Weites Land der Liebe
Eine leidenschaftliche Liebe vor der grandiosen Kulisse des australischen Outbacks
Bonnie Douglas ist eine junge Frau, gefangen in der Enge einer Kleinstadt am Ende der Welt. Ihr Temperament lodert so wild wie die roten Flammen ihrer...
Bonnie Douglas ist eine junge Frau, gefangen in der Enge einer Kleinstadt am Ende der Welt. Ihr Temperament lodert so wild wie die roten Flammen ihrer...
Leider schon ausverkauft
Weltbild Ausgabe
3.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Weites Land der Liebe “
Eine leidenschaftliche Liebe vor der grandiosen Kulisse des australischen Outbacks
Bonnie Douglas ist eine junge Frau, gefangen in der Enge einer Kleinstadt am Ende der Welt. Ihr Temperament lodert so wild wie die roten Flammen ihrer Haare. Vom Schicksal an einen Scheideweg geführt, wählt sie Freiheit und Abenteuer im australischen Outback. Viele Männer teilen ihr Leben, doch ihr leidenschaftliches Herz schlägt nur für die große Liebe.
Lese-Probe zu „Weites Land der Liebe “
Weites Land der Liebe von Ann Clancy1. Kapitel Encounter Bay, Kolonie Südaustralien, Mai ....
Bonnie hörte, wie sich, erst im Lager der Schwarzen, dann in der Siedlung der Walfänger selbst, lautes Geschrei erhob. Neugierig blickte sie zum Felsvorsprung am anderen Ende der Bucht hinüber. Und da war es! Die rote Flagge wanderte tatsächlich den Fahnenmast hinauf. Der erste Wal dieser Saison.
Als das schrille Läuten der Glocke ertönte, glitt ihr die Wäsche wie vergessen aus den Händen zurück in den Zuber. In der eben noch so stillen Siedlung herrschte auf einmal rege Betriebsamkeit, und Männer liefen rufend durcheinander. Bonnie hastete zu dem Häuschen aus grob behauenen Steinen hinüber, in dem sie ihrem Vater den Haushalt führte. Während sie zur Tür hineinstürmte, zog er bereits seinen Mantel an.
»Vater! Wale! Und das so früh in der Saison!«
»Bonnie, mein liebes Kind. Das ist ein gutes Zeichen. Außerdem ist gerade der richtige Tag dafür. Und du bist wie immer pünktlich zur Stelle, um deinem Vater zu helfen«, erwiderte er und steckte sein Messer in die Scheide, die er an der Hüfte trug. Wenn er sich für etwas begeisterte, war sein schottischer Akzent stets besonders ausgeprägt. Vermutlich hätten die meisten seiner Mitmenschen kein Wort verstanden.
»Ich gehe runter zum Boot und bereite alles vor«, sagte sie. »Währenddessen kannst du die Männer zusammentrommeln.«
... mehr
Bonnie wirbelte herum und eilte zur Anlegestelle, wo einige Männer bereits damit beschäftigt waren, das erste der beiden Boote zum Ufer zu schleppen. Für Begrüßungen war keine Zeit, Fragen waren überflüssig. Schließlich wusste die Mannschaft, dass es Bonnies Aufgabe war, mit anzupacken, wenn ihr Vater in See stechen wollte. Allerdings hieß das nicht, dass Hugh Douglas auf ihre Unterstützung angewiesen gewesen wäre; denn er war der Kapitän und kannte sich besser in diesem Geschäft aus als alle anderen in der Siedlung. Doch er vertrat die Ansicht, dass vier Augen mehr sahen als zwei und dass auf Bonnie Verlass war, denn sie erkannte auf Anhieb, ob an Bord irgendetwas fehlte oder sich nicht an seinem angestammten Platz befand.
Nun musterte sie mit geschultem Blick das lang gestreckte weiße Boot, die Ruder und Paddel, die Axt, den Schöpfeimer und die Fässer mit den Leinen. Sie entfernte die Stoffabdeckung, um sich zu vergewissern, dass die Leinen auch ordentlich aufgerollt waren, und rüttelte am Wasserfass, um das Gewicht zu überprüfen. Denn der Walfang war eine harte Arbeit, bei der man trotz des kalten Winterwindes mächtig Durst bekam. Außerdem würden die Männer viele Stunden lang auf See sein. Auch ein Wassereimer stand bereit, um die Leine zu wässern, wenn der Wal sie auf seiner Flucht mit rasender Geschwindigkeit aus dem Behälter riss. Die Kiste mit der Notfallausrüstung stand zwar bereit, aber Bonnie hatte keine Zeit mehr, den Inhalt zu begutachten. Also ging sie einfach davon aus, dass sie, sorgfältig gegen Nässe geschützt, alles enthielt, was möglicherweise gebraucht werden könnte: Feuerstein, Laterne, Kerzen, Brot, Tabak, Reparaturwerkzeug und Lappen, um zu verhindern, dass die Männer sich an den Leinen die Hände aufrissen.
Auch lange, stabile und rasiermesserscharfe Harpunen waren vorhanden. Daneben lagen die Lanzen und außerdem ein Spaten, der dazu diente, ein Loch in den Kopf oder die Schwanzflossen des Wals zu schlagen, um das Zugseil zu befestigen. Das Boot roch nach frischer Farbe, Teer und neuen Hanfseilen, was Bonnie als wesentlich angenehmer empfand als den muffigen Gestank, den das Blut eines toten Wals verströmte. Nur eines fehlte noch, und das waren die wasserdichten Säcke mit dem Proviant. Wo mochte der Koch bloß stecken?
Bonnies Blick wanderte über die Landschaft, die das Meer von der kleinen Walfängersiedlung trennte. Im nächsten Moment hatte sie den Koch entdeckt, der, die großen Leinensäcke mit Lebensmitteln geschultert, angelaufen kam.
»Das war ja in letzter Minute«, meinte Bonnie erleichtert und griff nach dem ersten schweren Sack, um ihn im Boot zu verstauen. Vermutlich enthielt er wie immer Rindfleisch, Schweinefleisch, Fladenbrot und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Rum. Der Koch brachte die übrigen Säcke an Bord. Inzwischen schaukelten beide Boote in der Uferdünung, und die Männer warteten ungeduldig darauf, in See zu stechen.
»Wo ist Vater?«, wunderte sich Bonnie. Für gewöhnlich war er als Erster zur Stelle, auch wenn es seine Aufgabe war, die Nachzügler zusammenzurufen.
Niemand antwortete. Die Männer sahen zu, wie das zweite Boot mit Verpflegung beladen wurde. Dann war es bereit zum Aufbruch.
»Also los!«, befahl Pete Taylor, der zweite Kapitän und Stellvertreter ihres Vaters, der auf dem zweiten Boot das Kommando führte. Die Männer gehorchten, ohne zu murren, wateten, das Boot hinter sich herziehend, ins Wasser hinaus, kletterten hinein und griffen zu den Rudern. Es war ein schöner Vormittag im Spätherbst; nur einige kleine Wellen schlugen an den Strand.
Bonnie blickte ihnen nach, als sie davonruderten. Wo mochte bloß ihr Vater stecken? Die übrigen Männer machten aus ihrer Ungeduld keinen Hehl, schauten zwischen der Flagge auf dem Felsen und dem anderen Boot hin und her und nützten die Wartezeit, um sich eine letzte Pfeife zu genehmigen. Sonst war es Hugh Douglas' Boot, das als erstes in See stach und den Wal erlegte. Ehrensache also und eine der wenigen Freuden, die dieser harte Beruf mit sich brachte.
»Wissen Sie vielleicht, wo er steckt, Roger?«, fragte sie den Harpunier und zweiten Offizier an Bord.
»Keine Ahnung, Miss«, antwortete der Mann. »Ob wir ohne ihn aufbrechen sollten?« Er wich ihrem Blick aus.
Das könnte Roger Sleath so passen, dachte Bonnie. Der Mann war von Ehrgeiz zerfressen und wollte um jeden Preis Kapitän werden. Im letzten Jahr hatte er diesen Posten wegen des großen Mangels an Arbeitskräften sogar vorübergehend bekleidet, denn die Lebensmittel waren derart knapp und die Bedingungen so erbärmlich gewesen, dass die Männer schneller verschwunden waren, als man neue Seeleute hatte anwerben können. Als ihr Vater eingestellt worden war, hatte Roger keinen Hehl daraus gemacht, dass es ihn wurmte, nun einen erfahrenen Kapitän vor die Nase gesetzt zu bekommen.
Endlich hastete ihr Vater mit finsterer Miene den Strand entlang. »Zum Teufel mit Dick Motley! In der finstersten Hölle soll er schmoren!«
»Was ist mit ihm?«
»Sturzbesoffen ist er! Er liegt schnarchend im Gebüsch hinter der Männerunterkunft. Ein paar andere sind auch noch dabei.« Der Vater keuchte vom Rennen und bekam einen Hustenanfall.
»Kann man ihn denn nicht wecken?«, erkundigte sich Roger.
»Ja, gib ihm einen ordentlichen Tritt in den Hintern, Vater!«
Hugh räusperte sich. »Das habe ich versucht. Aber er hat nur gekotzt und ist gleich wieder umgekippt. Selbst wenn wir ihn an Bord schaffen könnten, wäre er zu nichts nütze.« Er schaute hinauf zum Felsen, wo ein Ausguck mit Handzeichen die Anzahl der Wale und die Richtung, in der sie schwammen, meldete. »Offenbar ist es mehr als einer, und zwar gleich südwestlich von uns. Wenn wir jetzt nicht sofort aufbrechen, werden wir keinen mehr kriegen.«
»Ich hole einen der Ersatzleute«, schlug Roger vor.
»Zwecklos. Die sind auch nicht in besserer Verfassung.«
»Wo haben sie denn bloß den vielen Rum her?«, wunderte sich Bonnie.
»Keine Ahnung. Die Tür ist jedenfalls noch abgeschlossen.«
Bonnie unterzog die Anwesenden einer raschen Musterung und stellte fest, dass Mick Fitzmartin den Blick senkte und sich abwandte. Röte stieg ihm den Hals hinauf.
»Als ob es nicht schon ohne solche Zwischenfälle schwierig genug wäre, ein Boot zu bemannen«, schimpfte ihr Vater weiter. »Bonnie, ich weiß, dass es dir das Herz bricht, mit anzusehen, wie diese schönen Tiere getötet werden, aber du musst mitkommen. «
Bonnie blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Der Walfang gehörte zu den gefährlichsten Berufen. Außerdem verabscheute sie es, die armen Tiere abzuschlachten. Doch sie wusste, dass ihr Vater sie jetzt brauchte. Immerhin verdienten sie mit dem Walfang ihren Lebensunterhalt, und ohne Wale gab es kein Geld.
Also nickte sie. »Einverstanden.«
»Sicher wollen Sie nicht, dass Ihr Rock nass wird«, raunte Roger Bonnie zu, schlang ihr einen Arm um die Taille und hob sie hoch, bevor sie Gelegenheit hatte, sich zu sträuben. Während er sie wie ein Kind über die Bordwand hievte, presste er seine schmale Hüfte gegen sie.
Bonnie hielt sich am Dollbord des kleinen Walfangbootes fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und setzte sich. Die Männer wateten tief ins Wasser hinaus und kletterten dann selbst an Bord. Für Vorsicht war keine Zeit. Bonnie versuchte, das wilde Schwanken des Bootes mit ihrem Körpergewicht auszugleichen. Nachdem jeder Mann seinen Riemen gegriffen hatte, ging es los.
Bonnie spürte die Blicke der Männer im Rücken, als sie mit Leibeskräften ruderte. Obwohl sie vermutlich nicht einmal so stark war wie der schwächste Mann, war sie fest entschlossen, ihr Bestes zu geben. Hugh, der an der Ruderpinne stand, feuerte seine Leute an, sich ins Zeug zu legen. Als Bonnie sich umwandte, sah sie, dass die Gesichter der Männer vor Anstrengung verzerrt waren. Den ersten stand bereits der Schweiß auf der Stirn. Das zweite Boot hatte bereits einen gewaltigen Vorsprung.
Bonnie stellte fest, dass sich das Haar ihres Vaters aus dem Haarband gelöst hatte und in der steifen Brise flatterte. Inzwischen war es nicht mehr rotbraun wie einst, sondern fast völlig weiß, und Bonnie fiel auf, wie sehr er seit dem letzten Winter gealtert war. Da hatte ihn eine schwere Grippeerkrankung, die ihm auf die Brust geschlagen war, für Wochen ans Bett gefesselt und ihn beinahe umgebracht. Seitdem schienen seine Kräfte stark nachgelassen zu haben. Vielleicht aber lag es auch daran, dass sie mit ihren siebzehn Jahren nunmehr alt genug war, um solche Veränderungen zu bemerken. Seine Augen versanken in tiefen Falten, als er unter buschigen weißen Brauen hervorspähte und Ausschau nach dem Wal hielt.
»Da ist er!«, rief er von seinem Ausguck im Heck aus.
Bonnie schaute sich erneut um, konnte jedoch nichts entdecken. Im nächsten Moment aber tauchte das Tier auf. Aus dem Blasloch des gewaltigen schwarzen Wals schoss eine Fontäne aus Luft und Wasser in den Himmel.
»Er bläst!«, jubelte sie.
Der Wal war so groß, dass sie ihn nun deutlich erkennen konnten. Kurz darauf sprangen zwei seiner Artgenossen aus dem Wasser, tauchten wieder und zeigten dabei ihre Schwanzflossen. Diese schlugen mit einem Geräusch aufs Wasser auf, das so ohrenbetäubend war wie ein Büchsenschuss. Beide Fangboote setzten den ahnungslosen Walen nach, die fröhlich im Wasser umhertollten. Zum Glück für Hughs Mannschaft wendeten die gewaltigen Tiere plötzlich und steuerten auf die Bucht und damit auf ihr Boot zu. Ihre riesigen schwarzweißen Körper schimmerten im Sonnenlicht.
Bonnies Puls raste, und sie wäre vor Begeisterung am liebsten aufgesprungen. Der Anblick der Wale löste heftiges Herzklopfen in ihr aus. Nun hatte die Jagd begonnen, und die Chancen standen gut, dass sie eines der Kolosse mit ihren Harpunen erlegen würden. Pete Taylor war inzwischen weit zurückgefallen.
»Pullt! Pullt! Pullt!«, schrie Hugh. Mit jedem Schlag der Riemen schien sich das Boot aus den Wellen zu erheben. »Schneller, Männer. Gleich haben wir sie eingeholt. Pullt!«
Beim Rudern spürte Bonnie, wie sich ihr Mieder an Schulterblättern und Brust spannte. Ihre Achselhöhlen waren schweißnass, und sie wusste, dass ihr Gesicht vor Anstrengung gerötet war. Petes Boot war noch immer in Sichtweite, und sie stellte fest, dass auch seine Männer sich mächtig ins Zeug legten. Ihr kleines Boot, das im Sonnenlicht grellweiß glänzte, tanzte wie ein großes Insekt auf dem Wasser.
»Fast haben wir sie!«, rief Hugh begeistert. »Roger, klar bei Harpunen!«
Hugh steuerte das Boot, das trotz seiner fünf Meter Länge neben dem Tier plötzlich winzig wirkte, näher an den Wal heran. Roger stand, die Harpune wurfbereit in der Hand und den Oberschenkel gegen die Bordwand gestützt, da und wartete auf den richtigen Augenblick. Währenddessen plätscherte ihre Beute noch ahnungslos mit den Flossen und genoss das Bad in der geschützten Bucht. Als das aufgewühlte Wasser das Boot traf und es beinahe zum Kentern brachte, schnappte Bonnie erschrocken nach Luft. Sie musste sich beherrschen, um nicht den Riemen fallen zu lassen und sich festzuklammern.
»Ruhig halten!«, befahl Hugh. »Näher heran.«
Zwei Ruderschläge, und der Abstand verringerte sich wieder. Das Sonnenlicht spiegelte sich in der Harpune, die Roger hoch über seinen Kopf erhoben hatte. Mit klopfendem Herzen beobachtete Bonnie, wie er zielte. Inzwischen befanden sie sich direkt neben dem Wal, der dicht unter der Oberfläche schwamm. Jetzt oder nie. Bonnie hielt den Atem an.
Die Harpune zischte schwungvoll und zielsicher auf die Flanke des Wals zu und beschrieb einen funkelnden Bogen, bevor sie abwärts raste und sich in das Fleisch des Tieres bohrte. Die Männer im Boot stießen Jubelrufe aus, die über das Wasser hallten. Die Harpune war tief eingedrungen.
»Bis zum Schaft«, meldete Roger stolz. Bonnie sah, dass sich das Eisen mindestens einen Meter tief in den Körper des Wals gebohrt hatte.
Das gerade noch so ruhige Meer verwandelte sich in Schaum, als der gepeinigte Wal in alle Richtungen mit dem Schwanz ausschlug. Bonnie ließ den Griff des Riemens los und klammerte sich mit aller Kraft am Dollbord fest. Ihre anfängliche Begeisterung wich dem inzwischen vertrauten Gefühl der Todesangst. Denn nun kam der gefährlichste Teil der Jagd, ein Wettlauf zwischen Leben und Tod, weil der Wal versuchen würde, der Lanze zu entfliehen.
In dem Versuch, das Eisen in seiner Seite wieder loszuwerden, warf sich das Tier wild hin und her.
Roger tauschte wie immer Plätze mit Hugh, obwohl es in Bonnies Augen ein ziemlich verwegenes Unterfangen war, so dicht neben einem verwundeten Wal aufzustehen und im Boot umherzugehen. Sie roch den Schweiß der Männer. Es war Angstschweiß, weil sie wussten, welche Mutprobe ihnen nun bevorstand. Im nächsten Moment und ohne jede Vorwarnung tauchte der Wal. Der für die Leine verantwortliche Ruderer stürzte zum Fass und begann, die Leine mit Wasser zu begießen, um sie feucht zu halten, während sie sich mit rasender Geschwindigkeit abrollte. Dennoch sah Bonnie kleine Rauchwolken aufsteigen. Der Wal tauchte immer tiefer. Bonnie blieb fast das Herz stehen, während sie darauf wartete, dass er wieder an die Oberfläche kam. Ein Blick zum Bug des Bootes verriet ihr, dass Hugh schon die kleine Axt bereithielt. Wenn der Wal noch tiefer tauchte, würde er die Leine kappen müssen, damit sie nicht auf den Meeresgrund gezogen wurden. Die Taurolle hatte schon beinahe den Boden des Fasses erreicht, und Hugh holte mit der Axt aus. Das war der Augenblick, in dem unerfahrene Walfänger oft in Panik gerieten. Doch Bonnie war trotz ihrer Jugend bereits ein alter Hase auf diesem Gebiet und zu klug, als dass sie vor Furcht über Bord gesprungen wäre. Stattdessen klammerte sie sich weiter an den Bootsrand und rührte sich nicht von der Stelle. Und dann tauchte der Wal wieder auf. Mit erleichtertem Aufatmen wurde die Axt weggelegt.
Der Wal versuchte nun, sich aus der Bucht in die Freiheit zu flüchten und zog das Boot hinter sich her. Als sie so über das Wasser rasten, wurden sie fast in die Luft gehoben. Ein banges Stoßgebet auf den Lippen, hielt Bonnie sich fest. Graue Gischt spritzte über die Bordwand, sodass man sich fühlte, als würde die Erde von einem gewaltigen Pflug aufgewühlt. Bonnie spürte, wie ihr der Hut vom Kopf gerissen wurde. Ihr Haar wehte wie eine rote Fahne hinter ihr her. Doch sie wagte es nicht, den Bootsrand loszulassen, um es wieder zu bändigen.
Der Wal schwamm indessen immer weiter, bis Granite Island ihm den Weg versperrte. Dann richtete er sich auf und blies erneut eine Wasserfontäne. Noch einmal machten sich die Ruderer ans Werk und brachten das Boot näher an die Beute heran. Bonnie ruderte, so schnell sie konnte. Zug um Zug holte der Bootsmann die Leine ein, und der zuständige Ruderer verstaute sie, ordentlich zusammengerollt, im Fass. Hugh stand, die Lanze gezückt, im Bug. Diese zweischneidige, an einem langen Schaft befestigte Klinge diente dazu, dem Koloss den Todesstoß zu versetzen, indem sie ihm Herz und Lunge durchbohrte.
Bei diesem Teil der Jagd war große Geschicklichkeit gefragt. Roger musste das Boot dicht an den gereizten Wal heransteuern, damit Hugh genau die richtige Stelle traf, um ihn zur Strecke zu bringen. Er hob die Lanze und hielt sie für einen Sekundenbruchteil in dieser Stellung, bevor er sie tief in den Wal hineinstieß. Der Wal spuckte Blut. Die Walfänger jubelten. Die Lanze hatte sich an der richtigen Stelle in den Leib der Beute gebohrt. Der Wal würde nun binnen kurzer Zeit verenden.
Doch noch peitschte er mit seiner Schwanzflosse das Wasser auf und schoss ziellos hin und her. Dabei blies er durch sein Atemloch riesige Fontänen schwarzen Blutes aus, das sich über die Männer, das Boot und das Wasser ergoss. Ärgerlich betrachtete Bonnie ihr bespritztes Kleid. Der fischige, schwere und metallische Geruch von Walblut stieg ihr in die Nase, sodass es ihr den Magen umdrehte. Der Wal wand sich in Krämpfen und verwandelte das Wasser in Schaum. Im nächsten Moment aber drehte er sich kraftlos auf die Seite und schließlich auf den Rücken. Es war vorbei. Die Männer johlten, während aus Peters Boot Glückwünsche zu ihnen hinüberhallten. Bonnie atmete erleichtert auf. Als sie Arme und Beine ausstreckte, wurde ihr bewusst, wie verkrampft sie dagesessen hatte, seit der Wal harpuniert worden war.
Sie musterte das gewaltige Tier, das, den Bauch nach oben, auf dem Wasser trieb. Es war ein trauriger Anblick, der sie mit Mitleid erfüllte, sodass sie den Triumph nicht richtig genießen konnte. Aus der Nähe betrachtet, war der Wal eigentlich ein hässliches Tier, dessen Schädel von einer dicken weißlichen Kruste bedeckt war. Seine Pracht verdankte er nur seiner enormen Größe und der Anmut, mit der er sich im Wasser bewegte. Dieses Exemplar war nach Bonnies Schätzung mindestens vierzehn Meter lang. Das bedauernswerte Geschöpf war hierher in wärmere Gewässer gezogen, um sich zu paaren, Junge zur Welt zu bringen und sie großzuziehen. Da es erst Mai war und die Saison noch am Anfang stand, war die lange Wanderschaft vom Atlantik her für diesen Wal vergeblich gewesen.
Mit jedem getöteten ausgewachsenen Wal starben alle seine möglichen Nachkommen. Wenn Hugh recht behielt, waren die riesigen Tiere womöglich sogar vom Aussterben bedroht, denn in anderen Gebieten waren die Bestände schon stark zurückgegangen. Die übermäßige Bejagung hatte seiner Ansicht nach - und Bonnie teilte diese Auffassung - bereits unter den Walen an der Ostküste und in Van Diemen's Land ihren Tribut gefordert.
Vor ihrem Umzug nach Encounter Bay war Hugh Douglas Walfänger in Van Diemen's Land gewesen. Da Furchenwale dort immer seltener vorkamen, hätte er sich auf Pottwale verlegen müssen. Und weil man dazu große Seereisen unternehmen musste, kam das für einen Mann, der eine kleine Tochter zu versorgen hatte, nicht in Frage. Die Walfangschiffe waren nicht nur viele Tage, Wochen, wenn nicht sogar Monate unterwegs, sondern hatten es zudem noch mit einer ausgesprochen gefährlichen Beute zu tun. Denn harpunierte Pottwale griffen in ihrer Wut häufig die Fangboote an, während das Exemplar, das sie heute erlegt hatten, einer sanftmütigeren und weniger wendigen Art angehörte, die zwar versuchte zu fliehen, aber niemals auf die Jäger losging.
»Gut gemacht, Männer!«, rissen die Worte ihres Vaters Bon- nie aus ihren Gedanken. »Wirklich ausgezeichnet. Der erste Wal der Saison, und nach der Größe zu urteilen, werden wir daran mindestens sechshundert Pfund verdienen.« Bonnie öffnete das Wasserfass und reichte die Schöpfkelle herum. Während die Männer tranken, holte sie das Brot aus dem Sack, brach es in Stücke und verteilte es.
»Danke, Mädchen«, sagte der für die Leine zuständige Ruderer, als er sein Stück entgegennahm. »Sie haben sich heute wacker geschlagen.«
»Wenn sie so weitermacht, wird sie einmal eine großartige Walfängerfrau«, fügte Mick lachend hinzu und warf dabei Hugh einen raschen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht im Ton vergriffen hatte. Doch Hugh lächelte und freute sich so über den Fang, dass er gegen einen kleinen Scherz nichts einzuwenden hatte. »Also, Jungs, wer wird sie sich wohl schnappen? «, fuhr Mick fort.
Bonnie betrachtete ihn. Er war ein gedrungener, vierschrötiger Bursche und so ungehobelt wie die meisten Walfänger. Wegen seiner Bärenkräfte wurde er von Hugh als Mittschiffsmann sehr geschätzt, denn keiner in der Siedlung konnte so schnell und ausdauernd rudern wie er. Auch die anderen Seeleute achteten ihn, denn er war ein echter Kerl, vor allem wenn es darum ging, zu trinken, sich zu prügeln und jedem Weiberrock nach zustellen. Mick würde sicher als Erster Ansprüche auf sie anmelden. Er machte ihr seit ihrer Ankunft in Encounter Bay schöne Augen, hatte aber zu viel Respekt vor ihr und ihrem Vater, um einen Annäherungsversuch zu wagen. Jedenfalls bis jetzt. Allerdings traute Bonnie ihm nicht über den Weg. Und wenn er betrunken war, konnte er gefährlich und gewalttätig werden.
»Falls hier jemand jemanden schnappt, werde ich das selbst übernehmen«, erwiderte Bonnie lachend.
»Und ich werde der Glückliche sein, oder, mein Schatz?«, gab Mick prompt zurück.
»So tief würde ich nie sinken, Mick Fitzmartin«, entgegnete sie schnippisch. »Und da können Sie von Glück reden.«
Die anderen johlten.
»Eine spitze Zunge wie ein Fischweib.« Mick schüttelte in gespieltem Bedauern den Kopf.
Bonnie bedachte ihn mit einem spitzbübischen Blick und stimmte dann eines der Lieder an, die ihr Vater ihr beigebracht hatte. Dabei änderte sie den Text, um ein paar Seitenhiebe auf Mick loszulassen.
Wenn Mick eines Tages ein Bräutigam wird,
Zeigt ihm seine Liebste gleich, wie man pariert.
Vielleicht ist sie hässlich, vielleicht ist sie schön.
Doch das spielt keine Rolle, nachts kann er nichts sehn.
Ist sie jung an Jahren, Micks Freude ist groß.
Ist sie eine Alte, wird er sie rasch wieder los.
Und wird Mick bald Vater, dann platzt er vor Stolz.
Lässt das Kind auf sich warten, sagt Mick sich: »Was soll's?«
Lasst uns für Mick suchen eine reizende Braut.
Die Hauptsache ist, sie ist weiblich gebaut.
Die Walfänger, und auch Mick selbst, brüllten vor Lachen.
»Rache ist süß«, meinte er zu Bonnie.
»Ich werde mich zu wehren wissen, Mick«, gab sie zurück.
Als sie Roger seine Brotration reichte, bemerkte sie zu ihrem Erstaunen, dass sich ein nachdenklicher Ausdruck in seinen Augen malte. Sie sah seinem schmalen, wettergegerbten Gesicht förmlich an, dass er fieberhaft überlegte. Offenbar hatte Mick ihn auf eine Idee gebracht. Allerdings erkannte sie in seinem Blick, anders als bei Mick, keine nackte Begierde, sondern eher etwas Berechnendes. Obwohl er es nicht laut aussprach, wusste sie, dass er sich durch eine Hochzeit mit ihr Chancen auf eine Beförderung zum Kapitän versprach. Im nächsten Moment wanderte sein Blick zu Hugh und wurde noch grüblerischer. Bonnie mochte sich irren, aber eigentlich war sie sich sicher, was in ihm vorging: Er rechnete damit, dass Hugh seine Position an seinen Schwiegersohn abtreten würde.
Bonnie zuckte die Achseln. Vermutlich hatte sie nur eine blühende Fantasie.
»Hier kommt das andere Boot. Wir wollen den Wal an Land schleppen«, befahl Hugh.
Während Bonnie den Proviantsack wegräumte, schlug Hugh mit dem Spaten ein Loch in die Schwanzflosse des Tieres, damit sie die Schleppseile anbringen konnten. Nachdem sie ein Seilende Pete Taylor zugeworfen hatten, konnte es losgehen. Bonnie krempelte ihre Ärmel hoch, setzte sich einigermaßen bequem hin und griff mit beiden Händen nach dem Ruder.
»Alle Mann auf ihre Plätze!«, befahl Hugh. »Und pull ... pull ... pull!«
Hugh stimmte mit heiserer Altmännerstimme ein altes Seefahrerlied an, und Bonnie fiel wie immer mit ihrem klaren Sopran ein. Es war ein langsames Lied, denn sie hatten keine Eile, den Wal ans Ufer zu bringen, und würden ausdauernd und gleichmäßig rudern müssen.
Das Lied half ihnen, den Rhythmus zu halten. Doch was noch wichtiger war, es erleichterte die schwere und langweilige Plackerei und stärkte die Kameradschaft. Bonnie arbeitete gern mit den Männern zusammen und fühlte sich unter ihnen keineswegs wie ein Fremdkörper. Am liebsten war es ihr, wenn man zwischen ihr und den Jungen keinen Unterschied machte. Sobald sie laufen konnte, war sie auf Bäume und Felsen geklettert und hatte mehr Spaß daran gehabt, kleine Tiere zu jagen und Vogeleier zu sammeln, als mit der Lumpenpuppe zu spielen, die mitleidige Walfänger dem mutterlosen kleinen Mädchen gebastelt hatten.
Das gleichmäßige Rudern gab ihr Gelegenheit, ihre Gedanken schweifen zu lassen. Mick hatte recht. Inzwischen war sie eine Frau und musste an ihre Zukunft denken. Sie konnte sich nicht mehr wie ein kleines Mädchen darauf verlassen, dass ihr zartes Alter sie schützen würde. Und eines Tages würde sie ihren eigenen Weg finden müssen. Da sie die einzige weiße Frau in Encounter Bay war, war es nicht weiter verwunderlich, dass sie die Aufmerksamkeit der Männer anzog. Allerdings waren sie alle Walfänger, der Bodensatz der Gesellschaft, wie ihr Vater zu sagen pflegte, und würden nie Zutritt zu besseren Kreisen bekommen. Hugh wäre strikt dagegen gewesen, dass sie einen von ihnen heiratete. Doch wie sollte sie hier einen kultivierten Mann kennenlernen?
Inzwischen war das Seemannslied verklungen, und die Männer sparten ihren Atem fürs Rudern. Also übernahm Hugh das Singen, denn wie er Bonnie gegenüber so oft betonte, half die aufmunternde Wirkung eines Liedes einem über die meisten Tiefen des Lebens hinweg.
Es war ein Lied, das er in Van Diemen's Land gelernt hatte:
Kommt, ihr Söhne der Freiheit, stimmt alle mit ein. Ich künd euch die Freiheit, die nun euer wird sein. Aus Engelands düstren Kerkern kamt ihr ins Van Diemen's Land. Fern eurer Heimat, fern eurer Lieben, und für immer verbannt. Wir haben vieles ertragen und erduldet manche Fron. Doch eines Sträflings Wort begegnet alles nur mit Hohn. Hunger, Peitsche, Schinderei, aller Bürgerrechte bar. Der Busch war unser Zufluchtsort, so ging es Jahr um Jahr. Der Tod wurde in unsrer Not zu unsrem letzten Streben. Denn wer für seine Freiheit kämpft, bezahlt es mit dem Leben. Zur Sklaverei verdammt man uns und schmiedet uns in Ketten. Bis Swallow, Watt und David kamen, um uns zu erretten. Für unsere Rettung wollen wir sie heut noch verehren. So konnten wir Van Diemen's Land endlich den Rücken kehren.
Die Ballade von Cypress ging noch weiter, aber Bonnie war in Gedanken weit vom Gefangenenaufstand entfernt, denn sie grübelte über ihre Zukunft nach. Als ihr Vater das Lied beendet hatte, hatten sie die Victoria erreicht, wo die Beute zerteilt werden sollte, weil die dazu gebauten Flöße durch die Stürme unbrauchbar geworden waren. Die Walboote wurden von den Männern am Ufer mit Jubel begrüßt. Die Schwarzen tanzten, kreischten und heulten, dass man nicht sagen konnte, ob Begeisterung oder Verzweiflung dahintersteckte.
Nach einigem Manövrieren gelang es, den Wal längsseits zum Schiff zu vertäuen. Hunderte von Haien waren ihnen gefolgt und wühlten das Wasser auf, als sie sich auf den Kadaver des Kolosses stürzten. Sie fielen darüber her wie die Bulldoggen, indem sie sich rasch näherten, einen Bissen Speck herausrissen und sich wieder aus dem Staub machten. Mick lachte und schien das blutige Schauspiel zu genießen, doch Bonnie wandte sich angewidert ab.
»Gute Arbeit, Männer«, lobte Hugh noch einmal, als sie die Boote zum Ufer steuerten. »Danke, Bonnie«, fügte er leise hinzu.
Wieder wurde sie von Roger Sleath nachdenklich gemustert, und Bonnie wusste genau, was in ihm vorging. Also blickte sie zur Seite, um ihm keine falschen Hoffnungen zu machen. Du liebe Güte, der Mann war mindestens zwanzig Jahre älter als sie! Außerdem fand sie ihn mit seiner hageren Figur, dem berechnenden Blick und dem stahlgrauen Haar nicht sonderlich anziehend.
Als der Bug des Bootes auf Grund lief, sprangen alle, auch Bonnie, die sich keine Gedanken mehr um ihr blutbespritztes Kleid machte, ins seichte Wasser. Bald waren sie von Menschen umringt. Die Schwarzen beklagten den Tod des Wals, die Arbeiter aus der Transchmelze wollten unbedingt mehr über den ersten Fang erfahren, und Captain Smyth, der Offizier, der der Siedlung vorstand, erwartete sie schon, um ihnen zu gratulieren.
Der Captain hörte sich den Bericht an und bat dann mit erhobener Hand um Ruhe. Selbst die Schwarzen verstummten, und die Menge sah ihn erwartungsvoll an. Offenbar hatte er ihnen eine bedeutsame Mitteilung zu machen.
»Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem ersten Fang in der Saison. Wollen wir hoffen, dass es ein gutes Omen für unsere Siedlung ist. Gut gemacht, insbesondere Hughs Männer, denn ich habe gehört, dass Sie unfreiwilligerweise verspätet aufgebrochen sind. Ich weiß zwar, dass die Besatzungen der Boote jetzt am liebsten nach Hause gehen, sich waschen und etwas essen würden, aber ich muss Ihnen noch etwas Wichtiges sagen. Der Tag, auf den wir so lange gewartet haben, ist endlich da. Heute Morgen sind die uns angekündigten Polizisten auf dem Landweg aus Adelaide eingetroffen, um hier in Encounter Bay einen Posten einzurichten. «
Ihn mochte diese Neuigkeit begeistern, aber es war nicht zu übersehen, dass nicht alle Anwesenden am Strand seine Freude teilten. Einige Mitglieder der Mannschaften und Trankocher, auch Mick, spuckten abfällig in den Sand. Die anderen starrten den Captain gleichmütig an.
»Damit wäre unser freies Leben zu Ende«, hörte Bonnie jemanden murmeln.
Obwohl niemand es laut aussprach, war allgemein bekannt, dass es sich bei vielen Walfängern um entflohene Sträflinge, entlassene Zwangsarbeiter oder desertierte Matrosen handelte, die lieber einen Bogen um die Hüter des Gesetzes machten. Die Walfängersiedlung fernab der Zivilisation war für diese Männer stets ein Zufluchtsort gewesen, denn bis zur nächsten Polizeistation waren es mehrere Tagesreisen.
»Wer sich anständig geführt hat, braucht nichts zu befürchten «, fügte der Captain beschwichtigend hinzu.
»Wie man sich führt, ist denen doch egal«, brummte Bonnies Vater. Sie war erstaunt über seinen verbitterten Tonfall.
Der Captain, der nichts davon bemerkt hatte, fuhr fort: »Der Himmel weiß, dass wir manchmal den Arm des Gesetzes bitter nötig haben. Allein im letzten Jahr sind zwei Männer und ein Straßenräuber hier in Encounter Bay ermordet worden. Außerdem hat es einige Havarien gegeben, nicht nur in dieser Bucht, sondern auch in Murray Mouth und an den gefährlichen Ufern des Coorong. Hinzu kommt, dass die Einheimischen ...« - er senkte die Stimme und warf einen verstohlenen Blick auf die Schwarzen - » ... uns nicht immer freundlich gesinnt sind.«
Die »Einheimischen«, die der Ansprache offenbar nicht folgen konnten, nickten weiter begeistert.
»Wie dem auch sei. Ich habe die drei Polizisten in der ungenutzten Walfängerhütte an der Landzunge unweit von Granite Island untergebracht. Sergeant Elliott, der sie befehligt, hat mich gebeten, alle Männer, die entbehrlich sind, zu einer offiziellen Zusammenkunft einzuladen. Ich habe ihm geantwortet, sie würden sich alle morgen nach dem Frühstück vor der Hütte einfinden. Einige Männer werden gebraucht, um die Schmelzkessel zu beaufsichtigen. Aber ich erwarte, dass sich die Übrigen dort einfinden werden. Vielen Dank, Männer«, beendete er seinen Vortrag und schickte sie weg.
Dann wandte er sich an den Schiffskapitän. »Hugh, kann ich Sie einen Moment sprechen?«
Hugh und der Captain gingen ein paar Schritte. »Ich habe gehört, einige Männer seien heute früh betrunken gewesen ...«, hörte Bonnie den Captain sagen. Doch mehr von der Unterredung konnte sie nicht verstehen.
Sie beobachtete, wie die Walfänger müde über den Strand zu ihren Hütten trotteten, während die Arbeiter sich daranmachten, die Beute zu zerteilen und den Tran zu schmelzen. Bonnie ließ sich erschöpft in den Sand sinken, um auf ihren Vater zu warten und zusammen mit ihm zu ihrer Hütte zu gehen.
Hughs Bemerkung über die neuen Polizisten hatte sie überrascht. Ihr Vater sprach stets so abfällig über die Hüter des Gesetzes, als hege er einen persönlichen Groll gegen sie. Aber warum? Soweit Bonnie es beurteilen konnte, gab es in der ganzen Siedlung keinen ehrlicheren Mann als ihn. Stets hielt er sich streng an die Regeln der Kirche und an die staatlichen Vorschriften. Als sie ihn einmal gefragt hatte, ob er früher Sträfling gewesen sei, hatte er das verneint, und sie glaubte es ihm aufs Wort.
Weshalb also war er nach Van Diemen's Land ausgewandert, wenn nicht aus diesem Grund?
Sie beschloss, einen günstigeren Zeitpunkt abzuwarten, um mit ihm darüber zu reden. Heute Abend würde er zu müde dafür sein. Stattdessen würde sie ihm ein leckeres Abendessen aus Hafergrütze und Rüben kochen, wie er es am liebsten hatte. Und nach dem Essen würde sie ihm zur Entspannung ein ganz kleines Gläschen Whisky gestatten.
Sie sah zu, wie die Männer den Speck vom Kadaver des Wals hackten. Sie fingen dicht unterhalb des Kopfes an und trennten etwa fünfzig Zentimeter breite Streifen ab, als stächen sie Torf. Anschließend wurde der Speck in die Schmelzschuppen gebracht, Unterstände ohne Seitenwände, wo man ihn in Stücke schnitt und in riesige eiserne Kessel gab, die Bonnie bis zur Taille reichten. Die Feuer unter den Kesseln waren bereits angezündet worden. Bonnie beobachtete, wie Qualm aus den Schmelzschuppen aufstieg. Die Männer und ihr Vorarbeiter würden die ganze Nacht auf den Beinen sein, denn wenn der Tran nicht die richtige Temperatur hatte oder achtlos in die Fässer gegossen wurde, verdarb er rasch.
Der Qualm wehte in ihre Richtung. Jetzt roch er noch süßlich und frisch, weil das Feuer mit Eukalyptusholz geschürt wurde. Bald jedoch würde der kochende Tran übel zu stinken beginnen. Wenn sich der Tran vom Fleisch löste, fischte man Letzteres heraus und warf es ins Feuer, was den Gestank noch steigerte. Bonnie wollte unbedingt in ihrer Hütte sein, die nicht in Windrichtung der Schmelzschuppen stand, bevor der schauderhafte Geruch sie erreichte. Nicht zum ersten Mal verfluchte sie das schmutzige und übelriechende Geschäft des Walfangs. Ihr Vater hatte schon recht, wenn er immer wieder sagte, eine Walfängersiedlung sei kein Platz für eine Frau.
© 2010 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Bonnie wirbelte herum und eilte zur Anlegestelle, wo einige Männer bereits damit beschäftigt waren, das erste der beiden Boote zum Ufer zu schleppen. Für Begrüßungen war keine Zeit, Fragen waren überflüssig. Schließlich wusste die Mannschaft, dass es Bonnies Aufgabe war, mit anzupacken, wenn ihr Vater in See stechen wollte. Allerdings hieß das nicht, dass Hugh Douglas auf ihre Unterstützung angewiesen gewesen wäre; denn er war der Kapitän und kannte sich besser in diesem Geschäft aus als alle anderen in der Siedlung. Doch er vertrat die Ansicht, dass vier Augen mehr sahen als zwei und dass auf Bonnie Verlass war, denn sie erkannte auf Anhieb, ob an Bord irgendetwas fehlte oder sich nicht an seinem angestammten Platz befand.
Nun musterte sie mit geschultem Blick das lang gestreckte weiße Boot, die Ruder und Paddel, die Axt, den Schöpfeimer und die Fässer mit den Leinen. Sie entfernte die Stoffabdeckung, um sich zu vergewissern, dass die Leinen auch ordentlich aufgerollt waren, und rüttelte am Wasserfass, um das Gewicht zu überprüfen. Denn der Walfang war eine harte Arbeit, bei der man trotz des kalten Winterwindes mächtig Durst bekam. Außerdem würden die Männer viele Stunden lang auf See sein. Auch ein Wassereimer stand bereit, um die Leine zu wässern, wenn der Wal sie auf seiner Flucht mit rasender Geschwindigkeit aus dem Behälter riss. Die Kiste mit der Notfallausrüstung stand zwar bereit, aber Bonnie hatte keine Zeit mehr, den Inhalt zu begutachten. Also ging sie einfach davon aus, dass sie, sorgfältig gegen Nässe geschützt, alles enthielt, was möglicherweise gebraucht werden könnte: Feuerstein, Laterne, Kerzen, Brot, Tabak, Reparaturwerkzeug und Lappen, um zu verhindern, dass die Männer sich an den Leinen die Hände aufrissen.
Auch lange, stabile und rasiermesserscharfe Harpunen waren vorhanden. Daneben lagen die Lanzen und außerdem ein Spaten, der dazu diente, ein Loch in den Kopf oder die Schwanzflossen des Wals zu schlagen, um das Zugseil zu befestigen. Das Boot roch nach frischer Farbe, Teer und neuen Hanfseilen, was Bonnie als wesentlich angenehmer empfand als den muffigen Gestank, den das Blut eines toten Wals verströmte. Nur eines fehlte noch, und das waren die wasserdichten Säcke mit dem Proviant. Wo mochte der Koch bloß stecken?
Bonnies Blick wanderte über die Landschaft, die das Meer von der kleinen Walfängersiedlung trennte. Im nächsten Moment hatte sie den Koch entdeckt, der, die großen Leinensäcke mit Lebensmitteln geschultert, angelaufen kam.
»Das war ja in letzter Minute«, meinte Bonnie erleichtert und griff nach dem ersten schweren Sack, um ihn im Boot zu verstauen. Vermutlich enthielt er wie immer Rindfleisch, Schweinefleisch, Fladenbrot und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Rum. Der Koch brachte die übrigen Säcke an Bord. Inzwischen schaukelten beide Boote in der Uferdünung, und die Männer warteten ungeduldig darauf, in See zu stechen.
»Wo ist Vater?«, wunderte sich Bonnie. Für gewöhnlich war er als Erster zur Stelle, auch wenn es seine Aufgabe war, die Nachzügler zusammenzurufen.
Niemand antwortete. Die Männer sahen zu, wie das zweite Boot mit Verpflegung beladen wurde. Dann war es bereit zum Aufbruch.
»Also los!«, befahl Pete Taylor, der zweite Kapitän und Stellvertreter ihres Vaters, der auf dem zweiten Boot das Kommando führte. Die Männer gehorchten, ohne zu murren, wateten, das Boot hinter sich herziehend, ins Wasser hinaus, kletterten hinein und griffen zu den Rudern. Es war ein schöner Vormittag im Spätherbst; nur einige kleine Wellen schlugen an den Strand.
Bonnie blickte ihnen nach, als sie davonruderten. Wo mochte bloß ihr Vater stecken? Die übrigen Männer machten aus ihrer Ungeduld keinen Hehl, schauten zwischen der Flagge auf dem Felsen und dem anderen Boot hin und her und nützten die Wartezeit, um sich eine letzte Pfeife zu genehmigen. Sonst war es Hugh Douglas' Boot, das als erstes in See stach und den Wal erlegte. Ehrensache also und eine der wenigen Freuden, die dieser harte Beruf mit sich brachte.
»Wissen Sie vielleicht, wo er steckt, Roger?«, fragte sie den Harpunier und zweiten Offizier an Bord.
»Keine Ahnung, Miss«, antwortete der Mann. »Ob wir ohne ihn aufbrechen sollten?« Er wich ihrem Blick aus.
Das könnte Roger Sleath so passen, dachte Bonnie. Der Mann war von Ehrgeiz zerfressen und wollte um jeden Preis Kapitän werden. Im letzten Jahr hatte er diesen Posten wegen des großen Mangels an Arbeitskräften sogar vorübergehend bekleidet, denn die Lebensmittel waren derart knapp und die Bedingungen so erbärmlich gewesen, dass die Männer schneller verschwunden waren, als man neue Seeleute hatte anwerben können. Als ihr Vater eingestellt worden war, hatte Roger keinen Hehl daraus gemacht, dass es ihn wurmte, nun einen erfahrenen Kapitän vor die Nase gesetzt zu bekommen.
Endlich hastete ihr Vater mit finsterer Miene den Strand entlang. »Zum Teufel mit Dick Motley! In der finstersten Hölle soll er schmoren!«
»Was ist mit ihm?«
»Sturzbesoffen ist er! Er liegt schnarchend im Gebüsch hinter der Männerunterkunft. Ein paar andere sind auch noch dabei.« Der Vater keuchte vom Rennen und bekam einen Hustenanfall.
»Kann man ihn denn nicht wecken?«, erkundigte sich Roger.
»Ja, gib ihm einen ordentlichen Tritt in den Hintern, Vater!«
Hugh räusperte sich. »Das habe ich versucht. Aber er hat nur gekotzt und ist gleich wieder umgekippt. Selbst wenn wir ihn an Bord schaffen könnten, wäre er zu nichts nütze.« Er schaute hinauf zum Felsen, wo ein Ausguck mit Handzeichen die Anzahl der Wale und die Richtung, in der sie schwammen, meldete. »Offenbar ist es mehr als einer, und zwar gleich südwestlich von uns. Wenn wir jetzt nicht sofort aufbrechen, werden wir keinen mehr kriegen.«
»Ich hole einen der Ersatzleute«, schlug Roger vor.
»Zwecklos. Die sind auch nicht in besserer Verfassung.«
»Wo haben sie denn bloß den vielen Rum her?«, wunderte sich Bonnie.
»Keine Ahnung. Die Tür ist jedenfalls noch abgeschlossen.«
Bonnie unterzog die Anwesenden einer raschen Musterung und stellte fest, dass Mick Fitzmartin den Blick senkte und sich abwandte. Röte stieg ihm den Hals hinauf.
»Als ob es nicht schon ohne solche Zwischenfälle schwierig genug wäre, ein Boot zu bemannen«, schimpfte ihr Vater weiter. »Bonnie, ich weiß, dass es dir das Herz bricht, mit anzusehen, wie diese schönen Tiere getötet werden, aber du musst mitkommen. «
Bonnie blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Der Walfang gehörte zu den gefährlichsten Berufen. Außerdem verabscheute sie es, die armen Tiere abzuschlachten. Doch sie wusste, dass ihr Vater sie jetzt brauchte. Immerhin verdienten sie mit dem Walfang ihren Lebensunterhalt, und ohne Wale gab es kein Geld.
Also nickte sie. »Einverstanden.«
»Sicher wollen Sie nicht, dass Ihr Rock nass wird«, raunte Roger Bonnie zu, schlang ihr einen Arm um die Taille und hob sie hoch, bevor sie Gelegenheit hatte, sich zu sträuben. Während er sie wie ein Kind über die Bordwand hievte, presste er seine schmale Hüfte gegen sie.
Bonnie hielt sich am Dollbord des kleinen Walfangbootes fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und setzte sich. Die Männer wateten tief ins Wasser hinaus und kletterten dann selbst an Bord. Für Vorsicht war keine Zeit. Bonnie versuchte, das wilde Schwanken des Bootes mit ihrem Körpergewicht auszugleichen. Nachdem jeder Mann seinen Riemen gegriffen hatte, ging es los.
Bonnie spürte die Blicke der Männer im Rücken, als sie mit Leibeskräften ruderte. Obwohl sie vermutlich nicht einmal so stark war wie der schwächste Mann, war sie fest entschlossen, ihr Bestes zu geben. Hugh, der an der Ruderpinne stand, feuerte seine Leute an, sich ins Zeug zu legen. Als Bonnie sich umwandte, sah sie, dass die Gesichter der Männer vor Anstrengung verzerrt waren. Den ersten stand bereits der Schweiß auf der Stirn. Das zweite Boot hatte bereits einen gewaltigen Vorsprung.
Bonnie stellte fest, dass sich das Haar ihres Vaters aus dem Haarband gelöst hatte und in der steifen Brise flatterte. Inzwischen war es nicht mehr rotbraun wie einst, sondern fast völlig weiß, und Bonnie fiel auf, wie sehr er seit dem letzten Winter gealtert war. Da hatte ihn eine schwere Grippeerkrankung, die ihm auf die Brust geschlagen war, für Wochen ans Bett gefesselt und ihn beinahe umgebracht. Seitdem schienen seine Kräfte stark nachgelassen zu haben. Vielleicht aber lag es auch daran, dass sie mit ihren siebzehn Jahren nunmehr alt genug war, um solche Veränderungen zu bemerken. Seine Augen versanken in tiefen Falten, als er unter buschigen weißen Brauen hervorspähte und Ausschau nach dem Wal hielt.
»Da ist er!«, rief er von seinem Ausguck im Heck aus.
Bonnie schaute sich erneut um, konnte jedoch nichts entdecken. Im nächsten Moment aber tauchte das Tier auf. Aus dem Blasloch des gewaltigen schwarzen Wals schoss eine Fontäne aus Luft und Wasser in den Himmel.
»Er bläst!«, jubelte sie.
Der Wal war so groß, dass sie ihn nun deutlich erkennen konnten. Kurz darauf sprangen zwei seiner Artgenossen aus dem Wasser, tauchten wieder und zeigten dabei ihre Schwanzflossen. Diese schlugen mit einem Geräusch aufs Wasser auf, das so ohrenbetäubend war wie ein Büchsenschuss. Beide Fangboote setzten den ahnungslosen Walen nach, die fröhlich im Wasser umhertollten. Zum Glück für Hughs Mannschaft wendeten die gewaltigen Tiere plötzlich und steuerten auf die Bucht und damit auf ihr Boot zu. Ihre riesigen schwarzweißen Körper schimmerten im Sonnenlicht.
Bonnies Puls raste, und sie wäre vor Begeisterung am liebsten aufgesprungen. Der Anblick der Wale löste heftiges Herzklopfen in ihr aus. Nun hatte die Jagd begonnen, und die Chancen standen gut, dass sie eines der Kolosse mit ihren Harpunen erlegen würden. Pete Taylor war inzwischen weit zurückgefallen.
»Pullt! Pullt! Pullt!«, schrie Hugh. Mit jedem Schlag der Riemen schien sich das Boot aus den Wellen zu erheben. »Schneller, Männer. Gleich haben wir sie eingeholt. Pullt!«
Beim Rudern spürte Bonnie, wie sich ihr Mieder an Schulterblättern und Brust spannte. Ihre Achselhöhlen waren schweißnass, und sie wusste, dass ihr Gesicht vor Anstrengung gerötet war. Petes Boot war noch immer in Sichtweite, und sie stellte fest, dass auch seine Männer sich mächtig ins Zeug legten. Ihr kleines Boot, das im Sonnenlicht grellweiß glänzte, tanzte wie ein großes Insekt auf dem Wasser.
»Fast haben wir sie!«, rief Hugh begeistert. »Roger, klar bei Harpunen!«
Hugh steuerte das Boot, das trotz seiner fünf Meter Länge neben dem Tier plötzlich winzig wirkte, näher an den Wal heran. Roger stand, die Harpune wurfbereit in der Hand und den Oberschenkel gegen die Bordwand gestützt, da und wartete auf den richtigen Augenblick. Währenddessen plätscherte ihre Beute noch ahnungslos mit den Flossen und genoss das Bad in der geschützten Bucht. Als das aufgewühlte Wasser das Boot traf und es beinahe zum Kentern brachte, schnappte Bonnie erschrocken nach Luft. Sie musste sich beherrschen, um nicht den Riemen fallen zu lassen und sich festzuklammern.
»Ruhig halten!«, befahl Hugh. »Näher heran.«
Zwei Ruderschläge, und der Abstand verringerte sich wieder. Das Sonnenlicht spiegelte sich in der Harpune, die Roger hoch über seinen Kopf erhoben hatte. Mit klopfendem Herzen beobachtete Bonnie, wie er zielte. Inzwischen befanden sie sich direkt neben dem Wal, der dicht unter der Oberfläche schwamm. Jetzt oder nie. Bonnie hielt den Atem an.
Die Harpune zischte schwungvoll und zielsicher auf die Flanke des Wals zu und beschrieb einen funkelnden Bogen, bevor sie abwärts raste und sich in das Fleisch des Tieres bohrte. Die Männer im Boot stießen Jubelrufe aus, die über das Wasser hallten. Die Harpune war tief eingedrungen.
»Bis zum Schaft«, meldete Roger stolz. Bonnie sah, dass sich das Eisen mindestens einen Meter tief in den Körper des Wals gebohrt hatte.
Das gerade noch so ruhige Meer verwandelte sich in Schaum, als der gepeinigte Wal in alle Richtungen mit dem Schwanz ausschlug. Bonnie ließ den Griff des Riemens los und klammerte sich mit aller Kraft am Dollbord fest. Ihre anfängliche Begeisterung wich dem inzwischen vertrauten Gefühl der Todesangst. Denn nun kam der gefährlichste Teil der Jagd, ein Wettlauf zwischen Leben und Tod, weil der Wal versuchen würde, der Lanze zu entfliehen.
In dem Versuch, das Eisen in seiner Seite wieder loszuwerden, warf sich das Tier wild hin und her.
Roger tauschte wie immer Plätze mit Hugh, obwohl es in Bonnies Augen ein ziemlich verwegenes Unterfangen war, so dicht neben einem verwundeten Wal aufzustehen und im Boot umherzugehen. Sie roch den Schweiß der Männer. Es war Angstschweiß, weil sie wussten, welche Mutprobe ihnen nun bevorstand. Im nächsten Moment und ohne jede Vorwarnung tauchte der Wal. Der für die Leine verantwortliche Ruderer stürzte zum Fass und begann, die Leine mit Wasser zu begießen, um sie feucht zu halten, während sie sich mit rasender Geschwindigkeit abrollte. Dennoch sah Bonnie kleine Rauchwolken aufsteigen. Der Wal tauchte immer tiefer. Bonnie blieb fast das Herz stehen, während sie darauf wartete, dass er wieder an die Oberfläche kam. Ein Blick zum Bug des Bootes verriet ihr, dass Hugh schon die kleine Axt bereithielt. Wenn der Wal noch tiefer tauchte, würde er die Leine kappen müssen, damit sie nicht auf den Meeresgrund gezogen wurden. Die Taurolle hatte schon beinahe den Boden des Fasses erreicht, und Hugh holte mit der Axt aus. Das war der Augenblick, in dem unerfahrene Walfänger oft in Panik gerieten. Doch Bonnie war trotz ihrer Jugend bereits ein alter Hase auf diesem Gebiet und zu klug, als dass sie vor Furcht über Bord gesprungen wäre. Stattdessen klammerte sie sich weiter an den Bootsrand und rührte sich nicht von der Stelle. Und dann tauchte der Wal wieder auf. Mit erleichtertem Aufatmen wurde die Axt weggelegt.
Der Wal versuchte nun, sich aus der Bucht in die Freiheit zu flüchten und zog das Boot hinter sich her. Als sie so über das Wasser rasten, wurden sie fast in die Luft gehoben. Ein banges Stoßgebet auf den Lippen, hielt Bonnie sich fest. Graue Gischt spritzte über die Bordwand, sodass man sich fühlte, als würde die Erde von einem gewaltigen Pflug aufgewühlt. Bonnie spürte, wie ihr der Hut vom Kopf gerissen wurde. Ihr Haar wehte wie eine rote Fahne hinter ihr her. Doch sie wagte es nicht, den Bootsrand loszulassen, um es wieder zu bändigen.
Der Wal schwamm indessen immer weiter, bis Granite Island ihm den Weg versperrte. Dann richtete er sich auf und blies erneut eine Wasserfontäne. Noch einmal machten sich die Ruderer ans Werk und brachten das Boot näher an die Beute heran. Bonnie ruderte, so schnell sie konnte. Zug um Zug holte der Bootsmann die Leine ein, und der zuständige Ruderer verstaute sie, ordentlich zusammengerollt, im Fass. Hugh stand, die Lanze gezückt, im Bug. Diese zweischneidige, an einem langen Schaft befestigte Klinge diente dazu, dem Koloss den Todesstoß zu versetzen, indem sie ihm Herz und Lunge durchbohrte.
Bei diesem Teil der Jagd war große Geschicklichkeit gefragt. Roger musste das Boot dicht an den gereizten Wal heransteuern, damit Hugh genau die richtige Stelle traf, um ihn zur Strecke zu bringen. Er hob die Lanze und hielt sie für einen Sekundenbruchteil in dieser Stellung, bevor er sie tief in den Wal hineinstieß. Der Wal spuckte Blut. Die Walfänger jubelten. Die Lanze hatte sich an der richtigen Stelle in den Leib der Beute gebohrt. Der Wal würde nun binnen kurzer Zeit verenden.
Doch noch peitschte er mit seiner Schwanzflosse das Wasser auf und schoss ziellos hin und her. Dabei blies er durch sein Atemloch riesige Fontänen schwarzen Blutes aus, das sich über die Männer, das Boot und das Wasser ergoss. Ärgerlich betrachtete Bonnie ihr bespritztes Kleid. Der fischige, schwere und metallische Geruch von Walblut stieg ihr in die Nase, sodass es ihr den Magen umdrehte. Der Wal wand sich in Krämpfen und verwandelte das Wasser in Schaum. Im nächsten Moment aber drehte er sich kraftlos auf die Seite und schließlich auf den Rücken. Es war vorbei. Die Männer johlten, während aus Peters Boot Glückwünsche zu ihnen hinüberhallten. Bonnie atmete erleichtert auf. Als sie Arme und Beine ausstreckte, wurde ihr bewusst, wie verkrampft sie dagesessen hatte, seit der Wal harpuniert worden war.
Sie musterte das gewaltige Tier, das, den Bauch nach oben, auf dem Wasser trieb. Es war ein trauriger Anblick, der sie mit Mitleid erfüllte, sodass sie den Triumph nicht richtig genießen konnte. Aus der Nähe betrachtet, war der Wal eigentlich ein hässliches Tier, dessen Schädel von einer dicken weißlichen Kruste bedeckt war. Seine Pracht verdankte er nur seiner enormen Größe und der Anmut, mit der er sich im Wasser bewegte. Dieses Exemplar war nach Bonnies Schätzung mindestens vierzehn Meter lang. Das bedauernswerte Geschöpf war hierher in wärmere Gewässer gezogen, um sich zu paaren, Junge zur Welt zu bringen und sie großzuziehen. Da es erst Mai war und die Saison noch am Anfang stand, war die lange Wanderschaft vom Atlantik her für diesen Wal vergeblich gewesen.
Mit jedem getöteten ausgewachsenen Wal starben alle seine möglichen Nachkommen. Wenn Hugh recht behielt, waren die riesigen Tiere womöglich sogar vom Aussterben bedroht, denn in anderen Gebieten waren die Bestände schon stark zurückgegangen. Die übermäßige Bejagung hatte seiner Ansicht nach - und Bonnie teilte diese Auffassung - bereits unter den Walen an der Ostküste und in Van Diemen's Land ihren Tribut gefordert.
Vor ihrem Umzug nach Encounter Bay war Hugh Douglas Walfänger in Van Diemen's Land gewesen. Da Furchenwale dort immer seltener vorkamen, hätte er sich auf Pottwale verlegen müssen. Und weil man dazu große Seereisen unternehmen musste, kam das für einen Mann, der eine kleine Tochter zu versorgen hatte, nicht in Frage. Die Walfangschiffe waren nicht nur viele Tage, Wochen, wenn nicht sogar Monate unterwegs, sondern hatten es zudem noch mit einer ausgesprochen gefährlichen Beute zu tun. Denn harpunierte Pottwale griffen in ihrer Wut häufig die Fangboote an, während das Exemplar, das sie heute erlegt hatten, einer sanftmütigeren und weniger wendigen Art angehörte, die zwar versuchte zu fliehen, aber niemals auf die Jäger losging.
»Gut gemacht, Männer!«, rissen die Worte ihres Vaters Bon- nie aus ihren Gedanken. »Wirklich ausgezeichnet. Der erste Wal der Saison, und nach der Größe zu urteilen, werden wir daran mindestens sechshundert Pfund verdienen.« Bonnie öffnete das Wasserfass und reichte die Schöpfkelle herum. Während die Männer tranken, holte sie das Brot aus dem Sack, brach es in Stücke und verteilte es.
»Danke, Mädchen«, sagte der für die Leine zuständige Ruderer, als er sein Stück entgegennahm. »Sie haben sich heute wacker geschlagen.«
»Wenn sie so weitermacht, wird sie einmal eine großartige Walfängerfrau«, fügte Mick lachend hinzu und warf dabei Hugh einen raschen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht im Ton vergriffen hatte. Doch Hugh lächelte und freute sich so über den Fang, dass er gegen einen kleinen Scherz nichts einzuwenden hatte. »Also, Jungs, wer wird sie sich wohl schnappen? «, fuhr Mick fort.
Bonnie betrachtete ihn. Er war ein gedrungener, vierschrötiger Bursche und so ungehobelt wie die meisten Walfänger. Wegen seiner Bärenkräfte wurde er von Hugh als Mittschiffsmann sehr geschätzt, denn keiner in der Siedlung konnte so schnell und ausdauernd rudern wie er. Auch die anderen Seeleute achteten ihn, denn er war ein echter Kerl, vor allem wenn es darum ging, zu trinken, sich zu prügeln und jedem Weiberrock nach zustellen. Mick würde sicher als Erster Ansprüche auf sie anmelden. Er machte ihr seit ihrer Ankunft in Encounter Bay schöne Augen, hatte aber zu viel Respekt vor ihr und ihrem Vater, um einen Annäherungsversuch zu wagen. Jedenfalls bis jetzt. Allerdings traute Bonnie ihm nicht über den Weg. Und wenn er betrunken war, konnte er gefährlich und gewalttätig werden.
»Falls hier jemand jemanden schnappt, werde ich das selbst übernehmen«, erwiderte Bonnie lachend.
»Und ich werde der Glückliche sein, oder, mein Schatz?«, gab Mick prompt zurück.
»So tief würde ich nie sinken, Mick Fitzmartin«, entgegnete sie schnippisch. »Und da können Sie von Glück reden.«
Die anderen johlten.
»Eine spitze Zunge wie ein Fischweib.« Mick schüttelte in gespieltem Bedauern den Kopf.
Bonnie bedachte ihn mit einem spitzbübischen Blick und stimmte dann eines der Lieder an, die ihr Vater ihr beigebracht hatte. Dabei änderte sie den Text, um ein paar Seitenhiebe auf Mick loszulassen.
Wenn Mick eines Tages ein Bräutigam wird,
Zeigt ihm seine Liebste gleich, wie man pariert.
Vielleicht ist sie hässlich, vielleicht ist sie schön.
Doch das spielt keine Rolle, nachts kann er nichts sehn.
Ist sie jung an Jahren, Micks Freude ist groß.
Ist sie eine Alte, wird er sie rasch wieder los.
Und wird Mick bald Vater, dann platzt er vor Stolz.
Lässt das Kind auf sich warten, sagt Mick sich: »Was soll's?«
Lasst uns für Mick suchen eine reizende Braut.
Die Hauptsache ist, sie ist weiblich gebaut.
Die Walfänger, und auch Mick selbst, brüllten vor Lachen.
»Rache ist süß«, meinte er zu Bonnie.
»Ich werde mich zu wehren wissen, Mick«, gab sie zurück.
Als sie Roger seine Brotration reichte, bemerkte sie zu ihrem Erstaunen, dass sich ein nachdenklicher Ausdruck in seinen Augen malte. Sie sah seinem schmalen, wettergegerbten Gesicht förmlich an, dass er fieberhaft überlegte. Offenbar hatte Mick ihn auf eine Idee gebracht. Allerdings erkannte sie in seinem Blick, anders als bei Mick, keine nackte Begierde, sondern eher etwas Berechnendes. Obwohl er es nicht laut aussprach, wusste sie, dass er sich durch eine Hochzeit mit ihr Chancen auf eine Beförderung zum Kapitän versprach. Im nächsten Moment wanderte sein Blick zu Hugh und wurde noch grüblerischer. Bonnie mochte sich irren, aber eigentlich war sie sich sicher, was in ihm vorging: Er rechnete damit, dass Hugh seine Position an seinen Schwiegersohn abtreten würde.
Bonnie zuckte die Achseln. Vermutlich hatte sie nur eine blühende Fantasie.
»Hier kommt das andere Boot. Wir wollen den Wal an Land schleppen«, befahl Hugh.
Während Bonnie den Proviantsack wegräumte, schlug Hugh mit dem Spaten ein Loch in die Schwanzflosse des Tieres, damit sie die Schleppseile anbringen konnten. Nachdem sie ein Seilende Pete Taylor zugeworfen hatten, konnte es losgehen. Bonnie krempelte ihre Ärmel hoch, setzte sich einigermaßen bequem hin und griff mit beiden Händen nach dem Ruder.
»Alle Mann auf ihre Plätze!«, befahl Hugh. »Und pull ... pull ... pull!«
Hugh stimmte mit heiserer Altmännerstimme ein altes Seefahrerlied an, und Bonnie fiel wie immer mit ihrem klaren Sopran ein. Es war ein langsames Lied, denn sie hatten keine Eile, den Wal ans Ufer zu bringen, und würden ausdauernd und gleichmäßig rudern müssen.
Das Lied half ihnen, den Rhythmus zu halten. Doch was noch wichtiger war, es erleichterte die schwere und langweilige Plackerei und stärkte die Kameradschaft. Bonnie arbeitete gern mit den Männern zusammen und fühlte sich unter ihnen keineswegs wie ein Fremdkörper. Am liebsten war es ihr, wenn man zwischen ihr und den Jungen keinen Unterschied machte. Sobald sie laufen konnte, war sie auf Bäume und Felsen geklettert und hatte mehr Spaß daran gehabt, kleine Tiere zu jagen und Vogeleier zu sammeln, als mit der Lumpenpuppe zu spielen, die mitleidige Walfänger dem mutterlosen kleinen Mädchen gebastelt hatten.
Das gleichmäßige Rudern gab ihr Gelegenheit, ihre Gedanken schweifen zu lassen. Mick hatte recht. Inzwischen war sie eine Frau und musste an ihre Zukunft denken. Sie konnte sich nicht mehr wie ein kleines Mädchen darauf verlassen, dass ihr zartes Alter sie schützen würde. Und eines Tages würde sie ihren eigenen Weg finden müssen. Da sie die einzige weiße Frau in Encounter Bay war, war es nicht weiter verwunderlich, dass sie die Aufmerksamkeit der Männer anzog. Allerdings waren sie alle Walfänger, der Bodensatz der Gesellschaft, wie ihr Vater zu sagen pflegte, und würden nie Zutritt zu besseren Kreisen bekommen. Hugh wäre strikt dagegen gewesen, dass sie einen von ihnen heiratete. Doch wie sollte sie hier einen kultivierten Mann kennenlernen?
Inzwischen war das Seemannslied verklungen, und die Männer sparten ihren Atem fürs Rudern. Also übernahm Hugh das Singen, denn wie er Bonnie gegenüber so oft betonte, half die aufmunternde Wirkung eines Liedes einem über die meisten Tiefen des Lebens hinweg.
Es war ein Lied, das er in Van Diemen's Land gelernt hatte:
Kommt, ihr Söhne der Freiheit, stimmt alle mit ein. Ich künd euch die Freiheit, die nun euer wird sein. Aus Engelands düstren Kerkern kamt ihr ins Van Diemen's Land. Fern eurer Heimat, fern eurer Lieben, und für immer verbannt. Wir haben vieles ertragen und erduldet manche Fron. Doch eines Sträflings Wort begegnet alles nur mit Hohn. Hunger, Peitsche, Schinderei, aller Bürgerrechte bar. Der Busch war unser Zufluchtsort, so ging es Jahr um Jahr. Der Tod wurde in unsrer Not zu unsrem letzten Streben. Denn wer für seine Freiheit kämpft, bezahlt es mit dem Leben. Zur Sklaverei verdammt man uns und schmiedet uns in Ketten. Bis Swallow, Watt und David kamen, um uns zu erretten. Für unsere Rettung wollen wir sie heut noch verehren. So konnten wir Van Diemen's Land endlich den Rücken kehren.
Die Ballade von Cypress ging noch weiter, aber Bonnie war in Gedanken weit vom Gefangenenaufstand entfernt, denn sie grübelte über ihre Zukunft nach. Als ihr Vater das Lied beendet hatte, hatten sie die Victoria erreicht, wo die Beute zerteilt werden sollte, weil die dazu gebauten Flöße durch die Stürme unbrauchbar geworden waren. Die Walboote wurden von den Männern am Ufer mit Jubel begrüßt. Die Schwarzen tanzten, kreischten und heulten, dass man nicht sagen konnte, ob Begeisterung oder Verzweiflung dahintersteckte.
Nach einigem Manövrieren gelang es, den Wal längsseits zum Schiff zu vertäuen. Hunderte von Haien waren ihnen gefolgt und wühlten das Wasser auf, als sie sich auf den Kadaver des Kolosses stürzten. Sie fielen darüber her wie die Bulldoggen, indem sie sich rasch näherten, einen Bissen Speck herausrissen und sich wieder aus dem Staub machten. Mick lachte und schien das blutige Schauspiel zu genießen, doch Bonnie wandte sich angewidert ab.
»Gute Arbeit, Männer«, lobte Hugh noch einmal, als sie die Boote zum Ufer steuerten. »Danke, Bonnie«, fügte er leise hinzu.
Wieder wurde sie von Roger Sleath nachdenklich gemustert, und Bonnie wusste genau, was in ihm vorging. Also blickte sie zur Seite, um ihm keine falschen Hoffnungen zu machen. Du liebe Güte, der Mann war mindestens zwanzig Jahre älter als sie! Außerdem fand sie ihn mit seiner hageren Figur, dem berechnenden Blick und dem stahlgrauen Haar nicht sonderlich anziehend.
Als der Bug des Bootes auf Grund lief, sprangen alle, auch Bonnie, die sich keine Gedanken mehr um ihr blutbespritztes Kleid machte, ins seichte Wasser. Bald waren sie von Menschen umringt. Die Schwarzen beklagten den Tod des Wals, die Arbeiter aus der Transchmelze wollten unbedingt mehr über den ersten Fang erfahren, und Captain Smyth, der Offizier, der der Siedlung vorstand, erwartete sie schon, um ihnen zu gratulieren.
Der Captain hörte sich den Bericht an und bat dann mit erhobener Hand um Ruhe. Selbst die Schwarzen verstummten, und die Menge sah ihn erwartungsvoll an. Offenbar hatte er ihnen eine bedeutsame Mitteilung zu machen.
»Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem ersten Fang in der Saison. Wollen wir hoffen, dass es ein gutes Omen für unsere Siedlung ist. Gut gemacht, insbesondere Hughs Männer, denn ich habe gehört, dass Sie unfreiwilligerweise verspätet aufgebrochen sind. Ich weiß zwar, dass die Besatzungen der Boote jetzt am liebsten nach Hause gehen, sich waschen und etwas essen würden, aber ich muss Ihnen noch etwas Wichtiges sagen. Der Tag, auf den wir so lange gewartet haben, ist endlich da. Heute Morgen sind die uns angekündigten Polizisten auf dem Landweg aus Adelaide eingetroffen, um hier in Encounter Bay einen Posten einzurichten. «
Ihn mochte diese Neuigkeit begeistern, aber es war nicht zu übersehen, dass nicht alle Anwesenden am Strand seine Freude teilten. Einige Mitglieder der Mannschaften und Trankocher, auch Mick, spuckten abfällig in den Sand. Die anderen starrten den Captain gleichmütig an.
»Damit wäre unser freies Leben zu Ende«, hörte Bonnie jemanden murmeln.
Obwohl niemand es laut aussprach, war allgemein bekannt, dass es sich bei vielen Walfängern um entflohene Sträflinge, entlassene Zwangsarbeiter oder desertierte Matrosen handelte, die lieber einen Bogen um die Hüter des Gesetzes machten. Die Walfängersiedlung fernab der Zivilisation war für diese Männer stets ein Zufluchtsort gewesen, denn bis zur nächsten Polizeistation waren es mehrere Tagesreisen.
»Wer sich anständig geführt hat, braucht nichts zu befürchten «, fügte der Captain beschwichtigend hinzu.
»Wie man sich führt, ist denen doch egal«, brummte Bonnies Vater. Sie war erstaunt über seinen verbitterten Tonfall.
Der Captain, der nichts davon bemerkt hatte, fuhr fort: »Der Himmel weiß, dass wir manchmal den Arm des Gesetzes bitter nötig haben. Allein im letzten Jahr sind zwei Männer und ein Straßenräuber hier in Encounter Bay ermordet worden. Außerdem hat es einige Havarien gegeben, nicht nur in dieser Bucht, sondern auch in Murray Mouth und an den gefährlichen Ufern des Coorong. Hinzu kommt, dass die Einheimischen ...« - er senkte die Stimme und warf einen verstohlenen Blick auf die Schwarzen - » ... uns nicht immer freundlich gesinnt sind.«
Die »Einheimischen«, die der Ansprache offenbar nicht folgen konnten, nickten weiter begeistert.
»Wie dem auch sei. Ich habe die drei Polizisten in der ungenutzten Walfängerhütte an der Landzunge unweit von Granite Island untergebracht. Sergeant Elliott, der sie befehligt, hat mich gebeten, alle Männer, die entbehrlich sind, zu einer offiziellen Zusammenkunft einzuladen. Ich habe ihm geantwortet, sie würden sich alle morgen nach dem Frühstück vor der Hütte einfinden. Einige Männer werden gebraucht, um die Schmelzkessel zu beaufsichtigen. Aber ich erwarte, dass sich die Übrigen dort einfinden werden. Vielen Dank, Männer«, beendete er seinen Vortrag und schickte sie weg.
Dann wandte er sich an den Schiffskapitän. »Hugh, kann ich Sie einen Moment sprechen?«
Hugh und der Captain gingen ein paar Schritte. »Ich habe gehört, einige Männer seien heute früh betrunken gewesen ...«, hörte Bonnie den Captain sagen. Doch mehr von der Unterredung konnte sie nicht verstehen.
Sie beobachtete, wie die Walfänger müde über den Strand zu ihren Hütten trotteten, während die Arbeiter sich daranmachten, die Beute zu zerteilen und den Tran zu schmelzen. Bonnie ließ sich erschöpft in den Sand sinken, um auf ihren Vater zu warten und zusammen mit ihm zu ihrer Hütte zu gehen.
Hughs Bemerkung über die neuen Polizisten hatte sie überrascht. Ihr Vater sprach stets so abfällig über die Hüter des Gesetzes, als hege er einen persönlichen Groll gegen sie. Aber warum? Soweit Bonnie es beurteilen konnte, gab es in der ganzen Siedlung keinen ehrlicheren Mann als ihn. Stets hielt er sich streng an die Regeln der Kirche und an die staatlichen Vorschriften. Als sie ihn einmal gefragt hatte, ob er früher Sträfling gewesen sei, hatte er das verneint, und sie glaubte es ihm aufs Wort.
Weshalb also war er nach Van Diemen's Land ausgewandert, wenn nicht aus diesem Grund?
Sie beschloss, einen günstigeren Zeitpunkt abzuwarten, um mit ihm darüber zu reden. Heute Abend würde er zu müde dafür sein. Stattdessen würde sie ihm ein leckeres Abendessen aus Hafergrütze und Rüben kochen, wie er es am liebsten hatte. Und nach dem Essen würde sie ihm zur Entspannung ein ganz kleines Gläschen Whisky gestatten.
Sie sah zu, wie die Männer den Speck vom Kadaver des Wals hackten. Sie fingen dicht unterhalb des Kopfes an und trennten etwa fünfzig Zentimeter breite Streifen ab, als stächen sie Torf. Anschließend wurde der Speck in die Schmelzschuppen gebracht, Unterstände ohne Seitenwände, wo man ihn in Stücke schnitt und in riesige eiserne Kessel gab, die Bonnie bis zur Taille reichten. Die Feuer unter den Kesseln waren bereits angezündet worden. Bonnie beobachtete, wie Qualm aus den Schmelzschuppen aufstieg. Die Männer und ihr Vorarbeiter würden die ganze Nacht auf den Beinen sein, denn wenn der Tran nicht die richtige Temperatur hatte oder achtlos in die Fässer gegossen wurde, verdarb er rasch.
Der Qualm wehte in ihre Richtung. Jetzt roch er noch süßlich und frisch, weil das Feuer mit Eukalyptusholz geschürt wurde. Bald jedoch würde der kochende Tran übel zu stinken beginnen. Wenn sich der Tran vom Fleisch löste, fischte man Letzteres heraus und warf es ins Feuer, was den Gestank noch steigerte. Bonnie wollte unbedingt in ihrer Hütte sein, die nicht in Windrichtung der Schmelzschuppen stand, bevor der schauderhafte Geruch sie erreichte. Nicht zum ersten Mal verfluchte sie das schmutzige und übelriechende Geschäft des Walfangs. Ihr Vater hatte schon recht, wenn er immer wieder sagte, eine Walfängersiedlung sei kein Platz für eine Frau.
© 2010 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
... weniger
Autoren-Porträt von Ann Clancy
Die Australierin Ann Clancy stammt aus Irland und hat sich seit ihrer Kindheit für die alten Familiengeschichten aus der Kolonialzeit begeistert. So war der Weg vorgezeichnet zum Schreiben historischer Romane, die im australischen Outback ihren Schauplatz haben. Ann Clancy hat große, abenteuerliche Reisen auf allen Kontinenten unternommen, sagt aber von sich, ihr größtes Abenteuer sei das Schreiben. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Adelaide.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ann Clancy
- 640 Seiten, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3955690083
- ISBN-13: 9783955690083
Kommentare zu "Weites Land der Liebe"
0 Gebrauchte Artikel zu „Weites Land der Liebe“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 7Schreiben Sie einen Kommentar zu "Weites Land der Liebe".
Kommentar verfassen