Wir retten Leben, sagt mein Vater
Ein Mädchen, das von einem Jungen träumt, dessen Name mit B anfangen sollte. Ein Vater, der tagein, tagaus auf einem Sofa sitzt. Eine Mutter, die nicht mehr weiß, warum sie den Mann auf dem Sofa geheiratet hat. Eine Oma, die seit Opas Tod...
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Ein Mädchen, das von einem Jungen träumt, dessen Name mit B anfangen sollte. Ein Vater, der tagein, tagaus auf einem Sofa sitzt. Eine Mutter, die nicht mehr weiß, warum sie den Mann auf dem Sofa geheiratet hat. Eine Oma, die seit Opas Tod kein Wort mehr spricht. Und ein Haus in einer Kurve, an einer Straße, die zu einer halb fertigen Brücke führt. Stell dir vor, du wohnst in diesem Haus. Ein Haus in einer Kurve, die so scharf ist, dass regelmäßig Autos in das Haus knallen. Die Fahrer, die in diesen Autos sitzen, darfst du dann auf eurem Sofa gesund pflegen. Und vielleicht wird eines Tages ein Junge dabei sein, ein richtig netter Junge, der Benjamin, Bernie oder Brad heißt. Willkommen in meinem Leben!
Wir retten Leben, sagt mein Vater von Do van Ranst
LESEPROBE
Eins
Unser Haussteht in einer Kurve, mit der kein Mensch rechnet.
UnzähligeKilometer fährt man auf einer schnurgeraden, eintönigen Straße an verdorrtenBäumen und Kakteen entlang. Dann kommt eine leichte Steigung und man erreicht einenPunkt, von dem aus man in der Ferne die Pfeiler einer Brücke sehen kann. Abdiesem Moment fixieren deine Augen nur noch die Brücke genau vor deiner Nase,weil sie endlich für eine Abwechslung sorgt, nachdem du stundenlang nur Sonneund wolkenlosen Himmel gesehen hast. Darum starrst du weiterhin geradeaus, aberplötzlich macht die Straße einen scharfen Knick von fast 90 Grad nach links.
Genau indieser gemeinen Kurve wohnen wir.
Schonsieben Autofahrer haben die Kurve verpasst und sind mit ihrem Auto in unsererFassade gelandet. Allesamt haben sie ein paar Tage auf unserem Sofa gelegen undwurden von meiner Mutter oder meiner Oma gepflegt. Ein paar Männer schicken unsnoch immer ab und zu einen Brief. Dann ist meine Mutter ganz selig.
Der ersteUnglückliche, der unsere Fassade rammte, war mein Vater, ungefähr vor siebzehnJahren. Das Haus war damals noch das Elternhaus meiner Mutter.
Zwei Jahrespäter wurde ich geboren.
Zwei
Die Brückeist nur eine halbe Brücke.
Vorachtzehn Jahren wurde mit dem Bau angefangen. Aber die Uferbewohner gerieten inStreit darüber, wer die Brücke nun eigentlich bezahlen sollte, denn das war nieeindeutig geklärt worden. Die Leute vom linken Ufer fanden, die vom rechtenUfer müssten den größten Teil zahlen, weil sie am meisten von der Brückeprofitieren würden. Die Leute vom rechten Ufer waren der Ansicht, genau dasgelte für die Leute vom linken Ufer. Sie konnten sich nicht einigen undschließlich wurden die Bauarbeiten eingestellt. Eine halbe Brücke war alsoumsonst gebaut worden.
Bis heuteweigern sich die Leute auf unserer Seite, für das halbe Bauwerk zu zahlen. Einehalbe Brücke ist sinnlos. Also bezahlt man dafür nicht.
Seit einpaar Jahren kümmert sich keiner mehr um diesen Ort. Die Gemeinde schickt schonlängst keine Reinigungswagen oder Gartenbaudienste mehr her. Polizeistreifen drehennach einem halben Kilometer vor unserem Haus wieder um. Als eine Art Protest.Die Gegend um die halbe Brücke sieht trostlos aus. Das Unkraut steht an manchenStellen hüfthoch. Die Pfähle der halben Brücke sind bemoost und das Geländerist durchgerostet.
Ganzfrüher, als von einer Brücke noch gar keine Rede war, sah es hier völlig andersaus. Früher, als mein Opa noch lebte und meine Oma noch sprach.
Drei
Wir rettenLeben, sagt mein Vater.
Er sagt,dass - wenn wir hier nicht wohnten - schon jede Menge Leute einfach auf dieBrücke gefahren wären ohne zu merken, dass es nur eine halbe Brücke ist. Essteht nämlich nirgends ein Schild oder so was, dass der Weg nach anderthalb Kilometernaufhört. Sie würden mit ihrem Auto ins Wasser plumpsen und ertrinken.
Ichverstehe, was mein Vater meint. Jetzt rammen sie erst unser Haus und sindverletzt, aber nicht tot. Das letzte Mal ist etwa vier Jahre her. Ich wargerade eine Woche zu Besuch bei meiner Tante Vicky und habe das ganze Ereignisverpasst, worüber ich im Nachhinein ganz schön sauer war. Ich bin fast nie wegvon zu Hause und ausgerechnet in dieser einen Woche passiert was. Typisch.
Zwei Jahredavor war ich auch nicht da. Ich lag im Krankenhaus, weil mein Blinddarmherausgenommen werden musste. Ich vertrug die Medikamente nicht und musste vierTage länger bleiben als erwartet.
MeineMutter fand dieses Unglück das schlimmste von allen. Das Fenster und ein Teilder Fassade mussten dran glauben. Alles musste abgestützt werden, weil dieobere Etage fast heruntergekracht wäre. DenAutofahrer hat man aus dem Wrack schneiden müssen. Wirklich einRiesenspektakel. Aber ich habe es nicht selbst gesehen. Ich hätte heulen können,als meine Mutter mir die Geschichte im Krankenhaus erzählte. »Sei doch froh,dass du nicht da warst«, hat sie gesagt. »Um ein Haar hätte es Tote gegeben!« Seitdem nutzten wir auf der Seite unseres Hauses, an der dieStraße liegt, die ersten drei Meter nicht mehr. Weil wir wissen, wie gefährliches dort ist. Kein einziges Möbelstück steht dort und niemandem fällt es ein,sich da hinzustellen oder gar zu setzen.
Diesen Teildes Hauses nennen wir die Risikozone. Das hat mein Opa erfunden, als er nochlebte. Einen Tag nachdem unsere Fassade zum fünften Mal gerammt wurde, maß ergenau nach, wie weit das Auto ins Haus eingedrungen war. Dann gab er noch gutedreißig Zentimeter hinzu. Das nannte er den Sicherheitsspielraum.
»Bei einerhöheren Geschwindigkeit bohrt sich das Auto bestimmt tiefer in die Fassade«,sagte er, als meine Mutter fand, dass es auch ohne die dreißig Zentimeter mehrals genug war.
Ich findedas ganz witzig. Eine Risikozone mit Sicherheitsspielraum. Durch die Risikozoneist unsere Wohnfläche klein geworden. Das dreisitzige Sofa und der Sesselstehen ganz nah am Esstisch und zwischen dem Esstisch und dem Schrank reichtder Platz gerade eben zum Öffnen der Schranktüren. Wenn wir alle zu Hause sind,mein Vater und meine Mutter, meine Oma und ich, hocken wir uns ziemlich auf derPelle. Das kann ich nicht ausstehen.
Als ichklein war, spielte ich manchmal in der Risikozone unter dem Fenster mit meinenPuppen. Wenn meine Mutter das plötzlich merkte, kam sie zeternd aus der Küche gerannt,hob mich blitzschnell samt Puppen hoch und setzte mich an einer sicheren Stellewieder ab. Als würde eine Sekunde später ein riesiger Lastwagen in unser Hausbrettern. Aber natürlich verstehe ich ihre Rettungsversuche. Das allerersteMal, als mein Vater das Haus rammte, saß meine Oma am Fenster und hielt einNickerchen. Die Schnauze des Wagens kam an der Rückenlehne des Sofas zumStillstand, genau dort, wo Oma saß. Seitdem sitzt meine Oma im Rollstuhl undzittert die ganze Zeit.
Zwei Wochenlang hat mein Vater hier auf dem Sofa gelegen. Ich glaube, er hatte so großeSchuldgefühle wegen des Unfalls und meiner Oma, dass er beschloss, hier zubleiben und meine Mutter zu heiraten. Vielleicht hatten sie sich damals auchwirklich verliebt. Aber davon merkt man jetzt kaum noch was.
© CarlsenVerlag
Übersetzung:Andrea Kluitmann
- Autor: Do van Ranst
- Altersempfehlung: 14 - 17 Jahre
- 2006, Nachdr., 160 Seiten, Maße: 14,6 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Kluitmann, Andrea
- Übersetzer: Andrea Kluitmann
- Verlag: Carlsen
- ISBN-10: 3551581568
- ISBN-13: 9783551581563
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