Vienna
Eva Menasse macht das Erinnern zum Ausgangspunkt des Erzählens und entwirft mit den...
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Eva Menasse macht das Erinnern zum Ausgangspunkt des Erzählens und entwirft mit den fulminanten Geschichten einer Wiener Familie mit jüdischen Wurzeln den Bilderreigen einer Epoche.
''Mein Vater war eine Sturzgeburt'': Kopfüber, wie die Hauptfigur, fällt der Leser in diesen Roman und erlebt, wie die Großmutter über ihrer Bridge-Partie beinahe die Geburt versäumt. So kommt der Vater der Erzählerin zu Hause zur Welt, ruiniert dabei den kostbaren Pelzmantel und verhilft der wortgewaltigen Familie zu einer ihrer beliebtesten Anekdoten. Hier, wo man permanent durcheinander redet und sich selten einig ist, gilt der am meisten, der am lustigsten erzählt. Fragen stellt man besser nicht, obwohl die ungewöhnliche Verbindung der Großeltern, eines Wiener Juden und einer mährischen Katholikin, im zwanzigsten Jahrhundert höchst schicksalsträchtig ist.
So verschlägt es deren drei Kinder auf der Flucht vor den Nazis in die Welt. Während der eine in England Fußballer wird und der andere sich im Dschungel von Burma als Soldat durchschlägt, geht die schöne Schwester Katzi in Kanada verloren. Über siewird später am Familientisch auffällig geschwiegen, lieber redet man vom legendären Onkel Königsbee, der mit Wortverdrehungen wie ''Das ist nicht meine Dämone'' unsterblich geworden ist. Doch als die Enkel beginnen, Fragen zu stellen, zerrinnt ihnen daseinzige Erbe, der tragikomische Geschichtenfundus, zwischen den Fingern.
Eva Menasse beeindruckt mit einem Ensemble hinreißender Figuren und unerwarteten Begebenheiten und zeigt wie nebenbei das Entstehen und den Zerfall von Familiengeschichte und Identität
Gewinner des Corine 2005. Kategorie: Rolf Heyne Debütpreis
Von der Vergangenheit bleibt nur, was erzählt wird. Eva Menasse macht das Erinnern zum Ausgangspunkt des Erzählens und entwirft mit den fulminanten Geschichten einer Wiener Familie mit jüdischen Wurzeln den Bilderreigen einer Epoche.
»Mein Vater war eine Sturzgeburt«: Kopfüber, wie die Hauptfigur, fällt der Leser in diesen Roman und erlebt, wie die Großmutter über ihrer Bridge-Partie beinahe die Geburt versäumt. So kommt der Vater der Erzählerin zu Hause zur Welt, ruiniert dabei den kostbaren Pelzmantel und verhilft der wortgewaltigen Familie zu einer ihrer beliebtesten Anekdoten. Hier, wo man permanent durcheinander redet und sich selten einig ist, gilt der am meisten, der am lustigsten erzählt. Fragen stellt man besser nicht, obwohl die ungewöhnliche Verbindung der Großeltern, eines Wiener Juden und einer mährischen Katholikin, im zwanzigsten Jahrhundert höchst schicksalsträchtig ist.
So verschlägt es deren drei Kinder auf der Flucht vor den Nazis in die Welt. Während der eine in England Fußballer wird und der andere sich im Dschungel von Burma als Soldat durchschlägt, geht die schöne Schwester Katzi in Kanada verloren. Über sie wird später am Familientisch auffällig geschwiegen, lieber redet man vom legendären Onkel Königsbee, der mit Wortverdrehungen wie »Das ist nicht meine Dämone« unsterblich geworden ist. Doch als die Enkel beginnen, Fragen zu stellen, zerrinnt ihnen das einzige Erbe, der tragikomische Geschichtenfundus, zwischen den Fingern.
Eva Menasse beeindruckt mit einem Ensemble hinreißender Figuren und unerwarteten Begebenheiten und zeigt wie nebenbei das Entstehen und den Zerfall von Familiengeschichte und Identität.
Vienna von Eva Menasse
LESEPROBE
Mein Vater war eine Sturzgeburt. Er und ein Pelzmantel wurdenOpfer der Bridgeleidenschaft meiner Großmutter, die, obwohl die Weheneinsetzten, unbedingt noch die Partie fertigspielen mußte. Bis auf eineinziges dramatisches Mal hat meine Großmutter alle Partien ihres Lebens fertiggespielt,denn eine Partie in der Mitte abzubrechen war unzumutbar. Deshalb hätte sieüber den Karten beinahe die Geburt meines Vaters versäumt. Oder besser gesagt:Deshalb wäre mein Vater beinahe unter einem mit grünem Filz bespanntenKartentisch zur Welt gekommen, was übrigens seinem Charakter und seinemLebensweg gar nicht schlecht entsprochen hätte.
Das einzige, was meiner Großmutter im Leben Freude machte,war Bridge. Sie saß, wie an fast jedem Tag seit jenem, an dem sie meinenGroßvater geheiratet hatte und aus einem kleinen mährischen Dorf nach Wiengezogen war, mit ihren Bekannten im Café Bauernfeind und spielte. Das war ihreArt, mit der Welt, die ihr selten behagte, fertig zu werden. Sie verschloßdavor die Augen, ging ins Kaffeehaus und spielte Bridge.
An jenem Tag, als mein Vater geboren wurde, verzögerte sichdie Partie. Es wurde noch Kaffee bestellt. Die Wehen schienen nicht stärker zuwerden, und die Bridge-Partnerinnen meiner Großmutter kümmerten sich ohnehin nichtdarum. Beim Abrechnen brach der rituelle Streit unter den Spielerinnen aus.Eine zahlte ihre Spielschulden nie gleich, sondern bat immer um Aufschub undstiftete dadurch Verwirrung. Dabei ging es bloß um ein paar Groschen. Manchmalgelang es einer vielleicht, einen Schilling zu gewinnen, doch den war sie amnächsten Tag bestimmt wieder los. Im gesamten gesehen gab es kein signifikantesErgebnis. Trotzdem zeterten sie und machten einander Vorhaltungen. Zwei vonihnen konnten nicht besonders gut rechnen, die anderen beiden, darunter meineGroßmutter, sahen schlecht, gaben es aber nicht zu.
Diejenige, die immer die Abrechnung führte, war eine vondenen, die nicht rechnen konnten. Sie verwechselte oft die Kolonnen, ob ausKonzentrationsmangel oder aus Unredlichkeit, weiß heute niemand mehr. Denn sieirrte sich auch zu ihren eigenen Ungunsten. Darüber hinaus hatte sie eine sehrkleine, verschnörkelte Schrift, gerade bei Ziffern.
Die dritte, die immer Kredit wünschte, war nur bereit, ihreSchuld vom vorvergangenen Tag zu bezahlen. Am vergangenen Tag hatte sie auchverloren, aber mehr. Und am meisten verlor sie an jenem Tag, an dem mein Vatergeboren werden sollte. Das nun wollte sie aber am allerwenigsten bezahlen.Von der vierten weiß ich nichts.
Der Zahlkellner vom >Bauernfeind< kam lange nicht. Erwar ein stadtbekannter Feschak, und die Damen, mit Ausnahme meiner Großmutter,pflegten mit ihm kindisch zu kokettieren. Meine Großmutter kokettierte nie.Irgend etwas in ihr war schon früh erfroren, sie war eine blasse, rotblondeSchönheit, die der Welt bloß ironische Strenge zeigte. Sie tobte nur zu Hause.Ihr Busen war sagenhaft. Der Zahlkellner vom >Bauernfeind< behandelte sieausgesucht. Er war mindestens zehn Jahre jünger als sie, und wobei sich dieBridgepartnerinnen ihn und meine Großmutter gerne vorstellten, hätten sie beiihrer Seele nicht laut gesagt, nicht einmal heimlich, zueinander. Dabei hatteder Zahlkellner vom >Bauernfeind< wahrscheinlich bloß Respekt vor derUnnahbarkeit meiner Großmutter, und sie hat ihn vielleicht niemals richtigbemerkt. Am Tag der Geburt meines Vaters bemerkte sie nur ärgerlich, daß ernicht kam. Die Damen kramten in ihren Börsen und rutschten auf den Plüschbänkenhin und her. Meine Großmutter wurde nervös. Es wurde dunkel, und die Wehenwurden stärker.
Mein Onkel, der damals sieben Jahre alt war, erwachte, als dasLicht anging. Er schlief auf einem schmalen Sofa, das quer zum Ehebett seinerEltern an dessen Fußende stand. Er erwachte, weil es plötzlich hell war undweil seine Mutter schrie. Sie lag in ihrem Pelzmantel, einem schwarzen Persianer,quer über dem Ehebett. Mein Großvater schrie auch, aber von der Tür her.Außerdem schrie mein Vater, der, wie es später immer wieder erzählt wurde,einfach herausgerutscht war und den Pelzmantel verdorben hatte.
Mein Vater schrie, weil das für ein Neugeborenes normal ist.Zeit seines Lebens würde mein Vater die Dinge gewissenhaft so machen, wie ersie für normal hielt, auch wenn ihm das objektiv selten gelingen sollte. DieEinstellung meiner Großmutter zu dieser letzten Schwangerschaft und dieseGeburt selbst erforderten es allerdings besonders, sich von Anfang an so normalwie möglich zu verhalten. Denn meine Großmutter, bereits über vierzig, hattedieses dritte Kind nicht haben wollen. Sie hatte mit Stricknadeln, heißen Sitzbädernund mit Vom-Tisch-Springen versucht, es loszuwerden. Sie erzählte das spätergern.
Aber mein Vater war den Stricknadeln ausgewichen und hattesich bei den Sprüngen angeklammert, so müsse es gewesen sein, sagte man inmeiner Familie später immer und nickte dazu. Über die heißen Bäder sagte mannichts. Er wollte es ihr dann recht machen, indem er schnell und schmerzlosherausrutschte, aber meiner Großmutter hat es selten jemand recht machen können.(...)
© 2005 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Interview mit Eva Menasse
Zunächst einmal herzlichenGlückwunsch! Für "Vienna" wurde Ihnen der Corine-Preis 2005 für das beste Debützuerkannt. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Ich freue mich natürlich riesig. Einerster Roman ist ja doch immer ein Wagnis, ein Aufbruch in eine ganz neueAusdrucksform. Das Echo auf "Vienna" war schon bisher großartig, und der Preiskrönt das jetzt noch.
"Vienna" ist voller Anekdoten undPointen. Mit Humor und Leichtigkeit schildern Sie die Geschichte einer WienerFamilie halb jüdischer, halb katholischer Abstammung. Ihre Erzählung beginntmit der Geburt des Vaters - im Jahre 1930. Sie deuten Abgründe eher an, alsdass Sie sie schildern. War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie den Roman soschreiben würden? Wie sind Sie zu dieser "Methode" gekommen?
Über die schreckliche undmörderische Geschichte des Holocaust kann meine Generation, die nicht dabeiwar, nicht mehr so schreiben wie die Zeitzeugen - das wäre entweder kitschigoder verlogen. Mich persönlich, beim Lesen oder beim Filmeanschauen, schmerztoft das mehr, was nur angedeutet wird, was ich in meinem Kopf selberzusammensetze und ergänze. Der "Humor" und die "Leichtigkeit" sind so gesehenauch Camouflage, die den Kontrast zum Drama verschärft. Denn eigentlich empfindeich "Vienna" als melancholisches Buch.
Die Distanz ist kein Vorteil, sieist einfach da, gegeben. Ich konnte mir den Zeitpunkt meiner Geburt ja nichtaussuchen. Wenn man anders rechnet, gehöre ich ja noch zur zweiten Generation,als Tochter eines direkt von Verfolgung und Vertreibung Betroffenen. Aber wieauch immer: Mein Standpunkt als Autorin ist eben nicht der, zu richten, sonderndarzustellen. Das ist nicht nur eine Generationen-, sondern auch eineTemperamentfrage.
Welche Einsichten können aktuelleDiskussionen, z.B. anlässlich von Jahrestagen, hervorbringen, die vor zehn oderzwanzig Jahren vielleicht noch nicht möglich waren?
Der Blick auf die Geschichte ändertsich unablässig. Das war zu allen Zeiten so. Ich glaube also nicht unbedingt,dass neue, bessere Einsichten entstehen, sondern man betrachtet dieVergangenheit immer unter anderen Voraussetzungen, aus einem neuen Blickwinkel.Ich finde zum Beispiel hochinteressant und sehr wichtig, dass in den letztenJahren die von den Nazis geraubte Kunst zum großen Thema wurde. Dafür hatte manbis vor kurzem wirklich keine Zeit, denn da musste es leider immer noch darumgehen, die überlebenden Opfer zu entschädigen, etwa die Zwangsarbeiter. Dasderzeitige Interesse an den privaten Fährnissen der Nazigrößen finde ichdagegen etwas befremdlich, auch wenn Breloers Film ["Speer und Er", R.G.H:] nunendlich den Mythos vom guten, unschuldigen Speer zerstört hat.
Vor "Vienna" veröffentlichten Sieein Buch über den Londoner Prozess gegen David Irving, den englischenPublizisten, der u.a. die Existenz der Gaskammern in Auschwitz, Birkenau undMajdanek leugnete. Welche Beziehung besteht für Sie zwischen der Arbeit an demfrüheren Titel und "Vienna"?
Mich interessieren, im weitestenSinne, Grenzüberschreitungen, große und kleine. Während David Irving einenpublikumswirksamen Skandal zu entfesseln versuchte, weil er sich, ein von derProvokation psychisch Abhängiger, das größtmögliche Tabu zum Attackierenausgesucht hat, versuche ich in "Vienna" die kleinen Überschreitungen zuzeigen, zum Beispiel den manifesten Antisemitismus im Österreich der 50er und60er Jahre. Aber auch, dass man mit und neben solchen Menschen leben kann, dassdas Leben ein Kompromiss ist und man nicht immer nach einem Richter despolitisch Korrekten schreien kann. Ich finde ja, es ist eine grandiose Leistungvon einigen meiner Familienmitglieder gewesen, aus der Emigration zurückzukommen,zu sehen, dass sich wenig verändert hat, dass viele Österreicher derKriegsgeneration kaum etwas gelernt hatten, aber trotzdem dazubleiben, sichnicht brechen zu lassen, durch ihre schiere Rückkehr ein Symbol eines neuenAnfangs zu sein.
Nach einem so erfolgreichen Debütstellt sich unweigerlich die Frage: Wie geht es weiter? Gibt es schon konkretePläne für neue Buchprojekte?
Konkret ist allein der Plan, unbedingt ein nächstes Buch zuschreiben. Aber was den Stoff betrifft, habe ich zwar ein paar Ideen, aber nochnichts, worüber es sich schon zu reden lohnt.
Die Fragen stellteRoland Große Holtforth, Literaturtest.
- Autor: Eva Menasse
- 2007, 11. Aufl., 432 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462034650
- ISBN-13: 9783462034653
- Erscheinungsdatum: 14.02.2005
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