Träume jenseits des Meeres
1768: James Cook nimmt Kurs auf Tahiti. Mit an Bord ist der junge Lord Jonathan, der seine Liebste Susan in Cornwall mit einem Eheversprechen zurücklässt. Doch das Schiff gerät in Seenot und die Mannschaft landet in Australien, wo ein harter Überlebenskampf beginnt.
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Produktinformationen zu „Träume jenseits des Meeres “
1768: James Cook nimmt Kurs auf Tahiti. Mit an Bord ist der junge Lord Jonathan, der seine Liebste Susan in Cornwall mit einem Eheversprechen zurücklässt. Doch das Schiff gerät in Seenot und die Mannschaft landet in Australien, wo ein harter Überlebenskampf beginnt.
Lese-Probe zu „Träume jenseits des Meeres “
Träume jenseits des Meeres von Tamara McKinleyProlog
Morgennebel
Kakadu, vor 50000 Jahren
Sie hieß Djuwe, war dreizehn Jahre alt und eine Schönheit. Djanay beobachtete, wie sie mit den anderen jungen Frauen lachte. Sein Blick folgte der köstlichen Rundung ihres Rückens und dem verlockenden Hüftschwung, als sie sich mit wiegenden Schritten von ihm entfernte, den geflochtenen Korb aufreizend in die Seite gestemmt. Er begehrte sie, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war.
Als spüre Djuwe seine forschenden Blicke, schaute sie ihn über die Schulter hinweg mit neckischer Direktheit an. Ihre Augen blitzten und ein Lächeln huschte über ihre Lippen, bevor sie sich umdrehte und im lichtgetüpfelten Schatten zwischen den Bäumen verschwand.
Djanay rollte sich im hohen Gras auf den Rücken und unterdrückte ein Stöhnen. Sie war unerreichbar für ihn, denn diese Verbindung würde gegen das heilige Gesetz verstoßen, ihr mardayin. Dieses Gesetz zu brechen würde Verbannung, ja sogar den Tod bedeuten. Warum verhöhnte sie ihn? Er schloss die Augen. Weil sie Macht über ihn besaß, sagte er sich, und nicht davor zurückschreckte, sie zu gebrauchen.
»Steh auf, du fauler Kerl!«
Ein fester Tritt in die Rippen riss ihn aus seinen Gedanken. Wütend schaute er zu seinem Halbbruder auf. »Ich bin nicht faul«, entgegnete er und rappelte sich hastig auf.
Malangi war fast zwanzig Jahre älter als er, in seinem Haar blitzte erstes Grau auf. Die Narben der Initiation hatten sich tief in seinen geschmeidigen Körper gegraben. Er war ein erfahrener Jäger und geachtet unter den Ältesten, so dass man ihm lieber nicht in die Quere kam.
»Du schläfst in der Sonne wie die alten Frauen«, fuhr Malangi ihn an. »Bevor wir aufbrechen, müssen wir auf die Jagd
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gehen.« Djanay nickte und wich dem forschenden Blick aus, denn Malangi hatte ihm bestimmt angesehen, dass er die junge Frau des Bruders begehrte. Innerlich aufgewühlt machte er sich davon. Der Blick des Bruders bohrte sich ihm wie ein gut gezielter Speer in den nackten Rücken.
Die Sonne stand hoch, die Bäume ringsum warfen dunkle Schatten auf die Lagune. Djanay wandte sich dem Busch und den steilen roten Klippen über dem sich schlängelnden Fluss zu. Er begann zu klettern; mit dem Schweiß verfloss die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren. Er war ein typischer Vertreter seines Clans: groß und schlank, mit dunkler, von den Stammeszeichen geprägter Haut. Bis auf einen dünnen Bastgürtel und eine Kette aus Känguruzähnen war er nackt. Seine Augen glänzten bernsteinfarben, sein Haar stand als Gewirr aus schwarzen Locken nach allen Seiten ab. Er hatte eine breite Nase, die mit einem Vogelknochen durchbohrt war; die Lippen wölbten sich in jugendlicher Fülle über dem ersten Bartflaum. Mit vierzehn war er gerade zum Mann geweiht worden; nun wurde von ihm erwartet, dass er sich als Jäger denselben Respekt verdiente wie sein Vater und sein Bruder.
Er erreichte den glatten, flachen Fels, der aus den Klippen herausragte und eine herrliche Sicht auf die ausgedehnten Wälder, die hohen Berge und, tief unten, auf das glitzernde Wasser freigab.
Das war das Land, das die Geister der Urahnen in die Obhut seines Clans gegeben hatten. Es war heiliges Land, und in jedem Stein und Fels, in jeder Flusswindung und im Flüstern des Windes lebten Überreste der Schöpfungsgeister. Wie alle Clanmitglieder würde auch Djanay ein Wächter dieses Landes sein, bis seine Knochen zu Staub zerfielen. Mutter Erde nährte, tröstete und lehrte sie; es war wichtig, dass er lernte, im Einklang mit den Jahreszeiten zu leben, mit dem Kommen und Gehen der Geschöpfe, die ihn begleiteten - denn eines hing vom anderen ab, und die Spiritualität musste um jeden Preis gewahrt werden. Das Volk der Kunwinjku war hierher gekommen, als die Geister von Djanays Urahnen in der Traumzeit lebten - in einer Zeit vor Menschengedenken, einer Zeit, als die Geister sich zeigten und den Clan in sein gelobtes Land führten. Sie wurden geleitet von Bininuwuy, dem großen Ältesten, der längst verstorben war und mit den Geistern im Himmel lebte, doch lebte ihre Reise in den Erzählungen der Ältesten und in den Bildern an den Wänden der Höhle hinter ihm weiter.
Hoch oben in den Klippen war alles ruhig und still. Djanay meinte die Last der Erwartungen seiner Urahnen zu spüren, während er dort stand und seine Muskeln spielen ließ. Es war eine schwere Bürde, sich an die Gesetze zu halten, wenn er sich mit jeder Faser nach Djuwe sehnte. Er dachte an das Mädchen, das ihm im Alter von fünf Jahren versprochen worden war. Aladjingu war aus dem Stamm der Ngadyandyi, der weiter im Nordosten lebte; sie war die Tochter des Onkels seiner Mutter. Sie waren sich bisher nur flüchtig begegnet, doch nach dem corroboree würde sie seine Frau werden. Sie entflammte seine Lenden nicht so wie Djuwe.
Aufseufzend trottete er in die heilige Höhle; er hoffte, in ihr Trost zu finden. Frauen und nicht initiierten Jungen war das Betreten verboten, doch Djanay hatte die Zeremonie mannhaft durchgestanden, als man ihm ein Stück von seiner Männlichkeit abgeschnitten und die heiligen Linien mit einem scharfen Stein in Brust und Arme geritzt hatte. Die geheimen Riten waren ihm nun vertraut, denn er hatte die Gefahren des Überlebens allein in der großen Wildnis mit Namen Kakadu erlebt.
Er stellte sich vor die ockerfarbenen Wandzeichnungen und folgte mit den Augen den von den Alten hinterlassenen Erzählungen. Die erste handelte von einem weiten Land, das die Ältesten Gondwana nannten. Sie zeigte sein Volk, das dort neben anderen Stämmen lebte, und den bitterkalten weißen Regen, der die Erde erstarren ließ und die Jagd erschwerte. Die zweite schilderte, wie Gondwana abbrach und durch seichtes Wasser von einer größeren Landmasse getrennt war, auf der es Bäume und Tiere im Überfluss gab. In der dritten überquerten Angehörige vieler Stämme in Kanus oder zu Fuß jenes Wasser, eine vierte folgte ihrem Pfad über das ausgedehnte Land, in dem Djanay jetzt lebte.
Zwischen den Stämmen wurden Kriege mit vielen Toten geführt. Frauen waren entführt, Krieger erschlagen worden; dennoch hatte es auch Eheschließungen und Bündnisse gegeben, als noch mehr Stämme den Weg nach Süden fanden. Schon bald wurde die Jagd schwierig, die Verständigung zwischen den Stämmen wegen der Spannungen und der vielen Sprachen und Dialekte beinahe unmöglich. Schließlich hatten sie sich in alle Winkel des riesigen neuen Landes verstreut und dem Volk der Kunwinjku die Verantwortung für Kakadu überlassen. Djanay fragte sich zwar, was hinter den Jagdgründen, die er so gut kannte, liegen mochte, doch hatte er sich zugleich damit abgefunden, es nie zu erfahren. Denn es gab nicht markierte Grenzen - Traumpfade - um das Gebiet der Kunwinjku, die man nur mit Erlaubnis der Ältesten und nur während eines corroboree überqueren durfte. Ohne eine solche Erlaubnis drohte einem der sichere Tod.
Nachdem er die altehrwürdigen Segen über den Gebeinen der verstorbenen Ältesten gesprochen hatte, machte er sich an den langen, steinigen Abstieg. Höchste Zeit, zu jagen. Die Enten waren eine leichte Beute gewesen. Der köstliche Duft nach gerösteten Leguanen und Wallabys stieg mit dem Rauch des Lagerfeuers auf, und sein Magen knurrte in freudiger Erwartung, als er seiner Mutter die zwanzig Vögel vorlegte.
»Gut gemacht, Djanay!« Garndays Gesicht überzogen lauter Lachfältchen. Sie drückte den trinkenden Säugling noch fester an ihre Brust.
Djanay reckte die Schultern und versuchte, sich den Stolz über das Lob nicht zu sehr anmerken zu lassen, konnte aber nicht widerstehen und schaute rasch zu Djuwe hinüber, um zu prüfen, ob sie sein Geschick zur Kenntnis genommen hatte.
Djuwe beugte sich über die Beeren, die sie zubereitete, doch der Seitenblick, den sie ihm durch die langen Haare zuwarf, zeigte ihm, dass sie ihn sehr wohl zur Kenntnis nahm. »Dein Vater wartet auf dich«, murmelte Garnday mit durchdringendem Blick. »Am besten, du beeilst dich.«
Djanay merkte, dass er aufpassen musste, denn den Augen seiner Mutter entging nichts. Er gesellte sich zu den anderen initiierten Jungen; sie hielten respektvollen Abstand zu den Ältesten, die in Begleitung der üblichen Hundeschar unter den Bäumen faulenzten. Diese dalkans mit dem gelben Fell sorgten für Wärme im Winter, für Nahrung bei Hungersnöten, warnten vor Gefahren, und obwohl sie alles andere als zahm waren, fühlten sie sich anscheinend zu den Buschmännern hingezogen. In Gegenwart der ehrwürdigen Männer war Djanay nach wie vor unbehaglich zumute. Ohne sie gäbe es keine Initiationsriten, keine Verbindung zum Leben der spirituellen und gesetzestreuen Kunwinjku, und niemand würde von der Traumzeit erzählen.
Er ließ den Blick über das Lager schweifen und war zufrieden. Die Frauen und jungen Mädchen zwitscherten wie Vögel, während sie das Festmahl für den Abend zubereiteten und die neugierigen Hunde verscheuchten. Säuglinge hingen an der Brust ihrer Mütter, und ein paar kleine Kinder spielten mit einer gefangenen Eidechse. Unwillkürlich musste er lächeln. Seine Mutter, Garnday, erteilte wie gewohnt Befehle, ungeachtet der Tatsache, dass sie nur eine zweite Frau war und daher eigentlich kein Recht dazu besaß.
Er schaute zur ersten Frau seines Vaters hinüber, der Mutter von Malangi. Sie war alt, gebrechlich und runzlig. Bald würde ihre Zeit kommen, da sie den Gesang des Geistvolkes vernehmen und ihm zu den Sternen folgen würde. Ob Garnday das spürte und ihre Autorität erprobte? Sie sollte vorsichtiger damit umgehen, dachte er, denn die ältere Frau genoss Hochachtung und übte noch immer großen Einfluss auf den gemeinsamen Mann aus.
Garnday dachte verzweifelt darüber nach, was sie mit Djanay machen sollte. Wie dumm von ihm, einen Blick auf Djuwe zu werfen! Über kurz oder lang würde Blut fließen, denn Malangi war ein eifersüchtiger Ehemann.
Djanay war jetzt ein Mann, von dem erwartet wurde, dass er dem heiligen mardayin treu blieb. Sie war so stolz auf ihn gewesen und hatte hohe Erwartungen an ihren Lieblingssohn. Seine bevorstehende Heirat mit Aladjingu würde ihn näher an den Kreis der Ältesten heranführen. Eines Tages, wenn alles gut ging, hoffte sie, ihn als Anführer ihres Stammes zu sehen. Malangi war bereits fünfunddreißig und wäre längst tot, wenn Djanay in das Alter käme, die Führung zu übernehmen. Nun zerbrachen ihre ehrgeizigen Hoffnungen - das war Djuwes Schuld. Sie war ein Eindringling und verursachte nur Ärger.
Ihre Augen wurden schmal, als sie das Mädchen beobachtete. Djuwe war Malangi in früher Kindheit versprochen worden. Sie war die Tochter eines Ältesten der Iwadja, und der große Altersunterschied war nicht ungewöhnlich. Das Bündnis zwischen den beiden Stämmen war wichtig, denn sie hatten gemeinsame Jagdgründe und standen sich zur Seite, wenn eindringende Stämme angriffen.
Garnday bemerkte plötzlich, dass die alte Frau sie beobachtete. Schaudernd überkam sie die Vorahnung, dass ihr Sohn in großer Gefahr schwebte. ( )
© Verlagsgruppe Lübbe
Übersetzung: Marion Balkenhol
Die Sonne stand hoch, die Bäume ringsum warfen dunkle Schatten auf die Lagune. Djanay wandte sich dem Busch und den steilen roten Klippen über dem sich schlängelnden Fluss zu. Er begann zu klettern; mit dem Schweiß verfloss die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren. Er war ein typischer Vertreter seines Clans: groß und schlank, mit dunkler, von den Stammeszeichen geprägter Haut. Bis auf einen dünnen Bastgürtel und eine Kette aus Känguruzähnen war er nackt. Seine Augen glänzten bernsteinfarben, sein Haar stand als Gewirr aus schwarzen Locken nach allen Seiten ab. Er hatte eine breite Nase, die mit einem Vogelknochen durchbohrt war; die Lippen wölbten sich in jugendlicher Fülle über dem ersten Bartflaum. Mit vierzehn war er gerade zum Mann geweiht worden; nun wurde von ihm erwartet, dass er sich als Jäger denselben Respekt verdiente wie sein Vater und sein Bruder.
Er erreichte den glatten, flachen Fels, der aus den Klippen herausragte und eine herrliche Sicht auf die ausgedehnten Wälder, die hohen Berge und, tief unten, auf das glitzernde Wasser freigab.
Das war das Land, das die Geister der Urahnen in die Obhut seines Clans gegeben hatten. Es war heiliges Land, und in jedem Stein und Fels, in jeder Flusswindung und im Flüstern des Windes lebten Überreste der Schöpfungsgeister. Wie alle Clanmitglieder würde auch Djanay ein Wächter dieses Landes sein, bis seine Knochen zu Staub zerfielen. Mutter Erde nährte, tröstete und lehrte sie; es war wichtig, dass er lernte, im Einklang mit den Jahreszeiten zu leben, mit dem Kommen und Gehen der Geschöpfe, die ihn begleiteten - denn eines hing vom anderen ab, und die Spiritualität musste um jeden Preis gewahrt werden. Das Volk der Kunwinjku war hierher gekommen, als die Geister von Djanays Urahnen in der Traumzeit lebten - in einer Zeit vor Menschengedenken, einer Zeit, als die Geister sich zeigten und den Clan in sein gelobtes Land führten. Sie wurden geleitet von Bininuwuy, dem großen Ältesten, der längst verstorben war und mit den Geistern im Himmel lebte, doch lebte ihre Reise in den Erzählungen der Ältesten und in den Bildern an den Wänden der Höhle hinter ihm weiter.
Hoch oben in den Klippen war alles ruhig und still. Djanay meinte die Last der Erwartungen seiner Urahnen zu spüren, während er dort stand und seine Muskeln spielen ließ. Es war eine schwere Bürde, sich an die Gesetze zu halten, wenn er sich mit jeder Faser nach Djuwe sehnte. Er dachte an das Mädchen, das ihm im Alter von fünf Jahren versprochen worden war. Aladjingu war aus dem Stamm der Ngadyandyi, der weiter im Nordosten lebte; sie war die Tochter des Onkels seiner Mutter. Sie waren sich bisher nur flüchtig begegnet, doch nach dem corroboree würde sie seine Frau werden. Sie entflammte seine Lenden nicht so wie Djuwe.
Aufseufzend trottete er in die heilige Höhle; er hoffte, in ihr Trost zu finden. Frauen und nicht initiierten Jungen war das Betreten verboten, doch Djanay hatte die Zeremonie mannhaft durchgestanden, als man ihm ein Stück von seiner Männlichkeit abgeschnitten und die heiligen Linien mit einem scharfen Stein in Brust und Arme geritzt hatte. Die geheimen Riten waren ihm nun vertraut, denn er hatte die Gefahren des Überlebens allein in der großen Wildnis mit Namen Kakadu erlebt.
Er stellte sich vor die ockerfarbenen Wandzeichnungen und folgte mit den Augen den von den Alten hinterlassenen Erzählungen. Die erste handelte von einem weiten Land, das die Ältesten Gondwana nannten. Sie zeigte sein Volk, das dort neben anderen Stämmen lebte, und den bitterkalten weißen Regen, der die Erde erstarren ließ und die Jagd erschwerte. Die zweite schilderte, wie Gondwana abbrach und durch seichtes Wasser von einer größeren Landmasse getrennt war, auf der es Bäume und Tiere im Überfluss gab. In der dritten überquerten Angehörige vieler Stämme in Kanus oder zu Fuß jenes Wasser, eine vierte folgte ihrem Pfad über das ausgedehnte Land, in dem Djanay jetzt lebte.
Zwischen den Stämmen wurden Kriege mit vielen Toten geführt. Frauen waren entführt, Krieger erschlagen worden; dennoch hatte es auch Eheschließungen und Bündnisse gegeben, als noch mehr Stämme den Weg nach Süden fanden. Schon bald wurde die Jagd schwierig, die Verständigung zwischen den Stämmen wegen der Spannungen und der vielen Sprachen und Dialekte beinahe unmöglich. Schließlich hatten sie sich in alle Winkel des riesigen neuen Landes verstreut und dem Volk der Kunwinjku die Verantwortung für Kakadu überlassen. Djanay fragte sich zwar, was hinter den Jagdgründen, die er so gut kannte, liegen mochte, doch hatte er sich zugleich damit abgefunden, es nie zu erfahren. Denn es gab nicht markierte Grenzen - Traumpfade - um das Gebiet der Kunwinjku, die man nur mit Erlaubnis der Ältesten und nur während eines corroboree überqueren durfte. Ohne eine solche Erlaubnis drohte einem der sichere Tod.
Nachdem er die altehrwürdigen Segen über den Gebeinen der verstorbenen Ältesten gesprochen hatte, machte er sich an den langen, steinigen Abstieg. Höchste Zeit, zu jagen. Die Enten waren eine leichte Beute gewesen. Der köstliche Duft nach gerösteten Leguanen und Wallabys stieg mit dem Rauch des Lagerfeuers auf, und sein Magen knurrte in freudiger Erwartung, als er seiner Mutter die zwanzig Vögel vorlegte.
»Gut gemacht, Djanay!« Garndays Gesicht überzogen lauter Lachfältchen. Sie drückte den trinkenden Säugling noch fester an ihre Brust.
Djanay reckte die Schultern und versuchte, sich den Stolz über das Lob nicht zu sehr anmerken zu lassen, konnte aber nicht widerstehen und schaute rasch zu Djuwe hinüber, um zu prüfen, ob sie sein Geschick zur Kenntnis genommen hatte.
Djuwe beugte sich über die Beeren, die sie zubereitete, doch der Seitenblick, den sie ihm durch die langen Haare zuwarf, zeigte ihm, dass sie ihn sehr wohl zur Kenntnis nahm. »Dein Vater wartet auf dich«, murmelte Garnday mit durchdringendem Blick. »Am besten, du beeilst dich.«
Djanay merkte, dass er aufpassen musste, denn den Augen seiner Mutter entging nichts. Er gesellte sich zu den anderen initiierten Jungen; sie hielten respektvollen Abstand zu den Ältesten, die in Begleitung der üblichen Hundeschar unter den Bäumen faulenzten. Diese dalkans mit dem gelben Fell sorgten für Wärme im Winter, für Nahrung bei Hungersnöten, warnten vor Gefahren, und obwohl sie alles andere als zahm waren, fühlten sie sich anscheinend zu den Buschmännern hingezogen. In Gegenwart der ehrwürdigen Männer war Djanay nach wie vor unbehaglich zumute. Ohne sie gäbe es keine Initiationsriten, keine Verbindung zum Leben der spirituellen und gesetzestreuen Kunwinjku, und niemand würde von der Traumzeit erzählen.
Er ließ den Blick über das Lager schweifen und war zufrieden. Die Frauen und jungen Mädchen zwitscherten wie Vögel, während sie das Festmahl für den Abend zubereiteten und die neugierigen Hunde verscheuchten. Säuglinge hingen an der Brust ihrer Mütter, und ein paar kleine Kinder spielten mit einer gefangenen Eidechse. Unwillkürlich musste er lächeln. Seine Mutter, Garnday, erteilte wie gewohnt Befehle, ungeachtet der Tatsache, dass sie nur eine zweite Frau war und daher eigentlich kein Recht dazu besaß.
Er schaute zur ersten Frau seines Vaters hinüber, der Mutter von Malangi. Sie war alt, gebrechlich und runzlig. Bald würde ihre Zeit kommen, da sie den Gesang des Geistvolkes vernehmen und ihm zu den Sternen folgen würde. Ob Garnday das spürte und ihre Autorität erprobte? Sie sollte vorsichtiger damit umgehen, dachte er, denn die ältere Frau genoss Hochachtung und übte noch immer großen Einfluss auf den gemeinsamen Mann aus.
Garnday dachte verzweifelt darüber nach, was sie mit Djanay machen sollte. Wie dumm von ihm, einen Blick auf Djuwe zu werfen! Über kurz oder lang würde Blut fließen, denn Malangi war ein eifersüchtiger Ehemann.
Djanay war jetzt ein Mann, von dem erwartet wurde, dass er dem heiligen mardayin treu blieb. Sie war so stolz auf ihn gewesen und hatte hohe Erwartungen an ihren Lieblingssohn. Seine bevorstehende Heirat mit Aladjingu würde ihn näher an den Kreis der Ältesten heranführen. Eines Tages, wenn alles gut ging, hoffte sie, ihn als Anführer ihres Stammes zu sehen. Malangi war bereits fünfunddreißig und wäre längst tot, wenn Djanay in das Alter käme, die Führung zu übernehmen. Nun zerbrachen ihre ehrgeizigen Hoffnungen - das war Djuwes Schuld. Sie war ein Eindringling und verursachte nur Ärger.
Ihre Augen wurden schmal, als sie das Mädchen beobachtete. Djuwe war Malangi in früher Kindheit versprochen worden. Sie war die Tochter eines Ältesten der Iwadja, und der große Altersunterschied war nicht ungewöhnlich. Das Bündnis zwischen den beiden Stämmen war wichtig, denn sie hatten gemeinsame Jagdgründe und standen sich zur Seite, wenn eindringende Stämme angriffen.
Garnday bemerkte plötzlich, dass die alte Frau sie beobachtete. Schaudernd überkam sie die Vorahnung, dass ihr Sohn in großer Gefahr schwebte. ( )
© Verlagsgruppe Lübbe
Übersetzung: Marion Balkenhol
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Bibliographische Angaben
- Autor: Tamara McKinley
- 2008, 445 Seiten, Maße: 13,2 x 20,7 cm, Kartoniert (TB)
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 382899167X
- ISBN-13: 9783828991675
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