Weites Land der Liebe
Nach dem Erfolg von "Traumpfad der Liebe" erscheint der neue Australien-Bestseller von Ann Clancy nun zum ersten Mal in deutscher Sprache.
Australien 1839: Die temperamentvolle Bonnie Douglas ist siebzehn Jahre alt und lebt...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Weltbild Ausgabe
10.95 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Weites Land der Liebe “
Nach dem Erfolg von "Traumpfad der Liebe" erscheint der neue Australien-Bestseller von Ann Clancy nun zum ersten Mal in deutscher Sprache.
Australien 1839: Die temperamentvolle Bonnie Douglas ist siebzehn Jahre alt und lebt mit ihrem Vater in einer abgelegenen Walfängerkolonie. Ihr Leben verläuft in geordneten Bahnen, bis sie sich in den attraktiven Rowan Elliott, der als Ordnungshüter nach Encounter Bay entsandt wird, verliebt. Doch ihr Vater Douglas verweigert dem jungen Paar seinen Segen. Als Rowan dann den alten Douglas wegen Mordverdachts festnehmen lässt, zerbricht Bonnies heile Welt. Doch sie kämpft für ihr Glück und am Ende wendet sich das Schicksal.
Lese-Probe zu „Weites Land der Liebe “
Weites Land der Liebe von Ann Clancy 1. KapitelEncounter Bay, Kolonie Südaustralien, Mai 1839
Bonnie hörte, wie sich, erst im Lager der Schwarzen, dann in der Siedlung der Walfänger selbst, lautes Geschrei erhob. Neugierig blickte sie zum Felsvorsprung am anderen Ende der Bucht hinüber. Und da war es! Die rote Flagge wanderte tatsächlich den Fahnenmast hinauf. Der erste Wal dieser Saison.
Als das schrille Läuten der Glocke ertönte, glitt ihr die Wäsche wie vergessen aus den Händen zurück in den Zuber. In der eben noch so stillen Siedlung herrschte auf einmal rege Betriebsamkeit, und Männer liefen rufend durcheinander. Bonnie hastete zu dem Häuschen aus grob behauenen Steinen hinüber, in dem sie ihrem Vater den Haushalt führte. Während sie zur Tür hineinstürmte, zog er bereits seinen Mantel an.
»Vater! Wale! Und das so früh in der Saison!«
»Bonnie, mein liebes Kind. Das ist ein gutes Zeichen. Außerdem ist gerade der richtige Tag dafür. Und du bist wie immer pünktlich zur Stelle, um deinem Vater zu helfen«, erwiderte er und steckte sein Messer in die Scheide, die er an der Hüfte trug. Wenn er sich für etwas begeisterte, war sein schottischer Akzent stets besonders ausgeprägt. Vermutlich hätten die meisten seiner Mitmenschen kein Wort verstanden.
... mehr
»Ich gehe runter zum Boot und bereite alles vor«, sagte sie.
»Währenddessen kannst du die Männer zusammentrommeln.«
Bonnie wirbelte herum und eilte zur Anlegestelle, wo einige Männer bereits damit beschäftigt waren, das erste der beiden Boote zum Ufer zu schleppen. Für Begrüßungen war keine Zeit, Fragen waren überflüssig. Schließlich wusste die Mannschaft, dass es Bonnies Aufgabe war, mit anzupacken, wenn ihr Vater in See stechen wollte. Allerdings hieß das nicht, dass Hugh Douglas auf ihre Unterstützung angewiesen gewesen wäre; denn er war der Kapitän und kannte sich besser in diesem Geschäft aus als alle anderen in der Siedlung. Doch er vertrat die Ansicht, dass vier Augen mehr sahen als zwei und dass auf Bonnie Verlass war, denn sie erkannte auf Anhieb, ob an Bord irgendetwas fehlte oder sich nicht an seinem angestammten Platz befand.
Nun musterte sie mit geschultem Blick das lang gestreckte weiße Boot, die Ruder und Paddel, die Axt, den Schöpfeimer und die Fässer mit den Leinen. Sie entfernte die Stoffabdeckung, um sich zu vergewissern, dass die Leinen auch ordentlich aufgerollt waren, und rüttelte am Wasserfass, um das Gewicht zu überprüfen. Denn der Walfang war eine harte Arbeit, bei der man trotz des kalten Winterwindes mächtig Durst bekam. Außerdem würden die Männer viele Stunden lang auf See sein. Auch ein Wassereimer stand bereit, um die Leine zu wässern, wenn der Wal sie auf seiner Flucht mit rasender Geschwindigkeit aus dem Behälter riss. Die Kiste mit der Notfallausrüstung stand zwar bereit, aber Bonnie hatte keine Zeit mehr, den Inhalt zu begutachten. Also ging sie einfach davon aus, dass sie, sorgfältig gegen Nässe geschützt, alles enthielt, was möglicherweise gebraucht werden könnte: Feuerstein, Laterne, Kerzen, Brot, Tabak, Reparaturwerkzeug und Lappen, um zu verhindern, dass die Männer sich an den Leinen die Hände aufrissen.
Auch lange, stabile und rasiermesserscharfe Harpunen waren vorhanden. Daneben lagen die Lanzen und außerdem ein Spaten, der dazu diente, ein Loch in den Kopf oder die Schwanzflossen des Wals zu schlagen, um das Zugseil zu befestigen. Das Boot roch nach frischer Farbe, Teer und neuen Hanfseilen, was Bonnie als wesentlich angenehmer empfand als den muffigen Gestank, den das Blut eines toten Wals verströmte. Nur eines fehlte noch, und das waren die wasserdichten Säcke mit dem Proviant. Wo mochte der Koch bloß stecken?
Bonnies Blick wanderte über die Landschaft, die das Meer von der kleinen Walfängersiedlung trennte. Im nächsten Moment hatte sie den Koch entdeckt, der, die großen Leinensäcke mit Lebensmitteln geschultert, angelaufen kam.
»Das war ja in letzter Minute«, meinte Bonnie erleichtert und griff nach dem ersten schweren Sack, um ihn im Boot zu verstauen. Vermutlich enthielt er wie immer Rindfleisch, Schweinefleisch, Fladenbrot und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Rum. Der Koch brachte die übrigen Säcke an Bord. Inzwischen schaukelten beide Boote in der Uferdünung, und die Männer warteten ungeduldig darauf, in See zu stechen.
»Wo ist Vater?«, wunderte sich Bonnie. Für gewöhnlich war er als Erster zur Stelle, auch wenn es seine Aufgabe war, die Nachzügler zusammenzurufen.
Niemand antwortete. Die Männer sahen zu, wie das zweite Boot mit Verpflegung beladen wurde. Dann war es bereit zum Aufbruch.
»Also los!«, befahl Pete Taylor, der zweite Kapitän und Stellvertreter ihres Vaters, der auf dem zweiten Boot das Kommando führte. Die Männer gehorchten, ohne zu murren, wateten, das Boot hinter sich herziehend, ins Wasser hinaus, kletterten hinein und griffen zu den Rudern. Es war ein schöner Vormittag im Spätherbst; nur einige kleine Wellen schlugen an den Strand.
Bonnie blickte ihnen nach, als sie davonruderten. Wo mochte bloß ihr Vater stecken? Die übrigen Männer machten aus ihrer Ungeduld keinen Hehl, schauten zwischen der Flagge auf dem Felsen und dem anderen Boot hin und her und nützten die Wartezeit, um sich eine letzte Pfeife zu genehmigen. Sonst war es Hugh Douglas' Boot, das als erstes in See stach und den Wal erlegte. Ehrensache also und eine der wenigen Freuden, die dieser harte Beruf mit sich brachte.
»Wissen Sie vielleicht, wo er steckt, Roger?«, fragte sie den Harpunier und zweiten Offizier an Bord. »Keine Ahnung, Miss«, antwortete der Mann. »Ob wir ohne ihn aufbrechen sollten?« Er wich ihrem Blick aus. Das könnte Roger Sleath so passen, dachte Bonnie. Der Mann war von Ehrgeiz zerfressen und wollte um jeden Preis Kapitän werden. Im letzten Jahr hatte er diesen Posten wegen des großen Mangels an Arbeitskräften sogar vorübergehend bekleidet, denn die Lebensmittel waren derart knapp und die Bedingungen so erbärmlich gewesen, dass die Männer schneller verschwunden waren, als man neue Seeleute hatte anwerben können. Als ihr Vater eingestellt worden war, hatte Roger keinen Hehl daraus gemacht, dass es ihn wurmte, nun einen erfahrenen Kapitän vor die Nase gesetzt zu bekommen.
Endlich hastete ihr Vater mit finsterer Miene den Strand entlang. »Zum Teufel mit Dick Motley! In der finstersten Hölle soll er schmoren!«
»Was ist mit ihm?«
»Sturzbesoffen ist er! Er liegt schnarchend im Gebüsch hinter der Männerunterkunft. Ein paar andere sind auch noch dabei.« Der Vater keuchte vom Rennen und bekam einen Hustenanfall.
»Kann man ihn denn nicht wecken?«, erkundigte sich Roger.
»Ja, gib ihm einen ordentlichen Tritt in den Hintern, Vater!« Hugh räusperte sich. »Das habe ich versucht. Aber er hat nur gekotzt und ist gleich wieder umgekippt. Selbst wenn wir ihn an Bord schaffen könnten, wäre er zu nichts nütze.« Er schaute hinauf zum Felsen, wo ein Ausguck mit Handzeichen die Anzahl der Wale und die Richtung, in der sie schwammen, meldete. »Offenbar ist es mehr als einer, und zwar gleich südwestlich von uns. Wenn wir jetzt nicht sofort aufbrechen, werden wir keinen mehr kriegen.«
»Ich hole einen der Ersatzleute«, schlug Roger vor. »
Zwecklos. Die sind auch nicht in besserer Verfassung.«
»Wo haben sie denn bloß den vielen Rum her?«, wunderte sich Bonnie.
»Keine Ahnung. Die Tür ist jedenfalls noch abgeschlossen.«
Bonnie unterzog die Anwesenden einer raschen Musterung und stellte fest, dass Mick Fitzmartin den Blick senkte und sich abwandte. Röte stieg ihm den Hals hinauf.
»Als ob es nicht schon ohne solche Zwischenfälle schwierig genug wäre, ein Boot zu bemannen«, schimpfte ihr Vater weiter. »Bonnie, ich weiß, dass es dir das Herz bricht, mit anzusehen, wie diese schönen Tiere getötet werden, aber du musst mitkommen.«
Bonnie blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Der Walfang gehörte zu den gefährlichsten Berufen. Außerdem verabscheute sie es, die armen Tiere abzuschlachten. Doch sie wusste, dass ihr Vater sie jetzt brauchte. Immerhin verdienten sie mit dem Walfang ihren Lebensunterhalt, und ohne Wale gab es kein Geld. Also nickte sie. »Einverstanden.«
»Sicher wollen Sie nicht, dass Ihr Rock nass wird«, raunte Roger Bonnie zu, schlang ihr einen Arm um die Taille und hob sie hoch, bevor sie Gelegenheit hatte, sich zu sträuben. Während er sie wie ein Kind über die Bordwand hievte, presste er seine schmale Hüfte gegen sie.
Bonnie hielt sich am Dollbord des kleinen Walfangbootes fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und setzte sich. Die Männer wateten tief ins Wasser hinaus und kletterten dann selbst an Bord. Für Vorsicht war keine Zeit. Bonnie versuchte, das wilde Schwanken des Bootes mit ihrem Körpergewicht auszugleichen. Nachdem jeder Mann seinen Riemen gegriffen hatte, ging es los. Bonnie spürte die Blicke der Männer im Rücken, als sie mit Leibeskräften ruderte. Obwohl sie vermutlich nicht einmal so stark war wie der schwächste Mann, war sie fest entschlossen, ihr Bestes zu geben. Hugh, der an der Ruderpinne stand, feuerte seine Leute an, sich ins Zeug zu legen. Als Bonnie sich umwandte, sah sie, dass die Gesichter der Männer vor Anstrengung verzerrt waren. Den ersten stand bereits der Schweiß auf der Stirn. Das zweite Boot hatte bereits einen gewaltigen Vorsprung. Bonnie stellte fest, dass sich das Haar ihres Vaters aus dem Haarband gelöst hatte und in der steifen Brise flatterte. Inzwischen war es nicht mehr rotbraun wie einst, sondern fast völlig weiß, und Bonnie fiel auf, wie sehr er seit dem letzten Winter gealtert war. Da hatte ihn eine schwere Grippeerkrankung, die ihm auf die Brust geschlagen war, für Wochen ans Bett gefesselt und ihn beinahe umgebracht. Seitdem schienen seine Kräfte stark nachgelassen zu haben.
Vielleicht aber lag es auch daran, dass sie mit ihren siebzehn Jahren nunmehr alt genug war, um solche Veränderungen zu bemerken.
Copyright der Originalausgabe © 1999 by Ann Clancy Published by Arrangement with Ann Clancy Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH
Übersetzung:»Katrin Dufner«
»Währenddessen kannst du die Männer zusammentrommeln.«
Bonnie wirbelte herum und eilte zur Anlegestelle, wo einige Männer bereits damit beschäftigt waren, das erste der beiden Boote zum Ufer zu schleppen. Für Begrüßungen war keine Zeit, Fragen waren überflüssig. Schließlich wusste die Mannschaft, dass es Bonnies Aufgabe war, mit anzupacken, wenn ihr Vater in See stechen wollte. Allerdings hieß das nicht, dass Hugh Douglas auf ihre Unterstützung angewiesen gewesen wäre; denn er war der Kapitän und kannte sich besser in diesem Geschäft aus als alle anderen in der Siedlung. Doch er vertrat die Ansicht, dass vier Augen mehr sahen als zwei und dass auf Bonnie Verlass war, denn sie erkannte auf Anhieb, ob an Bord irgendetwas fehlte oder sich nicht an seinem angestammten Platz befand.
Nun musterte sie mit geschultem Blick das lang gestreckte weiße Boot, die Ruder und Paddel, die Axt, den Schöpfeimer und die Fässer mit den Leinen. Sie entfernte die Stoffabdeckung, um sich zu vergewissern, dass die Leinen auch ordentlich aufgerollt waren, und rüttelte am Wasserfass, um das Gewicht zu überprüfen. Denn der Walfang war eine harte Arbeit, bei der man trotz des kalten Winterwindes mächtig Durst bekam. Außerdem würden die Männer viele Stunden lang auf See sein. Auch ein Wassereimer stand bereit, um die Leine zu wässern, wenn der Wal sie auf seiner Flucht mit rasender Geschwindigkeit aus dem Behälter riss. Die Kiste mit der Notfallausrüstung stand zwar bereit, aber Bonnie hatte keine Zeit mehr, den Inhalt zu begutachten. Also ging sie einfach davon aus, dass sie, sorgfältig gegen Nässe geschützt, alles enthielt, was möglicherweise gebraucht werden könnte: Feuerstein, Laterne, Kerzen, Brot, Tabak, Reparaturwerkzeug und Lappen, um zu verhindern, dass die Männer sich an den Leinen die Hände aufrissen.
Auch lange, stabile und rasiermesserscharfe Harpunen waren vorhanden. Daneben lagen die Lanzen und außerdem ein Spaten, der dazu diente, ein Loch in den Kopf oder die Schwanzflossen des Wals zu schlagen, um das Zugseil zu befestigen. Das Boot roch nach frischer Farbe, Teer und neuen Hanfseilen, was Bonnie als wesentlich angenehmer empfand als den muffigen Gestank, den das Blut eines toten Wals verströmte. Nur eines fehlte noch, und das waren die wasserdichten Säcke mit dem Proviant. Wo mochte der Koch bloß stecken?
Bonnies Blick wanderte über die Landschaft, die das Meer von der kleinen Walfängersiedlung trennte. Im nächsten Moment hatte sie den Koch entdeckt, der, die großen Leinensäcke mit Lebensmitteln geschultert, angelaufen kam.
»Das war ja in letzter Minute«, meinte Bonnie erleichtert und griff nach dem ersten schweren Sack, um ihn im Boot zu verstauen. Vermutlich enthielt er wie immer Rindfleisch, Schweinefleisch, Fladenbrot und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Rum. Der Koch brachte die übrigen Säcke an Bord. Inzwischen schaukelten beide Boote in der Uferdünung, und die Männer warteten ungeduldig darauf, in See zu stechen.
»Wo ist Vater?«, wunderte sich Bonnie. Für gewöhnlich war er als Erster zur Stelle, auch wenn es seine Aufgabe war, die Nachzügler zusammenzurufen.
Niemand antwortete. Die Männer sahen zu, wie das zweite Boot mit Verpflegung beladen wurde. Dann war es bereit zum Aufbruch.
»Also los!«, befahl Pete Taylor, der zweite Kapitän und Stellvertreter ihres Vaters, der auf dem zweiten Boot das Kommando führte. Die Männer gehorchten, ohne zu murren, wateten, das Boot hinter sich herziehend, ins Wasser hinaus, kletterten hinein und griffen zu den Rudern. Es war ein schöner Vormittag im Spätherbst; nur einige kleine Wellen schlugen an den Strand.
Bonnie blickte ihnen nach, als sie davonruderten. Wo mochte bloß ihr Vater stecken? Die übrigen Männer machten aus ihrer Ungeduld keinen Hehl, schauten zwischen der Flagge auf dem Felsen und dem anderen Boot hin und her und nützten die Wartezeit, um sich eine letzte Pfeife zu genehmigen. Sonst war es Hugh Douglas' Boot, das als erstes in See stach und den Wal erlegte. Ehrensache also und eine der wenigen Freuden, die dieser harte Beruf mit sich brachte.
»Wissen Sie vielleicht, wo er steckt, Roger?«, fragte sie den Harpunier und zweiten Offizier an Bord. »Keine Ahnung, Miss«, antwortete der Mann. »Ob wir ohne ihn aufbrechen sollten?« Er wich ihrem Blick aus. Das könnte Roger Sleath so passen, dachte Bonnie. Der Mann war von Ehrgeiz zerfressen und wollte um jeden Preis Kapitän werden. Im letzten Jahr hatte er diesen Posten wegen des großen Mangels an Arbeitskräften sogar vorübergehend bekleidet, denn die Lebensmittel waren derart knapp und die Bedingungen so erbärmlich gewesen, dass die Männer schneller verschwunden waren, als man neue Seeleute hatte anwerben können. Als ihr Vater eingestellt worden war, hatte Roger keinen Hehl daraus gemacht, dass es ihn wurmte, nun einen erfahrenen Kapitän vor die Nase gesetzt zu bekommen.
Endlich hastete ihr Vater mit finsterer Miene den Strand entlang. »Zum Teufel mit Dick Motley! In der finstersten Hölle soll er schmoren!«
»Was ist mit ihm?«
»Sturzbesoffen ist er! Er liegt schnarchend im Gebüsch hinter der Männerunterkunft. Ein paar andere sind auch noch dabei.« Der Vater keuchte vom Rennen und bekam einen Hustenanfall.
»Kann man ihn denn nicht wecken?«, erkundigte sich Roger.
»Ja, gib ihm einen ordentlichen Tritt in den Hintern, Vater!« Hugh räusperte sich. »Das habe ich versucht. Aber er hat nur gekotzt und ist gleich wieder umgekippt. Selbst wenn wir ihn an Bord schaffen könnten, wäre er zu nichts nütze.« Er schaute hinauf zum Felsen, wo ein Ausguck mit Handzeichen die Anzahl der Wale und die Richtung, in der sie schwammen, meldete. »Offenbar ist es mehr als einer, und zwar gleich südwestlich von uns. Wenn wir jetzt nicht sofort aufbrechen, werden wir keinen mehr kriegen.«
»Ich hole einen der Ersatzleute«, schlug Roger vor. »
Zwecklos. Die sind auch nicht in besserer Verfassung.«
»Wo haben sie denn bloß den vielen Rum her?«, wunderte sich Bonnie.
»Keine Ahnung. Die Tür ist jedenfalls noch abgeschlossen.«
Bonnie unterzog die Anwesenden einer raschen Musterung und stellte fest, dass Mick Fitzmartin den Blick senkte und sich abwandte. Röte stieg ihm den Hals hinauf.
»Als ob es nicht schon ohne solche Zwischenfälle schwierig genug wäre, ein Boot zu bemannen«, schimpfte ihr Vater weiter. »Bonnie, ich weiß, dass es dir das Herz bricht, mit anzusehen, wie diese schönen Tiere getötet werden, aber du musst mitkommen.«
Bonnie blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Der Walfang gehörte zu den gefährlichsten Berufen. Außerdem verabscheute sie es, die armen Tiere abzuschlachten. Doch sie wusste, dass ihr Vater sie jetzt brauchte. Immerhin verdienten sie mit dem Walfang ihren Lebensunterhalt, und ohne Wale gab es kein Geld. Also nickte sie. »Einverstanden.«
»Sicher wollen Sie nicht, dass Ihr Rock nass wird«, raunte Roger Bonnie zu, schlang ihr einen Arm um die Taille und hob sie hoch, bevor sie Gelegenheit hatte, sich zu sträuben. Während er sie wie ein Kind über die Bordwand hievte, presste er seine schmale Hüfte gegen sie.
Bonnie hielt sich am Dollbord des kleinen Walfangbootes fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und setzte sich. Die Männer wateten tief ins Wasser hinaus und kletterten dann selbst an Bord. Für Vorsicht war keine Zeit. Bonnie versuchte, das wilde Schwanken des Bootes mit ihrem Körpergewicht auszugleichen. Nachdem jeder Mann seinen Riemen gegriffen hatte, ging es los. Bonnie spürte die Blicke der Männer im Rücken, als sie mit Leibeskräften ruderte. Obwohl sie vermutlich nicht einmal so stark war wie der schwächste Mann, war sie fest entschlossen, ihr Bestes zu geben. Hugh, der an der Ruderpinne stand, feuerte seine Leute an, sich ins Zeug zu legen. Als Bonnie sich umwandte, sah sie, dass die Gesichter der Männer vor Anstrengung verzerrt waren. Den ersten stand bereits der Schweiß auf der Stirn. Das zweite Boot hatte bereits einen gewaltigen Vorsprung. Bonnie stellte fest, dass sich das Haar ihres Vaters aus dem Haarband gelöst hatte und in der steifen Brise flatterte. Inzwischen war es nicht mehr rotbraun wie einst, sondern fast völlig weiß, und Bonnie fiel auf, wie sehr er seit dem letzten Winter gealtert war. Da hatte ihn eine schwere Grippeerkrankung, die ihm auf die Brust geschlagen war, für Wochen ans Bett gefesselt und ihn beinahe umgebracht. Seitdem schienen seine Kräfte stark nachgelassen zu haben.
Vielleicht aber lag es auch daran, dass sie mit ihren siebzehn Jahren nunmehr alt genug war, um solche Veränderungen zu bemerken.
Copyright der Originalausgabe © 1999 by Ann Clancy Published by Arrangement with Ann Clancy Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH
Übersetzung:»Katrin Dufner«
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Ann Clancy
- 2010, 1, 592 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868002979
- ISBN-13: 9783868002973
Kommentar zu "Weites Land der Liebe"
0 Gebrauchte Artikel zu „Weites Land der Liebe“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Weites Land der Liebe".
Kommentar verfassen