Theo
Antworten aus dem Kinderzimmer
"Theo, wofür würdest du dein gesamtes Taschengeld ausgeben?" – "Für gar nichts, ich hab’ meine Eltern."
Theo ist der Neffe des Bestseller-Autors Daniel Glattauer. Von seiner Geburt an...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Theo “
"Theo, wofür würdest du dein gesamtes Taschengeld ausgeben?" – "Für gar nichts, ich hab’ meine Eltern."
Theo ist der Neffe des Bestseller-Autors Daniel Glattauer. Von seiner Geburt an wurde Theo von seinem Onkel beobachtet und beschrieben. Mit drei gab er sein erstes Interview, seitdem verzückt er Onkel und Umwelt mit seinen Erkenntnissen über die Welt und das Leben. Ein unglaublich lustiges und herzerwärmendes Porträt über ein kleines Kind. Und absolut "glattauerlike".
Klappentext zu „Theo “
Theo ist der Neffe von Bestseller-Autor Daniel Glattauer. Bei seiner Geburt fasste sein Onkel den Entschluss, das Kind beim Älterwerden zu beobachten und zu beschreiben, wie es die Welt der Erwachsenen für sich erobert. Einmal jährlich erschienen Porträts des Ein-, Zwei- und Dreijährigen. Mit drei gab Theo sein erstes Exklusivinterview. Danach war bald klar, dass sein Mitteilungsbedürfnis noch lange nicht gestillt sein würde. Nach Theos vierzehntem Geburtstag wurden die Rollen getauscht und das gemeinsame Projekt würdig abgeschlossen: Theo führte ein Revanche-Interview mit Onkel Daniel. Eines der witzigsten, herzerwärmendsten Bücher, das je über Kinder geschrieben wurde.
Lese-Probe zu „Theo “
Theo - Antworten aus dem Kinderzimmer von Daniel GlattauerOktober 1994
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Als ich Theo kennenlernte, war er ein außergewöhnlich kleiner Mensch. Er lag im Brutkasten, maß 47,5 Zentimeter Länge und behauptete 2570 Gramm Körpergewicht. Neugeborener ging es nicht. Er war seiner geplanten Gegenwärtigkeit im Lichte der Welt stolze dreißig Tage voraus. (Ein Vorsprung, den er bis heute nicht eingebüßt haben sollte.) Die Miniaugenlider waren zugeklappt. Der Mund hatte die Ausprägung und die Form eines Gedankenstrichs. Theo tat nur das Notwendigste, das er zum Leben brauchte (Luft holen), aber dies auf eine bewundernswert friedvolle Weise, in einer Gelassenheit, von der sich so mancher ordentlich etwas abschneiden könnte. Theos Anblick löste heftige Reaktionen rund um die Glasglocke aus. Wer ihn so sah, konnte gar nicht anders, als sich zu überlegen, was aus ihm einmal werden würde.
Einer von denen, die so dachten, war ich. Und ich hatte dabei einen schriftstellerischen Hintergedanken, der sogleich in den Vordergrund drängte und rasch den ganzen Kopf besetzte: Wie wäre es, einen Menschen zu beschreiben, der gerade erst begonnen hatte, ein solcher zu sein? Und ein Jahr später wieder, da wäre er dann schon wirklich wer. Und ein Jahr später wieder, da wäre er doppelt so alt wie der, der er gerade noch war. Und ein Jahr später wieder. Und wieder. Und immer wieder. Jedes Jahr. Meine Leser dürften stellvertretend für die Weltöffentlichkeit am Werdegang eines Neugeborenen Anteil nehmen, dabei zu sehen, wie sich sein Ich entfaltet, wohin es ihn treibt, was ihn prägt, was er erlebt, was ihn beschäftigt, was er erzählt, wie er auf dem Bestehenden aufbaut und sich dennoch immer neu erfindet, wie er mit jedem Einzelnen von uns um die Wette reift und altert. Er soll es sein, der für uns die Jahresringe zeichnet. Er soll es sein, der für uns die Vergänglichkeit misst. Er hilft dem Lauf der Zeit auf die Sprünge, macht ihm Beine, stellt ihm sein Schuhwerk zur Verfügung.
Da lag er nun friedlich im Brutkasten. Theo, mein Neffe, mein Auserkorener, mein Held, mein Opfer, Instrument meines schriftstellerischen Ehrgeizes. Das Projekt konnte beginnen. Ach ja, eine 47,5 Zentimeter kleine Kleinigkeit war dabei wohl noch zu berücksichtigen: er! Er musste sich dafür hergeben. Er musste mitspielen. Ich brauchte sein Einverständnis. Ich brauchte sein Jawort. »Theo, ich bin's, dein Onkel«, flüsterte ich ihm durch die Glaswand zu. »Nur eine kleine Frage: Lässt du dich von mir jährlich porträtieren?« - Keine Regung, kein Signal. »Theo, wenn du dagegen bist, öffne die Augen. Wenn du dabei bist, dann lass sie zu.« Ich wartete drei Minuten. Die Antwort war eindeutig.
Theo telefoniert
Es gibt noch einen dritten Grund, warum Theo die Sprache liebt. Erstens klingt sie gut. Zweitens erzwingt man damit scheinbar unerreichbare Küchengeräte. Drittens, und das ist wirklich eine feine Sache: Man kann telefonieren.
Ein Telefongespräch mit Theo ist nicht nur für ihn selbst ein Erlebnis. (Wenn seine Eltern einverstanden sind, geben wir Ihnen die Festnetz-Nummer, dann können Sie es selbst einmal ausprobieren. Rechnen Sie allerdings schon jetzt damit, dass dieser Anschluss nur selten nicht besetzt sein wird.)
Klingelt es in Theos Elternhaus, und es wird abgehoben, bieten sich dem Anrufer zwei Möglichkeiten: Entweder jemand meldet sich, oder Theo ist am Apparat. Im zweiten Fall geht das Freizeichen in gesunde Atemgeräusche, in friedliches Schnaufen über. Es liegt nun am jeweiligen Anrufer selbst, die rauschende Stille zu durchbrechen und das Wort zu ergreifen. Die meisten fragen: »Hallo?« Das ist Theos Stichwort. Darauf hat er sich schon seit dem ersten Klingelsignal gefreut. Denn jetzt sagt er: »Na hallo, hallo, hallo!«
Darauf reagieren die Menschen unterschiedlich. Theo-Unkundigen fällt möglicherweise der Hörer aus der Hand. Denn seine Telefonstimme passt sich dem Umstand an, dass die anrufende Person optisch nicht wahrnehmbar ist, dass sie sich offensichtlich gar nicht im Hause befindet, dass Theo demnach mehr tun muss, als der Person »Na hallo, hallo, hallo!« zuzurufen. Er muss es ihr schon ins Ohr brüllen. (Seine Lippen kleben dabei auf der Telefonmuschel, um den Abstand wenigstens ein bisschen zu verkleinern.) Und wenn Theo einmal brüllt, dann nicht etwa wie ein Löwe, sondern wie ein Löwenbaby auf einem mit dreifacher Geschwindigkeit und maximaler Lautstärke abgespielten Tonband.
Wer mit Theo rechnen durfte, den Hörer weit weg vom Ohr gehalten hat und demnach mit dem Schrecken davongekommen ist, fragt zumeist: »Ja, wer ist denn da?« Oder: »Ist das der Theo?« Unter Umständen wird er an dieser Stelle aus der Leitung geworfen - von Theo höchstpersönlich. Gilt für den Fall, dass diesem der Telefonanruf ungelegen kam, dass er gerade etwas Besseres zu tun hatte und nur einmal kurz »Na hallo, hallo, hallo!« von sich geben wollte.
Ist Theo allerdings in Redelaune und zum Zeitpunkt des Anrufs unverplant, so erwidert er gern: »Ja, wer ist denn da? Wer ist denn da? Ist das der Theo?« Bei blendender Verfassung schließt er noch einmal ein schwungvolles »Na hallo, hallo, hallo!« an. Manchmal fragt er auch unverblümt: »Ich bin der Theo, und wer bist du?« Mitte Mai 1997 verwendete er die Formulierung: »Ich bin der Theo, und mit wem hab' ich das Vergnügen?« Aber das war eine einstudierte Geschichte, mehr so eine Modeerscheinung, kam nicht von Herzen und wurde deshalb bald vergessen.
Vertraute fragen in der Folge oft: »Theo, wie geht's dir denn?« Da schwankt er zwischen »Wie geht's dir denn, wie geht's dir denn?«, »Guuuut«, »Danke, gut«, »Danke gut, und dir?« und »Na hallo, hallo, hallo!« Er soll aber auch schon »Danke, man darf nicht klagen« und »Danke, man lebt« geantwortet haben. Solche Worte würden jedenfalls vorzüglich zu seiner bevorzugten Körperhaltung beim Telefonieren passen: eine Hüfte herausgedreht, Beine über Kreuz, lockeres Wippen auf den Fußballen, sinnierender Blick in die Tiefe des Raumes, Kopf auf jene Hand gestützt, die den Hörer hält, während der Zeigefinger der freien Hand im geringelten Telefonkabel steckt und dort lässig Kreise dreht. Nun kommen die Anrufer zumeist zur Sache und fragen: »Theo, kann ich deine(n) Mama (Papa) sprechen?« - Eine gute Frage verdient eine gute Antwort. Deshalb erwidert Theo gerne: »Nein.« Um den Effekt zu steigern, hängt er manchmal auf. Er macht dies nicht in böser Absicht. Er zeigt damit nur, dass das Telefongespräch mit ihm und somit auch für ihn beendet ist. Wer will, kann ja noch einmal anrufen. Wenn dann die Mama hingeht oder der Papa, so ist das deren Sache. Und wenn das mit dem Telefon nicht funktioniert, weil Theo die Verbindung unterbrochen hat und nicht mehr bereit ist, die Leitung freizugeben, kann sich der Anrufer ja auch persönlich herbemühen. Theos Eltern wohnen ja nicht aus der Welt.
Meistens enden die Gespräche für Theo aber schon während des Telefonats. Da nimmt man ihm mitten drin brutal den Hörer aus der Hand. Da muss er dann leider weinen. Und der jeweilige Superpädagoge, der wieder einmal Fingerspitzengefühl bewiesen hat, straft ihn auch noch mit einem grausamen »Psssst, Theo, ich versteh' überhaupt nichts!«
Noch viel spannender, als angerufen zu werden, ist selbst anzurufen. Es hat den Vorteil, dass Theo schon von vornherein weiß, mit wem er es gleich zu tun haben wird, und sich deshalb entsprechend vorbereiten kann. Angenommen, Theo ruft Tante Lisi an. So entwickelt sich daraus in etwa folgender Dialog. Tante Lisi hebt ab und sagt: »Hallo?« - Rauschen, Atmen, Schnaufen. Tante Lisi: »Hallo?« - Rauschen, Atmen, Schnaufen. Tante Lisi: »Theo, bist du es?« - Rauschen, Atmen, Schnaufen. Tante Lisi: »Theeeeoooo, huuu huuu?« Theo (ohrenbetäubend): »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Ja, hier ist die Tante Lisi.« Theo: »Und hier ist der Theo.« Tante Lisi: »Hallo, Theo!« Theo: »Na hallo, hallo, hal- lo!« Tante Lisi: »Theo, wie geht es dir?« Variante eins: Theo legt auf. Variante zwei: Theo: »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Ja, Theo?«
An dieser Stelle gibt es gut ein Dutzend Varianten. Wir wählen die elfte. Theo: »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Ja, Theo, ich bin ja da.« Theo: »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Theo, komm zur Sache!« - Pause, Rauschen, Atmen, Schnaufen. Theo: »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Ja, Theo, bitte die Pointe!« Theo: »Hör zu, Tante Lisi! - Jakob hat kein Brot im Haus, Jakob kennt sich gar nicht aus, Jakob hin, Jakob her, Jakob ist ein Zottelbär.«
Er lebt für den Fußball
Theo ist sechs -
und trägt die Nummer 6 von Mauerbach
Theo ist reif. Er ist jetzt sechsmal älter als ein Säugling, dreimal so alt wie ein Baby und doppelt so alt wie ein Kleinkind. Kurzum: Er ist reif. Schulreif? Nein, reifer: Er steigt erst nächste Herbstsaison in den Unterricht ein und macht sich heuer ein schönes gemütliches Vorschuljahr, ganz im Zeichen des F... (Moment noch!)
Das Erfreuliche aus der Sicht des Autors: Man kann mit Theo reden wie mit einem Erwachsenen. Er hört zu wie ein Erwachsener. (Mit einem halben, abgewandten Ohr.) Er hört weg wie ein Erwachsener. (Mit eineinhalb zugewandten Ohren.) Er schweigt wie ein Erwachsener. (Am liebsten, wenn er gefragt wird.) Er runzelt die Stirn wie ein Erwachsener. Er leidet darunter, dass ihn neuerdings Gott und die Welt zum Dialog auffordern. Manchmal erbarmt er sich und spricht ein paar Worte.
Unlängst frage ich: »Theo, weißt du schon, was du einmal werden willst?« Er sagt: »Nein. Du?« Ich erwidere: »Ich muss es nicht wissen. Ich bin schon was.« In seinem schiefen Blick sind Anflüge von Respekt erkennbar. »Was bist du?«, fragt er. »Ein Schreiber«, erwidere ich. - »Ah so.« Er seufzt lautlos und blinzelt mir aufmunternd zu. »Ich bin auch schon was«, sagt er dann.
Der Satz kommt eher nebensächlich daher, Theo will mich nicht verletzen. »Was denn?«, frage ich. »Fußballer«, erwidert er. Er sagt es so bescheiden wie möglich.
So. Jetzt ist endlich jenes Wort gefallen, ohne das diese Geschichte exakt an dieser Stelle beendet wäre. Der Fußball ist im Frühjahr 2000 in Theos Leben gerollt, mit einer Dynamik und einem Drall, die alle anderen Themen vermutlich über Jahre hinaus ins Out katapultierten. Wer sich nicht für Fußball interessiert, hat zwei Möglichkeiten: Entweder er vergisst Theo. Oder er lässt sich von ihm bekehren.
Theo hat vier Zugänge zum Fußball. Sein mit Abstand spektakulärster heißt: SC Mauerbach. Dort spielt er in der U-8. (Unter acht; keine neue U-Bahn.) Er ist der jüngste und blondeste Spieler. Die schillernde Nummer 6. Der Mittelfeldmotor. Der Sturmtank. Die Verteidiger(not)bremse. Technisch noch ein ungeschliffenes Rohjuwel, aber ein unermüdlicher Rackerer, der gern Ball und Gegner laufen lässt. Am liebsten läuft er freilich selbst.
Im Herbst hat seine Karriere beim SC Mauerbach begonnen. Da er in der Nähe wohnt, genießt er Heimvorteil. Über die Transfersumme gibt es nur Gerüchte. (Seine Eltern sagen, dass es ganz schön ins Geld geht, ihn ständig zu den auswärtigen Fußballplätzen zu transferieren.) Er hat jedenfalls bereits sieben schwere Turniere in den Beinen. Die Ergebnisse entsprachen voll der Erwartung des Trainers. Der sagte gleich am Anfang: »Kinder, wir sind eine junge, unroutinierte Mannschaft, wir werden eine Zeitlang alles verlieren, stellt euch darauf ein.« Diese Taktik ging voll auf. Mauerbach gegen Königstetten - 1 : 8. Mauerbach gegen Langenrohr - 1 : 6. Tulbing gegen Mauerbach - 5 : 0. Und so weiter. »Es ist wichtig, dass Theo auch das Verlieren lernt«, sagt seine Mama. Weiß sie überhaupt, was sie da sagt? Theo, wie geschaffen für den Sieg, wirft ihr einen abgrundtief verächtlichen Blick zu.
Aber: SC Mauerbach U-8 ist eine mental starke Mannschaft. Nach sechs Niederlagen gelang ein sensationeller 1 : 0-Kantersieg gegen Gablitz. Torschütze: beinahe Theo. Er machte nur wenige Meter entfernt die Räume eng. Frage nach dem Spiel: »Theo, ist es nicht ein schönes Gefühl zu gewinnen?« Theos Antwort: »Ja, aber nur für den Sieger.« So reden Profis.
Sein zweiter Zugang zum Fußball ist der ausführliche Spielbericht, die mündliche Reportage, die nachträgliche Analyse. Das geht so: Theo tänzelt um seine auserwählten Zuhörer. Puls: 180. Kopf: rot. Luft: knapp. Stimme: hoch, überschlagend. Und dann die 13. Minute: »Da kommt der Ball soooo auf mich zu, und ich geh' mit dem Kopf soooo hin, und der Raffael kommt soooo gelaufen, und ich nehm' den Ball soooo herunter und geh' mit dem Fuß soooo hin, und der Ball springt soooo weg, und ich renn' soooo nach ...« Dann folgt der Bericht von der 14. Minute. Zwischenrufe sind unerwünscht. Manchmal versuchen es die Eltern mit der Brechstange: »Theo, aus! Das hat keinen Sinn, wenn du das erzählst. Man hat nichts davon, wenn man nicht dabei war.« Theo zuckt mit den Schultern: selber schuld, wäre man eben dabei gewesen. 15. Minute: »Der Ball kommt soooo hergeflogen, und ich geh' soooo hin ...«
Theos dritter Zugang zum Fußball: Er liest Zeitung. Kronen Zeitung! (Seine Eltern legen Wert auf die Einschränkung: »Nur am Sonntag.«) Sein Interesse ist einseitig und suchtartig. Er liest ausschließlich Fußballergebnisse, Mannschaftsaufstellungen und Tabellen. Er verschlingt sie. Er lernt sie auswendig. Er kennt den österreichischen Fußball nach der Zeitungspapierform von der Max-Bundesliga bis ins tiefste Unterhaus. Daran knüpft sich das große Theo'sche Fußballratespiel, dessen Höhepunkt im Sommer erreicht war. Da spielte er es täglich vom Aufwachen bis in den Schlaf. Jeweils ein Kandidat genügte. Bei Übermüdung und Konzentrationsproblemen musste er ausgewechselt werden. (Der Kandidat, nicht Theo, der ging immer über die volle Distanz.) Beispiel: »Bei welcher Mannschaft spielt Kurusovic?« Kandidat: »Roter Stern Belgrad?« Theo: »Bregenz!« (Du Null!) Oder, etwas anspruchsvoller: »Kennst du einen Spieler von GFZ Großfeld?« Antwort: »Ich kenn' nur die Großfeldsiedlung. Haben die eine Mannschaft?« Theo: »Krainz, Blasanovic ... « Oder, noch etwas anspruchsvoller: »Wer hat fünf Tore geschossen?« Kandidat: »Die Austria?« Theo: »Akagündüz, Ambrosius, Brunmayr, Lässig, Pamic ...« Anschlussfrage: »Wo spielt Pamic?«
Fangfrage: »Wie viele Tore hat er geschossen?« ( ... ) Um acht Uhr abends muss er schlafen gehen. (Nicht Pamic, sondern Theo, zum Glück.)
Sein vierter Zugang zum Fußball ist ein religiöser. Mit einem anderen Wort: Rapid. Wenn er das Wort hört, leuchten seine Augen grün-weiß. Er liebt diese Mannschaft. Sie ihn auch, sonst wäre sie nicht auf dem ersten Tabellenplatz. »Warum ausgerechnet Rapid, Theo? Ist dir nichts Originelleres eingefallen?«, frage ich systemkritisch. »Rapid ist der Winterkönig«, erwidert Theo. (Also ranghöher als der Weihnachtsmann.) Es ist aber nicht so, dass Theo nur zu einem siegreichen Team hilft. Bei der Fußball-Europameisterschaft sympathisierte er gleichzeitig mit Holland, Frankreich, Portugal und Italien. Wenn sie gegeneinander antraten, wartete er auf das Endergebnis, danach entschied er, zu wem er geholfen hatte. »Wenn du groß bist, willst du dann einmal bei Rapid spielen?«, frage ich ihn. (Das sind Fragen, auf die Buben oft ein Leben lang vergeblich warten, Theo ist wirklich ein Glückspilz.) »Ja, schon«, erwidert er enttäuschend nüchtern, »aber nur, wenn Rapid dann noch in der Max-Bundesliga ist.« Mit dieser Einstellung schafft er es garantiert bis in die deutsche Nationalmannschaft. (Wenn die dann noch spielt.)
Und was gab es sonst noch in diesem Jahr? Hier eine kleine Meldungsübersicht. Januar: Die Eltern übersiedeln ins neue Haus. Theo kommt nicht nur mit, er erhält auch noch einen Fußballplatz im Freien (Gar ten) mit Tribüne für Publikum (Autobushaltestelle) und eine winterfeste Fußballhalle (Wohnzimmer) mit ziemlich labilen Torstangen (Bücherregal).
Februar: Skiurlaub in Going am Wilden Kaiser. »Wie war's, Theo?«, frage ich. Er rümpft die Nase. »Viel zu viele Holländer.« - »Was hast du gegen Holländer?« - Nichts, aber sie sollen das nächste Mal deutsch reden, meint er. (Theo war der einzige Nichtholländer im Skikurs; selbst der Skilehrer war Holländer und sprach holländisch.) »Die haben immer ›Ankerlift‹ statt ›Schlepplift‹ g'sagt«, wundert sich Theo noch heute. »Aber ein Anker ist im Wasser, nicht im Schnee.« (Sein Finger an der Schläfe könnte heißen: Die spinnen, die Holländer.)
März, April, Mai: wenig Aufregung, normaler Kindergartenalltag. »Hast du dort Freunde, Theo?«, frage ich. »Na sicher, was glaubst du?«, erwidert er. »Äh, und hast du auch Freundinnen?« (Nur jetzt kein verräterisches Grinsen.) »Mädchen?«, fragt Theo. Genau das hatte ich gemeint: echte Mädchen. »Schon«, sagt er, »aber die Mädchen (Pause), die Mädchen (Pause), die Määäääädchen ... « - Er macht's spannend. »Was ist mit den Mädchen, Theo?« - »Die Mädchen wollen immer (Pause) ... « - Nur das eine? Spuck's aus, Theo! - »Fangen spielen«, sagt er befreit. »Die laufen immer ins Spielfeld, und dann nehmen s' mich an der Hand und laufen mit mir wieder raus.« Aha: Theo-Kidnapping auf dem Fußballplatz, hemmt natürlich auf unangenehmste Weise den Spielfluss.
Juni: Fußball-Europameisterschaft. Theo entdeckt sie im hauseignen Fernsehgerät und kippt vollständig in beides hinein, ins Gerät und in den Fußball. In den Pausen führt er seinen Lederball in den Garten aus und spielt dort die wichtigsten Szenen nach. Dazu kommentiert er. Anrainerbeschwerden bleiben wie durch ein Wunder aus.
Juli, August: Theos Papa bricht sich beim Training (mit Theo und Fußball natürlich) das Bein und fällt für die restliche Saison aus. Strafweise muss er Theo von nun an bei 35 Grad im Sitzen den Ball zuwerfen, bis der Sommer endlich vergeht (und Theo beim SC Mauerbach landet). September: dreißig Tage Fußball live, Theo und ORF führen abwechselnd, ergänzend und überschneidend durchs Programm. Oktober: Theos sechster Geburtstag. Er feiert ihn im Kreise seiner engsten familiären Fans bis tief in den November hinein und erzählt täglich seine besten Geschichten: »Einmal, da kommt der Ball sooooo hergeflogen, und ich geh' mit dem Kopf sooooo hin, und der Philipp rennt sooooo auf mich zu ...«
© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien
Als ich Theo kennenlernte, war er ein außergewöhnlich kleiner Mensch. Er lag im Brutkasten, maß 47,5 Zentimeter Länge und behauptete 2570 Gramm Körpergewicht. Neugeborener ging es nicht. Er war seiner geplanten Gegenwärtigkeit im Lichte der Welt stolze dreißig Tage voraus. (Ein Vorsprung, den er bis heute nicht eingebüßt haben sollte.) Die Miniaugenlider waren zugeklappt. Der Mund hatte die Ausprägung und die Form eines Gedankenstrichs. Theo tat nur das Notwendigste, das er zum Leben brauchte (Luft holen), aber dies auf eine bewundernswert friedvolle Weise, in einer Gelassenheit, von der sich so mancher ordentlich etwas abschneiden könnte. Theos Anblick löste heftige Reaktionen rund um die Glasglocke aus. Wer ihn so sah, konnte gar nicht anders, als sich zu überlegen, was aus ihm einmal werden würde.
Einer von denen, die so dachten, war ich. Und ich hatte dabei einen schriftstellerischen Hintergedanken, der sogleich in den Vordergrund drängte und rasch den ganzen Kopf besetzte: Wie wäre es, einen Menschen zu beschreiben, der gerade erst begonnen hatte, ein solcher zu sein? Und ein Jahr später wieder, da wäre er dann schon wirklich wer. Und ein Jahr später wieder, da wäre er doppelt so alt wie der, der er gerade noch war. Und ein Jahr später wieder. Und wieder. Und immer wieder. Jedes Jahr. Meine Leser dürften stellvertretend für die Weltöffentlichkeit am Werdegang eines Neugeborenen Anteil nehmen, dabei zu sehen, wie sich sein Ich entfaltet, wohin es ihn treibt, was ihn prägt, was er erlebt, was ihn beschäftigt, was er erzählt, wie er auf dem Bestehenden aufbaut und sich dennoch immer neu erfindet, wie er mit jedem Einzelnen von uns um die Wette reift und altert. Er soll es sein, der für uns die Jahresringe zeichnet. Er soll es sein, der für uns die Vergänglichkeit misst. Er hilft dem Lauf der Zeit auf die Sprünge, macht ihm Beine, stellt ihm sein Schuhwerk zur Verfügung.
Da lag er nun friedlich im Brutkasten. Theo, mein Neffe, mein Auserkorener, mein Held, mein Opfer, Instrument meines schriftstellerischen Ehrgeizes. Das Projekt konnte beginnen. Ach ja, eine 47,5 Zentimeter kleine Kleinigkeit war dabei wohl noch zu berücksichtigen: er! Er musste sich dafür hergeben. Er musste mitspielen. Ich brauchte sein Einverständnis. Ich brauchte sein Jawort. »Theo, ich bin's, dein Onkel«, flüsterte ich ihm durch die Glaswand zu. »Nur eine kleine Frage: Lässt du dich von mir jährlich porträtieren?« - Keine Regung, kein Signal. »Theo, wenn du dagegen bist, öffne die Augen. Wenn du dabei bist, dann lass sie zu.« Ich wartete drei Minuten. Die Antwort war eindeutig.
Theo telefoniert
Es gibt noch einen dritten Grund, warum Theo die Sprache liebt. Erstens klingt sie gut. Zweitens erzwingt man damit scheinbar unerreichbare Küchengeräte. Drittens, und das ist wirklich eine feine Sache: Man kann telefonieren.
Ein Telefongespräch mit Theo ist nicht nur für ihn selbst ein Erlebnis. (Wenn seine Eltern einverstanden sind, geben wir Ihnen die Festnetz-Nummer, dann können Sie es selbst einmal ausprobieren. Rechnen Sie allerdings schon jetzt damit, dass dieser Anschluss nur selten nicht besetzt sein wird.)
Klingelt es in Theos Elternhaus, und es wird abgehoben, bieten sich dem Anrufer zwei Möglichkeiten: Entweder jemand meldet sich, oder Theo ist am Apparat. Im zweiten Fall geht das Freizeichen in gesunde Atemgeräusche, in friedliches Schnaufen über. Es liegt nun am jeweiligen Anrufer selbst, die rauschende Stille zu durchbrechen und das Wort zu ergreifen. Die meisten fragen: »Hallo?« Das ist Theos Stichwort. Darauf hat er sich schon seit dem ersten Klingelsignal gefreut. Denn jetzt sagt er: »Na hallo, hallo, hallo!«
Darauf reagieren die Menschen unterschiedlich. Theo-Unkundigen fällt möglicherweise der Hörer aus der Hand. Denn seine Telefonstimme passt sich dem Umstand an, dass die anrufende Person optisch nicht wahrnehmbar ist, dass sie sich offensichtlich gar nicht im Hause befindet, dass Theo demnach mehr tun muss, als der Person »Na hallo, hallo, hallo!« zuzurufen. Er muss es ihr schon ins Ohr brüllen. (Seine Lippen kleben dabei auf der Telefonmuschel, um den Abstand wenigstens ein bisschen zu verkleinern.) Und wenn Theo einmal brüllt, dann nicht etwa wie ein Löwe, sondern wie ein Löwenbaby auf einem mit dreifacher Geschwindigkeit und maximaler Lautstärke abgespielten Tonband.
Wer mit Theo rechnen durfte, den Hörer weit weg vom Ohr gehalten hat und demnach mit dem Schrecken davongekommen ist, fragt zumeist: »Ja, wer ist denn da?« Oder: »Ist das der Theo?« Unter Umständen wird er an dieser Stelle aus der Leitung geworfen - von Theo höchstpersönlich. Gilt für den Fall, dass diesem der Telefonanruf ungelegen kam, dass er gerade etwas Besseres zu tun hatte und nur einmal kurz »Na hallo, hallo, hallo!« von sich geben wollte.
Ist Theo allerdings in Redelaune und zum Zeitpunkt des Anrufs unverplant, so erwidert er gern: »Ja, wer ist denn da? Wer ist denn da? Ist das der Theo?« Bei blendender Verfassung schließt er noch einmal ein schwungvolles »Na hallo, hallo, hallo!« an. Manchmal fragt er auch unverblümt: »Ich bin der Theo, und wer bist du?« Mitte Mai 1997 verwendete er die Formulierung: »Ich bin der Theo, und mit wem hab' ich das Vergnügen?« Aber das war eine einstudierte Geschichte, mehr so eine Modeerscheinung, kam nicht von Herzen und wurde deshalb bald vergessen.
Vertraute fragen in der Folge oft: »Theo, wie geht's dir denn?« Da schwankt er zwischen »Wie geht's dir denn, wie geht's dir denn?«, »Guuuut«, »Danke, gut«, »Danke gut, und dir?« und »Na hallo, hallo, hallo!« Er soll aber auch schon »Danke, man darf nicht klagen« und »Danke, man lebt« geantwortet haben. Solche Worte würden jedenfalls vorzüglich zu seiner bevorzugten Körperhaltung beim Telefonieren passen: eine Hüfte herausgedreht, Beine über Kreuz, lockeres Wippen auf den Fußballen, sinnierender Blick in die Tiefe des Raumes, Kopf auf jene Hand gestützt, die den Hörer hält, während der Zeigefinger der freien Hand im geringelten Telefonkabel steckt und dort lässig Kreise dreht. Nun kommen die Anrufer zumeist zur Sache und fragen: »Theo, kann ich deine(n) Mama (Papa) sprechen?« - Eine gute Frage verdient eine gute Antwort. Deshalb erwidert Theo gerne: »Nein.« Um den Effekt zu steigern, hängt er manchmal auf. Er macht dies nicht in böser Absicht. Er zeigt damit nur, dass das Telefongespräch mit ihm und somit auch für ihn beendet ist. Wer will, kann ja noch einmal anrufen. Wenn dann die Mama hingeht oder der Papa, so ist das deren Sache. Und wenn das mit dem Telefon nicht funktioniert, weil Theo die Verbindung unterbrochen hat und nicht mehr bereit ist, die Leitung freizugeben, kann sich der Anrufer ja auch persönlich herbemühen. Theos Eltern wohnen ja nicht aus der Welt.
Meistens enden die Gespräche für Theo aber schon während des Telefonats. Da nimmt man ihm mitten drin brutal den Hörer aus der Hand. Da muss er dann leider weinen. Und der jeweilige Superpädagoge, der wieder einmal Fingerspitzengefühl bewiesen hat, straft ihn auch noch mit einem grausamen »Psssst, Theo, ich versteh' überhaupt nichts!«
Noch viel spannender, als angerufen zu werden, ist selbst anzurufen. Es hat den Vorteil, dass Theo schon von vornherein weiß, mit wem er es gleich zu tun haben wird, und sich deshalb entsprechend vorbereiten kann. Angenommen, Theo ruft Tante Lisi an. So entwickelt sich daraus in etwa folgender Dialog. Tante Lisi hebt ab und sagt: »Hallo?« - Rauschen, Atmen, Schnaufen. Tante Lisi: »Hallo?« - Rauschen, Atmen, Schnaufen. Tante Lisi: »Theo, bist du es?« - Rauschen, Atmen, Schnaufen. Tante Lisi: »Theeeeoooo, huuu huuu?« Theo (ohrenbetäubend): »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Ja, hier ist die Tante Lisi.« Theo: »Und hier ist der Theo.« Tante Lisi: »Hallo, Theo!« Theo: »Na hallo, hallo, hal- lo!« Tante Lisi: »Theo, wie geht es dir?« Variante eins: Theo legt auf. Variante zwei: Theo: »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Ja, Theo?«
An dieser Stelle gibt es gut ein Dutzend Varianten. Wir wählen die elfte. Theo: »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Ja, Theo, ich bin ja da.« Theo: »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Theo, komm zur Sache!« - Pause, Rauschen, Atmen, Schnaufen. Theo: »Tante Lisi?« Tante Lisi: »Ja, Theo, bitte die Pointe!« Theo: »Hör zu, Tante Lisi! - Jakob hat kein Brot im Haus, Jakob kennt sich gar nicht aus, Jakob hin, Jakob her, Jakob ist ein Zottelbär.«
Er lebt für den Fußball
Theo ist sechs -
und trägt die Nummer 6 von Mauerbach
Theo ist reif. Er ist jetzt sechsmal älter als ein Säugling, dreimal so alt wie ein Baby und doppelt so alt wie ein Kleinkind. Kurzum: Er ist reif. Schulreif? Nein, reifer: Er steigt erst nächste Herbstsaison in den Unterricht ein und macht sich heuer ein schönes gemütliches Vorschuljahr, ganz im Zeichen des F... (Moment noch!)
Das Erfreuliche aus der Sicht des Autors: Man kann mit Theo reden wie mit einem Erwachsenen. Er hört zu wie ein Erwachsener. (Mit einem halben, abgewandten Ohr.) Er hört weg wie ein Erwachsener. (Mit eineinhalb zugewandten Ohren.) Er schweigt wie ein Erwachsener. (Am liebsten, wenn er gefragt wird.) Er runzelt die Stirn wie ein Erwachsener. Er leidet darunter, dass ihn neuerdings Gott und die Welt zum Dialog auffordern. Manchmal erbarmt er sich und spricht ein paar Worte.
Unlängst frage ich: »Theo, weißt du schon, was du einmal werden willst?« Er sagt: »Nein. Du?« Ich erwidere: »Ich muss es nicht wissen. Ich bin schon was.« In seinem schiefen Blick sind Anflüge von Respekt erkennbar. »Was bist du?«, fragt er. »Ein Schreiber«, erwidere ich. - »Ah so.« Er seufzt lautlos und blinzelt mir aufmunternd zu. »Ich bin auch schon was«, sagt er dann.
Der Satz kommt eher nebensächlich daher, Theo will mich nicht verletzen. »Was denn?«, frage ich. »Fußballer«, erwidert er. Er sagt es so bescheiden wie möglich.
So. Jetzt ist endlich jenes Wort gefallen, ohne das diese Geschichte exakt an dieser Stelle beendet wäre. Der Fußball ist im Frühjahr 2000 in Theos Leben gerollt, mit einer Dynamik und einem Drall, die alle anderen Themen vermutlich über Jahre hinaus ins Out katapultierten. Wer sich nicht für Fußball interessiert, hat zwei Möglichkeiten: Entweder er vergisst Theo. Oder er lässt sich von ihm bekehren.
Theo hat vier Zugänge zum Fußball. Sein mit Abstand spektakulärster heißt: SC Mauerbach. Dort spielt er in der U-8. (Unter acht; keine neue U-Bahn.) Er ist der jüngste und blondeste Spieler. Die schillernde Nummer 6. Der Mittelfeldmotor. Der Sturmtank. Die Verteidiger(not)bremse. Technisch noch ein ungeschliffenes Rohjuwel, aber ein unermüdlicher Rackerer, der gern Ball und Gegner laufen lässt. Am liebsten läuft er freilich selbst.
Im Herbst hat seine Karriere beim SC Mauerbach begonnen. Da er in der Nähe wohnt, genießt er Heimvorteil. Über die Transfersumme gibt es nur Gerüchte. (Seine Eltern sagen, dass es ganz schön ins Geld geht, ihn ständig zu den auswärtigen Fußballplätzen zu transferieren.) Er hat jedenfalls bereits sieben schwere Turniere in den Beinen. Die Ergebnisse entsprachen voll der Erwartung des Trainers. Der sagte gleich am Anfang: »Kinder, wir sind eine junge, unroutinierte Mannschaft, wir werden eine Zeitlang alles verlieren, stellt euch darauf ein.« Diese Taktik ging voll auf. Mauerbach gegen Königstetten - 1 : 8. Mauerbach gegen Langenrohr - 1 : 6. Tulbing gegen Mauerbach - 5 : 0. Und so weiter. »Es ist wichtig, dass Theo auch das Verlieren lernt«, sagt seine Mama. Weiß sie überhaupt, was sie da sagt? Theo, wie geschaffen für den Sieg, wirft ihr einen abgrundtief verächtlichen Blick zu.
Aber: SC Mauerbach U-8 ist eine mental starke Mannschaft. Nach sechs Niederlagen gelang ein sensationeller 1 : 0-Kantersieg gegen Gablitz. Torschütze: beinahe Theo. Er machte nur wenige Meter entfernt die Räume eng. Frage nach dem Spiel: »Theo, ist es nicht ein schönes Gefühl zu gewinnen?« Theos Antwort: »Ja, aber nur für den Sieger.« So reden Profis.
Sein zweiter Zugang zum Fußball ist der ausführliche Spielbericht, die mündliche Reportage, die nachträgliche Analyse. Das geht so: Theo tänzelt um seine auserwählten Zuhörer. Puls: 180. Kopf: rot. Luft: knapp. Stimme: hoch, überschlagend. Und dann die 13. Minute: »Da kommt der Ball soooo auf mich zu, und ich geh' mit dem Kopf soooo hin, und der Raffael kommt soooo gelaufen, und ich nehm' den Ball soooo herunter und geh' mit dem Fuß soooo hin, und der Ball springt soooo weg, und ich renn' soooo nach ...« Dann folgt der Bericht von der 14. Minute. Zwischenrufe sind unerwünscht. Manchmal versuchen es die Eltern mit der Brechstange: »Theo, aus! Das hat keinen Sinn, wenn du das erzählst. Man hat nichts davon, wenn man nicht dabei war.« Theo zuckt mit den Schultern: selber schuld, wäre man eben dabei gewesen. 15. Minute: »Der Ball kommt soooo hergeflogen, und ich geh' soooo hin ...«
Theos dritter Zugang zum Fußball: Er liest Zeitung. Kronen Zeitung! (Seine Eltern legen Wert auf die Einschränkung: »Nur am Sonntag.«) Sein Interesse ist einseitig und suchtartig. Er liest ausschließlich Fußballergebnisse, Mannschaftsaufstellungen und Tabellen. Er verschlingt sie. Er lernt sie auswendig. Er kennt den österreichischen Fußball nach der Zeitungspapierform von der Max-Bundesliga bis ins tiefste Unterhaus. Daran knüpft sich das große Theo'sche Fußballratespiel, dessen Höhepunkt im Sommer erreicht war. Da spielte er es täglich vom Aufwachen bis in den Schlaf. Jeweils ein Kandidat genügte. Bei Übermüdung und Konzentrationsproblemen musste er ausgewechselt werden. (Der Kandidat, nicht Theo, der ging immer über die volle Distanz.) Beispiel: »Bei welcher Mannschaft spielt Kurusovic?« Kandidat: »Roter Stern Belgrad?« Theo: »Bregenz!« (Du Null!) Oder, etwas anspruchsvoller: »Kennst du einen Spieler von GFZ Großfeld?« Antwort: »Ich kenn' nur die Großfeldsiedlung. Haben die eine Mannschaft?« Theo: »Krainz, Blasanovic ... « Oder, noch etwas anspruchsvoller: »Wer hat fünf Tore geschossen?« Kandidat: »Die Austria?« Theo: »Akagündüz, Ambrosius, Brunmayr, Lässig, Pamic ...« Anschlussfrage: »Wo spielt Pamic?«
Fangfrage: »Wie viele Tore hat er geschossen?« ( ... ) Um acht Uhr abends muss er schlafen gehen. (Nicht Pamic, sondern Theo, zum Glück.)
Sein vierter Zugang zum Fußball ist ein religiöser. Mit einem anderen Wort: Rapid. Wenn er das Wort hört, leuchten seine Augen grün-weiß. Er liebt diese Mannschaft. Sie ihn auch, sonst wäre sie nicht auf dem ersten Tabellenplatz. »Warum ausgerechnet Rapid, Theo? Ist dir nichts Originelleres eingefallen?«, frage ich systemkritisch. »Rapid ist der Winterkönig«, erwidert Theo. (Also ranghöher als der Weihnachtsmann.) Es ist aber nicht so, dass Theo nur zu einem siegreichen Team hilft. Bei der Fußball-Europameisterschaft sympathisierte er gleichzeitig mit Holland, Frankreich, Portugal und Italien. Wenn sie gegeneinander antraten, wartete er auf das Endergebnis, danach entschied er, zu wem er geholfen hatte. »Wenn du groß bist, willst du dann einmal bei Rapid spielen?«, frage ich ihn. (Das sind Fragen, auf die Buben oft ein Leben lang vergeblich warten, Theo ist wirklich ein Glückspilz.) »Ja, schon«, erwidert er enttäuschend nüchtern, »aber nur, wenn Rapid dann noch in der Max-Bundesliga ist.« Mit dieser Einstellung schafft er es garantiert bis in die deutsche Nationalmannschaft. (Wenn die dann noch spielt.)
Und was gab es sonst noch in diesem Jahr? Hier eine kleine Meldungsübersicht. Januar: Die Eltern übersiedeln ins neue Haus. Theo kommt nicht nur mit, er erhält auch noch einen Fußballplatz im Freien (Gar ten) mit Tribüne für Publikum (Autobushaltestelle) und eine winterfeste Fußballhalle (Wohnzimmer) mit ziemlich labilen Torstangen (Bücherregal).
Februar: Skiurlaub in Going am Wilden Kaiser. »Wie war's, Theo?«, frage ich. Er rümpft die Nase. »Viel zu viele Holländer.« - »Was hast du gegen Holländer?« - Nichts, aber sie sollen das nächste Mal deutsch reden, meint er. (Theo war der einzige Nichtholländer im Skikurs; selbst der Skilehrer war Holländer und sprach holländisch.) »Die haben immer ›Ankerlift‹ statt ›Schlepplift‹ g'sagt«, wundert sich Theo noch heute. »Aber ein Anker ist im Wasser, nicht im Schnee.« (Sein Finger an der Schläfe könnte heißen: Die spinnen, die Holländer.)
März, April, Mai: wenig Aufregung, normaler Kindergartenalltag. »Hast du dort Freunde, Theo?«, frage ich. »Na sicher, was glaubst du?«, erwidert er. »Äh, und hast du auch Freundinnen?« (Nur jetzt kein verräterisches Grinsen.) »Mädchen?«, fragt Theo. Genau das hatte ich gemeint: echte Mädchen. »Schon«, sagt er, »aber die Mädchen (Pause), die Mädchen (Pause), die Määäääädchen ... « - Er macht's spannend. »Was ist mit den Mädchen, Theo?« - »Die Mädchen wollen immer (Pause) ... « - Nur das eine? Spuck's aus, Theo! - »Fangen spielen«, sagt er befreit. »Die laufen immer ins Spielfeld, und dann nehmen s' mich an der Hand und laufen mit mir wieder raus.« Aha: Theo-Kidnapping auf dem Fußballplatz, hemmt natürlich auf unangenehmste Weise den Spielfluss.
Juni: Fußball-Europameisterschaft. Theo entdeckt sie im hauseignen Fernsehgerät und kippt vollständig in beides hinein, ins Gerät und in den Fußball. In den Pausen führt er seinen Lederball in den Garten aus und spielt dort die wichtigsten Szenen nach. Dazu kommentiert er. Anrainerbeschwerden bleiben wie durch ein Wunder aus.
Juli, August: Theos Papa bricht sich beim Training (mit Theo und Fußball natürlich) das Bein und fällt für die restliche Saison aus. Strafweise muss er Theo von nun an bei 35 Grad im Sitzen den Ball zuwerfen, bis der Sommer endlich vergeht (und Theo beim SC Mauerbach landet). September: dreißig Tage Fußball live, Theo und ORF führen abwechselnd, ergänzend und überschneidend durchs Programm. Oktober: Theos sechster Geburtstag. Er feiert ihn im Kreise seiner engsten familiären Fans bis tief in den November hinein und erzählt täglich seine besten Geschichten: »Einmal, da kommt der Ball sooooo hergeflogen, und ich geh' mit dem Kopf sooooo hin, und der Philipp rennt sooooo auf mich zu ...«
© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien
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Autoren-Porträt von Daniel Glattauer
Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, Bücher (u. a.): Die Ameisenzählung (2001), Darum (2003), Der Weihnachtshund (Neuausgabe 2004), Theo (2010), Mama, jetzt nicht! (2011), Ewig Dein (2012), Geschenkt (2014). Mit seinen Romanen Gut gegen Nordwind (2006) und Alle sieben Wellen (2009) schrieb er Bestseller, die auf der ganzen Welt gelesen werden. Die Komödie Die Wunderübung (2014) ist als Buch, am Theater und als Film sehr erfolgreich. Auf der Bühne sind auch die Komödien Vier Stern Stunden und Die Liebe Geld zu sehen. Und 2019 kam die Verfilmung von Gut gegen Nordwind ins Kino.
Bibliographische Angaben
- Autor: Daniel Glattauer
- 2010, 8. Aufl., 272 Seiten, Maße: 12,1 x 18,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag
- ISBN-10: 3552061401
- ISBN-13: 9783552061408
- Erscheinungsdatum: 21.07.2010
Rezension zu „Theo “
"Glattauers Buch ist authentisch, persönlich und liebenswürdig geworden. "Theo" ist eine schöne, optimistische, eine witzige und spannende Geschichte - nicht nur für Eltern, bei denen die Lektüre Vorfreude auf die nächsten Schritte der eigenen Kinder schürt." Isabella Pohl, Der Standard, 24.07.10"Die passende Lektüre für Menschen, die die Herstellung eines eigenen Kindes erwägen. Mit etwas Glück kriegen sie vieleicht eines wie Theo." Sächsische Zeitung, 26.07.10
"Glattauer ist ein ungemein genauer Beobachter, der es versteht, mit liebevoller Süffisanz Kinder-Geschichten zu erzählen." Katja Weise, NDR, 27.07.10
"Man liest das Buch und möchte sofort wieder Kind sein." Kleine Zeitung, 31.07. 10
"Der Sprachwitz des Autors, sein Wienerischer Charme, sein menschenfreundlicher Humor - das alles macht das 260-Seiten-Büchlein zu einem amüsanten Leseerlebnis." Günter Kaindlstorfer, WDR "Resonanzen", 03.09.10
Pressezitat
"Glattauers Buch ist authentisch, persönlich und liebenswürdig geworden. "Theo" ist eine schöne, optimistische, eine witzige und spannende Geschichte - nicht nur für Eltern, bei denen die Lektüre Vorfreude auf die nächsten Schritte der eigenen Kinder schürt." Isabella Pohl, Der Standard, 24.07.10"Die passende Lektüre für Menschen, die die Herstellung eines eigenen Kindes erwägen. Mit etwas Glück kriegen sie vieleicht eines wie Theo." Sächsische Zeitung, 26.07.10
"Glattauer ist ein ungemein genauer Beobachter, der es versteht, mit liebevoller Süffisanz Kinder-Geschichten zu erzählen." Katja Weise, NDR, 27.07.10
"Man liest das Buch und möchte sofort wieder Kind sein." Kleine Zeitung, 31.07. 10
"Der Sprachwitz des Autors, sein Wienerischer Charme, sein menschenfreundlicher Humor - das alles macht das 260-Seiten-Büchlein zu einem amüsanten Leseerlebnis." Günter Kaindlstorfer, WDR "Resonanzen", 03.09.10
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