Vergeltungsschlag

»Zielsuchradar SA-17, zwölf Uhr, fünfzig Meilen, keinProblem, weit unter der Erfassungsschwelle oh, wow, ein neuer Mitspieler,Überwachungsradar SA-12, ein Uhr, fünfundachtzig Meilen«, meldete derAufklärungstechniker. Der Junge schien ganze neunzehn Jahre alt zu sein, undseine Stimme klang noch jünger. Er hätte das Auftauchen von Außerirdischen ineinem Videospiel kommentieren können: weder aufgeregt noch überrascht, nurfröhlich und energiegeladen. »SA- 12 übermittelt Messwerte hat uns noch nichterfasst, aber es weiß, dass wir hier draußen sind. Es Augenblick, Radararbeitet nicht mehr. Es ist hastig ausgeschaltet worden.« »So, so dieRusskies haben eine SA-12 auf den Kriegsschauplatz geschmuggelt«, stellteGeneralmajor Patrick McLanahan fest. Die jugendlichen Gesichter und diescheinbare Lässigkeit seiner Soldaten waren ihm längst vertraut, und er bemühtesich, sie nicht mit der eigenen Alarmstufe-Rot- Mentalität anzustecken. Der 47-jährigeZweisternegeneral der U.S. Air Force tippte auf seinem Computerterminal Befehleein, rief etwa vorhandene zusätzliche Informationen zu diesem neuen Kontaktauf. »Möglicherweise eine ganze SA-12- Batterie: sechs Transporter, diezugleich Startrampen sind, und fünf Transporter mit Ersatzlenkwaffen, dazu einFahrzeug mit dem Überwachungsradar, eines fürs Zielsuchradar und das Kommandofahrzeug.Die Batterie steht ziemlich weit außerhalb von Aschchabad - offenbar nicht, umdie russischen Truppen in der Hauptstadt zu schützen. Das ist ein klarerVerstoß. « »Sie verlegen die schweren Waffen jeden Tag ein kleines Stück weiternach Osten«, stellte Oberst Daren Mace fest. Der 51-jährige Air-Force-Veteranbeobachtete, wie Standort und Identifizierung des neuen russischenFla-Raketen-Komplexes auf dem farbigen taktischen Großbildschirm angezeigtwurden. Die SA-12, die ungefähr dem amerikanischen Luftabwehrsystem Patriotentsprach, gehörte zu den modernsten Boden-Luft- Systemen der RussischenFöderation, das große Flugzeuge auf Entfernungen bis zu hundert Kilometernvernichten konnte. »Man könnte fast glauben, sie wollten nicht, dass wir siebeobachten. « Er gab selbst etwas auf seinem Terminal ein. »Die Kampfgruppe hatdie neuen Informationen, und wir haben alle Vertreter der Vereinten Nationengewarnt«, fuhr er dann fort. »Mit der SA-12 reicht die Bedrohung durch dieRussen jetzt über den sechzigsten Längengrad hinaus, Sir. Machen sie so weiter,liegt Mary schon in wenigen Tagen in der Reichweite ihrer Fla-Lenkwaffen.« Patricknickte. Die Republik Turkmenistan war seit dem Taliban- Einfall im vergangenenJahr zweigeteilt: Die turkmenische Regierung und das Militär befanden sich inder Stadt Mary im Ostteil des Landes praktisch im Exil, und die Truppen derRussischen Föderation hielten die Hauptstadt Aschchabad im Westen besetzt. Der Sicherheitsratder Vereinten Nationen hatte alle Beteiligten angewiesen, weitere Vorstößeeinzustellen, bis Friedenstruppen entsandt werden konnten, und zur allgemeinen Überraschunghatte Russland dagegen kein Veto eingelegt. Jetzt schienen die Russen gegendiese Anweisung zu verstoßen und stetig weiter nach Osten vorzurücken, indemsie erst dafür sorgten, dass sie den Himmel beherrschten, und dann immergrößere Teile des Landes besetzten. »Ich setze mich nochmals mit derEighth Air Force in Verbindung und sorge dafür, dass sie weiß, dass die Russenunaufhaltsam weiter nach Osten vorstoßen.« »Glauben Sie, dass das etwas nützt,Sir?«, fragte Daren. »Wir haben ein ziemlich klares Bild davon entworfen, wiedie Russen entgegen der Entschließung des Sicherheitsrats in den Osten Turkmenistanseinrücken. Die SA-12 ist weit mehr als eine taktische Abwehrwaffe - jedeBatterie kann einen Luftraum von einer Million Kubikkilometer sperren.« »Wirhaben den Auftrag zu überwachen, zu beobachten, zu analysieren und zu melden -aber nicht anzugreifen«, sagte Patrick mit unüberhörbarer Müdigkeit in derStimme, während er eine Verbindung herstellte, um die Meldung an den Offizier vomDienst der Eighth Air Force weiterleiten zu können. Der in Shreveport,Louisiana, stationierten Eighth Air Force waren die schweren Bomber der U.S.Air Force unterstellt. »Ich sorge auf eigene Verantwortung dafür, dass dienötigen Kräfte für den Fall bereitstehen, dass wir reagieren müssen. Ich habedas Gefühl, dass ich von Glück sagen kann, wenn ich das weiter tun darf.«Daren Mace äußerte sich nicht dazu - er wusste genau, dass der General indiesem Punkt entschieden Recht hatte. Patrick, Daren und ihr Technikerteamführten einen Aufklärungs- und Überwachungsflug über der Mitte der ehemaligen zentralasiatischenSowjetrepublik Turkmenistan durch - aber sie saßen sicher und warm imKontrollzentrum BATMAN (Battle Management Center) auf der Battle Mountain AirReserve Base im Norden Mittelnevadas. Das Flugzeug, das über Turkmenistan imEinsatz war, war eine QB-1C Vampire III, ein weitgehend modifizierterunbemannter Bomber B-1 Lancer, der mit elektronischen Aufklärungs- undÜberwachungsgeräten voll gestopft war. Damit konnte Patrick alle nurvorstellbaren elektromagnetischen Signale auffangen, und das Laser-Radar (LADAR)des Bombers gestattete ihnen, aus großen Entfernungen unglaublich detaillierteAufnahmen von Luftund Bodenzielen zu machen. Außer seiner Abwehrbewaffnung -sechs AIM-120 Advanced Medium Range Air-to-Air Missiles (AMRAAMs) an externenAufhängepunkten - trug der Bomber Vampire zwei UCAVs (Unmanned Combat AirVehicles) in einem speziellen Revolvermagazin in seiner mittleren Bombenkammer.Diese Drohnen, die wie breite, dicke Surfbretter mit Stummelflügeln aussahen,trugen kleine, aber wirkungsvolle Präzisionslenkwaffen und Schüttbomben zurBekämpfung feindlicher Bodenziele. Die StealthHawks konnten von der Vampireaufgenommen, betankt und wieder bewaffnet werden, sodass jede Drohne Dutzendevon Zielen angreifen konnte, während das Mutterschiff weit außer Reichweite derfeindlichen Luftabwehr blieb. Patrick drückte die Kurzwahltaste, gab seinPasswort ein, wartete einige Sekunden, bis die Verschlüsselungsgerätesynchronisiert waren, und sagte dann: »Fortress, hier Avenger, sicher. « »Avenger,Fortress ist sicher«, antwortete der Offizier vom Dienst der Eighth Air Force. »Wiegeht s Ihnen heute Abend, Taylor?« »Sehr gut, General«, antworteteUSAF-Oberstleutnant Taylor Viner. Taylor Rose Viner war eine junge, sehrbegabte Flugzeugbauingenieurin und Testpilotin, die Patrick jahrelang fürDreamland, das streng geheime Waffenerprobungszentrum in Nevada, anzuwerbenversucht hatte. Aber die Mutter von Zwillingen hatte sich stattdessen für einhalbwegs normales Leben als Schichtführerin im Befehlszentrum der Eighth Air Forceentschieden. »Bitte weiter, Sir.« »Wir haben eine neue Fla-Raketenstellung inMittelturkmenistan entdeckt - eine SA-12 keine vierzig Meilen außerhalb derStadt Mary«, berichtete Patrick. »Sie bedroht unsere Maschinen vorläufig nicht,aber das liegt nur an den Stealth-Eigenschaften der Vampire. Würden wirgewöhnliche Aufklärer losschicken, wären sie sofort Hackfleisch.« »DieResolution des Sicherheitsrats untersagt den Russen, näher als fünfzigKilometer an Mary heranzurücken - das sind dreißig Meilen«, stellte Viner fest.»Also ist diese Stationierung legal.« »Aber eine SA-12 kann großen Flugzeugenaus über vierzig Meilen Abstand gefährlich werden«, sagte Patrick. »Das wäre dannüber der Stadt Mary.« »Ich verstehe, Sir«, antwortete Viner. »Ich widersprecheIhnen auch nicht, ich spiele nur den Advocatus Diaboli.« Dann erinnerte siePatrick behutsam an die erste Frage, die ihre Vorgesetzten ihr vermutlichstellen würden, wenn sie sie mit dieser Nachricht weckte. »Was möchten Sie tun,Sir?« »Ich bitte um Erlaubnis, ein UCAV StealthHawk über die Stadt entsenden zudürfen, um zu versuchen, die Absichten der Russen zu erkunden.« »UCAV? Siehaben UCAVs an Bord Ihres Aufklärers, Sir?«, fragte Taylor überrascht. Siemachte eine Pause, während sie auf der Tastatur ihres Computers tippte, undfügte dann hinzu: »Sir, im Einsatzbefehl steht nichts von UCAVs. Sind siebewaffnet, Sir?« Patrick zögerte - und mehr brauchte Viner nicht zu wissen.»General, ich möchte Ihnen empfehlen, sofort ein anderes Flugzeug zu starten,das genau laut Einsatzbefehl bewaffnet ist und die im Einsatz befindlicheMaschine ablöst.« »Der Befehl hindert uns nicht daran, UCAVs an Bord zu haben, undverbietet erst recht keine Abwehrbewaffnung.« »Ja, Sir«, antwortete Viner ineinem Tonfall, der besagte: Dieses Argument wird bei den Bossen keinen Eindruckmachen. »Soll ich Ihre Beobachtungen und Ihre Bitte weiterleiten, Sir, odermöchten Sie die Situation weiter überwachen?« Damit versuchte Taylor zumletzten Mal, ihn davon abzubringen, etwas zu unternehmen, und Patrick sah ein,dass sie Recht hatte. »Wir beobachten die Situation weiter«, entschied er. »Siekönnen in Ihren Bericht schreiben, dass unser Aufklärer Bobcat sieben-null zweiUCAVs StealthHawk an Bord hat, sodass wir notfalls sofort reagieren können.Bitte kennzeichnen Sie die Meldung über die SA-12-Batterie als dringend , und schreibenSie dazu, dass wir für alle Fälle bereitstehen.« »Ja, Sir«, bestätigte Viner.»Noch irgendwas, Sir?« »Nein, Taylor. Sonst läuft hier alles normal.Wir haltenuns zum Eingreifen bereit.« »Verstanden, Sir. Fortress Ende.« »Avenger bleibthörbereit.« Patrick lehnte sich in seinen Sessel zurück und studierte dieBildschirme, die er vor sich hatte. »Also, Daren«, sagte er zu seinem NachbarnMace, »ich kann nur hoffen, dass die Bosse jetzt nicht noch saurer auf michsind als vorher.« »Wenn Sie einen unverlangten Kommentar entschuldigen, Sir,denke ich, dass sie wahrscheinlich ewig auf Sie sauer sein werden, ob Sie dieVampires mit UCAVs bewaffnen oder nicht«, meinte Daran, und Patrick nicktezustimmend. Mace hatte Recht: Die Situation war von Anfang an aussichtslosgewesen, und jetzt saß er erst recht in der Scheiße. Die Resolution desSicherheitsrats der Vereinten Nationen ordnete nur die ÜberwachungTurkmenistans aus der Luft an. Präsident Thomas Thorn hatte überraschendangeboten, die Vereinigten Staaten würde dies übernehmen, und derSicherheitsrat hatte das Angebot angenommen. Das Verteidigungsministerium befahldem U.S. Central Command, dem für Zentralasien zuständigen Oberkommando, eineständige Überwachung sicherzustellen; das Central Command griff seinerseits aufdie U.S. Air Force zurück, um die Überwachungsflüge durchführen zu lassen. Anfangserhielt die Twelfth Air Force, die Luftflotte mit den Fernaufklärern, denAuftrag, einen Überwachungsplan zu erstellen. Die Twelfth plante den Einsatzaller ihrer herkömmlichen Maschinen: des unbemannten Aufklärers RQ-4A Global Hawk,des Spionageflugzeugs U-2 Dragon Lady, des Elektronikaufklärers RC-135 RivetJoint und des Radaraufklärers E-8 Joint STARS (Surveillance and Targeting RadarSystem). Durch eine Kombination von Einsätzen dieser Flugzeuge über Turkmenistanund ergänzende Satellitenaufklärung würde man fortlaufend und ständig überalles informiert sein, was dort drüben passierte. Aber die Flugzeuge des 111. Kampfgeschwaders,das schon während des ursprünglichen Konflikts in Turkmenistan nach DiegoGarcia verlegt worden war, boten weit mehr als bloße Überwachung. Eineunbemannte QAL-52 Dragon mit bordgestütztem Laser konnte bis zu 100 MillionenKubikkilometer Luftraum vor ballistischen Raketen, Marschflugkörpern, Flug-zeugen und sogar bestimmten Bodenzielen schützen; die unbemannten »fliegendenSchlachtschiffe« QB-1C und QB-52 besaßen jeweils so viel Angriffs- undAbwehrpotenzial wie eine Kette Jagdbomber. Auf Drängen Patrick McLanahanslehnte das Central Command die Planung der Twelfth Air Force ab und befahl derEighth Air Force, der die strategischen Bomber unterstanden, McLanahans AirBattle Force zur Überwachung Turkmenistans einzusetzen. Dass dieHightech-Bomber des 111. Kampfgeschwaders sich während des ursprünglichenKonflikts mit den Russen bewährt hatten, wurde dem hohen Ausbildungsstand desGeschwaders zugeschrieben; außerdem waren sie mit dem Einsatzgebiet vertrautund kannten die taktische Lage gründlich. Diese Entscheidung verärgerte dieKommandeure der Eighth und der Twelfth Air Force, obwohl ihnen nichtsanderes übrig blieb, als sie zu akzeptieren. Die Eighth besaß natürlich eineeigene Flotte von Kampfflugzeugen: 160 strategische Bomber B- 1B, B-52 und B-2,dazu mehrere hundert Tankflugzeuge und ein imposantes Arsenal anMarschflugkörpern und Lenkbomben. Aber sie waren alle in den VereinigtenStaaten stationiert oder flogen Geleitschutz für Kampfgruppen der U.S. Navy aufallen Weltmeeren. Obwohl das 111. Kampfgeschwader verwaltungstechnisch zu denAir Reserve Forces gehörte - die Männer und Frauen des Geschwaders kamenüberwiegend aus der Nevada Air National Guard -, unterstand es operativ derEighth Air Force. Aber wenn s ernst wurde, verstand sich niemand bei der Eighthdarauf, die Hightech-Spielsachen auf der Battle Mountain Air Reserve Baseeinzusetzen oder mit ihnen zu kämpfen. Also blieb nichts anderes übrig, als dieLeitung dieses Unternehmens Generalmajor Patrick McLanahan, der dazu der EighthAir Force direkt unterstellt wurde, zu übertragen. (...)

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Übersetzung:Wulf Bergner