Unter dem Weltenbaum - Das Vermächtnis der Sternenbraut
Ein weiterer Höhepunkt des hinreißenden Fantasy-Epos über das...
Ein weiterer Höhepunkt des hinreißenden Fantasy-Epos über das Schicksal der drei Auserwählten Axis, Faraday und Aschure und die mystische Verpflichtung, die ihnen eine uralte Weissagung aufzwingt. Sara Douglass, die australische Bestsellerautorin, versteht es meisterhaft, aus Romantik, Spannung und Magie einen Zaubertrank zu mischen, der süchtig macht.
"Grimms Märchen, ein wenig Herr der Ringe und ein Schuß wahre Liebe sind das Erfolgsrezept."
Amica
Das Vermächtnis der Sternenbraut von Sara Douglass
LESEPROBE
1 Der Tag der Macht
Endloswährte der Tag, jener Tag, an dem Axis erstversuchte, Aschure zu töten, und sie schließlichheiratete. Der Tag war angefüllt mit einer Energie, die Leben zu umhüllen undzu verändern vermochte. Die Macht der Zauberin - noch unerprobt und ungezügelt- hatte den Morgen beherrscht. Und nun, als
die Zauberin lächelte und ihren ihr eben angetrautenGemahl küßte, wartete ihre neue Kraft verhalten.
Als aberder Riegel, der Aschures Macht und ihrem Wesenvorgeschoben worden war, an jenem Tag gesprengt wurde, waren auch andere Toreaufgeflogen, hatten sich auch andere Kräfte in Bewegung setzen können, und dieProphezeiung hieß nicht alle von ihnen willkommen.
Als dieZauberin sich ihrem Gemahl dann entzogen hatte und die Wärme und Liebeentgegennahm, die ihr die Freunde und ihre Familie darboten, machte sich eineneue Macht auf den Weg, das Land von Tencendor zudurchziehen.
Es würdeein endlos langer Tag werden.
Axis zogden Ring der Ersten Zauberin aus der Geheimtasche seines Gewandes. Er hielt ihnin die Höhe, auf daß alle im Raum Anwesenden ihnsehen konnten, und steckte ihn Aschure auf denMittelfinger der linken Hand. Der Reif paßte genau,so als sei er nur für diese Frau und für diesen Finger geschaffen worden.
»Willkommenim Haus der Sterne, um auf immer an meiner Seite zu stehen, Zauberin. Mögen wirvon nun an alle Wege gemeinsam gehen.«
»Auf immer?« entfuhr es der Torwächterin. »Ihr und die Zauberin? Aufewig? Wie Ihr wünscht, Sternenmann, ganz wie Ihr wünscht.«
Sie lachte,nahm zwei Kugeln aus einer der Schalen, die auf dem Tisch standen, und mustertesie.
»Auf ewig«,murmelte die Mutter Zecherachs und legte die beidenzu den übrigen sieben funkelnden Kugeln.
»Jetzt sindes die Neun. Der Kreis ist vollendet. Endlich... endlich!«
Sie verfielin Schweigen und versank tief in Gedanken. Ihre Finger zitterten. Er hattebereits ein Kind, und weitere würden folgen. Und dann... das andere.
DieTorwächterin hielt eine Hand über eine der Schalen, griff dann hastig hineinund brachte vier weitere Kugeln zum Vorschein. Die ließ sie auf den Haufensanft schimmernder Goldperlen fallen, die jene darstellten, welche nicht durchdas Tor gehen mußten. Die Niederen.
»Und jetztnoch eine mehr!« Ihre Züge verzerrten sich vor Furcht.Sie hob vorsichtig die zitternde Hand, knurrte wie ein Raubtier und entriß dem Haufen jener, die sich weigerten, durch ihr Torzu schreiten, eine mattschwarze Kugel.
Die alteFrau fauchte, denn als Torwächterin widerstrebte es ihr, eine Seele ziehen zulassen, ohne einen angemessenen Preis dafür zu erhalten. »Erfüllt dies EuerVersprechen, Wolfstern? Tut es das?«
Sie ließdie Kugel zusammen mit den vier anderen auf den Haufen der Niederen fallen.
»Genug«,sagte sie dann erleichtert. »Es ist vollbracht. Allem wurde Genüge getan.«
Faraday zogden Bauchgurt des Esels fester an und überprüfte Satteltaschen und Körbe. Vielhatte sie nicht dabei: die Schale aus Zauberholz, die sie vor so langer Zeitvon dem Silberpelz bekommen hatte, und das grüne Gewand, das ihr die Muttergeschenkt hatte, dazu einige Ersatzdecken, ein Paar feste Stiefel für den Fall,daß das Wetter umschlagen sollte, außerdem Kleidungzum Wechseln.
Nicht ebenviel für eine verwitwete Königin, dachte Faraday und versuchte, ihre Gefühlenicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Wo war ihr Gefolge? Die goldene Kutscheund die mit bunten Wappendecken geschmückten Pferde? Die Gesellschaft zweierweißer Esel stellte nur einen armseligen Ersatz dar, erst recht, wenn siebedachte, was sie für Axis und Tencendorgetan hatte - und was sie noch tun würde.
Kutsche undPferde? Was sollte sie damit anfangen? Alles, was sie brauchte, wonach sie sichwirklich sehnte, war die Liebe eines Mannes, der sein Herz einer anderengeschenkt hatte.
Sie dachtean Aschure und Caelum.Obwohl sie die andere beneidete, teilte sie doch deren Freude an ihrem Sohn.Nun denn, überlegte sie, dafür hatte sie ihre eigene Kinderschar. Ich bin dieMutter von zweiundvierzigtausend Seelen. Gewiß wirdmir deren Geburt genug Schmerz und Freude bescheren.
In denStällen wie überall im Palast von Karlon herrschte Ruhe. Kein Laut war zuhören. Als Faraday an diesem Tag die Wächter der Prophezeiung verlassen hatte,hatte sie gehört, daß man die Fürsten undBefehlshaber, die Axis und Aschuream nächsten standen, zusammengerufen hatte. In das Gemach, in dem Faraday siekurz zuvor zurückgelassen hatte.
»EineHochzeit, das hoffe ich doch sehr«, murmelte Faraday und wußtenicht, ob sie um Aschures willen lächeln oder um sichselbst weinen sollte.
Die Edleholte tief Luft und versuchte, frischen Mut zu schöpfen. Sie hatte ihre eigeneRolle in der Prophezeiung zu erfüllen, und die würde sie nicht allzu weit vonKarlon fortführen. Faraday konnte es kaum erwarten, den Palast und die Stadt zuverlassen. Hier blieben keine glücklichen Erinnerungen zurück. Sogar die achtTage und Nächte, die sie erst vor kurzem an AxisSeite verbracht hatte, waren nichts als Lügen und Verrat gewesen. Und vor allemdieser Erinnerung wollte sie dringend entkommen.
Warum hatteihr niemand von Aschure erzählt? Jedermann, der zu Axis engsten Vertrauten gehörte - und noch viele mehr, dieihm nicht einmal besonders nahestanden -, hatte überseine Liebe zu Aschure Bescheid gewußt.Aber nicht einem von ihnen war es eingefallen, Faraday davon zu unterrichten.Nicht einmal die Wächter hatten ihr gegenüber ein Wort darüber fallengelassen.
»Ihr habtmich in dem Glauben gelassen, daß Axisder Meine würde, sobald Bornheld nur endlich tot wäre!«hatte sie die Wächter angeschrien. »Alles, was michwährend der entsetzlichen Ehe zu trösten vermochte, war der Gedanke, daß meine Anstrengungen für die Prophezeiung eines Tagesmit Axis Liebe belohnt würden. Aber diese Hoffnungwar nichts als eine einzige Lüge, von der Ihr alle wußtet!«
Beschämtließen Ogden und Veremundihre Köpfe hängen, und als Yr einen Schritt auf dieFreundin zu machte, um sie zu trösten, wich diese heftig vor ihr zurück.
»Habt Ihres gewußt?« schrie Faradayden Schweinehirten
an. »Habt Ihr von Anfang an gewußt, daß ich Axis verlieren würde?«
»Keiner vonuns kennt alle Drehungen und Wendungen der Prophezeiung, mein liebes Mädchen«,antwortete Jack mit undurchsichtiger Miene.
Faradaystarrte ihn ausdruckslos an. Sie konnte die Lüge fastschmecken, die aus seinem Mund gekommen war.
Sie seufztejetzt. Ihr Treffen mit den Wächtern war unglücklich verlaufen. Inzwischenbereute Faraday die harten Worte, die sie ihnen entgegengeschleudert hatte,bevor sie der Versammlung den Rücken zugekehrt hatte und hinausgegangen war. Ogden und Veremund waren hinterihr hergeeilt und hatten sie
mit tränenüberströmten Gesichtern gefragt, wohin sie denn jetzt gehe. »In dieProphezeiung, in die Ihr mich hineingestoßen habt«, hatte Faraday hart geantwortet.
»Dann nehmtunsere Esel und deren Taschen und Körbe«, hatten sie sie angefleht.
Faradayhatte kurz dazu genickt. »Wenn Ihr darauf besteht.«
Damit hattesie ihnen den Rücken zugekehrt und wußte doch, daß die Wächter ebenso Opfer der Prophezeiung waren wie
sie selbst.
Und nunwürde sie sich gen Osten wenden, weil sie damit beginnen mußte,die Schößlinge aus Urs Garten im Zauberwald in Tencendor in die Erde zu setzen.
Faradayraffte die Zügel der geduldigen Esel zusammen und wandte sich dem Ausgang desStalls zu. Eine in einen schweren Mantel gehüllte Gestalt stand dort,unkenntlich, im Schatten verborgen. Die Edle zuckte zusammen, und das Herzschlug ihr bis zum Hals.
»Faraday?« fragte eine sanfte Stimme, und sie seufzte laut auf vorErleichterung. Denn sie hatte schon halb befürchtet, daßes sich bei diesem dunklen Fremden um den geheimnisvollen und gefährlichenWolfstern handeln könnte.
»Embeth? Was macht Ihr denn hier? Und warum tragt Ihr diesenMantel?«
Die Herrinvon Tare zog sich die Kapuze vom Kopf. Ihr Gesichtwirkte blaß und verhärmt, und die Augen zeigten denKummer schlafloser Nächte.
»Ihr brechtauf, Faraday?«
Faradaystarrte die Frau an und rief sich ins Gedächtnis zurück, daßEmbeth sie ebenso wie die Wächter zu der Heirat mitBornheld gedrängt hatte. Sie erinnerte sich auch daran, daßEmbeth und Axis lange Jahreein Verhältnis miteinander gehabt hatten. Da fiel es Euch nicht schwer, michvon Axis abzubringen und statt dessen in Bornhelds Bett zu treiben, dachte sie verächtlich, nachdemIhr Euch so lange an Axis erfreut hattet und ihn wohlauch weiter zu genießen gedachtet.
Aber dannzwang die Edle sich zur Vernunft und sagte sich, daß Embeth ihr nur das geraten hatte, was sie für ein jungesMädchen für das Beste hielt. Besonders wenn dieses junge Ding in dieverworrensten Hofintrigen hineingeraten war und sich darin nicht auskannte. Embeth hatte mit der Prophezeiung und deren sogartigerWirkung zu tun gehabt, die schon damals so viele ihrer Opfer in die wirbelndenTiefen ihres Mahlstroms gezogen hatte.
»Ja. Hierist kein Platz mehr für mich, Herrin. Ich reise nach Osten«, antwortete siewohlweislich vage, um die Fürstin in dem Glauben zu lassen, sie kehre zurückzum Palast ihrer Familie in Skarabost.
Embethrang die Hände. »Aber wie steht es mit Euch und Axis?«
Faradaystarrte sie ungläubig an, bevor sie erkannte, daß Embeth vermutlich noch nichts von den Ereignissen des Tageserfahren haben mochte.
»Ichüberlasse Axis seiner Liebsten, Embeth.Aschure soll ihn haben.«Ihre Stimme klang so leise, daß die Herrin von Tare sich anstrengen mußte, umsie zu verstehen.
»Ach,Faraday«, erwiderte sie, bevor sie nach einem Moment des Zögerns auf sie zutratund sie in den Arm nahm. »Meine Liebe, es tut mir so leid, daßich Euch nichts über... nun... Aschure und ihren Sohngesagt habe. Aber ich konnte einfach nicht die richtigen Worte finden, und nachein paar Tagen habe ich mir einzureden versucht, daßIhr sicher längst Bescheid wüßtet. Warum sollte ichmich also einmischen. Aber ich habe gestern Euer Gesicht gesehen, als Axis Aschure der Öffentlichkeitvorstellte und ihren Sohn zu seinem Erben erklärte, und
da wurde mir klar, daß AxisEuch offenkundig nichts gesagt hatte. Wie alle anderen auch nicht. Faraday,könnt Ihr mir bitte verzeihen?«
Faradaykonnte nun die Tränen nicht länger zurückhalten, die zu weinen sie sich seitdem entsetzlichen Moment während der Zeremonie nicht gestattet hatte, in demihr der volle Umfang von Axis Betrug bewußt geworden war. Sie schluchzte, und Embeth hielt sie noch fester. Für ein paar Minuten standendie beiden Frauen im Dämmerlicht des Stalles und hielten einander umfangen, bisFaraday sich von der Herrin von Tare löste und sichdie Tränen aus den Augen wischte. Ein erlöstes Lächeln erschien auf ihren Gesicht.
»Danke, Embeth. Das hat mich getröstet.«
»Wenn Ihrnach Osten zieht, kommt Ihr doch sicher an Tarevorbei«, meinte Embeth. »Bitte, Faraday, laßt mich Euch bis dorthin begleiten. Für mich ist keinPlatz mehr in Karlon. Timozel ist fort, nur dieGötter mögen wissen, wohin er sich gewendet hat, und meine beiden anderenKinder halten sich weit entfernt auf - beide sind inzwischen verheiratet -, undich nehme nicht an, daß Axisoder Aschure sich allzu wohl fühlen würden, wenn ichmich weiterhin in ihrer Nähe aufhielte.«
Genausowenig wie bei mir, dachte Faraday. Verstoßene Geliebte rufen in der Regel somanche Verlegenheit und peinliche Situationen hervor.
»Judithwartet immer noch in Tare, und sie braucht meineGesellschaft. Und da gibt es auch noch andere... Gründe, warum ich nach Hausezurückkehren sollte.«
»Sternenströmer?« erriet Faradayden wichtigsten dieser Gründe.
»Ja«,antwortete Embeth, nachdem sie kurz gezögert hatte.»Ich war so töricht, seinen nur allzu erprobten Verlockungen zu erliegen. Denndie alte, angenehme Welt, wie ich sie kannte, war in so viele Stückezerbrochen, daß ich mich verloren, einsam undunsicher fühlte. Er bot mir Halt, und ich... ich, die einstige Geliebte seinesSohnes, stellte wohl für ihn eine unwiderstehliche Herausforderung dar.«
Ihr Mundverzog sich zu einem kläglichen Lächeln. »Ich fürchte, ich habe einen Narrenaus mir gemacht, Faraday, und dieser Gedanke macht mir mehr zu schaffen alsirgendein anderer Schmerz, der mir während der vergangenen Monate zugefügtwurde. Sternenströmer hat mich nur benutzt, um seineNeugierde zu befriedigen, denn ansonsten war ich ihm gleichgültig. Wir habennicht einmal die Freundschaft geteilt, die Axis undich füreinander empfanden.«
Wir sindbeide von denselben verdammten Sonnenfliegern benutzt und verstoßen worden,ging es Faraday durch den Kopf. »Nun denn«, erklärte sie, »bis nach Tare wollt Ihr mit, habt Ihr gesagt? Wie lange braucht Ihrdenn zum Packen?«
Zu ihrerÜberraschung brach Embeth tatsächlich in Gelächteraus. »So lange, wie ich brauche, um ein Pferd zu satteln. Ich habe nicht dasBedürfnis, noch einmal in den Palast zurückzukehren. Geeignete Kleidung trageich bereits, dazu gute Stiefel, und für den Fall, daßich sonst noch etwas brauchen sollte, trage ich einen Vorrat an Goldstücken inmeiner Börse mit mir. An Verpflegung soll es uns auf unserem Weg nicht mangeln.«
Faradaylächelte. »Nein, verhungern werden wir auf dieser Reise gewißnicht.« Sie klopfte auf eine der Satteltaschen.
Verwirrtrunzelte Embeth ob der leeren Satteltasche die Stirn,aber Faraday streckte nur die Hand aus. »Kommt. Laßtuns beide von diesen Sonnenfliegern fortgehen und an einem anderen Ort nacheinem neuen Sinn für unser Leben suchen.«
Zurgleichen Zeit, als Faraday und Embeth den Palast vonKarlon verließen, saß Timozel weit oben im Norden amStrand der Trüben Bucht und grübelte vor sich hin. Zu seiner Rechten erhobensich die trostlosen Trübberge, die sich fast hundertfünfzig Meilen weit nachNorden erstreckten, entlang der Westgrenze von Aldeni.Ein unbarmherzig kalter Wind wehte ständig vom An-deismeerherüber und machte das Leben in der Umgebung der Berge fast unmöglich.
DieDunkelheit der Wasser, die Timozel vor sicherblickte, spiegelte die Schwärze in seinem Geist wieder. Während Embeth sich weit weg im Süden um ihren verlorenen Sohnsorgte, verschwendete dieser keinen Gedanken an seine Mutter - Gorgrael beherrschte seinen Geist Tag und Nacht.
Während derletzten neun Tage war der Jüngling so hart
nach Norden geritten, wie es seine Kräfte nur irgend zulie-
ßen. Mit jeder Meile, die er sich von Karlon undFaraday entfernte, spürte er Gorgraels grausamenGriff um seine Seele fester werden.
DasEntsetzen, das ihn erfüllt hatte, als Faraday das Gefäß fallen ließ und somitdie Bande zerriß, die ihn an sie gebunden hatten, warzwar schwächer geworden, aber immer noch nicht vollständig von ihm gewichen. Inden wenigen Stunden, die er zu schlafen wagte, suchten ihn ständig Alpträumeheim, und aus jedem erwachte er schreiend. Dreimal an diesem Tag war
er im Sattel eingenickt, und jedesmal erwartete ihnin seinen Träumen der Zerstörer, um ihm seine Klauen in den Hals zu graben undsein abstoßend widerwärtiges Antlitz dicht über
das seine zu beugen. »Mein«, zischte die Traumgestalt Gorgraeldann. »Mein! Ihr seid mein!«
Und mitjedem Schritt, den er weiter nach Norden vorwärts kam, nahm die Macht derNachtmahre zu. Könnte er Gorgrael nur den Rückenkehren und zurück nach Karlon reiten. Faraday um Vergebung anflehen und einenWeg finden, sein Rittergelübde zu erneuern. Aber GorgraelsKlauen hatten sich schon zu tief in ihn eingegraben.
Verzweiflungüberwältigte ihn, und er weinte vor Trauer um den Jüngling, der er einstgewesen war, um den erzwungenen Pakt mit Gorgrael undum den Verlust von Faradays Freundschaft und Zuneigung.
Neben ihmlag der bereits erkaltende Kadaver des letzten Pferdes, das er getötet hatte.Das Tier war taumelnd stehen geblieben und hatte nur kurz verharrt, um dannerschöpft in den Ufersand zu sinken. Das Roß war nunschon das sechste Tier,
das er während der vergangenen Tage buchstäblich zuschandengeritten hatte. Timozel hatte die Füße eilig aus denSteigbügeln gezogen, ein Bein über die Kruppe des Rosses geschwungen, als dasTier zu Boden stürzte, und war mit einer behendenBewegung auf den Füßen gelandet.
Als Timozel nun am Ufer saß und die grauen Wellen betrachtete,fragte er sich, was er als nächstes tun solle. Wie konnte er jetzt, da ihm derverdammte Gaul krepiert war, seinen Weg weiter nach Norden fortsetzen?
Und washatte ihn eigentlich an die Gestade der Trüben Bucht getrieben? Er befand sichviele Meilen westlich des Ortes, zu dem er hätte eilen sollen - zunächst nach Jervois, dann in das von den Skrälingenbeherrschte Ichtar, weiter über den Gorkenpaß und dann nördlich, immer weiter nach Norden biszu Gorgraels Eisfeste. Die Reise würde hart werden,vielleicht Monate dauern, und nur seine Entschlossenheit und seine Bindung an Gorgrael würden ihn nicht aufgeben lassen.
Wann immerein Pferd zusammengebrochen war, hatte Timozel einanderes gestohlen - kein schwieriges Unterfangen in einem so dicht bevölkertenGebiet wie Avonstal. Aber in den trostlosenLandstrichen rund um die Trübe Bucht oder im Gebirge selbst würde es ihm kaumgelingen, ein Reittier zu finden.
Er strafftedie Schultern. Nun gut, dann würde er sich eben
zu Fuß aufmachen, und der Zerstörer - wenn er ihn tatsächlich haben wollte -würde sich zweifellos um ihn kümmern.
Aber nichtheute. Noch nicht einmal seine Furcht vor den von Gorgraelgesandten Alpträumen konnte Timozel in dieser Nachtvom Schlafen abhalten. Er fröstelte und zog seinen Mantel enger um sich. DerJüngling rückte auf dem unbequemen, kalten und feuchten Sand hin und her.Irgendwo würde er genug Brennstoff für ein Feuer finden müssen, damit er sichwährend der Nacht wärmen konnte. Das Knurren seines Magens erinnerte ihn daran,daß er seit zwei Tagen nichts mehr gegessen hatte,und er fragte sich, wie er an einen Fisch aus den Tiefen der Trüben Buchtkommen könne.
Die Augendes Jünglings verengten sich, während er über die Bucht starrte. Was war dasdort draußen auf dem Meer? Vielleicht hundert Schritt vomStrand entfernt konnte Timozel einen kleinendunklen Höcker erkennen, der auf den Wellen schaukelte. Er hatte Geschichtenüber die Wale gehört, die in den Gewässern des Andeismeerslebten, und er fragte sich, ob dies wohl der Rücken eines dieserRiesenmeeresbewohner sein mochte, der sich in die Trübe Bucht verirrt hatte.
Timozelblickte über das Wasser und blinzelte in der salzigen Brise. Als das dunkleGebilde näher kam, sprang er auf.
»Was istdenn das?« keuchte er.
Der Höckerhatte sich zu der Silhouette eines in einen schweren Mantel gehüllten Mannesaufgelöst, der ein winziges Boot ruderte. Er hielt geradewegs auf Timozel zu.
DesJünglings dumpfer Kopfschmerz explodierte urplötzlich in weiße Hitze. Er schrieauf und krümmte sich vor Qual zusammen. Aber die Pein verebbte so rasch, wiesie gekommen war, und nachdem er wieder ruhig atmen konnte, richtete Timozel sich langsam auf. Als er den Blick hob, sah er, daß der Mann und sein Boot fast am Strand angelangt waren.
© Piper Verlag
Übersetzung:Marcel Bieger
- Autor: Sara Douglass
- 2005, 492 Seiten, Maße: 12,1 x 19,1 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Aus d. austr. Engl. v. Marcel Bieger
- Übersetzer: Marcel Bieger
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492265278
- ISBN-13: 9783492265270
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