sich solche Schönheitsflecken auf die Haut malten. War das auch bei ihr der Fall? Bestimmt nicht. Eine Frau, die ihr Haar so straff zurückkämmte wie eine Nonne und derart triste Kleider trug, würde solch eitlen Zierrat nur verächtlich ablehnen.
»Warum reagieren Männer immer so? Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Männer immer glauben, Frauen seien nicht in der Lage, mehr zu tun als zu schwatzen und zu sticken. «
Eirik beugte sich ein wenig vor und musterte Eadyth mit neu erwachtem Interesse. »Meiner Erfahrung nach sind die meisten Frauen hohlköpfige, hinterhältige Geschöpfe und recht zufrieden damit, sich mit nicht viel mehr als den von Ihnen gerade angesprochenen Beschäftigungen zu widmen. Auf jeden Fall war es bei meiner Frau so, bevor sie starb. Ich garantiere Euch, wenn Männer keine Erben bräuchten, würden die meisten bestimmt gerne auf das Ehebett verzichten und sich ihr Vergnügen anderswo beschaffen.«
Die Unverblümtheit seiner Worte schien Eadyths weibliches Feingefühl nicht zu verletzen. Vielmehr war Eiriks Aufrichtigkeit sogar offenbar ganz nach ihrem Geschmack.
Ihre Finger zeichneten ein unsichtbares Muster auf die Tischplatte, während sie ihn prüfend ansah. Warum?, fragte er sich. Eadyth befeuchtete nervös ihre Lippen, was Eiriks Blick erneut auf das entwaffnende kleine Muttermal lenkte. Fasziniert verfolgte er, wie ihre rosa Zungenspitze von einem ihrer Mundwinkel zu der kleinen Einkerbung in ihrer Oberlippe glitt, dann zum anderen Mundwinkel weiterwanderte und schließlich über ihre volle Unterlippe strich. Eirik versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, das Gleiche mit seiner eigenen Zunge zu tun, und spürte fast augenblicklich ein scharfes Ziehen in seinen Lenden.
Bei Gott und allen Heiligen! Jetzt musste er sich doch tatsächlich selbst zur Ordnung rufen. Er benahm sich ja wie ein Junge, der noch grün hinter den Ohren war. Wahrscheinlich hatte er schon viel zu lange keine Frau mehr an seiner Seite gehabt, wenn sogar eine schon nicht mehr ganz junge ihn so schnell erregen konnte.
Und dieses respektlose Frauenzimmer musterte ihn auch noch auf eine seltsam eindringliche Weise. Sie war wirklich ziemlich ungewöhnlich, diese Frau.
»Sind Eure Augen blau . . . hellblau wie ein Sommerhimmel, wie man mir erzählte?«, fragte Eadyth unvermittelt und riss Eirik aus seinen erotischen Träumereien.
Etwas irritiert über ihre merkwürdige Frage lehnte er sich wieder zurück. »Ja . . . sie sind ein Erbe meiner wikingischen Vorfahren.«
Eadyth nickte anerkennend.
Himmelherrgottsakra! Warum sollte es diese alte Jungfer kümmern,obseine Augenblauoderschmutzig braunwaren?
»Ihr seht gar nicht wie ein Wikinger aus. Euer Haar ist schwarz, nicht wahr?«, bemerkte sie wie nebenbei, aber ihr unüberhörbar gepresster Atem, verriet Eirik, dass seine Antwort von Bedeutung für sie war.
Was führte diese Frau im Schilde? Was sollten diese dummen Fragen nach der Farbe seiner Augen und seiner Haare? Wieder lehnte er sich zurück und betrachtete sie misstrauisch. »Ich bin nur zur Hälfte Wikinger. Meine Mutter war Angelsächsin. « Vor Ärger, dass er ihr Spiel nicht zu durchschauen vermochte, biss er sich auf die Unterlippe, um dann aber sogleich verschmitzt hinzufügen: »Möchtet Ihr meine Wikingerhälfte sehen?«
Wilfrid lachte vergnügt auf, während Eadyth errötete und seine Frage einfach überhörte.
»Ich meinte natürlich meine kampferprobten Muskeln«, setzte Eirik spöttisch hinzu und hob einen seiner kräftigen Arme, damit sie ihn bewundern konnte. »Und mein Talent, mit heiler Haut aus den angelsächsischen politischen Schlangen- gruben herauszukommen.« Er klopfte sich an den Kopf, als wollte er ihr damit demonstrieren, dass er nicht ganz hohl war.
Eadyth, der es nicht nur an Schönheit, sondern offenbar auch an Humor zu fehlen schien, verzog keine Miene über seinen Scherz. Stattdessen presste sie nachdenklich die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, während sie Eirik wieder einer unverhohlenen Musterung unterzog. Schließlich fragte sie: »Könnten wir unter vier Augen miteinander reden, Mylord? «
Eirik setzte eine ausdruckslose Miene auf, die nichts von seiner Überraschung offenbarte, bevor er Wilfrid mit einer Handbewegung aufforderte, sie einen Moment allein zu lassen.
Eadyth trommelte nervös mit ihren schlanken Fingern auf den Tisch, als beschäftigte sie ein ernsthaftes Problem, bevor sie sich dann offenbar zu einem Entschluss durchrang. Sie wartete, bis Wilfrid weg war, und schaute Eirik dann ganz offen in die Augen.
»Ich muss umgehend heiraten«, erklärte Eadyth ohne jede Einleitung. »Wärt Ihr unter Umständen interessiert?«
Eadyth sah, wie sehr der dunkelhaarige Ritter sich anstrengen musste, um sie nicht mit offenem Mund anzustarren. Nachdem er sich vom ersten Schock über ihren unerwarteten Vorschlag erholt hatte, gefror sein Gesicht jedoch zu einer ausdruckslosen Maske. Trotzdem sah man ihm an, dass er ihr bizarres Verhalten nicht ein bisschen verstehen konnte.
Ha! Männer waren so durchschaubar. Sie hielten Frauen für unfähig, logisch zu denken, und genau darin lag ihre Schwäche. Eadyth hatte in den vergangenen acht Jahren eine Lektion nach der anderen erhalten, welche Macht Männer über Frauen ausübten. Allerdings wusste sie inzwischen auch, dass es sich nicht um uneingeschränkte Macht handelte, und Eadyth war eine Expertin darin geworden, sie zu überlisten. Hatte sie nicht immer wieder ihre Fähigkeit bewiesen, Hawk's Lair zu verwalten und ihre eigenen Erzeugnisse auf dem Markt von Jorvik unters Volk zu bringen - den besten Honig und Met und die feinsten Bienenwachskerzen von ganz Northumbria?
Es wurmte Eadyth, sich vor dem gut aussehenden und wortgewandten Herrn von Ravenshire erniedrigen zu müssen. Als kümmerte es sie, dass seine feingeschnittenen Gesichtszüge die Herzen aller Frauen von Yorkshire bis nach Strathclyde schier zerfließen lassen konnten! Oder dass seine glattzüngigen Worte selbst die frommste aller Nonnen ihre Hemmungen verlieren lassen könnte. Sie wollte keinen Mann zum Ehemann, und schon erst recht nicht diesen schlecht gekleideten Flegel in seiner zerfallenden Burg, der in nur mühsam unterdrückter Verachtung mit arroganter Miene auf sie, Eadyth, herabsah.
Gott Allmächtiger! Der bloße Gedanke, die heiligen Bande der Ehe einzugehen, verursachte ihr Übelkeit. Bande! Das war das entscheidende Wort. Denn in all diesen Jahren hatte sie sich stets hartnäckig geweigert, sich von irgendeinem Mann binden zu lassen.
Nun aber blieb ihr keine andere Wahl mehr. Die Zeit lief ihr davon. Das Beste, was sie tun konnte, war, eine möglichst günstige Verlobungsvereinbarung auszuhandeln, die für ihren zukünftigen Gatten von Vorteil sein, ihr selbst aber erlauben würde, ihre Freiheit zu behalten. Doch würde der Herr von Ravenstein auf diesen Vorschlag eingehen?
»Möglicherweise spielen meine Ohren mir ja einen Streich, Mylady. Aber habt Ihr mich gerade um meine Hand gebeten?« Als Eadyth mit trotzig vorgeschobenem Kinn nickte, schnaubte er entrüstet. »Es ziemt sich nicht, dass Ihr eine solche Sache in Eure eigenen Hände nehmt.«
»Wer sollte denn sonst für mich verhandeln? Mein Vater ist tot. Ich habe keine Familie mehr.« Sie zuckte mit den Schultern. »Seid Ihr so puritanisch und so sehr um Eure Männlichkeit besorgt, dass Ihr nicht direkt mit einer Frau verhandeln könnt?«
Bei diesen herausfordernden Worten setzte Eirik sich aufrechter hin, und an seinem markanten Kinn begann ein Muskel zu zucken. »Ihr begebt Euch auf gefährliches Terrain, Mylady. Glaubt mir, ich fürchte weder Euch noch irgendjemand sonst auf dieser Welt. Ihr wollt direkt mit mir verhandeln? Na schön, das könnt Ihr haben. Ich sage Euch ganz direkt,dassmeine Antwort Nein ist. Ich bin an Eurem Vorschlag nicht interessiert. «
Zu ihrer großen Verärgerung spürte Eadyth, wie eine heiße Röte in ihre Wangen stieg. Warum konnte sie ihre freche Zunge auch nicht in Zaum halten? Aber da sie an Verhandlungen mit raffinierten Handelsherren und denkfaulen Dummerjanen gewöhnt war, vergaß sie oft jegliche Diplomatie. Nur mühsam unterdrückte sie jetzt die in ihr aufsteigende Wut und zwang sich, mit größter Vorsicht vorzugehen, als sie weitersprach.
»Ich bitte um Entschuldigung, Mylord, für meine übereilten Worte. Die Dringlichkeit meiner Situation hat mir die Zunge gelockert, aber . . . bitte lehnt mein Angebot nicht ab, bevor Ihr alle Einzelheiten gehört habt.«
Eirik schenkte sich Bier nach und nippte gedankenvoll daran, während er Eadyth aus schmalen Augen musterte und offenbar zum Schluss kam, dass ihr die bei einer Ehefrau gern gesehenen Attribute fehlten. Das überraschte Eadyth nicht. Nachdem sie vor acht Jahren ein einziges Mal einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte, gab sie sich die größte Mühe, niemals und unter gar keinen Umständen das sinnliche Interesse eines Mannes zu wecken.
»Bei allem gebotenen Respekt, Mylady, ich habe kein Interesse an einer weiteren Ehe - mit keiner Frau. Einmal war genug. «
»Für immer?«, fragte Eadyth überrascht. »Ich dachte, alle Männer hätten das Bedürfnis, Erben hervorzubringen. Eure Gemahlin hat Euch aber doch keine Söhne geboren, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Mein Bruder Tykir ist mein Erbe. Ich bin nämlich nicht sonderlich interessiert daran, mein eigenes Ich zu vermehren.« Dann legte er fragend seinen Kopf ein wenig schief, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. »Und abgesehen davon seid Ihr ja wohl kaum noch in einem gebärfähigen Alter, würde ich meinen.«
»Was?« Seine Feststellung ließ Eadyth jäh verstummen. Es war richtig, dass viele Mädchen schon mit vierzehn Jahren heirateten, aber sie war mal gerade fünfundzwanzig und wohl durchaus noch im richtigen Alter, um Kinder zu bekommen. Nicht, dass sie das gewollt hätte. Und schon gar nicht mit einem solchen Grobian wie ihm. Aber für wie alt hielt er sie?
Ah!, dachte sie plötzlich, während sie mit einer Hand nach ihrem Stirnband griff - offensichtlich vermittelte ihr silbriges Haar ihm eine falsche Vorstellung von ihrem Alter. Das und ihr absichtlich viel zu weit geschnittenes Gewand, unter dem sie ihre weiblichen Rundungen verbarg. Gut, dass er sie nicht am Morgen gesehen hatte, als sie beim Versuch ihre glänzenden, bis zur Taille reichenden Haare unter einem Schleier zu verbergen, schließlich auf Schweineschmalz hatte zurückgreifen müssen, um ihre üppige Lockenpracht zu bändigen. Anscheinend war es ihr mit dem Fett gelungen, auch die goldblonden Strähnchen in ihren silberblonden Haaren zu verbergen.
Doch dann kam ihr plötzlich ein Gedanke. Womöglich würde seine falsche Vorstellung von ihrem Alter ihr ja sogar zugute kommen. Nach diesem einen unangenehmen - nein, verheerenden Erlebnis mit den sinnlichen Neigungen eines Mannes hatte sie nicht das geringste Bedürfnis nach einem zweiten. Eadyth lächelte, die Rolle als alte Jungfer begann ihr zu gefallen. Um Eiriks Frage auszuweichen, erklärte sie in altjüngferlich schnippischem Tonfall: »He, he, he! Man sollte meinen, mein Alter sei nicht so wichtig, wenn Ihr keine Erben mehr zeugen wollt. Im Grunde könnte es sich sogar zu unser beider Vorteil auswirken.«
Mit dieser Erklärung weckte sie Eiriks Interesse, und er fuhr sich mit den Fingern durch sein schulterlanges, rabenschwarzes Haar. Dann strich er sich geistesabwesend über den Schnurrbart - eine Angewohnheit, die Eadyth nicht zum ersten Mal bei ihm bemerkte -, als er sie wie ein misstrauischer Vogel beäugte . . . oder wie der Rabe, der er seinem Wappen nach ja auch war. Und er kniff auch fortwährend die Augen zusammen. Schließlich zog er fragend die dichten schwarzen Brauen über seinen blauen Augen hoch.
Heilige Jungfrau Maria! Man konnte in den Tiefen dieser faszinierenden Augen ertrinken, musste Eadyth sich eingestehen, bevor sie sich rasch wieder zur Ordnung rief. In Wirklichkeit war Eirik gar nicht mal so gut aussehend wie Steven, die Ursache ihrer Probleme. Stevens distinguierte Erscheinung und seine feingeschnittenen Gesichtszüge waren nahezu vollkommen, während Eirik für Eadyths Geschmack zwar gut, aber zu kraftstrotzend aussah und sein eckiges Gesicht zu maskulin war. Auf merkwürdige Weise wirkte er irgendwie sogar ein bisschen einschüchternd auf sie.
Sie zwang sich, zu ihrem Gesprächsthema zurückzukehren, und sagte: »Lasst mich ganz offen sein...«
»Warum sollten wir jetzt damit aufhören?«
Eadyth warf Eirik einen vernichtenden Blick zu. Sie würde seine Spöttelei einstweilen noch ignorieren, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Hände sich verkrampften, sich zu Fäusten ballten und sich wieder öffneten, bevor sie weitersprach. Verflixt noch mal, aber Demut und Ergebenheit zur Schau zu tragen, fiel ihr wirklich sehr, sehr schwer.
»Ich muss so bald wie möglich heiraten. Mein Gemahl muss, sollte es zu einem Kampf kommen, Männer anführen können. Noch viel wichtiger ist aber, dass er ein Talent für Politik und diplomatisches Geschick hat, damit es möglichst erst gar nicht zu einer Konfrontation kommt. Versteht Ihr, was ich meine?«
»Warum gerade ich?«, versetzte Eirik knapp. »Ihr fühlt Euch doch ganz offensichtlich nicht von meinen unzählbaren Reizen angezogen.«
Aufmerksam verfolgte er die verräterisch nervösen Bewegungen ihrer Hände, und Eadyth zwang sich, sich zusammenzunehmen. Er sah zu viel. Und trotzdem sah er ihr wahres Aussehen nicht. Wie eigenartig, dachte sie.
Außerdem fand sie es unmöglich, dass er es für nötig gehalten hatte, eine derart frivole Bemerkung hinsichtlich seiner ›Reize‹ zu machen. Spielte er nur mit ihr und betrachtete ihren nur widerstrebend vorgebrachten Vorschlag als Vorwand, sich über sie lustig zu machen? Natürlich tat er das. Er hielt sie ja offenbar für viel zu alt, um sich noch für die körperlichen Vorzüge eines Mannes zu interessieren.
Genug! Sie vergeudete kostbare Zeit damit, um den heißen Brei herumzureden. Er hatte gesagt, er wisse Offenheit zu schätzen. Nun, dann würde sie ihm jetzt eine ordentliche Portion davon geben und ihm auch verdeutlichen, wie sie über seine ›Reize‹ dachte.
»Es stimmt, dass sich mein sinnliches Verlangen nach Eurem unvergleichlich schönen Körper in Grenzen hält«, bemerkte sie sarkastisch. »Und auch Eure männliche Präsenz lässt mir nicht die Knie weich werden. Ich möchte wetten, dass ich es sogar ertragen würde, Eure Gesellschaft zu genießen, ohne vor Bewunderung gleich ohnmächtig zu werden. Ehrlich gesagt würde ich sogar lieber Euren grässlichen Hund heiraten als Euch, wenn es meine Probleme lösen würde.« Eadyth sah den angespannten Zug, der um sein Kinn erschien. Gut! Jetzt hatte sie seine volle Aufmerksamkeit - er grinste nicht mehr und verkniff sich auch weitere indirekte Anspielungen. »Aber wisst Ihr, Euer Hund würde mir bedauerlicherweise überhaupt nichts nützen, weil er weder Eure blauen Augen noch Euer schwarzes Haar hat. Ich dachte, ich hätte schon erwähnt, dass das unentbehrliche Attribute für meinen zukünftigen Ehemann sind.«
»Blaue Augen und schwarzes Haar!«, entfuhr es Eirik. »Vorsicht, Mylady, Ihr geht zu weit. Und verschwendet bitte nicht meine Zeit mit unsinnigem Gerede über körperliche Merkmale. Ich will nicht heiraten, und und schon gar keine Keifzange. Und das ist mein letztes Wort zu diesem Thema.« Er stand auf, als sei ihre Unterredung für ihn damit beendet.
Seine brüsken Worte ließen Eadyths Hoffnung sinken, und sie musste einen Anfall von Panik unterdrücken. Wieder einmal hatte sie ihre Vernunft von ihrer Abneigung gegen eine erzwungene Heirat überschatten lassen.
»Hier«, sagte sie und drückte Eirik rasch ein Dokument in die Hände. »Vielleicht solltet Ihr Euch gut überlegen, was Ihr da so unbekümmert ablehnt.«
Eirik starrte sie mit ausdrucksloser Miene schweigend an, aber dann senkte er den Blick doch auf das Dokument und hielt es auf Armeslänge von sich ab. Nachdem er die Worte und die Zahlen überflogen hatte, ließ er sich auf seinen Stuhl zurückfallen und stieß einen gereizten Seufzer aus.
»Was in Herrgotts Namen soll das sein?«
Eadyth dachte, dass das Dokument im Grunde für sich selber sprach, da über dem Text klar und deutlich ›Verlobungsvereinbarung‹ in ihrer eigenen sauberen Handschrift stand. Vielleicht konnte der Herr von Ravenshire nicht lesen? »Das ist die Mitgift, die Ihr von mir erhalten werdet, wenn Ihr der Heirat zustimmt«, erklärte sie mit stolz vorgerecktem Kinn.
Eirik starrte sie einen langen Augenblick ungläubig und erstaunt an, bevor er sich wieder dem Dokument zuwandte und laut seinen Inhalt vorlas: »Fünfhundert Goldstücke; zweitausend Morgen an Ravenshire angrenzendes Land; zwanzig Ellen feinster Rohseide aus Bagdad; drei Kühe; zwölf Ochsen; fünfzehn Leibeigene, einschließlich eines Steinmetzes wie eines Schmieds, und fünfzig Bienenköniginnen mit etwa hunderttausend Arbeiterinnen und zehntausend Drohnen.« Spöttisch lächelnd richtete Eirik sich an Eadyth: »Bienen? Was soll ich denn mit Bienen?«
»Mit ihnen habe ich mein Geld verdient, Mylord. Macht Euch nicht über Dinge lustig, von denen Ihr keine Ahnung habt.«
Er legte das Dokument auf den Tisch, lehnte sich wieder zurück und legte die Fingerspitzen aneinander, um Eadyth nachdenklich zu mustern. Als er endlich wieder sprach, schien er seine Worte mit Bedacht zu wählen. »Sie ist wirklich eindrucksvoll - die Mitgift, die Ihr mir anbietet. Und erstaunlich. Ich hätte Hawk's Lair nicht für einen so gewinnbringenden Besitz gehalten.«
Und dann lächelte er. Es war ein nettes Lächeln, wie Eadyth innerlich zugeben musste. Und sie registrierte auch das vergnügte Funkeln in seinen ausdrucksvollen Augen. Oh ja, sie konnte verstehen, warum die Frauen ihm zu Füßen sanken, wenn er sie mit seinem fatalen Charme bedachte.
»Weiß der König von Eurem Reichtum? Seine Ratsversammlung wäre bestimmt an einer höheren Besteuerung Eurer Reichtümer interessiert.«
Eadyth reagierte etwas ungehalten auf sein verstecktes Kompliment. »Hawk's Lair ist eine kleine Burg, von der ich einfach jeden Teil sehr gut nutze. Trotzdem bin ich einzig und allein durch meine Bienenzucht zu einem gewissen Reichtum gekommen. Die letzten paar Jahre waren ganz besonders einträglich. Es hat sich herumgesprochen, dass ich erstklassigen Met, Honig und Bienenwachskerzen erzeuge. Meine zeitmessenden Kerzen werfen ganz besonders große Gewinne ab.«
»Ihr vertreibt Eure Produkte selbst?«
»Ja. Ich habe einen Vertreter in Jorvik, aber ich halte es für klüger, die Menschen, die für mich arbeiten, zu überprüfen undim Augezubehalten.«
Eirik lachte ungläubig und schüttelte den Kopf.
»Ihr findet eine vernünftige Geschäftsführung wohl lustig?«, sagte Eadyth ärgerlich.
»Nein, Mylady, ich finde Euch und Eure vielen Widersprüche lustig.«
»Wie meint Ihr das?«
»Ihr kommt uneingeladen in meine Burg hereingeplatzt, beleidigt meinen Hund, mein Bier und nicht zuletzt auch mich.Ihr hegt ganz offenkundig Zweifel an meiner Integrität und haltet trotzdem um meine Hand an. Ihr seid eine Dame von Stand und seid Euch trotzdem nicht zu schade, Euch mit Eurem Handel die Hände schmutzig zu machen. Und . . .« Er zögerte, und man merkte ihm an, dass er das untrügliche Gefühl hatte, zu weit gegangen zu sein.
»Und was? Sprecht weiter. Lasst uns ganz ehrlich zueinander sein.«
»Nun, ich habe schon häufiger gehört, dass man Euch Eurer großen Schönheit wegen ›das silberne Kleinod von Northumbria‹ nannte . . . aber ich kann diese Schönheit beim besten Willen nicht sehen.«
Seine harte, aber ehrliche Beurteilung traf Eadyth. Dabei hatte sie sich doch die größte Mühe gegeben, um das, was von ihrer großen Schönheit noch übrig war, zu verbergen. Also hätte es ihr eigentlich ziemlich egal sein müssen, dass er sie nicht hübsch fand, aber irgendwie kränkte es sie doch. Wahrscheinlich meldeten sich da gerade nur die letzten Reste ihrer früheren weiblichen Eitelkeit. Sie straffte ihre Schultern. »Habt Ihr mir noch mehr zu sagen?«
»Ja, da ist noch mehr.« Eirik zögerte, bevor er fortfuhr: »Ihr benehmt Euch wie eine verklemmte Nonne, die noch nie mit einem Mann zusammen war. Das verwundert mich ein wenig, da mir auch zu Ohren gekommen ist, dass Ihr in Eurer Jugendrecht leichtfertig gelebt habt. Ich kann mir eine Frau wie Euch einfach nicht unter einem Mann liegend vorstellen - und schon garnicht als Mutter eines unehelichen Kinds.«
Eadyth schloss für einen Moment die Augen, da sie nicht damit gerechnet hatte, dass das Gespräch so schnell auf ihren Sohn John kommen würde. Sie hatte gewusst, dass sie über ihn würde sprechen müssen, falls Eirik sich bereit erklärte, sie zu heiraten. Immerhin war John der Grund, dass sie sich zu einer solchen Verbindung gezwungen sah, gegen die sich eigentlich alles in ihr sträubte. Sie hatte jedoch gehofft, das Thema erst zu einem späteren Zeitpunkt anschneiden zu müssen.
»Ja, ich habe einen Sohn«, gab sie schließlich zu und erwiderte Eiriks Blick ganz offen. »Stellt John ein Hindernis für diese Ehe dar?«
Eirik strich mit seinem langen, wohlgeformten Zeigefinger über den Rand des Bechers, während er Eadyth weiter prüfend musterte. Sie bemerkte, dass ihm der kleine Finger fehlte, und fragte sich, ob er ihn im Kampf oder bei einem Unfall verloren hatte. Ihre Überlegungen wurden jedoch unterbrochen, als er langsam und mit anscheinend sehr vorsichtig gewählten Worten weitersprach.
»Wenn ich eine Frau heiraten wollen würde, wäre ein Kind für mich kein Grund, um nicht mit ihr vor den Altar zu treten. Natürlich würde ich eine Jungfrau als Gemahlin vorziehen, alles andere zu behaupten, wäre unehrlich. Aber wer bin ich schon, um mich zum Richter aufzuspielen? Auch ich trage den Makel unehelicher Herkunft, und darüber hinaus habe ich selbst zwei uneheliche Töchter.« Er grinste sie etwas betreten an. »Da scheinen wir ja wohl doch eine Gemeinsamkeit zu haben.«
Eadyth biss die Zähne zusammen und ballte die Hände so fest, dass sich die Fingernägel in ihre Handflächen bohrten. Sie hätte ihm nur zu gern gesagt, was sie davon hielt, dass er zwei illegitime Töchter in die Welt gesetzt hatte. Es war nicht ihre Schuld, dass ihr Sohn unehelich geboren worden war. Aber er, ein unverheirateter Mann, hätte seine Töchter vor diesem Schicksal bewahren können. Oh, wie gern hätte sie ihm gesagt, dass er wohl vor allem eine Gemeinsamkeit mit diesen vielen skrupellosen Männern hatte, die ihre Geschlechtsteile für Geschenke Gottes hielten, mit denen sie wahllos jede Frau beglücken konnten, die es wagte, ihren Weg zu kreuzen. Er widerte sie an. Gerade sie wusste selbst am besten, wie Frauen unter außerehelichen Liebschaften zu leiden hatten, selbst wenn sie mit einem Haufen romantischer Versprechungen verbunden waren.
Sie durfte ihre Gedanken aber nicht in Worte fassen. Nicht jetzt. Sie musste ihn zuerst dazu bringen, einer Ehe mit ihr zuzustimmen. Wenn sie erst einmal verheiratet waren - vorausgesetzt natürlich, es kam dazu -, würde er über seine unbedachte Zeugung zweier Bastarde von ihr schon einiges zu hören bekommen.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg Copyright der Originalausgabe © 1995 by Sandra Hill Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln Übersetzung: Ulrike Moreno
... weniger
Autoren-Porträt von Sandra Hill
Sandra Hill hat schon in jungen Jahren mit dem Schreiben begonnen und ist selbst eine begeisterte Leserin historischer Liebesromane. Die frühere Journalistin sammelt außerdem Antiquitäten und besucht mit ihrem Mann gern Auktionen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sandra Hill
- 2012, 1, 544 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868007466
- ISBN-13: 9783868007466
Kommentare zu "Süßes, wildes Herz"
0 Gebrauchte Artikel zu „Süßes, wildes Herz“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 4Schreiben Sie einen Kommentar zu "Süßes, wildes Herz".
Kommentar verfassen