Verloren in deiner Sehnsucht
Roman
Antonia, die Herzogin von Warneham, hat den Männern abgeschworen. Doch dann begegnet sie Gareth.
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Produktinformationen zu „Verloren in deiner Sehnsucht “
Antonia, die Herzogin von Warneham, hat den Männern abgeschworen. Doch dann begegnet sie Gareth.
Klappentext zu „Verloren in deiner Sehnsucht “
Mit ihrer würdevollen Zurückhaltung hält die schöne Antonia, Herzogin von Warneham, Verehrer auf Abstand. Zum zweiten Mal verwitwet, hat sie der Ehe abgeschworen und will ihre Freiheit niemals mehr aufgeben. Aber als der natürliche Tod des Herzogs angezweifelt wird, muss sie ihr Schicksal erneut in die Hände eines Mannes legen: Gareth Lloyd, einziger Erbe des Herzogtitels von Warneham und des dazugehörenden Anwesens. Dieser tritt nur widerwillig sein Erbe an, bis er zum ersten Mal auf Antonia trifft. Die junge Witwe seines Ziehvaters verzaubert ihn bereits bei der ersten Begegnung, und seine Gefühle für sie erschüttern ihn bis ins Mark. Doch kann eine solche Liebe eine Chance haben?
Lese-Probe zu „Verloren in deiner Sehnsucht “
Verloren in deiner Sehnsucht von Liz Carlyle... mehr
Prolog
Die seltsame Geschichte der Familie Ventnor begann mit einem Verräter, und es sollte ein gutes Jahrhundert dauern, bis sie ein Ende fand. Die Ventnors waren von überwiegend normannischem Blut und so überzeugt von sich, dass sie kaum außerhalb ihrer Familie heirateten. Auch Mathilde Ventnor war keine Ausnahme. Im fortgeschrittenen Alter von fünfzehn Jahren heiratete sie pflichtbewusst ihren Cousin zweiten Grades, den dritten Duke of Warneham, und gebar ihm in den nächsten Jahren eine so außerordentliche Zahl an Kindern, dass selbst die Ventnors beeindruckt waren.
Alles war in Ordnung bis zu einem kalten Novembertag im Jahre 1688, als der Duke, bekannt als überzeugter Königstreuer, die wohlüberlegte Entscheidung traf, seinen König und - je nachdem, wen man fragte -sein Land zu verraten. Eine verfluchte Rebellion drohte, und der König stand kurz davor, von den Protestanten verdrängt zu werden, die ihm seit seiner umstrittenen Krönung im Nacken saßen. Die Ventnors waren keine Katholiken, sondern gottesfürchtige Opportunisten, die der Lehre der unverfrorenen Anmaßung anhingen. In Anbetracht der Lage floh der Duke nach Salisbury - viele andere von höherem und niedrigerem Rang als er waren ihm bereits vorausgegangen - und schlug sich auf die andere Seite. Die Seite der Gewinner.
Warneham hatte viel, für das zu leben es sich lohnte. Seine Besitzungen gehörten zu den größten Englands, obwohl deren Bestand in der Familie nicht gesichert war. Trotz ihrer bemerkenswerten Fruchtbarkeit hatte Mathilde bislang das Pech gehabt, ausschließlich Töchter zur Welt zu bringen - sechs an der Zahl, jede von ihnen auffallend hübsch. Und jede vollkommen nutzlos. Warneham brauchte einen Sohn, und er brauchte einen Sieg.
Moralisch überzeugt von seiner Entscheidung führte der Duke die Gruppe der Abtrünnigen an, erklomm ein laubübersätes Hügelchen und erblickte mit Erleichterung das Banner William von Oraniens, das in der Brise flatterte. Daneben standen Williams edle Anhänger, riefen laut Warnehams Namen und winkten ihm, zu ihnen zu kommen. Der Duke war so dankbar für das herzliche Willkommen, dass er die Gräben nicht sah, die eifrige Füchse nahe des Fußes des grasbewachsenen Hügels gegraben hatten. Von Warnehams Sporen zum gestreckten Galopp angetrieben, verfing sich sein Pferd in einem der tiefen Erdlöcher und strauchelte. Der Duke landete kopfüber auf dem Lagerplatz, schlug mit dem Schädel auf, brach sich das Genick und tat somit seinen letzten Atemzug im Dienste seines neuen Königs.
Englands Glorious Revolution endete fast so schnell, wie Warneham der Tod ereilte. Wilhelm von Oranien errang einen leichten Sieg, König James floh nach Frankreich, und auf den Tag genau neun Monate später gebar Mathilde Zwillinge - beides kräftige, muntere Knaben. Niemand jedoch wagte es, darauf hinzuweisen, dass die Jungen sich nicht im Entferntesten ähnelten. War der ältere eine Miniaturausgabe seiner Mutter, ein rosiger, pummeliger Cherub, so war der zweitgeborene ein knochiges Geschöpf mit langen Beinen und einem blonden Haarschopf. Beide hatten immerhin eins gemeinsam: Sie ähnelten nicht einmal im Entferntesten dem Vater. Nein, es war ein Wunder. Ein Glücksfall.
König William und Queen Mary bestimmten, dass die Säuglinge an ihren Hof gebracht wurden, wo der König höchst selbst verkündete, dass beide Söhne dem toten Duke wie aus dem Gesicht geschnitten seien. Niemand wagte zu widersprechen, weil - nun, weil dies eine romantische Liebesgeschichte ist. Und was wäre eine Liebesgeschichte ohne einen Hauch Dramatik und eine Prise Verrat?
Warnehams erstgeborenem Sohn sicherte König William den Herzogtitel zu, dem jüngeren versprach er den Befehl über ein Regiment - und nicht nur ihm, sondern auch all seinen Nachkommen, die folgen würden. Alles als Ausdruck der Anerkennung für die Tapferkeit seines Vaters. Mit dieser Entscheidung, so sagt es die Chronik, wurde die Spaltung der Familie auf ewig festgelegt und ihr Schicksal vorbestimmt.
Der Junge, der jetzt in der Mitte der riesigen Bibliothek Warnehams stand, war sich dieser Geschichte nur allzu bewusst. Nachdem mehr als zweihundert Jahre seit den genannten Ereignissen vergangen waren, stellte die Teilung der Familie nicht nur eine Spaltung, sondern genau genommen einen unüberbrückbaren Abgrund dar. Und im nächsten Moment würde sich der Junge auch noch übergeben müssen. Auf die Schuhe der Duchess.
»Steh gerade, Junge.« Die Duchess umkreiste ihn, als begutachtete sie eine Statue. Die dünnen Absätze ihrer Schuhe klackerten laut auf dem Marmorboden.
Der Junge schluckte mühsam, die Galle brannte ihm in der Kehle. Und als wäre die fünf Meilen lange Reise am Morgen in einem nicht besonders stabilen Farmkarren noch nicht Folter genug gewesen, beugte sich die Duchess jetzt auch noch zu ihm herunter, um ihm einen harten Stoß in den Magen zu versetzen. Seine Augen weiteten sich, aber er blieb so aufrecht stehen, wie es ihm möglich war, und zwang sich, unterwürfig zu Boden zu starren.
»Nun, robust genug sieht er aus«, stellte die Duchess nachdenklich fest und warf einen kurzen Blick zu ihrem Gatten. »Er scheint kein Schwächling zu sein. Und angemessen bescheiden gibt er sich auch. Zumindest ist er nicht verwahrlost.«
»Ihr habt recht«, pflichtete der Duke seiner Gattin lässig bei. »Zudem sieht er Major Ventnor ähnlich, Gott sei Dank, vor allem mit den schlaksigen Beinen und den hellblonden Haaren.«
Die Duchess wandte der alten Frau, die den Jungen gebracht hatte, den Rücken zu. »Nun, Warneham, welche Wahl bleibt uns?«, fragte sie. »Wir dürfen die christliche Nächstenliebe nicht außer Acht lassen. Mit Verlaub natürlich, Mrs. Gottfried.« Die letzten Worte hatte sie achtlos über die Schulter gesprochen.
Die alte Frau beobachtete von ihrer Ecke aus abschätzend den Duke, der sein attraktives Gesicht vor Zweifel und Widerwillen verzog. »Christliche Nächstenliebe!«, wiederholte er. »Warum ist es nur immer die christliche Nächstenliebe, auf die geachtet werden soll, wenn man sich Unannehmlichkeiten gegenübersieht? «
Die Duchess faltete anmutig die Hände. »Ihr habt natürlich recht, Warneham«, pflichtete sie ihm bei. »Aber das Kind ist von Eurem Blut - zumindest zu einem sehr kleinen Teil.«
Der Duke schien an dem Hinweis seiner Gattin Anstoß zu nehmen. »Wohl kaum!«, widersprach er brüsk. »Er kann nicht hier bleiben, Livie. Wir können nicht zulassen, dass jemand wie er das Schulzimmer mit Cyril teilt. Was würden die Leute sagen?«
Die Duchess eilte an die Seite ihres Mannes. »Natürlich nicht, mein Lieber«, besänftigte sie ihn. »Das kommt ganz und gar nicht infrage.«
Als Mrs. Gottfried sich erhob, schmerzten ihre arthritischen Knie. Trotzdem knickste sie vor dem Ehepaar. »Habt Mitleid, Euer Gnaden«, bat sie. »Der Vater des Jungen ist im Kampf für England in Rolica den Heldentod gestorben. Gabriel hat niemanden, an den er sich sonst wenden könnte.«
»Niemanden?«, wiederholte die Duchess scharf, während sie ihr einen weiteren herablassenden Blick über die Schulter zuwarf. »Wirklich? Habt Ihr denn keine Familie in England, Mrs. Gottfried?«
Die alte Frau knickste erneut demütig. »Keine direkten Blutsverwandten, Euer Gnaden«, murmelte sie und bereitete sich da rauf vor, ihren einzigen Trumpf auszuspielen. »Aber die würden Gabriel natürlich bei sich aufnehmen und ihn als einen der unseren aufziehen - wenn das Euer Wunsch ist.«
»Nein, bei Gott, das ist es nicht!« Warneham sprang abrupt von seinem Stuhl auf und begann auf und ab zu gehen. Er war ein eleganter Mann, noch jung und dynamisch, und bewegte sich wie jemand, der in den Adelsstand hineingeboren worden war. »Ventnor sei verflucht dafür, dass er uns in eine so unerträgliche Lage gebracht hat, Livie«, fuhr er fort. »Wenn ein Mann eine unpassende Ehe eingeht, dann hat er bei Gott kein Recht, fortzuziehen und sich irgendwo im Ausland totschießenzulassen, König hin oder her. Das ist meine Meinung dazu.«
»Ganz recht, mein Lieber«, gurrte die Duchess. »Aber für Vorhaltungen ist es nun zu spät. Der Mann ist tot, und jemand muss sich um das Kind kümmern.«
»Nun, hier auf Selsdon Court kann der Junge nicht wohnen«, machte der Duke erneut seinen Standpunkt klar. »Wir müssen auch an Cyril denken. Was würden die Leute sagen?« »Dass Ihr ein anständiger Christenmensch seid?«, schlug seine Frau sanft vor, bevor sie schwieg. Dann klatschte sie plötzlich wie ein kleines Kind in die Hände. »Warneham, ich habe die Lösung! Er wird im Witwenhaus wohnen. Mrs. Gottfried kann sich um ihn kümmern, und wir können diesem seltsamen kleinen Vikar - ach herrje, wie war noch gleich sein Name?«
»Needles«, erwiderte der Duke aufgebracht.
»Ja, richtig, Needles«, sagte die Duchess. »Wir können ihm Bescheid sagen, dass er vorbeikommen und das Kind unterrichten soll.« Sie drängte ihren Mann sanft zurück auf seinen Stuhl. »So schlimm wird es nicht werden, mein Lieber. Außerdem wird es ja nur vorübergehend sein. In gut zehn Jahren kann für ihn ein Offizierspatent erworben werden, dann wird er in die Armee eintreten - so wie sein Vater und sein Großvater vor ihm.«
»Im Witwenhaus also?« Der Duke schien über den Vorschlag nachzudenken. »Das Dach ist undicht, und die Böden sind verrottet, doch ich würde meinen, wir könnten es herrichten lassen. «
In der Mitte des Zimmers stand der Junge so still und starr, wie er es vermochte. Er versuchte einem Soldaten zu ähneln - seinem Vater. Dieses Zusammentreffen, das wusste er, war seine einzige Hoffnung. Und wäre es ihm nicht bewusst gewesen, so hätten die Tränen und Gebete seiner Großmutter heute Morgen, bevor sie das heruntergekommene Gasthaus verlassen hatten, es ihm deutlich gemacht. Er schluckte seinen neun Jahre alten Stolz und die bittere Galle herunter und straffte die Schultern. »Darf ich etwas sagen, Sir?«, piepste er.
Der Kopf des Dukes fuhr in seine Richtung herum, während sich eine tödliche Stille in der Bibliothek ausbreitete. Zum ersten Mal betrachtete der Duke den Jungen von oben bis unten. »Nun«, sagte er schließlich mit Ungeduld in seiner Stimme, »dann sprich, Junge.«
»Ich . . . ich würde gern Soldat werden, Euer Gnaden«, bot er an. »Ich würde gern nach Spanien gehen, Sir, und wie mein Vater gegen Napoleon kämpfen. Bis dahin - nun, ich werde Euch keine Probleme machen, Sir. Das verspreche ich.«
Der Duke sah ihn empört an. »Keine Probleme, eh?«, sagte er. »Keine Probleme! Nun, warum bezweifle ich das nur?«
»Es wird keine Probleme geben, Sir«, wiederholte der Junge fest. »Das verspreche ich.«
Doch er konnte nicht wissen - genau genommen konnte es niemand von den Anwesenden wissen -, als welch schrecklicher Irrtum sich das Versprechen herausstellen sollte.
Kapitel 1
Die Sonne schien warm auf das duftende Gras von Finsbury Circus. Gabriel stellte seine Holztiere in einer Reihe auf die Decke. Papas schmale braune Hand senkte sich und griff nach einem davon. »Gabe, wie heißt dieses Tier?« Gabriel stellte seinen Tiger an den frei gewordenen Platz. »Frederick«, sagte er. Sein Vater lachte. »Nein, von welcher Gattung ist das Tier?«
Was für dumme Fragen sein Vater stellte! »Frederick ist ein Elefant. Du hast ihn mir aus Indien geschickt.« »Das ist richtig«, sagte Papa. Seine Mutter lachte leise. »Gabriel kennt das gesamte Tier
reich, seit er drei ist, Charles. Ich bezweifle sehr, dass du ihm noch viel darüber beibringen kannst.«
Seufzend lehnte Papa sich auf der Bank zurück. »Ich habe so viel versäumt, Ruth«, sagte er und nahm ihre Hand. »Zu viel - und ich fürchte, ich werde noch sehr viel mehr versäumen.«
Mamas Gesicht verzog sich. »Oh, Charles, ich wollte nicht -« Rasch zog sie ein Taschentuch aus ihrer Tasche und hustete dezent hinein. »Entschuldige. Ich klinge schrecklich, nicht wahr?«
Papa runzelte die Stirn. »Du musst dich um den Husten kümmern, sobald ich fort bin, meine Liebe«, ermahnte er sie. »Gabriel, wirst du Mama helfen, daran zu denken? Sie muss morgen zu Dr. Cohen gehen, keinen Tag später.«
»Ja, Sir.« Gabriel nahm einen der Affen und reichte ihn seinem Vater. Papa balancierte die kleine Holzfigur auf seiner Handfläche. »Ist der für mich?« »Das ist Henry«, erklärte Gabriel. »Er wird mit dir nach Indien zurückgehen. Als Begleitung.«
Papa steckte den Affen in seine Uniformjacke, bevor er Gabriel durch das Haar strich. »Danke, Gabe«, sagte er. »Ich werde dich ganz schrecklich vermissen. Geht es dir hier bei Zayde und Bubbe gut? Dir und Mama?«
Gabriel nickte. Seine Mutter legte die Hand auf Papas Knie. »Es ist besser, wir belassen die Dinge so, wie sie sind, bis sich alles für uns geklärt hat«, sagte sie leise. »Es ist wirklich das Beste. Stört es dich sehr?«
Papa legte seine Hand auf ihre. »Meine Liebe, mich würde nur eines stören - wenn du unglücklich wärst.«
In den Büroräumen von Neville Shipping an der Wapping Wall summte es vor Geschäftigkeit wie in einem Bienenstock. Angestellte eilten mit Verträgen, Frachtbriefen, Versicherungspolicen oder der gelegentlichen Tasse Tee die Treppen hinauf und hinunter. Londons schwüle Augusthitze trug wenig dazu bei, die Hektik zu mindern, obwohl jedes Fenster geöffnet worden war, um die Morgenbrise hereinzulassen, die gerade mal ausreichte, um den Gestank der Themse hereinzutragen.
Miss Xanthia Neville hatte sich über ihren Schreibtisch gebeugt und nahm den Geruch von gärendem Schlamm und brackigem Wasser kaum wahr. Auch das Rumpeln der Wagen der Böttcherei oder das Geschrei der Kahnführer unten am Wasser beachtete sie nicht. Nach knapp einem Jahr in Wapping war sie unempfindlich gegen jegliche Sinneseindrücke geworden. Aber diese verdammte Buchhaltung - das war eine ganz andere Sache! Entnervt warf Miss Neville den Stift auf den Tisch und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
»Gareth?« Sie schaute auf, als einer der Angestellten vorüberging. »Siddons, wo ist Gareth Lloyd? Ich brauche ihn sofort. «
Siddons knickste knapp und eilte die Treppe hinunter. Binnen Sekunden tauchte Gareth auf. Seine breiten Schultern füllten die Tür des kleinen Büros, das sie sich teilten. Für einen Moment ruhte sein Blick auf ihrem Gesicht.
»Gut Ding will Weile haben, altes Mädchen«, sagte er lakonisch und stützte die Hand lässig gegen den Türrahmen. »Kommst du mit dem Addieren nicht klar?«
»So weit bin ich noch gar nicht«, gab sie zu. »Ich kann Eastleys Abrechnungsunterlagen nicht finden, um die Summen zu übertragen. «
Langsam ging er zu ihrem Schreibtisch und zog die Papiere unter dem Stapel mit Buchungsunterlagen hervor. Xanthias Schultern sackten hinunter, als sie einen verzweifelten Blick gen Himmel warf.
Gareth betrachtete sie stumm. »Nervös?«, fragte er schließlich. »Das ist nur allzu verständlich, Zee. Morgen um diese Zeit wirst du schließlich eine verheiratete Frau sein.«
Xanthia schloss die Augen und legte eine Hand beschützend auf ihren Bauch; eine beredte, urweibliche Geste. »Ich stehe Todesängste aus«, gestand sie. »Nicht wegen der Hochzeit - ich will das alles, will Stefan von ganzem Herzen heiraten. Es ist nur . . . diese Zeremonie. Die vielen Menschen. Sein Bruder kennt wirklich jeden und hat auch jeden eingeladen. Doch ich traue mich nicht, die Heirat abzublasen . . .«
Gareth stützte sich mit der Hand auf die Rückenlehne ihres Stuhls, berührte sie jedoch nicht. Er würde sie nie wieder berühren; das hatte er sich geschworen - und dieses Mal meinte er es auch so. »Dir muss bewusst sein, dass es immer so sein wird, Zee«, sagte er ruhig. »Und das ist noch nicht das Schlimmste. Wenn du Lady Nash bist und die Leute dahinterkommen, dass du die Unverfrorenheit besitzt, für deinen Lebensunterhalt zu arbeiten, dann werden sie sagen -«
»Aber ich arbeite nicht für meinen Lebensunterhalt!«, unterbrach sie ihn. »Ich besitze eine Reederei - genauer gesagt, du und meine Familie, wir besitzen sie. Wir alle. Zusammen. Ich helfe nur dabei, den . . . Überblick zu behalten.«
»Das Haar ist zu dünn, um es zu spalten, meine Liebe«, entgegnete er. »Aber ich wünsche dir viel Glück bei dem Versuch. «
Endlich sah sie zu ihm auf, und ihr Gesicht verzog sich. »Oh, Gareth«, flüsterte sie. »Sag mir, dass alles gut werden wird.«
Er wusste, dass sie nicht von der Heirat sprach, sondern vom Geschäft, das für sie so etwas wie ihr Kind war. Genau genommen war es ihr wichtiger als jemals zuvor. »Alles wird gut werden, Zee«, versprach er. »Nächste Woche schon wirst du auf deine Hochzeitsreise aufbrechen, und wir werden hier alles fest im Griff haben. Zudem können wir noch jemanden einstellen, falls es nötig sein sollte. Ich werde jeden Tag im Kontor sein, bis du wieder zurückkommst.«
Sie lächelte schwach. »Danke«, sagte sie. »Oh, Gareth, danke. Wir werden auch nicht lange fortbleiben, das verspreche ich.«
Dann brach er seinen Schwur, sie nicht mehr zu berühren, und legte einen Finger unter ihr Kinn. »Mach dir bitte keine Sorgen, Zee«, murmelte er. »Schwör es mir. Denk an das neue und glückliche Leben, das auf dich wartet.«
Für einen Moment erstrahlte ihr Gesicht in einer Art und Weise, für die nur ein Mann verantwortlich sein konnte. »Du wirst doch morgen Vormittag dabei sein, oder?«, fragte sie fast atemlos. »In der Kirche?«
Übersetzung: Susanne Kregeloh
Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Prolog
Die seltsame Geschichte der Familie Ventnor begann mit einem Verräter, und es sollte ein gutes Jahrhundert dauern, bis sie ein Ende fand. Die Ventnors waren von überwiegend normannischem Blut und so überzeugt von sich, dass sie kaum außerhalb ihrer Familie heirateten. Auch Mathilde Ventnor war keine Ausnahme. Im fortgeschrittenen Alter von fünfzehn Jahren heiratete sie pflichtbewusst ihren Cousin zweiten Grades, den dritten Duke of Warneham, und gebar ihm in den nächsten Jahren eine so außerordentliche Zahl an Kindern, dass selbst die Ventnors beeindruckt waren.
Alles war in Ordnung bis zu einem kalten Novembertag im Jahre 1688, als der Duke, bekannt als überzeugter Königstreuer, die wohlüberlegte Entscheidung traf, seinen König und - je nachdem, wen man fragte -sein Land zu verraten. Eine verfluchte Rebellion drohte, und der König stand kurz davor, von den Protestanten verdrängt zu werden, die ihm seit seiner umstrittenen Krönung im Nacken saßen. Die Ventnors waren keine Katholiken, sondern gottesfürchtige Opportunisten, die der Lehre der unverfrorenen Anmaßung anhingen. In Anbetracht der Lage floh der Duke nach Salisbury - viele andere von höherem und niedrigerem Rang als er waren ihm bereits vorausgegangen - und schlug sich auf die andere Seite. Die Seite der Gewinner.
Warneham hatte viel, für das zu leben es sich lohnte. Seine Besitzungen gehörten zu den größten Englands, obwohl deren Bestand in der Familie nicht gesichert war. Trotz ihrer bemerkenswerten Fruchtbarkeit hatte Mathilde bislang das Pech gehabt, ausschließlich Töchter zur Welt zu bringen - sechs an der Zahl, jede von ihnen auffallend hübsch. Und jede vollkommen nutzlos. Warneham brauchte einen Sohn, und er brauchte einen Sieg.
Moralisch überzeugt von seiner Entscheidung führte der Duke die Gruppe der Abtrünnigen an, erklomm ein laubübersätes Hügelchen und erblickte mit Erleichterung das Banner William von Oraniens, das in der Brise flatterte. Daneben standen Williams edle Anhänger, riefen laut Warnehams Namen und winkten ihm, zu ihnen zu kommen. Der Duke war so dankbar für das herzliche Willkommen, dass er die Gräben nicht sah, die eifrige Füchse nahe des Fußes des grasbewachsenen Hügels gegraben hatten. Von Warnehams Sporen zum gestreckten Galopp angetrieben, verfing sich sein Pferd in einem der tiefen Erdlöcher und strauchelte. Der Duke landete kopfüber auf dem Lagerplatz, schlug mit dem Schädel auf, brach sich das Genick und tat somit seinen letzten Atemzug im Dienste seines neuen Königs.
Englands Glorious Revolution endete fast so schnell, wie Warneham der Tod ereilte. Wilhelm von Oranien errang einen leichten Sieg, König James floh nach Frankreich, und auf den Tag genau neun Monate später gebar Mathilde Zwillinge - beides kräftige, muntere Knaben. Niemand jedoch wagte es, darauf hinzuweisen, dass die Jungen sich nicht im Entferntesten ähnelten. War der ältere eine Miniaturausgabe seiner Mutter, ein rosiger, pummeliger Cherub, so war der zweitgeborene ein knochiges Geschöpf mit langen Beinen und einem blonden Haarschopf. Beide hatten immerhin eins gemeinsam: Sie ähnelten nicht einmal im Entferntesten dem Vater. Nein, es war ein Wunder. Ein Glücksfall.
König William und Queen Mary bestimmten, dass die Säuglinge an ihren Hof gebracht wurden, wo der König höchst selbst verkündete, dass beide Söhne dem toten Duke wie aus dem Gesicht geschnitten seien. Niemand wagte zu widersprechen, weil - nun, weil dies eine romantische Liebesgeschichte ist. Und was wäre eine Liebesgeschichte ohne einen Hauch Dramatik und eine Prise Verrat?
Warnehams erstgeborenem Sohn sicherte König William den Herzogtitel zu, dem jüngeren versprach er den Befehl über ein Regiment - und nicht nur ihm, sondern auch all seinen Nachkommen, die folgen würden. Alles als Ausdruck der Anerkennung für die Tapferkeit seines Vaters. Mit dieser Entscheidung, so sagt es die Chronik, wurde die Spaltung der Familie auf ewig festgelegt und ihr Schicksal vorbestimmt.
Der Junge, der jetzt in der Mitte der riesigen Bibliothek Warnehams stand, war sich dieser Geschichte nur allzu bewusst. Nachdem mehr als zweihundert Jahre seit den genannten Ereignissen vergangen waren, stellte die Teilung der Familie nicht nur eine Spaltung, sondern genau genommen einen unüberbrückbaren Abgrund dar. Und im nächsten Moment würde sich der Junge auch noch übergeben müssen. Auf die Schuhe der Duchess.
»Steh gerade, Junge.« Die Duchess umkreiste ihn, als begutachtete sie eine Statue. Die dünnen Absätze ihrer Schuhe klackerten laut auf dem Marmorboden.
Der Junge schluckte mühsam, die Galle brannte ihm in der Kehle. Und als wäre die fünf Meilen lange Reise am Morgen in einem nicht besonders stabilen Farmkarren noch nicht Folter genug gewesen, beugte sich die Duchess jetzt auch noch zu ihm herunter, um ihm einen harten Stoß in den Magen zu versetzen. Seine Augen weiteten sich, aber er blieb so aufrecht stehen, wie es ihm möglich war, und zwang sich, unterwürfig zu Boden zu starren.
»Nun, robust genug sieht er aus«, stellte die Duchess nachdenklich fest und warf einen kurzen Blick zu ihrem Gatten. »Er scheint kein Schwächling zu sein. Und angemessen bescheiden gibt er sich auch. Zumindest ist er nicht verwahrlost.«
»Ihr habt recht«, pflichtete der Duke seiner Gattin lässig bei. »Zudem sieht er Major Ventnor ähnlich, Gott sei Dank, vor allem mit den schlaksigen Beinen und den hellblonden Haaren.«
Die Duchess wandte der alten Frau, die den Jungen gebracht hatte, den Rücken zu. »Nun, Warneham, welche Wahl bleibt uns?«, fragte sie. »Wir dürfen die christliche Nächstenliebe nicht außer Acht lassen. Mit Verlaub natürlich, Mrs. Gottfried.« Die letzten Worte hatte sie achtlos über die Schulter gesprochen.
Die alte Frau beobachtete von ihrer Ecke aus abschätzend den Duke, der sein attraktives Gesicht vor Zweifel und Widerwillen verzog. »Christliche Nächstenliebe!«, wiederholte er. »Warum ist es nur immer die christliche Nächstenliebe, auf die geachtet werden soll, wenn man sich Unannehmlichkeiten gegenübersieht? «
Die Duchess faltete anmutig die Hände. »Ihr habt natürlich recht, Warneham«, pflichtete sie ihm bei. »Aber das Kind ist von Eurem Blut - zumindest zu einem sehr kleinen Teil.«
Der Duke schien an dem Hinweis seiner Gattin Anstoß zu nehmen. »Wohl kaum!«, widersprach er brüsk. »Er kann nicht hier bleiben, Livie. Wir können nicht zulassen, dass jemand wie er das Schulzimmer mit Cyril teilt. Was würden die Leute sagen?«
Die Duchess eilte an die Seite ihres Mannes. »Natürlich nicht, mein Lieber«, besänftigte sie ihn. »Das kommt ganz und gar nicht infrage.«
Als Mrs. Gottfried sich erhob, schmerzten ihre arthritischen Knie. Trotzdem knickste sie vor dem Ehepaar. »Habt Mitleid, Euer Gnaden«, bat sie. »Der Vater des Jungen ist im Kampf für England in Rolica den Heldentod gestorben. Gabriel hat niemanden, an den er sich sonst wenden könnte.«
»Niemanden?«, wiederholte die Duchess scharf, während sie ihr einen weiteren herablassenden Blick über die Schulter zuwarf. »Wirklich? Habt Ihr denn keine Familie in England, Mrs. Gottfried?«
Die alte Frau knickste erneut demütig. »Keine direkten Blutsverwandten, Euer Gnaden«, murmelte sie und bereitete sich da rauf vor, ihren einzigen Trumpf auszuspielen. »Aber die würden Gabriel natürlich bei sich aufnehmen und ihn als einen der unseren aufziehen - wenn das Euer Wunsch ist.«
»Nein, bei Gott, das ist es nicht!« Warneham sprang abrupt von seinem Stuhl auf und begann auf und ab zu gehen. Er war ein eleganter Mann, noch jung und dynamisch, und bewegte sich wie jemand, der in den Adelsstand hineingeboren worden war. »Ventnor sei verflucht dafür, dass er uns in eine so unerträgliche Lage gebracht hat, Livie«, fuhr er fort. »Wenn ein Mann eine unpassende Ehe eingeht, dann hat er bei Gott kein Recht, fortzuziehen und sich irgendwo im Ausland totschießenzulassen, König hin oder her. Das ist meine Meinung dazu.«
»Ganz recht, mein Lieber«, gurrte die Duchess. »Aber für Vorhaltungen ist es nun zu spät. Der Mann ist tot, und jemand muss sich um das Kind kümmern.«
»Nun, hier auf Selsdon Court kann der Junge nicht wohnen«, machte der Duke erneut seinen Standpunkt klar. »Wir müssen auch an Cyril denken. Was würden die Leute sagen?« »Dass Ihr ein anständiger Christenmensch seid?«, schlug seine Frau sanft vor, bevor sie schwieg. Dann klatschte sie plötzlich wie ein kleines Kind in die Hände. »Warneham, ich habe die Lösung! Er wird im Witwenhaus wohnen. Mrs. Gottfried kann sich um ihn kümmern, und wir können diesem seltsamen kleinen Vikar - ach herrje, wie war noch gleich sein Name?«
»Needles«, erwiderte der Duke aufgebracht.
»Ja, richtig, Needles«, sagte die Duchess. »Wir können ihm Bescheid sagen, dass er vorbeikommen und das Kind unterrichten soll.« Sie drängte ihren Mann sanft zurück auf seinen Stuhl. »So schlimm wird es nicht werden, mein Lieber. Außerdem wird es ja nur vorübergehend sein. In gut zehn Jahren kann für ihn ein Offizierspatent erworben werden, dann wird er in die Armee eintreten - so wie sein Vater und sein Großvater vor ihm.«
»Im Witwenhaus also?« Der Duke schien über den Vorschlag nachzudenken. »Das Dach ist undicht, und die Böden sind verrottet, doch ich würde meinen, wir könnten es herrichten lassen. «
In der Mitte des Zimmers stand der Junge so still und starr, wie er es vermochte. Er versuchte einem Soldaten zu ähneln - seinem Vater. Dieses Zusammentreffen, das wusste er, war seine einzige Hoffnung. Und wäre es ihm nicht bewusst gewesen, so hätten die Tränen und Gebete seiner Großmutter heute Morgen, bevor sie das heruntergekommene Gasthaus verlassen hatten, es ihm deutlich gemacht. Er schluckte seinen neun Jahre alten Stolz und die bittere Galle herunter und straffte die Schultern. »Darf ich etwas sagen, Sir?«, piepste er.
Der Kopf des Dukes fuhr in seine Richtung herum, während sich eine tödliche Stille in der Bibliothek ausbreitete. Zum ersten Mal betrachtete der Duke den Jungen von oben bis unten. »Nun«, sagte er schließlich mit Ungeduld in seiner Stimme, »dann sprich, Junge.«
»Ich . . . ich würde gern Soldat werden, Euer Gnaden«, bot er an. »Ich würde gern nach Spanien gehen, Sir, und wie mein Vater gegen Napoleon kämpfen. Bis dahin - nun, ich werde Euch keine Probleme machen, Sir. Das verspreche ich.«
Der Duke sah ihn empört an. »Keine Probleme, eh?«, sagte er. »Keine Probleme! Nun, warum bezweifle ich das nur?«
»Es wird keine Probleme geben, Sir«, wiederholte der Junge fest. »Das verspreche ich.«
Doch er konnte nicht wissen - genau genommen konnte es niemand von den Anwesenden wissen -, als welch schrecklicher Irrtum sich das Versprechen herausstellen sollte.
Kapitel 1
Die Sonne schien warm auf das duftende Gras von Finsbury Circus. Gabriel stellte seine Holztiere in einer Reihe auf die Decke. Papas schmale braune Hand senkte sich und griff nach einem davon. »Gabe, wie heißt dieses Tier?« Gabriel stellte seinen Tiger an den frei gewordenen Platz. »Frederick«, sagte er. Sein Vater lachte. »Nein, von welcher Gattung ist das Tier?«
Was für dumme Fragen sein Vater stellte! »Frederick ist ein Elefant. Du hast ihn mir aus Indien geschickt.« »Das ist richtig«, sagte Papa. Seine Mutter lachte leise. »Gabriel kennt das gesamte Tier
reich, seit er drei ist, Charles. Ich bezweifle sehr, dass du ihm noch viel darüber beibringen kannst.«
Seufzend lehnte Papa sich auf der Bank zurück. »Ich habe so viel versäumt, Ruth«, sagte er und nahm ihre Hand. »Zu viel - und ich fürchte, ich werde noch sehr viel mehr versäumen.«
Mamas Gesicht verzog sich. »Oh, Charles, ich wollte nicht -« Rasch zog sie ein Taschentuch aus ihrer Tasche und hustete dezent hinein. »Entschuldige. Ich klinge schrecklich, nicht wahr?«
Papa runzelte die Stirn. »Du musst dich um den Husten kümmern, sobald ich fort bin, meine Liebe«, ermahnte er sie. »Gabriel, wirst du Mama helfen, daran zu denken? Sie muss morgen zu Dr. Cohen gehen, keinen Tag später.«
»Ja, Sir.« Gabriel nahm einen der Affen und reichte ihn seinem Vater. Papa balancierte die kleine Holzfigur auf seiner Handfläche. »Ist der für mich?« »Das ist Henry«, erklärte Gabriel. »Er wird mit dir nach Indien zurückgehen. Als Begleitung.«
Papa steckte den Affen in seine Uniformjacke, bevor er Gabriel durch das Haar strich. »Danke, Gabe«, sagte er. »Ich werde dich ganz schrecklich vermissen. Geht es dir hier bei Zayde und Bubbe gut? Dir und Mama?«
Gabriel nickte. Seine Mutter legte die Hand auf Papas Knie. »Es ist besser, wir belassen die Dinge so, wie sie sind, bis sich alles für uns geklärt hat«, sagte sie leise. »Es ist wirklich das Beste. Stört es dich sehr?«
Papa legte seine Hand auf ihre. »Meine Liebe, mich würde nur eines stören - wenn du unglücklich wärst.«
In den Büroräumen von Neville Shipping an der Wapping Wall summte es vor Geschäftigkeit wie in einem Bienenstock. Angestellte eilten mit Verträgen, Frachtbriefen, Versicherungspolicen oder der gelegentlichen Tasse Tee die Treppen hinauf und hinunter. Londons schwüle Augusthitze trug wenig dazu bei, die Hektik zu mindern, obwohl jedes Fenster geöffnet worden war, um die Morgenbrise hereinzulassen, die gerade mal ausreichte, um den Gestank der Themse hereinzutragen.
Miss Xanthia Neville hatte sich über ihren Schreibtisch gebeugt und nahm den Geruch von gärendem Schlamm und brackigem Wasser kaum wahr. Auch das Rumpeln der Wagen der Böttcherei oder das Geschrei der Kahnführer unten am Wasser beachtete sie nicht. Nach knapp einem Jahr in Wapping war sie unempfindlich gegen jegliche Sinneseindrücke geworden. Aber diese verdammte Buchhaltung - das war eine ganz andere Sache! Entnervt warf Miss Neville den Stift auf den Tisch und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
»Gareth?« Sie schaute auf, als einer der Angestellten vorüberging. »Siddons, wo ist Gareth Lloyd? Ich brauche ihn sofort. «
Siddons knickste knapp und eilte die Treppe hinunter. Binnen Sekunden tauchte Gareth auf. Seine breiten Schultern füllten die Tür des kleinen Büros, das sie sich teilten. Für einen Moment ruhte sein Blick auf ihrem Gesicht.
»Gut Ding will Weile haben, altes Mädchen«, sagte er lakonisch und stützte die Hand lässig gegen den Türrahmen. »Kommst du mit dem Addieren nicht klar?«
»So weit bin ich noch gar nicht«, gab sie zu. »Ich kann Eastleys Abrechnungsunterlagen nicht finden, um die Summen zu übertragen. «
Langsam ging er zu ihrem Schreibtisch und zog die Papiere unter dem Stapel mit Buchungsunterlagen hervor. Xanthias Schultern sackten hinunter, als sie einen verzweifelten Blick gen Himmel warf.
Gareth betrachtete sie stumm. »Nervös?«, fragte er schließlich. »Das ist nur allzu verständlich, Zee. Morgen um diese Zeit wirst du schließlich eine verheiratete Frau sein.«
Xanthia schloss die Augen und legte eine Hand beschützend auf ihren Bauch; eine beredte, urweibliche Geste. »Ich stehe Todesängste aus«, gestand sie. »Nicht wegen der Hochzeit - ich will das alles, will Stefan von ganzem Herzen heiraten. Es ist nur . . . diese Zeremonie. Die vielen Menschen. Sein Bruder kennt wirklich jeden und hat auch jeden eingeladen. Doch ich traue mich nicht, die Heirat abzublasen . . .«
Gareth stützte sich mit der Hand auf die Rückenlehne ihres Stuhls, berührte sie jedoch nicht. Er würde sie nie wieder berühren; das hatte er sich geschworen - und dieses Mal meinte er es auch so. »Dir muss bewusst sein, dass es immer so sein wird, Zee«, sagte er ruhig. »Und das ist noch nicht das Schlimmste. Wenn du Lady Nash bist und die Leute dahinterkommen, dass du die Unverfrorenheit besitzt, für deinen Lebensunterhalt zu arbeiten, dann werden sie sagen -«
»Aber ich arbeite nicht für meinen Lebensunterhalt!«, unterbrach sie ihn. »Ich besitze eine Reederei - genauer gesagt, du und meine Familie, wir besitzen sie. Wir alle. Zusammen. Ich helfe nur dabei, den . . . Überblick zu behalten.«
»Das Haar ist zu dünn, um es zu spalten, meine Liebe«, entgegnete er. »Aber ich wünsche dir viel Glück bei dem Versuch. «
Endlich sah sie zu ihm auf, und ihr Gesicht verzog sich. »Oh, Gareth«, flüsterte sie. »Sag mir, dass alles gut werden wird.«
Er wusste, dass sie nicht von der Heirat sprach, sondern vom Geschäft, das für sie so etwas wie ihr Kind war. Genau genommen war es ihr wichtiger als jemals zuvor. »Alles wird gut werden, Zee«, versprach er. »Nächste Woche schon wirst du auf deine Hochzeitsreise aufbrechen, und wir werden hier alles fest im Griff haben. Zudem können wir noch jemanden einstellen, falls es nötig sein sollte. Ich werde jeden Tag im Kontor sein, bis du wieder zurückkommst.«
Sie lächelte schwach. »Danke«, sagte sie. »Oh, Gareth, danke. Wir werden auch nicht lange fortbleiben, das verspreche ich.«
Dann brach er seinen Schwur, sie nicht mehr zu berühren, und legte einen Finger unter ihr Kinn. »Mach dir bitte keine Sorgen, Zee«, murmelte er. »Schwör es mir. Denk an das neue und glückliche Leben, das auf dich wartet.«
Für einen Moment erstrahlte ihr Gesicht in einer Art und Weise, für die nur ein Mann verantwortlich sein konnte. »Du wirst doch morgen Vormittag dabei sein, oder?«, fragte sie fast atemlos. »In der Kirche?«
Übersetzung: Susanne Kregeloh
Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Bibliographische Angaben
- Autor: Liz Carlyle
- 2012, 1. Aufl., 412 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Susanne Kregeloh
- Übersetzer: Susanne Kregeloh
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404167082
- ISBN-13: 9783404167081
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