Tiefer Fall / Zero Unit Bd.1
Die hübsche Krankenschwester Rainie Martin ist nie ganz über den Tod ihrer Eltern hinweggekommen, die von einem Unbekannten im Auto erschossen wurden. Bei einer Speed-Dating-Party begegnet Rainie dem attraktiven Kick Jackson. Doch dieser verbirgt ebenfalls...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch (Kartoniert)
9.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Tiefer Fall / Zero Unit Bd.1 “
Klappentext zu „Tiefer Fall / Zero Unit Bd.1 “
Die hübsche Krankenschwester Rainie Martin ist nie ganz über den Tod ihrer Eltern hinweggekommen, die von einem Unbekannten im Auto erschossen wurden. Bei einer Speed-Dating-Party begegnet Rainie dem attraktiven Kick Jackson. Doch dieser verbirgt ebenfalls ein dunkles Geheimnis: Er ist ein ehemaliger Agent auf der Flucht vor der CIA und süchtig nach Schmerzmitteln. Ehe Rainie sich versieht, wird sie in die Sache hineingezogen und findet sich in einem Flugzeug nach Ägypten wieder. Dort muss sie sich nicht nur ihren eigenen Ängsten stellen, sondern auch der starken Anziehungskraft, die der gut aussehende Kick auf sie ausübt.
Lese-Probe zu „Tiefer Fall / Zero Unit Bd.1 “
Tiefer Fall von Nina Bruhns... mehr
»Mein Gott, Rain, nun lächel doch mal! Ist ja nicht so, als ob wir zu einer Beerdigung unterwegs sind.«
Gina Cappozi rollte mit den Augen und beförderte ihre beste Freundin mit einem festen Schubs durch die Tür des ehrwürdigen Park Avenue Hotels, nur wenige Blocks entfernt vom Bellevue Hospital, in dem sie und Lorraine Martin arbeiteten. Sie hatten es beide bis Punkt acht Uhr hierhergeschafft und hatten sogar zu Fuß zu dem Hotel laufen können - dank Gina, die schon vor zwei Stunden in Rainies Wohnung aufgetaucht war und ihr so lange zugesetzt hatte, bis sie in dem blauen VersaceKleid steckte. Nur unter Protest hatte Lorraine dieses hautenge, trägerlose Cocktailkleidchen bei einem gemeinsamen Einkaufsbummel an ihrem freien Tag im Filene's erstanden.
Rainie zupfte am Saum herum, der ein gutes Stück über den Knien endete, nur um gleich darauf das Oberteil hochziehen zu müssen, weil der tiefe Ausschnitt ihr Dekolleté freizulegen drohte. Großartig.
Sie gesellten sich zu der kleinen Gruppe lächelnder, herausgeputzter Singles, die alle im Krankenhaus arbeiteten, und wurden dann durch die elegante Empfangshalle im Art-déco-Stil und die Rolltreppen hinauf bis zur Anmeldung im Zwischengeschoss geleitet. Alle hatten sich schick gemacht und verströmten erwartungsvolle Anspannung. Aufgeregt strahlte Gina sie an. Rainie war leicht übel.
Speeddating.
Großer Gott. Wie hatte sie sich nur jemals dazu überreden lassen können?
In den letzten Jahren hatte Rainie die Partnersuche so gut wie aufgegeben. Wem stand nach einem langen Tag oder einer langen Nacht in der Notaufnahme - voller Blut, Drogen, Gewalt und sinnlosem Sterben - denn noch der Sinn nach Romantik? Auch wenn Gina darauf beharrte, dass sie genau deswegen bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach Romantik suchen musste. Als eine Art Selbstmedikation gegen die erdrückende psychische Belastung ihrer Arbeit.
Gina hatte leicht reden. Als Ärztin und Professorin leitete sie ein Genforschungsprojekt an der Columbia University. Zusätzlich arbeitete sie einmal wöchentlich in der Kinderabteilung des Bellevue und behandelte dort niedliche Kleinkinder. Wirklich eine Riesenbelastung, mit der sie da zurechtkommen musste.
Nun, wenigstens bestand hier nicht die Gefahr, sich ernsthafter Beziehungsabsichten erwehren zu müssen. Auf eines konnte man sich bei Menschen in medizinischen Berufen verlassen - sie waren allesamt mit ihrer Arbeit verheiratet und mindestens so getrieben wie Rainie selbst. Deswegen waren diese Treffen ja auch besonders beliebt bei den Mitarbeitern des Bellevue. Triff deine Wahl und nimm dir ein Zimmer. Igitt. Und genau deswegen hatte Rainie diese Treffen bisher gemieden. Es war einfach zu offensichtlich, was hier ablief, geradezu peinlich. Sicher, es war bereits eine Weile her, dass sie diese unbekümmerte Aufregung verspürt hatte, sich körperlich zu einem Mann hingezogen zu fühlen, und noch viel länger, dass sie dem auch nachgegeben hätte, aber fehlte ihr der Sex wirklich so sehr? Eigentlich nicht.
»Wow, jetzt sieh dir mal die Muskeln von diesem Kerl an«, murmelte Gina, während sie auf einen blonden Surfertyp zeigte, der in der Schlange vor der Anmeldung für einen Schwarm weiblicher Bewunderer seinen Bizeps anspannte.
»O bitte. Der ist doch keinen Tag älter als fünfundzwanzig«, brummelte Rainie leicht entsetzt. Sie und Gina hatten die dreißig bereits vor einigen Monden überschritten.
»Dann kann er sicherlich eine nette Kinderärztin gebrauchen«, erwiderte Gina augenzwinkernd.
Als das Jüngelchen vor den eigens für diese Veranstaltung abgestellten Fotografen posierte, wurde das Foyer in Blitzlicht getaucht. Bereits morgen würden Bilder und Videos auf der Website der Dating-Agentur zu sehen sein. Noch ein weiter Grund, warum Rainie bislang jede Einladung von Gina ausgeschlagen hatte, sie zu einem solchen Treffen zu begleiten. Wer wollte seine Schande denn auch noch für die Nachwelt festgehalten wissen?
»Er sieht nicht gerade aus, als ob er viel im Kopf hat«, raunte sie und hoffte, dass ihre Freundin nur scherzte. Gina war blitzgescheit, aber ihr Sinn für Humor war etwas schräg. »Wahrscheinlich leert er den ganzen Tag über Bettpfannen«, fügte sie sicherheitshalber noch hinzu.
»Und was genau willst du mir damit sagen?«, gab Gina unbekümmert zurück.
Offensichtlich hatten die Hormone über ihre Intelligenz gesiegt.
»Okay, hab schon verstanden«, sagte Rainie mit ironischem Lächeln. »Den gesunden Menschenverstand und jegliches Niveau lässt man bei so etwas an der Tür zurück.«
»Na, nun kommst du der Sache näher.«
Nachdem sie sich Namensschildchen an die Brust geklebt hatten, folgte Rainie Gina widerstrebend in einen überfüllten Ballsaal. Eine Hälfte des Raums war mit nummerierten Tischen mit jeweils zwei Stühlen vollgestopft. In der anderen Hälfte standen die Teilnehmer herum und nippten an ihren Getränken, während sie darauf warteten, dass die Veranstaltung losging. Es herrschte ohrenbetäubender Lärm.
Rainies Puls kletterte in die Höhe. Chaos und Unordnung waren ihr extrem zuwider, wie generell alle Situationen, die sie nicht kontrollieren konnte.
»Also, wer gefällt dir?«, fragte Gina nahe an Rainies Ohr gelehnt. Prüfend betrachtete sie die männlichen Kandidaten, so als würde sie die Sonderangebote bei Macy's absuchen.
Rainie seufzte und blickte nervös um sich, versuchte, in der Menge einen Mann ausfindig zu machen - irgendeinen Mann -, der sie allein vom Aussehen her genügend faszinierte, dass sie es drauf ankommen lassen würde. Aber sie sah nur die ihr bekannten Ärzte, Assistenzärzte, Praktikanten und Verwaltungsangestellten, denen sie auch täglich im Krankenhaus begegnete. Na ja, selbst wenn es vielleicht nicht genau dieselben waren, so doch zumindest die gleichen Typen. Die Männer, die haifischgleich ihre Runden im Raum zogen, hatten alle dieselbe aalglatte, routinierte Art; dasselbe routinierte Lächeln auf den Lippen; und ohne Zweifel dieselben aalglatten, routinierten Anmachsprüche auf Lager, die irgendwann an jeder Krankenschwester unter vierzig ausprobiert wurden. Na schön, unter fünfzig.
Rainie begann ernsthaft über einen taktischen Rückzug nachzudenken, und ihr Blick wanderte zur Eingangstür. Durch die gerade ein Mann hereinkam.
Hoppla!
Ihre Fluchtpläne fanden ein jähes Ende.
Dieser Mann war eindeutig anders. Der sah alles andere als aal glatt aus. Und war weit älter als fünfundzwanzig. Mit dem zerknitterten dunkelblauen Anzug und dem leichten Dreitagebart sah er eher nach einem überarbeiteten Polizisten als nach einem Arzt aus - diesen Typ Mann kannte sie gut, weil sie jeden Tag in der Notaufnahme mit ihnen zu tun hatte. Er wirkte wie ein harter Kerl. Abgestumpft. Eiskalt. Gefährlich.
Und verdammt faszinierend.
Sofort schoss ihr Puls wild in die Höhe. Das war nicht gut. Genau von dieser Sorte Mann sollte ein Kontrollfreak wie sie sich besser fernhalten. Aber wie die Gefahren, die ihr Beruf mit sich brachte, übte er eine unheilvolle Anziehungskraft auf sie aus.
Was hatte ein Mann wie er auf einer Veranstaltung für alleinstehende Mediziner und Pfleger verloren? Er trug jedoch ein Namensschild, und ohne Krankenhausausweis wurde man gar nicht zugelassen. Vielleicht ein Verbindungsmann der Polizei? Militärarzt?
Da er alle anderen im Saal um gute fünfzehn Zentimeter überragte, war das dichte, schwarzbraune Haar gut zu erkennen; offensichtlich hatte er es gerade noch nass gekämmt, auch wenn die widerspenstigen langen Wellen dadurch keineswegs gebändigt wirkten. Also doch kein Militär. Unterhalb der Schultern konnte sie nicht viel erkennen, aber die waren immerhin breit genug, um seinen Anzug ganz auszufüllen. Mehr als das.
Interessanterweise schien er sich sogar noch unwohler zu fühlen als sie selbst.
Aus zusammengekniffenen Augen ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, als ob er nach irgendetwas oder irgendjemand Bestimmtem Ausschau halten würde. So erwischte er sie dabei, wie sie ihn anstarrte. Wieder hüpfte ihr Puls unkontrolliert nach oben. O nein. Sie wollte wegsehen. Wusste instinktiv, dass sie wegschauen sollte. Aber sie konnte beim besten Willen nicht.
Anstatt weiter den Raum abzusuchen, erwiderte er ihren Blick so lange, bis Rainie spürte, dass sie errötete.
Dann setzte er sich in Bewegung. Direkt auf sie zu. Grundgütiger.
Die ganze Zeit über hatte Gina weiter vor sich hin geplappert, auf diesen und auf jenen Mann gezeigt. Endlich fiel ihr auf, dass sie nicht beachtet wurde.
»Du bist nicht gerade sehr ...« Ihre Freundin brach ab und schnappte hörbar nach Luft.
»Junge, Junge, ich glaube, ich stecke in Schwierigkeiten«, murmelte Rainie, während sie dem Mann mit wachsender Angst entgegenblickte, der immer näher kam. Oder handelte es sich bei diesem Vibrieren tief unten im Bauch etwa um freudige Erwartung?
Was um alles in der Welt waren das für Fantasien? Unglücklicherweise waren die Bilder ziemlich eindeutig.
Und offensichtlich standen ihr die sündigen Gedanken ins Gesicht geschrieben, denn nun fiel Gina die Kinnlade herunter. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst«, zischte sie ihr entrüstet ins Ohr. »Dieser Kerl? Der sieht aus wie ein Serienmörder!«
»Ich finde ihn verdammt sexy«, kam es Rainie spontan über die Lippen. Sofort warf sie ihrer Freundin einen bestürzten Blick zu - hatte sie das eben etwa laut ausgesprochen?
»Den nimmst du auf gar keinen Fall mit nach Hause, Lorraine Martin!«
Offensichtlich hätte sie es getan. »Ich werd mich hüten, Gini. Aber vielleicht ein Drink ... Hier an der Bar.«
»Nein«, wandt Gina ein, »so war das schließlich nicht gedacht, Rain. Mädchen, du brauchst mehr als nur einen Drink. Das hier ist deine Gelegenheit, jemand Harmlosen zu finden, den du mit auf ein Zimmer nehmen kannst. Irgendeinen netten ...«
»Sterbenslangweiligen Arzt?« Rainie schüttelte den Kopf. Nur über ihre Leiche. Mochte sie vielleicht eine einsame Memme sein, verzweifelt war sie nicht. »Nein, danke. Außerdem, was ist schon dabei, wenn ich etwas mit ihm trinke? Du weißt doch, dass ich gut allein auf mich aufpassen kann«, erinnerte Rainie sie. Das stimmte. Seit Jahren leitete sie in der Notaufnahme ein Forschungsprojekt für neuartige Medikamente; ihre Ausbildung an der Universität zur »Nurse Practitioner« qualifizierte sie dazu, auch eigenständig über Behandlungen zu entscheiden. Im Zuge dieses Projektes hatte sie es mit allerhand schrägen Gestalten zu tun gehabt, hinzu kamen sieben Jahre Training in Selbstverteidigung. Sie war sehr gut in der Lage, jeden wie auch immer gearteten unerwünschten Annäherungsversuch abzuwehren. Das gehörte für sie zum Alltag.
»Ich weiß, aber -«
»Mir wird nichts passieren, Gina. Geh. Sonst überlege ich es mir noch anders und renne lauthals schreiend zum Ausgang.«
Nach kurzem Zögern kam ein zustimmendes »Na gut, Süße« von ihrer Freundin. »Dann gönn dir eben dein Abenteuer. Aber wenn du mich morgen früh nicht postwendend anrufst, schicke ich die Polizei vorbei.« Damit verschwand sie im Gedränge.
Inzwischen hatte sich der Fremde durch die Menge zu ihr durchgeschlängelt und blieb direkt vor Rainie stehen. Ihr schlug das Herz bis zum Hals hinauf.
Gemächlich glitt sein Blick an ihrem viel zu kurzen Kleid hinunter, das mehr als freizügig geschnitten war. Auf dem Weg wieder nach oben hielt er auf der Höhe ihrer Brüste inne, und im selben Augenblick spürte sie, wie ihre Brustwarzen sich aufrichteten. Ihm entging das natürlich nicht. Auch wenn er nicht lächelte, so verdunkelten sich seine blauen Augen dennoch zu einem verhangenen Graublau, als er ihre Reaktion bemerkte.
Immer tiefer errötend, verlor Rainie allmählich vollkommen die Fassung. »Hören Sie, ich -«
»Möchten Sie etwas trinken?«, unterbrach er sie erstaunlich ruhig und gesittet, wenn man bedachte, dass sie gerade das Gefühl hatte, jeden Moment ohnmächtig werden zu müssen.
Das war eindeutig keine gute Idee.
»Kennen wir uns?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen, obwohl sie verdammt genau wusste, dass dem nicht so war. Sie schaute auf das marineblaue Revers. Auf seinem Namensschild stand Dr. Nathan Daneby.
Ihr fielen beinahe die Augen aus dem Kopf - Nathan Dane-by? -, und schon schnellte ihr Blick wieder nach oben zu seinem Gesicht. Verwunderung machte sich in ihr breit. »Sie sind Dr. Nathan Daneby? Von Doctors for Peace?«
Ein beunruhigter Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Sie kennen mich?«
»Ja! Also, nein. Ich meine, nicht persönlich, aber Ihren Namen kennt doch jeder. Gut, vielleicht nicht jeder, aber ich.« Ihre Anspannung floss geradezu aus ihr heraus, um heller Aufregung Platz zu machen. »Ich bewundere Sie schon seit Jahren. Seit Sie diese Dorfbewohner in Afghanistan gerettet haben, also seit dem Krieg, habe ich Ihre Karriere verfolgt. Das war einfach unglaub ... « Dann zuckte sie peinlich berührt zusammen und unterbrach sich mitten im Satz. »Tut mir leid, Dr. Daneby, ich plappere hier vor mich hin, und dabei sind Sie bestimmt nicht hier, um sich mit Groupies zu unterhalten.«
Sein leicht alarmierter Gesichtsausdruck verwandelte sich, aber ihr war nicht ganz klar, wie sie das zu deuten hatte. Dann hüstelte er. Lockerte sich dann mit einem Finger den Krawattenknoten und zog daran, als hätte ihm der Schlips die Luft abgeschnürt. »Eigentlich werde ich in den Staaten eher selten erkannt. Nie, um genau zu sein. Jetzt gerade zum ersten Mal.«
Rainie räusperte sich. Himmel, sie war dabei, das hier gründlich zu vermasseln. Bestimmt würde er gleich das Weite suchen. Dabei wollte sie erstaunlicherweise wirklich nicht, dass der Mann wieder ging - sie konnte sich gar nicht erinnern, schon einmal auf diese Weise empfunden zu haben.
»A..., also, äh«, stammelte sie. »Was führt Sie denn nun tatsächlich hierher? Nach New York, meine ich. Und, äh. Hierher. Zu dieser«, zutiefst verlegen fuchtelte sie unsicher mit den Händen herum, »hm, Veranstaltung.«
Sicher war er nicht hier, um jemanden kennenzulernen. Dr. Nathan Daneby war schließlich berühmt! Nun ja, irgendwie. In bestimmten Kreisen. Genauer gesagt, unter Krankenschwestern, die im Warteraum den National Geographic lasen und dann davon träumten, selbst genügend Mut zu besitzen, um sich aus ihrem gewohnten Umkreis von zehn Häuserblocks herauszuwagen, ohne vor lauter Angst wie gelähmt zu sein.
Wie wäre es wohl, solch Abenteuer wie die von Nathan Daneby zu erleben? Sie konnte sich das nicht einmal vorstellen.
Dann trat er noch näher an sie heran und hob eine Hand. Sie war groß, kräftig und nicht manikürt. Eine Hand, die augenscheinlich keine harte Arbeit scheute. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund machte ihn das nur noch attraktiver.
Sie nahm auch seinen Geruch wahr. Moschusartig, geheimnisvoll und herrlich männlich. Ganz pur: kein Rasierwasser, kein Shampoo, kein Atem mit Minzaroma. Nur purer Mann.
Ob es ihm wohl auffallen würde, wenn sie sich ein wenig näher lehnte, um tiefer einzuatmen?
Mit ausgestrecktem Zeigefinger tippte er sachte auf das Namensschildchen am knappen Oberteil ihres trägerlosen Kleids. Dann zog er mit der Fingerkuppe ganz langsam, o Gott, so aufreizend langsam - eine Linie an ihrem Namen und der Berufsbezeichnung entlang. Es war, als würde sie von einem heftigen elektrischen Schlag getroffen, der von den aufgerichteten Brustwarzen ausging und in ihrer Körpermitte einschlug.
»Ich könnte mir vorstellen, dass ich aus dem gleichen Grunde hier bin wie Sie: Lorraine Martin, Nurse Practitioner.« Er beugte sich über ihr Haar. »Aber ich würde lieber unbemerkt bleiben, wenn das für Sie in Ordnung ist.«
Seine Hand verweilte an der Wölbung ihres Busens. Urplötzlich sehnte sie sich danach, dass er sie unter das Kleid gleiten lassen und ihre Brust berühren würde. Sie um die nackte ...
Ach du lieber Himmel, was war nur in sie gefahren? So heftig war sie schon seit Jahren nicht mehr auf einen Mann angesprungen. Falls überhaupt jemals. Ihr Gesicht stand in Flammen.
»Aber sicher«, sagte sie im Bemühen, ihre Stimme ruhig klingen und sich nicht anmerken zu lassen, was für unangemessene Gedanken ihr gerade durch den Kopf schossen.
»Und unser gemeinsamer Drink ...?
Tu es nicht!, schrie alles in ihr.
»Klar!«, sagte sie laut.
»Hier?«
In der leise ausgesprochenen Frage schwang weit mehr mit. Rainies Pulsschlag schnürte ihr die Kehle ab.
Könnte sie? Sollte sie?
Herrje, erwog sie etwa ernsthaft, das Hotel mit ihm zu verlassen? Ausgerechnet sie, die immer so übervorsichtig war. Stets auf ihre persönliche Sicherheit bedacht. Die so gut um die dort draußen lauernden Bedrohungen wusste, die ein Leben jeden Moment völlig grundlos auslöschen konnten. Dieser Mann war praktisch ein Fremder. Noch dazu umgab ihn eine ziemlich starke Aura von Gefahr. Seine Welt war so fern von ihrer eigenen, dass ihr schwindlig wurde, wenn sie nur darüber nachdachte.
Nein! Nein! Nein! Tu es nicht!
Trotzdem wollte ihr einfach keine ablehnende Antwort über die Lippen kommen. Das sah ihr so wenig ähnlich, dass Rainie sich fragte, ob ihr Körper vielleicht von irgendeinem Außerirdischen übernommen worden war.
Wie war das noch mit den Hormonen und der Intelligenz gewesen?
Aber Nathan Daneby war ihr keineswegs fremd, versuchte sie sich dann selbst zu überzeugen. Jedenfalls nicht wirklich. Und sie würde wirklich gerne mit ihm über seine spannende Arbeit reden. All die tollen Reisen und Abenteuer. Und vielleicht ... Ja, vielleicht auch mehr als nur reden, wenn sie tatsächlich den Mut aufbringen würde, darauf einzugehen, was sein flackernder Blick so unmissverständlich versprach.
Mehr atemberaubende Spannung, als ihr bisher in ihrem ganzen Leben widerfahren war.
Und außerdem, wann würde eine Frau wie Lorraine Martin jemals wieder die Gelegenheit haben, einen Mann wie ihn kennenzulernen?
Und so nahm sie allen Mut zusammen und sprang von der Klippe, mitten hinein in diese Verrücktheit, die sie nicht länger kontrollieren konnte. Sie fragte: »Warum verschwinden wir nicht von hier?«
...
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
»Mein Gott, Rain, nun lächel doch mal! Ist ja nicht so, als ob wir zu einer Beerdigung unterwegs sind.«
Gina Cappozi rollte mit den Augen und beförderte ihre beste Freundin mit einem festen Schubs durch die Tür des ehrwürdigen Park Avenue Hotels, nur wenige Blocks entfernt vom Bellevue Hospital, in dem sie und Lorraine Martin arbeiteten. Sie hatten es beide bis Punkt acht Uhr hierhergeschafft und hatten sogar zu Fuß zu dem Hotel laufen können - dank Gina, die schon vor zwei Stunden in Rainies Wohnung aufgetaucht war und ihr so lange zugesetzt hatte, bis sie in dem blauen VersaceKleid steckte. Nur unter Protest hatte Lorraine dieses hautenge, trägerlose Cocktailkleidchen bei einem gemeinsamen Einkaufsbummel an ihrem freien Tag im Filene's erstanden.
Rainie zupfte am Saum herum, der ein gutes Stück über den Knien endete, nur um gleich darauf das Oberteil hochziehen zu müssen, weil der tiefe Ausschnitt ihr Dekolleté freizulegen drohte. Großartig.
Sie gesellten sich zu der kleinen Gruppe lächelnder, herausgeputzter Singles, die alle im Krankenhaus arbeiteten, und wurden dann durch die elegante Empfangshalle im Art-déco-Stil und die Rolltreppen hinauf bis zur Anmeldung im Zwischengeschoss geleitet. Alle hatten sich schick gemacht und verströmten erwartungsvolle Anspannung. Aufgeregt strahlte Gina sie an. Rainie war leicht übel.
Speeddating.
Großer Gott. Wie hatte sie sich nur jemals dazu überreden lassen können?
In den letzten Jahren hatte Rainie die Partnersuche so gut wie aufgegeben. Wem stand nach einem langen Tag oder einer langen Nacht in der Notaufnahme - voller Blut, Drogen, Gewalt und sinnlosem Sterben - denn noch der Sinn nach Romantik? Auch wenn Gina darauf beharrte, dass sie genau deswegen bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach Romantik suchen musste. Als eine Art Selbstmedikation gegen die erdrückende psychische Belastung ihrer Arbeit.
Gina hatte leicht reden. Als Ärztin und Professorin leitete sie ein Genforschungsprojekt an der Columbia University. Zusätzlich arbeitete sie einmal wöchentlich in der Kinderabteilung des Bellevue und behandelte dort niedliche Kleinkinder. Wirklich eine Riesenbelastung, mit der sie da zurechtkommen musste.
Nun, wenigstens bestand hier nicht die Gefahr, sich ernsthafter Beziehungsabsichten erwehren zu müssen. Auf eines konnte man sich bei Menschen in medizinischen Berufen verlassen - sie waren allesamt mit ihrer Arbeit verheiratet und mindestens so getrieben wie Rainie selbst. Deswegen waren diese Treffen ja auch besonders beliebt bei den Mitarbeitern des Bellevue. Triff deine Wahl und nimm dir ein Zimmer. Igitt. Und genau deswegen hatte Rainie diese Treffen bisher gemieden. Es war einfach zu offensichtlich, was hier ablief, geradezu peinlich. Sicher, es war bereits eine Weile her, dass sie diese unbekümmerte Aufregung verspürt hatte, sich körperlich zu einem Mann hingezogen zu fühlen, und noch viel länger, dass sie dem auch nachgegeben hätte, aber fehlte ihr der Sex wirklich so sehr? Eigentlich nicht.
»Wow, jetzt sieh dir mal die Muskeln von diesem Kerl an«, murmelte Gina, während sie auf einen blonden Surfertyp zeigte, der in der Schlange vor der Anmeldung für einen Schwarm weiblicher Bewunderer seinen Bizeps anspannte.
»O bitte. Der ist doch keinen Tag älter als fünfundzwanzig«, brummelte Rainie leicht entsetzt. Sie und Gina hatten die dreißig bereits vor einigen Monden überschritten.
»Dann kann er sicherlich eine nette Kinderärztin gebrauchen«, erwiderte Gina augenzwinkernd.
Als das Jüngelchen vor den eigens für diese Veranstaltung abgestellten Fotografen posierte, wurde das Foyer in Blitzlicht getaucht. Bereits morgen würden Bilder und Videos auf der Website der Dating-Agentur zu sehen sein. Noch ein weiter Grund, warum Rainie bislang jede Einladung von Gina ausgeschlagen hatte, sie zu einem solchen Treffen zu begleiten. Wer wollte seine Schande denn auch noch für die Nachwelt festgehalten wissen?
»Er sieht nicht gerade aus, als ob er viel im Kopf hat«, raunte sie und hoffte, dass ihre Freundin nur scherzte. Gina war blitzgescheit, aber ihr Sinn für Humor war etwas schräg. »Wahrscheinlich leert er den ganzen Tag über Bettpfannen«, fügte sie sicherheitshalber noch hinzu.
»Und was genau willst du mir damit sagen?«, gab Gina unbekümmert zurück.
Offensichtlich hatten die Hormone über ihre Intelligenz gesiegt.
»Okay, hab schon verstanden«, sagte Rainie mit ironischem Lächeln. »Den gesunden Menschenverstand und jegliches Niveau lässt man bei so etwas an der Tür zurück.«
»Na, nun kommst du der Sache näher.«
Nachdem sie sich Namensschildchen an die Brust geklebt hatten, folgte Rainie Gina widerstrebend in einen überfüllten Ballsaal. Eine Hälfte des Raums war mit nummerierten Tischen mit jeweils zwei Stühlen vollgestopft. In der anderen Hälfte standen die Teilnehmer herum und nippten an ihren Getränken, während sie darauf warteten, dass die Veranstaltung losging. Es herrschte ohrenbetäubender Lärm.
Rainies Puls kletterte in die Höhe. Chaos und Unordnung waren ihr extrem zuwider, wie generell alle Situationen, die sie nicht kontrollieren konnte.
»Also, wer gefällt dir?«, fragte Gina nahe an Rainies Ohr gelehnt. Prüfend betrachtete sie die männlichen Kandidaten, so als würde sie die Sonderangebote bei Macy's absuchen.
Rainie seufzte und blickte nervös um sich, versuchte, in der Menge einen Mann ausfindig zu machen - irgendeinen Mann -, der sie allein vom Aussehen her genügend faszinierte, dass sie es drauf ankommen lassen würde. Aber sie sah nur die ihr bekannten Ärzte, Assistenzärzte, Praktikanten und Verwaltungsangestellten, denen sie auch täglich im Krankenhaus begegnete. Na ja, selbst wenn es vielleicht nicht genau dieselben waren, so doch zumindest die gleichen Typen. Die Männer, die haifischgleich ihre Runden im Raum zogen, hatten alle dieselbe aalglatte, routinierte Art; dasselbe routinierte Lächeln auf den Lippen; und ohne Zweifel dieselben aalglatten, routinierten Anmachsprüche auf Lager, die irgendwann an jeder Krankenschwester unter vierzig ausprobiert wurden. Na schön, unter fünfzig.
Rainie begann ernsthaft über einen taktischen Rückzug nachzudenken, und ihr Blick wanderte zur Eingangstür. Durch die gerade ein Mann hereinkam.
Hoppla!
Ihre Fluchtpläne fanden ein jähes Ende.
Dieser Mann war eindeutig anders. Der sah alles andere als aal glatt aus. Und war weit älter als fünfundzwanzig. Mit dem zerknitterten dunkelblauen Anzug und dem leichten Dreitagebart sah er eher nach einem überarbeiteten Polizisten als nach einem Arzt aus - diesen Typ Mann kannte sie gut, weil sie jeden Tag in der Notaufnahme mit ihnen zu tun hatte. Er wirkte wie ein harter Kerl. Abgestumpft. Eiskalt. Gefährlich.
Und verdammt faszinierend.
Sofort schoss ihr Puls wild in die Höhe. Das war nicht gut. Genau von dieser Sorte Mann sollte ein Kontrollfreak wie sie sich besser fernhalten. Aber wie die Gefahren, die ihr Beruf mit sich brachte, übte er eine unheilvolle Anziehungskraft auf sie aus.
Was hatte ein Mann wie er auf einer Veranstaltung für alleinstehende Mediziner und Pfleger verloren? Er trug jedoch ein Namensschild, und ohne Krankenhausausweis wurde man gar nicht zugelassen. Vielleicht ein Verbindungsmann der Polizei? Militärarzt?
Da er alle anderen im Saal um gute fünfzehn Zentimeter überragte, war das dichte, schwarzbraune Haar gut zu erkennen; offensichtlich hatte er es gerade noch nass gekämmt, auch wenn die widerspenstigen langen Wellen dadurch keineswegs gebändigt wirkten. Also doch kein Militär. Unterhalb der Schultern konnte sie nicht viel erkennen, aber die waren immerhin breit genug, um seinen Anzug ganz auszufüllen. Mehr als das.
Interessanterweise schien er sich sogar noch unwohler zu fühlen als sie selbst.
Aus zusammengekniffenen Augen ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, als ob er nach irgendetwas oder irgendjemand Bestimmtem Ausschau halten würde. So erwischte er sie dabei, wie sie ihn anstarrte. Wieder hüpfte ihr Puls unkontrolliert nach oben. O nein. Sie wollte wegsehen. Wusste instinktiv, dass sie wegschauen sollte. Aber sie konnte beim besten Willen nicht.
Anstatt weiter den Raum abzusuchen, erwiderte er ihren Blick so lange, bis Rainie spürte, dass sie errötete.
Dann setzte er sich in Bewegung. Direkt auf sie zu. Grundgütiger.
Die ganze Zeit über hatte Gina weiter vor sich hin geplappert, auf diesen und auf jenen Mann gezeigt. Endlich fiel ihr auf, dass sie nicht beachtet wurde.
»Du bist nicht gerade sehr ...« Ihre Freundin brach ab und schnappte hörbar nach Luft.
»Junge, Junge, ich glaube, ich stecke in Schwierigkeiten«, murmelte Rainie, während sie dem Mann mit wachsender Angst entgegenblickte, der immer näher kam. Oder handelte es sich bei diesem Vibrieren tief unten im Bauch etwa um freudige Erwartung?
Was um alles in der Welt waren das für Fantasien? Unglücklicherweise waren die Bilder ziemlich eindeutig.
Und offensichtlich standen ihr die sündigen Gedanken ins Gesicht geschrieben, denn nun fiel Gina die Kinnlade herunter. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst«, zischte sie ihr entrüstet ins Ohr. »Dieser Kerl? Der sieht aus wie ein Serienmörder!«
»Ich finde ihn verdammt sexy«, kam es Rainie spontan über die Lippen. Sofort warf sie ihrer Freundin einen bestürzten Blick zu - hatte sie das eben etwa laut ausgesprochen?
»Den nimmst du auf gar keinen Fall mit nach Hause, Lorraine Martin!«
Offensichtlich hätte sie es getan. »Ich werd mich hüten, Gini. Aber vielleicht ein Drink ... Hier an der Bar.«
»Nein«, wandt Gina ein, »so war das schließlich nicht gedacht, Rain. Mädchen, du brauchst mehr als nur einen Drink. Das hier ist deine Gelegenheit, jemand Harmlosen zu finden, den du mit auf ein Zimmer nehmen kannst. Irgendeinen netten ...«
»Sterbenslangweiligen Arzt?« Rainie schüttelte den Kopf. Nur über ihre Leiche. Mochte sie vielleicht eine einsame Memme sein, verzweifelt war sie nicht. »Nein, danke. Außerdem, was ist schon dabei, wenn ich etwas mit ihm trinke? Du weißt doch, dass ich gut allein auf mich aufpassen kann«, erinnerte Rainie sie. Das stimmte. Seit Jahren leitete sie in der Notaufnahme ein Forschungsprojekt für neuartige Medikamente; ihre Ausbildung an der Universität zur »Nurse Practitioner« qualifizierte sie dazu, auch eigenständig über Behandlungen zu entscheiden. Im Zuge dieses Projektes hatte sie es mit allerhand schrägen Gestalten zu tun gehabt, hinzu kamen sieben Jahre Training in Selbstverteidigung. Sie war sehr gut in der Lage, jeden wie auch immer gearteten unerwünschten Annäherungsversuch abzuwehren. Das gehörte für sie zum Alltag.
»Ich weiß, aber -«
»Mir wird nichts passieren, Gina. Geh. Sonst überlege ich es mir noch anders und renne lauthals schreiend zum Ausgang.«
Nach kurzem Zögern kam ein zustimmendes »Na gut, Süße« von ihrer Freundin. »Dann gönn dir eben dein Abenteuer. Aber wenn du mich morgen früh nicht postwendend anrufst, schicke ich die Polizei vorbei.« Damit verschwand sie im Gedränge.
Inzwischen hatte sich der Fremde durch die Menge zu ihr durchgeschlängelt und blieb direkt vor Rainie stehen. Ihr schlug das Herz bis zum Hals hinauf.
Gemächlich glitt sein Blick an ihrem viel zu kurzen Kleid hinunter, das mehr als freizügig geschnitten war. Auf dem Weg wieder nach oben hielt er auf der Höhe ihrer Brüste inne, und im selben Augenblick spürte sie, wie ihre Brustwarzen sich aufrichteten. Ihm entging das natürlich nicht. Auch wenn er nicht lächelte, so verdunkelten sich seine blauen Augen dennoch zu einem verhangenen Graublau, als er ihre Reaktion bemerkte.
Immer tiefer errötend, verlor Rainie allmählich vollkommen die Fassung. »Hören Sie, ich -«
»Möchten Sie etwas trinken?«, unterbrach er sie erstaunlich ruhig und gesittet, wenn man bedachte, dass sie gerade das Gefühl hatte, jeden Moment ohnmächtig werden zu müssen.
Das war eindeutig keine gute Idee.
»Kennen wir uns?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen, obwohl sie verdammt genau wusste, dass dem nicht so war. Sie schaute auf das marineblaue Revers. Auf seinem Namensschild stand Dr. Nathan Daneby.
Ihr fielen beinahe die Augen aus dem Kopf - Nathan Dane-by? -, und schon schnellte ihr Blick wieder nach oben zu seinem Gesicht. Verwunderung machte sich in ihr breit. »Sie sind Dr. Nathan Daneby? Von Doctors for Peace?«
Ein beunruhigter Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Sie kennen mich?«
»Ja! Also, nein. Ich meine, nicht persönlich, aber Ihren Namen kennt doch jeder. Gut, vielleicht nicht jeder, aber ich.« Ihre Anspannung floss geradezu aus ihr heraus, um heller Aufregung Platz zu machen. »Ich bewundere Sie schon seit Jahren. Seit Sie diese Dorfbewohner in Afghanistan gerettet haben, also seit dem Krieg, habe ich Ihre Karriere verfolgt. Das war einfach unglaub ... « Dann zuckte sie peinlich berührt zusammen und unterbrach sich mitten im Satz. »Tut mir leid, Dr. Daneby, ich plappere hier vor mich hin, und dabei sind Sie bestimmt nicht hier, um sich mit Groupies zu unterhalten.«
Sein leicht alarmierter Gesichtsausdruck verwandelte sich, aber ihr war nicht ganz klar, wie sie das zu deuten hatte. Dann hüstelte er. Lockerte sich dann mit einem Finger den Krawattenknoten und zog daran, als hätte ihm der Schlips die Luft abgeschnürt. »Eigentlich werde ich in den Staaten eher selten erkannt. Nie, um genau zu sein. Jetzt gerade zum ersten Mal.«
Rainie räusperte sich. Himmel, sie war dabei, das hier gründlich zu vermasseln. Bestimmt würde er gleich das Weite suchen. Dabei wollte sie erstaunlicherweise wirklich nicht, dass der Mann wieder ging - sie konnte sich gar nicht erinnern, schon einmal auf diese Weise empfunden zu haben.
»A..., also, äh«, stammelte sie. »Was führt Sie denn nun tatsächlich hierher? Nach New York, meine ich. Und, äh. Hierher. Zu dieser«, zutiefst verlegen fuchtelte sie unsicher mit den Händen herum, »hm, Veranstaltung.«
Sicher war er nicht hier, um jemanden kennenzulernen. Dr. Nathan Daneby war schließlich berühmt! Nun ja, irgendwie. In bestimmten Kreisen. Genauer gesagt, unter Krankenschwestern, die im Warteraum den National Geographic lasen und dann davon träumten, selbst genügend Mut zu besitzen, um sich aus ihrem gewohnten Umkreis von zehn Häuserblocks herauszuwagen, ohne vor lauter Angst wie gelähmt zu sein.
Wie wäre es wohl, solch Abenteuer wie die von Nathan Daneby zu erleben? Sie konnte sich das nicht einmal vorstellen.
Dann trat er noch näher an sie heran und hob eine Hand. Sie war groß, kräftig und nicht manikürt. Eine Hand, die augenscheinlich keine harte Arbeit scheute. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund machte ihn das nur noch attraktiver.
Sie nahm auch seinen Geruch wahr. Moschusartig, geheimnisvoll und herrlich männlich. Ganz pur: kein Rasierwasser, kein Shampoo, kein Atem mit Minzaroma. Nur purer Mann.
Ob es ihm wohl auffallen würde, wenn sie sich ein wenig näher lehnte, um tiefer einzuatmen?
Mit ausgestrecktem Zeigefinger tippte er sachte auf das Namensschildchen am knappen Oberteil ihres trägerlosen Kleids. Dann zog er mit der Fingerkuppe ganz langsam, o Gott, so aufreizend langsam - eine Linie an ihrem Namen und der Berufsbezeichnung entlang. Es war, als würde sie von einem heftigen elektrischen Schlag getroffen, der von den aufgerichteten Brustwarzen ausging und in ihrer Körpermitte einschlug.
»Ich könnte mir vorstellen, dass ich aus dem gleichen Grunde hier bin wie Sie: Lorraine Martin, Nurse Practitioner.« Er beugte sich über ihr Haar. »Aber ich würde lieber unbemerkt bleiben, wenn das für Sie in Ordnung ist.«
Seine Hand verweilte an der Wölbung ihres Busens. Urplötzlich sehnte sie sich danach, dass er sie unter das Kleid gleiten lassen und ihre Brust berühren würde. Sie um die nackte ...
Ach du lieber Himmel, was war nur in sie gefahren? So heftig war sie schon seit Jahren nicht mehr auf einen Mann angesprungen. Falls überhaupt jemals. Ihr Gesicht stand in Flammen.
»Aber sicher«, sagte sie im Bemühen, ihre Stimme ruhig klingen und sich nicht anmerken zu lassen, was für unangemessene Gedanken ihr gerade durch den Kopf schossen.
»Und unser gemeinsamer Drink ...?
Tu es nicht!, schrie alles in ihr.
»Klar!«, sagte sie laut.
»Hier?«
In der leise ausgesprochenen Frage schwang weit mehr mit. Rainies Pulsschlag schnürte ihr die Kehle ab.
Könnte sie? Sollte sie?
Herrje, erwog sie etwa ernsthaft, das Hotel mit ihm zu verlassen? Ausgerechnet sie, die immer so übervorsichtig war. Stets auf ihre persönliche Sicherheit bedacht. Die so gut um die dort draußen lauernden Bedrohungen wusste, die ein Leben jeden Moment völlig grundlos auslöschen konnten. Dieser Mann war praktisch ein Fremder. Noch dazu umgab ihn eine ziemlich starke Aura von Gefahr. Seine Welt war so fern von ihrer eigenen, dass ihr schwindlig wurde, wenn sie nur darüber nachdachte.
Nein! Nein! Nein! Tu es nicht!
Trotzdem wollte ihr einfach keine ablehnende Antwort über die Lippen kommen. Das sah ihr so wenig ähnlich, dass Rainie sich fragte, ob ihr Körper vielleicht von irgendeinem Außerirdischen übernommen worden war.
Wie war das noch mit den Hormonen und der Intelligenz gewesen?
Aber Nathan Daneby war ihr keineswegs fremd, versuchte sie sich dann selbst zu überzeugen. Jedenfalls nicht wirklich. Und sie würde wirklich gerne mit ihm über seine spannende Arbeit reden. All die tollen Reisen und Abenteuer. Und vielleicht ... Ja, vielleicht auch mehr als nur reden, wenn sie tatsächlich den Mut aufbringen würde, darauf einzugehen, was sein flackernder Blick so unmissverständlich versprach.
Mehr atemberaubende Spannung, als ihr bisher in ihrem ganzen Leben widerfahren war.
Und außerdem, wann würde eine Frau wie Lorraine Martin jemals wieder die Gelegenheit haben, einen Mann wie ihn kennenzulernen?
Und so nahm sie allen Mut zusammen und sprang von der Klippe, mitten hinein in diese Verrücktheit, die sie nicht länger kontrollieren konnte. Sie fragte: »Warum verschwinden wir nicht von hier?«
...
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
... weniger
Autoren-Porträt von Nina Bruhns
Nina Bruhns hat Archäologie studiert, bevor sie sich einer Karriere als Autorin zuwandte. Seither schreibt sie mit großem Erfolg Liebesromane und wurde mit mehreren begehrten Genrepreisen ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nina Bruhns
- 2012, 488 Seiten, Maße: 12,5 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Kallfass, Dorothea
- Übersetzer: Dorothea Kallfass
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802585151
- ISBN-13: 9783802585159
Kommentare zu "Tiefer Fall / Zero Unit Bd.1"
0 Gebrauchte Artikel zu „Tiefer Fall / Zero Unit Bd.1“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 3Schreiben Sie einen Kommentar zu "Tiefer Fall / Zero Unit Bd.1".
Kommentar verfassen