Totenpfad
Düster, atmosphärisch und hochspannend. Zwei verschwundenede Mädchen und ein makabrer Knochenfund im Moorgebiet halten die forensische Archäologin Ruth Galloway in Atem.
Norfolk: Zehn Jahre ist es her, dass die...
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Produktinformationen zu „Totenpfad “
Düster, atmosphärisch und hochspannend. Zwei verschwundenede Mädchen und ein makabrer Knochenfund im Moorgebiet halten die forensische Archäologin Ruth Galloway in Atem.
Norfolk: Zehn Jahre ist es her, dass die fünfjährige Lucy verschwunden ist. Nun hat man in den Salzwiesen nahe der Küste Mädchenknochen gefunden. Erst hofft man auf eine Spur im Fall von Lucys Verschwinden. Doch schnell ist klar, dass die Knochen schon 2000 Jahre alt sind. Die forensische Archäologin Ruth Galloway weiß: Hier wurden damals Menschen geopfert. Ist das ein makabrer Zufall? Dann verschwindet ein weiteres Mädchen. Während Ruth sich an die Ermittlungen macht, kommt sie dem Täter gefährlich nahe. Zudem tauchen mysteriöse Briefe auf.
Lese-Probe zu „Totenpfad “
Totenpfad von Elly GriffithsProlog
Sie warten die Ebbe ab und brechen auf, als es hell wird. Es hat die ganze Nacht geregnet, jetzt am Morgen dampft der Boden leicht, Nebel steigt auf und mischt sich mit den tiefhängenden Wolken. Nelson holt Ruth mit einem Zivil wagen ab. Er sitzt vorne neben dem Fahrer, Ruth hinten, wie im Taxi. Schweigend fahren sie zu dem Parkplatz, in dessen Nähe die ersten Knochen gefunden wurden. Auf der Straße, die zum Salzmoor führt, hört man kaum ein Geräusch, bis auf das unvermittelte, abgehackte Knistern des Polizeifunks und die schweren, verschnupften Atemzüge des Fahrers. Nelson sagt nichts. Es gibt auch nichts zu sagen. Sie steigen aus und stapfen durch das regenschwere Gras bis zum Moor. Der Wind flüstert im Schilf, hier und da sehen sie trübe, stehende Tümpel, in denen sich der graue Himmel spiegelt. Am Rand des Sumpflands bleibt Ruth stehen und sucht den ersten eingesunkenen Pfahl, den Kiesweg, der sich zwischen den tückischen Wasserlöchern hindurch bis ins Watt windet. Als sie ihn schließlich findet, halb verdeckt vom brackigen Wasser, marschiert sie ohne Zögern los.
... mehr
Schweigend überqueren sie das Moor. Auf dem Weg zum Meer löst sich der Nebel langsam auf, schwaches Sonnenlicht fällt durch die Wolken. Die Ebbe hat den Henge Ring freigelegt, der Sand glitzert im frühen Morgenlicht. Ruth kniet sich hin, wie sie es damals, vor Jahren, Erik tun sah. Behutsam macht sie sich daran, mit dem Spatel im nachgiebigen Schlamm zu stochern. Mit einem Mal ist es ganz still, selbst die Seevögel über ihr haben ihr wildes Pfeifen und Kreischen eingestellt. Vielleicht nimmt sie es auch nur nicht mehr wahr. Hinter sich hört sie Nelson schwer atmen, doch Ruth ist merkwürdig ruhig. Selbst als sie ihn sieht, den schmalen Arm mit dem Taufarmband selbst da empfindet sie nichts.
Sie hat ja gewusst, was sie finden würde.
Aufwachen hat etwas von Auferstehung. Sich mühsam aus dem Schlaf wühlen, Umrisse erkennen, die sich aus der Dunkelheit lösen, das Klingeln des Weckers hören, wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts. Ruth streckt den Arm aus und fegt den Wecker zu Boden, wo er vorwurfsvoll weiterklingelt. Stöhnend richtet sie sich auf und zieht die Jalousie hoch. Immer noch dunkel draußen. Das ist doch nicht normal, denkt sie und zuckt zusammen, als sie die kalten Bodendielen unter den Füßen spürt. In der Steinzeit gingen die Leute bei Sonnenuntergang schlafen und erwachten bei Sonnenaufgang. Wie kommen wir eigentlich darauf, dass wir es richtig machen? Man nickt auf dem Sofa vor den Spätnachrichten ein und schleppt sich irgendwann nach oben, nur um dann mit einem Rebus-Krimi wach zu liegen, den BBC World Service zu hören und Grabstätten aus der Eisenzeit zu zählen, damit man doch noch irgendwie einschläft. Und dann wacht man am nächsten Morgen im Stockdunkeln auf und fühlt sich wie tot. Das ist doch einfach nicht normal.
Unter der Dusche gehen die verklebten Augen auf, und das Haar fließt ihr nass den Rücken hinunter. Das wäre dann wohl eine Art Taufe. Ruths Eltern sind Christen, Wiedererweckte Christen, und eifrige Verfechter der Ganzkörpertaufe für Erwachsene. Ruth kann den Reiz daran durchaus verstehen, sie hat nur das kleine Problem, dass sie nicht an Gott glaubt. Trotzdem beten ihre Eltern täglich für sie (täglich!), was allerdings bisher nicht allzu viel genützt hat. Sie rubbelt sich energisch mit dem Handtuch trocken und starrt mit leerem Blick in den beschlagenen Spiegel. Was sie dort sehen würde, weiß sie, aber dieses Wissen ist kaum tröstlicher als die Gebete ihrer Eltern. Schulterlanges braunes Haar, blaue Augen, helle Haut. Und ganz egal, wie sie sich auf die Waage stellt (die seit kurzem ohnehin in den Besenschrank verbannt ist), sie wiegt doch immer dieselben 79 Kilo. Ruth seufzt ich definiere mich nicht über mein Gewicht, man ist immer nur so dick, wie man sich fühlt und drückt Zahnpasta auf die Zahnbürste. Sie hat ein wunderschönes Lächeln, doch im Augenblick lächelt sie nicht, und so ist auch das heute Morgen kein Trost. Fertig geduscht geht sie auf feuchten Sohlen ins Schlafzimmer zurück. Heute hat sie Vorlesungen und muss sich deshalb etwas offizieller kleiden. Schwarze Hose, weites, schwarzes Oberteil. Fast ohne hinzusehen, nimmt sie die Kleider aus dem Schrank. Dabei mag sie Farben und Stoffe und hat eine ausgesprochene Vorliebe für Pailletten, Glasperlen und Strass. Ihrem Kleiderschrank sieht man das allerdings nicht an: eine einzige düstere Reihe dunkler Hosen und weiter Blazer in gedeckten Farben. Die Schubladen ihrer Kiefernholzkommode sind mit schwarzen Pullovern, langen Strickjacken und blickdichten Strumpfhosen gefüllt. Früher hat sie Jeans getragen, aber seit sie bei Größe 44 angelangt ist, trägt sie lieber Cordhosen, selbstverständlich in Schwarz. Jeans sind ohnehin zu jugendlich für sie. Nächstes Jahr wird sie vierzig.
Als sie angezogen ist, steigt sie die Treppe hinunter. Die Treppe in ihrem Häuschen ist ausgesprochen steil, eigentlich eher eine Leiter. «Da komme ich nie im Leben hoch», hat ihre Mutter bei ihrem ersten und einzigen Besuch verkündet. Und Ruth dachte sich im Stillen: Verlangt ja auch keiner von dir. Ihre Eltern haben in einer Pension ganz in der Nähe übernachtet, weil Ruth kein Gästezimmer hat, es gab also gar keinen Grund für Ruths Mutter, nach oben zu gehen (unten ist sogar auch eine Toilette, allerdings gleich neben der Küche, was Ruths Mutter unhygienisch findet). Die Treppe führt direkt ins Wohnzimmer: abgeschliffener Holzboden, ein bequemes, leicht verschossenes Sofa, ein großer Fernseher mit Flachbildschirm und jede Menge Bücher. Hauptsächlich archäologische Fachbücher, aber auch Krimis, Kochbücher, Reiseführer und Arztromane. Ruths Lektürevorlieben sind bunt gemischt. Sie hat eine Schwäche für Kinderbücher, die von Ballett und Reiten handeln, obwohl sie keins von beidem je ausprobiert hat. Die Küche bietet gerade genug Platz für einen Kühlschrank und einen Herd, doch Ruth kocht so gut wie nie, trotz der vielen Kochbücher. Jetzt macht sie den Wasserkocher an, steckt Brot in den Toaster und schaltet mit geübter Hand das Radio ein. Dann sucht sie ihre Notizen für die Vorlesung zusammen und setzt sich damit an den Tisch am Fenster. Das ist ihr Lieblingsplatz. Vor ihrem Vorgarten mit dem windzerzausten Gras und dem wackligen blauen Zaun beginnt das Nichts. Nur Sumpfland, kilometerweit, hier und da sind mickrige Ginsterbüsche zu sehen und kreuz und quer verlaufende schmale, hinterhältige Wasserläufe. Um diese Jahreszeit ziehen manchmal große Schwärme von Wildgänsen über den Himmel, das Gefieder rosig verfärbt von den Strahlen der aufgehenden Sonne. Heute allerdings, an diesem grauen Wintermorgen, sieht man weit und breit kein einziges Lebewesen. Alles wirkt blass und verwaschen, Graugrün mischt sich mit Grauweiß, dort, wo das Moor in den Himmel übergeht. Und in der Ferne als dunkelgrauer Streifen das Meer, wo die Möwen auf den Wellen an Land treiben. Es ist eine ganz und gar trostlose Landschaft, und Ruth weiß beim besten Willen nicht, weshalb sie das alles so sehr liebt. Sie isst ihren Toast und trinkt ihren Tee eigentlich trinkt sie lieber Kaffee, hebt sich den ordentlichen Espresso aber für die Uni auf und blättert dabei in ihren Notizen, ein ursprünglich sauber getipptes Skript, das inzwischen aber durch die nachträglich eingefügten, verschiedenfarbigen Anmerkungen zu einem wahren Palimpsest geworden ist. «Gender-Fragen der prähistorischen Archäologie», «Das Ausgraben von Artefakten», «Leben und Tod im Mesolithikum», «Die Bedeutung von Tierknochen bei archäologischen Ausgrabungen». Obwohl der November gerade erst angefangen hat, ist das Wintertrimester schon wieder fast vorbei, und Ruth hat nur noch diese Woche Veranstaltungen. Einen Moment lang sieht sie die Gesichter ihrer Studenten vor sich: ernst, fleißig und ein bisschen langweilig. Inzwischen unterrichtet sie nur noch Doktoranden, und manchmal vermisst sie die Studienanfänger mit ihrer unbeschwerten, immer leicht verkaterten guten Laune. Ihre Studenten sind so schrecklich eifrig, sie lauern ihr nach der Vorlesung auf, um mit ihr über den Lindow-Mann und den Boxgrove-Mann zu diskutieren und darüber, ob Frauen in der prähistorischen Gesellschaft nicht doch eine wichtige Rolle gespielt haben könnten. Schaut euch doch mal um, möchte sie dann manchmal antworten. Spielen Frauen etwa in dieser Gesellschaft eine besonders wichtige Rolle? Wie kommt ihr eigentlich darauf, dass eine Horde grunzender Jäger und Sammler fortschrittlicher gewesen sein soll als unsereins?
Der unvermeidliche «Gedanke zum Tage» dringt aus dem Radio in ihr Unterbewusstsein und erinnert sie daran, dass es Zeit zum Aufbrechen wird: «In mancher Hinsicht ist Gott wie ein iPod . . .» Ruth räumt Teller und Tasse in die Spüle, stellt ihren beiden Katzen, Sparky und Flint, etwas zu fressen hin und verteidigt sich dabei gegen den unermüdlichen, spöttischen Fragensteller in ihrem Kopf. «Ja, ich bin eine alleinstehende Frau mit Übergewicht und ohne Anhang. Und ich habe Katzen. Na und? Zugegeben, manchmal rede ich auch mit ihnen, aber ich erwarte immerhin nicht, dass sie antworten, und ich bilde mir auch nicht ein, dass ich für sie etwas anderes bin als eine äußerst praktische Futterquelle.» Wie aufs Stichwort zwängt sich Flint, ein großer, roter Kater, durch die Katzenklappe in der Tür und richtet seine starren, gelben Augen auf sie. «Kommt Gott in der Liste unserer kürzlich gespielten Songs vor, oder taucht er nur auf, wenn wir die Zufallsfunktion drücken?», ertönt es aus dem Radio. Ruth streichelt Flint und geht zurück ins Wohnzimmer, um ihre Unterlagen in den Rucksack zu stecken. Sie wickelt sich einen roten Schal um den Hals ihr einziges Zugeständnis in punkto Farbe: Schals dürfen schließlich auch dicke Leute tragen und streift ihren Anorak über. Dann macht sie das Licht aus und verlässt ihr Häuschen. Ruth bewohnt eines von drei kleinen Häusern am Rand des Salzmoors. Das zweite gehört dem Wärter des Vogelschutzgebiets, das dritte ist ein Wochenendhaus, dessen Bewohner im Sommer hier einfallen, die Luft mit Grilldünsten verpesten und Ruth mit ihrem Geländewagen die Aussicht versperren. Im Frühling und im Herbst ist die Straße häufig überschwemmt, im Winter manchmal völlig unpassierbar. «Warum wohnst du nicht etwas zentraler?», fragen ihre Kollegen. «Es gibt doch wunderschöne Grundstücke in King's Lynn oder auch in Blakeney, wenn du mehr Natur willst.» Ruth kann sich selbst nicht recht erklären, weshalb sie, ein Großstadtkind, im Süden von London geboren und aufgewachsen, sich zu diesem gottverlassenen, unwirtlichen Sumpfland, dem trostlosen Watt, dieser ganzen unerbittlichen Landschaft hingezogen fühlt. Das erste Mal ist sie aus beruflichen Gründen hierher ans Salzmoor gekommen; weshalb sie trotz aller widrigen Umstände bleibt, weiß sie selber nicht. «Ich bin es eben so gewöhnt.» Mehr kann sie dazu nicht sagen. «Und die Katzen würden auch nicht gerne umziehen.» Dann lachen die anderen. Die gute Ruth mit ihren heißgeliebten Katzen, klarer Fall von Kinder-Ersatz; eigentlich schade, dass sie nie geheiratet hat, wenn sie lächelt, ist sie richtig hübsch. Heute ist die Straße frei, nur der ewige Wind weht eine dünne Salzspur auf die Windschutzscheibe. Ruth sprüht automatisch Wischwasser darauf, während sie im Schritttempo über den Weiderost holpert und dann der kurvigen Straße ins Dorf folgt. Im Sommer neigen sich die belaubten Bäume aufeinander zu und bilden einen geheimnisvollen, grünen Tunnel, doch heute sind sie bloße Gerippe, die ihre kahlen Arme gen Himmel strecken. Ein bisschen schneller, als ratsam wäre, fährt Ruth an den vier Häusern und dem vernagelten Pub vorbei, die das Dorf bilden, und nimmt die Abzweigung nach King's Lynn. Ihre erste Vorlesung beginnt um zehn. Ruth unterrichtet an der University of North Norfolk, der UNN, wie die wenig einnehmende Abkürzung lautet, einer jungen Universität am Stadtrand von King's Lynn. Sie ist Dozentin für Archäologie, einem jungen Studienfach an dieser Uni, und ihr Spezialgebiet ist forensische Archäologie, eine noch sehr viel jüngere Disziplin. Phil, der Lehrstuhlinhaber, witzelt häufig darüber, dass Archäologie ja eigentlich so gar nichts Jugendliches an sich habe, und Ruth lächelt jedes Mal pflichtschuldigst. Insgeheim ist sie überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis Phil sich einen lustigen Autoaufkleber zulegt: «Grab doch mal 'nen Archäologen an» oder «Für Archäologen ist man nie zu alt». Sie selbst interessiert sich vor allem für Knochen. Wann klappern Skelette am lautesten? Wenn sie das Tanzbein schwingen. Ruth kennt die Witze alle längst, muss aber trotzdem jedes Mal wieder lachen. Vergangenes Jahr haben die Studenten ihr ein fast lebensgroßes Plastikskelett mit baumelnden Armen und Beinen geschenkt.
Das hängt jetzt oben am Treppenabsatz und macht den Katzen Angst. Im Radio philosophiert jemand über das Leben nach dem Tod. Woher kommt das Bedürfnis, uns einen Himmel auszumalen? Gibt es einen Beweis dafür, dass ein solcher Ort tatsächlich existiert, oder ist es einfach nur Wunschdenken im ganz großen Stil? Ruths Eltern reden vom Himmel, als wäre er gleich nebenan, wie eine Art kosmisches Einkaufszentrum, wo sie sich bestens auskennen und umsonst am Park-and-ride-System teilnehmen dürfen, während Ruth auf ewig in der Tiefgarage schmachten muss. Oder zumindest so lange, bis sie selbst wiedererweckt wird. Ihr ist der katholische Himmel lieber, wie sie ihn von Studienreisen nach Italien und Spanien kennt. Ein weites, wolkenverhangenes Himmelszelt, Weihrauch und Kerzendunst, geheimnisvolles Dunkel. Ruth liebt alles Weite: die Bilder von John Martin, den Vatikan, den Himmel über Norfolk. Ein Glück, denkt sie selbstironisch, als sie auf den Campus einbiegt.
Die Universität besteht aus mehreren niedrigen, langgestreckten Gebäuden mit gläsernen Verbindungsstegen dazwischen. An einem grauen Morgen wie diesem wirkt der ganze Komplex fast einladend: Gelbliches Licht fällt auf die zahllosen Parkplätze hinaus, und eine Reihe winziger Lämpchen weist den Weg zu dem Gebäude, in dem die Fachbereiche Archäologie und Naturwissenschaft untergebracht sind. Aus der Nähe ist das Ganze dann schon weniger eindrucksvoll. Obwohl der Campus erst zehn Jahre alt ist, haben die Betonfassaden bereits erste Risse, die Wände
sind mit Graffiti beschmiert, und ein gutes Drittel der kleinen Lämpchen ist defekt. Ruth bemerkt das alles kaum.
Sie fährt auf ihren gewohnten Parkplatz und wuchtet den schweren Rucksack aus dem Wagen. Schwer ist er deshalb, weil er zur Hälfte mit Knochen gefüllt ist. Auf dem Weg durch das muffige Treppenhaus zu ihrem Büro denkt sie über ihre erste Vorlesung nach: «Grundprinzipien der Ausgrabungstechnik». Obwohl sie alle schon einen Studienabschluss haben, verfügen ihre Studenten in der Regel über wenig bis keine Ausgrabungspraxis. Viele kommen aus dem Ausland die Universität kann ihre Studiengebühren gut brauchen , und der steinhart gefrorene Boden East Anglias wäre ein zu großer Kulturschock für sie. Ihre erste offizielle Ausgrabung absolvieren sie deshalb nicht vor April.
Während Ruth auf dem Flur vor ihrem Büro nach der Schlüsselkarte kramt, sieht sie aus dem Augenwinkel zwei Männer auf sich zukommen. Der eine ist Phil, der Lehrstuhlinhaber, den anderen kennt sie nicht. Ein großer, dunkler Typ mit raspelkurzem, graumeliertem Haar. Er hat etwas Hartes an sich, wirkt beherrscht und fast ein wenig gefährlich, weshalb Ruth vermutet, dass er kein Student und ganz sicher auch kein Dozent ist. Sie macht einen Schritt zur Seite, um die beiden vorbeizulassen, doch Phil bleibt zu ihrem Erstaunen vor ihr stehen und sagt mit ernster Stimme, in der die Aufregung deutlich zu hören ist: «Ruth, hier ist jemand, der dich gern kennenlernen würde. »
Also doch ein Student. Ruth will schon ihr Willkommenslächeln aufsetzen, doch Phils nächste Worte lassen sie überrascht innehalten.
«Das ist Detective Chief Inspector Harry Nelson. Er will mit dir über einen Mord reden.»
Einen mutmaßlichen Mord», verbessert Detective Chief Inspector Harry Nelson sofort.
«Ja, natürlich», sagt Phil eifrig und wirft Ruth dabei einen Blick zu, der in etwa ausdrückt: «Siehst du, ich rede mit einem echten Detective!» Ruth verzieht keine Miene.
«Das ist Doktor Ruth Galloway», fährt Phil fort. «Unsere Expertin für forensische Fragen.»
«Freut mich sehr», sagt Nelson, ohne zu lächeln. Dann deutet er auf Ruths verschlossene Bürotür. «Können wir vielleicht . . .?»
Ruth schiebt ihre Schlüsselkarte ins Schloss und öffnet die Tür. Ihr Büro ist winzig, es misst kaum sechs Quadratmeter. Eine Wand wird komplett von Bücherregalen eingenommen, eine weitere von der Tür, die dritte von einem schmuddeligen Fenster mit Blick auf einen nicht minder schmuddeligen Zierteich. An der vierten Wand steht Ruths Schreibtisch, über dem ein gerahmtes Indiana Jones-Plakat hängt rein ironisch natürlich, wie sie stets hastig versichert. Wenn Ruth hier ihre Tutorien hat, sitzt ein Teil der Studenten meist auf dem Gang, und sie hält die Tür mit einem Stopper in Katzenform offen, den Peter ihr einmal geschenkt hat. Jetzt allerdings lässt sie die Tür hinter sich zufallen. Phil und der Detective bleiben verlegen stehen und wissen nicht, wohin mit sich. Als Nelson sich mit finsterer Miene an die Fensterbank lehnt, kommt es Ruth vor, als verdunkelte sich das Zimmer. Er wirkt viel zu breit, zu groß, zu erwachsen für diesen Ort. «Bitte.» Ruth deutet auf die Stühle, die neben der Tür gestapelt stehen. Phil überlässt Nelson mit großer Geste den ersten Stuhl und kann sich offenbar nur knapp davon abhalten, ihn vorher noch mit dem Pulloverärmel abzustauben. Ruth zwängt sich hinter ihren Schreibtisch und gibt sich kurz der Illusion hin, dadurch sicherer und autoritärer zu wirken. Das hält jedoch nur so lange an, bis Nelson sich zurücklehnt, die Beine übereinanderschlägt und mit energisch-monotoner Stimme das Wort an sie richtet. Er hat einen nordenglischen Akzent, was ihn nur noch zupackender erscheinen lässt, so als hätte er schlicht nicht die Zeit für die langgezogenen Norfolk-Vokale. «Wir haben Knochen gefunden», sagt er. «Sieht aus, als stammten sie von einem Kind, aber sie wirken irgendwie alt. Ich muss wissen, wie alt.»
Ruth schweigt, doch Phil mischt sich eifrig ein. «Wo haben Sie die Knochen denn gefunden, Inspector?»
«Beim Vogelschutzgebiet. Im Salzmoor.»
Phil sieht Ruth an. «Aber das ist ja gleich bei dir . . .»
«Ja, ich weiß», bremst ihn Ruth. «Wie kommen Sie darauf, dass die Knochen alt sein könnten?»
«Sie sind bräunlich verfärbt, wirken aber sonst gut erhalten. Ich dachte, das ist Ihr Fachgebiet?» Sein Ton wird unvermittelt aggressiver.
«So ist es», erwidert Ruth ruhig. «Deshalb sind Sie ja hier, nehme ich an.»
«Können Sie mir nun sagen, ob es neuere Knochen sind, oder nicht?», fragt Nelson unvermindert streitlustig. «Neuere Funde lassen sich meist schnell bestimmen», sagt Ruth. «Man erkennt sie am Erscheinungsbild und an der Oberfläche. Mit älteren Knochen ist es da schon komplizierter. Oft lässt sich nicht sagen, ob sie nun fünfzig oder zweitausend Jahre alt sind. Dann muss man eine Radiokarbonanalyse durchführen.» «Doktor Galloway ist Expertin für das Konservieren von Knochenmaterial.» Schon wieder Phil, der vor lauter Aufregung ständig dazwischenquatscht. «Sie war sogar in Bosnien bei den Kriegsgräbern im Einsatz.» «Können Sie sich die Sache mal ansehen?», fragt Nelson, ohne Phil zu beachten. Ruth tut, als würde sie nachdenken, obwohl sie längst geködert ist. Knochen! Im Salzmoor! Wo sie damals ihre erste, unvergessliche Ausgrabung mit Erik absolviert hat. Das kann alles Mögliche bedeuten. Eine Entdeckung vielleicht. Oder aber . . . «Und Sie vermuten einen Mord?», fragt sie.
Nelson sieht zum ersten Mal etwas unbehaglich drein.
« Darüber möchte ich lieber nicht sprechen», sagt er ernst.
«Zumindest jetzt noch nicht. Können Sie sich die Sache ansehen ? »
Ruth steht auf. «Ich habe eine Veranstaltung um zehn.
Aber in der Mittagspause hätte ich Zeit.»
«Dann schicke ich Ihnen um zwölf einen Wagen», sagt Nelson.
Zu Ruths heimlicher Enttäuschung schickt Nelson ihr keinen Streifenwagen mit Blaulicht und allem Drum und
Dran. Stattdessen kommt er selbst in einem verdreckten Mercedes. Ruth wartet wie vereinbart am Haupteingang, und Nelson bequemt sich nicht einmal aus dem Wagen, sondern beugt sich nur herüber, um die Beifahrertür zu öffnen. Ruth steigt ein und fühlt sich dick und unförmig dabei, wie immer im Auto. Sie wird von der krankhaften Befürchtung geplagt, dass der Gurt einmal nicht um sie herumpassen oder ein versteckter Gewichtssensor einen grellen Alarmton auslösen könnte. «Neunundsiebzig Kilo! Neunundsiebzig Kilo an Bord! Alarmstufe Rot! Schleudersitzfunktion einleiten !» Nelson mustert ihren Rucksack. «Haben Sie alles, was Sie brauchen ? »
«Ja.» Sie hat ihre Taschenausrüstung dabei: eine Spitzkelle, eine kleine Handschaufel, Tiefkühlbeutel für Fundstücke und Bodenproben, Klebeband, Notizbuch, Bleistifte, Pinsel, Kompass und eine Digitalkamera. Außerdem hat sie Turnschuhe angezogen und eine Sicherheitsweste.
Entnervt ertappt sie sich bei dem Gedanken, dass sie vermutlich furchtbar aussieht.
«Und Sie wohnen also in der Nähe vom Salzmoor?»,
fragt Nelson, während er den Wagen mit quietschenden Reifen durch den Verkehr steuert. Er fährt wie die berühmte gesengte Sau. «Ja.» Ruth hat das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, obwohl sie eigentlich gar nicht weiß, warum. «An der New Road. » «An der New Road!» Nelson lacht bellend auf. «Ich dachte, da wohnen nur Vogel-Freaks.»
«Der Vogelschutzwart wohnt tatsächlich gleich nebenan.»
Ruth versucht, höflich zu bleiben, während sie mit dem Fuß immer wieder unwillkürlich auf eine nicht vorhandene Bremse tritt.
«Für mich wäre das nichts», sagt Nelson. «Viel zu einsam. »
«Mir gefällt es», sagt Ruth. «Ich habe dort eine Ausgrabung gemacht und bin geblieben.»
« Eine Ausgrabung ? Was Archäologisches ? »
«Ja.» Ruth denkt zurück an den Sommer vor zehn Jahren. Die Abende am Lagerfeuer, wo sie halb verkohlte Würstchen aßen und rührselige Lieder sangen. Das Vogelzwitschern am Morgen, der blühende Strandflieder, der das ganze Sumpfland lila färbte. Die Schafherde, die mitten in der Nacht ihre Zelte niedertrampelte. Die Angst, als Peter bei Flut auf dem Watt festsaß und Erik auf allen vieren herüberkroch, um ihn zu retten. Die fiebrige Aufregung, als sie den ersten hölzernen Pfahl entdeckten, den Beweis, dass der Henge tatsächlich existierte. Ruth hat den Klang von Eriks Stimme noch im Ohr, als er sich umdrehte und ihnen über die nahende Flut hinweg zurief: «Wir haben ihn gefunden!» Sie sieht Nelson an. «Wir waren auf der Suche nach einem Henge.»
«Einem Henge? So was wie Stonehenge?»
«Ja, genau. Das Wort bezeichnet im Grunde nur einen kreisförmigen Erdwall mit einem Graben drum herum. Im Inneren des Kreises stehen meistens Pfähle.» «Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Stonehenge eigentlich eine Art riesige Sonnenuhr war. Zur Bestimmung der Uhrzeit.» «Wir wissen nicht genau, wozu es tatsächlich diente», sagt Ruth. «Aber fest steht in jedem Fall, dass es dabei um
Rituale ging.»
Nelson wirft ihr einen merkwürdigen Blick zu.
« Rituale ? »
«Ja. Eine Kultstätte für Gaben und Opferhandlungen.»
«Opfer?», wiederholt Nelson. Er wirkt plötzlich ernstlich interessiert, der leicht herablassende Ton ist aus seiner Stimme verschwunden.
«Gelegentlich finden wir Belege für Opferrituale. Gefäße, Speere, Tierknochen.»
«Was ist mit Menschenknochen? Haben Sie auch schon mal menschliche Knochen gefunden?»
«Ja, hin und wieder schon.»
Nach kurzem Schweigen fragt Nelson: «Ist das nicht ein etwas komischer Ort für so ein Henge-Ding? Direkt am Meer ? »
«Damals war hier noch kein Meer. Landschaften verändern sich im Lauf der Zeit. Vor zehntausend Jahren war unsere Insel noch mit dem Kontinent verbunden. Man hätte von hier zu Fuß bis nach Skandinavien gehen können. »
« Im Ernst ? »
Copyright © 2009 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Schweigend überqueren sie das Moor. Auf dem Weg zum Meer löst sich der Nebel langsam auf, schwaches Sonnenlicht fällt durch die Wolken. Die Ebbe hat den Henge Ring freigelegt, der Sand glitzert im frühen Morgenlicht. Ruth kniet sich hin, wie sie es damals, vor Jahren, Erik tun sah. Behutsam macht sie sich daran, mit dem Spatel im nachgiebigen Schlamm zu stochern. Mit einem Mal ist es ganz still, selbst die Seevögel über ihr haben ihr wildes Pfeifen und Kreischen eingestellt. Vielleicht nimmt sie es auch nur nicht mehr wahr. Hinter sich hört sie Nelson schwer atmen, doch Ruth ist merkwürdig ruhig. Selbst als sie ihn sieht, den schmalen Arm mit dem Taufarmband selbst da empfindet sie nichts.
Sie hat ja gewusst, was sie finden würde.
Aufwachen hat etwas von Auferstehung. Sich mühsam aus dem Schlaf wühlen, Umrisse erkennen, die sich aus der Dunkelheit lösen, das Klingeln des Weckers hören, wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts. Ruth streckt den Arm aus und fegt den Wecker zu Boden, wo er vorwurfsvoll weiterklingelt. Stöhnend richtet sie sich auf und zieht die Jalousie hoch. Immer noch dunkel draußen. Das ist doch nicht normal, denkt sie und zuckt zusammen, als sie die kalten Bodendielen unter den Füßen spürt. In der Steinzeit gingen die Leute bei Sonnenuntergang schlafen und erwachten bei Sonnenaufgang. Wie kommen wir eigentlich darauf, dass wir es richtig machen? Man nickt auf dem Sofa vor den Spätnachrichten ein und schleppt sich irgendwann nach oben, nur um dann mit einem Rebus-Krimi wach zu liegen, den BBC World Service zu hören und Grabstätten aus der Eisenzeit zu zählen, damit man doch noch irgendwie einschläft. Und dann wacht man am nächsten Morgen im Stockdunkeln auf und fühlt sich wie tot. Das ist doch einfach nicht normal.
Unter der Dusche gehen die verklebten Augen auf, und das Haar fließt ihr nass den Rücken hinunter. Das wäre dann wohl eine Art Taufe. Ruths Eltern sind Christen, Wiedererweckte Christen, und eifrige Verfechter der Ganzkörpertaufe für Erwachsene. Ruth kann den Reiz daran durchaus verstehen, sie hat nur das kleine Problem, dass sie nicht an Gott glaubt. Trotzdem beten ihre Eltern täglich für sie (täglich!), was allerdings bisher nicht allzu viel genützt hat. Sie rubbelt sich energisch mit dem Handtuch trocken und starrt mit leerem Blick in den beschlagenen Spiegel. Was sie dort sehen würde, weiß sie, aber dieses Wissen ist kaum tröstlicher als die Gebete ihrer Eltern. Schulterlanges braunes Haar, blaue Augen, helle Haut. Und ganz egal, wie sie sich auf die Waage stellt (die seit kurzem ohnehin in den Besenschrank verbannt ist), sie wiegt doch immer dieselben 79 Kilo. Ruth seufzt ich definiere mich nicht über mein Gewicht, man ist immer nur so dick, wie man sich fühlt und drückt Zahnpasta auf die Zahnbürste. Sie hat ein wunderschönes Lächeln, doch im Augenblick lächelt sie nicht, und so ist auch das heute Morgen kein Trost. Fertig geduscht geht sie auf feuchten Sohlen ins Schlafzimmer zurück. Heute hat sie Vorlesungen und muss sich deshalb etwas offizieller kleiden. Schwarze Hose, weites, schwarzes Oberteil. Fast ohne hinzusehen, nimmt sie die Kleider aus dem Schrank. Dabei mag sie Farben und Stoffe und hat eine ausgesprochene Vorliebe für Pailletten, Glasperlen und Strass. Ihrem Kleiderschrank sieht man das allerdings nicht an: eine einzige düstere Reihe dunkler Hosen und weiter Blazer in gedeckten Farben. Die Schubladen ihrer Kiefernholzkommode sind mit schwarzen Pullovern, langen Strickjacken und blickdichten Strumpfhosen gefüllt. Früher hat sie Jeans getragen, aber seit sie bei Größe 44 angelangt ist, trägt sie lieber Cordhosen, selbstverständlich in Schwarz. Jeans sind ohnehin zu jugendlich für sie. Nächstes Jahr wird sie vierzig.
Als sie angezogen ist, steigt sie die Treppe hinunter. Die Treppe in ihrem Häuschen ist ausgesprochen steil, eigentlich eher eine Leiter. «Da komme ich nie im Leben hoch», hat ihre Mutter bei ihrem ersten und einzigen Besuch verkündet. Und Ruth dachte sich im Stillen: Verlangt ja auch keiner von dir. Ihre Eltern haben in einer Pension ganz in der Nähe übernachtet, weil Ruth kein Gästezimmer hat, es gab also gar keinen Grund für Ruths Mutter, nach oben zu gehen (unten ist sogar auch eine Toilette, allerdings gleich neben der Küche, was Ruths Mutter unhygienisch findet). Die Treppe führt direkt ins Wohnzimmer: abgeschliffener Holzboden, ein bequemes, leicht verschossenes Sofa, ein großer Fernseher mit Flachbildschirm und jede Menge Bücher. Hauptsächlich archäologische Fachbücher, aber auch Krimis, Kochbücher, Reiseführer und Arztromane. Ruths Lektürevorlieben sind bunt gemischt. Sie hat eine Schwäche für Kinderbücher, die von Ballett und Reiten handeln, obwohl sie keins von beidem je ausprobiert hat. Die Küche bietet gerade genug Platz für einen Kühlschrank und einen Herd, doch Ruth kocht so gut wie nie, trotz der vielen Kochbücher. Jetzt macht sie den Wasserkocher an, steckt Brot in den Toaster und schaltet mit geübter Hand das Radio ein. Dann sucht sie ihre Notizen für die Vorlesung zusammen und setzt sich damit an den Tisch am Fenster. Das ist ihr Lieblingsplatz. Vor ihrem Vorgarten mit dem windzerzausten Gras und dem wackligen blauen Zaun beginnt das Nichts. Nur Sumpfland, kilometerweit, hier und da sind mickrige Ginsterbüsche zu sehen und kreuz und quer verlaufende schmale, hinterhältige Wasserläufe. Um diese Jahreszeit ziehen manchmal große Schwärme von Wildgänsen über den Himmel, das Gefieder rosig verfärbt von den Strahlen der aufgehenden Sonne. Heute allerdings, an diesem grauen Wintermorgen, sieht man weit und breit kein einziges Lebewesen. Alles wirkt blass und verwaschen, Graugrün mischt sich mit Grauweiß, dort, wo das Moor in den Himmel übergeht. Und in der Ferne als dunkelgrauer Streifen das Meer, wo die Möwen auf den Wellen an Land treiben. Es ist eine ganz und gar trostlose Landschaft, und Ruth weiß beim besten Willen nicht, weshalb sie das alles so sehr liebt. Sie isst ihren Toast und trinkt ihren Tee eigentlich trinkt sie lieber Kaffee, hebt sich den ordentlichen Espresso aber für die Uni auf und blättert dabei in ihren Notizen, ein ursprünglich sauber getipptes Skript, das inzwischen aber durch die nachträglich eingefügten, verschiedenfarbigen Anmerkungen zu einem wahren Palimpsest geworden ist. «Gender-Fragen der prähistorischen Archäologie», «Das Ausgraben von Artefakten», «Leben und Tod im Mesolithikum», «Die Bedeutung von Tierknochen bei archäologischen Ausgrabungen». Obwohl der November gerade erst angefangen hat, ist das Wintertrimester schon wieder fast vorbei, und Ruth hat nur noch diese Woche Veranstaltungen. Einen Moment lang sieht sie die Gesichter ihrer Studenten vor sich: ernst, fleißig und ein bisschen langweilig. Inzwischen unterrichtet sie nur noch Doktoranden, und manchmal vermisst sie die Studienanfänger mit ihrer unbeschwerten, immer leicht verkaterten guten Laune. Ihre Studenten sind so schrecklich eifrig, sie lauern ihr nach der Vorlesung auf, um mit ihr über den Lindow-Mann und den Boxgrove-Mann zu diskutieren und darüber, ob Frauen in der prähistorischen Gesellschaft nicht doch eine wichtige Rolle gespielt haben könnten. Schaut euch doch mal um, möchte sie dann manchmal antworten. Spielen Frauen etwa in dieser Gesellschaft eine besonders wichtige Rolle? Wie kommt ihr eigentlich darauf, dass eine Horde grunzender Jäger und Sammler fortschrittlicher gewesen sein soll als unsereins?
Der unvermeidliche «Gedanke zum Tage» dringt aus dem Radio in ihr Unterbewusstsein und erinnert sie daran, dass es Zeit zum Aufbrechen wird: «In mancher Hinsicht ist Gott wie ein iPod . . .» Ruth räumt Teller und Tasse in die Spüle, stellt ihren beiden Katzen, Sparky und Flint, etwas zu fressen hin und verteidigt sich dabei gegen den unermüdlichen, spöttischen Fragensteller in ihrem Kopf. «Ja, ich bin eine alleinstehende Frau mit Übergewicht und ohne Anhang. Und ich habe Katzen. Na und? Zugegeben, manchmal rede ich auch mit ihnen, aber ich erwarte immerhin nicht, dass sie antworten, und ich bilde mir auch nicht ein, dass ich für sie etwas anderes bin als eine äußerst praktische Futterquelle.» Wie aufs Stichwort zwängt sich Flint, ein großer, roter Kater, durch die Katzenklappe in der Tür und richtet seine starren, gelben Augen auf sie. «Kommt Gott in der Liste unserer kürzlich gespielten Songs vor, oder taucht er nur auf, wenn wir die Zufallsfunktion drücken?», ertönt es aus dem Radio. Ruth streichelt Flint und geht zurück ins Wohnzimmer, um ihre Unterlagen in den Rucksack zu stecken. Sie wickelt sich einen roten Schal um den Hals ihr einziges Zugeständnis in punkto Farbe: Schals dürfen schließlich auch dicke Leute tragen und streift ihren Anorak über. Dann macht sie das Licht aus und verlässt ihr Häuschen. Ruth bewohnt eines von drei kleinen Häusern am Rand des Salzmoors. Das zweite gehört dem Wärter des Vogelschutzgebiets, das dritte ist ein Wochenendhaus, dessen Bewohner im Sommer hier einfallen, die Luft mit Grilldünsten verpesten und Ruth mit ihrem Geländewagen die Aussicht versperren. Im Frühling und im Herbst ist die Straße häufig überschwemmt, im Winter manchmal völlig unpassierbar. «Warum wohnst du nicht etwas zentraler?», fragen ihre Kollegen. «Es gibt doch wunderschöne Grundstücke in King's Lynn oder auch in Blakeney, wenn du mehr Natur willst.» Ruth kann sich selbst nicht recht erklären, weshalb sie, ein Großstadtkind, im Süden von London geboren und aufgewachsen, sich zu diesem gottverlassenen, unwirtlichen Sumpfland, dem trostlosen Watt, dieser ganzen unerbittlichen Landschaft hingezogen fühlt. Das erste Mal ist sie aus beruflichen Gründen hierher ans Salzmoor gekommen; weshalb sie trotz aller widrigen Umstände bleibt, weiß sie selber nicht. «Ich bin es eben so gewöhnt.» Mehr kann sie dazu nicht sagen. «Und die Katzen würden auch nicht gerne umziehen.» Dann lachen die anderen. Die gute Ruth mit ihren heißgeliebten Katzen, klarer Fall von Kinder-Ersatz; eigentlich schade, dass sie nie geheiratet hat, wenn sie lächelt, ist sie richtig hübsch. Heute ist die Straße frei, nur der ewige Wind weht eine dünne Salzspur auf die Windschutzscheibe. Ruth sprüht automatisch Wischwasser darauf, während sie im Schritttempo über den Weiderost holpert und dann der kurvigen Straße ins Dorf folgt. Im Sommer neigen sich die belaubten Bäume aufeinander zu und bilden einen geheimnisvollen, grünen Tunnel, doch heute sind sie bloße Gerippe, die ihre kahlen Arme gen Himmel strecken. Ein bisschen schneller, als ratsam wäre, fährt Ruth an den vier Häusern und dem vernagelten Pub vorbei, die das Dorf bilden, und nimmt die Abzweigung nach King's Lynn. Ihre erste Vorlesung beginnt um zehn. Ruth unterrichtet an der University of North Norfolk, der UNN, wie die wenig einnehmende Abkürzung lautet, einer jungen Universität am Stadtrand von King's Lynn. Sie ist Dozentin für Archäologie, einem jungen Studienfach an dieser Uni, und ihr Spezialgebiet ist forensische Archäologie, eine noch sehr viel jüngere Disziplin. Phil, der Lehrstuhlinhaber, witzelt häufig darüber, dass Archäologie ja eigentlich so gar nichts Jugendliches an sich habe, und Ruth lächelt jedes Mal pflichtschuldigst. Insgeheim ist sie überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis Phil sich einen lustigen Autoaufkleber zulegt: «Grab doch mal 'nen Archäologen an» oder «Für Archäologen ist man nie zu alt». Sie selbst interessiert sich vor allem für Knochen. Wann klappern Skelette am lautesten? Wenn sie das Tanzbein schwingen. Ruth kennt die Witze alle längst, muss aber trotzdem jedes Mal wieder lachen. Vergangenes Jahr haben die Studenten ihr ein fast lebensgroßes Plastikskelett mit baumelnden Armen und Beinen geschenkt.
Das hängt jetzt oben am Treppenabsatz und macht den Katzen Angst. Im Radio philosophiert jemand über das Leben nach dem Tod. Woher kommt das Bedürfnis, uns einen Himmel auszumalen? Gibt es einen Beweis dafür, dass ein solcher Ort tatsächlich existiert, oder ist es einfach nur Wunschdenken im ganz großen Stil? Ruths Eltern reden vom Himmel, als wäre er gleich nebenan, wie eine Art kosmisches Einkaufszentrum, wo sie sich bestens auskennen und umsonst am Park-and-ride-System teilnehmen dürfen, während Ruth auf ewig in der Tiefgarage schmachten muss. Oder zumindest so lange, bis sie selbst wiedererweckt wird. Ihr ist der katholische Himmel lieber, wie sie ihn von Studienreisen nach Italien und Spanien kennt. Ein weites, wolkenverhangenes Himmelszelt, Weihrauch und Kerzendunst, geheimnisvolles Dunkel. Ruth liebt alles Weite: die Bilder von John Martin, den Vatikan, den Himmel über Norfolk. Ein Glück, denkt sie selbstironisch, als sie auf den Campus einbiegt.
Die Universität besteht aus mehreren niedrigen, langgestreckten Gebäuden mit gläsernen Verbindungsstegen dazwischen. An einem grauen Morgen wie diesem wirkt der ganze Komplex fast einladend: Gelbliches Licht fällt auf die zahllosen Parkplätze hinaus, und eine Reihe winziger Lämpchen weist den Weg zu dem Gebäude, in dem die Fachbereiche Archäologie und Naturwissenschaft untergebracht sind. Aus der Nähe ist das Ganze dann schon weniger eindrucksvoll. Obwohl der Campus erst zehn Jahre alt ist, haben die Betonfassaden bereits erste Risse, die Wände
sind mit Graffiti beschmiert, und ein gutes Drittel der kleinen Lämpchen ist defekt. Ruth bemerkt das alles kaum.
Sie fährt auf ihren gewohnten Parkplatz und wuchtet den schweren Rucksack aus dem Wagen. Schwer ist er deshalb, weil er zur Hälfte mit Knochen gefüllt ist. Auf dem Weg durch das muffige Treppenhaus zu ihrem Büro denkt sie über ihre erste Vorlesung nach: «Grundprinzipien der Ausgrabungstechnik». Obwohl sie alle schon einen Studienabschluss haben, verfügen ihre Studenten in der Regel über wenig bis keine Ausgrabungspraxis. Viele kommen aus dem Ausland die Universität kann ihre Studiengebühren gut brauchen , und der steinhart gefrorene Boden East Anglias wäre ein zu großer Kulturschock für sie. Ihre erste offizielle Ausgrabung absolvieren sie deshalb nicht vor April.
Während Ruth auf dem Flur vor ihrem Büro nach der Schlüsselkarte kramt, sieht sie aus dem Augenwinkel zwei Männer auf sich zukommen. Der eine ist Phil, der Lehrstuhlinhaber, den anderen kennt sie nicht. Ein großer, dunkler Typ mit raspelkurzem, graumeliertem Haar. Er hat etwas Hartes an sich, wirkt beherrscht und fast ein wenig gefährlich, weshalb Ruth vermutet, dass er kein Student und ganz sicher auch kein Dozent ist. Sie macht einen Schritt zur Seite, um die beiden vorbeizulassen, doch Phil bleibt zu ihrem Erstaunen vor ihr stehen und sagt mit ernster Stimme, in der die Aufregung deutlich zu hören ist: «Ruth, hier ist jemand, der dich gern kennenlernen würde. »
Also doch ein Student. Ruth will schon ihr Willkommenslächeln aufsetzen, doch Phils nächste Worte lassen sie überrascht innehalten.
«Das ist Detective Chief Inspector Harry Nelson. Er will mit dir über einen Mord reden.»
Einen mutmaßlichen Mord», verbessert Detective Chief Inspector Harry Nelson sofort.
«Ja, natürlich», sagt Phil eifrig und wirft Ruth dabei einen Blick zu, der in etwa ausdrückt: «Siehst du, ich rede mit einem echten Detective!» Ruth verzieht keine Miene.
«Das ist Doktor Ruth Galloway», fährt Phil fort. «Unsere Expertin für forensische Fragen.»
«Freut mich sehr», sagt Nelson, ohne zu lächeln. Dann deutet er auf Ruths verschlossene Bürotür. «Können wir vielleicht . . .?»
Ruth schiebt ihre Schlüsselkarte ins Schloss und öffnet die Tür. Ihr Büro ist winzig, es misst kaum sechs Quadratmeter. Eine Wand wird komplett von Bücherregalen eingenommen, eine weitere von der Tür, die dritte von einem schmuddeligen Fenster mit Blick auf einen nicht minder schmuddeligen Zierteich. An der vierten Wand steht Ruths Schreibtisch, über dem ein gerahmtes Indiana Jones-Plakat hängt rein ironisch natürlich, wie sie stets hastig versichert. Wenn Ruth hier ihre Tutorien hat, sitzt ein Teil der Studenten meist auf dem Gang, und sie hält die Tür mit einem Stopper in Katzenform offen, den Peter ihr einmal geschenkt hat. Jetzt allerdings lässt sie die Tür hinter sich zufallen. Phil und der Detective bleiben verlegen stehen und wissen nicht, wohin mit sich. Als Nelson sich mit finsterer Miene an die Fensterbank lehnt, kommt es Ruth vor, als verdunkelte sich das Zimmer. Er wirkt viel zu breit, zu groß, zu erwachsen für diesen Ort. «Bitte.» Ruth deutet auf die Stühle, die neben der Tür gestapelt stehen. Phil überlässt Nelson mit großer Geste den ersten Stuhl und kann sich offenbar nur knapp davon abhalten, ihn vorher noch mit dem Pulloverärmel abzustauben. Ruth zwängt sich hinter ihren Schreibtisch und gibt sich kurz der Illusion hin, dadurch sicherer und autoritärer zu wirken. Das hält jedoch nur so lange an, bis Nelson sich zurücklehnt, die Beine übereinanderschlägt und mit energisch-monotoner Stimme das Wort an sie richtet. Er hat einen nordenglischen Akzent, was ihn nur noch zupackender erscheinen lässt, so als hätte er schlicht nicht die Zeit für die langgezogenen Norfolk-Vokale. «Wir haben Knochen gefunden», sagt er. «Sieht aus, als stammten sie von einem Kind, aber sie wirken irgendwie alt. Ich muss wissen, wie alt.»
Ruth schweigt, doch Phil mischt sich eifrig ein. «Wo haben Sie die Knochen denn gefunden, Inspector?»
«Beim Vogelschutzgebiet. Im Salzmoor.»
Phil sieht Ruth an. «Aber das ist ja gleich bei dir . . .»
«Ja, ich weiß», bremst ihn Ruth. «Wie kommen Sie darauf, dass die Knochen alt sein könnten?»
«Sie sind bräunlich verfärbt, wirken aber sonst gut erhalten. Ich dachte, das ist Ihr Fachgebiet?» Sein Ton wird unvermittelt aggressiver.
«So ist es», erwidert Ruth ruhig. «Deshalb sind Sie ja hier, nehme ich an.»
«Können Sie mir nun sagen, ob es neuere Knochen sind, oder nicht?», fragt Nelson unvermindert streitlustig. «Neuere Funde lassen sich meist schnell bestimmen», sagt Ruth. «Man erkennt sie am Erscheinungsbild und an der Oberfläche. Mit älteren Knochen ist es da schon komplizierter. Oft lässt sich nicht sagen, ob sie nun fünfzig oder zweitausend Jahre alt sind. Dann muss man eine Radiokarbonanalyse durchführen.» «Doktor Galloway ist Expertin für das Konservieren von Knochenmaterial.» Schon wieder Phil, der vor lauter Aufregung ständig dazwischenquatscht. «Sie war sogar in Bosnien bei den Kriegsgräbern im Einsatz.» «Können Sie sich die Sache mal ansehen?», fragt Nelson, ohne Phil zu beachten. Ruth tut, als würde sie nachdenken, obwohl sie längst geködert ist. Knochen! Im Salzmoor! Wo sie damals ihre erste, unvergessliche Ausgrabung mit Erik absolviert hat. Das kann alles Mögliche bedeuten. Eine Entdeckung vielleicht. Oder aber . . . «Und Sie vermuten einen Mord?», fragt sie.
Nelson sieht zum ersten Mal etwas unbehaglich drein.
« Darüber möchte ich lieber nicht sprechen», sagt er ernst.
«Zumindest jetzt noch nicht. Können Sie sich die Sache ansehen ? »
Ruth steht auf. «Ich habe eine Veranstaltung um zehn.
Aber in der Mittagspause hätte ich Zeit.»
«Dann schicke ich Ihnen um zwölf einen Wagen», sagt Nelson.
Zu Ruths heimlicher Enttäuschung schickt Nelson ihr keinen Streifenwagen mit Blaulicht und allem Drum und
Dran. Stattdessen kommt er selbst in einem verdreckten Mercedes. Ruth wartet wie vereinbart am Haupteingang, und Nelson bequemt sich nicht einmal aus dem Wagen, sondern beugt sich nur herüber, um die Beifahrertür zu öffnen. Ruth steigt ein und fühlt sich dick und unförmig dabei, wie immer im Auto. Sie wird von der krankhaften Befürchtung geplagt, dass der Gurt einmal nicht um sie herumpassen oder ein versteckter Gewichtssensor einen grellen Alarmton auslösen könnte. «Neunundsiebzig Kilo! Neunundsiebzig Kilo an Bord! Alarmstufe Rot! Schleudersitzfunktion einleiten !» Nelson mustert ihren Rucksack. «Haben Sie alles, was Sie brauchen ? »
«Ja.» Sie hat ihre Taschenausrüstung dabei: eine Spitzkelle, eine kleine Handschaufel, Tiefkühlbeutel für Fundstücke und Bodenproben, Klebeband, Notizbuch, Bleistifte, Pinsel, Kompass und eine Digitalkamera. Außerdem hat sie Turnschuhe angezogen und eine Sicherheitsweste.
Entnervt ertappt sie sich bei dem Gedanken, dass sie vermutlich furchtbar aussieht.
«Und Sie wohnen also in der Nähe vom Salzmoor?»,
fragt Nelson, während er den Wagen mit quietschenden Reifen durch den Verkehr steuert. Er fährt wie die berühmte gesengte Sau. «Ja.» Ruth hat das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, obwohl sie eigentlich gar nicht weiß, warum. «An der New Road. » «An der New Road!» Nelson lacht bellend auf. «Ich dachte, da wohnen nur Vogel-Freaks.»
«Der Vogelschutzwart wohnt tatsächlich gleich nebenan.»
Ruth versucht, höflich zu bleiben, während sie mit dem Fuß immer wieder unwillkürlich auf eine nicht vorhandene Bremse tritt.
«Für mich wäre das nichts», sagt Nelson. «Viel zu einsam. »
«Mir gefällt es», sagt Ruth. «Ich habe dort eine Ausgrabung gemacht und bin geblieben.»
« Eine Ausgrabung ? Was Archäologisches ? »
«Ja.» Ruth denkt zurück an den Sommer vor zehn Jahren. Die Abende am Lagerfeuer, wo sie halb verkohlte Würstchen aßen und rührselige Lieder sangen. Das Vogelzwitschern am Morgen, der blühende Strandflieder, der das ganze Sumpfland lila färbte. Die Schafherde, die mitten in der Nacht ihre Zelte niedertrampelte. Die Angst, als Peter bei Flut auf dem Watt festsaß und Erik auf allen vieren herüberkroch, um ihn zu retten. Die fiebrige Aufregung, als sie den ersten hölzernen Pfahl entdeckten, den Beweis, dass der Henge tatsächlich existierte. Ruth hat den Klang von Eriks Stimme noch im Ohr, als er sich umdrehte und ihnen über die nahende Flut hinweg zurief: «Wir haben ihn gefunden!» Sie sieht Nelson an. «Wir waren auf der Suche nach einem Henge.»
«Einem Henge? So was wie Stonehenge?»
«Ja, genau. Das Wort bezeichnet im Grunde nur einen kreisförmigen Erdwall mit einem Graben drum herum. Im Inneren des Kreises stehen meistens Pfähle.» «Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Stonehenge eigentlich eine Art riesige Sonnenuhr war. Zur Bestimmung der Uhrzeit.» «Wir wissen nicht genau, wozu es tatsächlich diente», sagt Ruth. «Aber fest steht in jedem Fall, dass es dabei um
Rituale ging.»
Nelson wirft ihr einen merkwürdigen Blick zu.
« Rituale ? »
«Ja. Eine Kultstätte für Gaben und Opferhandlungen.»
«Opfer?», wiederholt Nelson. Er wirkt plötzlich ernstlich interessiert, der leicht herablassende Ton ist aus seiner Stimme verschwunden.
«Gelegentlich finden wir Belege für Opferrituale. Gefäße, Speere, Tierknochen.»
«Was ist mit Menschenknochen? Haben Sie auch schon mal menschliche Knochen gefunden?»
«Ja, hin und wieder schon.»
Nach kurzem Schweigen fragt Nelson: «Ist das nicht ein etwas komischer Ort für so ein Henge-Ding? Direkt am Meer ? »
«Damals war hier noch kein Meer. Landschaften verändern sich im Lauf der Zeit. Vor zehntausend Jahren war unsere Insel noch mit dem Kontinent verbunden. Man hätte von hier zu Fuß bis nach Skandinavien gehen können. »
« Im Ernst ? »
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Autoren-Porträt von Elly Griffiths
Elly Griffiths ist Autorin. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Brighton. Die Idee zur Figur von Ruth Galloway hatte sie, als ihr Mann seinen Job als Banker aufgab, um Archäologe zu werden. Dazu kamen die Mythen und Legenden, die ihre in Norfolk lebende Tante früher immer erzählte. TOTENPFAD ist Elly Griffiths' erster Krimi mit Ruth Galloway und DCI Harry Nelson, weitere Bände sind in Vorbereitung.
Bibliographische Angaben
- Autor: Elly Griffiths
- 2010, 1, 312 Seiten, Maße: 13,2 x 20,9 cm, Soft-Cover (Weltbild Reader)
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828989993
- ISBN-13: 9783828989993
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