Vom Sinn des Lebens, der Liebe und dem Aufräumen von Schränken
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"Ich denke", schreibt ihre Verlegerin Viviane Hamy, "wer Fred Vargas ein ganz klein wenig begreifen will, sollte diesen Text lesen, wie sie ihn in sieben Tagen und sieben Nächten niedergeschrieben hat, sollte ihn lesen mit ebensoviel Abstand wie Scharfblick, lachend und mit Tränen in den Augen."
Vom Sinn des Lebens, der Liebe unddem Aufräumen von Schränken von Fred Vargas
LESEPROBE
Text fürInternet
Und ambesten sollen Sie auch gleich wissen, daß dieses Werkhier etwas Endgültiges ist. Schluß mit demKleinklein, den unbeholfenen Versuchen, dem Stochern im Nebel. Zum Beweis dientmir, daß heutzutage niemand behaupten kann, er hätteAntworten auf die Rätsel des Lebens, der ganze Planet taumelt doch wie eh undje zwischen Panik und In-die-Irre-Rennen. Aber wirhaben jetzt 2001, und es ist höchste Zeit, daß etwasgeschieht. Wir haben schon viel zu lange gezögert. Daßman seit dreißigtausend Jahren Anlauf nimmt zu einem guten Sprung, schön, daslasse ich gelten. Aber einmal kommt der Tag, wo zuviel zuvielist und wo man den Stier bei den Hörnern packen muß.Mit dieser Metapher meine ich das Leben und seine Mysterien. Jeder neue Tagbringt ein gerüttelt Maß an unlösbaren Fragen, und wenn man das auf Monate, aufJahre umrechnet - stellen Sie sich mal vor, welche Masse an Ungewißheitenuns da erdrückt und unserem Dasein diesen torkelnden Gang gibt, der ausMillionen unaufhörlich wiederholter Dummheiten entsteht. Wo es so einfach ist,mit einer wirklich effektiven kleinen Schrift unsere Schritte zielsicher zulenken. Wo es so einfach ist, unseren Irrungen mit runden hundert Seiten abzuhelfen.
Ein Autor,der sich vor dieser Aufgabe drücken würde, wäre in meinen Augen, ich verhehlees nicht, ein schäbiger Egoist, der lieber mit Freunden in Bars rumsumpft,anstatt mal eine kleine Woche seiner Zeit zu opfern und der Menschheit ihre quälendenZweifel zu nehmen. Ein elender Mistkerl, jawohl. Aber anscheinend - eintrauriges Resultat unserer individualistischen Epoche - sumpfen die Autorenlieber herum oder planschen im warmen Wasser des Indischen Ozeans, anstatt sichein paar Tage hinter ihre Tastatur zu klemmen, was doch wohl das mindeste ist,was wir unseren bedrängten Schwestern und Brüdern schulden.
Denn soweitich weiß, gibt es bis heute keinen aphoristischen Ratgeber, der die Problemedes Lebens endgültig klärt. Das hätte sich herumgesprochen.
Also, alleAutoren sumpfen und planschen herum, und das wirft kein gutes Licht auf dieInnung. Demnach bin ich wohl die einzige, die sich der uns obliegendenVerantwortung bewußt ist, die einzige, die vor ihremBildschirm klebt, weil sie ihre Pflicht kennt wie der Ackergaul, der auf seinemWiderrist ein moralisches Kummet lasten fühlt (doch, ja, beim Pferd heißt es»Kummet« und beim Ochsen »Joch«, halten wir uns ab jetzt an die exaktenBegriffe), die einzige, die, aufgerüttelt durch die Gleichgültigkeit derKollegen und den erstickten Hilfeschrei der Menschheit im Ohr, nicht wankendwird auf einsamem Pfad, kurz, die als einzige den Weg beschreitet und Ihnenalles Wesentliche in die Tasten haut, was man im Leben wissen muß, um mit den vielen Rätseln fertigzuwerden,die es einem immerfort vor die Nase setzt.
Gedacht,getan, ich greife mir meinen Pilgerstab und meine Stiefel, und los gehts.Zeitlich paßt es gut, es ist Ostern, und ich habe einpaar Tage frei, an die ich bereitwillig noch ein paar Abende und ein paarSonntage dranhänge, denn ich finde, bei einer großen Aufgabe darf man nichtkleinlich sein, die Lösung der Lebensrätsel verdient es, daßman ihr acht Tage opfert, das ist schließlich nicht die Welt. Nachher habe ichdann mein gutes Gewissen, und Sie haben Ihre Wahrheiten, damit ist immerhinetwas getan, was nicht mehr wartet. Denn wie meine Großmutter immer sagte, »wasgetan ist, wartet nicht mehr«, aber ich will Sie nicht mit meinenFamiliengeschichten langweilen.
Ich gehörenämlich nicht zu denen, die unter dem Vorwand von Aphorismen und rein zu ihrer narzißtischen Befriedigung Ihnen achthundert Seiten überihren Vater hinblättern (oder über ihre Mutter, das hängt vom einzelnen ab, beiden meisten ist es eher die Mama, darüber reden wir noch, keine Sorge) und überihr Heimatdorf. Nein, solche Nabelschau, die sich aus falsch verstandenerProust-Lektüre herleitet (auf diesen Punkt, der ja ein integrierenderBestandteil der Geheimnisse des Daseins ist, komme ich bei Gelegenheit noch zu sprechen),die liegt mir nicht.
Obwohl Sieallerdings wissen sollten, daß ich mütterlicherseitsaus einer zahlreichen Sippe normannischer Bauern stamme, ansässig in einerstolzen Gemeinde, deren Winzigkeit gleichwohl der Größe nicht entbehrt, ichmeine Villiers-dÉcaudart, 110 Wahlberechtigte. DerGlockenturm der Kirche ragt majestätisch übers Land, über regensatte Wiesen bisins Endlose, wo Kühe, Korn und Rüben gedeihen. Nein, fern sei mir der Gedanke,Sie mit meinen Familiengeschichten zu nerven, diese kleine Schrift ist aufAllgemeingültigkeit im besten Sinne bedacht, sonst könnte sie nicht derunvergleichliche Leitfaden werden, der sie für jedwedes Menschenwesen seinsoll.
© AufbauVerlag
Übersetzung:Christel Gersch
Interview mit Fred Vargas
Fred Vargas, Sie arbeiten als Archäologin in derForschung. Wie kam es dazu, daß Sie eines Tagesbeschlossen haben, einen zweiten Beruf zu ergreifen - das Schreiben?
Das trifft es genau: »Eines Tageshabe ich beschlossen ...« Schreiben ist keine Vorstellung, die ich schon alsKind gehabt hätte. Ich war 28 Jahre alt, ich arbeitete auf Ausgrabungsstätten,und eines Abends habe ich »beschlossen«, einen Kriminalroman zu schreiben.Warum? Weil mir klar geworden war, daß ich es mit meinemAkkordeon doch nicht weit bringen würde. Dennoch wollte ich mir unbedingt, unddas schon seit meinem Studium, ein Hintertürchen aus der Archäologie offenhalten, die ja ein sehr spezialisierter, sehr ernster,ja oft sogar ziemlich nüchterner Beruf ist. Ich wußtenicht, ob mir das mit den Büchern besser gelingen würde als mit der Musik, aberich beschloß, es zu versuchen.
In einer ihrer ersten Kritiken sprach »LeMonde« von einer »Magie Vargas«. In der Tat sind Ihre Krimis eine ganz eigeneWelt, in der sehr viel mehr steckt als das bloße Interesse am »Whodunit«. Wie sind Sie auf diese Personen gekommen, die»außerhalb der Norm« leben und die Ihre Leser so lieben?
Da stellen Sie mir eine schwierigeFrage, denn ich kontrolliere diese Figuren ja kaum. Ich meine, ich habe nichtgeplant, daß sie »außerhalb der Norm« und daß ihre Welt »außergewöhnlich« sein würden, wie ich jetzt überalllese. Das erstaunt mich, denn diese Welt und ihre Personen sind für michvollkommen natürlich. Sicher, ich verforme die Wirklichkeit bewußtein bißchen, oder auch sehr, um reich in einer Welt wiederzufinden, in der ich mich wohl fühle. Aber als ichdiese Welt nach und nach erfand und diese Menschen, bei denen ich mich wohlfühle, ahnte ich nicht, daß sie von der Kritik schließlichals »besonders«, als eigentümlich beurteilt werden würden. Ich selbst, und ichhalte das für normal, finde sie nicht außergewöhnlicher oder magischer als einKleidungsstück, in dem ich mich wohl fühle. Bei einigen wenigen Figurenallerdings, zum Beispiel Adamsberg, waren mir wirkliche Personen Vorbilder in ihremVerhalten, ihrem Denken, einer Art, sich zu geben, die ich selbst nicht so gutkenne. Alle anderen habe ich erfunden.
Warum wählen Sie die Form des Kriminalromans,der ja eine ganz bestimmte Mechanik zu respektieren hat? Ihre Romane, IhreFiguren sind dagegen sehr weit von dieser Mechanik, diesem Klischee entfernt.
Man sieht es vielleicht nicht, aberich respektiere dieses sogenannte Klischee desKriminalromans durchaus! Für mich ist die »Mechanik« kein Makel, keine Schande,sondern ganz ins Gegenteil ein sehr interessantes System, das etwas mit Mythenund Fabeln zu tun hat. Zum Beispiel kommt es überhaupt nicht in Frage, daß man dein Leser keine Lösung, also symbolischeErleichterung (eine Art Katharsis) bietet! Nein, ich trickse keineswegs mit demKrimi-Code, ich halte ihn sogar für sehr wichtig. Das Problem ist nur: Wie gehtman mit der »Mechanik« um, damit sie da ist, aber das Buch nicht kaputtmacht,indem ihre Technik allzu sichtbar bleibt? Man muß denCode verschleiern, darf ihn aber nicht zerstören. Unddafür gibt es nur eine Möglichkeit: an allein zu arbeiten, was den Kriminalromanwie jeden anderen Roman ausmacht: das Leben, die Wörter, ihre Musik. Wenn Siedas wegnehmen, dann, ja dann sieht man nur noch die Knochen, die »Mechanik«.Einen Polar zu schreiben bedeutet, ebensoviel Aufmerksamkeit auf die Wörter zuverwenden wie bei jedem anderen literarischen Genre. Mehr noch vielleicht,eben wegen des »Codes«, den man gleichzeitig beachten und verbergen muß.
NeunRomane, mehrere Literaturpreise, Übersetzungen ins Ausland, der jüngste Roman einBestseller in Frankreich - wie verdaut die Schrifftstellerin Vargas, die auf der literarischen Bühne sozurückhaltend auftritt, den wachsenden Erfolg?
Genau, wie Sie sagen: Ich »verdaue«ihn, und dann vergesse ich. So schnell wie möglich. Ich kaufe nicht mal dieZeitungen, um zu erfahren, auf welchem Platz mein Buch diese Woche rangiert.Nein. Das einzig Wichtige an dieser Sache mit den Büchern ist für mich, daß ich danach wieder an meinen Arbeitstisch zurückkehre undaufs neue zu schreiben versuche, so gut ich schreiben kann, bescheiden undganz normal, als wenn es jedesmal das erste Buchwäre. Denn sobald Sie an diese Geschichten mit dem Erfolg glauben, sobald Siesich »da oben« einrichten und für jemand »Bedeutendes« halten, können Sie dieHoffnung aufgeben, gute Arbeit zu machen. Es ist schön, wenn die Leser meineBücher lieben, das hilft mir zweifellos sehr. Aber der Erfolg ändert darannicht das Geringste, weder an mir selbst noch an den Büchern, die ich zuschreiben versuche. Im übrigen neige ich eher dazu,den oberflächlichen und verderblichen Wirkungen des Erfolgs aus dem Weg zu gehen,das heißt, ich meide die Medien. Arbeiten ist mir viel lieber, ehrlich. Ichglaube auch nicht, daß irgendjemand bedeutender ist als jemand anderes, nein, wirklich, und schongar nicht meine Person.
Ein Werwolf, der in »Bei Einbruch der Nacht« mordenddurch die Dörfer zieht, die Pest, die in »Fliehe weit und schnell« ganz Parisin Angst und Schrecken versetzt - interessiert Sie das Motiv der kollektivenPsychose im besonderen?
Nein, mich persönlich nicht, aberich glaube, daß es den Kriminalroman interessiert.Ich denke, daß das, was man »kollektive Psychosen«nennt, wie der Wolf, die Pest, in der kollektiven Vorstellungswelt verankerte Themensind, weil sie an Urängste rühren, die uns allen gemein sind. Und da derKriminalroman, wie in ähnlicher Weise auch die Mythen, der Ort ist, an dem ein»Problem«, eine beängstigende Frage aufgeworfen (und gelöst) wird, wähle ichgern ein Sujet von so allgemeiner Bedeutung, fast ein Klischee, nicht zukonkret, nicht zu abstrakt, irgendwo dazwischen. Der Werwolf, die Pest, dassind schon Sujets von fast symbolischem Wert. Darum habe ich in »Fliehe weitund schnell« auch gar nicht sehr auf dem biologischen Aspekt der Pest beharrt. Interessantist vielmehr die Vorstellung von der Pest, wie die Vorstellung vom Werwolf DieVorstellung, die man sich von ihnen macht.
In Ihrem jüngsten Roman »Fliehe weit undschnell« erweisen Sie sich als ausgezeichnete Historikerin.
»Ausgezeichnet« haben Sie gesagt.Ich glaube einfach, daß man die Geschichte darinerkennt, ja. Ich kann nicht umhin, etwas Geschichte in die Geschichte einfließenzu lassen. Ohne Vergangenheit hinter uns stehen wir nicht besonders fest aufunseren Beinen. Aber ich möchte auch nicht zuviel davon hineintun. Ein Romanist ganz sicher nicht der Ort für eine Geschichtslektion.
Fast alle Ihre Figuren leben mit Brüchen undeiner gescheiterten Liebe. Gibt es etwas, das Sie ihnen gern erspart hätten?
Ich habe diese Sache mit meinenFiguren, die überall als »Loser« beschrieben werden, nie begriffen. Ichversuche überhaupt nicht, ihnen weh zu tun. Die Kritik hält sie für Loser, weilsie keine richtig guten Jobs und keine ordentliche Familie haben. Aber wie dieHelden in den Märchen auch, sind sie fiktive Personen in einem fiktiven Leben.Man kann schließlich auch Odysseus oder Lancelot nicht fragen, was sie füreinen Job haben, oder von ihnen erwarten, daß sie wasfürs Abendessen mit nach Hause bringen. Nein, das wäre unmöglich! Und ebendarum, weil diese Personen vorübergehend, in unterschiedlichem Maße natürlich,eine »heroische Mission« zu erfüllen haben (nämlich die Angst zu lösen, die imZentrum der Geschichte steht), sind sie nicht ganz so wie wir. Man kann ihrLeben nicht mit dem wirklichen Leben vergleichen. Ja, für die Dauer des Romanshat es schon etwas Verrücktes.
Sie lieben das Akkordeon leidenschaftlich.Welches sind Ihre bevorzugten Interpreten, und wie sieht Ihr Repertoire aus?
Ich kenne nicht wirklich die Namenvon Interpreten. Was ich am Akkordeon mag: Es ist die Musik der Straße, des»draußen«, auch der Bälle, der Dorffeste (die sich ja ebenfalls draußen abspielen),es ist die Musik aller, das »Hosenträgerklavier«, wie man in Frankreich sagt -so wie auch der Kriminalroman die »Literatur von draußen« ist und die Literaturaller, aber das würde hier zu weit führen und war nicht Ihre Frage, pardon. Aberich mag jede Art von Musik: Gesang, Rockbands, Rap, Raiusw., auch klassische Musik. Da ich es niemals geschafft habe, ein Instrumentwirklich zu spielen, habe ich die Wörter genommen, um mit ihnen Musik zu machen.
Die Fragen stellte Katja Ernst, Aufbau Verlag.
- Autor: Fred Vargas
- 2006, 152 Seiten, Maße: 11,6 x 19,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Gersch, Christel
- Übersetzer: Christel Gersch
- Verlag: Aufbau TB
- ISBN-10: 3746681421
- ISBN-13: 9783746681429
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