Über Michael Jackson
Mit einem Nachruf auf den King of Pop. Wer war Michael Jackson wirklich? In ihrem eleganten Essay nähert sich
Margo Jefferson der spannendsten und widersprüchlichsten Figur der Popkultur, einem Star, den seine Hits unsterblich machten. Sie analysiert das...
Margo Jefferson der spannendsten und widersprüchlichsten Figur der Popkultur, einem Star, den seine Hits unsterblich machten. Sie analysiert das...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Über Michael Jackson “
Mit einem Nachruf auf den King of Pop. Wer war Michael Jackson wirklich? In ihrem eleganten Essay nähert sich
Margo Jefferson der spannendsten und widersprüchlichsten Figur der Popkultur, einem Star, den seine Hits unsterblich machten. Sie analysiert das Phänomen Jackson, wie er erst als schwarzer Kinderstar, dann als exzentrischer Freak und schließlich als Verdächtigter vor Gericht von sich reden machte und zur zerbrechlichsten Ikone der Postmoderne wurde. Eine brillante, pointiert gefasste Studie. »Eine kleine, aber ebenso bedeutende Schrift.« (taz)
Margo Jefferson der spannendsten und widersprüchlichsten Figur der Popkultur, einem Star, den seine Hits unsterblich machten. Sie analysiert das Phänomen Jackson, wie er erst als schwarzer Kinderstar, dann als exzentrischer Freak und schließlich als Verdächtigter vor Gericht von sich reden machte und zur zerbrechlichsten Ikone der Postmoderne wurde. Eine brillante, pointiert gefasste Studie. »Eine kleine, aber ebenso bedeutende Schrift.« (taz)
Klappentext zu „Über Michael Jackson “
Wir alle kennen ihn - aber wer ist Michael Jackson? In ihrem eleganten Essay nähert sich Margo Jefferson der spannendsten und widersprüchlichsten Figur der Popkultur, einem Star, den Hits wie Billie Jean und Thriller unsterblich machten. Sie analysiert das Phänomen Jackson, wie er erst als schwarzer Kinderstar, dann als exzentrischer Freak und schließlich als Verdächtigter vor Gericht von sich reden machte - und zur zerbrechlichsten Ikone der Postmoderne wurde. Eine brillante, pointiert gefasste Studie, die Publishers Weekly mit Susan Sontags frühen Aufsätzen zur amerikanischen Popkultur verglich.
Wir alle kennen ihn - aber wer ist Michael Jackson? In ihrem eleganten Essay nähert sich Margo Jefferson der spannendsten und widersprüchlichsten Figur der Popkultur, einem Star, den Hits wie Billie Jean und Thriller unsterblich machten. Sie analysiert das Phänomen Jackson, wie er erst als schwarzer Kinderstar, dann als exzentrischer Freak und schließlich als Verdächtigter vor Gericht von sich reden machte - und zur zerbrechlichsten Ikone der Postmoderne wurde. Eine brillante, pointiert gefasste Studie, die Publishers Weekly mit Susan Sontags frühen Aufsätzen zur amerikanischen Popkultur verglich.
Lese-Probe zu „Über Michael Jackson “
Über Michael Jackson von Margo JeffersonLESEPROBE
Michael Jackson war schon als Fünfjähriger in der Welt des Showbusiness zuhause. Er und seine Brüder probten jeden Tag sechs Stunden lang, drei vor der Schule, drei danach. Sie fingen mit den Soulhits an, die im Radio gespielt wurden. Joseph studierte die Tanzschritte anderer Bands und brachte sie seinen Jungs bei. Zwischen 1964 und 1968 quälten sich die Jacksons durch die Clubs von Gary, Indiana, etwa durch die Guys and Gals Cocktail Lounge, und nahmen ihre Songs in Studios wie Steeltown oder Dynamo auf. An den Wochenenden reisten sie zu den Amateurwettbewerben nach Chicago und New York, die in großen Theatern mit majestätischen Namen stattfanden: The Regal. The World-Famous Apollo.
Sie schliefen dicht an dicht auf der Rückbank eines Kombis, Mund offen, den Kopf auf der Schulter des Nebenmanns. Die Schulaufgaben machten sie hinter der Bühne oder in Motels. Sie lebten sehr isoliert, Verbrechen, Armut und die dunklen Seiten des Lebens kamen gar nicht erst vor – ebenso wenig Hobbys, Freunde und die Möglichkeit, herumzualbern. Sie gewannen die Amateurwettbewerbe und bestritten Abende im Vorprogramm richtiger Profis: The Coasters, Etta James, Sam and Dave, The Temptations, Gladys Knight and The Pips. Und Mr. Excitement, Jackie Wilson und Mr. Dynamite, Mr. Please Please persönlich, James Brown. Kinder vergessen nie die erste Begegnung mit Erwachsenen, die in ihren Augen Glamour und wahres Können verkörpern. Showbusinesskinder schon gar nicht, denn sie sind die ganze Zeit damit beschäftigt, sich Tricks von ihren Idolen abzugucken.
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Als Michael noch zu jung war, mit der Band aufzutreten, stand er fasziniert am Bühnenrand und beobachtete seinen Bruder Jermaine. Sobald er ihn als Leadsänger abgelöst hatte, stand er ständig in den Kulissen und sah sich jeden Act an, der die Bühne betrat: „Ich prägte mir ein, wie sie ihre Füße bewegten, wie sie ihre Arme hielten, wie sie mit dem Mikrofon umgingen, und versuchte herauszufinden, was sie da machten und warum sie es genau so machten. Nachdem ich von den Kulissen aus James Brown gesehen hatte, kannte ich jeden Schritt, jeden Laut, jede Bewegung und jede Drehung.“
Er schaute sich das Beste ab, was er unterwegs auf dem Chitlin’ Circuit zu sehen kriegte. Aber die Genealogie von Kinderstars ist meist recht eigen. Michaels erster öffentlicher Auftritt hatte im Kindergarten stattgefunden, als er die Anwesenden mit einer fulminanten Version von „Climb Every Mountain“ begeisterte. Er bewegte sich ganz unbefangen von der Mother-Superior-Hymne emotionaler Erbauung zur ekstatischen Vision von Jackie Wilson an der Garderobenwand im Apollo, „ein Bein hochgeworfen, halb gedreht, aber noch in Reichweite des Mikrofonständers, den er soeben noch vor- und zurückgeworfen hatte.“ Andererseits hatte auch Jackie Wilson keine Mühe, zwischen „Doggin’ Around“ und „Danny Boy“ hin- und herzuwechseln. Michael begriff, dass Soulmusik raffiniert inszenierte Leidenschaft war, ein Ineinanderübergehen von zurückgehaltener und entäußerter Energie. Soul war auch eine Frage der richtigen Bühneneffekte, der optischen Details, die den Gesang überhöhten. Diese umwerfenden Lacklederschuhe, die die Sänger anhatten. Ein typischer Kinderblick: Michael, der am verdreckten Bühnenrand steht und wie hypnotisiert auf die glänzenden Schuhe starrt.„All meine Träume schienen sich nur noch um ein paar Lackschuhe zu drehen. [...] Ich ging von Geschäft zu Geschäft und fragte nach Lackschuhen, und man sagte mir: ’So klein haben wir die nicht.’ Ich war schrecklich traurig, weil ich Schuhe haben wollte, die wie diese Bühnenschuhe aussahen, poliert und glänzend, rot und orange leuchtend, wenn sie von den Scheinwerfern getroffen wurden. Oh, wie sehr habe ich mir gewünscht, Lackschuhe zu haben, wie sie Jackie Wilson trug.“
Alle Kinder haben ihre ganz eigene Welt, die sich aus dem zusammensetzt, was sie tagtäglich sehen und hören, und aus Objekten, die sie in Fetische verwandeln. Es ist ein eigenes Reich, in dem sie spielen und träumen können. Aber Michaels private Welt lieferte immer auch den Stoff für seine Karriere als Kinderstar. Inzwischen ist es der Stoff einer privaten Mythologie, die sein Leben prägt und die uns so fremd ist.
Michaels Verwandlung begann Mitte bis Ende der Achtziger mit seinen Haaren und seinem Make-up, zu der Zeit war sein Teint noch dunkel. Dann wurde er heller und zunehmend bleicher. In den frühen Neunzigern war sein Gesicht kalkweiß, was in der Öffentlichkeit einen ebenso großen Schock auslöste, wie eine Geschlechtsumwandlung es vermocht hätte. Er trug Eyeliner und Lippenstift und hatte Frisuren, wie man sie nur aus Schönheitssalons kannte. Anfänglich redeten die Leute eher über das Bleicherwerden seiner Haut als über die zunehmend effeminierten Züge. Wahrscheinlich, weil die Veränderung der Hautfarbe ein Thema war, auf das Schwarze, Weiße und andere – Schwule, Heteros, Bi- und Transsexuelle – sich ohne weiteres einigen konnten. Das Mantra lautete: „Selbsthass ist schrecklich, beschämend und bemitleidenswert.“
Mir ging es irgendwann so, dass ich meine Enttäuschung über seine Verwandlung nicht mehr länger mit sich verständnisvoll gebenden Weißen diskutieren wollte. Ich war verwirrt. Michaels Zustand machte all die altbekannten Metaphern schwarzer Selbsthassbezichtung obsolet. Warum jemanden noch „Oreo“ (außen schwarz, innen weiß) nennen, wenn er nicht mal mehr versuchte, außen schwarz zu sein? Wenn ein Vorwurf wie „Du glaubst wohl, du bist weiß!“ buchstäblich und nicht mehr bloß habituell gemeint ist, wie soll man dann damit umgehen? Der Preis von Selbstverachtung, der auf die Hautfarbe zurückgeht, ist seit langem bekannt. Für viele war nun aber der Geschlechtswandel eine weitaus kompliziertere Angelegenheit. Nicht, dass die Menschen sich angesichts von Homosexuellen, Transvestiten oder Transsexuellen unbedingt wohler gefühlt hätten als beim Anblick eines schwarzen Mannes, der sich vor ihren Augen in einen weißen verwandelte. Aber wenn sie auch nur halbwegs liberal waren, wenn sie sich für Popkultur interessierten, muss ihnen die eigene Voreingenommenheit größeres Unbehagen bereitet haben.
Der Künstler Keith Haring war damals erfrischend unvoreingenommen. Einer seiner Tagebucheinträge aus dem Jahr 1987 lautet: „Ich gebe eine Art Interview und sage, dass ich Michaels Versuch anerkenne, die Schöpfung zu seiner eigenen Sache zu machen und eine weder schwarze noch weiße, weder männliche noch weibliche Kreatur zu erfinden, mit Hilfe der plastischen Chirurgie und der modernen Technik. Er ist total verdisneyt! Zumindest ein interessantes Phänomen. Vielleicht ein bisschen unheimlich, aber trotzdem bemerkenswert, und, finde ich, irgendwie ein gesünderes Vorbild als Rambo oder Ronald Reagan. Er leugnet, dass Gottes Schöpfung endgültig ist, und nimmt die Sache selbst in die Hand, und dabei stellt er sich die ganze Zeit in vorderster Front der amerikanischen Popkultur zur Schau. Ich finde, noch cooler wäre es, wenn er bis in die letzte Konsequenz ginge und sich die Ohren spitz machen oder einen Schwanz dranmachen ansetzen ließe oder so was, aber das kann ja noch kommen!“ Wie sich später herausstellen sollte, hatte Michael tatsächlich noch einige Überraschungen auf Lager.
Es ist ganz offenbar so, dass Michael Jackson abgesehen von Kindern mit niemandem richtige Beziehungen eingehen kann. In seinen Videos halten Kinder Kerzen in den Händen und singen mit ihm von einer Welt ohne Hass, dank seinem Einsatz entkommen sie Kriegen. Kinder verkörpern die Unschuld, die Michael verwehrt geblieben ist. Und er benimmt sich wirklich wie der allmächtige Vater, den kein menschliches Kind je erreichen kann. Kinder lieben bedingungslos. Sie sind auf Erwachsene angewiesen, man muss sich um sie kümmern, und das verleiht Eltern neben Verantwortung auch Macht. Kann es sein, dass Michael Jackson Kinder zu sexuellen Handlungen zwingt? Ja. Zwanghaft muss er sich die Verletzung seiner eigenen Unschuld vergegenwärtigt haben, um sich anschließend durch gute, fürsorgliche Taten rein zu waschen. Kann es nicht eben so gut sein, dass er asexuell ist? Dass er sich in seiner Unschuld sonnt und sie sich ebenso zwanghaft bewahrt – dass er in Versuchung gerät, ihr aber immer wieder aufs Neue widersteht? Er spielt die Szene seines eigenen Missbrauchs nach, er wiederholt das Szenario, aber er schreibt das Ende um, indem er sich und sein Gegenüber rettet. Und zugleich erfährt er die innerliche Erregung – den Eros –, in Versuchung geraten zu sein.
„Please don’t judge me / Just try to love me,“ singt Michael in seinem Video Have You Seen My Childhood?. Er sitzt auf einem grasbewachsenen Hügel, die Arme um die Knie geschlungen. Seine Haare sind kurz und gelockt, wie die von Peter Pan. Sein Gesicht ist verzückt und voller Verwunderung, während er Kindern – Jungen und Mädchen aller Hautfarben – dabei zusieht, wie sie in kleinen Booten durch einen bestirnten Himmel treiben. If you want to know about my life, look at this video, hat Michael einmal gesagt. Was sieht er? Was sehen wir? Einen Mann, der androgyn sein möchte und über seine Herkunft erhaben? Einen genialen Künstler, der uns große Gefühle und großartige Musik geschenkt hat? Einen eigensinnigen Popstar, der alles kontrollieren will, aber darauf besteht, dass wir ihn bedingungslos lieben? Einen Mann, der getrieben ist, sich seiner Identität zu entledigen und zugleich verleugnet, was ihn schmerzt? Unser Mann im Spiegel? Oder eine Kreatur, der wir keine Beachtung mehr schenken wollen?
Michael Jackson spricht für das monströse Kind in uns allen, er spricht es an. © BVT Berliner Taschenbuchverlag
Er schaute sich das Beste ab, was er unterwegs auf dem Chitlin’ Circuit zu sehen kriegte. Aber die Genealogie von Kinderstars ist meist recht eigen. Michaels erster öffentlicher Auftritt hatte im Kindergarten stattgefunden, als er die Anwesenden mit einer fulminanten Version von „Climb Every Mountain“ begeisterte. Er bewegte sich ganz unbefangen von der Mother-Superior-Hymne emotionaler Erbauung zur ekstatischen Vision von Jackie Wilson an der Garderobenwand im Apollo, „ein Bein hochgeworfen, halb gedreht, aber noch in Reichweite des Mikrofonständers, den er soeben noch vor- und zurückgeworfen hatte.“ Andererseits hatte auch Jackie Wilson keine Mühe, zwischen „Doggin’ Around“ und „Danny Boy“ hin- und herzuwechseln. Michael begriff, dass Soulmusik raffiniert inszenierte Leidenschaft war, ein Ineinanderübergehen von zurückgehaltener und entäußerter Energie. Soul war auch eine Frage der richtigen Bühneneffekte, der optischen Details, die den Gesang überhöhten. Diese umwerfenden Lacklederschuhe, die die Sänger anhatten. Ein typischer Kinderblick: Michael, der am verdreckten Bühnenrand steht und wie hypnotisiert auf die glänzenden Schuhe starrt.„All meine Träume schienen sich nur noch um ein paar Lackschuhe zu drehen. [...] Ich ging von Geschäft zu Geschäft und fragte nach Lackschuhen, und man sagte mir: ’So klein haben wir die nicht.’ Ich war schrecklich traurig, weil ich Schuhe haben wollte, die wie diese Bühnenschuhe aussahen, poliert und glänzend, rot und orange leuchtend, wenn sie von den Scheinwerfern getroffen wurden. Oh, wie sehr habe ich mir gewünscht, Lackschuhe zu haben, wie sie Jackie Wilson trug.“
Alle Kinder haben ihre ganz eigene Welt, die sich aus dem zusammensetzt, was sie tagtäglich sehen und hören, und aus Objekten, die sie in Fetische verwandeln. Es ist ein eigenes Reich, in dem sie spielen und träumen können. Aber Michaels private Welt lieferte immer auch den Stoff für seine Karriere als Kinderstar. Inzwischen ist es der Stoff einer privaten Mythologie, die sein Leben prägt und die uns so fremd ist.
Michaels Verwandlung begann Mitte bis Ende der Achtziger mit seinen Haaren und seinem Make-up, zu der Zeit war sein Teint noch dunkel. Dann wurde er heller und zunehmend bleicher. In den frühen Neunzigern war sein Gesicht kalkweiß, was in der Öffentlichkeit einen ebenso großen Schock auslöste, wie eine Geschlechtsumwandlung es vermocht hätte. Er trug Eyeliner und Lippenstift und hatte Frisuren, wie man sie nur aus Schönheitssalons kannte. Anfänglich redeten die Leute eher über das Bleicherwerden seiner Haut als über die zunehmend effeminierten Züge. Wahrscheinlich, weil die Veränderung der Hautfarbe ein Thema war, auf das Schwarze, Weiße und andere – Schwule, Heteros, Bi- und Transsexuelle – sich ohne weiteres einigen konnten. Das Mantra lautete: „Selbsthass ist schrecklich, beschämend und bemitleidenswert.“
Mir ging es irgendwann so, dass ich meine Enttäuschung über seine Verwandlung nicht mehr länger mit sich verständnisvoll gebenden Weißen diskutieren wollte. Ich war verwirrt. Michaels Zustand machte all die altbekannten Metaphern schwarzer Selbsthassbezichtung obsolet. Warum jemanden noch „Oreo“ (außen schwarz, innen weiß) nennen, wenn er nicht mal mehr versuchte, außen schwarz zu sein? Wenn ein Vorwurf wie „Du glaubst wohl, du bist weiß!“ buchstäblich und nicht mehr bloß habituell gemeint ist, wie soll man dann damit umgehen? Der Preis von Selbstverachtung, der auf die Hautfarbe zurückgeht, ist seit langem bekannt. Für viele war nun aber der Geschlechtswandel eine weitaus kompliziertere Angelegenheit. Nicht, dass die Menschen sich angesichts von Homosexuellen, Transvestiten oder Transsexuellen unbedingt wohler gefühlt hätten als beim Anblick eines schwarzen Mannes, der sich vor ihren Augen in einen weißen verwandelte. Aber wenn sie auch nur halbwegs liberal waren, wenn sie sich für Popkultur interessierten, muss ihnen die eigene Voreingenommenheit größeres Unbehagen bereitet haben.
Der Künstler Keith Haring war damals erfrischend unvoreingenommen. Einer seiner Tagebucheinträge aus dem Jahr 1987 lautet: „Ich gebe eine Art Interview und sage, dass ich Michaels Versuch anerkenne, die Schöpfung zu seiner eigenen Sache zu machen und eine weder schwarze noch weiße, weder männliche noch weibliche Kreatur zu erfinden, mit Hilfe der plastischen Chirurgie und der modernen Technik. Er ist total verdisneyt! Zumindest ein interessantes Phänomen. Vielleicht ein bisschen unheimlich, aber trotzdem bemerkenswert, und, finde ich, irgendwie ein gesünderes Vorbild als Rambo oder Ronald Reagan. Er leugnet, dass Gottes Schöpfung endgültig ist, und nimmt die Sache selbst in die Hand, und dabei stellt er sich die ganze Zeit in vorderster Front der amerikanischen Popkultur zur Schau. Ich finde, noch cooler wäre es, wenn er bis in die letzte Konsequenz ginge und sich die Ohren spitz machen oder einen Schwanz dranmachen ansetzen ließe oder so was, aber das kann ja noch kommen!“ Wie sich später herausstellen sollte, hatte Michael tatsächlich noch einige Überraschungen auf Lager.
Es ist ganz offenbar so, dass Michael Jackson abgesehen von Kindern mit niemandem richtige Beziehungen eingehen kann. In seinen Videos halten Kinder Kerzen in den Händen und singen mit ihm von einer Welt ohne Hass, dank seinem Einsatz entkommen sie Kriegen. Kinder verkörpern die Unschuld, die Michael verwehrt geblieben ist. Und er benimmt sich wirklich wie der allmächtige Vater, den kein menschliches Kind je erreichen kann. Kinder lieben bedingungslos. Sie sind auf Erwachsene angewiesen, man muss sich um sie kümmern, und das verleiht Eltern neben Verantwortung auch Macht. Kann es sein, dass Michael Jackson Kinder zu sexuellen Handlungen zwingt? Ja. Zwanghaft muss er sich die Verletzung seiner eigenen Unschuld vergegenwärtigt haben, um sich anschließend durch gute, fürsorgliche Taten rein zu waschen. Kann es nicht eben so gut sein, dass er asexuell ist? Dass er sich in seiner Unschuld sonnt und sie sich ebenso zwanghaft bewahrt – dass er in Versuchung gerät, ihr aber immer wieder aufs Neue widersteht? Er spielt die Szene seines eigenen Missbrauchs nach, er wiederholt das Szenario, aber er schreibt das Ende um, indem er sich und sein Gegenüber rettet. Und zugleich erfährt er die innerliche Erregung – den Eros –, in Versuchung geraten zu sein.
„Please don’t judge me / Just try to love me,“ singt Michael in seinem Video Have You Seen My Childhood?. Er sitzt auf einem grasbewachsenen Hügel, die Arme um die Knie geschlungen. Seine Haare sind kurz und gelockt, wie die von Peter Pan. Sein Gesicht ist verzückt und voller Verwunderung, während er Kindern – Jungen und Mädchen aller Hautfarben – dabei zusieht, wie sie in kleinen Booten durch einen bestirnten Himmel treiben. If you want to know about my life, look at this video, hat Michael einmal gesagt. Was sieht er? Was sehen wir? Einen Mann, der androgyn sein möchte und über seine Herkunft erhaben? Einen genialen Künstler, der uns große Gefühle und großartige Musik geschenkt hat? Einen eigensinnigen Popstar, der alles kontrollieren will, aber darauf besteht, dass wir ihn bedingungslos lieben? Einen Mann, der getrieben ist, sich seiner Identität zu entledigen und zugleich verleugnet, was ihn schmerzt? Unser Mann im Spiegel? Oder eine Kreatur, der wir keine Beachtung mehr schenken wollen?
Michael Jackson spricht für das monströse Kind in uns allen, er spricht es an. © BVT Berliner Taschenbuchverlag
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Autoren-Porträt von Margo Jefferson
Margo Jefferson schrieb als Literatur- und Theaterkritikerin für Vogue, Harper s, Newsweek Magazine, American Theatre, Dance Ink, The Village Voice und von 1993 bis 2006 für The New York Times. 1995 erhielt sie den Pulitzer-Preis. Sie unterrichtet an der Columbia University und lebt in New York.
Bibliographische Angaben
- Autor: Margo Jefferson
- 2008, aktualisierte Auflage Juli 2009, 176 Seiten, Maße: 11,7 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Frank Wegner
- Verlag: Berlin Verlag Taschenbuch
- ISBN-10: 3833305592
- ISBN-13: 9783833305597
Rezension zu „Über Michael Jackson “
»Anregend, prägnant, intelligent!«
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