Tage der Toten / Art Keller Bd.1
Kriminalroman. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi-Preis, Kategorie International 2011 (1. Platz)
Der US-Drogenfahnder Art Keller hat erfolgreich die Strukturen der mexikanischen Drogenmafia aufgedeckt. Nun wird er von den Bossen gejagt. Er startet einen blutigen Feldzug gegen die Drogenbarone. Und damit macht er sich neue Feinde - und die sitzen in Washington.
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Produktinformationen zu „Tage der Toten / Art Keller Bd.1 “
Der US-Drogenfahnder Art Keller hat erfolgreich die Strukturen der mexikanischen Drogenmafia aufgedeckt. Nun wird er von den Bossen gejagt. Er startet einen blutigen Feldzug gegen die Drogenbarone. Und damit macht er sich neue Feinde - und die sitzen in Washington.
Klappentext zu „Tage der Toten / Art Keller Bd.1 “
Mit großem Tatendrang hat sich der US-Drogenfahnder Art Keller daran gemacht, in die Strukturen der mexikanischen Drogenmafia einzudringen - mit Erfolg. So viel Erfolg, dass die Drogendepots reihenweise auffliegen und die Narcotraficantes die Jagd auf ihn eröffnen.Nachdem sein Mitarbeiter von den Gangstern zu Tode gefoltert wurde, schwört Art Keller Rache und startet einen gnadenlosen, blutigen Feldzug gegen die Drogenbarone. Zu spät bemerkt er, dass er sich damit neue Feinde macht - und die sitzen in Washington.
Was als "Iran-Contra-Affäre" in die Geschichte einging, erlebt Keller als gigantisches Drogen-, Geldwäsche- und Waffengeschäft. Vor die Wahl gestellt, seiner Regierung zu dienen oder seinem Gewissen zu folgen, trifft er eine einsame Entscheidung - und stößt dabei auf unverhoffte Verbündete.
"Das Buch des Jahrzents." Lee Child
"Ein Epos wie Der Pate." Andrew Vachss
"Vom ersten, herzzerreißenden Satz an war ich süchtig nach diesem Buch." Ken Bruen
"Winslow ist einfach der Hammer." James Ellroy
Lese-Probe zu „Tage der Toten / Art Keller Bd.1 “
Tag der Toten von Don WinslowERSTER TEIL
Erbsünden
1 Die Männer von Sinaloa
Siehst du die furchtbar öde Heide dort,
Die Wohnung der Verzweiflung, ohne Licht,
Bis auf den Schimmer dieser fahlen Flammen,
Die blass und schrecklich flimmern?
John Milton, Das verlorene Paradies
Distrikt Badiraguato Provinz Sinaloa
Mexiko
1975
Der Mohn brennt.
Rote Blüten, rote Flammen.
Nur in der Hölle, denkt Keller, gibt es flammende Blüten.
Er blickt in das brennende Tal wie in eine dampfende Suppenschüssel – was sich dort zwischen den Rauchschleiern abspielt, ist eine Höllenszene.
Hieronymus Bosch malt den Drogenkrieg.
Campesinos – mexikanische Bauern – fliehen vor dem Flammenmeer, beladen mit den Habseligkeiten, die sie retten konnten, bevor die Soldaten kamen und ihr Dorf anzündeten. Ihre Kinder vor sich her schiebend, schleppen sie Säcke mit Essensvorräten, Decken und Kleidern und ihren kostbarsten Familienandenken. Mit ihren weißen Hemden und ihren Strohhüten sehen sie aus wie Gespenster, wenn sie durch die Rauchschwaden ziehen.
Nur etwas andere Menschen, denkt Keller, und das könnte Vietnam sein.
Aber was hier abläuft, ist nicht Operation Phoenix, sondern Operation Condor, er hockt hier nicht als CIA-Mann im Bambusdickicht an der Grenze zu Nordvietnam, sondern als Drogenfahnder in einem Gebirgstal der Provinz Sinaloa.
Und was hier geerntet wurde, war nicht Reis, sondern Opium.
Keller hört das dumpfe wopp-wopp-wopp von Hubschrauberrotoren und blickt auf. Ein Geräusch, das bei Vietnam-Veteranen Erinnerungen weckt. Erinnerungen woran?, fragt er sich. Manche Erinnerungen sollten besser begraben bleiben.
Hubschrauber und Flugzeuge kreisen wie Geier über dem Tal. Die Flugzeuge sprühen das Pflanzengift, die Hubschrauber bieten ihnen Feuerschutz, denn einige gomeros – so heißen die Opiumbauern
... mehr
– verteidigen ihren Besitz. Mit einem gut gezielten Feuerstoß aus der Kalaschnikow kann man einen Hubschrauber ohne weiteres vom Himmel holen. Das weiß Keller nur zu gut. Wird der Heckrotor getroffen, trudelt das Ding zu Boden wie ein Spielzeugflieger auf einer Kindergeburtstagsparty. Und trifft man den Piloten, dann prost Mahlzeit ... Bis jetzt hatten sie aber Glück. Entweder sind die Gomeros schlechte Schützen, oder sie haben keine Erfahrung mit Hubschraubern.
Formell handelt es sich um mexikanisches Fluggerät – Operation Condor ist ein Gemeinschaftsunternehmen des Neunten mexikanischen Armeekorps und der Provinz Sinaloa –, aber die Flugzeuge werden von der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA finanziert, und die Piloten rekrutieren sich zumeist aus ehemaligen CIA-Angehörigen der alten Vietnamtruppe. Wenn das kein Witz ist, denkt Keller – die Jungs von Air America, die früher Heroin für thailändische Warlords geflogen haben, rücken nun dem mexikanischen Opium mit Entlaubungsgiften zu Leibe.
Die DEA wollte Agent Orange einsetzen, aber dagegen hatten sich die Mexikaner gesträubt. Also kam das neue Mittel 2,4-D zum Einsatz, mit dem die Mexikaner vor allem deshalb einverstanden waren, weil die Gomeros dieses Zeug sowieso als Unkrautvertilgungsmittel benutzen.
Es gibt also genug davon.
Klar, denkt Keller, die Mexikaner entscheiden, was hier passiert. Wir Amerikaner sind nur die »Berater«.
Wie in Vietnam.
Nur die Basecaps haben sich geändert.
Der amerikanische Drogenkrieg hat eine neue Front in Mexiko eröffnet. Gegenwärtig stoßen zehntausend mexikanische Soldaten in dieses Tal nahe der Stadt Badiraguato vor – zur Unterstützung der mexikanischen Bundespolizei und der DEA-Berater, zu denen auch Keller gehört. Die meisten kommen zu Fuß, andere sind beritten, treiben Rinder vor sich her, als wären sie vaqueros, mexikanische Cowboys. Ihr Befehl lautet ganz simpel: Vergiftet die Mohnfelder und verbrennt alles, was übrig ist, fahrt unter die Gomeros wie der Hurrikan unters trockene Laub, zerstört die Heroin-Rohstoffbasis hier in den Bergen von Westmexiko.
Die Sierra Occidental bietet die ideale Kombination aus Höhenlage, Regenmenge und Bodensäuregehalt für das Gedeihen von papaver somniferum, der Mohnsorte, aus der »Mexican Mud« gewonnen wird, ein starkes, billiges, braunes Heroin, das den amerikanischen Markt überschwemmt.
Wieso eigentlich Operation Condor?, denkt Keller.
Seit sechzig Jahren hat man am mexikanischen Himmel keinen Kondor gesehen, und aus den Staaten ist er schon viel früher verschwunden. Aber jede Operation braucht einen Namen, sonst glauben wir nicht an sie – also Condor. Warum nicht?
Keller hat sich ein bisschen schlaugemacht, was diesen Vogel betrifft. Es ist (war) der größte aller Raubvögel, obwohl dieser Begriff ein wenig irreführend ist, denn statt zu jagen, betätigt sich der Kondor lieber als Aasfresser. Ein ausgewachsener Kondor, hat Keller gelesen, könnte ohne weiteres einen kleinen Hirsch reißen, aber er wartet lieber, bis ein Tier auf andere Weise zu Tode kommt und er nur von oben einzuschweben braucht, um es sich zu schnappen.
Genau wie wir, denkt Keller.
Operation Condor.
Und wieder ein Vietnam-Flashback.
Der Tod von oben.
Da hocke ich nun im Gestrüpp, zitternd vor Kälte an diesem feuchten Gebirgsmorgen, und liege auf der Lauer.
Wie damals.
Nur dass ich diesmal keinen Vietcong-Kader im Visier habe, sondern den alten Don Pedro Äviles, den Drogenboss von Sinaloa, el patrön persönlich. Seit einem halben Jahrhundert schon versorgt Don Pedro den Markt mit dem hier erzeugten Opium, lange bevor Bugsy Siegel kam, mit Virginia Hill im Schlepptau, um der kalifornischen Mafia eine stetig sprudelnde Heroinquelle zu sichern.
Siegel schloss einen Deal mit dem jungen Don Pedro Äviles, der seine neue Machtposition dazu nutzte, sich zum patrön zu erheben, zum Boss, und diesen Posten bekleidet er bis heute. Doch neuerdings gerät seine Macht ins Wanken – seit ihm ein paar junge Kerle den Respekt verweigern. Ein Naturgesetz, denkt Keller, die jungen Löwen bringen die alten irgendwann zu Fall. Ganze Nächte hat er in seinem Hotelzimmer in Culiacán wachgelegen – die Schießereien in den Straßen sind inzwischen so alltäglich, dass sich die Stadt den Spottnamen Little Chicago redlich verdient hat.
Nun, vielleicht ist ab heute Ruhe.
Wenn du Don Pedro verhaftest, machst du diesen Fehden ein Ende. Und kannst dich als Held feiern lassen, denkt er ein wenig schuldbewusst.
Keller ist ein überzeugter Befürworter des Drogenkriegs. Aufgewachsen im Barrio Logan von San Diego, hat er mit eigenen Augen gesehen, was das Heroin in solch einem Viertel anrichten kann, besonders wenn es ein armes Viertel ist. Hier geht es darum, die Drogen von der Straße wegzukriegen, ermahnt er sich, nicht um deine Karriere.
Andererseits braucht er sich, wenn er den alten Äviles zur Strecke bringt, um seine Karriere nicht zu sorgen. Und die könnte, wenn er ganz ehrlich ist, einen kleinen Schub gebrauchen.
Die DEA ist eine junge Behörde, kaum zwei Jahre alt. Als Präsident Nixon den Drogenkrieg ausrief, brauchte er Soldaten. Die meisten wurden aus der Vorgängerbehörde übernommen, etliche wurden in den Polizeieinrichtungen des Landes rekrutiert, aber in der Startmannschaft waren nicht wenige vertreten, die direkt von der Firma kamen.
Keller war einer von ihnen. Ein Company Cowboy.
So nennen die Cops diejenigen, die von der CIA kommen – um ihnen dann mit Ablehnung und Misstrauen zu begegnen.
Eigentlich zu Unrecht, denkt Keller. Im Grunde machen sie bei der DEA dasselbe – Informationen sammeln. Du suchst dir deine Zuträger, baust sie auf, steuerst sie und verwertest die Informationen, die sie dir liefern. Der große Unterschied zum alten Job: Früher haben sie die Zielpersonen noch verhaftet, jetzt bringt man sie einfach um.
Nach dem Vorbild von Operation Phoenix, der programmierten Vernichtung des Vietcong.
Mit den Killerkommandos hatte Keller in Vietnam nicht allzu viel zu tun. Er musste die Rohdaten sammeln und auswerten. Die Dreckarbeit machten dann die anderen, meist Spezialeinheiten im Sold der Firma.
Sie rückten immer nachts aus, erinnert sich Keller. Blieben manchmal tagelang weg, trudelten im Morgengrauen wieder ein, völlig überdreht vom Dexedrin. Dann verzogen sie sich in ihre Kojen und schliefen tagelang durch, bis sie wieder rausmussten, zum nächsten Einsatz.
Ein paarmal, wenn es Hinweise auf eine größere Feindkonzentration gab, war Keller mit den Jungs von den Special Forces rausgefahren, hatte beim Legen eines nächtlichen Hinterhalts geholfen.
Aber begeistert hatte ihn das nicht. Meistens hatte er einfach nur Angst, aber er machte seinen Job, sparte nicht mit Munition, gab seinen Kumpels Feuerschutz und kam lebend wieder raus. Aber er hat Dinge gesehen, die er am liebsten vergessen möchte.
Ich muss mit der Tatsache leben, denkt Keller, dass ich Namen von Menschen auf ein Stück Papier geschrieben habe und damit ihr Todesurteil gefällt habe. Wer das hinter sich hat, kann nur noch zusehen, dass er möglichst sauber durch diese dreckige Welt kommt.
Aber dieser verdammte Krieg.
Dieser verdammte, beschissene Krieg.
Wie viele andere hat auch er den Abflug der letzten Hubschrauber aus Saigon im Fernsehen verfolgt, wie viele andere Kriegsveteranen hat auch er sich an dem Abend, als das Angebot kam, zur neu gegründeten DEA zu wechseln, sinnlos besoffen, und er war von Anfang an dabei.
Aber erst hat er mit Althie drüber gesprochen.
»Vielleicht ist das mal ein sinnvoller Krieg«, hat er zu seiner Frau gesagt. »Vielleicht können wir den sogar gewinnen.«
Und jetzt, denkt Keller, während er hier hockt und auf Don Pedro lauert, stehen wir vielleicht kurz davor.
Seine Beine tun weh vom Stillsitzen, aber er rührt sich nicht vom Fleck. Das hat er in Vietnam gelernt. Die Mexikaner, die um ihn herum im Gestrüpp postiert sind, sind genauso diszipliniert – zwanzig Special Agents vom mexikanischen Geheimdienst DFS in Tarnkleidung, ausgerüstet mit Uzis.
Nur Tío Barrera ist im Anzug erschienen.
Selbst hier oben im wilden Hochland trägt der Sonderbeauftragte des Gouverneurs einen schwarzen Markenanzug mit blütenweißem Hemd und schwarzer Seidenkrawatte. Er wirkt entspannt und heiter, ein Musterbild lateinamerikanischer Männlichkeit.
Ganz wie die Filmstars der vierziger Jahre, denkt Keller. Glatt zurückgekämmtes schwarzes Haar, Menjoubärtchen, ein schmales, markantes Gesicht mit Wangenknochen wie aus Granit gemeißelt.
Und Augen, schwarz wie eine Neumondnacht.
Offiziell ist Miguel Ängel Barrera Polizeioffi zier im Dienst der Provinz Sinaloa und Leibwächter des Gouverneurs von Sinaloa, Manuel Sánchez Cerro. Inoffiziell ist er der Mann fürs Grobe, die rechte Hand des Gouverneurs. Und da Operation Condor, rein technisch gesprochen, eine Aktion der Provinz Sinaloa ist, ist Barrera hier der Boss.
Und was bin ich?, fragt sich Keller. Wenn ich’s recht bedenke, ist Barrera auch mein Boss.
© Suhrkamp Verlag
Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
Formell handelt es sich um mexikanisches Fluggerät – Operation Condor ist ein Gemeinschaftsunternehmen des Neunten mexikanischen Armeekorps und der Provinz Sinaloa –, aber die Flugzeuge werden von der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA finanziert, und die Piloten rekrutieren sich zumeist aus ehemaligen CIA-Angehörigen der alten Vietnamtruppe. Wenn das kein Witz ist, denkt Keller – die Jungs von Air America, die früher Heroin für thailändische Warlords geflogen haben, rücken nun dem mexikanischen Opium mit Entlaubungsgiften zu Leibe.
Die DEA wollte Agent Orange einsetzen, aber dagegen hatten sich die Mexikaner gesträubt. Also kam das neue Mittel 2,4-D zum Einsatz, mit dem die Mexikaner vor allem deshalb einverstanden waren, weil die Gomeros dieses Zeug sowieso als Unkrautvertilgungsmittel benutzen.
Es gibt also genug davon.
Klar, denkt Keller, die Mexikaner entscheiden, was hier passiert. Wir Amerikaner sind nur die »Berater«.
Wie in Vietnam.
Nur die Basecaps haben sich geändert.
Der amerikanische Drogenkrieg hat eine neue Front in Mexiko eröffnet. Gegenwärtig stoßen zehntausend mexikanische Soldaten in dieses Tal nahe der Stadt Badiraguato vor – zur Unterstützung der mexikanischen Bundespolizei und der DEA-Berater, zu denen auch Keller gehört. Die meisten kommen zu Fuß, andere sind beritten, treiben Rinder vor sich her, als wären sie vaqueros, mexikanische Cowboys. Ihr Befehl lautet ganz simpel: Vergiftet die Mohnfelder und verbrennt alles, was übrig ist, fahrt unter die Gomeros wie der Hurrikan unters trockene Laub, zerstört die Heroin-Rohstoffbasis hier in den Bergen von Westmexiko.
Die Sierra Occidental bietet die ideale Kombination aus Höhenlage, Regenmenge und Bodensäuregehalt für das Gedeihen von papaver somniferum, der Mohnsorte, aus der »Mexican Mud« gewonnen wird, ein starkes, billiges, braunes Heroin, das den amerikanischen Markt überschwemmt.
Wieso eigentlich Operation Condor?, denkt Keller.
Seit sechzig Jahren hat man am mexikanischen Himmel keinen Kondor gesehen, und aus den Staaten ist er schon viel früher verschwunden. Aber jede Operation braucht einen Namen, sonst glauben wir nicht an sie – also Condor. Warum nicht?
Keller hat sich ein bisschen schlaugemacht, was diesen Vogel betrifft. Es ist (war) der größte aller Raubvögel, obwohl dieser Begriff ein wenig irreführend ist, denn statt zu jagen, betätigt sich der Kondor lieber als Aasfresser. Ein ausgewachsener Kondor, hat Keller gelesen, könnte ohne weiteres einen kleinen Hirsch reißen, aber er wartet lieber, bis ein Tier auf andere Weise zu Tode kommt und er nur von oben einzuschweben braucht, um es sich zu schnappen.
Genau wie wir, denkt Keller.
Operation Condor.
Und wieder ein Vietnam-Flashback.
Der Tod von oben.
Da hocke ich nun im Gestrüpp, zitternd vor Kälte an diesem feuchten Gebirgsmorgen, und liege auf der Lauer.
Wie damals.
Nur dass ich diesmal keinen Vietcong-Kader im Visier habe, sondern den alten Don Pedro Äviles, den Drogenboss von Sinaloa, el patrön persönlich. Seit einem halben Jahrhundert schon versorgt Don Pedro den Markt mit dem hier erzeugten Opium, lange bevor Bugsy Siegel kam, mit Virginia Hill im Schlepptau, um der kalifornischen Mafia eine stetig sprudelnde Heroinquelle zu sichern.
Siegel schloss einen Deal mit dem jungen Don Pedro Äviles, der seine neue Machtposition dazu nutzte, sich zum patrön zu erheben, zum Boss, und diesen Posten bekleidet er bis heute. Doch neuerdings gerät seine Macht ins Wanken – seit ihm ein paar junge Kerle den Respekt verweigern. Ein Naturgesetz, denkt Keller, die jungen Löwen bringen die alten irgendwann zu Fall. Ganze Nächte hat er in seinem Hotelzimmer in Culiacán wachgelegen – die Schießereien in den Straßen sind inzwischen so alltäglich, dass sich die Stadt den Spottnamen Little Chicago redlich verdient hat.
Nun, vielleicht ist ab heute Ruhe.
Wenn du Don Pedro verhaftest, machst du diesen Fehden ein Ende. Und kannst dich als Held feiern lassen, denkt er ein wenig schuldbewusst.
Keller ist ein überzeugter Befürworter des Drogenkriegs. Aufgewachsen im Barrio Logan von San Diego, hat er mit eigenen Augen gesehen, was das Heroin in solch einem Viertel anrichten kann, besonders wenn es ein armes Viertel ist. Hier geht es darum, die Drogen von der Straße wegzukriegen, ermahnt er sich, nicht um deine Karriere.
Andererseits braucht er sich, wenn er den alten Äviles zur Strecke bringt, um seine Karriere nicht zu sorgen. Und die könnte, wenn er ganz ehrlich ist, einen kleinen Schub gebrauchen.
Die DEA ist eine junge Behörde, kaum zwei Jahre alt. Als Präsident Nixon den Drogenkrieg ausrief, brauchte er Soldaten. Die meisten wurden aus der Vorgängerbehörde übernommen, etliche wurden in den Polizeieinrichtungen des Landes rekrutiert, aber in der Startmannschaft waren nicht wenige vertreten, die direkt von der Firma kamen.
Keller war einer von ihnen. Ein Company Cowboy.
So nennen die Cops diejenigen, die von der CIA kommen – um ihnen dann mit Ablehnung und Misstrauen zu begegnen.
Eigentlich zu Unrecht, denkt Keller. Im Grunde machen sie bei der DEA dasselbe – Informationen sammeln. Du suchst dir deine Zuträger, baust sie auf, steuerst sie und verwertest die Informationen, die sie dir liefern. Der große Unterschied zum alten Job: Früher haben sie die Zielpersonen noch verhaftet, jetzt bringt man sie einfach um.
Nach dem Vorbild von Operation Phoenix, der programmierten Vernichtung des Vietcong.
Mit den Killerkommandos hatte Keller in Vietnam nicht allzu viel zu tun. Er musste die Rohdaten sammeln und auswerten. Die Dreckarbeit machten dann die anderen, meist Spezialeinheiten im Sold der Firma.
Sie rückten immer nachts aus, erinnert sich Keller. Blieben manchmal tagelang weg, trudelten im Morgengrauen wieder ein, völlig überdreht vom Dexedrin. Dann verzogen sie sich in ihre Kojen und schliefen tagelang durch, bis sie wieder rausmussten, zum nächsten Einsatz.
Ein paarmal, wenn es Hinweise auf eine größere Feindkonzentration gab, war Keller mit den Jungs von den Special Forces rausgefahren, hatte beim Legen eines nächtlichen Hinterhalts geholfen.
Aber begeistert hatte ihn das nicht. Meistens hatte er einfach nur Angst, aber er machte seinen Job, sparte nicht mit Munition, gab seinen Kumpels Feuerschutz und kam lebend wieder raus. Aber er hat Dinge gesehen, die er am liebsten vergessen möchte.
Ich muss mit der Tatsache leben, denkt Keller, dass ich Namen von Menschen auf ein Stück Papier geschrieben habe und damit ihr Todesurteil gefällt habe. Wer das hinter sich hat, kann nur noch zusehen, dass er möglichst sauber durch diese dreckige Welt kommt.
Aber dieser verdammte Krieg.
Dieser verdammte, beschissene Krieg.
Wie viele andere hat auch er den Abflug der letzten Hubschrauber aus Saigon im Fernsehen verfolgt, wie viele andere Kriegsveteranen hat auch er sich an dem Abend, als das Angebot kam, zur neu gegründeten DEA zu wechseln, sinnlos besoffen, und er war von Anfang an dabei.
Aber erst hat er mit Althie drüber gesprochen.
»Vielleicht ist das mal ein sinnvoller Krieg«, hat er zu seiner Frau gesagt. »Vielleicht können wir den sogar gewinnen.«
Und jetzt, denkt Keller, während er hier hockt und auf Don Pedro lauert, stehen wir vielleicht kurz davor.
Seine Beine tun weh vom Stillsitzen, aber er rührt sich nicht vom Fleck. Das hat er in Vietnam gelernt. Die Mexikaner, die um ihn herum im Gestrüpp postiert sind, sind genauso diszipliniert – zwanzig Special Agents vom mexikanischen Geheimdienst DFS in Tarnkleidung, ausgerüstet mit Uzis.
Nur Tío Barrera ist im Anzug erschienen.
Selbst hier oben im wilden Hochland trägt der Sonderbeauftragte des Gouverneurs einen schwarzen Markenanzug mit blütenweißem Hemd und schwarzer Seidenkrawatte. Er wirkt entspannt und heiter, ein Musterbild lateinamerikanischer Männlichkeit.
Ganz wie die Filmstars der vierziger Jahre, denkt Keller. Glatt zurückgekämmtes schwarzes Haar, Menjoubärtchen, ein schmales, markantes Gesicht mit Wangenknochen wie aus Granit gemeißelt.
Und Augen, schwarz wie eine Neumondnacht.
Offiziell ist Miguel Ängel Barrera Polizeioffi zier im Dienst der Provinz Sinaloa und Leibwächter des Gouverneurs von Sinaloa, Manuel Sánchez Cerro. Inoffiziell ist er der Mann fürs Grobe, die rechte Hand des Gouverneurs. Und da Operation Condor, rein technisch gesprochen, eine Aktion der Provinz Sinaloa ist, ist Barrera hier der Boss.
Und was bin ich?, fragt sich Keller. Wenn ich’s recht bedenke, ist Barrera auch mein Boss.
© Suhrkamp Verlag
Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
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Autoren-Porträt von Don Winslow
Don Winslow wurde 1953 in der Nacht zu Halloween in New York geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in South Kingstown, Rhode Island, einer Kleinstadt am Atlantik. Sein Vater, der ihm Geschichten von seiner Zeit bei der Marine erzählte, beflügelte seine Fantasie und erweckte in ihm den Wunsch, eines Tages Schriftsteller zu werden.Schon früh kam Winslow mit den Themen und Figuren in Berührung, die später eine so prominente Rolle in seinen Büchern spielen sollten. Einige Mafiagrößen des Patriarca-Syndikats lebten in seiner Nachbarschaft, und seine eigene Großmutter arbeitete Ende der 60er für den berüchtigten Mafiaboss Carlos Marcello, den mutmaßlichen Drahtzieher des Kennedy-Attentats, der den späteren Autor mehrere Male zu sich einlud.
Nach seinem Schulabschluss kehrte Don Winslow in seine Geburtsstadt New York zurück. Bevor er mit dem Schreiben begann, verdiente er sein Geld unter anderem als Kinobetreiber, als Fremdenführer auf afrikanischen Safaris und chinesischen Teerouten, als Unternehmensberater und immer wieder als Privatdetektiv.
Auch als Schriftsteller ist Don Winslow unermüdlich. Jeden Morgen um fünf setzt er sich an den Schreibtisch. Mittags läuft er sieben Meilen, in Gedanken immer noch bei seinen Figuren, um dann am Nachmittag weiterzuarbeiten. Dabei schreibt er mindestens an zwei Büchern gleichzeitig. Schreibblockaden kennt er nicht, im Gegenteil: Winslow sagt von sich, dass er bislang nur fünf Tage durchgehalten habe, ohne zu schreiben. Es ist eine Sucht, die bis heute ein Werk hervorgebracht hat, dessen Qualität, Vielseitigkeit und Spannung Don Winslow zu einem der ganz Großen des zeitgenössischen Krimis machen.
Don Winslow wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Krimi Preis (International) 2011 für Tage der Toten. Für die New York Times zählt Don Winslow zu einem der ganz Großen amerikanischen Krimi-Autoren.
Bibliographische Angaben
- Autor: Don Winslow
- 2010, 689 Seiten, Maße: 13,1 x 21 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Hirte, Chris
- Übersetzer: Chris Hirte
- Verlag: Suhrkamp
- ISBN-10: 3518462008
- ISBN-13: 9783518462003
- Erscheinungsdatum: 20.09.2010
Rezension zu „Tage der Toten / Art Keller Bd.1 “
"Ein faszinierender Roman, ein blutiges Epos, eine Tragödie voller Politik, Verbrechen und Gewalt."Peter Körte, Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.09.2010
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