Wege des Herzens
Roman
Claras neuer Job als Chefärztin ist ziemlich stressig. Dazu kommen die Sorgen um ihre beiden Töchter: Adi kämpft ständig gegen oder für etwas. Und Linda stürzt sich von einer Beziehung in die nächste. Doch Clara...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Wege des Herzens “
Claras neuer Job als Chefärztin ist ziemlich stressig. Dazu kommen die Sorgen um ihre beiden Töchter: Adi kämpft ständig gegen oder für etwas. Und Linda stürzt sich von einer Beziehung in die nächste. Doch Clara lässt sich nicht unterkriegen und hat auch einige liebe Menschen an ihrer Seite.
Klappentext zu „Wege des Herzens “
Gute Unterhaltung voller Wärme, Gefühl und Lebensweisheit!Clara Casey hat Sorgen mit ihren erwachsenen Töchtern: Adi kämpft ständig gegen oder für etwas den Walfang, die Umwelt, fleischloses Essen , während ihre Schwester Linda von einer Beziehung in die andere stolpert. Clara selbst muss außerdem mit den Anforderungen ihres neuen Jobs fertig werden, denn sie wurde eben zur Chefärztin in einer Dubliner Klinik ernannt. Leider ist der smarte Verwaltungschef Frank damit nicht sehr glücklich und legt Clara allerhand Steine in den Weg. Doch Clara lässt sich nicht unterkriegen
Lese-Probe zu „Wege des Herzens “
Wege des Herzens von Maeve Binchy PROLOG
Manche Projekte brauchen eine Ewigkeit, bis sie endlich Realität werden.
Eines davon war der Umbau des stillgelegten Depots, das zum St. Brigid Hospital gehörte, eine hässliche Ansammlung unterschiedlich großer Lagerhallen. Früher war dort alles untergebracht, was das Krankenhaus benötigte, aber mittlerweile lag das Depot zu ungünstig. Eine neue Einbahnstraßenregelung war daran schuld, dass man eine lange und beschwerliche Fahrt quer durch Dublin auf sich nehmen musste, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.
In diesem Teil von Dublin gab es immer noch die alten Arbeiterhäuser und Fabrikgebäude, die in moderne Wohnblocks umgestaltet worden waren. Dieser Teil der Stadt »boomte« und war enorm »in«, wie die Immobilienleute es beschrieben; bald würden Spekulanten auch ein Auge auf die Lagerhallen werfen und dem Krankenhaus St. Brigid ein Angebot von der Art unterbreiten, das man nicht ablehnen konnte. Genau das war es, was Frank Ennis sich wünschte. Er hielt sich selbst für das Superhirn der Finanzverwaltung von St. Brigid, und eine riesige Finanzspritze, ein schöner Batzen Geld in seiner Amtszeit als Verwaltungschef, war genau das, was dem Krankenhaus fehlte.
... mehr
Frank Ennis konnte das alles bereits Realität werden sehen. Natürlich gab es jedes Jahr, wenn das Planungskomitee sich bei der Hauptversammlung traf, das eine oder andere Problem, das Frank davon abhielt, diese lästige Immobilie zu verkaufen und das Geld in das Krankenhaus zu stecken. In dem einen Jahr waren es die Rheumalobbyisten, die sich eine Rheumaambulanz wünschten. Dann gab es die Abteilung für Lungenkrankheiten, die ein Zentrum für Patienten mit Beschwerden der Atemwegsorgane einrichten wollte. Ganz zu schweigen von der sich zusehends stärker zu Wort meldenden Herzfraktion. Ihre Befürworter behaupteten, dass genügend wissenschaftliche Gutachten vorlägen, die bewiesen, dass Patienten auch ambulant betreut werden könnten und folglich weniger Krankenhausbetten nötig wären , wenn sie nur eine entsprechende Anlaufstelle hätten. Die Kardiologen kamen Frank vor wie Hunde, die sich in einen Knochen verbissen hatten sie wollten nicht mehr davon ablassen.
Frank seufzte, da ihnen ein weiterer Nachmittag in dem engen, muffigen Besprechungszimmer der Klinikleitung bevorstand, deren Mitglieder bereits um den Tisch versammelt waren. Frank betrachtete freudlos die übliche Ansammlung von Menschen, die jedem beliebigen Klinikdirektorium hätte angehören können. Da war die wie er sie nannte Nonne in Zivil. Früher war St. Brigid ausschließlich von Nonnen geleitet worden; jetzt waren gerade mal vier Ordensschwestern übrig geblieben. Daneben saßen die offiziellen Vertreter der Gesundheitsbehörde, alles ältere Herrschaften, die bereits auf anderen Gebieten ihre Verdienste erworben hatten. Und da war der gutmütige amerikanische Philanthrop Chester Kovac, der etliche Meilen entfernt auf dem Land ein privates Gesundheitszentrum errichtet hatte.
Die Ordensschwester in Zivil würde wie immer alle Fenster aufreißen, so dass die Papiere über den Tisch geweht wurden, woraufhin irgendjemand die Fenster wieder schließen musste. Frank hatte dies viele Male miterlebt. Doch bei der heutigen Gelegenheit witterte er Morgenluft, und der Sieg schien ihm nahe, denn er hatte ein schriftliches Angebot über eine enorme Summe von einem Bauträger vorliegen, der ihnen sofort das umstrittene und für sie völlig nutzlose Grundstück um das Depot abkaufen würde eine Summe, die jeden von ihnen aufhorchen lassen würde.
Unweigerlich würde daraufhin die Frage im Raum stehen, wofür das Geld am besten auszugeben sei. Würde es in den Topf für die ultramodernen Computertomographen wandern? Oder doch eher dazu verwendet werden, die Fassade des Krankenhauses radikal umzugestalten? Wie bei vielen Gebäuden aus dieser Zeit, dem frühen zwanzigsten Jahrhundert, führte eine unpraktische Steintreppe hinauf zum Haupteingang. Eine Rampe oder Ähnliches wäre wesentlich geeigneter, um schwachen und gebrechlichen Patienten leichter Zugang zu gewähren.
Außerdem herrschte stets Bettenmangel in der chirurgischen Gynäkologie, und es wurden mehr Isolierzimmer benötigt. Auch die Überwachungsstation hatte in der letzten Zeit großen Druck gemacht, da man zu einer Intensivstation aufgewertet werden wollte, und das kostete Geld.
Wie auch immer. Auf jeden Fall würden sie heute dem Bauträger eine Antwort geben, sein Angebot akzeptieren und endlich damit aufhören können, Zeit für die diversen Einzelinteressen zu verschwenden, da doch alle nur ihren Machtbereich ausdehnen wollten.
Man servierte Kaffee und Kekse, die Tagesordnung wurde verteilt, und die Besprechung begann. Doch Frank wusste von Anfang an, dass etwas nicht stimmte.
Dummerweise standen die Mitglieder der Klinikleitung unter dem unheilvollen Einfluss einer erst kürzlich veröffentlichten Statistik. Diese schien zu belegen, dass die Iren überdurchschnittlich von Herzinfarkten bedroht waren, was wahrscheinlich mit ihrem Lebensstil und ihrer Ernährung zusammenhing, wobei Alkohol und Zigaretten zweifellos eine große Rolle spielten. Alle am Tisch diskutierten mit größtem Eifer Methoden, wie man betroffenen Patienten wieder neuen Lebensmut vermitteln könnte. Wie großartig wäre es, an vorderster Front im Kampf gegen Herzkrankheiten zu stehen, mit einer Tagesklinik als Anlaufstelle für diese Patienten. Frank Ennis hätte die Organisation verfluchen können, die nur Tage vor seinem Direktoriumstreffen diese Zahlen veröffentlicht hatte. Seinem Empfinden nach hätte durchaus Absicht dahinterstecken können die Kardiologen in St. Brigid waren wirklich ziemlich arrogante Schnösel und hielten sich für allmächtig.
Hilfesuchend wanderte sein Blick zu Chester Kovac, in solchen Situationen normalerweise ein Mann mit gesundem Menschenverstand, auf den man sich verlassen konnte. Doch dieses Mal hatte Frank sich getäuscht. Chester war nämlich der Ansicht, dass dies eine Idee von visionärer Kraft sei und dass er sich freuen würde, wenn St. Brigid bei dieser Bewegung in vorderster Reihe mitmarschieren würde. Schließlich ginge es nur um Geld.
Frank schäumte vor Wut. Chester konnte leicht sagen, dass es nur um Geld ginge; er hatte schließlich jede Menge davon. Sicher war er sehr großzügig, aber was wusste er schon? Er war Amerikaner polnischer Abstammung mit einem irischen Großvater ein leichtes Opfer für jeden, der es auf ihn abgesehen hatte.
Frank wurde immer wütender.
»Es ist nicht nur Geld, Chester. Hier steht eine riesige Summe auf dem Spiel, mit der man St. Brigid enorm aufwerten könnte.«
»Vergangenes Jahr wollten Sie dieses Stück Land schon mal verkaufen, um einen Parkplatz daraus zu machen«, sagte Chester.
»Aber das Angebot hier ist weitaus besser.« Frank war rot im Gesicht, so sehr regte ihn die ganze Sache auf.
»Nun, wir wären dumm gewesen, hätten wir vergangenes Jahr Ihren Vorschlag angenommen, Frank, wenn man sieht, wie sich die Dinge entwickelt haben«, entgegnete Chester freundlich, aber mit Nachdruck.
»Aber ich habe Wochen gebraucht, um das Angebot in die Höhe zu treiben ...«
»Und letztes Jahr waren wir uns alle einig, dass wir keinen Parkplatz wollten.«
»Aber das hier ist kein Parkplatz. Hier geht es um Luxuswohnungen mit gehobener Ausstattung ...«, ereiferte sich Frank.
»Nicht unbedingt Sinn und Zweck eines Krankenhauses«, konterte Chester Kovac. »Wenn wir schon auf einem so teuren Grundstück sitzen, dann sollten wir das auch nützen«, meldete sich einer der ehemaligen Industriemagnaten zu Wort.
»Wir werden es auch nützen. Wir werden ein kleines Vermögen dafür bekommen und es in das Krankenhaus investieren!« Frank hatte das Gefühl, es mit Leuten zu tun zu haben, die wirklich sehr schwer von Begriff waren.
Die Nonne in Zivil meldete sich zu Wort. »Wir würden ein Projekt bevorzugen, das etwas mehr dem Geist des ursprünglichen Ordens entspricht, der einst dieses Krankenhaus geleitet hat.«
»Wohnungen werden wohl kaum dem Geist des Ordens widersprechen, oder?«, fragte Frank. »Luxuswohnungen mit gehobener Ausstattung mögen vielleicht nicht ganz im Sinn der wohltätigen Schwestern sein«, wandte Chester ein.
»Die wohltätigen Schwestern sind doch schon längst alle weg und ausgestorben!« Frank explodierte. Chesters Blick fiel auf das Gesicht der Nonne in Zivil, die von dieser Bemerkung sehr verletzt zu sein schien. Er musste wohl wieder mal vermitteln.
»Mr. Ennis möchte damit ausdrücken, dass das Werk der Schwester vollendet und ihre Arbeit getan ist. Aber sie haben uns ihr Vermächtnis hinterlassen. Die hiesige Gemeinde benötigt dringend mehr medizinische Versorgung und weniger Luxuswohnungen mit Garagen für zwei Autos, die wiederum die Straßen noch weiter verstopfen werden. Sie benötigt mehr Einrichtungen im Gesundheitswesen. Den Menschen muss dabei geholfen werden, nach dem Schock bei einem Herzinfarkt wieder auf die Füße zu kommen und etwas aus ihrem Leben zu machen. Und um ganz offen zu sein wenn es zur Abstimmung kommt, wäre mir dies das liebste Ergebnis, und dafür werde ich auch meine Stimme abgeben.«
Sein Monolog hatte etwas sehr Würdevolles an sich.
Frank Ennis war bitter enttäuscht. Sie würden das Grundstück wieder nicht loswerden, wie er an diesem Morgen noch so zuversichtlich gehofft hatte. Die Kardiologen hatten gewonnen. Es würden Monate vergehen, ehe man sich über die Kosten einig war, und weitere Monate, bis das Gebäude endlich stand und eingerichtet war. Man würde einen neuen Direktor berufen und neues Personal einstellen müssen. Frank stieß einen tiefen Seufzer aus. Warum besaßen diese Menschen nicht einen Funken Verstand? Sie hätten sich so viele Wünsche auf ihrer Liste erfüllen können, würden sie nur begreifen, wie diese Welt funktionierte. Stattdessen machten sie alles nur noch komplizierter. Irgendwie stand er den Rest der Besprechung durch und hakte dabei automatisch einen Tagesordnungspunkt nach dem nächsten ab. Dann kam es zur Abstimmung über die Nutzungsänderung des zu St. Brigid gehörenden Geländes, besser bekannt als das sogenannte frühere Depot. Wie zu erwarten, war man einstimmig der Ansicht, dass dort eine Tagesklinik für koronare Herzerkrankungen errichtet werden sollte.
Frank schlug eine Machbarkeitsstudie vor, wurde aber prompt überstimmt. Keiner wollte etwas davon hören sonst würde sie die Sache weitere sechs Jahre diskutieren. Beschlossen war beschlossen. Und machbar war es auch.
Trotzdem würde eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen werden müssen, sobald man sich über die Kosten geeinigt, Ausschreibungen diverser Bauunternehmen erhalten und mit der kardiologischen Abteilung die nötige Anzahl an neuen Mitarbeitern ausgehandelt hatte.
Alle blätterten in ihren Terminkalendern, und man einigte sich auf ein Datum. Frank hatte einen Termin in sechs Monaten vorgeschlagen.
Chester Kovac war jedoch der Meinung, dass ein paar Wochen genügen müssten, um die Angebote einzuholen. Die Baufirmen müssten doch wild auf Aufträge sein. Der Vertreter der Kardiologen bedankte sich im Namen seiner Kollegen von St. Brigid und kündigte an, dass sie ihre Forderungen rasch formulieren würden.
»Forderungen!«, schnaubte Frank Ennis.
»Und selbstverständlich muss der Posten des Direktors ausgeschrieben werden«, sagte die Nonne in Zivil.
»O ja, in der Tat. Ich wage zu vermuten, dass hinter den Kulissen bereits einer darauf wartet, hier bald eine ruhige Kugel schieben zu dürfen«, murmelte Frank, noch immer verbittert wegen seiner Niederlage.
»Einer oder eine«, fügte die Nonne mit fester Stimme hinzu.
»Gott an die Frauenquote habe ich natürlich nicht gedacht«, sagte Frank leise. Er war ein Mann, in dessen Leben Frauen nur eine untergeordnete Rolle spielten. Im Golfclub reagierte er jedes Mal empört, wenn er wegen des Damentags warten musste. Zu heiraten hatte er ebenfalls vollkommen vergessen, was für alle Beteiligten jedoch wahrscheinlich das Beste gewesen war. »Er oder sie, selbstverständlich«, sagte er laut. »Tut mir leid, aber ich bin noch vom alten Schlag, Schwester.« »Das ist aber schlecht für Sie, Mr. Ennis«, erwiderte die Nonne in Zivil, während sie schwungvoll das Fenster öffnete, um ein weiteres Mal frische Luft ins Zimmer zu lassen.
KAPITEL EINS
Es sei nur ein kleines Budget vorhanden, um ihr neues Büro einrichten zu können, hatte man Clara Casey erklärt. Ein anstrengender Verwalter mit lauter Stimme, wirr abstehenden Haaren und irritierender Körpersprache hatte dabei auf den langweiligen, ungemütlichen Raum mit den grauen Wänden und den plumpen Aktenschränken aus Stahl gedeutet. Nicht unbedingt die Art von Büroraum, die eine Fachärztin nach Studium und dreißig Jahren Erfahrung im Gesundheitsbetrieb als Aufstieg empfinden würde. Aber es war nie klug, bereits am Anfang zu kritisch zu sein.
Wie hieß der Mann noch gleich? »Tja, in der Tat ... äh ... Frank«, sagte sie. »Aber hieraus lässt sich sicher etwas machen.«
Mit dieser Antwort hatte Frank nicht gerechnet. Die gutaussehende Brünette in dem schicken lila Strickkostüm, die auf die fünfzig zugehen mochte, lief in dem Zimmer auf und ab wie eine Löwin im Käfig.
»Doch leider nur in einem gewissen Rahmen, Dr. Casey, vom Finanziellen her, fürchte ich. Aber hier ein neuer Anstrich und dort ein nettes Möbelstück, ein femininer Touch sozusagen das wird Wunder bewirken.« Er lächelte nachsichtig.
Clara musste sich zusammenreißen, um nicht ausfallend zu werden. »Natürlich, ja, genau dieselben Maßnahmen würde ich ergreifen, um meine eigene Wohnung zu verschönern. Doch hier liegt die Sache vollkommen anders, denn ich kann nicht von einem Zimmer aus arbeiten, das nur über einen endlos langen Korridor zu erreichen ist. Wenn ich diese ambulante Klinik leiten soll, muss ich näher am Zentrum des Geschehens sitzen.«
»Aber alle werden wissen, wo Sie zu finden sind. Ihr Name wird an der Tür stehen«, stammelte Frank. »Ich habe definitiv nicht die Absicht, mich hier in diese Ecke zu verkriechen«, erwiderte Clara. »Dr. Casey, Sie wissen, unsere Mittel sind begrenzt, Sie waren sich im Klaren über die Natur dieser Einrichtung, als Sie die Stelle annahmen.«
»Wo mein Schreibtisch stehen sollte, war zu dem Zeitpunkt kein Thema, das wurde mit keinem Wort erwähnt. Die Raumfrage sollte später geklärt werden. Und heute ist später.«
Frank gefiel ihr Tonfall ganz und gar nicht. Sie hörte sich an wie eine Lehrerin.
»Und das ist der fragliche Raum«, sagte er. Sie war kurz versucht, ihn zu bitten, sie Clara zu nennen, doch ihr fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass dieser Mann, wollte sie hier etwas bewirken, ihre Autorität würde anerkennen müssen. Sie kannte diesen Typus.
»Ich denke nicht, Frank«, entgegnete sie.
»Können Sie mir vielleicht zeigen, wo man Sie sonst unterbringen könnte? Das Zimmer der Diätassistentin ist noch kleiner als das hier, die Sekretärin hat gerade Platz für sich und die Akten. Der Physiotherapeut muss sich das Zimmer mit einer Unmenge an Gerätschaften teilen, die Krankenschwestern brauchen ihre Station für sich selbst, und das Wartezimmer gehört nun mal vorn an den Eingang. Könnten Sie mir also freundlicherweise verraten, woher wir ein anderes Büro für Sie nehmen sollen, wenn Ihnen dieser absolut passende Raum nicht zusagt?«
»Ich werde in der Halle sitzen«, erklärte Clara. »Die Halle? Welche Halle?«
»Der große Raum, wenn Sie durch die Glastüren kommen.«
»Aber, Dr. Casey, das geht doch nicht.«
»Und warum nicht, Frank?« »
Sie säßen da wie auf einem Präsentierteller«, stammelte er. »Ja und?«
»Sie hätten keinerlei Privatsphäre, es sähe aus ... es wäre einfach nicht richtig. Außerdem wäre da nur Platz für einen Schreibtisch.«
»Mehr als einen Schreibtisch brauche ich auch nicht.«
»Nein, Dr. Casey, bei allem Respekt, aber Sie brauchen mehr als einen Schreibtisch. Viel mehr. Zum Beispiel einen Aktenschrank«, beendete Frank lahm seinen Satz.
»Ich kann doch einen im Zimmer der Sekretärin für mich reservieren.«
»Und wohin mit den Krankenblättern Ihrer Patienten?«
»In die Schwesternstation.«
»Sie werden ab und zu einen ruhigen Ort benötigen, um mit den Patienten zu reden.«
»Wir können ja diesen Raum hier, der Ihnen so am Herzen liegt, zum Beratungszimmer erklären, und das können wir dann alle benutzen, wenn wir es brauchen. Man könnte das Zimmer in ruhigen, warmen Tönen streichen und neue Vorhänge besorgen; ich suche sie auch aus, wenn Sie wollen. Dazu ein paar Stühle, ein runder Tisch. Okay?« Frank wusste, dass die Schlacht verloren war, aber er wagte einen letzten Vorstoß.
»So etwas hat es hier noch nie gegeben, Dr. Casey, noch nie.«
»Eine ambulante Herzklinik hat es hier auch noch nie gegeben, Frank, also hat es wenig Sinn, Dinge miteinander zu vergleichen, die es so noch nie gegeben hat. Wir richten diese Tagesklinik von Grund auf neu ein, und wenn ich sie leiten soll, dann werde ich das so machen, wie ich es für richtig halte.«
Clara spürte, dass er ihr von der Tür aus noch immer missbilligend nachsah, als sie zu ihrem Wagen ging. Sie hielt den Kopf hoch und fror das aufgesetzte Lächeln auf ihrem Gesicht ein.
Sie öffnete die Tür des Autos und setzte sich hinter das Steuer.
Irgendjemand würde Frank nach der Arbeit heute sicher fragen, wie sie denn so sei. Sie wusste, was er antworten würde.
»Eine beschissene Emanze.«
Auf Nachfrage würde er sie als machthungrig bezeichnen, als eine Frau, die es nicht erwarten könne, es sich auf ihrem Chefsessel bequem zu machen und die Muskeln spielen zu lassen. Wenn er wüsste. Niemand durfte es je erfahren. Niemand würde je wissen, wie wenig Clara Casey diesen neuen Job haben wollte. Doch sie hatte zugestimmt, ihn für ein Jahr zu übernehmen. Und daran würde sie sich auch halten.
Als Clara sich in den Nachmittagsverkehr einfädelte, fühlte sie sich sicher genug, das aufgesetzte Lächeln wie eine Maske vom Gesicht zu nehmen. Sie hatte vor, unterwegs in den Supermarkt zu fahren und eine Auswahl an Pastasaucen zu kaufen. Sie konnte nach Hause bringen, was sie wollte, eines der Mädchen hatte immer etwas daran auszusetzen. Der Käse war zu würzig, die Tomaten zu geschmacklos, die Pestosauce zu trendig. Aber bei drei Auswahlmöglichkeiten würden sie vielleicht etwas Passendes finden. Clara schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die beiden jungen Damen heute Abend guter Laune wären.
Gerade heute könnte sie es nicht ertragen, wenn Adi und ihr Freund Gerry wieder einmal einen ihrer häufigen ideologischen Dispute zum Thema Umwelt, Walfang oder Käfighaltung von Hühnern hätten. Oder wenn Linda sich zum wiederholten Mal auf ein Abenteuer mit einem Nichtsnutz eingelassen hatte, der sie nach der ersten Nacht wieder nicht angerufen hatte.
Clara seufzte.
Man hatte ihr erzählt, dass Mädchen im Teenageralter schrecklich seien, doch mit zwanzig Jahren würde sich die Lage langsam wieder bessern. Wie üblich war es bei Clara genau umgekehrt. Ihre beiden Töchter, die eine dreiundzwanzig, die andere einundzwanzig Jahre alt, waren unerträglich. Als Teenager waren sie bei weitem nicht so schlimm gewesen. Aber natürlich hatte damals auch noch ihr Vater, dieser Mistkerl von Alan, im Haus gewohnt, was einiges erleichtert hatte. In gewisser Weise zumindest.
Adi Casey sperrte die Tür auf und trat in das Haus, das sie mit ihrer Schwester und ihrer Mutter bewohnte. Haus der fliegenden Hitzen, wie ihre Schwester Linda ihr Heim sarkastisch zu nennen pflegte. Sehr witzig.
Ihre Mutter war noch nicht zu Hause. Umso besser, dachte Adi, so hätte sie wenigstens Gelegenheit, genüsslich und lange zu baden und dabei das neue Badeöl auszuprobieren, das sie auf dem Nachhausweg auf dem Markt gekauft hatte. Sie hatte außerdem ein wenig Bio-Gemüse mitgenommen. Wer konnte schon wissen, welche chemisch vergifteten, gentechnisch veränderten Lebensmittel aus dem Supermarkt ihre Mutter wieder anschleppen würde.
Zu ihrem großen Missfallen hörte Adi jedoch Musik aus dem Badezimmer dringen. Linda war ihr offenbar zuvorgekommen. Mutter hatte immer wieder von einem zweiten Bad gesprochen, wenigstens von einer Dusche, aber in der letzten Zeit war das kein Thema mehr gewesen. Und da ihre Mutter die ersehnte tolle Stelle nicht bekommen hatte, war momentan die Zeit denkbar ungünstig, darauf zu bestehen. Adi lieferte zu Hause einen kleinen Teil ihres Gehalts ab, aber als Lehrerin verdiente sie nun mal nicht viel. Linda hingegen steuerte gar nichts bei. Sie studierte zwar noch, wäre aber nie auf die Idee gekommen, sich einen Job zu suchen. Ihre Mutter finanzierte alles aus eigener Kraft und hatte folglich auch das Sagen.
Ehe Adi in ihr Zimmer gehen konnte, klingelte das Telefon.
Es war ihr Vater.
»Wie geht es meiner schönen Tochter?«, fragte er.
»Ich glaube, sie badet gerade, Dad. Soll ich sie holen?«
»Ich habe dich gemeint, Adi.«
»Du meinst immer den, mit dem du gerade sprichst, Dad. Das kennen wir doch.«
»Adi, bitte. Ich versuche doch nur, nett zu sein. Jetzt geh nicht gleich wieder an die Decke.«
»Okay, Dad, sorry. Was gibt's?«
»Kann ich nicht einfach mal anrufen, um meinen ...«
»Das ist nicht deine Art. Du rufst nur dann an, wenn du was willst.« Adis Tonfall war unüberhörbar scharf.
»Wird deine Mutter heute Abend zu Hause sein?« »Ja.«
»Um wie viel Uhr?«
»Wir sind eine Familie, Dad, kein Hotel, in dem sich die Gäste schriftlich anmelden.«
»Ich will mit ihr reden.«
»Dann ruf sie später an.«
»Sie ruft nie zurück.«
»Dann komm vorbei.«
»Das mag sie nicht, das weißt du. Ihr Haus und so weiter.«
»Ich bin zu alt für diese Spielchen zwischen euch. Das geht jetzt schon zu lange. Bring das endlich mal auf die Reihe, Dad. Bitte.«
»Könntet ihr zwei mir einen Gefallen tun und heute Abend nicht zu Hause sein? Linda und du, meine ich. Ich will mit eurer Mutter etwas besprechen.«
»Nein, wir werden nicht außer Haus sein.«
»Ich spendiere euch ein Abendessen.«
»Du willst uns dafür bezahlen, dass wir unser eigenes Haus verlassen?«
»Versuch doch mal, mir zu helfen.«
»Warum sollte ich? Du hast die ganze Zeit über nie versucht, irgendjemandem bei irgendetwas zu helfen.«
»Warum willst du mir nicht einmal diesen kleinen Gefallen tun?«
»Weil Mam angekündigt hat, uns zu bekochen, um ihren neuen Job zu feiern. Weil es schon lange geplant ist und ich das jetzt nicht absagen werde. Tut mir leid, Dad.«
»Ich komme trotzdem vorbei.« Und damit legte er auf.
Linda kam tropfend und in ein Handtuch gewickelt aus dem Badezimmer. Missmutig betrachtete Adi ihre Schwester. Linda, die sich von Junkfood ernährte, rauchte und trank, sah einfach umwerfend schön aus, selbst das lange, nasse Haar sah an ihr besser aus als ein neuer, schicker Haarschnitt an einer anderen Frau. Das Leben war einfach ungerecht.
»Wer war das am Telefon?«, fragte Linda.
»Dad. Er hat sich nicht abwimmeln lassen.«
Copyright © 2008 by Maeve Binchy
Copyright © 2010 der eutschsprachigen Ausgabe bei Knaur Verlag.
Übersetzung:»Gabriela Schönberger«
Frank seufzte, da ihnen ein weiterer Nachmittag in dem engen, muffigen Besprechungszimmer der Klinikleitung bevorstand, deren Mitglieder bereits um den Tisch versammelt waren. Frank betrachtete freudlos die übliche Ansammlung von Menschen, die jedem beliebigen Klinikdirektorium hätte angehören können. Da war die wie er sie nannte Nonne in Zivil. Früher war St. Brigid ausschließlich von Nonnen geleitet worden; jetzt waren gerade mal vier Ordensschwestern übrig geblieben. Daneben saßen die offiziellen Vertreter der Gesundheitsbehörde, alles ältere Herrschaften, die bereits auf anderen Gebieten ihre Verdienste erworben hatten. Und da war der gutmütige amerikanische Philanthrop Chester Kovac, der etliche Meilen entfernt auf dem Land ein privates Gesundheitszentrum errichtet hatte.
Die Ordensschwester in Zivil würde wie immer alle Fenster aufreißen, so dass die Papiere über den Tisch geweht wurden, woraufhin irgendjemand die Fenster wieder schließen musste. Frank hatte dies viele Male miterlebt. Doch bei der heutigen Gelegenheit witterte er Morgenluft, und der Sieg schien ihm nahe, denn er hatte ein schriftliches Angebot über eine enorme Summe von einem Bauträger vorliegen, der ihnen sofort das umstrittene und für sie völlig nutzlose Grundstück um das Depot abkaufen würde eine Summe, die jeden von ihnen aufhorchen lassen würde.
Unweigerlich würde daraufhin die Frage im Raum stehen, wofür das Geld am besten auszugeben sei. Würde es in den Topf für die ultramodernen Computertomographen wandern? Oder doch eher dazu verwendet werden, die Fassade des Krankenhauses radikal umzugestalten? Wie bei vielen Gebäuden aus dieser Zeit, dem frühen zwanzigsten Jahrhundert, führte eine unpraktische Steintreppe hinauf zum Haupteingang. Eine Rampe oder Ähnliches wäre wesentlich geeigneter, um schwachen und gebrechlichen Patienten leichter Zugang zu gewähren.
Außerdem herrschte stets Bettenmangel in der chirurgischen Gynäkologie, und es wurden mehr Isolierzimmer benötigt. Auch die Überwachungsstation hatte in der letzten Zeit großen Druck gemacht, da man zu einer Intensivstation aufgewertet werden wollte, und das kostete Geld.
Wie auch immer. Auf jeden Fall würden sie heute dem Bauträger eine Antwort geben, sein Angebot akzeptieren und endlich damit aufhören können, Zeit für die diversen Einzelinteressen zu verschwenden, da doch alle nur ihren Machtbereich ausdehnen wollten.
Man servierte Kaffee und Kekse, die Tagesordnung wurde verteilt, und die Besprechung begann. Doch Frank wusste von Anfang an, dass etwas nicht stimmte.
Dummerweise standen die Mitglieder der Klinikleitung unter dem unheilvollen Einfluss einer erst kürzlich veröffentlichten Statistik. Diese schien zu belegen, dass die Iren überdurchschnittlich von Herzinfarkten bedroht waren, was wahrscheinlich mit ihrem Lebensstil und ihrer Ernährung zusammenhing, wobei Alkohol und Zigaretten zweifellos eine große Rolle spielten. Alle am Tisch diskutierten mit größtem Eifer Methoden, wie man betroffenen Patienten wieder neuen Lebensmut vermitteln könnte. Wie großartig wäre es, an vorderster Front im Kampf gegen Herzkrankheiten zu stehen, mit einer Tagesklinik als Anlaufstelle für diese Patienten. Frank Ennis hätte die Organisation verfluchen können, die nur Tage vor seinem Direktoriumstreffen diese Zahlen veröffentlicht hatte. Seinem Empfinden nach hätte durchaus Absicht dahinterstecken können die Kardiologen in St. Brigid waren wirklich ziemlich arrogante Schnösel und hielten sich für allmächtig.
Hilfesuchend wanderte sein Blick zu Chester Kovac, in solchen Situationen normalerweise ein Mann mit gesundem Menschenverstand, auf den man sich verlassen konnte. Doch dieses Mal hatte Frank sich getäuscht. Chester war nämlich der Ansicht, dass dies eine Idee von visionärer Kraft sei und dass er sich freuen würde, wenn St. Brigid bei dieser Bewegung in vorderster Reihe mitmarschieren würde. Schließlich ginge es nur um Geld.
Frank schäumte vor Wut. Chester konnte leicht sagen, dass es nur um Geld ginge; er hatte schließlich jede Menge davon. Sicher war er sehr großzügig, aber was wusste er schon? Er war Amerikaner polnischer Abstammung mit einem irischen Großvater ein leichtes Opfer für jeden, der es auf ihn abgesehen hatte.
Frank wurde immer wütender.
»Es ist nicht nur Geld, Chester. Hier steht eine riesige Summe auf dem Spiel, mit der man St. Brigid enorm aufwerten könnte.«
»Vergangenes Jahr wollten Sie dieses Stück Land schon mal verkaufen, um einen Parkplatz daraus zu machen«, sagte Chester.
»Aber das Angebot hier ist weitaus besser.« Frank war rot im Gesicht, so sehr regte ihn die ganze Sache auf.
»Nun, wir wären dumm gewesen, hätten wir vergangenes Jahr Ihren Vorschlag angenommen, Frank, wenn man sieht, wie sich die Dinge entwickelt haben«, entgegnete Chester freundlich, aber mit Nachdruck.
»Aber ich habe Wochen gebraucht, um das Angebot in die Höhe zu treiben ...«
»Und letztes Jahr waren wir uns alle einig, dass wir keinen Parkplatz wollten.«
»Aber das hier ist kein Parkplatz. Hier geht es um Luxuswohnungen mit gehobener Ausstattung ...«, ereiferte sich Frank.
»Nicht unbedingt Sinn und Zweck eines Krankenhauses«, konterte Chester Kovac. »Wenn wir schon auf einem so teuren Grundstück sitzen, dann sollten wir das auch nützen«, meldete sich einer der ehemaligen Industriemagnaten zu Wort.
»Wir werden es auch nützen. Wir werden ein kleines Vermögen dafür bekommen und es in das Krankenhaus investieren!« Frank hatte das Gefühl, es mit Leuten zu tun zu haben, die wirklich sehr schwer von Begriff waren.
Die Nonne in Zivil meldete sich zu Wort. »Wir würden ein Projekt bevorzugen, das etwas mehr dem Geist des ursprünglichen Ordens entspricht, der einst dieses Krankenhaus geleitet hat.«
»Wohnungen werden wohl kaum dem Geist des Ordens widersprechen, oder?«, fragte Frank. »Luxuswohnungen mit gehobener Ausstattung mögen vielleicht nicht ganz im Sinn der wohltätigen Schwestern sein«, wandte Chester ein.
»Die wohltätigen Schwestern sind doch schon längst alle weg und ausgestorben!« Frank explodierte. Chesters Blick fiel auf das Gesicht der Nonne in Zivil, die von dieser Bemerkung sehr verletzt zu sein schien. Er musste wohl wieder mal vermitteln.
»Mr. Ennis möchte damit ausdrücken, dass das Werk der Schwester vollendet und ihre Arbeit getan ist. Aber sie haben uns ihr Vermächtnis hinterlassen. Die hiesige Gemeinde benötigt dringend mehr medizinische Versorgung und weniger Luxuswohnungen mit Garagen für zwei Autos, die wiederum die Straßen noch weiter verstopfen werden. Sie benötigt mehr Einrichtungen im Gesundheitswesen. Den Menschen muss dabei geholfen werden, nach dem Schock bei einem Herzinfarkt wieder auf die Füße zu kommen und etwas aus ihrem Leben zu machen. Und um ganz offen zu sein wenn es zur Abstimmung kommt, wäre mir dies das liebste Ergebnis, und dafür werde ich auch meine Stimme abgeben.«
Sein Monolog hatte etwas sehr Würdevolles an sich.
Frank Ennis war bitter enttäuscht. Sie würden das Grundstück wieder nicht loswerden, wie er an diesem Morgen noch so zuversichtlich gehofft hatte. Die Kardiologen hatten gewonnen. Es würden Monate vergehen, ehe man sich über die Kosten einig war, und weitere Monate, bis das Gebäude endlich stand und eingerichtet war. Man würde einen neuen Direktor berufen und neues Personal einstellen müssen. Frank stieß einen tiefen Seufzer aus. Warum besaßen diese Menschen nicht einen Funken Verstand? Sie hätten sich so viele Wünsche auf ihrer Liste erfüllen können, würden sie nur begreifen, wie diese Welt funktionierte. Stattdessen machten sie alles nur noch komplizierter. Irgendwie stand er den Rest der Besprechung durch und hakte dabei automatisch einen Tagesordnungspunkt nach dem nächsten ab. Dann kam es zur Abstimmung über die Nutzungsänderung des zu St. Brigid gehörenden Geländes, besser bekannt als das sogenannte frühere Depot. Wie zu erwarten, war man einstimmig der Ansicht, dass dort eine Tagesklinik für koronare Herzerkrankungen errichtet werden sollte.
Frank schlug eine Machbarkeitsstudie vor, wurde aber prompt überstimmt. Keiner wollte etwas davon hören sonst würde sie die Sache weitere sechs Jahre diskutieren. Beschlossen war beschlossen. Und machbar war es auch.
Trotzdem würde eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen werden müssen, sobald man sich über die Kosten geeinigt, Ausschreibungen diverser Bauunternehmen erhalten und mit der kardiologischen Abteilung die nötige Anzahl an neuen Mitarbeitern ausgehandelt hatte.
Alle blätterten in ihren Terminkalendern, und man einigte sich auf ein Datum. Frank hatte einen Termin in sechs Monaten vorgeschlagen.
Chester Kovac war jedoch der Meinung, dass ein paar Wochen genügen müssten, um die Angebote einzuholen. Die Baufirmen müssten doch wild auf Aufträge sein. Der Vertreter der Kardiologen bedankte sich im Namen seiner Kollegen von St. Brigid und kündigte an, dass sie ihre Forderungen rasch formulieren würden.
»Forderungen!«, schnaubte Frank Ennis.
»Und selbstverständlich muss der Posten des Direktors ausgeschrieben werden«, sagte die Nonne in Zivil.
»O ja, in der Tat. Ich wage zu vermuten, dass hinter den Kulissen bereits einer darauf wartet, hier bald eine ruhige Kugel schieben zu dürfen«, murmelte Frank, noch immer verbittert wegen seiner Niederlage.
»Einer oder eine«, fügte die Nonne mit fester Stimme hinzu.
»Gott an die Frauenquote habe ich natürlich nicht gedacht«, sagte Frank leise. Er war ein Mann, in dessen Leben Frauen nur eine untergeordnete Rolle spielten. Im Golfclub reagierte er jedes Mal empört, wenn er wegen des Damentags warten musste. Zu heiraten hatte er ebenfalls vollkommen vergessen, was für alle Beteiligten jedoch wahrscheinlich das Beste gewesen war. »Er oder sie, selbstverständlich«, sagte er laut. »Tut mir leid, aber ich bin noch vom alten Schlag, Schwester.« »Das ist aber schlecht für Sie, Mr. Ennis«, erwiderte die Nonne in Zivil, während sie schwungvoll das Fenster öffnete, um ein weiteres Mal frische Luft ins Zimmer zu lassen.
KAPITEL EINS
Es sei nur ein kleines Budget vorhanden, um ihr neues Büro einrichten zu können, hatte man Clara Casey erklärt. Ein anstrengender Verwalter mit lauter Stimme, wirr abstehenden Haaren und irritierender Körpersprache hatte dabei auf den langweiligen, ungemütlichen Raum mit den grauen Wänden und den plumpen Aktenschränken aus Stahl gedeutet. Nicht unbedingt die Art von Büroraum, die eine Fachärztin nach Studium und dreißig Jahren Erfahrung im Gesundheitsbetrieb als Aufstieg empfinden würde. Aber es war nie klug, bereits am Anfang zu kritisch zu sein.
Wie hieß der Mann noch gleich? »Tja, in der Tat ... äh ... Frank«, sagte sie. »Aber hieraus lässt sich sicher etwas machen.«
Mit dieser Antwort hatte Frank nicht gerechnet. Die gutaussehende Brünette in dem schicken lila Strickkostüm, die auf die fünfzig zugehen mochte, lief in dem Zimmer auf und ab wie eine Löwin im Käfig.
»Doch leider nur in einem gewissen Rahmen, Dr. Casey, vom Finanziellen her, fürchte ich. Aber hier ein neuer Anstrich und dort ein nettes Möbelstück, ein femininer Touch sozusagen das wird Wunder bewirken.« Er lächelte nachsichtig.
Clara musste sich zusammenreißen, um nicht ausfallend zu werden. »Natürlich, ja, genau dieselben Maßnahmen würde ich ergreifen, um meine eigene Wohnung zu verschönern. Doch hier liegt die Sache vollkommen anders, denn ich kann nicht von einem Zimmer aus arbeiten, das nur über einen endlos langen Korridor zu erreichen ist. Wenn ich diese ambulante Klinik leiten soll, muss ich näher am Zentrum des Geschehens sitzen.«
»Aber alle werden wissen, wo Sie zu finden sind. Ihr Name wird an der Tür stehen«, stammelte Frank. »Ich habe definitiv nicht die Absicht, mich hier in diese Ecke zu verkriechen«, erwiderte Clara. »Dr. Casey, Sie wissen, unsere Mittel sind begrenzt, Sie waren sich im Klaren über die Natur dieser Einrichtung, als Sie die Stelle annahmen.«
»Wo mein Schreibtisch stehen sollte, war zu dem Zeitpunkt kein Thema, das wurde mit keinem Wort erwähnt. Die Raumfrage sollte später geklärt werden. Und heute ist später.«
Frank gefiel ihr Tonfall ganz und gar nicht. Sie hörte sich an wie eine Lehrerin.
»Und das ist der fragliche Raum«, sagte er. Sie war kurz versucht, ihn zu bitten, sie Clara zu nennen, doch ihr fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass dieser Mann, wollte sie hier etwas bewirken, ihre Autorität würde anerkennen müssen. Sie kannte diesen Typus.
»Ich denke nicht, Frank«, entgegnete sie.
»Können Sie mir vielleicht zeigen, wo man Sie sonst unterbringen könnte? Das Zimmer der Diätassistentin ist noch kleiner als das hier, die Sekretärin hat gerade Platz für sich und die Akten. Der Physiotherapeut muss sich das Zimmer mit einer Unmenge an Gerätschaften teilen, die Krankenschwestern brauchen ihre Station für sich selbst, und das Wartezimmer gehört nun mal vorn an den Eingang. Könnten Sie mir also freundlicherweise verraten, woher wir ein anderes Büro für Sie nehmen sollen, wenn Ihnen dieser absolut passende Raum nicht zusagt?«
»Ich werde in der Halle sitzen«, erklärte Clara. »Die Halle? Welche Halle?«
»Der große Raum, wenn Sie durch die Glastüren kommen.«
»Aber, Dr. Casey, das geht doch nicht.«
»Und warum nicht, Frank?« »
Sie säßen da wie auf einem Präsentierteller«, stammelte er. »Ja und?«
»Sie hätten keinerlei Privatsphäre, es sähe aus ... es wäre einfach nicht richtig. Außerdem wäre da nur Platz für einen Schreibtisch.«
»Mehr als einen Schreibtisch brauche ich auch nicht.«
»Nein, Dr. Casey, bei allem Respekt, aber Sie brauchen mehr als einen Schreibtisch. Viel mehr. Zum Beispiel einen Aktenschrank«, beendete Frank lahm seinen Satz.
»Ich kann doch einen im Zimmer der Sekretärin für mich reservieren.«
»Und wohin mit den Krankenblättern Ihrer Patienten?«
»In die Schwesternstation.«
»Sie werden ab und zu einen ruhigen Ort benötigen, um mit den Patienten zu reden.«
»Wir können ja diesen Raum hier, der Ihnen so am Herzen liegt, zum Beratungszimmer erklären, und das können wir dann alle benutzen, wenn wir es brauchen. Man könnte das Zimmer in ruhigen, warmen Tönen streichen und neue Vorhänge besorgen; ich suche sie auch aus, wenn Sie wollen. Dazu ein paar Stühle, ein runder Tisch. Okay?« Frank wusste, dass die Schlacht verloren war, aber er wagte einen letzten Vorstoß.
»So etwas hat es hier noch nie gegeben, Dr. Casey, noch nie.«
»Eine ambulante Herzklinik hat es hier auch noch nie gegeben, Frank, also hat es wenig Sinn, Dinge miteinander zu vergleichen, die es so noch nie gegeben hat. Wir richten diese Tagesklinik von Grund auf neu ein, und wenn ich sie leiten soll, dann werde ich das so machen, wie ich es für richtig halte.«
Clara spürte, dass er ihr von der Tür aus noch immer missbilligend nachsah, als sie zu ihrem Wagen ging. Sie hielt den Kopf hoch und fror das aufgesetzte Lächeln auf ihrem Gesicht ein.
Sie öffnete die Tür des Autos und setzte sich hinter das Steuer.
Irgendjemand würde Frank nach der Arbeit heute sicher fragen, wie sie denn so sei. Sie wusste, was er antworten würde.
»Eine beschissene Emanze.«
Auf Nachfrage würde er sie als machthungrig bezeichnen, als eine Frau, die es nicht erwarten könne, es sich auf ihrem Chefsessel bequem zu machen und die Muskeln spielen zu lassen. Wenn er wüsste. Niemand durfte es je erfahren. Niemand würde je wissen, wie wenig Clara Casey diesen neuen Job haben wollte. Doch sie hatte zugestimmt, ihn für ein Jahr zu übernehmen. Und daran würde sie sich auch halten.
Als Clara sich in den Nachmittagsverkehr einfädelte, fühlte sie sich sicher genug, das aufgesetzte Lächeln wie eine Maske vom Gesicht zu nehmen. Sie hatte vor, unterwegs in den Supermarkt zu fahren und eine Auswahl an Pastasaucen zu kaufen. Sie konnte nach Hause bringen, was sie wollte, eines der Mädchen hatte immer etwas daran auszusetzen. Der Käse war zu würzig, die Tomaten zu geschmacklos, die Pestosauce zu trendig. Aber bei drei Auswahlmöglichkeiten würden sie vielleicht etwas Passendes finden. Clara schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die beiden jungen Damen heute Abend guter Laune wären.
Gerade heute könnte sie es nicht ertragen, wenn Adi und ihr Freund Gerry wieder einmal einen ihrer häufigen ideologischen Dispute zum Thema Umwelt, Walfang oder Käfighaltung von Hühnern hätten. Oder wenn Linda sich zum wiederholten Mal auf ein Abenteuer mit einem Nichtsnutz eingelassen hatte, der sie nach der ersten Nacht wieder nicht angerufen hatte.
Clara seufzte.
Man hatte ihr erzählt, dass Mädchen im Teenageralter schrecklich seien, doch mit zwanzig Jahren würde sich die Lage langsam wieder bessern. Wie üblich war es bei Clara genau umgekehrt. Ihre beiden Töchter, die eine dreiundzwanzig, die andere einundzwanzig Jahre alt, waren unerträglich. Als Teenager waren sie bei weitem nicht so schlimm gewesen. Aber natürlich hatte damals auch noch ihr Vater, dieser Mistkerl von Alan, im Haus gewohnt, was einiges erleichtert hatte. In gewisser Weise zumindest.
Adi Casey sperrte die Tür auf und trat in das Haus, das sie mit ihrer Schwester und ihrer Mutter bewohnte. Haus der fliegenden Hitzen, wie ihre Schwester Linda ihr Heim sarkastisch zu nennen pflegte. Sehr witzig.
Ihre Mutter war noch nicht zu Hause. Umso besser, dachte Adi, so hätte sie wenigstens Gelegenheit, genüsslich und lange zu baden und dabei das neue Badeöl auszuprobieren, das sie auf dem Nachhausweg auf dem Markt gekauft hatte. Sie hatte außerdem ein wenig Bio-Gemüse mitgenommen. Wer konnte schon wissen, welche chemisch vergifteten, gentechnisch veränderten Lebensmittel aus dem Supermarkt ihre Mutter wieder anschleppen würde.
Zu ihrem großen Missfallen hörte Adi jedoch Musik aus dem Badezimmer dringen. Linda war ihr offenbar zuvorgekommen. Mutter hatte immer wieder von einem zweiten Bad gesprochen, wenigstens von einer Dusche, aber in der letzten Zeit war das kein Thema mehr gewesen. Und da ihre Mutter die ersehnte tolle Stelle nicht bekommen hatte, war momentan die Zeit denkbar ungünstig, darauf zu bestehen. Adi lieferte zu Hause einen kleinen Teil ihres Gehalts ab, aber als Lehrerin verdiente sie nun mal nicht viel. Linda hingegen steuerte gar nichts bei. Sie studierte zwar noch, wäre aber nie auf die Idee gekommen, sich einen Job zu suchen. Ihre Mutter finanzierte alles aus eigener Kraft und hatte folglich auch das Sagen.
Ehe Adi in ihr Zimmer gehen konnte, klingelte das Telefon.
Es war ihr Vater.
»Wie geht es meiner schönen Tochter?«, fragte er.
»Ich glaube, sie badet gerade, Dad. Soll ich sie holen?«
»Ich habe dich gemeint, Adi.«
»Du meinst immer den, mit dem du gerade sprichst, Dad. Das kennen wir doch.«
»Adi, bitte. Ich versuche doch nur, nett zu sein. Jetzt geh nicht gleich wieder an die Decke.«
»Okay, Dad, sorry. Was gibt's?«
»Kann ich nicht einfach mal anrufen, um meinen ...«
»Das ist nicht deine Art. Du rufst nur dann an, wenn du was willst.« Adis Tonfall war unüberhörbar scharf.
»Wird deine Mutter heute Abend zu Hause sein?« »Ja.«
»Um wie viel Uhr?«
»Wir sind eine Familie, Dad, kein Hotel, in dem sich die Gäste schriftlich anmelden.«
»Ich will mit ihr reden.«
»Dann ruf sie später an.«
»Sie ruft nie zurück.«
»Dann komm vorbei.«
»Das mag sie nicht, das weißt du. Ihr Haus und so weiter.«
»Ich bin zu alt für diese Spielchen zwischen euch. Das geht jetzt schon zu lange. Bring das endlich mal auf die Reihe, Dad. Bitte.«
»Könntet ihr zwei mir einen Gefallen tun und heute Abend nicht zu Hause sein? Linda und du, meine ich. Ich will mit eurer Mutter etwas besprechen.«
»Nein, wir werden nicht außer Haus sein.«
»Ich spendiere euch ein Abendessen.«
»Du willst uns dafür bezahlen, dass wir unser eigenes Haus verlassen?«
»Versuch doch mal, mir zu helfen.«
»Warum sollte ich? Du hast die ganze Zeit über nie versucht, irgendjemandem bei irgendetwas zu helfen.«
»Warum willst du mir nicht einmal diesen kleinen Gefallen tun?«
»Weil Mam angekündigt hat, uns zu bekochen, um ihren neuen Job zu feiern. Weil es schon lange geplant ist und ich das jetzt nicht absagen werde. Tut mir leid, Dad.«
»Ich komme trotzdem vorbei.« Und damit legte er auf.
Linda kam tropfend und in ein Handtuch gewickelt aus dem Badezimmer. Missmutig betrachtete Adi ihre Schwester. Linda, die sich von Junkfood ernährte, rauchte und trank, sah einfach umwerfend schön aus, selbst das lange, nasse Haar sah an ihr besser aus als ein neuer, schicker Haarschnitt an einer anderen Frau. Das Leben war einfach ungerecht.
»Wer war das am Telefon?«, fragte Linda.
»Dad. Er hat sich nicht abwimmeln lassen.«
Copyright © 2008 by Maeve Binchy
Copyright © 2010 der eutschsprachigen Ausgabe bei Knaur Verlag.
Übersetzung:»Gabriela Schönberger«
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Autoren-Porträt von Maeve Binchy
Maeve Binchy wurde in der Nähe von Dublin geboren. Nach ihrem Studium war sie zunächst als Redakteurin für die Irish Times tätig. Seit Ende der siebziger Jahre arbeitete sie als freie Schriftstellerin. Ihre Romane, darunter Cathys Traum, Echo vergangener Tage, Der grüne See, Ein Haus in Irland und Im Kreis der Freunde wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Maeve Binchy lebte in Dublin und London. Sie verstarb im Juli 2012 im Alter von 72 Jahren.
Bibliographische Angaben
- Autor: Maeve Binchy
- 2010, 581 Seiten, Maße: 14,8 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Gabriela Schönberger
- Übersetzer: Gabriela Schönberger
- Verlag: Knaur
- ISBN-10: 3426663864
- ISBN-13: 9783426663868
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