»Wir haben noch so viel vor«
'In ihrem Buch erzählen Ingrid und Manfred Stolpe vom gemeinsamen Kampf gegen die tückische Krankheit Krebs und von der Zuversicht, sie besiegt zu haben.
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Produktinformationen zu „»Wir haben noch so viel vor« “
'In ihrem Buch erzählen Ingrid und Manfred Stolpe vom gemeinsamen Kampf gegen die tückische Krankheit Krebs und von der Zuversicht, sie besiegt zu haben.
Klappentext zu „»Wir haben noch so viel vor« “
'Manfred Stolpe steckt 2004 mitten in den Auseinandersetzungen um die LKW-Maut, als er die Diagnose Darmkrebs erhält. Schwäche will er sich um keinen Preis leisten. Lebermetastasen und Chemotherapie übersteht er mit geradezu preußischer Disziplin. 2008 erkrankt seine Frau an Brustkrebs, kurz vor ihrem 70. Geburtstag. In ihrem Buch erzählen die beiden sehr persönlich und offen, wie der Krebs ihre Beziehung verändert hat, wie sie gemeinsam den schwierigen Weg gegangen sind. Sie machen Betroffenen Mut: Eine Krebsdiagnose muss kein Todesurteil sein, und ein erfülltes Leben ist auch mit der Krankheit möglich. Ihr größter Wunsch ist es, ihre Goldene Hochzeit 2011 in Gesundheit zu feiern.
Lese-Probe zu „»Wir haben noch so viel vor« “
Wir haben noch so viel vor von Ingrid und Manfred StolpeDie Erfahrung mit ihrer Krankheit hat dem Ehepaar Stolpe vor Augen geführt, wie schnell sich am strahlend blauen Himmel Gewitterwolken zusammenziehen können. Doch trotz des Jahre währenden Kampfes mit ihrem Krebs haben sie ihre Hoffnungen niemals aufgegeben und blicken mit der Gelassenheit des Alters in die Zukunft. Für Ingrid Stolpe war nach Operation und Chemotherapie der gemeinsame Aufenthalt an der Ostsee der Moment, an dem sie die Last der vergangenen Monate ein wenig abschütteln und wieder mit Zuversicht nach vorne blicken konnte: Es war im März 2009.
Weil es mit der Kur nicht klappte, fuhren wir privat für einige Zeit ins Ostseebad Dierhagen. Wie wunderbar klar fühlte sich die Luft an.
Als ob mit jedem Atemzug endlich wieder Leben und neue Energie in meinen Körper kamen. Stundenlang spazierten wir am Strand der Ostsee und an der Boddenküste entlang. Manchmal redend, oft auch nur schweigend. Wir waren danach erschöpft, aber voller Hoffnung. Die angenehme, lichte Atmosphäre im Hotel tat meiner Seele gut. Für mich war das besser als jede Selbsthilfegruppe. Obwohl ich selbst eine Selbsthilfegruppe für Frauen mit Krebs in Potsdam mitgegründet hatte, wusste ich, dass dieser Weg der Hilfe für mich persönlich nicht der richtige war.
Ich mache viele Dinge gerne mit mir selbst aus, das habe ich mein ganzes Leben schon so gemacht. Das Frühstück war immer der heikelste Moment des Tages. Ich ging mit Glatze hinunter ins Hotelrestaurant. Und das war ein kleiner Spießrutenlauf. Das bemühte Wegsehen der anderen Gäste fand ich fast noch schlimmer, als angestarrt zu werden.
Das trauten sich nur die wenigen Kinder im Hotel. Die Kellner waren nett, fast ein wenig zu nett. Ständig wurden mir alle Türen aufgehalten. Meinen Orangensaft bekam ich immer gepresst
... mehr
auf den Tisch, die anderen Gäste mussten das am Büffet selbst machen. Während ich in den Tagen an der Ostsee einfach nur entspannte, musste mein Mann immer etwas tun, schrieb mal an einem Artikel, mal an einer Rede. Das ist eigentlich in jedem Urlaub bei uns so.
Sein Büro reist immer mit, und Faxgeräte und Mobilfunknetze gibt es schließlich überall auf der Welt. Auch die erneute Operation hatte ihn nicht aus der Bahn geworfen. Morgens um sieben hatten wir das Schwimmbad im Strandhotel für uns allein, drehten unsere Runden mit Blick auf den verschneiten Kiefernwald draußen vor den großen Glasfenstern. Mittags war es manchmal so warm, dass ich mich, in eine große Decke eingemummelt, auf der Dachterrasse sonnen konnte. Fahrrad zu fahren traute ich mich noch nicht, dafür fehlte mir einfach noch die Kraft.
Aber alles in allem spürte ich, dass uns das Leben wiederhatte. Unser Leben verläuft in gewohnten Bahnen, auch wenn ich mich immer noch mit den Folgen meiner Erkrankung herumschlagen muss. Alle drei Wochen gehe ich zum Stammtisch, so nenne ich meine Herceptin-Runde im Klinikum Ernst von Bergmann. Herceptin ist ein sogenannter monoklonaler Antikörper, der an bestimmten Rezeptoren der Brustkrebszellen andockt. Dort soll er das Wachstum von bösartigen Zellen blockieren und zudem der Bildung von Metastasen entgegenwirken.
So einen Power-Mix bekomme ich alle 21 Tage per Infusion verabreicht. Anfangs habe ich das Herceptin gar nicht gut vertragen, mir war schrecklich übel und ich hatte fürchterliche Durchfälle.
Der Chefarzt hatte mich vorher schon gewarnt: »Mit ihrem Jahrgang und Herceptin haben wir noch nicht so viel Erfahrung.« Ich habe diesem Lebendversuch trotzdem zugestimmt, weil das Medikament in Studien bisher recht vielversprechende Ergebnisse gezeigt hat. Die Behandlung dauert ein Jahr, und inzwischen vertrage ich sie sehr gut.
Wir sind mittlerweile in der Klinik eine kleine Truppe von fünf Herceptin-»Junkies«, die sich regelmäßig treffen. Wenn ich komme, wird zunächst mein Port angestochen, dann gehe ich mit einem Rezept in die Krankenhausapotheke. Von dort wird mein ganz persönlicher Cocktail geliefert gut gekühlt übrigens. Rund eine Stunde hänge ich dann am Tropf, manchmal auch ein wenig kürzer. Da wir alle mit unseren Herceptin-Beuteln an einem Ständer hängen, sind wir für diese Zeit quasi eine Zwangsgemeinschaft. So sitzt man dann in mehr oder weniger fröhlicher Runde zusammen und unterhält sich. Wobei ich schon ein wenig die Rolle der Unterhalterin dort habe.
Sicherlich auch, weil es vielen deutlich schlechter geht als mir. Viele Frauen werden auch von ihren Männern dorthin gebracht. Die warten treu vor der Tür. Das mag manchen helfen, für mich fände ich das ein wenig albern. Was soll mein Mann da draußen sitzen und Däumchen drehen?
Denn trotz der Behandlungen fühle ich mich schließlich nicht krank und hilfsbedürftig.
*
Für Manfred Stolpe bedeutet die Rückkehr in den Alltag auch die Rückkehr ins politische Geschäft. Eine hauptamtliche Funktion hat er heute nicht mehr, doch er ist immer noch ein sehr gefragter Redner, Gesprächspartner und Ratgeber. So verfolgt er auch mit Leidenschaft und Interesse die politischen Auseinandersetzungen, den Absturz seiner SPD bei den letzten Bundestagswahlen genauso wie die jüngsten Debatten in seinem Heimatland Brandenburg, wo neuerlich das Thema Stasi die Diskussionen beherrscht: In Brandenburg herrscht wieder Jagdfieber.
Nach der Bildung der ersten rot-roten Landesregierung unter Matthias Platzeck wurde gleich mehreren Abgeordneten der Linkspartei eine frühere Stasi-Tätigkeit als IM vorgeworfen. Ich fühle mich bei diesen Auseinandersetzungen an die Hexenjagd erinnert, die meine Frau und mich vor Jahren stark belastet hat.
Vor Matthias Platzeck habe ich großen Respekt, er ist nach den letzten Wahlen den schwereren Weg gegangen, der seiner Einschätzung nach der richtige war. Ich hoffe für ihn, dass es auch der strategisch erfolgreichere ist. Das wird sich nach der nächsten Wahl zeigen. Er musste in der eigenen Partei gegen Widerstände kämpfen, er spürte den Wind von vorne seitens der Bundes-SPD.
Und er hat den sehr tapferen Versuch unternommen, die Linken in die politische Verantwortung zu nehmen. Natürlich ist das auch ein taktischer Schachzug. Die Linke ist zu einer festen Größe in Brandenburg geworden und war bei den jüngsten Wahlen wieder die zweitstärkste Partei.
Als Regierungspartei sind sie jetzt mit in der politischen Verantwortung und können nicht nur aus der Opposition heraus das Handeln der anderen populistisch kritisieren, etwas mehr Realismus ist gefragt. Die Wähler können auf diese Weise sehen, dass die Linke auch nur mit Wasser kocht.
Aber dafür ist es wichtig, dass sie überhaupt an den Herd gelassen wird und die Menschen im Land sich so ein Bild machen können. Diese Konstellation in Brandenburg löste natürlich großen Ärger bei den Konservativen aus. Dass dadurch wieder das Stasi-Thema aufs Tapet kommt, war fast vorherzusehen.
Die Intensität, mit der das Ganze jetzt wieder die Schlagzeilen beherrscht, verwundert mich allerdings schon. Ich vertraue in dieser Sache aber auf das Urteilsvermögen der Wählerinnen und Wähler. Sie werden merken, dass die Ministerinnen und Minister, die in der Regierung sitzen, vernünftige Arbeit leisten. Ich beobachte ja nicht nur, was in den Zeitungen jeden Tag seitenweise über Stasi-Geschichten geschrieben wird, sondern ich sehe, wie alle rot-roten Minister viel im Land unterwegs sind und dass sie überaus tüchtig sind.
Das merkt die Bevölkerung, und sie steht ja auch mehrheitlich hinter der rot-roten Regierung. In einer Befragung von SPD-Anhängern sprachen sich kürzlich 58 Prozent für das neue Bündnis aus. Vor der Wahl waren es nur 45 Prozent gewesen. Die Debatten über die Stasi-Verstrickungen können der Wählermeinung offenbar nichts anhaben. Mehr noch: Die Leute im Land erleben die momentane Hexenjagd sogar als sehr unfair. Gerade wer Land und Leute kennt, weiß die Staatssicherheit auch realistischer einzuschätzen. Denn schließlich war die DDR nicht gleichbedeutend mit der Stasi.
An der Spitze stand die SED. Und ich habe das Gefühl, dass gerade leitende SED-Funktionäre in den Jahren nach der Wende oft besonders stark mit dem Finger auf die Stasi-Leute gezeigt haben, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Damit möchte ich jetzt ganz sicher nicht zur Jagd auf ehemalige SED-Funktionäre aufrufen. Mir ist nur daran gelegen, dass die Relationen stimmen und das Schwarzweiß-Denken ein wenig aufgelockert wird. Graustufen gibt es nämlich unendlich viele. Deshalb finde ich es auch wichtig, jeden Fall einzeln zu betrachten: Was hat jemand gemacht, und wie hat er sich auch nach dem Ende der DDR mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt?
Die große Keule zu schwingen ist sicher nicht hilfreich für eine Aufarbeitung der Vergangenheit. Ich habe die Hoffnung, dass mit der Zeit das Thema Stasi ein Stück weit entmystifiziert wird. Natürlich hat ein Geheimdienst immer etwas Gruseliges an sich, und die Stasi hat gerade in den Anfangsjahren der DDR Hand in Hand mit dem russischen KGB üble Verbrechen begangen. Da will ich gar nichts beschönigen. Man darf allerdings nie vergessen, dass sie ein Werkzeug der Parteispitze war.
Die Staatssicherheit war so etwas wie der Kerkermeister. Den Kerker allerdings, den haben die anderen gebaut. Er war ein Produkt der Angst der SED-Führung. Und Staatsführungen, die Angst haben, werden irgendwann zum Gefangenen der eigenen Angst. Ich gehe davon aus, dass die SPD hier in Brandenburg ihre Position in Zukunft nicht nur behaupten, sondern noch weiter ausbauen kann. Das Wahlergebnis auf Bundesebene war für mich natürlich so wie wohl für die meisten Parteimitglieder 2009 ein Schock. Dennoch mache ich mir aber um die gute alte SPD keine Sorgen. Sie ist über 140 Jahre durch Höhen und Tiefen gegangen.
Und sie hat eine sichere Zukunft, wenn sie nicht vergisst, was die Leute von ihr erwarten: dass sie für soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität eintritt. Das sind große Schlagworte, die man mit Inhalten füllen muss. Es geht darum, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht ständig wachsen. Und dass im Selbstlauf des gesellschaftlichen Systems nicht automatisch und unentwegt die kleinen Leute die Verlierer sind. Wichtig ist dabei, dass die Mittelschicht nicht zermahlen wird. Dem müssen die Sozialdemokraten entschieden entgegensteuern, beispielsweise auch mit Hilfe einer vernünftigen Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften.
Dabei müssen die Sozialdemokraten auch an jene denken, die keine Arbeit mehr haben, denn das machen die Gewerkschaften nicht automatisch. Zudem muss die Partei verstehen, dass ihre Klientel all diejenigen sind, die Arbeit haben oder Arbeit brauchen, unabhängig davon, ob es Arbeiter, Angestellte oder kleine Mittelständler sind.
Die SPD sollte nicht versuchen, unbedingt Wähler aus dem Bereich der Besserverdienenden zu generieren, sprich, der FDP ihre Klientel abspenstig machen. Die Konkurrenz liegt momentan vielmehr in einer CDU, die sich unter Angela Merkel zuletzt stark sozialdemokratisiert hat, und bei den Linken, die sich mit wohlfeilen Versprechen gerade mit den Verlierern der Gesellschaft solidarisieren.
Wenn die Sozialdemokraten das erkennen, haben sie auch eine klare Zukunft. Sie haben jetzt vier Jahre Zeit, sich neu aufzustellen, und die ersten Weichenstellungen finde ich persönlich ganz ermutigend. Das gibt mir Hoffnung.
Sein Büro reist immer mit, und Faxgeräte und Mobilfunknetze gibt es schließlich überall auf der Welt. Auch die erneute Operation hatte ihn nicht aus der Bahn geworfen. Morgens um sieben hatten wir das Schwimmbad im Strandhotel für uns allein, drehten unsere Runden mit Blick auf den verschneiten Kiefernwald draußen vor den großen Glasfenstern. Mittags war es manchmal so warm, dass ich mich, in eine große Decke eingemummelt, auf der Dachterrasse sonnen konnte. Fahrrad zu fahren traute ich mich noch nicht, dafür fehlte mir einfach noch die Kraft.
Aber alles in allem spürte ich, dass uns das Leben wiederhatte. Unser Leben verläuft in gewohnten Bahnen, auch wenn ich mich immer noch mit den Folgen meiner Erkrankung herumschlagen muss. Alle drei Wochen gehe ich zum Stammtisch, so nenne ich meine Herceptin-Runde im Klinikum Ernst von Bergmann. Herceptin ist ein sogenannter monoklonaler Antikörper, der an bestimmten Rezeptoren der Brustkrebszellen andockt. Dort soll er das Wachstum von bösartigen Zellen blockieren und zudem der Bildung von Metastasen entgegenwirken.
So einen Power-Mix bekomme ich alle 21 Tage per Infusion verabreicht. Anfangs habe ich das Herceptin gar nicht gut vertragen, mir war schrecklich übel und ich hatte fürchterliche Durchfälle.
Der Chefarzt hatte mich vorher schon gewarnt: »Mit ihrem Jahrgang und Herceptin haben wir noch nicht so viel Erfahrung.« Ich habe diesem Lebendversuch trotzdem zugestimmt, weil das Medikament in Studien bisher recht vielversprechende Ergebnisse gezeigt hat. Die Behandlung dauert ein Jahr, und inzwischen vertrage ich sie sehr gut.
Wir sind mittlerweile in der Klinik eine kleine Truppe von fünf Herceptin-»Junkies«, die sich regelmäßig treffen. Wenn ich komme, wird zunächst mein Port angestochen, dann gehe ich mit einem Rezept in die Krankenhausapotheke. Von dort wird mein ganz persönlicher Cocktail geliefert gut gekühlt übrigens. Rund eine Stunde hänge ich dann am Tropf, manchmal auch ein wenig kürzer. Da wir alle mit unseren Herceptin-Beuteln an einem Ständer hängen, sind wir für diese Zeit quasi eine Zwangsgemeinschaft. So sitzt man dann in mehr oder weniger fröhlicher Runde zusammen und unterhält sich. Wobei ich schon ein wenig die Rolle der Unterhalterin dort habe.
Sicherlich auch, weil es vielen deutlich schlechter geht als mir. Viele Frauen werden auch von ihren Männern dorthin gebracht. Die warten treu vor der Tür. Das mag manchen helfen, für mich fände ich das ein wenig albern. Was soll mein Mann da draußen sitzen und Däumchen drehen?
Denn trotz der Behandlungen fühle ich mich schließlich nicht krank und hilfsbedürftig.
*
Für Manfred Stolpe bedeutet die Rückkehr in den Alltag auch die Rückkehr ins politische Geschäft. Eine hauptamtliche Funktion hat er heute nicht mehr, doch er ist immer noch ein sehr gefragter Redner, Gesprächspartner und Ratgeber. So verfolgt er auch mit Leidenschaft und Interesse die politischen Auseinandersetzungen, den Absturz seiner SPD bei den letzten Bundestagswahlen genauso wie die jüngsten Debatten in seinem Heimatland Brandenburg, wo neuerlich das Thema Stasi die Diskussionen beherrscht: In Brandenburg herrscht wieder Jagdfieber.
Nach der Bildung der ersten rot-roten Landesregierung unter Matthias Platzeck wurde gleich mehreren Abgeordneten der Linkspartei eine frühere Stasi-Tätigkeit als IM vorgeworfen. Ich fühle mich bei diesen Auseinandersetzungen an die Hexenjagd erinnert, die meine Frau und mich vor Jahren stark belastet hat.
Vor Matthias Platzeck habe ich großen Respekt, er ist nach den letzten Wahlen den schwereren Weg gegangen, der seiner Einschätzung nach der richtige war. Ich hoffe für ihn, dass es auch der strategisch erfolgreichere ist. Das wird sich nach der nächsten Wahl zeigen. Er musste in der eigenen Partei gegen Widerstände kämpfen, er spürte den Wind von vorne seitens der Bundes-SPD.
Und er hat den sehr tapferen Versuch unternommen, die Linken in die politische Verantwortung zu nehmen. Natürlich ist das auch ein taktischer Schachzug. Die Linke ist zu einer festen Größe in Brandenburg geworden und war bei den jüngsten Wahlen wieder die zweitstärkste Partei.
Als Regierungspartei sind sie jetzt mit in der politischen Verantwortung und können nicht nur aus der Opposition heraus das Handeln der anderen populistisch kritisieren, etwas mehr Realismus ist gefragt. Die Wähler können auf diese Weise sehen, dass die Linke auch nur mit Wasser kocht.
Aber dafür ist es wichtig, dass sie überhaupt an den Herd gelassen wird und die Menschen im Land sich so ein Bild machen können. Diese Konstellation in Brandenburg löste natürlich großen Ärger bei den Konservativen aus. Dass dadurch wieder das Stasi-Thema aufs Tapet kommt, war fast vorherzusehen.
Die Intensität, mit der das Ganze jetzt wieder die Schlagzeilen beherrscht, verwundert mich allerdings schon. Ich vertraue in dieser Sache aber auf das Urteilsvermögen der Wählerinnen und Wähler. Sie werden merken, dass die Ministerinnen und Minister, die in der Regierung sitzen, vernünftige Arbeit leisten. Ich beobachte ja nicht nur, was in den Zeitungen jeden Tag seitenweise über Stasi-Geschichten geschrieben wird, sondern ich sehe, wie alle rot-roten Minister viel im Land unterwegs sind und dass sie überaus tüchtig sind.
Das merkt die Bevölkerung, und sie steht ja auch mehrheitlich hinter der rot-roten Regierung. In einer Befragung von SPD-Anhängern sprachen sich kürzlich 58 Prozent für das neue Bündnis aus. Vor der Wahl waren es nur 45 Prozent gewesen. Die Debatten über die Stasi-Verstrickungen können der Wählermeinung offenbar nichts anhaben. Mehr noch: Die Leute im Land erleben die momentane Hexenjagd sogar als sehr unfair. Gerade wer Land und Leute kennt, weiß die Staatssicherheit auch realistischer einzuschätzen. Denn schließlich war die DDR nicht gleichbedeutend mit der Stasi.
An der Spitze stand die SED. Und ich habe das Gefühl, dass gerade leitende SED-Funktionäre in den Jahren nach der Wende oft besonders stark mit dem Finger auf die Stasi-Leute gezeigt haben, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Damit möchte ich jetzt ganz sicher nicht zur Jagd auf ehemalige SED-Funktionäre aufrufen. Mir ist nur daran gelegen, dass die Relationen stimmen und das Schwarzweiß-Denken ein wenig aufgelockert wird. Graustufen gibt es nämlich unendlich viele. Deshalb finde ich es auch wichtig, jeden Fall einzeln zu betrachten: Was hat jemand gemacht, und wie hat er sich auch nach dem Ende der DDR mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt?
Die große Keule zu schwingen ist sicher nicht hilfreich für eine Aufarbeitung der Vergangenheit. Ich habe die Hoffnung, dass mit der Zeit das Thema Stasi ein Stück weit entmystifiziert wird. Natürlich hat ein Geheimdienst immer etwas Gruseliges an sich, und die Stasi hat gerade in den Anfangsjahren der DDR Hand in Hand mit dem russischen KGB üble Verbrechen begangen. Da will ich gar nichts beschönigen. Man darf allerdings nie vergessen, dass sie ein Werkzeug der Parteispitze war.
Die Staatssicherheit war so etwas wie der Kerkermeister. Den Kerker allerdings, den haben die anderen gebaut. Er war ein Produkt der Angst der SED-Führung. Und Staatsführungen, die Angst haben, werden irgendwann zum Gefangenen der eigenen Angst. Ich gehe davon aus, dass die SPD hier in Brandenburg ihre Position in Zukunft nicht nur behaupten, sondern noch weiter ausbauen kann. Das Wahlergebnis auf Bundesebene war für mich natürlich so wie wohl für die meisten Parteimitglieder 2009 ein Schock. Dennoch mache ich mir aber um die gute alte SPD keine Sorgen. Sie ist über 140 Jahre durch Höhen und Tiefen gegangen.
Und sie hat eine sichere Zukunft, wenn sie nicht vergisst, was die Leute von ihr erwarten: dass sie für soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität eintritt. Das sind große Schlagworte, die man mit Inhalten füllen muss. Es geht darum, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht ständig wachsen. Und dass im Selbstlauf des gesellschaftlichen Systems nicht automatisch und unentwegt die kleinen Leute die Verlierer sind. Wichtig ist dabei, dass die Mittelschicht nicht zermahlen wird. Dem müssen die Sozialdemokraten entschieden entgegensteuern, beispielsweise auch mit Hilfe einer vernünftigen Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften.
Dabei müssen die Sozialdemokraten auch an jene denken, die keine Arbeit mehr haben, denn das machen die Gewerkschaften nicht automatisch. Zudem muss die Partei verstehen, dass ihre Klientel all diejenigen sind, die Arbeit haben oder Arbeit brauchen, unabhängig davon, ob es Arbeiter, Angestellte oder kleine Mittelständler sind.
Die SPD sollte nicht versuchen, unbedingt Wähler aus dem Bereich der Besserverdienenden zu generieren, sprich, der FDP ihre Klientel abspenstig machen. Die Konkurrenz liegt momentan vielmehr in einer CDU, die sich unter Angela Merkel zuletzt stark sozialdemokratisiert hat, und bei den Linken, die sich mit wohlfeilen Versprechen gerade mit den Verlierern der Gesellschaft solidarisieren.
Wenn die Sozialdemokraten das erkennen, haben sie auch eine klare Zukunft. Sie haben jetzt vier Jahre Zeit, sich neu aufzustellen, und die ersten Weichenstellungen finde ich persönlich ganz ermutigend. Das gibt mir Hoffnung.
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Autoren-Porträt von Manfred Stolpe, Ingrid Stolpe
Manfred Stolpe, Jahrgang 1936, gebürtiger Stettiner, ist SPD-Politiker. Seit 1959 war er in diversen Ämtern in der Evangelischen Kirche in der DDR tätig. Von 1990 bis 2002 war er Ministerpräsident von Brandenburg, von 2002 bis 2005 Bundesverkehrsminister.Ingrid Stolpe, Jahrgang 1938, geboren in Jena, arbeitete seit 1990 als selbstständige Allgemeinärztin in Potsdam und ist jetzt im Ruhestand. Sie hatte sich auf die Behandlung von krebskranken Menschen spezialisiert.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Manfred Stolpe , Ingrid Stolpe
- 2010, 220 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ullstein Hardcover
- ISBN-10: 3550088183
- ISBN-13: 9783550088186
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