Türkisgrüner Winter
Roman
Geschichten muss man nicht nur lesen, man muss sie spüren.Gut aussehend, charmant und mit einer Prise Arroganz raubt er Emely den letzten Nerv: Elyas, der Mann mit den türkisgrünen Augen. Besonders zu Halloween spukt er in ihrem Kopf herum. Doch was...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Türkisgrüner Winter “
Klappentext zu „Türkisgrüner Winter “
Geschichten muss man nicht nur lesen, man muss sie spüren.Gut aussehend, charmant und mit einer Prise Arroganz raubt er Emely den letzten Nerv: Elyas, der Mann mit den türkisgrünen Augen. Besonders zu Halloween spukt er in ihrem Kopf herum. Doch was bezweckt er eigentlich mit seinen Avancen? Und wieso verhält er sich nach dem ersten langen Kuss mit einem Mal so abweisend? Nur gut, dass Emelys anonymer E-Mail-Freund Luca zu ihr hält. Das noch ausstehende Treffen mit Luca sorgt für ein mulmiges Gefühl. Dann verstummt auch er. Hat Emely alles falsch gemacht?
Sehnsüchtig erwartet: Emely und Elyas are back!
Lese-Probe zu „Türkisgrüner Winter “
Türkisgrüner Winter von Carina Bartsch... mehr
Kapitel 1
Inspektor Winter
Seit einer Woche nichts. Überhaupt nichts.
Keine anzüglichen SMS, keine nächtlichen Anrufe, keine «Ich habe einen blöden Grund gefunden, um bei dir vorbei-zuschauen»-Besuche - nichts!
Aber auch rein gar nichts!
Dreimal war ich diese Woche bei Alex gewesen, und zweimal hatte sein Mustang vor der Tür gestanden. Er musste also zu Hause gewesen sein. Aber falls man meinen sollte, er wäre mal aus seinem Zimmer gekommen, um «Hallo» zu sagen, hatte man sich geschnitten. So als würde der Atomkrieg bevorstehen, hatte er sich in seinem Zimmer verschanzt und nicht einmal den Kopf durch die Tür gesteckt. Einmal hatte ich sogar lauter gelacht, als es nötig gewesen wäre, nur um ihm ein Zeichen meiner Anwesenheit zu geben. Doch erfolglos. Die ganzen letzten Monate war er andauernd um mich herumgewuselt und jetzt: nichts!
Was war nur los? Hatte er das Interesse verloren? Hatte er gemerkt, dass ich mich in ihn verliebt hatte, und somit sein Ziel erreicht? Das wäre allerdings ziemlich dämlich von ihm, schließlich stand er jetzt kurz davor, endlich das zu bekommen, was er immer gewollt hatte: Sex.
Es ergab einfach keinen Sinn.
Ich hatte mich überwunden, ihn auf die Wange zu küssen, und dann tauchte er ohne ein Wort der Erklärung ab. Müsste er sich jetzt nicht erst recht ranhalten?
Diese Fragen beschäftigten mich von morgens bis abends. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Ungefähr fünfzigmal am Tag hatte ich mein Handy in der Hand, nur um fünfzigmal den eingetippten Text, kurz bevor ich ihn abschicken wollte, wieder zu löschen.
«Können wir noch eine Cola haben?», rief ein Gast. Ich schreckte hoch.
«Klar, sofort», entgegnete ich, nahm die Hände aus dem Spül-becken und stellte das Glas, das ich gerade abgewaschen hatte, zum Trocknen daneben.
Nicolas zog die Stirn kraus. «Ehm, hatte das Glas nicht mal eine Aufschrift?»
Ich sah mir das Glas genauer an und schluckte. Offenbar hatte ich ein bisschen zu stark geschrubbt, als ich über Elyas nach-gedacht hatte ...
«Das ist diese billige Farbe, die in China produziert wird», sagte ich, wich seinem Blick aus und machte mich an die bestellte Cola.
Heute war diese Halloween-Party, zu der mich Sophie eingeladen hatte. Leider war keiner der Kollegen bereit gewesen, seine Schicht mit mir zu tauschen, und so stand ich, anstatt mir im peinlichen Kostüm die Kante zu geben, im Purple Haze. Wir waren eine der wenigen Kneipen, die sich nicht zur Gruft umdekoriert hatten, was sich deutlich an der geringen Besucherzahl bemerk-bar machte. Normalerweise hätte mich die Party ohnehin nicht sonderlich gereizt, aber Elyas' unerklärliche Abstinenz in dieser Woche änderte die Sache. Er würde mit Sicherheit dort sein.
Der Einzige, der es bisher geschafft hatte, mich irgendwie von Mr. Blödmann abzulenken, war Luca gewesen. Doch selbst er ließ mich seit einigen Tagen im Stich. Seit Sonntag waren seine Nachrichten immer kürzer geworden, und seit Dienstag blieb mein Postfach gänzlich leer. Er hätte Stress und viel zu tun, hatte er geschrieben. Aber konnte ich ihm das wirklich glauben? Zuvor hatte er doch auch immer Zeit gefunden, um sich bei mir zu melden.
Vielleicht hatte ihn die Frage mit dem vorgezogenen Treffen verschreckt? Zumindest war er kaum darauf eingegangen und hatte nur geschrieben, wir würden irgendwann anders darüber reden.
Aber wenn das sein Problem war, warum sagte er das dann nicht einfach?
Ich warf den Lappen ins Spülbecken. Mann, was war nur auf einmal los mit allen? Hatten sie endlich begriffen, dass ich nichts Besonderes war? Der Zeitpunkt wäre aber denkbar blöd - saublöd, um genau zu sein. Warum hätte ihnen das nicht fünf Monate früher auffallen können?
Ich schnaubte und wischte mir das hochgespritzte Spülwasser von der Stirn.
«Hey, Baby», trällerte da eine mir wohlbekannte Stimme.
Eva. Und das «Baby» hatte glücklicherweise nicht mir gegolten, sonst wäre ich diejenige, die jetzt ihre Zunge im Mund hätte. Stattdessen traf es Nicolas, der sich offenbar mehr darüber freute, als ich es getan hätte.
«Ist ja überhaupt nichts los hier», sagte Eva. Mein Gebet war erhört und der öffentliche Austausch von Körperflüssigkeiten eingestellt worden.
«Wir stehen hier mehr oder weniger als Attrappe herum», erwiderte ich.
Sie setzte sich mir gegenüber auf einen der Hocker. «Und warum gehst du dann nicht doch auf die Party?»
Hatte ich schon mal erwähnt, dass Eva und Alex sich gut mit-einander verstanden? Sie teilten sich das gleiche Hobby: Emely irgendwo hinschleppen, wo Emely eigentlich überhaupt nicht hinwollte.
«Ich kann Nicolas hier nicht allein lassen.»
«Wie lange dauert deine Schicht?»
Ich warf einen Blick über meine Schulter auf die Uhr. 21.30 Uhr.
«Noch zwei Stunden, warum?»
«So lange bin ich sowieso noch hier. Ich kann für dich einspringen», sagte sie.
«Du? Soweit ich weiß, hast du doch noch nie in einer Bar gearbeitet.»
«Na und? So schwer wird das schon nicht sein. Rumstehen und gut aussehen kann ich allemal.»
«Davon bin ich überzeugt. Das Angebot ist wirklich nett, Eva, aber ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt auf die Party will.»
Sie seufzte. «Würde man nach dem gehen, was du willst, dann wärst du bis heute nicht aus dem Bauch deiner Mutter gekommen.»
«Und jetzt, wo ich weiß, was mich danach alles erwartet hat, wäre das damals eine sehr kluge Entscheidung gewesen!» Ich hob das Kinn, sie dagegen verdrehte die Augen und sah mich mit ihrem typischen «Was soll ich nur mit dir machen?»-Blick an. Ich hasste es, wenn sie das tat. Gar nichts, überhaupt nichts sollte sie mit mir machen.
«Stell dich nicht so an. Auf solchen Partys wimmelt es regel-recht von heißen Typen.»
Es wimmelt also von ihnen? Ich wusste nur von einem, und der war mir bereits mehr als genug. Genau den würde ich sehen, wenn ich auf die Party ginge. Wollte ich das? Blöde Frage, selbstverständlich wollte ich das. Die richtige Frage war eher, ob ich das sollte.
«Mag sein», sagte ich. «Aber selbst wenn du mir noch zwanzig überzeugende Argumente lieferst, wird es letztendlich daran scheitern, dass ich kein Kostüm habe.»
«Na und? Du magst doch sowieso keine Kostüme.»
«Natürlich mag ich keine Kostüme, aber ich will auch nicht die Einzige sein, die dort ohne herumläuft.»
«Seit wann hast du ein Problem damit, dich von anderen abzuheben?» Sie lachte und musterte schiefen Blickes meine Kleidung.
«Trotzdem», murmelte ich. «Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre.»
«Das kannst du dir in aller Ruhe überlegen», mischte sich Nicolas ein, «denn egal, ob du hingehst oder nicht, hier wirst du jedenfalls nicht mehr gebraucht. Wenn die letzten Gäste weg sind, werde ich abschließen. Heute kommt ohnehin keiner mehr.»
Ich dachte an den Stapel Bücher, der zu Hause auf mich war-tete. «Bist du sicher?», fragte ich.
«Ja, bin ich. Sollte sich doch noch etwas ändern, wird mir mein Schatz tatkräftig unter die Arme greifen. Nicht wahr?» Er zwinkerte in Evas Richtung.
Ich hob die Schultern. «Okay, wenn du meinst. Du hast auf jeden Fall etwas gut bei mir.»
«Da nicht für», sagte er. «Hab 'nen schönen Abend, Emely.» Ich bedankte mich bei ihm und trocknete meine nassen Hände an der Schürze. Als ich zwanzig Minuten später in meiner Wohnung eintraf, streifte ich mir die Messenger-Bag von der Schulter, zog das Handy heraus und ließ mich aufs Bett fallen. Der Blick auf das Display war ernüchternd, und so warf ich das kleine Gerät mit einem Seufzen aufs Kopfkissen.
Warum, verdammt noch mal, meldete er sich nicht? War etwas geschehen, von dem ich nichts wusste? Irgendwie kam mir das alles total seltsam vor.
Was er wohl gerade tat?
Vermutlich baggerte er eine andere, viel hübschere Frau an, mit der er die Nacht verbringen konnte. Eine, die sich nicht so anstellen würde wie ich.
Unzufrieden jammerte ich vor mich hin.
Sollte ich vielleicht doch auf die Party gehen? Nur um ihn zu sehen? Immerhin hätte ich jetzt die Möglichkeit ...
Nein! Ich sollte froh darüber sein, nichts von ihm zu hören. Schließlich war es genau das, was ich immer gewollt hatte. Ich sollte ihm dankbar sein, denn indirekt rettete er mir damit mein Leben. Genau! Mein Entschluss stand fest, ich würde sicher nicht auf diese Feier gehen!
Oder sollte ich doch?
Nein! Punkt. Ende. Aus!
Zehn Minuten später kramte ich im Kleiderschrank nach Klamotten, die für die Party in Frage kämen. Ich wühlte und wühlte, etwas Passendes wollte sich jedoch nicht finden lassen. Wenn schon kein richtiges Kostüm, dann sollte es wenigstens etwas sein, das annähernd mit einem zu vergleichen war. Ich suchte weiter und warf mit Klamotten um mich, von denen ich nicht mal mehr wusste, dass ich sie besaß. Erst als ich kurz davor war, im Kleiderschrank zu verschwinden, sah ich unter einem Stapel ein weißes T-Shirt hervorlugen. Ich zog es heraus, faltete es auf und erinnerte mich daran, dass ich es vor drei, vier Jahren von Alex geschenkt bekommen hatte. Es war tailliert geschnitten, und unter dem runden Kragen standen auf Brusthöhe in schwarzen, stark an einen Horrorfilm erinnernden Lettern die Worte «Bite me». Ich betrachtete es eine Weile. Bisher hatte sich noch keine Gelegenheit für das Oberteil als passend erwiesen, für eine Halloweenparty jedoch schien es die beste Alternative zu sein, die mein Kleiderschrank zu bieten hatte. Ich nickte, streifte es mir über und wählte dazu eine dunkelblaue Jeans und weiße Sneakers.
Mein Spiegelbild überraschte mich wahrlich nicht oft, doch heute war genau das der Fall: Ich sah noch dümmlicher aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Könnte mich der Designer so sehen, er würde sich im Grab umdrehen. Aber was soll's, dachte ich mir. Warum sollte ich mich um einen Designer scheren, der sich am Ende totgekokst hatte? Ich zuckte mit den Schultern, ging ins Bad, kämmte mir die Haare, atmete tief durch und verließ die Wohnung.
Die Party befand sich am anderen Ende der Stadt, im Haus von Sophies Eltern. Dreimal musste ich mit dem Bus umsteigen und war eine gefühlte Ewigkeit unterwegs. Es war bereits nach elf Uhr abends, als ich endlich die richtige Adresse fand.
Schon vor dem großen hellen Haus, das mit einer Glasfront versehen war, traf ich auf jede Menge maskierter Menschen, während die laute Musik aus dem Inneren bis auf die Straße dröhnte. Freddy Krüger, Michael Myers, Jason und Kettensägenmänner - alle waren sie vertreten und wirkten viel besser aufgelegt als in den Horrorfilmen, in denen ich sie zuletzt gesehen hatte.
Das war also Sophies Auffassung von einer kleinen Party? Ich runzelte die Stirn.
Kaum jemand nahm Notiz von mir, als ich mit schweißnassen Händen vorüberlief und die offenstehende Haustür ansteuerte. Kurz bevor ich mein Ziel erreichte, rempelte mich eine junge Frau an. «Sorry», sagte sie.
«Kein Problem», entgegnete ich, doch sie war längst drei Meter weiter und drehte sich nicht mehr um.
Mit angespanntem Körper wagte ich mich langsam weiter der Musik entgegen. Mit jedem Schritt bestärkte sich mein Gefühl, dass das Anrempeln nur ein kleiner Vorgeschmack des Szenarios war, das mich drinnen erwartete. Und ich sollte recht behalten: Offenbar hatten sich alle Götter versammelt und beschlossen, die Hölle für heute Abend in Sophies Haus zu verlegen.
Ich quetschte mich an einem blutverschmierten Typen vorbei und landete im Wohnzimmer, wo ich mich in alle Richtungen nach Alex umsah. Doch zwischen den ganzen Monstern, die tanzten, in kleinen Gruppen zusammenstanden oder trotz der Lautstärke versuchten, sich zu unterhalten, konnte ich sie nirgendwo entdecken. Als ich einen Schritt rückwärtsging, stieß ich aus Versehen gegen den Arm eines jungen Mannes, der sich dadurch fast sein Bier über das T-Shirt gegossen hätte. «Oh!», machte ich mit geweiteten Augen, «Entschuldigung.» Er bedachte mich nur mit einem seltsamen Blick, bevor er sich wieder seinen Freunden zuwandte. Mit leicht erwärmten Wangen kämpfte ich mich in die Nähe der Wand.
Schadensbegrenzung nannte man das, denn für die Gäste und meine Haftpflichtversicherung war es sicher besser, wenn ich nur von einer Seite mit Menschen umgeben war. Was ich davon hatte, waren jede Menge künstliche Spinnweben, die sich in meinen Haaren verfingen und die ich einzeln von dort wieder heraus-pfriemeln musste. Super.
Nach ein paar Metern landete ich im nächsten Raum, eine Art überdimensionales Esszimmer, in dem die Anzahl der Leute ein bisschen überschaubarer war. Mein Blick schweifte über die verschiedenen Gesichter, immer mit dem gleichen Ergebnis: Ich kannte kein einziges. David Draimans «Forsaken» hämmerte aus den Lautsprechern und untermalte mit düsteren Klängen die ohnehin schon unheimliche Aura.
In der Mitte des Esszimmers blieb ich stehen und spielte bereits mit dem Gedanken, mich vielleicht in der Hausnummer geirrt zu haben, als mein Blick plötzlich an jemandem hängen-blieb, der mir vertraut war.
Da stand er. Stand wie eine Statue im Türrahmen zum nächsten Raum und sah in meine Richtung. Er hatte mich entdeckt, bevor ich ihn entdeckt hatte.
Ich spürte das Blut durch meine Adern rauschen und hörte mein Herz klopfen.
Elyas.
Und er war blass. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, die mir eine Gänsehaut verursachten. Mein Blick wanderte herab, zu seinen Beinen, landete bei einer legeren Jeans, die von einem schwarzen Gürtel gehalten wurde. Um seinen schlanken Bauch schmiegte sich ein schwarzes T-Shirt, auf dem mir eine zähne-fletschende Vampirfrau entgegenblickte.
Darüber trug er einen offenen, knielangen und körperbetonten dunklen Mantel.
Erst jetzt bemerkte ich, dass mir der Mund offen stand. Während ich ihn schloss, sah ich zurück in sein Gesicht und fand Elyas' Augen mit einem unsagbaren Glanz darin auf mein T-Shirt gerichtet. Er senkte den Kopf ein wenig, blickte mich von unten herab an und schob einen Mundwinkel nach oben, formte dieses einseitige Lächeln, das mich jede Nacht vom Schlafen abhielt. Als sein Grinsen breiter wurde, blitzte mir ein spitzer weißer Eck-zahn entgegen und bestätigte meine schlimmsten Vermutungen.
Ein Vampir. Elyas hatte sich als Vampir verkleidet.
Die gedruckten Worte auf meinem T-Shirt brannten sich in meine Haut und ich spürte, wie die Wärme von dort immer höher in meine Wangen stieg.
Elyas sah mir in die Augen, und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, seine Gedanken lesen zu können. Die Menschenmenge um uns herum rückte mit jeder Sekunde mehr in den Hinter-grund, und die Geräusche verstummten, bis Elyas und ich die scheinbar einzigen Gäste auf der Party waren.
In diesem Moment manifestierte sich die Gewissheit in mir, dass Elyas heute Abend nichts auslassen würde, um der Aufforderung auf meinem T-Shirt nachzukommen. Und mindestens genauso sehr wurde mir klar, dass ich mich irgendwann nicht mehr dagegen wehren würde.
Ich zählte nur noch die Sekunden, bis er sich vom Türrahmen abstoßen und auf mich zulaufen würde. Doch stattdessen blieb er stehen. Regte sich nicht.
Er wandte die Augen von mir ab und sah zu Boden. Für einen langen Moment. Dann hob er die Hand, winkte mir zu, und noch ehe ich die Stirn runzeln konnte, drehte er sich um und verschwand in der Menge.
Wie mit dem Fußboden verwachsen, starrte ich ihm nach. Was tat er? Warum ging er? Es fühlte sich an, als hätte mir irgend-jemand ein riesengroßes Brett vor den Kopf geschlagen. So lang-sam verstand ich überhaupt nichts mehr.
«Emely?», hörte ich plötzlich jemanden hinter mir sagen.
Ich blinzelte und drehte mich um. Alex stand vor mir. In einem weißen Kleidchen, das ihr bis zur Mitte der Oberschenkel ging, und einem Paar Flügeln aus flauschigen Federn auf dem Rücken. Über ihrem Kopf thronte ein Heiligenschein, der bei jede ihrer Bewegungen hin und her wippte.
«Ich dachte, du musst arbeiten?», fragte sie. Die Antwort schien sie jedoch nicht sonderlich zu interessieren, denn ohne sie abzu-warten, fiel Alex mir um den Hals und drückte mich.
«Wie schön, dass du's doch noch geschafft hast!»
Ich nickte, als auch schon Sebastian hinter ihrem Rücken auf-tauchte. «Hallo», sagte er, bevor er mit dem Blick an meinem T-Shirt hängenblieb und ein Grinsen sein Gesicht erhellte.
«Was ist?», fragte ich.
«Nichts, nichts», sagte Sebastian. «Warte einfach, bis du Elyas gesehen hast.»
«Habe ich schon.»
«Ihr habt euch schon gesehen?», fragte er. «Aber wo sind dann die Bissspuren?»
Ich zwang mich zu einem Lächeln. «Nirgends», sagte ich. «Elyas hat wohl aufgegeben.»
Sebastian sah mich ungläubig an. «Bitte? Elyas soll aufgegeben haben?» Er lachte. «Niemals.»
«Es sieht aber alles danach aus. Er meldet sich nicht mehr, und jetzt ... jetzt geht er mir sogar aus dem Weg.»
Sebastian legte den Kopf schräg. «Reden wir hier wirklich von derselben Person?»
Ich nickte.
«Er geht dir aus dem Weg?», fragte er. «Ich wüsste nicht, warum er das tun sollte. Letzte Woche habe ich ihn zwar kaum gesehen, aber nach dem Campen war noch alles beim Alten.» Er zuckte mit den Schultern. «Was auch immer ihn geritten hat, Emely, freu dich nicht zu früh. Elyas gibt mit Sicherheit nicht einfach auf.»
«Glaube ich auch nicht. Dafür macht es ihm doch viel zu viel Spaß, dich zu ärgern», sagte Alex. «Aber wenn du Elyas schon gesehen hast, was sagst du zu seinem Kostüm?» Sie wippte mit den Füßen auf und ab.
«Ach, das ist auf deinem Mist gewachsen?»
«Sebastian, der alte Spielverderber», sagte sie und warf ihm einen Seitenblick zu, «wollte sich ja nicht verkleiden. Also habe ich mir Elyas vorgeknöpft. Nun sag schon, wie findest du ihn? Der perfekte Vampir, oder? Also ich würde mich beißen lassen.» Sie kicherte.
Der perfekte Vampir ... Besser hätte man es nicht formulieren können. Edward Cullen, die Lusche, konnte einpacken.
«Wie viel Valium musstest du ihm verpassen, damit er die Prozedur über sich ergehen ließ?»
Sie grinste. «In etwa drei bis vier. Aber jetzt mach es doch nicht so spannend und sag schon endlich!»
Ich seufzte. «Der perfekte Vampir.»
«Wusste ich's doch!» Sie klatschte die Hände zusammen, was den Heiligenschein auf ihrem Kopf zum Vibrieren brachte. «Ich bin das größte Modedesign-Talent, das die Erde jemals gesehen hat! «
Ich verdrehte die Augen. «Oder so ähnlich.» Entweder hörte sie das nicht oder wollte es nicht hören.
«Wie sieht's aus, suchen wir die anderen?», fragte Sebastian. «Andy wird ausflippen, wenn er dein T-Shirt sieht.»
Natürlich, wenn jemand die Kleiderwahl von Elyas und mir witzig fand, dann Andy. Aber wieso flippten alle aus, nur Elyas nicht? Ich senkte den Kopf und stellte mich mental bereits auf die nächsten Belustigungen ein. Danke, Schicksal, wirklich vielen Dank.
Wir gingen einen Raum weiter, und genau wie Sebastian es vorhergesehen hatte, bekam Andy enorme Schwierigkeiten damit, das aufsteigende Lachen in seiner Kehle zu unterdrücken. Ich reagierte mit Stöhnen, stellte mich ein bisschen abseits, blickte mich unbeteiligt um und verfolgte das weitere Gespräch nur mit Desinteresse. Meine Aufmerksamkeit wurde erst wieder geweckt, als ich Elyas nach einer Weile den Raum betreten sah. Ein paar Meter von uns entfernt blieb er stehen, begrüßte einen Bekannten und unterhielt sich mit ihm. Er machte keinerlei Anstalten, zu uns herüberzukommen, und das, obwohl er mich ganz genau gesehen hatte.
Fest biss ich die Zähne aufeinander. Ich war so was von frustriert, dass ich am liebsten zu ihm hingegangen wäre und ihn zur Rede gestellt hätte. Was bildete der sich ein? Erst machte er mich monatelang wahnsinnig, und von heute auf morgen interessierte er sich einfach nicht mehr für mich?
Frechheit.
«Wo gibt es hier eigentlich etwas zu trinken?», fragte ich Andy.
«In der Küche. Den Gang geradeaus und dann rechts.»
«Danke», sagte ich, wandte mich ab und begab mich sogleich auf die Suche. Zwar fand ich keine Küche im herkömmlichen Sinne, dafür aber einen Schnapsladen mit Herd, Spülbecken und Kühlschrank. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Hier stand mindestens das Doppelte an alkoholischen Getränken wie in einer herkömmlichen Bar.
Ich tippte einem Mann auf die Schulter. «Darf ich mal?», fragte ich. Er ging einen Schritt zur Seite und machte mir den Weg zu den Pappbechern frei. «Danke», sagte ich, schnappte mir einen von den Behältern und rätselte, womit ich ihn nun füllen sollte. Als mein Blick auf eine Flasche Wodka fiel, war die Ent-scheidung gefallen. Ich kippte einen ordentlichen Schluck in den Becher, den Rest füllte ich mit Kirschsaft auf. Nachdem ich an der Mischung genippt hatte, goss ich nach kurzer Überlegung noch einen Schluck Wodka nach.
Durch seine Größe vereinfachte Andy es mir ungemein, die Gruppe wiederzufinden, und kaum hatte ich meinen alten Platz eingenommen, wanderte mein Blick sofort zu der Stelle, an der ich Elyas zum letzten Mal gesehen hatte. Dort stand er aber nicht mehr. Ich sah mich um und entdeckte ihn zu meiner Überraschung nur unweit von mir entfernt bei Sophie stehen. Einen großen Schluck von dem Becher nehmend, meldete ich mich mit einem dezenten Räuspern bei Andy zurück.
«Emely», sagte er, «da bist du ja wieder.» Als mein Name fiel, drehte Elyas für den Bruchteil einer Sekunde den Kopf in meine Richtung, ehe er die Augen wieder zurück auf Sophie lenkte. Innerlich brodelte ich.
Andy, dessen Gesicht ein breites Grinsen zierte, legte mir den Arm um die Schulter und zog mich ein paar Schritte mit sich. Vor Elyas und Sophie blieb er stehen. «Na, Elyas? Was sagst du zu Emelys Outfit?»
Ja, verdammt, was sagst du zu meinem Outfit?
Doch die Frage verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Es lag an der Art und Weise, wie mich Elyas ansah. Ganz anders als sonst. Ohne Glanz, ohne das Aufblitzen dieser unverkennbaren Vorwitzigkeit, die nur er besaß. Stattdessen lag darin die Mattheit eines verblichenen Fotos.
«Was soll ich denn dazu sagen ... », murmelte er und zuckte mit den Schultern. «Sie sieht wunderschön aus. Wie immer.»
Mein Magen zog sich zusammen. So oft hatte er diese Worte an mich gerichtet. Dieses Mal klang es aber, als spräche er von jemandem, mit dem er nur blasse Erinnerungen aus der Vergangenheit verband.
«Und jetzt entschuldigt mich bitte», fuhr er fort, «ich habe da hinten einen alten Bekannten gesehen.» Kaum hatte er zu Ende gesprochen, drehte er uns den Rücken zu und verschwand. Wie angewurzelt starrte ich ihm hinterher.
Nach kurzer Stille fragte Andy: «Habt ihr beiden eine Ehe-krise?»
«Keine Ahnung», entgegnete ich verzögert. «Vielleicht ist er ja unter die Vegetarier gegangen.»
Zwei Becher von der Kirsch-Wodka-Mischung später war meine Stimmung immer noch auf dem Nullpunkt. Ich könnte auf-geben und die Sache mit Elyas auf sich beruhen lassen. Aber jedes Mal, wenn ich diesen Gedanken fasste, war es, als würde mir ein kleines Karatemännchen von innen gegen den Bauch boxen. Ich hasste dieses blöde Karatemännchen. Es war hartnäckig und absolut unvernünftig. Ja, unvernünftig, so bezeichnete ich es mehrmals, das interessierte es aber nicht im Geringsten, denn es besaß eine dritte Eigenschaft: Es war sturer als ein Esel. Und in Kombination mit Alkohol rief es etwas in mir hervor, was eigentlich überhaupt nicht existierte: Mut.
Den letzten Rest des Getränks nahm ich auf ex und hielt die Besorgung von Nachschub für die optimale Gelegenheit, mich nach Elyas umzusehen. Ich entschuldigte mich bei den anderen und machte mich Richtung Küche auf. Doch sosehr ich die Augen auf dem Weg dorthin auch offen hielt - und verdammt, ich hielt sie mehr als offen! -, ich konnte ihn nirgendwo entdecken.
In der Küche angekommen, füllte ich den Becher und nahm gleich einen großen Schluck Kirsch-Wodka. Sollte ich die Suche jetzt wirklich schon wieder aufgeben? Karatemännchen verpasste mir einen ordentlichen Tritt. Ich beschloss, einen kleinen, unauffälligen Streifzug durchs Haus zu unternehmen.
Die Party war nach wie vor in vollem Gange. Das Einzige, was sich geändert hatte, war der deutlich abfallende Hemmungs-pegel der Gäste. So musste ich mich an einem entflohenen Häftling vorbeiquetschen, dessen Hände sich unter dem Rock einer Krankenschwester befanden. Unter Leibesvisitation im Knast hatte ich mir dann doch etwas anderes vorgestellt. Das Wort «Leibesvisitation» erinnerte mich an begabte Hände, die über meinen Körper wanderten, und brachte mich zurück zu Elyas. Wo war er nur? Ich klapperte jeden einzelnen Raum im Haus ab und gelangte stets zu demselben Ergebnis: Von Elyas fehlte jede Spur.
Wenn das nicht schon an Paranoia grenzen würde, könnte man fast meinen, dass Elyas nicht von mir gefunden werden wollte. Oder war er womöglich schon gegangen?
Leise und unzufrieden vor mich hin murmelnd schlug ich den Rückweg ein, der einzigen Hoffnung entgegen, dass Elyas viel-leicht zwischenzeitlich zu seinen Freunden zurückgekehrt war. Als ich an der Küche vorbeischlurfte und einen flüchtigen Blick hineinwarf, zuckte ich augenblicklich zusammen. Elyas. Da war er auf einmal. Lehnte an der Wand neben dem Kühlschrank und unterhielt sich mit einer Brünetten.
Mit Augen so groß wie Golfbälle lief ich geradeaus weiter und stoppte erst, nachdem ich die Tür schon passiert hatte. Von hinten hatte die Frau wie Jessica ausgesehen, aber sicher war ich mir nicht. Ich linste in meinen Becher, der noch bis zur Hälfte gefüllt war, und ließ die Flüssigkeit darin ein bisschen kreisen. Nach kurzer Überlegung schüttete ich den Inhalt in einen Blumenkübel, machte kehrt und steuerte in die Küche.
Ich war voller Tatendrang, zumindest so lange, bis ich die Schwelle übertrat und ihn sah. Sofort senkte ich den Kopf, tat so, als hätte ich Elyas nicht gesehen, und marschierte schnurstracks zu den Flaschen am anderen Ende des Raumes. Dort kehrte ich ihm den Rücken zu und widmete mich intensiv der Verfluchung meiner dämlichen Feigheit.
Tief durchatmen, versuchte ich mich nach einer Weile zu beruhigen. Die Frau, mit der er sich unterhielt, war tatsächlich Jessica. In dieser Hinsicht gab es also keinerlei Anlass zur Sorge. Aber hatte er mich überhaupt gesehen? Eigentlich musste er das, schließlich war ich direkt an ihm vorbeigelaufen.
Ich blieb vor der Theke stehen und ließ den Blick über die verschiedenen Flaschen schweifen, so als könne ich mich nicht entscheiden, was ich trinken sollte. In Wahrheit schindete ich Zeit. Zeit, die er nutzen konnte, um zu mir zu kommen.
Ganze fünf Minuten zog ich das durch, aber er kam nicht. Warum gottverdammt noch mal kam er nicht?
Frustriert griff ich nach der Wodkaflasche und blieb meiner Cocktailmischung des heutigen Abends treu. Ich probierte davon, während mein Verstand, der mir andauernd sagte, wie lächerlich mein Verhalten war, langsam die Oberhand gewann. Ich müsste ihn einfach ansprechen, und dann würde ich endlich erfahren, wo sein Problem lag. Genau! Mit eiserner Miene wandte ich mich um, nur um neben dem Kühlschrank auf eine leere Stelle an der Wand zu blicken.
Elyas war weg. Ebenso wie Jessica.
Mir klappte der Mund auf. Langsam glaubte ich nicht mehr an Zufall.
Es vergingen einige Minuten, bis ich den Weg zurück ins Wohnzimmer suchte. Ich stellte mich zu den anderen und erkor den kleinen weißen Pappbecher zu meinem neuen besten Freund.
© 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Kapitel 1
Inspektor Winter
Seit einer Woche nichts. Überhaupt nichts.
Keine anzüglichen SMS, keine nächtlichen Anrufe, keine «Ich habe einen blöden Grund gefunden, um bei dir vorbei-zuschauen»-Besuche - nichts!
Aber auch rein gar nichts!
Dreimal war ich diese Woche bei Alex gewesen, und zweimal hatte sein Mustang vor der Tür gestanden. Er musste also zu Hause gewesen sein. Aber falls man meinen sollte, er wäre mal aus seinem Zimmer gekommen, um «Hallo» zu sagen, hatte man sich geschnitten. So als würde der Atomkrieg bevorstehen, hatte er sich in seinem Zimmer verschanzt und nicht einmal den Kopf durch die Tür gesteckt. Einmal hatte ich sogar lauter gelacht, als es nötig gewesen wäre, nur um ihm ein Zeichen meiner Anwesenheit zu geben. Doch erfolglos. Die ganzen letzten Monate war er andauernd um mich herumgewuselt und jetzt: nichts!
Was war nur los? Hatte er das Interesse verloren? Hatte er gemerkt, dass ich mich in ihn verliebt hatte, und somit sein Ziel erreicht? Das wäre allerdings ziemlich dämlich von ihm, schließlich stand er jetzt kurz davor, endlich das zu bekommen, was er immer gewollt hatte: Sex.
Es ergab einfach keinen Sinn.
Ich hatte mich überwunden, ihn auf die Wange zu küssen, und dann tauchte er ohne ein Wort der Erklärung ab. Müsste er sich jetzt nicht erst recht ranhalten?
Diese Fragen beschäftigten mich von morgens bis abends. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Ungefähr fünfzigmal am Tag hatte ich mein Handy in der Hand, nur um fünfzigmal den eingetippten Text, kurz bevor ich ihn abschicken wollte, wieder zu löschen.
«Können wir noch eine Cola haben?», rief ein Gast. Ich schreckte hoch.
«Klar, sofort», entgegnete ich, nahm die Hände aus dem Spül-becken und stellte das Glas, das ich gerade abgewaschen hatte, zum Trocknen daneben.
Nicolas zog die Stirn kraus. «Ehm, hatte das Glas nicht mal eine Aufschrift?»
Ich sah mir das Glas genauer an und schluckte. Offenbar hatte ich ein bisschen zu stark geschrubbt, als ich über Elyas nach-gedacht hatte ...
«Das ist diese billige Farbe, die in China produziert wird», sagte ich, wich seinem Blick aus und machte mich an die bestellte Cola.
Heute war diese Halloween-Party, zu der mich Sophie eingeladen hatte. Leider war keiner der Kollegen bereit gewesen, seine Schicht mit mir zu tauschen, und so stand ich, anstatt mir im peinlichen Kostüm die Kante zu geben, im Purple Haze. Wir waren eine der wenigen Kneipen, die sich nicht zur Gruft umdekoriert hatten, was sich deutlich an der geringen Besucherzahl bemerk-bar machte. Normalerweise hätte mich die Party ohnehin nicht sonderlich gereizt, aber Elyas' unerklärliche Abstinenz in dieser Woche änderte die Sache. Er würde mit Sicherheit dort sein.
Der Einzige, der es bisher geschafft hatte, mich irgendwie von Mr. Blödmann abzulenken, war Luca gewesen. Doch selbst er ließ mich seit einigen Tagen im Stich. Seit Sonntag waren seine Nachrichten immer kürzer geworden, und seit Dienstag blieb mein Postfach gänzlich leer. Er hätte Stress und viel zu tun, hatte er geschrieben. Aber konnte ich ihm das wirklich glauben? Zuvor hatte er doch auch immer Zeit gefunden, um sich bei mir zu melden.
Vielleicht hatte ihn die Frage mit dem vorgezogenen Treffen verschreckt? Zumindest war er kaum darauf eingegangen und hatte nur geschrieben, wir würden irgendwann anders darüber reden.
Aber wenn das sein Problem war, warum sagte er das dann nicht einfach?
Ich warf den Lappen ins Spülbecken. Mann, was war nur auf einmal los mit allen? Hatten sie endlich begriffen, dass ich nichts Besonderes war? Der Zeitpunkt wäre aber denkbar blöd - saublöd, um genau zu sein. Warum hätte ihnen das nicht fünf Monate früher auffallen können?
Ich schnaubte und wischte mir das hochgespritzte Spülwasser von der Stirn.
«Hey, Baby», trällerte da eine mir wohlbekannte Stimme.
Eva. Und das «Baby» hatte glücklicherweise nicht mir gegolten, sonst wäre ich diejenige, die jetzt ihre Zunge im Mund hätte. Stattdessen traf es Nicolas, der sich offenbar mehr darüber freute, als ich es getan hätte.
«Ist ja überhaupt nichts los hier», sagte Eva. Mein Gebet war erhört und der öffentliche Austausch von Körperflüssigkeiten eingestellt worden.
«Wir stehen hier mehr oder weniger als Attrappe herum», erwiderte ich.
Sie setzte sich mir gegenüber auf einen der Hocker. «Und warum gehst du dann nicht doch auf die Party?»
Hatte ich schon mal erwähnt, dass Eva und Alex sich gut mit-einander verstanden? Sie teilten sich das gleiche Hobby: Emely irgendwo hinschleppen, wo Emely eigentlich überhaupt nicht hinwollte.
«Ich kann Nicolas hier nicht allein lassen.»
«Wie lange dauert deine Schicht?»
Ich warf einen Blick über meine Schulter auf die Uhr. 21.30 Uhr.
«Noch zwei Stunden, warum?»
«So lange bin ich sowieso noch hier. Ich kann für dich einspringen», sagte sie.
«Du? Soweit ich weiß, hast du doch noch nie in einer Bar gearbeitet.»
«Na und? So schwer wird das schon nicht sein. Rumstehen und gut aussehen kann ich allemal.»
«Davon bin ich überzeugt. Das Angebot ist wirklich nett, Eva, aber ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt auf die Party will.»
Sie seufzte. «Würde man nach dem gehen, was du willst, dann wärst du bis heute nicht aus dem Bauch deiner Mutter gekommen.»
«Und jetzt, wo ich weiß, was mich danach alles erwartet hat, wäre das damals eine sehr kluge Entscheidung gewesen!» Ich hob das Kinn, sie dagegen verdrehte die Augen und sah mich mit ihrem typischen «Was soll ich nur mit dir machen?»-Blick an. Ich hasste es, wenn sie das tat. Gar nichts, überhaupt nichts sollte sie mit mir machen.
«Stell dich nicht so an. Auf solchen Partys wimmelt es regel-recht von heißen Typen.»
Es wimmelt also von ihnen? Ich wusste nur von einem, und der war mir bereits mehr als genug. Genau den würde ich sehen, wenn ich auf die Party ginge. Wollte ich das? Blöde Frage, selbstverständlich wollte ich das. Die richtige Frage war eher, ob ich das sollte.
«Mag sein», sagte ich. «Aber selbst wenn du mir noch zwanzig überzeugende Argumente lieferst, wird es letztendlich daran scheitern, dass ich kein Kostüm habe.»
«Na und? Du magst doch sowieso keine Kostüme.»
«Natürlich mag ich keine Kostüme, aber ich will auch nicht die Einzige sein, die dort ohne herumläuft.»
«Seit wann hast du ein Problem damit, dich von anderen abzuheben?» Sie lachte und musterte schiefen Blickes meine Kleidung.
«Trotzdem», murmelte ich. «Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre.»
«Das kannst du dir in aller Ruhe überlegen», mischte sich Nicolas ein, «denn egal, ob du hingehst oder nicht, hier wirst du jedenfalls nicht mehr gebraucht. Wenn die letzten Gäste weg sind, werde ich abschließen. Heute kommt ohnehin keiner mehr.»
Ich dachte an den Stapel Bücher, der zu Hause auf mich war-tete. «Bist du sicher?», fragte ich.
«Ja, bin ich. Sollte sich doch noch etwas ändern, wird mir mein Schatz tatkräftig unter die Arme greifen. Nicht wahr?» Er zwinkerte in Evas Richtung.
Ich hob die Schultern. «Okay, wenn du meinst. Du hast auf jeden Fall etwas gut bei mir.»
«Da nicht für», sagte er. «Hab 'nen schönen Abend, Emely.» Ich bedankte mich bei ihm und trocknete meine nassen Hände an der Schürze. Als ich zwanzig Minuten später in meiner Wohnung eintraf, streifte ich mir die Messenger-Bag von der Schulter, zog das Handy heraus und ließ mich aufs Bett fallen. Der Blick auf das Display war ernüchternd, und so warf ich das kleine Gerät mit einem Seufzen aufs Kopfkissen.
Warum, verdammt noch mal, meldete er sich nicht? War etwas geschehen, von dem ich nichts wusste? Irgendwie kam mir das alles total seltsam vor.
Was er wohl gerade tat?
Vermutlich baggerte er eine andere, viel hübschere Frau an, mit der er die Nacht verbringen konnte. Eine, die sich nicht so anstellen würde wie ich.
Unzufrieden jammerte ich vor mich hin.
Sollte ich vielleicht doch auf die Party gehen? Nur um ihn zu sehen? Immerhin hätte ich jetzt die Möglichkeit ...
Nein! Ich sollte froh darüber sein, nichts von ihm zu hören. Schließlich war es genau das, was ich immer gewollt hatte. Ich sollte ihm dankbar sein, denn indirekt rettete er mir damit mein Leben. Genau! Mein Entschluss stand fest, ich würde sicher nicht auf diese Feier gehen!
Oder sollte ich doch?
Nein! Punkt. Ende. Aus!
Zehn Minuten später kramte ich im Kleiderschrank nach Klamotten, die für die Party in Frage kämen. Ich wühlte und wühlte, etwas Passendes wollte sich jedoch nicht finden lassen. Wenn schon kein richtiges Kostüm, dann sollte es wenigstens etwas sein, das annähernd mit einem zu vergleichen war. Ich suchte weiter und warf mit Klamotten um mich, von denen ich nicht mal mehr wusste, dass ich sie besaß. Erst als ich kurz davor war, im Kleiderschrank zu verschwinden, sah ich unter einem Stapel ein weißes T-Shirt hervorlugen. Ich zog es heraus, faltete es auf und erinnerte mich daran, dass ich es vor drei, vier Jahren von Alex geschenkt bekommen hatte. Es war tailliert geschnitten, und unter dem runden Kragen standen auf Brusthöhe in schwarzen, stark an einen Horrorfilm erinnernden Lettern die Worte «Bite me». Ich betrachtete es eine Weile. Bisher hatte sich noch keine Gelegenheit für das Oberteil als passend erwiesen, für eine Halloweenparty jedoch schien es die beste Alternative zu sein, die mein Kleiderschrank zu bieten hatte. Ich nickte, streifte es mir über und wählte dazu eine dunkelblaue Jeans und weiße Sneakers.
Mein Spiegelbild überraschte mich wahrlich nicht oft, doch heute war genau das der Fall: Ich sah noch dümmlicher aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Könnte mich der Designer so sehen, er würde sich im Grab umdrehen. Aber was soll's, dachte ich mir. Warum sollte ich mich um einen Designer scheren, der sich am Ende totgekokst hatte? Ich zuckte mit den Schultern, ging ins Bad, kämmte mir die Haare, atmete tief durch und verließ die Wohnung.
Die Party befand sich am anderen Ende der Stadt, im Haus von Sophies Eltern. Dreimal musste ich mit dem Bus umsteigen und war eine gefühlte Ewigkeit unterwegs. Es war bereits nach elf Uhr abends, als ich endlich die richtige Adresse fand.
Schon vor dem großen hellen Haus, das mit einer Glasfront versehen war, traf ich auf jede Menge maskierter Menschen, während die laute Musik aus dem Inneren bis auf die Straße dröhnte. Freddy Krüger, Michael Myers, Jason und Kettensägenmänner - alle waren sie vertreten und wirkten viel besser aufgelegt als in den Horrorfilmen, in denen ich sie zuletzt gesehen hatte.
Das war also Sophies Auffassung von einer kleinen Party? Ich runzelte die Stirn.
Kaum jemand nahm Notiz von mir, als ich mit schweißnassen Händen vorüberlief und die offenstehende Haustür ansteuerte. Kurz bevor ich mein Ziel erreichte, rempelte mich eine junge Frau an. «Sorry», sagte sie.
«Kein Problem», entgegnete ich, doch sie war längst drei Meter weiter und drehte sich nicht mehr um.
Mit angespanntem Körper wagte ich mich langsam weiter der Musik entgegen. Mit jedem Schritt bestärkte sich mein Gefühl, dass das Anrempeln nur ein kleiner Vorgeschmack des Szenarios war, das mich drinnen erwartete. Und ich sollte recht behalten: Offenbar hatten sich alle Götter versammelt und beschlossen, die Hölle für heute Abend in Sophies Haus zu verlegen.
Ich quetschte mich an einem blutverschmierten Typen vorbei und landete im Wohnzimmer, wo ich mich in alle Richtungen nach Alex umsah. Doch zwischen den ganzen Monstern, die tanzten, in kleinen Gruppen zusammenstanden oder trotz der Lautstärke versuchten, sich zu unterhalten, konnte ich sie nirgendwo entdecken. Als ich einen Schritt rückwärtsging, stieß ich aus Versehen gegen den Arm eines jungen Mannes, der sich dadurch fast sein Bier über das T-Shirt gegossen hätte. «Oh!», machte ich mit geweiteten Augen, «Entschuldigung.» Er bedachte mich nur mit einem seltsamen Blick, bevor er sich wieder seinen Freunden zuwandte. Mit leicht erwärmten Wangen kämpfte ich mich in die Nähe der Wand.
Schadensbegrenzung nannte man das, denn für die Gäste und meine Haftpflichtversicherung war es sicher besser, wenn ich nur von einer Seite mit Menschen umgeben war. Was ich davon hatte, waren jede Menge künstliche Spinnweben, die sich in meinen Haaren verfingen und die ich einzeln von dort wieder heraus-pfriemeln musste. Super.
Nach ein paar Metern landete ich im nächsten Raum, eine Art überdimensionales Esszimmer, in dem die Anzahl der Leute ein bisschen überschaubarer war. Mein Blick schweifte über die verschiedenen Gesichter, immer mit dem gleichen Ergebnis: Ich kannte kein einziges. David Draimans «Forsaken» hämmerte aus den Lautsprechern und untermalte mit düsteren Klängen die ohnehin schon unheimliche Aura.
In der Mitte des Esszimmers blieb ich stehen und spielte bereits mit dem Gedanken, mich vielleicht in der Hausnummer geirrt zu haben, als mein Blick plötzlich an jemandem hängen-blieb, der mir vertraut war.
Da stand er. Stand wie eine Statue im Türrahmen zum nächsten Raum und sah in meine Richtung. Er hatte mich entdeckt, bevor ich ihn entdeckt hatte.
Ich spürte das Blut durch meine Adern rauschen und hörte mein Herz klopfen.
Elyas.
Und er war blass. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, die mir eine Gänsehaut verursachten. Mein Blick wanderte herab, zu seinen Beinen, landete bei einer legeren Jeans, die von einem schwarzen Gürtel gehalten wurde. Um seinen schlanken Bauch schmiegte sich ein schwarzes T-Shirt, auf dem mir eine zähne-fletschende Vampirfrau entgegenblickte.
Darüber trug er einen offenen, knielangen und körperbetonten dunklen Mantel.
Erst jetzt bemerkte ich, dass mir der Mund offen stand. Während ich ihn schloss, sah ich zurück in sein Gesicht und fand Elyas' Augen mit einem unsagbaren Glanz darin auf mein T-Shirt gerichtet. Er senkte den Kopf ein wenig, blickte mich von unten herab an und schob einen Mundwinkel nach oben, formte dieses einseitige Lächeln, das mich jede Nacht vom Schlafen abhielt. Als sein Grinsen breiter wurde, blitzte mir ein spitzer weißer Eck-zahn entgegen und bestätigte meine schlimmsten Vermutungen.
Ein Vampir. Elyas hatte sich als Vampir verkleidet.
Die gedruckten Worte auf meinem T-Shirt brannten sich in meine Haut und ich spürte, wie die Wärme von dort immer höher in meine Wangen stieg.
Elyas sah mir in die Augen, und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, seine Gedanken lesen zu können. Die Menschenmenge um uns herum rückte mit jeder Sekunde mehr in den Hinter-grund, und die Geräusche verstummten, bis Elyas und ich die scheinbar einzigen Gäste auf der Party waren.
In diesem Moment manifestierte sich die Gewissheit in mir, dass Elyas heute Abend nichts auslassen würde, um der Aufforderung auf meinem T-Shirt nachzukommen. Und mindestens genauso sehr wurde mir klar, dass ich mich irgendwann nicht mehr dagegen wehren würde.
Ich zählte nur noch die Sekunden, bis er sich vom Türrahmen abstoßen und auf mich zulaufen würde. Doch stattdessen blieb er stehen. Regte sich nicht.
Er wandte die Augen von mir ab und sah zu Boden. Für einen langen Moment. Dann hob er die Hand, winkte mir zu, und noch ehe ich die Stirn runzeln konnte, drehte er sich um und verschwand in der Menge.
Wie mit dem Fußboden verwachsen, starrte ich ihm nach. Was tat er? Warum ging er? Es fühlte sich an, als hätte mir irgend-jemand ein riesengroßes Brett vor den Kopf geschlagen. So lang-sam verstand ich überhaupt nichts mehr.
«Emely?», hörte ich plötzlich jemanden hinter mir sagen.
Ich blinzelte und drehte mich um. Alex stand vor mir. In einem weißen Kleidchen, das ihr bis zur Mitte der Oberschenkel ging, und einem Paar Flügeln aus flauschigen Federn auf dem Rücken. Über ihrem Kopf thronte ein Heiligenschein, der bei jede ihrer Bewegungen hin und her wippte.
«Ich dachte, du musst arbeiten?», fragte sie. Die Antwort schien sie jedoch nicht sonderlich zu interessieren, denn ohne sie abzu-warten, fiel Alex mir um den Hals und drückte mich.
«Wie schön, dass du's doch noch geschafft hast!»
Ich nickte, als auch schon Sebastian hinter ihrem Rücken auf-tauchte. «Hallo», sagte er, bevor er mit dem Blick an meinem T-Shirt hängenblieb und ein Grinsen sein Gesicht erhellte.
«Was ist?», fragte ich.
«Nichts, nichts», sagte Sebastian. «Warte einfach, bis du Elyas gesehen hast.»
«Habe ich schon.»
«Ihr habt euch schon gesehen?», fragte er. «Aber wo sind dann die Bissspuren?»
Ich zwang mich zu einem Lächeln. «Nirgends», sagte ich. «Elyas hat wohl aufgegeben.»
Sebastian sah mich ungläubig an. «Bitte? Elyas soll aufgegeben haben?» Er lachte. «Niemals.»
«Es sieht aber alles danach aus. Er meldet sich nicht mehr, und jetzt ... jetzt geht er mir sogar aus dem Weg.»
Sebastian legte den Kopf schräg. «Reden wir hier wirklich von derselben Person?»
Ich nickte.
«Er geht dir aus dem Weg?», fragte er. «Ich wüsste nicht, warum er das tun sollte. Letzte Woche habe ich ihn zwar kaum gesehen, aber nach dem Campen war noch alles beim Alten.» Er zuckte mit den Schultern. «Was auch immer ihn geritten hat, Emely, freu dich nicht zu früh. Elyas gibt mit Sicherheit nicht einfach auf.»
«Glaube ich auch nicht. Dafür macht es ihm doch viel zu viel Spaß, dich zu ärgern», sagte Alex. «Aber wenn du Elyas schon gesehen hast, was sagst du zu seinem Kostüm?» Sie wippte mit den Füßen auf und ab.
«Ach, das ist auf deinem Mist gewachsen?»
«Sebastian, der alte Spielverderber», sagte sie und warf ihm einen Seitenblick zu, «wollte sich ja nicht verkleiden. Also habe ich mir Elyas vorgeknöpft. Nun sag schon, wie findest du ihn? Der perfekte Vampir, oder? Also ich würde mich beißen lassen.» Sie kicherte.
Der perfekte Vampir ... Besser hätte man es nicht formulieren können. Edward Cullen, die Lusche, konnte einpacken.
«Wie viel Valium musstest du ihm verpassen, damit er die Prozedur über sich ergehen ließ?»
Sie grinste. «In etwa drei bis vier. Aber jetzt mach es doch nicht so spannend und sag schon endlich!»
Ich seufzte. «Der perfekte Vampir.»
«Wusste ich's doch!» Sie klatschte die Hände zusammen, was den Heiligenschein auf ihrem Kopf zum Vibrieren brachte. «Ich bin das größte Modedesign-Talent, das die Erde jemals gesehen hat! «
Ich verdrehte die Augen. «Oder so ähnlich.» Entweder hörte sie das nicht oder wollte es nicht hören.
«Wie sieht's aus, suchen wir die anderen?», fragte Sebastian. «Andy wird ausflippen, wenn er dein T-Shirt sieht.»
Natürlich, wenn jemand die Kleiderwahl von Elyas und mir witzig fand, dann Andy. Aber wieso flippten alle aus, nur Elyas nicht? Ich senkte den Kopf und stellte mich mental bereits auf die nächsten Belustigungen ein. Danke, Schicksal, wirklich vielen Dank.
Wir gingen einen Raum weiter, und genau wie Sebastian es vorhergesehen hatte, bekam Andy enorme Schwierigkeiten damit, das aufsteigende Lachen in seiner Kehle zu unterdrücken. Ich reagierte mit Stöhnen, stellte mich ein bisschen abseits, blickte mich unbeteiligt um und verfolgte das weitere Gespräch nur mit Desinteresse. Meine Aufmerksamkeit wurde erst wieder geweckt, als ich Elyas nach einer Weile den Raum betreten sah. Ein paar Meter von uns entfernt blieb er stehen, begrüßte einen Bekannten und unterhielt sich mit ihm. Er machte keinerlei Anstalten, zu uns herüberzukommen, und das, obwohl er mich ganz genau gesehen hatte.
Fest biss ich die Zähne aufeinander. Ich war so was von frustriert, dass ich am liebsten zu ihm hingegangen wäre und ihn zur Rede gestellt hätte. Was bildete der sich ein? Erst machte er mich monatelang wahnsinnig, und von heute auf morgen interessierte er sich einfach nicht mehr für mich?
Frechheit.
«Wo gibt es hier eigentlich etwas zu trinken?», fragte ich Andy.
«In der Küche. Den Gang geradeaus und dann rechts.»
«Danke», sagte ich, wandte mich ab und begab mich sogleich auf die Suche. Zwar fand ich keine Küche im herkömmlichen Sinne, dafür aber einen Schnapsladen mit Herd, Spülbecken und Kühlschrank. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Hier stand mindestens das Doppelte an alkoholischen Getränken wie in einer herkömmlichen Bar.
Ich tippte einem Mann auf die Schulter. «Darf ich mal?», fragte ich. Er ging einen Schritt zur Seite und machte mir den Weg zu den Pappbechern frei. «Danke», sagte ich, schnappte mir einen von den Behältern und rätselte, womit ich ihn nun füllen sollte. Als mein Blick auf eine Flasche Wodka fiel, war die Ent-scheidung gefallen. Ich kippte einen ordentlichen Schluck in den Becher, den Rest füllte ich mit Kirschsaft auf. Nachdem ich an der Mischung genippt hatte, goss ich nach kurzer Überlegung noch einen Schluck Wodka nach.
Durch seine Größe vereinfachte Andy es mir ungemein, die Gruppe wiederzufinden, und kaum hatte ich meinen alten Platz eingenommen, wanderte mein Blick sofort zu der Stelle, an der ich Elyas zum letzten Mal gesehen hatte. Dort stand er aber nicht mehr. Ich sah mich um und entdeckte ihn zu meiner Überraschung nur unweit von mir entfernt bei Sophie stehen. Einen großen Schluck von dem Becher nehmend, meldete ich mich mit einem dezenten Räuspern bei Andy zurück.
«Emely», sagte er, «da bist du ja wieder.» Als mein Name fiel, drehte Elyas für den Bruchteil einer Sekunde den Kopf in meine Richtung, ehe er die Augen wieder zurück auf Sophie lenkte. Innerlich brodelte ich.
Andy, dessen Gesicht ein breites Grinsen zierte, legte mir den Arm um die Schulter und zog mich ein paar Schritte mit sich. Vor Elyas und Sophie blieb er stehen. «Na, Elyas? Was sagst du zu Emelys Outfit?»
Ja, verdammt, was sagst du zu meinem Outfit?
Doch die Frage verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Es lag an der Art und Weise, wie mich Elyas ansah. Ganz anders als sonst. Ohne Glanz, ohne das Aufblitzen dieser unverkennbaren Vorwitzigkeit, die nur er besaß. Stattdessen lag darin die Mattheit eines verblichenen Fotos.
«Was soll ich denn dazu sagen ... », murmelte er und zuckte mit den Schultern. «Sie sieht wunderschön aus. Wie immer.»
Mein Magen zog sich zusammen. So oft hatte er diese Worte an mich gerichtet. Dieses Mal klang es aber, als spräche er von jemandem, mit dem er nur blasse Erinnerungen aus der Vergangenheit verband.
«Und jetzt entschuldigt mich bitte», fuhr er fort, «ich habe da hinten einen alten Bekannten gesehen.» Kaum hatte er zu Ende gesprochen, drehte er uns den Rücken zu und verschwand. Wie angewurzelt starrte ich ihm hinterher.
Nach kurzer Stille fragte Andy: «Habt ihr beiden eine Ehe-krise?»
«Keine Ahnung», entgegnete ich verzögert. «Vielleicht ist er ja unter die Vegetarier gegangen.»
Zwei Becher von der Kirsch-Wodka-Mischung später war meine Stimmung immer noch auf dem Nullpunkt. Ich könnte auf-geben und die Sache mit Elyas auf sich beruhen lassen. Aber jedes Mal, wenn ich diesen Gedanken fasste, war es, als würde mir ein kleines Karatemännchen von innen gegen den Bauch boxen. Ich hasste dieses blöde Karatemännchen. Es war hartnäckig und absolut unvernünftig. Ja, unvernünftig, so bezeichnete ich es mehrmals, das interessierte es aber nicht im Geringsten, denn es besaß eine dritte Eigenschaft: Es war sturer als ein Esel. Und in Kombination mit Alkohol rief es etwas in mir hervor, was eigentlich überhaupt nicht existierte: Mut.
Den letzten Rest des Getränks nahm ich auf ex und hielt die Besorgung von Nachschub für die optimale Gelegenheit, mich nach Elyas umzusehen. Ich entschuldigte mich bei den anderen und machte mich Richtung Küche auf. Doch sosehr ich die Augen auf dem Weg dorthin auch offen hielt - und verdammt, ich hielt sie mehr als offen! -, ich konnte ihn nirgendwo entdecken.
In der Küche angekommen, füllte ich den Becher und nahm gleich einen großen Schluck Kirsch-Wodka. Sollte ich die Suche jetzt wirklich schon wieder aufgeben? Karatemännchen verpasste mir einen ordentlichen Tritt. Ich beschloss, einen kleinen, unauffälligen Streifzug durchs Haus zu unternehmen.
Die Party war nach wie vor in vollem Gange. Das Einzige, was sich geändert hatte, war der deutlich abfallende Hemmungs-pegel der Gäste. So musste ich mich an einem entflohenen Häftling vorbeiquetschen, dessen Hände sich unter dem Rock einer Krankenschwester befanden. Unter Leibesvisitation im Knast hatte ich mir dann doch etwas anderes vorgestellt. Das Wort «Leibesvisitation» erinnerte mich an begabte Hände, die über meinen Körper wanderten, und brachte mich zurück zu Elyas. Wo war er nur? Ich klapperte jeden einzelnen Raum im Haus ab und gelangte stets zu demselben Ergebnis: Von Elyas fehlte jede Spur.
Wenn das nicht schon an Paranoia grenzen würde, könnte man fast meinen, dass Elyas nicht von mir gefunden werden wollte. Oder war er womöglich schon gegangen?
Leise und unzufrieden vor mich hin murmelnd schlug ich den Rückweg ein, der einzigen Hoffnung entgegen, dass Elyas viel-leicht zwischenzeitlich zu seinen Freunden zurückgekehrt war. Als ich an der Küche vorbeischlurfte und einen flüchtigen Blick hineinwarf, zuckte ich augenblicklich zusammen. Elyas. Da war er auf einmal. Lehnte an der Wand neben dem Kühlschrank und unterhielt sich mit einer Brünetten.
Mit Augen so groß wie Golfbälle lief ich geradeaus weiter und stoppte erst, nachdem ich die Tür schon passiert hatte. Von hinten hatte die Frau wie Jessica ausgesehen, aber sicher war ich mir nicht. Ich linste in meinen Becher, der noch bis zur Hälfte gefüllt war, und ließ die Flüssigkeit darin ein bisschen kreisen. Nach kurzer Überlegung schüttete ich den Inhalt in einen Blumenkübel, machte kehrt und steuerte in die Küche.
Ich war voller Tatendrang, zumindest so lange, bis ich die Schwelle übertrat und ihn sah. Sofort senkte ich den Kopf, tat so, als hätte ich Elyas nicht gesehen, und marschierte schnurstracks zu den Flaschen am anderen Ende des Raumes. Dort kehrte ich ihm den Rücken zu und widmete mich intensiv der Verfluchung meiner dämlichen Feigheit.
Tief durchatmen, versuchte ich mich nach einer Weile zu beruhigen. Die Frau, mit der er sich unterhielt, war tatsächlich Jessica. In dieser Hinsicht gab es also keinerlei Anlass zur Sorge. Aber hatte er mich überhaupt gesehen? Eigentlich musste er das, schließlich war ich direkt an ihm vorbeigelaufen.
Ich blieb vor der Theke stehen und ließ den Blick über die verschiedenen Flaschen schweifen, so als könne ich mich nicht entscheiden, was ich trinken sollte. In Wahrheit schindete ich Zeit. Zeit, die er nutzen konnte, um zu mir zu kommen.
Ganze fünf Minuten zog ich das durch, aber er kam nicht. Warum gottverdammt noch mal kam er nicht?
Frustriert griff ich nach der Wodkaflasche und blieb meiner Cocktailmischung des heutigen Abends treu. Ich probierte davon, während mein Verstand, der mir andauernd sagte, wie lächerlich mein Verhalten war, langsam die Oberhand gewann. Ich müsste ihn einfach ansprechen, und dann würde ich endlich erfahren, wo sein Problem lag. Genau! Mit eiserner Miene wandte ich mich um, nur um neben dem Kühlschrank auf eine leere Stelle an der Wand zu blicken.
Elyas war weg. Ebenso wie Jessica.
Mir klappte der Mund auf. Langsam glaubte ich nicht mehr an Zufall.
Es vergingen einige Minuten, bis ich den Weg zurück ins Wohnzimmer suchte. Ich stellte mich zu den anderen und erkor den kleinen weißen Pappbecher zu meinem neuen besten Freund.
© 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Autoren-Porträt von Carina Bartsch
Bartsch, CarinaCarina Bartsch wurde 1985 im fränkischen Erlangen geboren. Mit Anfang zwanzig fand sie ihre Bestimmung: das Schreiben. Nach ersten Kurzgeschichten wagte sie sich 2011 an ihr Romandebüt: «Kirschroter Sommer» und «Türkisgrüner Winter» avancierten zum Bestseller und machten sie zu einer der erfolgreichsten deutschen Liebesromanautorin im Netz. Nach der sehr berührenden Liebesgeschichte in «Nachtblumen» erscheint mit «Sonnengelber Frühling» nun der langersehnte dritte Teil der «Emely & Elyas-Reihe».
Autoren-Interview mit Carina Bartsch
Frau Bartsch, auf Ihrer Website schreiben Sie, dass Ihnen Liebesgeschichten manchmal auf die Nerven gehen - trotzdem haben Sie selbst eine geschrieben. Was unterscheidet „Kirschroter Sommer" und „Türkisgrüner Winter" von anderen Romanen?Carina Bartsch: Etwas anzuprangern ist immer leicht - zu versuchen, es selbst besser zu machen, ist dagegen der schwierigere Weg. Dem wollte ich mich stellen. Ich finde, dass Liebe ein wunderschönes Thema ist, das weit mehr zu bieten hat als nur: A und B treffen sich, sehen sich in die Augen, fallen in „Never-ending-unbeaten-love", kriegen 25 gesunde Kinder und leben glücklich bis an ihr Lebensende. Im wahren Leben würde das niemals so stattfinden. Liebe ist toll, Liebe ist schön - aber je größer sie ist, desto komplizierter wird sie auch. Ängste, Unsicherheiten, Selbstzweifel und die Schwierigkeit, sich vollends fallen zu lassen, gehören ebenso dazu wie Glücksgefühle.
Ihre Protagonistin Emely trifft nach sieben Jahren zum ersten Mal wieder auf ihre erste große Liebe Elyas. Zwischen beiden herrscht eine spannungsreiche Dynamik; Emely und Elyas lassen keine Gelegenheit aus, sich temporeiche und witzige Wortgefechte zu liefern. Wo haben Sie das Schreiben von Dialogen gelernt?
Carina Bartsch: Nirgends. Ich rede selbst schon immer gerne, das war mir beim Schreiben von Dialogen stets sehr hilfreich! (lacht)
Sowohl Emely als auch Elyas hängen den Verletzungen der Vergangenheit nach. Hätten Sie den beiden beim Schreiben gerne einen Schubser in die richtige Richtung gegeben?
Carina Bartsch: Einerseits ja, andererseits nein. Manchmal brauchen Menschen einfach Zeit. Für Außenstehende sind Gegebenheiten und Fakten oft viel leichter einzuschätzen als für jene Personen, die involviert sind. Jeder Mensch muss selbst an den Punkt kommen, an dem er etwas
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wirklich „will" und an dem er es schafft, die eigenen Ängste zu überwinden - vorher würde es keinen Sinn machen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf war es für mich meistens kein Problem, die nötige Geduld für die Charaktere aufzubringen.
Sie haben „Kirschroter Sommer" und „Türkisgrüner Winter" im Eigenverlag herausgebracht. Wie viel Mut hat Sie dieser Schritt gekostet?
Carina Bartsch: Sehr, sehr viel. Schriftsteller zu werden war mein Lebenstraum, demnach ging es für mich um einiges. „Kirschroter Sommer" war der erste Roman, mit dem ich mein Glück bei Verlagen versuchte. Ich bekam unzählige Absagen; kein einziger Verlag hatte Interesse. Aufgeben? Das konnte ich nicht. Genauso wenig wollte ich aber warten müssen, bis ich 50 bin, um vielleicht irgendwann irgendwo mal eine Chance zu bekommen. Im Nachhinein bin ich wahnsinnig froh, dass ich meinen Ängsten nicht nachgegeben und es durchgezogen habe. Es war die beste Entscheidung meines Lebens.
Sie haben von Ihren Leserinnen und Lesern sehr viele Rückmeldungen in Form von Rezensionen und E-Mails bekommen. Was war das für eine Erfahrung?
Carina Bartsch: Eine unfassbar tolle. Meiner Meinung nach erwachen Geschichten erst richtig zum Leben, wenn sie gelesen werden. Mir ist Feedback wahnsinnig wichtig, mich interessiert, wie der Leser über einzelne Situationen denkt, was er für eine Meinung zum Geschehen hat, was ihm gefallen hat, was nicht, wie er interpretiert, wo er lachen musste, wo er traurig wurde - einfach alles. Ich kann aus diesen Informationen wahnsinnig viel lernen und sie helfen mir als Autorin ungemein weiter. Ich bin jedem dankbar, der sich die Mühe macht, mir seine Meinung zu meinen Büchern zu schreiben und freue mich immer über Feedback.
Nach dem Erfolg von „Kirschroter Sommer" warteten viele Fans schon ungeduldig auf den zweiten Teil - wie waren die Reaktionen, als „Türkisgrüner Winter" erschien?
Carina Bartsch: Überwältigend. Natürlich wusste ich, dass viele auf den zweiten Band warteten, aber wie groß das Ausmaß tatsächlich war, hatte ich gewaltig unterschätzt. Kaum war das eBook erhältlich, hörte ich nur noch von allen Seiten „Ich habe es!", „Ich auch!", „Gerade gekauft!", „Ich lese schon!". Das ging Schlag auf Schlag, sodass ich überhaupt nicht mehr hinterherkam und alles nur noch mit einem großen Staunen verfolgte. Zwei Stunden später, als das eBook zum ersten Mal eine Platzierung hatte, bin ich fast rückwärts vom Stuhl gefallen: „Türkisgrüner Winter" ist von null auf Platz 13 der Amazon-eBook-Bestsellerliste geschossen. Wenige Stunden später stand er auf Platz 2. Innerhalb von zwei Tagen wurden über 2.200 Exemplare heruntergeladen. Nach 24 Stunden hatte das eBook schon über 20 Rezensionen. Ich stand in diesen Tagen total neben mir und konnte das alles gar nicht fassen. Es war unglaublich. Das war der positivste Schlag ins Gesicht, den ich jemals bekommen habe.
2013 erscheinen „Kirschroter Sommer" und „Türkisgrüner Winter" als Taschenbuch bei Rowohlt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Carina Bartsch: Nachdem meine eBooks es in die Bestsellerlisten geschafft und es sich dort nach allen Regeln der Kunst bequem gemacht hatten, wurde die Aufmerksamkeit, die mir und meinen Büchern zuteilwurde, auf einmal ganz groß. Verlage kamen direkt auf mich zu, unter anderem auch der Literaturagent Klaus Gröner von der Agentur „Erzählperspektive". Ich hatte bis dahin eigentlich mit dem Thema Verlage abgeschlossen. Damals hatte mein Manuskript niemand gewollt und ich bin stattdessen meinen eigenen Weg gegangen - und das gar nicht mal so schlecht. Alles aus der Hand zu geben, was ich mir selbst aufgebaut hatte, kam für mich nicht infrage.
Es folgten mehrere Gespräche mit Herrn Gröner, der partout nicht lockerlassen wollte und es letztendlich geschafft hat, mich davon zu überzeugen, dass ich eigentlich nichts zu verlieren hatte. Ich würde mit meinem „Schandtaten Verlag" genauso weitermachen wie bisher und er würde sich parallel auf die Suche nach einem geeigneten und großen Verlag machen. Wenn etwas zustande kommt, gut - wenn nicht, auch in Ordnung. So sagte ich ihm schließlich zu und stellte ihm meine Bedingungen. Er schnappte sich das Manuskript, stellte es auf der Frankfurter Buchmesse Verlegern vor und nicht einmal eineinhalb Wochen später kam schon das erste Angebot. Wie sich zeigte, sollte das auch nicht das letzte sein.
Für mich war das wirklich sehr faszinierend. Verlage, von denen ich noch heute Absagen im Schrank liegen habe, fragten nun auf einmal mich, ob sie es drucken dürften. Verdrehte Welt.
Schlussendlich fiel meine Wahl auf Rowohlt. Wir schafften es, uns in allen Punkten einig zu werden, und Rowohlt kam mir nicht nur entgegen, sondern vermittelte mir auch das Gefühl, dass meine gedruckten Bücher dort in guten Händen sind.
Was würden Sie jungen Autoren empfehlen, die ihre Bücher in Eigenregie veröffentlichen wollen?
Carina Bartsch: Wer als Autor ernst genommen werden möchte, sollte auch eine Veröffentlichung als solche ernst nehmen. Jeder x-Beliebige kann ein eBook auf den Markt werfen, das ist keine Kunst. Aber wer das Schreiben wirklich liebt, dem sollte es um mehr gehen. Bevor man ein Buch veröffentlicht, ist es wichtig, dass man sich Meinungen einholt. Sowohl von Bekannten als auch von Unbekannten. Außerdem wären ein paar Jahre Schreiberfahrung eine sehr gute Voraussetzung.
Ein Lektorat und Korrektorat wird von manchen wegen hoher Kosten gescheut - ich kann es aber nur jedem Selfpublisher ans Herz legen. Der objektive Blick auf einen Text führt zu deutlicher Verbesserung und kann dem Autor - auch nachhaltig - nur von Nutzen sein. Nicht zu unterschätzen ist auch die Wirkung eines Covers. Das ist das Aushängeschild eines jeden Buches und demnach ungeheuer wichtig.
Zusammengefasst kann ich wirklich nur jedem Autor empfehlen, sich Zeit zu lassen. Ein Buch zu veröffentlichen ist ein großer Schritt, hinter dem viel Arbeit und Recherche steckt, zumindest wenn man es ordentlich angehen möchte. Diese Zeit sollte man sich nehmen und sich darauf vorbereiten, dass der Weg lang und hart werden kann. Ein Traum erfüllt sich leider nicht von allein, man muss investieren. Ganz besonders Mut, Mühe, Geduld und Arbeit. Ich wünsche jedem, der das Schreiben ernst nimmt und Autor aus Leidenschaft ist, von Herzen einen riesengroßen Erfolg. Immer dranbleiben, nicht aufgeben und vor allem das Wichtigste niemals vergessen: Auch wenn der Weg schwierig ist - er existiert.
Gibt es schon Pläne für ein nächstes Buch und wenn ja, in welchem Genre wird es sich bewegen?
Carina Bartsch: Mein Notizbuch ist voll mit Geschichten, die endlich erzählt werden möchten. Momentan habe ich zwei Favoriten, die ich am liebsten sofort umsetzen würde. Welche Geschichte es wird, weiß ich derzeit noch nicht. Sie sind sehr unterschiedlich, aber man kann von beiden behaupten, dass Drama und Liebe eine Rolle spielen werden.
Sie haben „Kirschroter Sommer" und „Türkisgrüner Winter" im Eigenverlag herausgebracht. Wie viel Mut hat Sie dieser Schritt gekostet?
Carina Bartsch: Sehr, sehr viel. Schriftsteller zu werden war mein Lebenstraum, demnach ging es für mich um einiges. „Kirschroter Sommer" war der erste Roman, mit dem ich mein Glück bei Verlagen versuchte. Ich bekam unzählige Absagen; kein einziger Verlag hatte Interesse. Aufgeben? Das konnte ich nicht. Genauso wenig wollte ich aber warten müssen, bis ich 50 bin, um vielleicht irgendwann irgendwo mal eine Chance zu bekommen. Im Nachhinein bin ich wahnsinnig froh, dass ich meinen Ängsten nicht nachgegeben und es durchgezogen habe. Es war die beste Entscheidung meines Lebens.
Sie haben von Ihren Leserinnen und Lesern sehr viele Rückmeldungen in Form von Rezensionen und E-Mails bekommen. Was war das für eine Erfahrung?
Carina Bartsch: Eine unfassbar tolle. Meiner Meinung nach erwachen Geschichten erst richtig zum Leben, wenn sie gelesen werden. Mir ist Feedback wahnsinnig wichtig, mich interessiert, wie der Leser über einzelne Situationen denkt, was er für eine Meinung zum Geschehen hat, was ihm gefallen hat, was nicht, wie er interpretiert, wo er lachen musste, wo er traurig wurde - einfach alles. Ich kann aus diesen Informationen wahnsinnig viel lernen und sie helfen mir als Autorin ungemein weiter. Ich bin jedem dankbar, der sich die Mühe macht, mir seine Meinung zu meinen Büchern zu schreiben und freue mich immer über Feedback.
Nach dem Erfolg von „Kirschroter Sommer" warteten viele Fans schon ungeduldig auf den zweiten Teil - wie waren die Reaktionen, als „Türkisgrüner Winter" erschien?
Carina Bartsch: Überwältigend. Natürlich wusste ich, dass viele auf den zweiten Band warteten, aber wie groß das Ausmaß tatsächlich war, hatte ich gewaltig unterschätzt. Kaum war das eBook erhältlich, hörte ich nur noch von allen Seiten „Ich habe es!", „Ich auch!", „Gerade gekauft!", „Ich lese schon!". Das ging Schlag auf Schlag, sodass ich überhaupt nicht mehr hinterherkam und alles nur noch mit einem großen Staunen verfolgte. Zwei Stunden später, als das eBook zum ersten Mal eine Platzierung hatte, bin ich fast rückwärts vom Stuhl gefallen: „Türkisgrüner Winter" ist von null auf Platz 13 der Amazon-eBook-Bestsellerliste geschossen. Wenige Stunden später stand er auf Platz 2. Innerhalb von zwei Tagen wurden über 2.200 Exemplare heruntergeladen. Nach 24 Stunden hatte das eBook schon über 20 Rezensionen. Ich stand in diesen Tagen total neben mir und konnte das alles gar nicht fassen. Es war unglaublich. Das war der positivste Schlag ins Gesicht, den ich jemals bekommen habe.
2013 erscheinen „Kirschroter Sommer" und „Türkisgrüner Winter" als Taschenbuch bei Rowohlt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Carina Bartsch: Nachdem meine eBooks es in die Bestsellerlisten geschafft und es sich dort nach allen Regeln der Kunst bequem gemacht hatten, wurde die Aufmerksamkeit, die mir und meinen Büchern zuteilwurde, auf einmal ganz groß. Verlage kamen direkt auf mich zu, unter anderem auch der Literaturagent Klaus Gröner von der Agentur „Erzählperspektive". Ich hatte bis dahin eigentlich mit dem Thema Verlage abgeschlossen. Damals hatte mein Manuskript niemand gewollt und ich bin stattdessen meinen eigenen Weg gegangen - und das gar nicht mal so schlecht. Alles aus der Hand zu geben, was ich mir selbst aufgebaut hatte, kam für mich nicht infrage.
Es folgten mehrere Gespräche mit Herrn Gröner, der partout nicht lockerlassen wollte und es letztendlich geschafft hat, mich davon zu überzeugen, dass ich eigentlich nichts zu verlieren hatte. Ich würde mit meinem „Schandtaten Verlag" genauso weitermachen wie bisher und er würde sich parallel auf die Suche nach einem geeigneten und großen Verlag machen. Wenn etwas zustande kommt, gut - wenn nicht, auch in Ordnung. So sagte ich ihm schließlich zu und stellte ihm meine Bedingungen. Er schnappte sich das Manuskript, stellte es auf der Frankfurter Buchmesse Verlegern vor und nicht einmal eineinhalb Wochen später kam schon das erste Angebot. Wie sich zeigte, sollte das auch nicht das letzte sein.
Für mich war das wirklich sehr faszinierend. Verlage, von denen ich noch heute Absagen im Schrank liegen habe, fragten nun auf einmal mich, ob sie es drucken dürften. Verdrehte Welt.
Schlussendlich fiel meine Wahl auf Rowohlt. Wir schafften es, uns in allen Punkten einig zu werden, und Rowohlt kam mir nicht nur entgegen, sondern vermittelte mir auch das Gefühl, dass meine gedruckten Bücher dort in guten Händen sind.
Was würden Sie jungen Autoren empfehlen, die ihre Bücher in Eigenregie veröffentlichen wollen?
Carina Bartsch: Wer als Autor ernst genommen werden möchte, sollte auch eine Veröffentlichung als solche ernst nehmen. Jeder x-Beliebige kann ein eBook auf den Markt werfen, das ist keine Kunst. Aber wer das Schreiben wirklich liebt, dem sollte es um mehr gehen. Bevor man ein Buch veröffentlicht, ist es wichtig, dass man sich Meinungen einholt. Sowohl von Bekannten als auch von Unbekannten. Außerdem wären ein paar Jahre Schreiberfahrung eine sehr gute Voraussetzung.
Ein Lektorat und Korrektorat wird von manchen wegen hoher Kosten gescheut - ich kann es aber nur jedem Selfpublisher ans Herz legen. Der objektive Blick auf einen Text führt zu deutlicher Verbesserung und kann dem Autor - auch nachhaltig - nur von Nutzen sein. Nicht zu unterschätzen ist auch die Wirkung eines Covers. Das ist das Aushängeschild eines jeden Buches und demnach ungeheuer wichtig.
Zusammengefasst kann ich wirklich nur jedem Autor empfehlen, sich Zeit zu lassen. Ein Buch zu veröffentlichen ist ein großer Schritt, hinter dem viel Arbeit und Recherche steckt, zumindest wenn man es ordentlich angehen möchte. Diese Zeit sollte man sich nehmen und sich darauf vorbereiten, dass der Weg lang und hart werden kann. Ein Traum erfüllt sich leider nicht von allein, man muss investieren. Ganz besonders Mut, Mühe, Geduld und Arbeit. Ich wünsche jedem, der das Schreiben ernst nimmt und Autor aus Leidenschaft ist, von Herzen einen riesengroßen Erfolg. Immer dranbleiben, nicht aufgeben und vor allem das Wichtigste niemals vergessen: Auch wenn der Weg schwierig ist - er existiert.
Gibt es schon Pläne für ein nächstes Buch und wenn ja, in welchem Genre wird es sich bewegen?
Carina Bartsch: Mein Notizbuch ist voll mit Geschichten, die endlich erzählt werden möchten. Momentan habe ich zwei Favoriten, die ich am liebsten sofort umsetzen würde. Welche Geschichte es wird, weiß ich derzeit noch nicht. Sie sind sehr unterschiedlich, aber man kann von beiden behaupten, dass Drama und Liebe eine Rolle spielen werden.
Interview: Franziska Schramm, Literaturtest
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Bibliographische Angaben
- Autor: Carina Bartsch
- 2013, 464 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499227916
- ISBN-13: 9783499227912
- Erscheinungsdatum: 25.01.2013
Rezension zu „Türkisgrüner Winter “
Kirschroter Sommer konnte mich auf ganzer Linie überzeugen und alle Erwartungen mehr als erfüllen ... Der Schreibstil ist klasse. Gerade heraus, spritzig und gefühlvoll an den richtigen Stellen. the-cinema-in-my-head.blogspot.com
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