Wenn ich fort bin
Penelope hat von ihrem Mann und ihren vier besten Freundinnen ein Versprechen verlangt: Wenn sie einmal stirbt, darf ihr Mann nur eine Frau heiraten, mit der ihre Freundinnen einverstanden sind. Als Penelope stirbt, kümmert sich ihre Freundin Lucy um...
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Produktinformationen zu „Wenn ich fort bin “
Penelope hat von ihrem Mann und ihren vier besten Freundinnen ein Versprechen verlangt: Wenn sie einmal stirbt, darf ihr Mann nur eine Frau heiraten, mit der ihre Freundinnen einverstanden sind. Als Penelope stirbt, kümmert sich ihre Freundin Lucy um die Familie. Doch dann taucht ein völlig unerwartetes Problem auf.
Lese-Probe zu „Wenn ich fort bin “
Wenn ich fort bin von Sheila CurranVorspiel
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Penelope Cameron May verfügte über mehr Geld als Gott, was ihr Bedürfnis erklären könnte, von Zeit zu Zeit Gott zu spielen. Nach der Geburt ihrer Töchter verstärkte sich diese Regung sogar noch. Sie fügte ihrem Testament einen Nachtrag hinzu, in dem sie ihre Stiefschwester und ihre drei besten Freundinnen aus dem College als Garantinnen dafür berief, dass ihr Ehemann im Falle ihres frühzeitigen Todes nicht die falsche Frau heiratete.
Anfangs hatte Joey über den rechtlichen Schritt seiner Frau gelacht und ihn als »postmortale Fernsteuerung« bezeichnet. Penelope aber sagte, sie betrachte ihn lieber als Sicherheitsnetz.
Man könnte alle möglichen Erklärungen für Penelopes Testamentsnachtrag anführen, doch die naheliegendste war die Tatsache, dass ihr gramerfüllter Vater, nachdem ihre Mutter an Eierstockkrebs gestorben war, ein sonnengebräuntes Flittchen aus dem Süden geheiratet hatte. Mit großen Brüsten, aber hartem Herzen. Die Ehe hatte nicht sonderlich lange gehalten. Allerdings können einer durch den Tod der Mutter aus der Bahn geworfenen Sechsjährigen zwei Jahre durchaus wie eine Ewigkeit vorkommen.
Als die zweite Frau mit einem anderen Mann davonlief und ihre eigene Tochter aus einer früheren Beziehung zurückließ, sodass auch diese von Penelopes Vater großgezogen werden musste, wurde Penelopes Sicherheitsbedürfnis nur weiter verstärkt. Das war eine Prägung, die nicht einmal das Glück ihrer eigenen Ehe auszulöschen vermochte.
Nach Penelopes Einschätzung gefährdete romantische Anziehungskraft die Fähigkeit eines Elternteils, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Sie ordnete deren Wirkung irgendwo zwischen dem falschen Hochgefühl ein, das durch das Rauchen von Crack hervorgerufen wird, und dem halluzinatorischen Optimismus nach dem Genuss von Ecstasy.
Dass ihr Mann, Joey Adorno, der Inbegriff eines guten Fangs war, half da auch nicht weiter. Er war elegant, lustig und hielt stets sein Wort, und darüber hinaus sah er aus, als käme er direkt von einem Fotoshooting für eine Unterwäschereklame. Dazu kam das kleine Vermögen, das er erben würde. Man konnte sich unschwer vorstellen, wie Aschenputtels Stiefmutter sich in ihrer kleinen Küstenstadt niederließ und geduldig darauf wartete, dass ihr der schöne Fisch ins Netz ging.
Nicht etwa, dass Joey dumm gewesen wäre, allerdings hätte Penelope eingewandt, dass auch ihr Vater das nicht gewesen sei. Marcus hatte seine Tochter abgöttisch geliebt, und dennoch hatte er unüberlegt geheiratet und den denkbar schlechtesten Ersatz für ihre Mutter gewählt. Wenn es um Frauen ging, konnten Männer leicht hinters Licht geführt werden. Basta. Das war eine postmoderne, politisch inkorrekte, aber trotzdem absolut offenkundige Wahrheit.
Nicht nur ihr Kindheitstrauma hatte Penelope das gelehrt. Nein. Es war etwas anderes, ein streng gehütetes Geheimnis, ein Grund, sich zu schämen. Im Gegensatz zu ihren anderen Charakterschwächen, die Penelope bei jeder Gelegenheit ungeniert analysierte, gab es da eine ärgerliche, schreckliche und dumme Sache, die sie getan hatte und über die nicht ein einziges Mal am Ende eines fantastischen Mahls bei Portwein und Käse ausführlich diskutiert wurde. Dieser Fehler war etwas, was Penelope so tief zu vergraben versucht hatte, wie sie nur konnte, nicht nur sich selbst zuliebe, sondern zum Wohle aller, die sie liebte. Das hatte sie damals zumindest geglaubt.
Doch um eine bereits verworrene Geschichte nicht weiter zu komplizieren, wollen wir es bei der Feststellung belassen, dass Penelope mehrere Gründe hatte, ihre Familie im Falle ihres Todes absichern zu wollen. Was Joey anbelangte, so hatte er nie daran geglaubt, dass das Dokument, das er zusammen mit Lucy und den anderen unterzeichnet hatte, jemals etwas anderes sein würde als ein Beruhigungsmittel für die ausufernde Fantasie seiner Frau.
Schließlich wusste jeder, dass Penelope ein bisschen theatralisch und affektiert war, wenn es um Angelegenheiten ging, die sie nicht unter Kontrolle hatte. Sie kultivierte eine Untergangsstimmung, über die man mit ihr zusammen lachen konnte. Sie wusste genau, wie umwerfend komisch sie war, das arme reiche Mädchen, das von seiner neurotischen Fantasie gequält wurde. Das Mädchen, das sich lieber mit der Wahrscheinlichkeit von Magenkrebs und Autounfällen beschäftigte als mit Liebeleien und der Bestenliste Schweizer Pensionate.
Es gehörte einfach zu ihrer Masche, wie ihre beste Freundin, Lucy Vargas, es nannte, dieses Liebäugeln mit einem verfrühten Tod. Sie alle hatten es lachend abgetan, ihr Mann und ihre Freundinnen, und sich gegen ihre Wahnvorstellungen miteinander verbündet. Doch Penelope hatte sie mürbe gemacht, bis sie an einem angemessen düsteren und feuchten Abend schließlich einwilligten, den Testamentsnachtrag zu unterzeichnen. Denn immerhin war dieses spezielle Jahr für Penelope ein außergewöhnlich schlechtes gewesen. Nicht nur, dass ihr Vater im Alter von sechzig Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. Auch ein Flugzeug, in dem sie wenige Wochen danach gesessen hatte, war beinahe verunglückt, weil sich das Fahrgestell nicht hatte ausfahren lassen.
Jahre später, als alles auseinanderzufallen begann, sollte selbst Joey zugeben müssen, dass er als Erster klein beigegeben hatte. Etwas war über ihn gekommen - eine Art kurzfristiger Schwäche. Oder handelte es sich um eine übersteigerte Fantasie? Wie albern diese lächerliche Angst auch sein mochte, sie war es sicher nicht wert, dass seine Frau ihretwegen nachts wach lag. Sie musste gewusst haben, dass er sie bei Laune halten wollte, als er diesen lächerlichen Vertrag unterzeichnete. Damals schien es einfach eine Gefälligkeit zu sein.
Zu dem Zeitpunkt, als Joey und Penelopes Freundinnen sich im Büro des Notars versammelten, um die offiziellen Dokumente zu unterzeichnen, war Joey bereits dazu übergegangen, das Komitee seiner Frau als die Viererbande zu bezeichnen. Das war ein Begriff, mit dem er ursprünglich Penelope und ihre Schlafsaalkolleginnen aus Collegezeiten bedachte. Damals beherrschte Chinas berüchtigte politische Junta die Nachrichten, und viele von Penelopes Entscheidungen waren allem Anschein nach von ihren drei besten Freundinnen bestimmt, nicht jedoch von ihrem liebeskranken Freund.
»Lass es mich wissen, wenn ihr beschließen solltet, dass wir heiraten«, hatte er in ihrem vierten Jahr am College festgestellt, nachdem sie seine Abschlussarbeit, ohne ihn zu fragen, für den Universitätspreis eingereicht hatte. »Vielleicht würde ich mir ja gern einen Anzug machen lassen.«
»Sei unbesorgt, ich kenne deine Größe«, hatte Penelope lachend erwidert.
In dem Jahr, in dem sie sich kennenlernten, hatte sie die meisten seiner Kleidungsstücke durch Sachen aus dem Katalog ersetzt, die denen glichen, die er zuvor getragen hatte. Abgesehen von der verräterischen Weichheit der Stoffe und der Marken, die er bis dahin nur aus Zeitschriften gekannt hatte. Wäre er der Einzige von ihrer Großzügigkeit Bedachte gewesen, hätte er es ihr womöglich übel genommen, aber sie hatte das Gleiche für ihre Freundinnen und sogar für einige ihrer Lieblingsdozentinnen getan. Joey wusste, dass es eben Penelopes Art war.
Nach ihrem Collegeabschluss war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es Penelope gelang, die restlichen Mitglieder der Viererbande dazu zu bewegen, zu ihr in den Süden nach Omega, Florida, zu ziehen. In die Stadt, in der sie aufgewachsen war. Omega mit dem bezaubernden Marktplatz, der Meeres-brise und der Südstaatenarchitektur lag nur einen Steinwurf vom Atlantik und der Grenze zu Georgia entfernt.
Im Gegensatz zu so vielen verschlafenen Küstenstädten war diese nicht von Touristen überlaufen oder bis auf den letzten Quadratmeter zugepflastert. Nein, denn Omegas Wohlergehen stützte sich auf die sauberste Industrie von allen, auf die Philanthropie in Form der Cameron-Stiftung. Das Malerische der Gegend war dank Generationen von Rechtsanwälten der Stiftung erhalten worden, die die Mission der Wohltätigkeitseinrichtung in Sachen Umwelt und Wirtschaft ziemlich ernst nahmen. Das Beste daran war, dass der Ort sich wegen der günstigen Lebenshaltungskosten und einer Reihe von Stipendien für kreative einheimische Talente zu einem wahren Künstlerparadies entwickelt hatte.
»Mensch, hier lebt man so billig, dass ihr es euch nicht leisten könnt, woanders zu wohnen«, hatte Penelope lachend festgestellt.
In Lucys Fall, die ein mehrjähriges Künstlerstipendium erhielt, entsprach das der Wahrheit, obwohl Lucy gar nicht lange gelockt zu werden brauchte. Schließlich lag Omega nahe bei Charleston, ihrer Heimatstadt. Penelopes Anwesenheit war gewiss das Sahnehäubchen, versüßt durch einen Anstellungsvertrag für Susannah und Martha bei der Cameron-Stiftung.
Neidische Betrachter hätten Einwände gegen Penelopes Entscheidung erheben können, ihren eigenen Ehemann und ihre Freundinnen einzustellen. Doch alle ihre Bewerber brachten für diese Posten gewisse Eigenschaften mit, die den Anforderungen der Stiftung genau entsprachen. Joey hatte seinen Collegeabschluss in den beiden Hauptfächern Politikwissenschaft und Soziologie abgelegt. Susannah errang Bestnoten in Finanzen und Buchhaltung, und Martha hatte an der Universität von Virginia eine juristische Zeitschrift herausgegeben, die Law Review. Niemand konnte die Qualifikation der Kandidaten in-frage stellen, auch wenn der Verdacht nahelag, dass jede der Bewerberinnen von Penelope vom Zeitpunkt ihres Kennenlernens an für die Führung einer großen internationalen Stiftung präpariert worden waren.
Selbstverständlich zögerten ihre Freundinnen nicht lange. Welcher vernünftige Mensch hätte sich die Chance entgehen lassen, für die legendäre Cameron-Stiftung zu arbeiten? Fürs Geldausgeben bezahlt zu werden? Für zahllose lohnenswerte Projekte? Um die Welt zu fliegen, um vor Ort die guten Werke für die Armen, Kranken und Benachteiligten zu inspizieren? Das war eine nutzbringende Art, Gott zu spielen.
Lucy war die einzige Ausnahme bei dieser Masseneinstellung. Ihr künstlerisches Talent wäre bei der Stiftung vergeudet worden. Stattdessen hatte Penelope es sich zur Aufgabe gemacht, Lucys Karriere als Malerin voranzutreiben, indem sie Kontakte zu Galerien und Museumskuratoren herstellte sowie andere nützliche Beziehungen knüpfte. Als Lucy schließlich das Kontingent an Einjahresstipendien der Stiftung ausgeschöpft hatte, bekam sie von Penelope eine große Fremdenpension geschenkt, die seit Generationen im Besitz der Familie ihres Vaters gewesen war.
»Du brauchst eine verlässliche Einkommensquelle«, hatte Penelope unverblümt festgestellt.
Sie tat so, als sei das Geschenk, das sie Lucy gemacht hatte, ein kleiner, aber praktischer Gegenstand wie eine Kaffeemaschine oder ein Wecker, und nicht jene Art von Geschenk, für dessen Abwicklung es eines Rechtsbeistands, stapelweiser Dokumente und wochenlanger Überzeugungsarbeit bedurfte.
Lucy hatte zunächst verlegen reagiert, obwohl sie wusste, wie sehr es ihren Bedürfnissen entgegenkam. »Kommt gar nicht infrage. Ich würde mich ausgehalten oder dergleichen vorkommen.«
»Ach, sei still, Lucy. Du weißt, dass ich mehr habe, als ich in zwanzig Leben ausgeben kann. Warum darf ich deine Kunst nicht unterstützen?«
In Penelopes Augen hatte eine solche Großzügigkeit nicht direkt etwas mit Adel verpflichtet zu tun, eher etwas mit Wie gewonnen, so zerronnen. Allerdings wollte es das Schicksal, dass diese Redewendung eines Tages einen höchst unglücklichen Wahrheitsgehalt bekommen sollte.
...
Übersetzung: Theresia Übelhör
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2012 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Penelope Cameron May verfügte über mehr Geld als Gott, was ihr Bedürfnis erklären könnte, von Zeit zu Zeit Gott zu spielen. Nach der Geburt ihrer Töchter verstärkte sich diese Regung sogar noch. Sie fügte ihrem Testament einen Nachtrag hinzu, in dem sie ihre Stiefschwester und ihre drei besten Freundinnen aus dem College als Garantinnen dafür berief, dass ihr Ehemann im Falle ihres frühzeitigen Todes nicht die falsche Frau heiratete.
Anfangs hatte Joey über den rechtlichen Schritt seiner Frau gelacht und ihn als »postmortale Fernsteuerung« bezeichnet. Penelope aber sagte, sie betrachte ihn lieber als Sicherheitsnetz.
Man könnte alle möglichen Erklärungen für Penelopes Testamentsnachtrag anführen, doch die naheliegendste war die Tatsache, dass ihr gramerfüllter Vater, nachdem ihre Mutter an Eierstockkrebs gestorben war, ein sonnengebräuntes Flittchen aus dem Süden geheiratet hatte. Mit großen Brüsten, aber hartem Herzen. Die Ehe hatte nicht sonderlich lange gehalten. Allerdings können einer durch den Tod der Mutter aus der Bahn geworfenen Sechsjährigen zwei Jahre durchaus wie eine Ewigkeit vorkommen.
Als die zweite Frau mit einem anderen Mann davonlief und ihre eigene Tochter aus einer früheren Beziehung zurückließ, sodass auch diese von Penelopes Vater großgezogen werden musste, wurde Penelopes Sicherheitsbedürfnis nur weiter verstärkt. Das war eine Prägung, die nicht einmal das Glück ihrer eigenen Ehe auszulöschen vermochte.
Nach Penelopes Einschätzung gefährdete romantische Anziehungskraft die Fähigkeit eines Elternteils, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Sie ordnete deren Wirkung irgendwo zwischen dem falschen Hochgefühl ein, das durch das Rauchen von Crack hervorgerufen wird, und dem halluzinatorischen Optimismus nach dem Genuss von Ecstasy.
Dass ihr Mann, Joey Adorno, der Inbegriff eines guten Fangs war, half da auch nicht weiter. Er war elegant, lustig und hielt stets sein Wort, und darüber hinaus sah er aus, als käme er direkt von einem Fotoshooting für eine Unterwäschereklame. Dazu kam das kleine Vermögen, das er erben würde. Man konnte sich unschwer vorstellen, wie Aschenputtels Stiefmutter sich in ihrer kleinen Küstenstadt niederließ und geduldig darauf wartete, dass ihr der schöne Fisch ins Netz ging.
Nicht etwa, dass Joey dumm gewesen wäre, allerdings hätte Penelope eingewandt, dass auch ihr Vater das nicht gewesen sei. Marcus hatte seine Tochter abgöttisch geliebt, und dennoch hatte er unüberlegt geheiratet und den denkbar schlechtesten Ersatz für ihre Mutter gewählt. Wenn es um Frauen ging, konnten Männer leicht hinters Licht geführt werden. Basta. Das war eine postmoderne, politisch inkorrekte, aber trotzdem absolut offenkundige Wahrheit.
Nicht nur ihr Kindheitstrauma hatte Penelope das gelehrt. Nein. Es war etwas anderes, ein streng gehütetes Geheimnis, ein Grund, sich zu schämen. Im Gegensatz zu ihren anderen Charakterschwächen, die Penelope bei jeder Gelegenheit ungeniert analysierte, gab es da eine ärgerliche, schreckliche und dumme Sache, die sie getan hatte und über die nicht ein einziges Mal am Ende eines fantastischen Mahls bei Portwein und Käse ausführlich diskutiert wurde. Dieser Fehler war etwas, was Penelope so tief zu vergraben versucht hatte, wie sie nur konnte, nicht nur sich selbst zuliebe, sondern zum Wohle aller, die sie liebte. Das hatte sie damals zumindest geglaubt.
Doch um eine bereits verworrene Geschichte nicht weiter zu komplizieren, wollen wir es bei der Feststellung belassen, dass Penelope mehrere Gründe hatte, ihre Familie im Falle ihres Todes absichern zu wollen. Was Joey anbelangte, so hatte er nie daran geglaubt, dass das Dokument, das er zusammen mit Lucy und den anderen unterzeichnet hatte, jemals etwas anderes sein würde als ein Beruhigungsmittel für die ausufernde Fantasie seiner Frau.
Schließlich wusste jeder, dass Penelope ein bisschen theatralisch und affektiert war, wenn es um Angelegenheiten ging, die sie nicht unter Kontrolle hatte. Sie kultivierte eine Untergangsstimmung, über die man mit ihr zusammen lachen konnte. Sie wusste genau, wie umwerfend komisch sie war, das arme reiche Mädchen, das von seiner neurotischen Fantasie gequält wurde. Das Mädchen, das sich lieber mit der Wahrscheinlichkeit von Magenkrebs und Autounfällen beschäftigte als mit Liebeleien und der Bestenliste Schweizer Pensionate.
Es gehörte einfach zu ihrer Masche, wie ihre beste Freundin, Lucy Vargas, es nannte, dieses Liebäugeln mit einem verfrühten Tod. Sie alle hatten es lachend abgetan, ihr Mann und ihre Freundinnen, und sich gegen ihre Wahnvorstellungen miteinander verbündet. Doch Penelope hatte sie mürbe gemacht, bis sie an einem angemessen düsteren und feuchten Abend schließlich einwilligten, den Testamentsnachtrag zu unterzeichnen. Denn immerhin war dieses spezielle Jahr für Penelope ein außergewöhnlich schlechtes gewesen. Nicht nur, dass ihr Vater im Alter von sechzig Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. Auch ein Flugzeug, in dem sie wenige Wochen danach gesessen hatte, war beinahe verunglückt, weil sich das Fahrgestell nicht hatte ausfahren lassen.
Jahre später, als alles auseinanderzufallen begann, sollte selbst Joey zugeben müssen, dass er als Erster klein beigegeben hatte. Etwas war über ihn gekommen - eine Art kurzfristiger Schwäche. Oder handelte es sich um eine übersteigerte Fantasie? Wie albern diese lächerliche Angst auch sein mochte, sie war es sicher nicht wert, dass seine Frau ihretwegen nachts wach lag. Sie musste gewusst haben, dass er sie bei Laune halten wollte, als er diesen lächerlichen Vertrag unterzeichnete. Damals schien es einfach eine Gefälligkeit zu sein.
Zu dem Zeitpunkt, als Joey und Penelopes Freundinnen sich im Büro des Notars versammelten, um die offiziellen Dokumente zu unterzeichnen, war Joey bereits dazu übergegangen, das Komitee seiner Frau als die Viererbande zu bezeichnen. Das war ein Begriff, mit dem er ursprünglich Penelope und ihre Schlafsaalkolleginnen aus Collegezeiten bedachte. Damals beherrschte Chinas berüchtigte politische Junta die Nachrichten, und viele von Penelopes Entscheidungen waren allem Anschein nach von ihren drei besten Freundinnen bestimmt, nicht jedoch von ihrem liebeskranken Freund.
»Lass es mich wissen, wenn ihr beschließen solltet, dass wir heiraten«, hatte er in ihrem vierten Jahr am College festgestellt, nachdem sie seine Abschlussarbeit, ohne ihn zu fragen, für den Universitätspreis eingereicht hatte. »Vielleicht würde ich mir ja gern einen Anzug machen lassen.«
»Sei unbesorgt, ich kenne deine Größe«, hatte Penelope lachend erwidert.
In dem Jahr, in dem sie sich kennenlernten, hatte sie die meisten seiner Kleidungsstücke durch Sachen aus dem Katalog ersetzt, die denen glichen, die er zuvor getragen hatte. Abgesehen von der verräterischen Weichheit der Stoffe und der Marken, die er bis dahin nur aus Zeitschriften gekannt hatte. Wäre er der Einzige von ihrer Großzügigkeit Bedachte gewesen, hätte er es ihr womöglich übel genommen, aber sie hatte das Gleiche für ihre Freundinnen und sogar für einige ihrer Lieblingsdozentinnen getan. Joey wusste, dass es eben Penelopes Art war.
Nach ihrem Collegeabschluss war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es Penelope gelang, die restlichen Mitglieder der Viererbande dazu zu bewegen, zu ihr in den Süden nach Omega, Florida, zu ziehen. In die Stadt, in der sie aufgewachsen war. Omega mit dem bezaubernden Marktplatz, der Meeres-brise und der Südstaatenarchitektur lag nur einen Steinwurf vom Atlantik und der Grenze zu Georgia entfernt.
Im Gegensatz zu so vielen verschlafenen Küstenstädten war diese nicht von Touristen überlaufen oder bis auf den letzten Quadratmeter zugepflastert. Nein, denn Omegas Wohlergehen stützte sich auf die sauberste Industrie von allen, auf die Philanthropie in Form der Cameron-Stiftung. Das Malerische der Gegend war dank Generationen von Rechtsanwälten der Stiftung erhalten worden, die die Mission der Wohltätigkeitseinrichtung in Sachen Umwelt und Wirtschaft ziemlich ernst nahmen. Das Beste daran war, dass der Ort sich wegen der günstigen Lebenshaltungskosten und einer Reihe von Stipendien für kreative einheimische Talente zu einem wahren Künstlerparadies entwickelt hatte.
»Mensch, hier lebt man so billig, dass ihr es euch nicht leisten könnt, woanders zu wohnen«, hatte Penelope lachend festgestellt.
In Lucys Fall, die ein mehrjähriges Künstlerstipendium erhielt, entsprach das der Wahrheit, obwohl Lucy gar nicht lange gelockt zu werden brauchte. Schließlich lag Omega nahe bei Charleston, ihrer Heimatstadt. Penelopes Anwesenheit war gewiss das Sahnehäubchen, versüßt durch einen Anstellungsvertrag für Susannah und Martha bei der Cameron-Stiftung.
Neidische Betrachter hätten Einwände gegen Penelopes Entscheidung erheben können, ihren eigenen Ehemann und ihre Freundinnen einzustellen. Doch alle ihre Bewerber brachten für diese Posten gewisse Eigenschaften mit, die den Anforderungen der Stiftung genau entsprachen. Joey hatte seinen Collegeabschluss in den beiden Hauptfächern Politikwissenschaft und Soziologie abgelegt. Susannah errang Bestnoten in Finanzen und Buchhaltung, und Martha hatte an der Universität von Virginia eine juristische Zeitschrift herausgegeben, die Law Review. Niemand konnte die Qualifikation der Kandidaten in-frage stellen, auch wenn der Verdacht nahelag, dass jede der Bewerberinnen von Penelope vom Zeitpunkt ihres Kennenlernens an für die Führung einer großen internationalen Stiftung präpariert worden waren.
Selbstverständlich zögerten ihre Freundinnen nicht lange. Welcher vernünftige Mensch hätte sich die Chance entgehen lassen, für die legendäre Cameron-Stiftung zu arbeiten? Fürs Geldausgeben bezahlt zu werden? Für zahllose lohnenswerte Projekte? Um die Welt zu fliegen, um vor Ort die guten Werke für die Armen, Kranken und Benachteiligten zu inspizieren? Das war eine nutzbringende Art, Gott zu spielen.
Lucy war die einzige Ausnahme bei dieser Masseneinstellung. Ihr künstlerisches Talent wäre bei der Stiftung vergeudet worden. Stattdessen hatte Penelope es sich zur Aufgabe gemacht, Lucys Karriere als Malerin voranzutreiben, indem sie Kontakte zu Galerien und Museumskuratoren herstellte sowie andere nützliche Beziehungen knüpfte. Als Lucy schließlich das Kontingent an Einjahresstipendien der Stiftung ausgeschöpft hatte, bekam sie von Penelope eine große Fremdenpension geschenkt, die seit Generationen im Besitz der Familie ihres Vaters gewesen war.
»Du brauchst eine verlässliche Einkommensquelle«, hatte Penelope unverblümt festgestellt.
Sie tat so, als sei das Geschenk, das sie Lucy gemacht hatte, ein kleiner, aber praktischer Gegenstand wie eine Kaffeemaschine oder ein Wecker, und nicht jene Art von Geschenk, für dessen Abwicklung es eines Rechtsbeistands, stapelweiser Dokumente und wochenlanger Überzeugungsarbeit bedurfte.
Lucy hatte zunächst verlegen reagiert, obwohl sie wusste, wie sehr es ihren Bedürfnissen entgegenkam. »Kommt gar nicht infrage. Ich würde mich ausgehalten oder dergleichen vorkommen.«
»Ach, sei still, Lucy. Du weißt, dass ich mehr habe, als ich in zwanzig Leben ausgeben kann. Warum darf ich deine Kunst nicht unterstützen?«
In Penelopes Augen hatte eine solche Großzügigkeit nicht direkt etwas mit Adel verpflichtet zu tun, eher etwas mit Wie gewonnen, so zerronnen. Allerdings wollte es das Schicksal, dass diese Redewendung eines Tages einen höchst unglücklichen Wahrheitsgehalt bekommen sollte.
...
Übersetzung: Theresia Übelhör
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2012 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Sheila Curran
Sheila Curran lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Tallahassee, Florida.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sheila Curran
- 2012, 1, 512 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868008594
- ISBN-13: 9783868008593
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