Tea-Bag
Das Leben von Jesper Humlin, eines gefeierten Lyrikers, verläuft nicht immer in ebenen Bahnen. Als er gerade den Problemen mit seiner Freundin, seinem Verleger und seiner alten Mutter zu entkommen versucht, trifft er auf eine Gruppe junger...
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Das Leben von Jesper Humlin, eines gefeierten Lyrikers, verläuft nicht immer in ebenen Bahnen. Als er gerade den Problemen mit seiner Freundin, seinem Verleger und seiner alten Mutter zu entkommen versucht, trifft er auf eine Gruppe junger Flüchtlingsmädchen. Als eine von ihnen in Schwierigkeiten gerät, beschwört er ungeahnte Verwicklungen herauf, als er ihr helfen will.
Erfolgsautor Henning Mankell mal ganz anders: kein Krimi, aber genauso packend.
Tea-Bag ist ein Flüchtlingsmädchen aus dem Sudan. In Schweden begegnet sie einem gefeierten Autor ... Ein bewegender Gesellschaftsroman von Henning Mankell.
Jesper Humlin hat es nicht leicht. Er ist ein gefeierter Lyriker, doch sein Verleger besteht darauf, daß er endlich einen Kriminalroman schreibt. Seine Freundin will ein Kind von ihm, der Kurs seiner Wertpapiere ist gefallen, und seine über achtzigjährige Mutter hat eine Agentur für Telefonsex eröffnet. Dann lernt er bei einer Lesung im Boxclub eines alten Freundes Tea-Bag und ihre Freundinnen kennen.
Tea-Bag ist ein schwarzes Flüchtlingsmädchen aus dem Sudan. Sie und ihre Freundinnen wollen Schriftstellerinnen werden und bei Jesper Humlin in die Lehre gehen. Nach und nach erfährt er ihre Geschichten: von Tea-Bag und dem unsichtbaren Affen, von Tanja, der Russin, die massenhaft Handys klaut und mit dem Dietrich hantiert wie andere Frauen mit dem Lippenstift, und von Leyla, die einen jungen Schweden liebt und vor dem Zorn ihrer iranischen Sippe flieht. Als Jesper Humlin versucht, die Mädchen vor der Polizei in Sicherheit zu bringen, beschwört er ungeahnte Verwicklungen herauf ...
Tea-Bag von Henning Mankell
LESEPROBE
Olof Lundin warübergewichtig, er hatte ein Rudergerät zwischen den Manuskriptstapeln stehen,die den Boden bedeckten, und einen Blutdruckmesser neben dem überfülltenAschenbecher. Es war einer der heißesten Kämpfe in der Geschichte des Verlagsgewesen, als die oberste Leitung in Zusammenarbeit mit den verschiedenenGewerkschaften, die im Hause vertreten waren, im Verlag ein absolutesRauchverbot eingeführt hatte. Olof Lundin hatte sich strikt geweigert. Er hattemitgeteilt, daß er mit sofortiger Wirkung kündigen würde, wenn er nichtweiterhin in seinem eigenen Zimmer rauchen dürfte. Da es einen Graphiker mitder gleichen Einstellung gab, dem die Erlaubnis verweigert wurde, hatte derKonflikt bis in die Chefetage geführt. Der Verlag, seit über hundert Jahren imFamilienbesitz, war vor zehn Jahren überraschend an eine französischeÖlgesellschaft verkauft worden. Die großen Gewinne aus den angolanischenÖlquellen, für die das Unternehmen die Nutzungsrechte besaß, sollten in dieMedienbranche investiert werden. Die Direktoren der Ölgesellschaft hatten dieSache mit Olof Lundins Ablehnung des Rauchverbots auf ihren Tisch bekommen.Schließlich hatte man sich auf einen Kompromiß geeinigt, der darauf hinauslief,daß in seinem Zimmer eine starke Belüftungsanlage installiert wurde. Für dieKosten hatte er allerdings persönlich aufzukommen.
Jesper Humlin entfernte ein paar Manuskripte von einem Stuhl und nahm inmittender Rauchschwaden Platz. In dem Zimmer war es eiskalt, da die Belüftungsanlagemit voller Kraft Luft von draußen ansog. Olof Lundin trug Mütze und Handschuhe.
-Wie verkauft sich das Buch?
-Welches von ihnen?
Jesper Humlin seufzte.
-Das letzte.
-Erwartungsgemäß.
-Was heißt das?
-Nicht so gut wie erwartet.
-Vielleicht könntest du dich etwas deutlicher ausdrücken?
-Wir erwarten nicht, daß sich eine Gedichtsammlung mit mehr als höchstens 1000Exemplaren verkauft. Das entspricht unserer Erwartung. Bis heute haben wir vondeinem letzten Buch 1100 Exemplare verkauft.
-Dann hat es sich also über Erwarten verkauft?
-Eigentlich nicht.
-Kannst du das erklären?
-Was verstehst du daran nicht?
-Wenn von einem Buch mehr verkauft wird, als ihr erwartet, kann das nichtbedeuten, daß es gleichzeitig die Erwartungen nicht erfüllt hat.
-Wir erwarten natürlich immer, daß unsere Erwartungen zu niedrig angesetztsind.
Jesper Humlin schüttelte den Kopf und zog die Jacke enger um den Körper. Erfror. Olof Lundin schob ein paar Papierhaufen auf dem Schreibtisch beiseite, sodaß er freie Sicht auf Jesper Humlin hatte.
-Wie geht es mit dem neuen Buch?
-Ich habe gerade erst eins veröffentlicht. Ich bin keine Fabrik.
-Wie geht es mit dem Buch, das du bald zu schreiben beginnen wirst?
-Das weiß ich nicht.
-Ich hoffe natürlich, daß es gut gehen wird.
-Das hoffe ich auch.
-Ich möchte dir gerne einen Rat geben.
-Welchen?
-Schreib es nicht.
Jesper Humlin starrte seinen Verleger an.
-Ist das dein Rat?
-Ja.
-Du meinst, ich soll das Buch nicht schreiben, von dem du hoffst, daß ich gutdamit vorankommen werde?
Olof Lundin zeigte vielsagend zur Decke.
-Die Direktoren sind besorgt.
-Soll ich vielleicht eine Gedichtsammlung über Öl schreiben?
-Mach dich nur lustig. Aber ich habe sie dauernd am Hals. Sie wollen einenbesseren Ertrag sehen.
-Was bedeutet das?
-Ein Buch, das sich nicht garantiert in mindestens 50000 Exemplaren verkauft,sollte nicht veröffentlicht werden.
Jesper Humlin staunte.
-Wie viele von den Büchern, die du publizierst, verkaufen sich in 50000Exemplaren?
-Keines, antwortete Olof Lundin munter.
-Wird der Verlag also seine Tätigkeit einstellen?
-Keineswegs. Vielmehr werden wir anfangen, Bücher zu publizieren, die sich in50000 Exemplaren verkaufen.
-In der schwedischen Literaturgeschichte dürfte es kaum vorgekommen sein, daßeine Gedichtsammlung in einer Erstauflage von 50000 Exemplaren erschienen ist.
-Gerade deshalb rate ich dir, das Buch nicht zu schreiben, das du dirvorgestellt hast. Von dem ich natürlich hoffe, daß es gut werden wird.
Jesper Humlin bekam allmählich Magenschmerzen von dem, was Olof Lundin sagte.War er im Begriff, auf der schwarzen Liste zu landen? Einer von den Autoren zuwerden, die der Verlag loswerden wollte?
-Willst du, daß ich den Verlag verlasse?
-Aber nein. Warum solltest du den Verlag verlassen? Habe ich nicht immerbetont, daß du einer der zeitgenössischen Ecksteine des Verlags bist?
-Es gefällt mir nicht, als ein Mensch aus Zement beschrieben zu werden.Außerdem verkaufe ich nicht 50000 Gedichtsammlungen. Das weißt du genausogutwie ich.
-Gerade deshalb möchte ich nicht, daß du das Buch schreibst, das du im Sinnhast. Ich möchte, daß du etwas anderes schreibst.
-Was?
-Einen Kriminalroman.
Jesper Humlin fand plötzlich, daß Olof Lundins Gesicht in dem dichten Rauch,der durchs Zimmer wirbelte, eine unangenehme Ähnlichkeit mit den Zügen vonViktor Leander annahm.
-Ich bin Poet. Ich schreibe keine Kriminalromane. Ich will das nicht. Meinerkünstlerischen Integrität ist es zu danken, daß man mir Respekt zollt. Außerdemweiß ich nicht, wie man es macht.
Olof Lundin stand auf, schob mit dem Fuß ein paar Manuskripte zur Seite, setztesich in das Rudergerät und begann, mit langen Zügen zu rudern.
-Bist du sicher, daß du nicht weißt, wie man es macht?
Jesper Humlin fiel es jedesmal aufs neue schwer, sich zu konzentrieren, wenn ermit einem Mann sprach, der auf dem Boden saß und ruderte.
-Ich mag keine Kriminalromane. Ich finde sie langweilig. Es interessiert michnicht, etwas zu lesen, bei dem es nur darum geht, daß man den Falschen für denMörder hält.
-Das ist ausgezeichnet. Es ist genau das, was ich dachte.
-Mußt du unbedingt rudern?
-Ich kümmere mich um meinen Blutdruck. Mein Arzt sagt, daß ich in viereinhalbJahren sterbe, wenn ich nicht regelmäßig Sport treibe.
-Warum gerade viereinhalb?
-Dann geht mein Arzt in Pension. Er will sich auf den Azoren niederlassen.
-Wieso?
-Dort soll es die gesündeste Bevölkerung der Welt geben.
-Ich schreibe keinen Kriminalroman.
Olof Lundin stützte sich auf die Ruder.
-Es freut mich, das zu hören.
-Freut dich das? Bevor du mit dem Rudern anfingst, hast du gesagt, du möchtest,daß ich einen Kriminalroman schreibe.
-Ich bin jetzt ungefähr in Möja.
-Was meinst du damit?
-Ich rudere einmal im Monat nach Finnland und zurück.
Jesper Humlin fühlte sich langsam erschöpft.
-Ich schreibe keinen Kriminalroman. Damit du es nur weißt. Was verstehenÖldirektoren von Literatur?
Olof Lundin hatte wieder mit dem Rudern angefangen.
-Nichts.
-Ich werde im Frühjahr eine Gedichtsammlung abliefern.
-Einen Kriminalroman, meinst du?
-Ich schreibe keinen Kriminalroman. Wie oft muß ich das noch sagen?
-Du wirst einen Knüller landen. Ein bedeutender Poet, der einen Kriminalromanweder schreiben will noch kann, hat garantiert Erfolg. Er wird anders sein.Aber gut. Vielleicht wird es ein philosophischer Kriminalroman?
-Wenn du meine Gedichte nicht haben willst, gibt es andere Verlage, die nichtim Besitz von verrückten Öldirektoren sind.
Olof Lundin ließ die Ruder los und stand auf. Nachdem er sich eine Zigaretteangesteckt hatte, spannte er den Blutdruckmesser ums Handgelenk.
-Mißt man den Blutdruck nicht erst, nachdem man geruht hat?
-Ich will nur den Puls kontrollieren. Selbstverständlich möchte ich deineGedichte haben.
-Sie verkaufen sich nicht in 50000 Exemplaren.
-Dein Kriminalroman schafft das.
-Ich schreibe keinen Kriminalroman. Ich bin Poet.
-Du schreibst deine Gedichte. Genau wie sonst. Den Kriminalroman schiebst duzwischen die Gedichte.
-Wie meinst du das?
-Der Puls liegt bei 98.
-Dein Puls ist mir im Moment egal. Ich will wissen, was du meinst?
-Es ist ganz einfach. Du schreibst einen Kriminalroman, in dem das Gedicht, dasjedes Kapitel einleitet, einige Hinweise enthält.
-Was für Hinweise?
-Solche, zu deren Entschlüsselung es einer gewissen literarischen Erfahrungbedarf. Ich bin überzeugt, daß dein Buch eine Sensation wird. Ein philosophischerThriller. Jesper Humlin sucht neue Wege. Das wird ein Knüller. Wir werdenmindestens 60000 Exemplare verkaufen.
-Warum nicht 61000?
-Mein Instinkt sagt mir, daß sich dein Roman in genau 60000 Exemplarenverkaufen wird.
Jesper Humlin sah auf die Uhr und erhob sich. Er verspürte ein Bedürfnis, demOrt zu entfliehen, der immer mehr einem nebligen Schlachtfeld glich.
-Heute habe ich eine Lesung in Göteborg. Ich muß los.
-Wann lieferst du das Manuskript ab?
-Ich schreibe keinen Kriminalroman.
-Wenn ich das Manuskript im April bekomme, erscheint das Buch im September. ImTitel sollten wir etwas in der Art von »Das mörderische Gedicht« stehen haben.
© by Deutscher TaschenbuchVerlag
Übersetzung: Verena Reichel
Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der großen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.
- Autor: Henning Mankell
- 2005, 384 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Reichel, Verena
- Übersetzer: Verena Reichel
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423133260
- ISBN-13: 9783423133265
- Erscheinungsdatum: 01.05.2005
Svenska Dagbladet
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