Verküsst & zugenäht!
Seutsche Erstausgabe
Jake Bradshaw ist ein Rabenvater - meint Jenny. Denn während er als Fotograf eine Weltreise gemacht hat, war Jenny für seinen Sohn da. Da kann er doch nicht plötzlich wieder auftauchen und erwarten, dass ihn alle mit offenen Armen...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Verküsst & zugenäht! “
Jake Bradshaw ist ein Rabenvater - meint Jenny. Denn während er als Fotograf eine Weltreise gemacht hat, war Jenny für seinen Sohn da. Da kann er doch nicht plötzlich wieder auftauchen und erwarten, dass ihn alle mit offenen Armen begrüßen! Jenny jedenfalls ganz sicher nicht. Oder?
Klappentext zu „Verküsst & zugenäht! “
Diese grünen Augen, der markante Mund für einen Mann, den sie in Gedanken bereits mehrfach erwürgt hat, sieht Jake Bradshaw noch ziemlich lebendig aus. Und so unverschämt gut, dass Jenny mit ihren Fingern am liebsten etwas ganz anderes Aber dafür ist ihre Verachtung für den Rabenvater viel zu groß. Denn während er als Fotograf um die Welt gereist ist, hat Jenny sich um seinen Sohn gekümmert! Da kann er nicht einfach so wieder in Razor Bay auftauchen und davon ausgehen, dass ihn alle mit strahlendem Lächeln und offenen Armen begrüßen. Jenny zumindest will ihm die kalte Schulter zeigen. Auch wenn ihr Körper da plötzlich komplett anderer Meinung zu sein scheint und sie sich nur zu gern an Jakes schmiegen würde
Lese-Probe zu „Verküsst & zugenäht! “
Verküsst & zugenäht! von Susan AndersenÜbersetzung von Tess Martin
1. KAPITEL
Jake Bradshaw tauchte fast zwei Monate später in der Stadt auf, um Viertel vor drei an einem stürmischen, aber sonnigen Aprilnachmittag.
Nicht, dass Jenny dieser Tatsache besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätte.
Himmel, sie hatte genug mit ihrem Kram zu tun. Als es an der Tür klingelte, putzte sie gerade das Fenster über der Küchenspüle und dachte darüber nach, dass die Fensterläden vom „Sand Dollar", dem luxuriösen Cottage auf der anderen Seite des Parkplatzes, dringend mal wieder gestrichen werden müssten. Nur zufällig warf sie einen Blick auf die Uhr, um dann seufzend an sich herabzublicken. Ihr T-Shirt hatte schon bessere Zeiten gesehen, die Jeans war zerrissen. Wieso kam eigentlich nie jemand unangekündigt vorbei, wenn sie mal so richtig aufgedonnert war?
Murphy's Law vermutlich. Achselzuckend legte sie das alte Geschirrtuch zur Seite, stellte den iPod ab, zog die Ohrstöpsel heraus und ging zur Haustür. Die Schule war bereits aus. Wahrscheinlich ein Freund von Austin, obwohl der noch nicht zu Hause war.
Als sie die Tür aufzog und den Mann erblickte, setzte ihr Verstand kurz aus. Heiliger Strohsack, wie sehr man sich doch irren konnte. Vor ihr stand nun wirklich kein Schuljunge, sondern ein vollkommen Fremder, und das war etwas, das man zu dieser Jahreszeit im Gegensatz zur Sommersaison in dieser Gegend nur selten zu sehen bekam.
Zudem war der Typ ein Gott.
Okay, nicht wirklich. Aber zumindest beinahe. Sein Haar, das sie auf den ersten Blick für blond gehalten hatte, war in Wahrheit mittelbraun und hatte von der Sonne oder einem Weltklasse-Friseur helle Strähnchen verpasst bekommen.
... mehr
Sie vermutete Ersteres, da jeder Mann, den sie kannte, sich lieber kastrieren ließe, als mit einem Dutzend Stanniolpapierstreifen auf dem Kopf gesehen zu werden. Zwar hatte sie bisher noch keinen leibhaftigen metrosexuellen Großstadttypen kennengelernt, war aber ziemlich sicher, dass dieser Prachtkerl nicht zu der Sorte gehörte.
Seine gebräunten Hände waren zu rau, seine Haut wirkte ein wenig zu verwittert. Seine Schultern unter dem schicken grauen Jackett waren muskulös, unter der Jacke trug er ein olivgrünes Kapuzenshirt. Seine Levi's mit geknöpftem Hosenschlitz schien schon einiges durchgemacht zu haben.
Die Augen konnte sie hinter den Gläsern seiner Sonnenbrille nicht erkennen, doch hatte er den herrlichsten Mund, den sie jemals bei einem Mann gesehen hatte, voll, jedoch mit klaren Konturen. Leicht vorstellbar, wie diese Lippen einen küssten.
„Ist deine Mutter da?"
„Im Ernst jetzt?" Schön, das war vielleicht nicht die höflichste Antwort, aber bitte! Sie hatte sich schließlich gerade vorgestellt, was er mit seinen Lippen alles anstellen konnte, während Marvin Gaye in ihrem Kopf dazu leise „Let's Get It On" sang. Dass er sie für ein Kind hielt, hatte auf sie die gleiche Wirkung, als würde man mit einer Nadel über eine Vinyl-Schallplatte kratzen. Ihr kleiner Tagtraum - woher zum Teufel der auch immer gekommen war - zerplatzte wie eine Seifenblase.
Nach einem überraschten Blick musterte er sie genauer. Dann verzog er die Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Oh, tut mir leid. Ihre Größe hat mich einen Moment in die Irre geführt. Sie sind kein Kind."
„Ach, meinen Sie?"
Sein Lächeln wurde breiter. „Ich bin wohl nicht der Erste, der diesem Irrtum erliegt."
Okay, reiß dich zusammen, Schwester. Was war denn überhaupt ihr Problem? Normalerweise war sie nicht scharf auf fremde Männer. Und da sie seit ihrem sechzehnten Lebensjahr in der Tourismusbranche arbeitete, neigte sie auch nicht dazu, Leute mit schneidendem Sarkasmus zu begrüßen.
Zumindest keine Leute, die ich nicht kenne.
Innerlich zuckte sie ungeduldig mit den Schultern. Vielleicht handelte es sich bei ihm ja um einen Gast. Zwar war momentan so gut wie nichts los, weshalb sie es gewagt hatte, Abby an der Rezeption allein zu lassen und sich endlich mal einen freien Tag zu gönnen. Abs, wie sie genannt wurde, war noch feucht hinter den Ohren. Vermutlich hatte das Mädchen ohne Bedenken den Weg zu ihrem Haus auf einem der Hotelstadtpläne eingezeichnet, damit dieser Fremde sich auch bloß ja nicht verlief.
Jenny setzte ein freundliches Gesicht auf. „Kann ich Ihnen helfen?"
Er blickte zu ihr hinunter. „Ja. Man sagte mir, ich könnte Jenny Salazar hier finden."
„Sie haben sie gefunden."
„Ich komme wegen Austin Bradshaw, es geht um die Vormundschaft."
Jennys Herz begann schneller zu schlagen, doch sie sagte nur: „Sie sehen nicht aus wie ein Anwalt."
„Bin ich auch nicht. Mr Verilla hat mir erklärt, dass Sie die Person sind, mit der ich sprechen muss."
Seufzend trat sie einen Schritt zurück. „Dann kommen Sie wohl besser herein. Bitte entschuldigen Sie das Durcheinander. Ich habe heute meinen Putztag."
Ihr Cottage war winzig, es dauerte nur ungefähr fünf Sekunden, bis man mitten im Wohnzimmer stand. Sie drehte sich zu ihm um und stellte fest, dass er die Sonnenbrille abgenommen und einen Brillenbügel in den Ausschnitt seines Sweatshirts geklemmt hatte. Als sie den Blick von seinem kräftigen, gebräunten Hals nach oben gleiten ließ, blickten sie sich zum ersten Mal in die Augen.
Ein Zittern lief durch ihren Körper. Oh Gott! Sie kannte nur einen einzigen Menschen auf der Welt, der eine derart hellgrüne Iris hatte - die gleiche Farbe wie die Seichtgewässer im Hood Canal.
Austin.
Wut packte sie, schnell und umfassend, und sie richtete sich zu ihrer wenig beeindruckenden vollen Größe auf. „Lassen Sie mich raten", sagte sie mit Eiseskälte in der Stimme. „Sie müssen Jake Bradshaw sein."
Als sie ihn jetzt ansah, konnte sie nichts mehr von gutem Aussehen und Sex- Appeal entdecken. Sie musste vielmehr daran denken, wie oft Austin gehofft hatte, sein Vater würde anrufen oder vorbeikommen, und an die schreckliche Enttäuschung jedes Mal. Verächtlich verzog sie den Mund. „Wirklich toll von Ihnen, dass Sie endlich mal eine Minute Ihrer kostbaren Zeit für Ihr Kind opfern."
Seit über einem Jahrzehnt gehörte es nun schon zu seinem Job, sich mit allen möglichen Leuten herumzuschlagen, und Jake hatte vor langer Zeit gelernt, sich über nichts mehr aufzuregen. Aus irgendeinem Grund ging ihm das Benehmen dieses weiblichen Zwergs trotzdem ziemlich gegen den Strich. Etwas, das er verdammt noch mal überhaupt nicht begreifen konnte.
Die Frau war vielleicht gerade mal eins sechzig groß, ihr glänzendes dunkles Haar trug sie zu zwei mädchenhaften Zöpfen geflochten, aus denen sich ein paar lange Strähnen gelöst hatten - nicht sonderlich erwachsen. Sie hatte kaum Rundungen, eine klare Haut mit einem Stich ins Olivfarbene und braune Augen, so dunkel, dass das Weiß drum herum im Kontrast dazu beinah bläulich wirkte, schön geschwungene dunkle Augenbrauen und eine schmale Nase mit einem leichten Höcker.
Er runzelte die Stirn. „Was zum Teufel glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, Lady?"
Okay, das hatte er nicht sagen wollen. Aber wieder in Razor Bay zu sein, wo er einen Großteil seiner Jugend damit verbracht hatte, Fluchtpläne zu schmieden, das machte ihm gehörig zu schaffen. Zudem war er nach der fast zweitägigen Reise von Minahasa über Davao, Manila, Vancouver und Seattle fix und fertig. Ganz zu schweigen von der Anspannung, weil er seinen Sohn nach all diesen Jahren wiedersehen und zum ersten Mal die Verantwortung für ihn übernehmen würde.
Nur zu verständlich also, dass er auf die Ablehnung in ihrem Ton und auf die Tatsache, dass ihm schon wieder jemand wegen Austin Vorhaltungen machte, entsprechend reagierte.
Er schob diese negativen Gefühle beiseite und fragte in einigermaßen freundlichem Ton: „Warum genau glauben Sie, das Recht zu haben, über mich zu urteilen?" Das hatte er weiß Gott selbst bereits oft genug getan, dafür brauchte es nun wirklich keine kleinwüchsige Fremde.
Er sah, wie sie die Arme vor der Brust verschränkte und angriffslustig das Kinn hob.
„Nun, lassen Sie mich überlegen", entgegnete sie kühl. „Vielleicht, weil ich die Frau bin, die in den letzten elf Jahren für Austin da gewesen ist, und ich Sie heute zum ersten Mal zu sehen bekomme."
Jake hätte am liebsten aufgeheult, so unfair war ihr Vorwurf. Allerdings, wirklich falsch lag sie ja nicht. Auf der endlos erscheinenden Reise hierher hatte er genug Zeit zum Nachdenken gehabt. Aber er hatte nicht vor, sich einer vollkommen Fremden gegenüber zu verteidigen.
Zudem wollte er auf keinen Fall das Ansehen von Austins Großeltern beschädigen. Erstens, weil sein eigener Vater sich so verhalten hätte - er hätte nur an sich selbst gedacht und nicht etwa daran, dass sein Sohn diese Leute geliebt hatte - und zweitens war er Emmett und Kathy dankbar dafür, dass sie den Job übernommen hatten, den er nicht hatte übernehmen wollen.
Sie hatten Austin beschützt, leider Gottes auch vor ihm. Tja, Pech gehabt, find dich damit ab, du Genie.
Irgendwo über Midway Island war ihm aufgegangen, dass Emmett und Kathy anfangs eigentlich ziemlich nachsichtig mit ihm gewesen waren. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie ihn endgültig aus Austins Leben verbannt hatten.
Das war aber gar nicht der Punkt - zumindest nicht in diesem Moment. Der Punkt war, dass er endlich tat, was er schon vor Jahren hätte tun sollen: sich der Verantwortung stellen.
Also los.
Leider änderte sein Entschluss nichts daran, wie sehr das Verhalten dieser Frau vor ihm an seinen Nerven zerrte. Er trat unwillkürlich einen Schritt auf sie zu.
„Tatsache ist, dass ich Austins Vater bin und dass ich jetzt hier bin."
Damit hatte sie wohl nicht gerechnet, denn ihre langen, dichten Wimpern senkten sich, die zarten Lider legten sich kurz über ihre mandelförmigen Augen, dann sah sie ihn wieder an.
Das Ganze dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Hatte sie seine aufgestaute Wut bemerkt? Jake richtete sich langsam auf. Verdammt. Sie befürchtete doch nicht etwa, dass er sie schlagen würde.
Er trat einen großen Schritt zurück und stopfte die Hände in die Hosentaschen. In dem Moment flog die Hintertür laut polternd auf - und so, wie die kleine Miss Salazar zusammenzuckte, wusste er genau, wer da gekommen war. Sein Herz begann heftig zu hämmern, während er zur Küchentür starrte.
„Hey, Jenny", hörte er eine jungenhafte Stimme aus der Küche. „Ich bin zu Hause."
Die Kühlschranktür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen, dann knallte etwas Blechernes auf einen harten Untergrund.
„Hey, Alter, lass mir noch einen Keks übrig!"
„Tausche einen gegen die Milch", erklang eine zweite Jungenstimme.
„Ihr solltet lieber Gläser nehmen!", rief Jenny warnend. „Wenn ihr direkt aus dem Karton trinkt, seid ihr tot!"
Gläser klirrten und eine Schranktür schlug zu. Danach herrschte einen Moment Stille und zwei Jungs kamen ins Zimmer gestapft. Der erste war hoch aufgeschossen, mit dunklen Haaren und - gütiger Herr im Himmel - genauso schlaksig wie er selbst in dem Alter.
Oh Gott, oh Gott. Jakes Mund wurde trocken und aus war es mit seiner Fähigkeit, immer alles um sich herum im Auge zu behalten - damit er nicht von einer Schlange gebissen, einem Insekt gestochen oder einem Tier zerfleischt wurde, das viel mehr Gewicht, Kraft und Zähne als er selbst hatte. Der gemütliche kleine Raum und alles darin verschwanden aus seinem Blickfeld, es existierte nichts weiter als sein Sohn.
Mein Sohn.
Von Glück und Panik überwältigt, von Schmerz und Bedauern, starrte Jake ihn an. Ein Gefühl, das er nie zuvor gekannt hatte, drückte auf seine Brust. Jesus. Er zitterte. Niemals hätte er gedacht, dass diese Begegnung ihm so viel bedeuten, ihn so tief treffen würde. Fühlte Liebe sich etwa so an?
Bei diesem Gedanken richtete er sich auf. Zum Teufel, nein.
Das konnte nicht sein. Erstens: Er war ein Bradshaw und was die Bradshaw- Männer unter Liebe verstanden, war so verdreht, dass es diese Bezeichnung in keiner Weise verdiente. Und zweitens: Ein Mann musste jemanden doch erst mal kennen, bevor er mit dem Wort Liebe herumspielen durfte.
Er holte tief Luft. Wahrscheinlich handelte es sich schlicht um ein Wunder, dass sein Sohn bereits so groß war. Er hatte Bilder von Austin als Zweijährigen und als Vierjährigen vor Augen. Himmel, auch als Sechsjährigen - so alt war er auf dem letzten Foto gewesen, das Kathy ihm geschickt hatte.
Das hier war kein kleines Kind - das war fast schon ein Erwachsener. Nicht, dass er nicht wüsste, wie alt der Junge war, natürlich wusste er das.
Er hatte einfach keine klare Vorstellung von seinem Sohn im Kopf gehabt.
Damals hatte er sich immer wieder gesagt, dass er das Richtige tat - hatte sich eingeredet, dass es Austin bei seinen Großeltern besser ging, die dem Jungen, im Gegensatz zu ihm, ein stabiles, strukturiertes Leben bieten konnten. Und er hatte recht gehabt.
Zu sehen, was er da gleichgültig einfach so weggeworfen hatte, ohne auch nur einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden, brach ihm jetzt fast das Herz.
Der Junge, der keine Ahnung von den Schuldgefühlen hatte, die ihn zu übermannen drohten, steuerte direkt auf Jenny zu und beachtete ihn überhaupt nicht.
„Kann ich heute bei Nolan übernachten?", fragte er. „Seine Mom ist einverstanden."
Sein Blick streifte Jake desinteressiert, dann wandte er sich wieder an Jenny: „Sie bestellt Pizza bei ,Bella T's‘. Nolan hat ein neues X-Box-Spiel, das wir ausprobieren wo..."
Auf einmal riss er den Kopf herum, um ihn anzustarren.
„Wer zum Teufel sind Sie?", fragte er, wobei sein erschütterter Gesichtsausdruck erkennen ließ, dass er es bereits wusste.
Jake schluckte, darum bemüht, trotz des Aufruhrs in ihm ruhig zu bleiben. Beinahe automatisch sagte er: „Dein Dad. Ich ..."
Der Junge unterbrach ihn, indem er verächtlich schnaubte.
„Von wegen. Falls Sie es nicht wissen ... und ich vermute, Sie wissen es nicht, weil ich Sie heute zum ersten Mal sehe ..." Geringschätzung sprach aus jedem einzelnen seiner Worte. „Ich bin dreizehn. Weder brauche noch will ich einen Dad in meinem Leben." Er drehte sich zu Jenny um und durchbohrte sie verärgert mit seinem Blick. „Kann ich jetzt bei Nolan übernachten oder nicht?"
Jake sah, wie sie eine Hand hob, um dem Jungen über die Wange zu streichen, sich dann aber sichtlich zusammenriss und es ließ. Ihr war wohl klar geworden, dass Austin sich für diese Zurschaustellung von Zärtlichkeit schämen würde. Stattdessen nickte sie und sagte: „Sicher."
Ohne ein weiteres Wort - und ohne auch nur einen Blick in seine Richtung zu werfen - machte der Teenager auf dem Absatz kehrt und verschwand mit seinem Freund aus dem Wohnzimmer. Als er nach höchstens einer Minute zurückkam, steckte eine Zahnbürste in seiner Hosentasche. In einer Hand hielt er eine lange Pyjamahose.
„Braucht ihr Geld für die Pizza?", fragte Jenny.
„Nö", antwortete der andere Junge. „Die übernimmt meine Mom."
Austin steuerte auf die Küche zu, Nolan direkt auf seinen Fersen.
„Hey, warte mal kurz!" Jake trat vor, doch die beiden Teenager waren bereits zur Hintertür hinausgestürmt. Er wusste nicht, ob er Enttäuschung oder Erleichterung verspürte.
Was immer es auch war, es warf ihn beinahe um. Gott, er hatte sich dieses erste Treffen vermutlich hundert Mal vorgestellt, seit er von Kathys und Emmetts Tod erfahren hatte, und sich mindestens genauso viele Szenarien ausgemalt. So etwas wie gerade war ihm allerdings nicht in den Sinn gekommen. Er hatte sich auf die Wut seines Sohnes eingestellt, darauf, mit zornigen Fragen bombardiert zu werden, die er wahrscheinlich nicht zufriedenstellend beantworten konnte.
Doch niemals hätte er damit gerechnet, einfach so stehen gelassen zu werden. Er sah Jenny an. „Soll das vielleicht ein Witz sein? Sie lassen ihn gehen?"
„Was erwarten Sie denn?" Ihre Stimme war kalt, ihr Blick sogar noch kälter. „Austin hat gerade den Mann kennengelernt, der nie da gewesen ist, wenn er ihn am nötigsten gebraucht hat. Diese Tatsache muss er erst mal verdauen."
Ja. Wahrscheinlich schon. Der Junge hatte es selbst gesagt, er war dreizehn - und in wenigen Jahren erwachsen. Und er, ein typischer Bradshaw, hatte die Chance vertan, ihm ein Vater zu sein.
Nein. Jake straffte die Schultern. Zur Hölle damit. Frühestens in fünf Jahren würde Austin auch nur ansatzweise als Erwachsener durchgehen. Egal, wie viel Zeit er verloren hatte, ab jetzt konnte er der Mann sein, der er längst hätte sein sollen. Der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung war, irgendwie eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen.
Austins Reaktion nach zu schließen würde das nicht leicht werden. Tja, na und? Er hatte harte Arbeit noch nie gescheut.
Und doch. Verdammt schade, dass der Junge zu alt war, um ihm ein Pony zu schenken.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Jenny. „Ich stimme Ihnen zu, dass er Zeit braucht, das zu verdauen, aber eines möchte ich klarstellen. Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen und alles Nötige eingeleitet, um das Sorgerecht für meinen Sohn zu bekommen."
„Nein."
Sie starrte ihn an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen.
„Doch. Mein Anwalt setzt gerade, während wir hier sprechen, die Dokumente auf. Ich muss sie nur noch unterschreiben, wenn ich zurück in Manhattan bin. Und dann wird Austin dort sein, wo er hingehört. Bei mir." Okay, es war wahrscheinlich nicht clever, ihr das so direkt zu sagen - sie schien durchaus in der Lage zu sein, ihn mit aller Gewalt davon abzuhalten und es wie einen Unfall aussehen zu lassen.
In ihren Augen lag jedoch keine Mordlust, sondern etwas anderes. Sie wirkte am Boden zerstört. Kreuzunglücklich.
Da er sehr gut wusste, wie sich das anfühlte, sagte er sanft: „Hören Sie, ich habe nicht vor, Austin einzupacken und mit ihm wegzulaufen." Wobei seine erste Reaktion auf die Nachricht, dass Emmett und Kathy gestorben waren, genauso ausgesehen hatte: nach Hause fahren, Austin auffordern zu packen und ihn dann dahin zu schleifen, wo er für sich ein Leben aufgebaut hatte - zumindest für die paar Monate im Jahr, die er im Land war.
Das würde er natürlich nicht tun, er wollte auf keinen Fall wie sein Vater sein. „Ich bin nicht hier, um ihn einfach so aus seinem gewohnten Umfeld zu reißen. Ich weiß, dass er Zeit braucht, sich an mich zu gewöhnen und mich kennenzulernen."
Sie atmete erleichtert auf und es ärgerte ihn, dass es ihm wichtig war, ihr die Angst zu nehmen. Schließlich war es für alle Beteiligten besser, keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen.
„Nicht, dass Sie mich missverstehen", fuhr er mit seiner kühlsten Stimme fort. „Mein Leben spielt sich in New York ab und dorthin werden wir auch ziehen. Ich bleibe nur eine Weile hier, damit mein Sohn sich an den Gedanken gewöhnen kann. In der Zwischenzeit werde ich herausfinden, was mit Emmetts Vermögen geschieht." Als ihr Blick misstrauisch wurde, kniff er die Augen zusammen. „Fangen Sie bloß nicht so an. Ich bin nicht hinter Austins Geld her - ich habe selbst mehr als genug."
„Und warum sollte ich Ihnen das glauben?"
Himmel! Am liebsten hätte er einen großen Schritt auf sie zugemacht und sich drohend vor ihr aufgebaut. Ob sie ihn dann immer noch so geringschätzig behandeln würde?
Im nächsten Moment erschrak er. Wie zur Hölle kam er nur auf eine solche Idee? Nie im Leben hatte er eine Frau grob behandelt.
Als er jetzt in ihr niedliches Gesicht mit der kämpferischen Miene blickte, hätte er beinahe geschnaubt. Diese kleine Maus würde wahrscheinlich die Polizei rufen, sollte er auch nur einen falschen Schritt machen. Zu Recht, wenn man bedachte, dass sie allein mit ihm in ihrem Haus war - mit einem Fremden, dem sie nicht über den Weg traute.
Es wäre wirklich das Tüpfelchen auf dem verdammten i, wenn jetzt auch noch sein Halbbruder Max reingeschneit käme, um ihn festzunehmen. Der Mistkerl würde ihn mit Begeisterung ins Kittchen stecken, so viel stand fest.
Jake atmete tief durch. „Ich verlange nicht, dass Sie mir glauben, aber im Interesse der guten Sache tue ich Ihnen einen Gefallen." Er fischte eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und reichte sie ihr. „Das ist die Nummer meiner Assistentin - rufen Sie sie an, dann soll sie Ihnen meine letzten Bankauszüge zufaxen." Er sah sie direkt an. „Wir haben hier einige echte Probleme zu lösen. Dass ich meinem Kind Geld stehlen könnte, ist aber keins davon." Wieder verschränkte sie die Arme unter ihren kleinen Brüsten.
„Was wollen Sie von mir?"
Ihre Stimme klang ruhig, seine Schultern entspannten sich. „Sie sind Austin offensichtlich sehr wichtig. Ich möchte, dass Sie zwischen uns vermitteln."
Sie lachte ihm ins Gesicht. „Wie in aller Welt kommen Sie darauf, dass ich das tun würde?"
„Weil ich bereit bin, die nächsten ein oder zwei Monate hierzubleiben, damit er das Schuljahr abschließen kann. Danach werden wir auf jeden Fall nach Manhattan ziehen." Er strich sich durchs Haar. „Ich bilde mir nicht ein, dass er sich darüber besonders freuen wird. Aber wenn er Ihnen irgendetwas bedeutet, dann helfen Sie ihm. Sie können natürlich auch weiterhin kratzbürstig sein und es ihm dadurch umso schwerer machen. Ich schätze, das ist Ihre Entscheidung."
„Na schön, ich werde darüber nachdenken."
Eine Weile sah sie ihn an, dann senkte sie diese unglaublichen Wimpern über ihre kaffeebraun schimmernden Augen.
„Austin zuliebe", betonte sie. „Egal wie ich mich entscheide, ich tue das nicht für Sie."
„Was Sie nicht sagen", murmelte er und streckte ihr die Hand hin, um den Deal zu besiegeln. Ihre schmalen Finger waren warm, ihr Griff fest.
Auf die Wirkung bei der Berührung, die wie ein Stromschlag durch seinen Körper jagte, war er nicht vorbereitet. Dennoch gelang es ihm, sich nichts anmerken zu lassen und sein eigentlich immer funktionierendes schiefes Lächeln aufzusetzen.
„Glauben Sie mir, ich würde keine Sekunde lang etwas anderes annehmen."
Copyright © 2012 by Susan Andersen
Sie vermutete Ersteres, da jeder Mann, den sie kannte, sich lieber kastrieren ließe, als mit einem Dutzend Stanniolpapierstreifen auf dem Kopf gesehen zu werden. Zwar hatte sie bisher noch keinen leibhaftigen metrosexuellen Großstadttypen kennengelernt, war aber ziemlich sicher, dass dieser Prachtkerl nicht zu der Sorte gehörte.
Seine gebräunten Hände waren zu rau, seine Haut wirkte ein wenig zu verwittert. Seine Schultern unter dem schicken grauen Jackett waren muskulös, unter der Jacke trug er ein olivgrünes Kapuzenshirt. Seine Levi's mit geknöpftem Hosenschlitz schien schon einiges durchgemacht zu haben.
Die Augen konnte sie hinter den Gläsern seiner Sonnenbrille nicht erkennen, doch hatte er den herrlichsten Mund, den sie jemals bei einem Mann gesehen hatte, voll, jedoch mit klaren Konturen. Leicht vorstellbar, wie diese Lippen einen küssten.
„Ist deine Mutter da?"
„Im Ernst jetzt?" Schön, das war vielleicht nicht die höflichste Antwort, aber bitte! Sie hatte sich schließlich gerade vorgestellt, was er mit seinen Lippen alles anstellen konnte, während Marvin Gaye in ihrem Kopf dazu leise „Let's Get It On" sang. Dass er sie für ein Kind hielt, hatte auf sie die gleiche Wirkung, als würde man mit einer Nadel über eine Vinyl-Schallplatte kratzen. Ihr kleiner Tagtraum - woher zum Teufel der auch immer gekommen war - zerplatzte wie eine Seifenblase.
Nach einem überraschten Blick musterte er sie genauer. Dann verzog er die Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Oh, tut mir leid. Ihre Größe hat mich einen Moment in die Irre geführt. Sie sind kein Kind."
„Ach, meinen Sie?"
Sein Lächeln wurde breiter. „Ich bin wohl nicht der Erste, der diesem Irrtum erliegt."
Okay, reiß dich zusammen, Schwester. Was war denn überhaupt ihr Problem? Normalerweise war sie nicht scharf auf fremde Männer. Und da sie seit ihrem sechzehnten Lebensjahr in der Tourismusbranche arbeitete, neigte sie auch nicht dazu, Leute mit schneidendem Sarkasmus zu begrüßen.
Zumindest keine Leute, die ich nicht kenne.
Innerlich zuckte sie ungeduldig mit den Schultern. Vielleicht handelte es sich bei ihm ja um einen Gast. Zwar war momentan so gut wie nichts los, weshalb sie es gewagt hatte, Abby an der Rezeption allein zu lassen und sich endlich mal einen freien Tag zu gönnen. Abs, wie sie genannt wurde, war noch feucht hinter den Ohren. Vermutlich hatte das Mädchen ohne Bedenken den Weg zu ihrem Haus auf einem der Hotelstadtpläne eingezeichnet, damit dieser Fremde sich auch bloß ja nicht verlief.
Jenny setzte ein freundliches Gesicht auf. „Kann ich Ihnen helfen?"
Er blickte zu ihr hinunter. „Ja. Man sagte mir, ich könnte Jenny Salazar hier finden."
„Sie haben sie gefunden."
„Ich komme wegen Austin Bradshaw, es geht um die Vormundschaft."
Jennys Herz begann schneller zu schlagen, doch sie sagte nur: „Sie sehen nicht aus wie ein Anwalt."
„Bin ich auch nicht. Mr Verilla hat mir erklärt, dass Sie die Person sind, mit der ich sprechen muss."
Seufzend trat sie einen Schritt zurück. „Dann kommen Sie wohl besser herein. Bitte entschuldigen Sie das Durcheinander. Ich habe heute meinen Putztag."
Ihr Cottage war winzig, es dauerte nur ungefähr fünf Sekunden, bis man mitten im Wohnzimmer stand. Sie drehte sich zu ihm um und stellte fest, dass er die Sonnenbrille abgenommen und einen Brillenbügel in den Ausschnitt seines Sweatshirts geklemmt hatte. Als sie den Blick von seinem kräftigen, gebräunten Hals nach oben gleiten ließ, blickten sie sich zum ersten Mal in die Augen.
Ein Zittern lief durch ihren Körper. Oh Gott! Sie kannte nur einen einzigen Menschen auf der Welt, der eine derart hellgrüne Iris hatte - die gleiche Farbe wie die Seichtgewässer im Hood Canal.
Austin.
Wut packte sie, schnell und umfassend, und sie richtete sich zu ihrer wenig beeindruckenden vollen Größe auf. „Lassen Sie mich raten", sagte sie mit Eiseskälte in der Stimme. „Sie müssen Jake Bradshaw sein."
Als sie ihn jetzt ansah, konnte sie nichts mehr von gutem Aussehen und Sex- Appeal entdecken. Sie musste vielmehr daran denken, wie oft Austin gehofft hatte, sein Vater würde anrufen oder vorbeikommen, und an die schreckliche Enttäuschung jedes Mal. Verächtlich verzog sie den Mund. „Wirklich toll von Ihnen, dass Sie endlich mal eine Minute Ihrer kostbaren Zeit für Ihr Kind opfern."
Seit über einem Jahrzehnt gehörte es nun schon zu seinem Job, sich mit allen möglichen Leuten herumzuschlagen, und Jake hatte vor langer Zeit gelernt, sich über nichts mehr aufzuregen. Aus irgendeinem Grund ging ihm das Benehmen dieses weiblichen Zwergs trotzdem ziemlich gegen den Strich. Etwas, das er verdammt noch mal überhaupt nicht begreifen konnte.
Die Frau war vielleicht gerade mal eins sechzig groß, ihr glänzendes dunkles Haar trug sie zu zwei mädchenhaften Zöpfen geflochten, aus denen sich ein paar lange Strähnen gelöst hatten - nicht sonderlich erwachsen. Sie hatte kaum Rundungen, eine klare Haut mit einem Stich ins Olivfarbene und braune Augen, so dunkel, dass das Weiß drum herum im Kontrast dazu beinah bläulich wirkte, schön geschwungene dunkle Augenbrauen und eine schmale Nase mit einem leichten Höcker.
Er runzelte die Stirn. „Was zum Teufel glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, Lady?"
Okay, das hatte er nicht sagen wollen. Aber wieder in Razor Bay zu sein, wo er einen Großteil seiner Jugend damit verbracht hatte, Fluchtpläne zu schmieden, das machte ihm gehörig zu schaffen. Zudem war er nach der fast zweitägigen Reise von Minahasa über Davao, Manila, Vancouver und Seattle fix und fertig. Ganz zu schweigen von der Anspannung, weil er seinen Sohn nach all diesen Jahren wiedersehen und zum ersten Mal die Verantwortung für ihn übernehmen würde.
Nur zu verständlich also, dass er auf die Ablehnung in ihrem Ton und auf die Tatsache, dass ihm schon wieder jemand wegen Austin Vorhaltungen machte, entsprechend reagierte.
Er schob diese negativen Gefühle beiseite und fragte in einigermaßen freundlichem Ton: „Warum genau glauben Sie, das Recht zu haben, über mich zu urteilen?" Das hatte er weiß Gott selbst bereits oft genug getan, dafür brauchte es nun wirklich keine kleinwüchsige Fremde.
Er sah, wie sie die Arme vor der Brust verschränkte und angriffslustig das Kinn hob.
„Nun, lassen Sie mich überlegen", entgegnete sie kühl. „Vielleicht, weil ich die Frau bin, die in den letzten elf Jahren für Austin da gewesen ist, und ich Sie heute zum ersten Mal zu sehen bekomme."
Jake hätte am liebsten aufgeheult, so unfair war ihr Vorwurf. Allerdings, wirklich falsch lag sie ja nicht. Auf der endlos erscheinenden Reise hierher hatte er genug Zeit zum Nachdenken gehabt. Aber er hatte nicht vor, sich einer vollkommen Fremden gegenüber zu verteidigen.
Zudem wollte er auf keinen Fall das Ansehen von Austins Großeltern beschädigen. Erstens, weil sein eigener Vater sich so verhalten hätte - er hätte nur an sich selbst gedacht und nicht etwa daran, dass sein Sohn diese Leute geliebt hatte - und zweitens war er Emmett und Kathy dankbar dafür, dass sie den Job übernommen hatten, den er nicht hatte übernehmen wollen.
Sie hatten Austin beschützt, leider Gottes auch vor ihm. Tja, Pech gehabt, find dich damit ab, du Genie.
Irgendwo über Midway Island war ihm aufgegangen, dass Emmett und Kathy anfangs eigentlich ziemlich nachsichtig mit ihm gewesen waren. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie ihn endgültig aus Austins Leben verbannt hatten.
Das war aber gar nicht der Punkt - zumindest nicht in diesem Moment. Der Punkt war, dass er endlich tat, was er schon vor Jahren hätte tun sollen: sich der Verantwortung stellen.
Also los.
Leider änderte sein Entschluss nichts daran, wie sehr das Verhalten dieser Frau vor ihm an seinen Nerven zerrte. Er trat unwillkürlich einen Schritt auf sie zu.
„Tatsache ist, dass ich Austins Vater bin und dass ich jetzt hier bin."
Damit hatte sie wohl nicht gerechnet, denn ihre langen, dichten Wimpern senkten sich, die zarten Lider legten sich kurz über ihre mandelförmigen Augen, dann sah sie ihn wieder an.
Das Ganze dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Hatte sie seine aufgestaute Wut bemerkt? Jake richtete sich langsam auf. Verdammt. Sie befürchtete doch nicht etwa, dass er sie schlagen würde.
Er trat einen großen Schritt zurück und stopfte die Hände in die Hosentaschen. In dem Moment flog die Hintertür laut polternd auf - und so, wie die kleine Miss Salazar zusammenzuckte, wusste er genau, wer da gekommen war. Sein Herz begann heftig zu hämmern, während er zur Küchentür starrte.
„Hey, Jenny", hörte er eine jungenhafte Stimme aus der Küche. „Ich bin zu Hause."
Die Kühlschranktür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen, dann knallte etwas Blechernes auf einen harten Untergrund.
„Hey, Alter, lass mir noch einen Keks übrig!"
„Tausche einen gegen die Milch", erklang eine zweite Jungenstimme.
„Ihr solltet lieber Gläser nehmen!", rief Jenny warnend. „Wenn ihr direkt aus dem Karton trinkt, seid ihr tot!"
Gläser klirrten und eine Schranktür schlug zu. Danach herrschte einen Moment Stille und zwei Jungs kamen ins Zimmer gestapft. Der erste war hoch aufgeschossen, mit dunklen Haaren und - gütiger Herr im Himmel - genauso schlaksig wie er selbst in dem Alter.
Oh Gott, oh Gott. Jakes Mund wurde trocken und aus war es mit seiner Fähigkeit, immer alles um sich herum im Auge zu behalten - damit er nicht von einer Schlange gebissen, einem Insekt gestochen oder einem Tier zerfleischt wurde, das viel mehr Gewicht, Kraft und Zähne als er selbst hatte. Der gemütliche kleine Raum und alles darin verschwanden aus seinem Blickfeld, es existierte nichts weiter als sein Sohn.
Mein Sohn.
Von Glück und Panik überwältigt, von Schmerz und Bedauern, starrte Jake ihn an. Ein Gefühl, das er nie zuvor gekannt hatte, drückte auf seine Brust. Jesus. Er zitterte. Niemals hätte er gedacht, dass diese Begegnung ihm so viel bedeuten, ihn so tief treffen würde. Fühlte Liebe sich etwa so an?
Bei diesem Gedanken richtete er sich auf. Zum Teufel, nein.
Das konnte nicht sein. Erstens: Er war ein Bradshaw und was die Bradshaw- Männer unter Liebe verstanden, war so verdreht, dass es diese Bezeichnung in keiner Weise verdiente. Und zweitens: Ein Mann musste jemanden doch erst mal kennen, bevor er mit dem Wort Liebe herumspielen durfte.
Er holte tief Luft. Wahrscheinlich handelte es sich schlicht um ein Wunder, dass sein Sohn bereits so groß war. Er hatte Bilder von Austin als Zweijährigen und als Vierjährigen vor Augen. Himmel, auch als Sechsjährigen - so alt war er auf dem letzten Foto gewesen, das Kathy ihm geschickt hatte.
Das hier war kein kleines Kind - das war fast schon ein Erwachsener. Nicht, dass er nicht wüsste, wie alt der Junge war, natürlich wusste er das.
Er hatte einfach keine klare Vorstellung von seinem Sohn im Kopf gehabt.
Damals hatte er sich immer wieder gesagt, dass er das Richtige tat - hatte sich eingeredet, dass es Austin bei seinen Großeltern besser ging, die dem Jungen, im Gegensatz zu ihm, ein stabiles, strukturiertes Leben bieten konnten. Und er hatte recht gehabt.
Zu sehen, was er da gleichgültig einfach so weggeworfen hatte, ohne auch nur einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden, brach ihm jetzt fast das Herz.
Der Junge, der keine Ahnung von den Schuldgefühlen hatte, die ihn zu übermannen drohten, steuerte direkt auf Jenny zu und beachtete ihn überhaupt nicht.
„Kann ich heute bei Nolan übernachten?", fragte er. „Seine Mom ist einverstanden."
Sein Blick streifte Jake desinteressiert, dann wandte er sich wieder an Jenny: „Sie bestellt Pizza bei ,Bella T's‘. Nolan hat ein neues X-Box-Spiel, das wir ausprobieren wo..."
Auf einmal riss er den Kopf herum, um ihn anzustarren.
„Wer zum Teufel sind Sie?", fragte er, wobei sein erschütterter Gesichtsausdruck erkennen ließ, dass er es bereits wusste.
Jake schluckte, darum bemüht, trotz des Aufruhrs in ihm ruhig zu bleiben. Beinahe automatisch sagte er: „Dein Dad. Ich ..."
Der Junge unterbrach ihn, indem er verächtlich schnaubte.
„Von wegen. Falls Sie es nicht wissen ... und ich vermute, Sie wissen es nicht, weil ich Sie heute zum ersten Mal sehe ..." Geringschätzung sprach aus jedem einzelnen seiner Worte. „Ich bin dreizehn. Weder brauche noch will ich einen Dad in meinem Leben." Er drehte sich zu Jenny um und durchbohrte sie verärgert mit seinem Blick. „Kann ich jetzt bei Nolan übernachten oder nicht?"
Jake sah, wie sie eine Hand hob, um dem Jungen über die Wange zu streichen, sich dann aber sichtlich zusammenriss und es ließ. Ihr war wohl klar geworden, dass Austin sich für diese Zurschaustellung von Zärtlichkeit schämen würde. Stattdessen nickte sie und sagte: „Sicher."
Ohne ein weiteres Wort - und ohne auch nur einen Blick in seine Richtung zu werfen - machte der Teenager auf dem Absatz kehrt und verschwand mit seinem Freund aus dem Wohnzimmer. Als er nach höchstens einer Minute zurückkam, steckte eine Zahnbürste in seiner Hosentasche. In einer Hand hielt er eine lange Pyjamahose.
„Braucht ihr Geld für die Pizza?", fragte Jenny.
„Nö", antwortete der andere Junge. „Die übernimmt meine Mom."
Austin steuerte auf die Küche zu, Nolan direkt auf seinen Fersen.
„Hey, warte mal kurz!" Jake trat vor, doch die beiden Teenager waren bereits zur Hintertür hinausgestürmt. Er wusste nicht, ob er Enttäuschung oder Erleichterung verspürte.
Was immer es auch war, es warf ihn beinahe um. Gott, er hatte sich dieses erste Treffen vermutlich hundert Mal vorgestellt, seit er von Kathys und Emmetts Tod erfahren hatte, und sich mindestens genauso viele Szenarien ausgemalt. So etwas wie gerade war ihm allerdings nicht in den Sinn gekommen. Er hatte sich auf die Wut seines Sohnes eingestellt, darauf, mit zornigen Fragen bombardiert zu werden, die er wahrscheinlich nicht zufriedenstellend beantworten konnte.
Doch niemals hätte er damit gerechnet, einfach so stehen gelassen zu werden. Er sah Jenny an. „Soll das vielleicht ein Witz sein? Sie lassen ihn gehen?"
„Was erwarten Sie denn?" Ihre Stimme war kalt, ihr Blick sogar noch kälter. „Austin hat gerade den Mann kennengelernt, der nie da gewesen ist, wenn er ihn am nötigsten gebraucht hat. Diese Tatsache muss er erst mal verdauen."
Ja. Wahrscheinlich schon. Der Junge hatte es selbst gesagt, er war dreizehn - und in wenigen Jahren erwachsen. Und er, ein typischer Bradshaw, hatte die Chance vertan, ihm ein Vater zu sein.
Nein. Jake straffte die Schultern. Zur Hölle damit. Frühestens in fünf Jahren würde Austin auch nur ansatzweise als Erwachsener durchgehen. Egal, wie viel Zeit er verloren hatte, ab jetzt konnte er der Mann sein, der er längst hätte sein sollen. Der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung war, irgendwie eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen.
Austins Reaktion nach zu schließen würde das nicht leicht werden. Tja, na und? Er hatte harte Arbeit noch nie gescheut.
Und doch. Verdammt schade, dass der Junge zu alt war, um ihm ein Pony zu schenken.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Jenny. „Ich stimme Ihnen zu, dass er Zeit braucht, das zu verdauen, aber eines möchte ich klarstellen. Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen und alles Nötige eingeleitet, um das Sorgerecht für meinen Sohn zu bekommen."
„Nein."
Sie starrte ihn an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen.
„Doch. Mein Anwalt setzt gerade, während wir hier sprechen, die Dokumente auf. Ich muss sie nur noch unterschreiben, wenn ich zurück in Manhattan bin. Und dann wird Austin dort sein, wo er hingehört. Bei mir." Okay, es war wahrscheinlich nicht clever, ihr das so direkt zu sagen - sie schien durchaus in der Lage zu sein, ihn mit aller Gewalt davon abzuhalten und es wie einen Unfall aussehen zu lassen.
In ihren Augen lag jedoch keine Mordlust, sondern etwas anderes. Sie wirkte am Boden zerstört. Kreuzunglücklich.
Da er sehr gut wusste, wie sich das anfühlte, sagte er sanft: „Hören Sie, ich habe nicht vor, Austin einzupacken und mit ihm wegzulaufen." Wobei seine erste Reaktion auf die Nachricht, dass Emmett und Kathy gestorben waren, genauso ausgesehen hatte: nach Hause fahren, Austin auffordern zu packen und ihn dann dahin zu schleifen, wo er für sich ein Leben aufgebaut hatte - zumindest für die paar Monate im Jahr, die er im Land war.
Das würde er natürlich nicht tun, er wollte auf keinen Fall wie sein Vater sein. „Ich bin nicht hier, um ihn einfach so aus seinem gewohnten Umfeld zu reißen. Ich weiß, dass er Zeit braucht, sich an mich zu gewöhnen und mich kennenzulernen."
Sie atmete erleichtert auf und es ärgerte ihn, dass es ihm wichtig war, ihr die Angst zu nehmen. Schließlich war es für alle Beteiligten besser, keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen.
„Nicht, dass Sie mich missverstehen", fuhr er mit seiner kühlsten Stimme fort. „Mein Leben spielt sich in New York ab und dorthin werden wir auch ziehen. Ich bleibe nur eine Weile hier, damit mein Sohn sich an den Gedanken gewöhnen kann. In der Zwischenzeit werde ich herausfinden, was mit Emmetts Vermögen geschieht." Als ihr Blick misstrauisch wurde, kniff er die Augen zusammen. „Fangen Sie bloß nicht so an. Ich bin nicht hinter Austins Geld her - ich habe selbst mehr als genug."
„Und warum sollte ich Ihnen das glauben?"
Himmel! Am liebsten hätte er einen großen Schritt auf sie zugemacht und sich drohend vor ihr aufgebaut. Ob sie ihn dann immer noch so geringschätzig behandeln würde?
Im nächsten Moment erschrak er. Wie zur Hölle kam er nur auf eine solche Idee? Nie im Leben hatte er eine Frau grob behandelt.
Als er jetzt in ihr niedliches Gesicht mit der kämpferischen Miene blickte, hätte er beinahe geschnaubt. Diese kleine Maus würde wahrscheinlich die Polizei rufen, sollte er auch nur einen falschen Schritt machen. Zu Recht, wenn man bedachte, dass sie allein mit ihm in ihrem Haus war - mit einem Fremden, dem sie nicht über den Weg traute.
Es wäre wirklich das Tüpfelchen auf dem verdammten i, wenn jetzt auch noch sein Halbbruder Max reingeschneit käme, um ihn festzunehmen. Der Mistkerl würde ihn mit Begeisterung ins Kittchen stecken, so viel stand fest.
Jake atmete tief durch. „Ich verlange nicht, dass Sie mir glauben, aber im Interesse der guten Sache tue ich Ihnen einen Gefallen." Er fischte eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und reichte sie ihr. „Das ist die Nummer meiner Assistentin - rufen Sie sie an, dann soll sie Ihnen meine letzten Bankauszüge zufaxen." Er sah sie direkt an. „Wir haben hier einige echte Probleme zu lösen. Dass ich meinem Kind Geld stehlen könnte, ist aber keins davon." Wieder verschränkte sie die Arme unter ihren kleinen Brüsten.
„Was wollen Sie von mir?"
Ihre Stimme klang ruhig, seine Schultern entspannten sich. „Sie sind Austin offensichtlich sehr wichtig. Ich möchte, dass Sie zwischen uns vermitteln."
Sie lachte ihm ins Gesicht. „Wie in aller Welt kommen Sie darauf, dass ich das tun würde?"
„Weil ich bereit bin, die nächsten ein oder zwei Monate hierzubleiben, damit er das Schuljahr abschließen kann. Danach werden wir auf jeden Fall nach Manhattan ziehen." Er strich sich durchs Haar. „Ich bilde mir nicht ein, dass er sich darüber besonders freuen wird. Aber wenn er Ihnen irgendetwas bedeutet, dann helfen Sie ihm. Sie können natürlich auch weiterhin kratzbürstig sein und es ihm dadurch umso schwerer machen. Ich schätze, das ist Ihre Entscheidung."
„Na schön, ich werde darüber nachdenken."
Eine Weile sah sie ihn an, dann senkte sie diese unglaublichen Wimpern über ihre kaffeebraun schimmernden Augen.
„Austin zuliebe", betonte sie. „Egal wie ich mich entscheide, ich tue das nicht für Sie."
„Was Sie nicht sagen", murmelte er und streckte ihr die Hand hin, um den Deal zu besiegeln. Ihre schmalen Finger waren warm, ihr Griff fest.
Auf die Wirkung bei der Berührung, die wie ein Stromschlag durch seinen Körper jagte, war er nicht vorbereitet. Dennoch gelang es ihm, sich nichts anmerken zu lassen und sein eigentlich immer funktionierendes schiefes Lächeln aufzusetzen.
„Glauben Sie mir, ich würde keine Sekunde lang etwas anderes annehmen."
Copyright © 2012 by Susan Andersen
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Autoren-Porträt von Susan Andersen
Susan Andersen hat, wie sie selbst sagt, eine Reihe von hochinteressanten Hobbies: ihren Ehemann, einen erwachsenen Sohn, Ski fahren, Modeschmuck, Inline-Skating, ihren Kater und, last but not least, ihre Bücher. Doch am liebsten verbringt sie ihre Zeit beim Schreiben. Mit großem Erfolg: Regelmäßig klettern ihre Romane auf die amerikanischen Bestsellerlisten! Susan Andersen lebt mit ihrer Familie an der Pazifikküste Washingtons.Bibliographische Angaben
- Autor: Susan Andersen
- 2013, 304 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Tess Martin
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862787354
- ISBN-13: 9783862787357
- Erscheinungsdatum: 12.06.2013
Rezension zu „Verküsst & zugenäht! “
Susan Andersen schreibt wahnsinnig gute Romane! Romantic Times Reviews Eine kluge, berührende und mutige Geschichte, gekrönt von einem kleinen Geheimnis, einer verletzlichen, starken Heldin und einem ebensolchen Helden, serviert mit Mitgefühl und Humor. Library Journal über Mister Cool und Lady Crazy
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