Ich, die Königin (ePub)
Das bewegte Leben der Frau, die Columbus auf die Reise schickteKastilien, 1464. Das Land droht im Chaos zu versinken. Räuberbanden tyrannisieren Reisende und Kaufleute, Adel und Klerus bereichern sich ungestört auf Kosten des hungernden Volkes. Doch König...
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Produktinformationen zu „Ich, die Königin (ePub)“
Das bewegte Leben der Frau, die Columbus auf die Reise schickteKastilien, 1464. Das Land droht im Chaos zu versinken. Räuberbanden tyrannisieren Reisende und Kaufleute, Adel und Klerus bereichern sich ungestört auf Kosten des hungernden Volkes. Doch König Enrique ist zu schwach, um die Ordnung wieder herzustellen. Als seinen Feinden ein Mordanschlag gelingt, entbrennt ein Krieg um die Erbfolge. Enriques Schwester Isabella setzt sich durch und wird zur Legende der spanischen Geschichte. Mit eisernem Willen und bestechendem Intellekt macht sie Spanien an der Seite ihres Mannes zur Großmacht. Das bewegte Leben der Frau, die Columbus auf die Reise schickte und die Mauren in die Flucht schlug.
Lese-Probe zu „Ich, die Königin (ePub)“
Ich, die Königin von Susan HastingsProlog
Der Zwerg spreizte seine kleinen dicken Finger und bewegte sie mit einer überraschenden Anmut wie im Tanz. Seine Augen rollten wie Murmeln in den Höhlen, und der gelbliche Augapfel wurde sichtbar.
»Ich sehe dahin, wohin kein Auge blickt, und ich höre da-hin, wohin kein Ohr hört. Ich rieche dahin, wo noch keine Nase riecht, und ich spüre, was noch keine Haut spürt.«
»Was redest du da für Unsinn«, schalt ihn Isabél. »Ich denke, du bist ein Hofnarr und treibst allerlei Späße?«
»Sicher«, krähte Bulbito. »Für die einen bin ich Bulbito, der Hofnarr, der seine Zuschauer mit Späßen erheitert.«
»Und für die anderen ...?« Isabél hielt den Atem an.
»... bin ich die Stimme von dort, von jenseits des Heute.« Er zeigte mit seinem Wurstfinger in eine unbestimmte Ferne. »Ich sehe ein großes, weites Land, in dem Tausende Feuer brennen wie Sterne am Himmel. Ich höre die Schreie der Gemarterten und Unglücklichen, die ihrer Habe und ihres Lebens beraubt werden. Ich rieche die Fäulnis aus den Gräbern, die aufsteigt und sich mit dem Geruch des Weihrauchs in den Kirchen mischt. Ich spüre Schmerz von Folter und Gewalt ...«
»Genug!« Isabéls Stimme schnitt wie ein scharfes Messer durch die Luft. Augenblicklich verstummte Bulbito. »Du bist kein Prophet. Du bist nur der Hofnarr.«
Er verbeugte sich so tief, wie es ihm sein missgestalteter Körper erlaubte.
»Prinzesschen, du wirst an meine Worte denken. Immer wieder ... immer wieder ...«
Teil 1
Isabél
1464-1468
... mehr
Segovia
Es war der obligatorische Blick in den Spiegel, den Isabél auch in der größten Eile nie vergaß. Aus dem schlichten Rahmen blickte ihr ein nicht unschönes, jugendliches Gesicht entgegen, mit blauen Augen, heller Haut und einer etwas kessen Stupsnase. Ihre Wangen waren von dem schnellen Ritt gerötet und das hellblonde Haar vom Wind zerzaust. Sie nahm einen Kamm aus Elfenbein von der Konsole und kämmte ihr Haar streng nach hinten. Dann schlang sie ein seidenes Tuch darum.
Sie weilte erst kurze Zeit in Segovia. Eigentlich wusste sie nicht so recht, warum sie und ihr Bruder Alfonso hierhergerufen worden waren. Aber sie mussten dem Befehl des Königs Folge leis-ten. Der König, das war Isabéls älterer Bruder Enrique aus der ersten Ehe ihres Vaters, König Juan II. Seit zehn Jahren saß er auf Kastiliens Thron.
Mit schnellen Schritten durcheilte sie die engen Gänge des Alcázar von Segovia, wo der Hof derzeit residierte. Seine hohen Mauern bargen den Staatsschatz Kastiliens. Trutzig und verschlossen, himmelwärts strebend, mit halbrunden Türmchen und Turmzinnen war die Burg ein Bollwerk gegen alle Feinde des Reichs. Im Inneren jedoch zeigte der Alcázar jene Verfallserscheinungen, die das ganze Königreich charakterisierten. Da regierten die Leichtlebigkeit und Leichtfertigkeit, die Intrige und der Verrat.
Isabéls Rücken versteifte sich unwillkürlich, als sie Lachen, Wispern und Kichern aus den dunklen Nischen und hinter den wuchtigen Säulen vernahm. Geflüsterte Worte, Lockrufe der Lust, die Isabél ängstigten. Ungeniert fanden sich die Pärchen in den Winkeln dieser Burg zusammen. Niemand hinderte sie daran, niemand nahm Anstoß. Den Blick starr geradeaus gerichtet, beschleunigte sie den Schritt.
Isabél hörte Lachen und Musik aus dem großen Saal, dessen zweiflügelige, reich geschnitzte Holztür jetzt von Dienern geöffnet wurde. Sie trat ein und blieb stehen. Es herrschte ein buntes Durcheinander von Menschen in den unterschiedlichsten Kleidungen. Da gab es Musikanten, Gaukler und Tänzerinnen, Höflinge neben stolzen spanischen Granden1. Im Mittelpunkt jedoch stand der König, aber nicht, weil er strahlend und erhaben auf dem Thron glänzte. Es gab keinen Thron. Enrique IV. hockte mit untergeschlagenen Beinen auf einem mit dicken Kissen ausgelegten Podest. Er trug ärmliche, nachlässige Kleidung. Sein rotes Haupthaar und der struppige Bart waren ungepflegt, seine durch eine Fraktur nicht mehr ebenmäßige Nase verlieh ihm ein gewöhnliches Aussehen. Mit seinen unproportional langen Gliedern wirkte er unbeholfen und staksig. Ein Wunder, dass er in dieser unbequemen Stellung über Stunden verharren konnte. Sein ganzes Gehabe erinnerte eher an einen muslimischen Emir als an einen katholischen König.
Seine Günstlinge und die unzähligen Schmarotzer am Hofe, die sich der Freigebigkeit des Königs nur zu bewusst waren, umringten ihn stehend oder hatten auf Bänken Platz genommen.
Als Enrique seine Schwester entdeckte, flog ein freudiges Lächeln über sein Gesicht und entblößte seine gelblichen Zähne.
»Isabél, mein Sonnenschein! Tritt ein und erfreue dich an der Unterhaltung, die man mir präsentiert. Es tut einem jungen Mädchen nicht gut, allein in seiner Kemenate zu hocken und Trübsal zu blasen. Ich will verhindern, dass du deiner Mutter immer ähnlicher wirst.<<
Er brach in schallendes Gelächter aus, und die Höflinge stimmten pflichtbewusst mit ein.
Isabél schoss die Zornesröte ins Gesicht. Sie hatte das Schicksal ihrer Mutter, die in Schwermut verfallen war, über Jahre in dem düsteren Schloss von Arévalo geteilt, ohne sie davon heilen zu können. Die Trennung von der Mutter und der Wechsel zum Hof ihres Halbbruders fielen ihr nicht leicht. Es gab keinen Grund, über Isabéls Pflichtbewusstsein zu spotten.
Unter den Anwesenden entdeckte sie ihren Bruder Alfonso. Er hielt einen Pokal in der Hand und trank den Wein wie Wasser. Seine Augen glänzten bereits glasig. Auch die meisten anderen Gäste waren angeheitert. Lakaien schenkten unentwegt Wein aus den königlichen Kellern aus.
»Komm, mein Täubchen, nimm an meiner Seite Platz!<< Enrique warf ihr ein dickes Kissen mit goldenen Quasten hin.
Langsam trat Isabél näher, dann blieb sie vor einem hochlehnigen Stuhl stehen, den die Gäste offensichtlich verschmähten.
»Der Platz an Eurer Seite steht einer anderen Frau zu<<, sagte sie und setzte sich, während sie nur einen kurzen Blick auf die Frau an Enriques Seite warf. Das aber war nicht etwa seine angetraute Gattin, Königin Juana, sondern eine seiner vielen Mätressen. Derzeit war die bildhübsche Portugiesin Guiomar de Castro seine Favoritin. Diese rekelte sich, in ein farbenprächtiges maurisches Gewand gehüllt, neben Enrique auf den Kissen und betrachtete mit herablassendem Spott im Gesicht die Tänzerinnen. Für Isabél hatte sie überhaupt keinen Blick übrig.
Ein Raunen ging durch den Saal. Isabéls Antwort war ein Affront gegen den König, doch Enrique fasste sie als einen Scherz auf. Er legte den Arm um Guiomar und zog sie zu sich heran.
»Wie wahr, mein Täubchen, oft weiß ich selbst nicht, welche am besten zu mir passt. Manchmal denke ich, gar keine. Jedenfalls muss ich mich ab und zu mal von ihnen erholen.« Er lachte lauthals, als ihm Guiomar einen tadelnden Klaps versetzte.
Isabéls Miene blieb verschlossen. Sie spürte die Blicke und das Tuscheln der Höflinge und Señores. Beides galt nicht etwa Guiomar, sondern ihr.
»Hübsch ist sie ja nicht gerade«, murmelte Juan Pacheco, der Marqués von Villena, seinem Nachbarn Fadrique Enriquez zu.
Don Fadrique, seines Zeichens Admiral von Kastilien, lächelte süffisant. »Das ist auch überhaupt nicht nötig. Wer sie zur Frau bekommt, hat ohnehin noch seine Mätressen. Als Heiratskandidatin spielt nicht die Schönheit eine Rolle, sondern die Abstammung.«
Pacheco hob die Augenbrauen. »Heiratskandidatin? Wisst Ihr etwas, das ich nicht weiß?«
»Immer, mein lieber Pacheco. Sonst wäre ich Euch gegenüber doch nicht im Vorteil«, grinste der Admiral. »Der König hat seine Pläne mit ihr. Warum sonst hat er sie an den Hof rufen lassen?«
Pacheco betrachtete abschätzend das Mädchen, das sich aufrecht und von Schmeicheleien und Geflüster der Höflinge scheinbar unbeeindruckt auf dem unbequemen Stuhl hielt. Sie lehnte auch das angebotene Weinglas ab.
»Lasst sie noch ein paar Monate bei Hofe sein, und sie wird geformt wie warmes Wachs. Sie scheint nicht das düstere Gemüt ihrer Mutter geerbt zu haben, auch wenn sie sich jetzt aufführt, als würde sie jeden beif3en, der sie nur anzurühren wagt.«
»Sie wird beif3en, den, der sie anrührt«, erwiderte Don Fadrique. »Aber ich denke, wer sie als Faustpfand hat, ist einen Schritt voraus.«
Pachecos Kopf fuhr herum. »Seid Ihr etwa dieser Jemand? Ich traue es Euch durchaus zu.«
Don Fadrique setzte eine undurchdringliche Miene auf. »Wer wird denn seine geheimsten Pläne verraten?«, murmelte er.
Pacheco lachte belustigt auf. »Eure Pläne, lieber Fadrique? Ich denke eher, es sind die Pläne des Königs. Ihr schmückt Euch mit fremden Federn und legt falsche Fährten aus. Glaubt Ihr nicht, dass sich auch andere den Kopf zerbrechen, was Enrique mit seiner Halbschwester vorhat?«
»Sicher, sicher. Es ist allerdings von Vorteil, es vor den anderen zu erfahren.«
Der Wortwechsel der beiden Männer wurde jäh unterbrochen, als die Tür mit einem Knall aufflog und die Königin mit zornigem Gesicht und wütend funkelnden Augen hereinplatzte. So-fort verstummte die Musik, die Tänzer verzogen sich schleunigst. Juana, die zweite Ehefrau des Königs, war die Schwester des portugiesischen Königs Alfonso, sehr hübsch und sehr temperamentvoll. Der Grund ihres Zorns lag in Enriques Armen.
»Du doppelzüngige Natter, du schleimige Eidechse, du widerwärtiger Wurm! Ich habe dich nicht in den Kreis meiner Hofdamen aufgenommen, damit du bei nächster Gelegenheit unter die Decke meines Gemahls kriechst. Es gibt genug andere Hähne hier am Hof, mit denen du es treiben kannst, bis du wund wie ein gebrühtes Schwein bist. Schämst du dich nicht, dich in aller Öffentlichkeit wie eine maurische Hure auf dem Boden herumzuwälzen? An der Seite des Königs ist mein Platz! Mein! Mein! Mein!«
Sie stürzte sich auf die verblüffte und überrumpelte Guiomar, die sich nicht schnell genug von den Polstern aufrappeln konnte, und schlug ihr mit jedem Wort den zusammengeklappten Fächer ins Gesicht. Blut spritzte, Guiomar schrie auf. Enrique warf sich dazwischen, ohne allerdings viel bewirken zu können. Juana war rasend vor Eifersucht, und es störte sie nicht im Geringsten, dass der gesamte Hofstaat ihr bei diesem Ausbruch zuschaute.
»Juanita, Täubchen, liebstes Mäuschen, was tust du da? Wir haben doch nur ein bisschen den Tänzerinnen zugeschaut. Das Mädchen kann doch nichts dafür.«
»Nichts dafür?«, tobte Juana und schlug weiter auf Guiomar ein. »Hure, Verführerin, Miststück! Miststück! Miststück!«
Guiomar hob schützend die Arme über den Kopf und versuchte, vor Juanas Gewalttätigkeiten zu flüchten. Aber sie stieß nur an eine Wand aus Gaffern, Sympathisanten oder Feinden. Die einen nahmen für Juana Partei und feuerten sie an, die Konkurrentin aus dem Feld zu schlagen, die anderen ergriffen für Guiomar Partei.
Innerhalb kürzester Zeit entstand ein wüstes Handgemenge, der halbe Hofstaat prügelte sich. Keiner kümmerte sich um die Rufe des Königs, der zur Besonnenheit mahnte. In dem Durcheinander gelang Guiomar die Flucht.
Juana, dem Objekt ihres Zorns beraubt, blickte sich wie ein wutschnaubender Stier um, dann traten plötzlich Tränen in ihre Augen. »Diese Schmach«, schluchzte sie auf. »Diese Schande!«
Isabél sprang auf. Hinter ihr stießen die sich prügelnden Höflinge ihren Stuhl um. Sie nahm Juana in die Arme und drängte sie aus dem Saal.
Juana fing hemmungslos an zu weinen. »Ach, Isabél, wenigstens du hältst zu mir. Selbst meine Hofdamen verraten mich und vergnügen sich mit dem König. Ich bin so unglücklich!«
Dass Letzteres nicht unbedingt stimmte, wusste Isabél nur zu gut, aber sie schwieg und begleitete die Königin in ihre Gemächer. Dort ließ sich Juana auf das Bett fallen.
»Ich danke dir, Isabél. Du bist eine wahre Freundin. Dass du das mit ansehen musstest! Ich wünschte, du hättest all diese Zuchtlosigkeit nicht erlebt. Wie muss es jetzt in deinem Herzen aussehen! Was musst du von uns denken!«
»Beruhige dich, Juana. Ich bin ja bei dir.« Mit einer Handbewegung bedeutete Isabél den Hofdamen, die bestürzt in Juanas Schlafgemach gelaufen kamen, dass sie allein zu sein wünschten. Zögernd zogen sie sich wieder zurück.
Isabél streichelte tröstend über Juanas Schulter. Irgendwie hielt sich ihr Mitleid jedoch in Grenzen. Sosehr sie Juanas Zorn über die Untreue des Königs und die Anmaßung Guiomars verstand, so war Juana selbst auch kein Engel. Abgesehen davon, dass sie einen Eklat vor den Augen des ganzen Hofes herbeigeführt hatte, wollten die Gerüchte um die kleine Prinzessin Juana, Tochter der Königin, nicht verstummen. Diese war vor zwei Jahren geboren worden und Isabél war ihre Taufpatin. Sie hatte es als Ehre betrachtet, Taufpatin der kleinen Prinzessin zu sein. Schon damals murmelte der Hof hinter vorgehaltener Hand, dass es nicht Enriques Kind sei.
Als hätte die Königin ihre Gedanken erraten, hob sie den Kopf. »Ich will mein Kind sehen! Sie sollen mir mein Kind bringen!«
»Ich kümmere mich darum«, erwiderte Isabél und erhob sich.
Die Kinderfrau brachte die zweijährige Prinzessin herein. Die kleine Juanita schrie und zappelte und wollte unbedingt selbst laufen. Die Kinderfrau setzte sie auf den Boden.
»Komm zu mir, mein kleines Blümchen, komm zur Mama!« Die Königin streckte die Arme aus, und die kleine Prinzessin tapste auf unsicheren Füßen zu ihr. Auf halbem Weg stolperte sie über ihren Kleidersaum und fiel hin.
»Törichtes Weib!«, schalt Juana die Kinderfrau und eilte zu ihrem Kind. Sacht hob sie es auf und setzte es aufs Bett. Sofort beruhigte sich die Kleine.
Isabél betrachtete das Kind nachdenklich. Wem sah es ähnlich? Die kleine Juana hatte helles Haar, große blaugraue Augen und ein lustiges Grübchen am Kinn. Isabél kannte jemanden, der ebendieses Grübchen am Kinn besaß. Es war Beltrán de la Cueva. Er war ein enger Vertrauter des Königs, und man munkelte, die Königin sei dem hübschen Günstling keineswegs abgeneigt gewesen.
Allerdings gab es noch einen ganz anderen Grund für die Existenz dieses Kindes. Kaum noch hinter vorgehaltener Hand, sondern ziemlich lautstark und öffentlich sprach man bei Hofe über Enriques Kinderlosigkeit. Seine erste Gattin Blanca schenkte Enrique keinen Erben, weswegen diese Ehe geschieden wurde. Blanca nahm die Schuld auf sich, dass es an einem körperlichen Makel ihrerseits liegen würde. Doch auch Enriques zweite Ehe mit Juana blieb sieben Jahre kinderlos. Obwohl seine Mätressen heftig und wortreich bestätigten, welche Qualitäten Enrique im Bett aufwies, blieb auch diesmal ein Erbe aus. An der Königin konnte es jedoch nicht liegen.
Eine besonders pikante Geschichte kursierte bei Hofe, als sich der König in den ersten Jahren seiner Ehe über ein Jahr auf einem Feldzug befand. Nach seiner Rückkehr befahl er Juana zu sich. Die Königin jedoch war im siebten Monat schwanger. Durch eine tollkühne Flucht entzog sie sich der Eskorte, die sie zu ihrem Gemahl begleiten sollte. Zwei Monate später brachte sie heimlich das Kind zur Welt, überließ es fremden Leuten, und erschien kurze Zeit später am Hof, als sei nichts geschehen.
Danach wurden die Stimmen lauter, die behaupteten, der König sei impotent. Um sein Ansehen zu wahren, musste dringend ein Thronerbe gezeugt werden. Man flüsterte, dass es dem König nicht unrecht gewesen sei, dass die Königin Don Beltrán de la Cueva mehr als die gebotene zeremonielle Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Wie dem auch sei, die Infantin wurde nach siebenjähriger Ehe der Königin mit Enrique im Alcázar von Madrid öffentlich und im Beisein der Granden des Reiches geboren.
Es war eine prachtvolle Feier, als die kleine Juana getauft wurde. Isabél erinnerte sich noch sehr gut daran. Von Erzbischof Carillo erhielt Juana das Taufsakrament. Paten waren Juan Pacheco, der Marqués von Villena, und kein Geringerer als König Louis XI. von Frankreich. Und die damals elfjährige Isabél. Ebenso öffentlich wurde die Anerkennungsurkunde des Königs verlesen. Juana war seine Tochter und damit Thronerbin. Eigentlich war alles in bester Ordnung.
Isabél setzte sich aufs Bett und spielte mit ihrem Patenkind. Die seltsame Beklemmung, die sie bei dem Streit im Saal befallen hatte, wich von ihr. Die kindliche Unschuld rührte sie an. Hier, inmitten dieser Unmoral und der Falschheit, wuchs ein kleines Wesen auf, rein und unbefleckt, mit einem unschuldigen Lächeln im Gesicht und großen, verwunderten Augen. Wie lange würde es dauern, bis auch diese Augen nicht mehr unschuldig blickten?
Isabél erschrak. Auch sie war voller Unschuld und Reinheit an den Hof gekommen. Oder nicht? Wann würde sie sich in den Sumpf von Intrigen, Machtspielen und Günstlingswirtschaft hineinziehen lassen?
Sie warf einen Blick zur Königin hin, die das Spiel der bei-den scheinbar gleichgültig beobachtete. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie sich schon mittendrin befand. König Enrique hatte die kleine Juana als legitime Erbin erklärt. Was aber, wenn das Kind starb? An zweiter Stelle der Thronfolge stand Isabéls Bruder Alfonso. Und an dritter Stelle - sie selbst!
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein Page einen Besucher meldete: Don Beltrán!
Juana fuhr vom Lager hoch und wedelte mit den Händen, als müsse sie eine Schar Vögel aufscheuchen.
»Schafft das Kind weg! Und lasst mich allein! Schickt die Zofe herein, sie soll meine Frisur in Ordnung bringen. Isabél, danke dass du mir beigestanden hast. Das werde ich dir nie vergessen.«
Isabél erhob sich ebenfalls. Jetzt war sie hier fehl am Platze. Auch sie wollte jetzt lieber allein sein. Ganz allein!
Zurück in ihren Gemächern, blieb Isabél aufatmend an der Tür stehen. Auf dem Tisch lagen noch die Bücher, Schriften der antiken Klassiker, die sie aus der Bibliothek ihres verstorbenen Vaters entliehen hatte. König Juan II. war ein feinsinniger Mensch gewesen. Seit seinem Tod war die Bibliothek verwaist. Enrique besaß keinen Sinn dafür.
Die Bücher waren nur ein schwacher Trost für ihr Leben in Arévalo, wohin ihre Mutter sie mitgenommen hatte nach dem Tod ihres Vaters. Es war ein düsteres, unfreundliches Schloss, wo sich Isabél nicht wohlfühlte. Zudem begann die Königswitwe zunehmend unter einer seltsamen geistigen Verwirrung zu leiden. Isabél versuchte die Mutter zu trösten, weil sie meinte, es wäre die Trauer um den Vater. Doch die Depressionen steigerten sich; zuweilen befand sich die Witwe in geistiger Umnachtung. Isabél fühlte sich fremd.
Einziger Lichtblick war Beatríz de Bobadilla, die Tochter des Schlossverwalters. Mit ihr hatte sie sich angefreundet und die schönste Zeit ihres bisherigen Lebens verbracht. An der Seite der lebenslustigen Beatríz durfte sie Mädchen sein. Oft gingen sie gemeinsam auf Volksfeste und Jahrmärkte, tauchten ein in den lebhaften Trubel. Da herrschte ein babylonisches Sprachgewirr, da mischten sich Farben und Formen, Gewänder und Düfte. Mit Beatríz streifte sie durch die Reihen von Buden und Ständen, erkundete Gassen mit Handwerksläden, Basare mit Waren aus aller Welt, kaufte sich Armketten mit Münzen daran, indische Tücher aus feinstem Stoff in bunten Farben oder kleine, aus Jade geschnitzte Figürchen.
Es waren sorglose Stunden, fröhlich und voller vielfältiger Eindrücke. Da war sie nicht Prinzessin, sondern Kind an der Hand der Freundin.
Es klopfte an der Tür, dann öffnete sie sich leise. Isabél wandte sich um. Ihr Bruder Alfonso trat zögernd ein.
»Ich wollte nur nach dir sehen, ob es dir gut geht«, sagte der Knabe. Er war zwei Jahre jünger als Isabél und sowohl vom Körper bau her als auch im Gesicht sehr kindlich. In dieser fast feindlichen Umgebung fühlte er sich dazu berufen, seine Schwester zu beschützen.
»Warum sollte es mir nicht gut gehen?«, gab Isabél die Frage zurück.
»Weil ... weil ... wegen vorhin«, stammelte Alfonso mit schwerer Zunge.
»Es ist vorbei«, sagte sie gefasst. »Danke, dass du dich um mich sorgst. Deine Sorge ist unbegründet.«
Alfonso freute sich und errötete. »Ich muss deine Ehre verteidigen«, sagte er ernst und griff zum Gürtel, wo ein fein ziselierter kleiner Dolch steckte. »Hier gibt es so viele seltsame Menschen. Die Hofdamen der Königin fassen mich immer an und lächeln mir zu und sagen so eigenartige Dinge. Ich möchte nicht, dass die Männer dich auch anlächeln und anfassen und solche Dinge sagen.«
Isabél straffte sich, und sie presste ihre Hände zu Fäusten.
»Das werden sie nicht, verlass dich drauf. Sie werden es nicht wagen, weil ich es nicht zulasse.« Sie blickte ihn entschlossen an. »Weil du es nicht zulassen wirst.«
In einer gefühlvollen Anwandlung nahm sie ihren Bruder in die Arme und drückte ihn an sich. »Du bist ein wahrer Kavalier.«
Es war natürlich eine Illusion, dass Alfonso sie vor irgendetwas beschützen konnte. Er war viel zu jung und unerfahren. Er besaß Mut und den festen Willen, seine Schwester vor allem Unrecht zu beschützen. Mehr nicht. Armer Alfonso!
Während sie ihren Bruder noch in den Armen hielt, wünschte sich Isabél, Beatríz wäre bei ihr.
Königin Juanas Auftritt zeigte ernste Folgen. Nicht nur die Prügelei im Saal hinterließ bei den Beteiligten sichtbare Spuren. Was vormals nur unter der Decke äußerlicher Verstellung schwelte, trat nun offen zutage: die Spaltung des Hofes in Befürworter und Gegner der Königin und ihres Kindes.
Einer der härtesten Gegner Juanas war Erzbischof Carillo. Er, der zunächst die Infantin unter großem Pomp getauft hatte, zweifelte nun ihre Rechtmäßigkeit an. Nicht zuletzt das unbotmäßige und selbstherrliche Auftreten Don Beltráns brüskierte den Hof und gab Juanas Gegnern kräftig Nahrung.
In Burgos versammelte der Erzbischof Gesinnungsgenossen um sich und erörterte die Lage.
»Keiner, dessen Geist wach genug ist, wird bestreiten, dass der König keine Mittel scheut, um seiner Kinderlosigkeit abzu helfen. Ich meine keine medizinischen Mittel.« Carillo blickte auffordernd in die Runde. Neben ihm saß sein Neffe Juan Pacheco, der zustimmend nickte.
»Ich meine«, fuhr Carillo fort, »die überaus deutliche Günstlingsbezeugung Don Beltráns. Immerhin ist er der erste Favorit des Königs und hat sich demzufolge auch dem Willen des Königs zu unterwerfen. Und wenn der König Nachwuchs will ...«
»Ich glaube, wir brauchen hier nicht für den Umstand zu argumentieren, dass der König nicht Vater des Kindes ist«, warf Pacheco ein. »Das ist inzwischen die öffentliche Meinung. Don Beltrán hat es übrigens nie abgestritten. Und da er auch der Favorit der Königin ist, braucht man nur eins und eins zusammenzuzählen.«
Carillo lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Lippen.
»Es gibt noch einen ganz anderen Beweis«, sagte er in die entstandene Pause hinein, in der die Anwesenden miteinander heftig diskutierten. Alle wandten ihm die Köpfe zu. Selbstzufrieden strich er über seinen Bauch, als hätte er soeben ein köstliches Mahl zu sich genommen. »Kraft meines Amtes als Beichtvater kommen mir natürlich all die großen und kleinen Sünden der Mätressen des Königs zu Ohren. Wie es ihre Pflicht ist, schildern sie mir alle Einzelheiten der Zusammenkünfte mit dem König.« Carillo räusperte sich. »In Anbetracht des Beichtgeheimnisses darf ich sie hier nicht weiter ausführen. Besonders seine damalige Favoritin Catalina de Santoval wurde diesbezüglich befragt.«
Er verzog das Gesicht. Der König selbst hatte Catalina zur Äbtissin des Klosters Dueña ernannt. Jedermann wusste, wie sauer Carillo dies aufgestoßen war. Es wurde immer deutlicher, dass der Erzbischof nicht nur gegen Juana und ihr Kind, sondern vor allem gegen den König war.
»Jedenfalls sind die Beweise einer Impotenz des Königs derart gravierend, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt, als die Legalität der Infantin abzuerkennen.«
Ein zustimmendes Gemurmel setzte ein. Carillo hob die Hand. »Wir fordern die Auslieferung Don Beltráns! Wir fordern die Aberkennung der Thronfolge für Juana. Der Adel steht hinter uns. Wir werden Enrique zwingen, seine Tochter, diese Beltraneja, zu enterben. Damit ist der Weg für Alfonso als Thronfolger frei.«
Pacheco beugte sich zu Carillo herüber. »Vergesst mir den guten Fadrique nicht, lieber Onkel. Ich bin fiberzeugt, er kennt auch ein paar Geheimnisse, die er mir nicht anvertrauen wollte. Der König hat Pläne mit seiner Halbschwester.«
Carillo grinste selbstgefällig. »Glaubst du, das weiß ich nicht? Wer wäre ich, wenn ich nicht jedem dieser Intriganten zwei Schritte voraus wäre? Natürlich hat der König Pläne mit Isabél. Aber es stört nicht unseren Plan. Alfonso ist wichtig. Er wird in unserem Sinne handeln. Weißt du, der Adel ist wetterwendig. Er sagt zu allem ja, wenn er davon nur seine Vorteile hat und seine Privilegien nicht gefährdet sieht. Das Wort Treue kennt er nicht. Die Granden kennen nur das Schwert und die Annehmlichkeiten des Lebens. Wir aber, mein lieber Pacheco, wir sind die Köpfe, die das Ganze steuern.«
In Kastiliens kleinem Nachbarreich Aragón herrschte König Juan, der erst mit einundsechzig Jahren den Thron bestiegen hatte. So klein sein Königreich auch war, so verbissen verteidigte es König Juan gegen jegliche äußere Angreifer, auch wenn sie noch so sehr in der Übermacht waren. Besonders das große Kastilien beäugte König Juan argwöhnisch. Ständig bestrebt, seiner Herrschaft Glanz und Glorie zu verleihen, setzte er dafür alle verfügbaren Mittel ein, seinen Ehrgeiz, seine Raffgier und auch seinen Geiz.
Sein größter Ehrgeiz war jedoch, über Kastilien zu herrschen. War es auch unmöglich, den größeren Nachbarn mit Waffengewalt zu erobern, so gab es jedoch die Möglichkeit, wenigstens zusammen mit Kastilien zu herrschen. Seine Hinterhältigkeit und Verschlagenheit kannten keine Skrupel, die kastilische Opposition zu unterstützen und für seine Zwecke zu nutzen. Er musste nur auf die passende Gelegenheit warten. Wie eine Spinne im Netz lag König Juan von Aragón auf der Lauer. Er besaß ausgezeichnete Kontakte nach Kastilien, denn sein Schwiegervater war kein Geringerer als Admiral Fadrique Enriquez, dessen nicht minder machthungrige Tochter der König geheiratet und die ihm den Sohn Fernando geboren hatte.
In Kastilien braute sich etwas zusammen, hatte ihm Don Fadrique zugeflüstert. Und er konnte sich sogar der Unterstützung Erzbischof Carillos sicher sein.
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Segovia
Es war der obligatorische Blick in den Spiegel, den Isabél auch in der größten Eile nie vergaß. Aus dem schlichten Rahmen blickte ihr ein nicht unschönes, jugendliches Gesicht entgegen, mit blauen Augen, heller Haut und einer etwas kessen Stupsnase. Ihre Wangen waren von dem schnellen Ritt gerötet und das hellblonde Haar vom Wind zerzaust. Sie nahm einen Kamm aus Elfenbein von der Konsole und kämmte ihr Haar streng nach hinten. Dann schlang sie ein seidenes Tuch darum.
Sie weilte erst kurze Zeit in Segovia. Eigentlich wusste sie nicht so recht, warum sie und ihr Bruder Alfonso hierhergerufen worden waren. Aber sie mussten dem Befehl des Königs Folge leis-ten. Der König, das war Isabéls älterer Bruder Enrique aus der ersten Ehe ihres Vaters, König Juan II. Seit zehn Jahren saß er auf Kastiliens Thron.
Mit schnellen Schritten durcheilte sie die engen Gänge des Alcázar von Segovia, wo der Hof derzeit residierte. Seine hohen Mauern bargen den Staatsschatz Kastiliens. Trutzig und verschlossen, himmelwärts strebend, mit halbrunden Türmchen und Turmzinnen war die Burg ein Bollwerk gegen alle Feinde des Reichs. Im Inneren jedoch zeigte der Alcázar jene Verfallserscheinungen, die das ganze Königreich charakterisierten. Da regierten die Leichtlebigkeit und Leichtfertigkeit, die Intrige und der Verrat.
Isabéls Rücken versteifte sich unwillkürlich, als sie Lachen, Wispern und Kichern aus den dunklen Nischen und hinter den wuchtigen Säulen vernahm. Geflüsterte Worte, Lockrufe der Lust, die Isabél ängstigten. Ungeniert fanden sich die Pärchen in den Winkeln dieser Burg zusammen. Niemand hinderte sie daran, niemand nahm Anstoß. Den Blick starr geradeaus gerichtet, beschleunigte sie den Schritt.
Isabél hörte Lachen und Musik aus dem großen Saal, dessen zweiflügelige, reich geschnitzte Holztür jetzt von Dienern geöffnet wurde. Sie trat ein und blieb stehen. Es herrschte ein buntes Durcheinander von Menschen in den unterschiedlichsten Kleidungen. Da gab es Musikanten, Gaukler und Tänzerinnen, Höflinge neben stolzen spanischen Granden1. Im Mittelpunkt jedoch stand der König, aber nicht, weil er strahlend und erhaben auf dem Thron glänzte. Es gab keinen Thron. Enrique IV. hockte mit untergeschlagenen Beinen auf einem mit dicken Kissen ausgelegten Podest. Er trug ärmliche, nachlässige Kleidung. Sein rotes Haupthaar und der struppige Bart waren ungepflegt, seine durch eine Fraktur nicht mehr ebenmäßige Nase verlieh ihm ein gewöhnliches Aussehen. Mit seinen unproportional langen Gliedern wirkte er unbeholfen und staksig. Ein Wunder, dass er in dieser unbequemen Stellung über Stunden verharren konnte. Sein ganzes Gehabe erinnerte eher an einen muslimischen Emir als an einen katholischen König.
Seine Günstlinge und die unzähligen Schmarotzer am Hofe, die sich der Freigebigkeit des Königs nur zu bewusst waren, umringten ihn stehend oder hatten auf Bänken Platz genommen.
Als Enrique seine Schwester entdeckte, flog ein freudiges Lächeln über sein Gesicht und entblößte seine gelblichen Zähne.
»Isabél, mein Sonnenschein! Tritt ein und erfreue dich an der Unterhaltung, die man mir präsentiert. Es tut einem jungen Mädchen nicht gut, allein in seiner Kemenate zu hocken und Trübsal zu blasen. Ich will verhindern, dass du deiner Mutter immer ähnlicher wirst.<<
Er brach in schallendes Gelächter aus, und die Höflinge stimmten pflichtbewusst mit ein.
Isabél schoss die Zornesröte ins Gesicht. Sie hatte das Schicksal ihrer Mutter, die in Schwermut verfallen war, über Jahre in dem düsteren Schloss von Arévalo geteilt, ohne sie davon heilen zu können. Die Trennung von der Mutter und der Wechsel zum Hof ihres Halbbruders fielen ihr nicht leicht. Es gab keinen Grund, über Isabéls Pflichtbewusstsein zu spotten.
Unter den Anwesenden entdeckte sie ihren Bruder Alfonso. Er hielt einen Pokal in der Hand und trank den Wein wie Wasser. Seine Augen glänzten bereits glasig. Auch die meisten anderen Gäste waren angeheitert. Lakaien schenkten unentwegt Wein aus den königlichen Kellern aus.
»Komm, mein Täubchen, nimm an meiner Seite Platz!<< Enrique warf ihr ein dickes Kissen mit goldenen Quasten hin.
Langsam trat Isabél näher, dann blieb sie vor einem hochlehnigen Stuhl stehen, den die Gäste offensichtlich verschmähten.
»Der Platz an Eurer Seite steht einer anderen Frau zu<<, sagte sie und setzte sich, während sie nur einen kurzen Blick auf die Frau an Enriques Seite warf. Das aber war nicht etwa seine angetraute Gattin, Königin Juana, sondern eine seiner vielen Mätressen. Derzeit war die bildhübsche Portugiesin Guiomar de Castro seine Favoritin. Diese rekelte sich, in ein farbenprächtiges maurisches Gewand gehüllt, neben Enrique auf den Kissen und betrachtete mit herablassendem Spott im Gesicht die Tänzerinnen. Für Isabél hatte sie überhaupt keinen Blick übrig.
Ein Raunen ging durch den Saal. Isabéls Antwort war ein Affront gegen den König, doch Enrique fasste sie als einen Scherz auf. Er legte den Arm um Guiomar und zog sie zu sich heran.
»Wie wahr, mein Täubchen, oft weiß ich selbst nicht, welche am besten zu mir passt. Manchmal denke ich, gar keine. Jedenfalls muss ich mich ab und zu mal von ihnen erholen.« Er lachte lauthals, als ihm Guiomar einen tadelnden Klaps versetzte.
Isabéls Miene blieb verschlossen. Sie spürte die Blicke und das Tuscheln der Höflinge und Señores. Beides galt nicht etwa Guiomar, sondern ihr.
»Hübsch ist sie ja nicht gerade«, murmelte Juan Pacheco, der Marqués von Villena, seinem Nachbarn Fadrique Enriquez zu.
Don Fadrique, seines Zeichens Admiral von Kastilien, lächelte süffisant. »Das ist auch überhaupt nicht nötig. Wer sie zur Frau bekommt, hat ohnehin noch seine Mätressen. Als Heiratskandidatin spielt nicht die Schönheit eine Rolle, sondern die Abstammung.«
Pacheco hob die Augenbrauen. »Heiratskandidatin? Wisst Ihr etwas, das ich nicht weiß?«
»Immer, mein lieber Pacheco. Sonst wäre ich Euch gegenüber doch nicht im Vorteil«, grinste der Admiral. »Der König hat seine Pläne mit ihr. Warum sonst hat er sie an den Hof rufen lassen?«
Pacheco betrachtete abschätzend das Mädchen, das sich aufrecht und von Schmeicheleien und Geflüster der Höflinge scheinbar unbeeindruckt auf dem unbequemen Stuhl hielt. Sie lehnte auch das angebotene Weinglas ab.
»Lasst sie noch ein paar Monate bei Hofe sein, und sie wird geformt wie warmes Wachs. Sie scheint nicht das düstere Gemüt ihrer Mutter geerbt zu haben, auch wenn sie sich jetzt aufführt, als würde sie jeden beif3en, der sie nur anzurühren wagt.«
»Sie wird beif3en, den, der sie anrührt«, erwiderte Don Fadrique. »Aber ich denke, wer sie als Faustpfand hat, ist einen Schritt voraus.«
Pachecos Kopf fuhr herum. »Seid Ihr etwa dieser Jemand? Ich traue es Euch durchaus zu.«
Don Fadrique setzte eine undurchdringliche Miene auf. »Wer wird denn seine geheimsten Pläne verraten?«, murmelte er.
Pacheco lachte belustigt auf. »Eure Pläne, lieber Fadrique? Ich denke eher, es sind die Pläne des Königs. Ihr schmückt Euch mit fremden Federn und legt falsche Fährten aus. Glaubt Ihr nicht, dass sich auch andere den Kopf zerbrechen, was Enrique mit seiner Halbschwester vorhat?«
»Sicher, sicher. Es ist allerdings von Vorteil, es vor den anderen zu erfahren.«
Der Wortwechsel der beiden Männer wurde jäh unterbrochen, als die Tür mit einem Knall aufflog und die Königin mit zornigem Gesicht und wütend funkelnden Augen hereinplatzte. So-fort verstummte die Musik, die Tänzer verzogen sich schleunigst. Juana, die zweite Ehefrau des Königs, war die Schwester des portugiesischen Königs Alfonso, sehr hübsch und sehr temperamentvoll. Der Grund ihres Zorns lag in Enriques Armen.
»Du doppelzüngige Natter, du schleimige Eidechse, du widerwärtiger Wurm! Ich habe dich nicht in den Kreis meiner Hofdamen aufgenommen, damit du bei nächster Gelegenheit unter die Decke meines Gemahls kriechst. Es gibt genug andere Hähne hier am Hof, mit denen du es treiben kannst, bis du wund wie ein gebrühtes Schwein bist. Schämst du dich nicht, dich in aller Öffentlichkeit wie eine maurische Hure auf dem Boden herumzuwälzen? An der Seite des Königs ist mein Platz! Mein! Mein! Mein!«
Sie stürzte sich auf die verblüffte und überrumpelte Guiomar, die sich nicht schnell genug von den Polstern aufrappeln konnte, und schlug ihr mit jedem Wort den zusammengeklappten Fächer ins Gesicht. Blut spritzte, Guiomar schrie auf. Enrique warf sich dazwischen, ohne allerdings viel bewirken zu können. Juana war rasend vor Eifersucht, und es störte sie nicht im Geringsten, dass der gesamte Hofstaat ihr bei diesem Ausbruch zuschaute.
»Juanita, Täubchen, liebstes Mäuschen, was tust du da? Wir haben doch nur ein bisschen den Tänzerinnen zugeschaut. Das Mädchen kann doch nichts dafür.«
»Nichts dafür?«, tobte Juana und schlug weiter auf Guiomar ein. »Hure, Verführerin, Miststück! Miststück! Miststück!«
Guiomar hob schützend die Arme über den Kopf und versuchte, vor Juanas Gewalttätigkeiten zu flüchten. Aber sie stieß nur an eine Wand aus Gaffern, Sympathisanten oder Feinden. Die einen nahmen für Juana Partei und feuerten sie an, die Konkurrentin aus dem Feld zu schlagen, die anderen ergriffen für Guiomar Partei.
Innerhalb kürzester Zeit entstand ein wüstes Handgemenge, der halbe Hofstaat prügelte sich. Keiner kümmerte sich um die Rufe des Königs, der zur Besonnenheit mahnte. In dem Durcheinander gelang Guiomar die Flucht.
Juana, dem Objekt ihres Zorns beraubt, blickte sich wie ein wutschnaubender Stier um, dann traten plötzlich Tränen in ihre Augen. »Diese Schmach«, schluchzte sie auf. »Diese Schande!«
Isabél sprang auf. Hinter ihr stießen die sich prügelnden Höflinge ihren Stuhl um. Sie nahm Juana in die Arme und drängte sie aus dem Saal.
Juana fing hemmungslos an zu weinen. »Ach, Isabél, wenigstens du hältst zu mir. Selbst meine Hofdamen verraten mich und vergnügen sich mit dem König. Ich bin so unglücklich!«
Dass Letzteres nicht unbedingt stimmte, wusste Isabél nur zu gut, aber sie schwieg und begleitete die Königin in ihre Gemächer. Dort ließ sich Juana auf das Bett fallen.
»Ich danke dir, Isabél. Du bist eine wahre Freundin. Dass du das mit ansehen musstest! Ich wünschte, du hättest all diese Zuchtlosigkeit nicht erlebt. Wie muss es jetzt in deinem Herzen aussehen! Was musst du von uns denken!«
»Beruhige dich, Juana. Ich bin ja bei dir.« Mit einer Handbewegung bedeutete Isabél den Hofdamen, die bestürzt in Juanas Schlafgemach gelaufen kamen, dass sie allein zu sein wünschten. Zögernd zogen sie sich wieder zurück.
Isabél streichelte tröstend über Juanas Schulter. Irgendwie hielt sich ihr Mitleid jedoch in Grenzen. Sosehr sie Juanas Zorn über die Untreue des Königs und die Anmaßung Guiomars verstand, so war Juana selbst auch kein Engel. Abgesehen davon, dass sie einen Eklat vor den Augen des ganzen Hofes herbeigeführt hatte, wollten die Gerüchte um die kleine Prinzessin Juana, Tochter der Königin, nicht verstummen. Diese war vor zwei Jahren geboren worden und Isabél war ihre Taufpatin. Sie hatte es als Ehre betrachtet, Taufpatin der kleinen Prinzessin zu sein. Schon damals murmelte der Hof hinter vorgehaltener Hand, dass es nicht Enriques Kind sei.
Als hätte die Königin ihre Gedanken erraten, hob sie den Kopf. »Ich will mein Kind sehen! Sie sollen mir mein Kind bringen!«
»Ich kümmere mich darum«, erwiderte Isabél und erhob sich.
Die Kinderfrau brachte die zweijährige Prinzessin herein. Die kleine Juanita schrie und zappelte und wollte unbedingt selbst laufen. Die Kinderfrau setzte sie auf den Boden.
»Komm zu mir, mein kleines Blümchen, komm zur Mama!« Die Königin streckte die Arme aus, und die kleine Prinzessin tapste auf unsicheren Füßen zu ihr. Auf halbem Weg stolperte sie über ihren Kleidersaum und fiel hin.
»Törichtes Weib!«, schalt Juana die Kinderfrau und eilte zu ihrem Kind. Sacht hob sie es auf und setzte es aufs Bett. Sofort beruhigte sich die Kleine.
Isabél betrachtete das Kind nachdenklich. Wem sah es ähnlich? Die kleine Juana hatte helles Haar, große blaugraue Augen und ein lustiges Grübchen am Kinn. Isabél kannte jemanden, der ebendieses Grübchen am Kinn besaß. Es war Beltrán de la Cueva. Er war ein enger Vertrauter des Königs, und man munkelte, die Königin sei dem hübschen Günstling keineswegs abgeneigt gewesen.
Allerdings gab es noch einen ganz anderen Grund für die Existenz dieses Kindes. Kaum noch hinter vorgehaltener Hand, sondern ziemlich lautstark und öffentlich sprach man bei Hofe über Enriques Kinderlosigkeit. Seine erste Gattin Blanca schenkte Enrique keinen Erben, weswegen diese Ehe geschieden wurde. Blanca nahm die Schuld auf sich, dass es an einem körperlichen Makel ihrerseits liegen würde. Doch auch Enriques zweite Ehe mit Juana blieb sieben Jahre kinderlos. Obwohl seine Mätressen heftig und wortreich bestätigten, welche Qualitäten Enrique im Bett aufwies, blieb auch diesmal ein Erbe aus. An der Königin konnte es jedoch nicht liegen.
Eine besonders pikante Geschichte kursierte bei Hofe, als sich der König in den ersten Jahren seiner Ehe über ein Jahr auf einem Feldzug befand. Nach seiner Rückkehr befahl er Juana zu sich. Die Königin jedoch war im siebten Monat schwanger. Durch eine tollkühne Flucht entzog sie sich der Eskorte, die sie zu ihrem Gemahl begleiten sollte. Zwei Monate später brachte sie heimlich das Kind zur Welt, überließ es fremden Leuten, und erschien kurze Zeit später am Hof, als sei nichts geschehen.
Danach wurden die Stimmen lauter, die behaupteten, der König sei impotent. Um sein Ansehen zu wahren, musste dringend ein Thronerbe gezeugt werden. Man flüsterte, dass es dem König nicht unrecht gewesen sei, dass die Königin Don Beltrán de la Cueva mehr als die gebotene zeremonielle Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Wie dem auch sei, die Infantin wurde nach siebenjähriger Ehe der Königin mit Enrique im Alcázar von Madrid öffentlich und im Beisein der Granden des Reiches geboren.
Es war eine prachtvolle Feier, als die kleine Juana getauft wurde. Isabél erinnerte sich noch sehr gut daran. Von Erzbischof Carillo erhielt Juana das Taufsakrament. Paten waren Juan Pacheco, der Marqués von Villena, und kein Geringerer als König Louis XI. von Frankreich. Und die damals elfjährige Isabél. Ebenso öffentlich wurde die Anerkennungsurkunde des Königs verlesen. Juana war seine Tochter und damit Thronerbin. Eigentlich war alles in bester Ordnung.
Isabél setzte sich aufs Bett und spielte mit ihrem Patenkind. Die seltsame Beklemmung, die sie bei dem Streit im Saal befallen hatte, wich von ihr. Die kindliche Unschuld rührte sie an. Hier, inmitten dieser Unmoral und der Falschheit, wuchs ein kleines Wesen auf, rein und unbefleckt, mit einem unschuldigen Lächeln im Gesicht und großen, verwunderten Augen. Wie lange würde es dauern, bis auch diese Augen nicht mehr unschuldig blickten?
Isabél erschrak. Auch sie war voller Unschuld und Reinheit an den Hof gekommen. Oder nicht? Wann würde sie sich in den Sumpf von Intrigen, Machtspielen und Günstlingswirtschaft hineinziehen lassen?
Sie warf einen Blick zur Königin hin, die das Spiel der bei-den scheinbar gleichgültig beobachtete. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie sich schon mittendrin befand. König Enrique hatte die kleine Juana als legitime Erbin erklärt. Was aber, wenn das Kind starb? An zweiter Stelle der Thronfolge stand Isabéls Bruder Alfonso. Und an dritter Stelle - sie selbst!
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein Page einen Besucher meldete: Don Beltrán!
Juana fuhr vom Lager hoch und wedelte mit den Händen, als müsse sie eine Schar Vögel aufscheuchen.
»Schafft das Kind weg! Und lasst mich allein! Schickt die Zofe herein, sie soll meine Frisur in Ordnung bringen. Isabél, danke dass du mir beigestanden hast. Das werde ich dir nie vergessen.«
Isabél erhob sich ebenfalls. Jetzt war sie hier fehl am Platze. Auch sie wollte jetzt lieber allein sein. Ganz allein!
Zurück in ihren Gemächern, blieb Isabél aufatmend an der Tür stehen. Auf dem Tisch lagen noch die Bücher, Schriften der antiken Klassiker, die sie aus der Bibliothek ihres verstorbenen Vaters entliehen hatte. König Juan II. war ein feinsinniger Mensch gewesen. Seit seinem Tod war die Bibliothek verwaist. Enrique besaß keinen Sinn dafür.
Die Bücher waren nur ein schwacher Trost für ihr Leben in Arévalo, wohin ihre Mutter sie mitgenommen hatte nach dem Tod ihres Vaters. Es war ein düsteres, unfreundliches Schloss, wo sich Isabél nicht wohlfühlte. Zudem begann die Königswitwe zunehmend unter einer seltsamen geistigen Verwirrung zu leiden. Isabél versuchte die Mutter zu trösten, weil sie meinte, es wäre die Trauer um den Vater. Doch die Depressionen steigerten sich; zuweilen befand sich die Witwe in geistiger Umnachtung. Isabél fühlte sich fremd.
Einziger Lichtblick war Beatríz de Bobadilla, die Tochter des Schlossverwalters. Mit ihr hatte sie sich angefreundet und die schönste Zeit ihres bisherigen Lebens verbracht. An der Seite der lebenslustigen Beatríz durfte sie Mädchen sein. Oft gingen sie gemeinsam auf Volksfeste und Jahrmärkte, tauchten ein in den lebhaften Trubel. Da herrschte ein babylonisches Sprachgewirr, da mischten sich Farben und Formen, Gewänder und Düfte. Mit Beatríz streifte sie durch die Reihen von Buden und Ständen, erkundete Gassen mit Handwerksläden, Basare mit Waren aus aller Welt, kaufte sich Armketten mit Münzen daran, indische Tücher aus feinstem Stoff in bunten Farben oder kleine, aus Jade geschnitzte Figürchen.
Es waren sorglose Stunden, fröhlich und voller vielfältiger Eindrücke. Da war sie nicht Prinzessin, sondern Kind an der Hand der Freundin.
Es klopfte an der Tür, dann öffnete sie sich leise. Isabél wandte sich um. Ihr Bruder Alfonso trat zögernd ein.
»Ich wollte nur nach dir sehen, ob es dir gut geht«, sagte der Knabe. Er war zwei Jahre jünger als Isabél und sowohl vom Körper bau her als auch im Gesicht sehr kindlich. In dieser fast feindlichen Umgebung fühlte er sich dazu berufen, seine Schwester zu beschützen.
»Warum sollte es mir nicht gut gehen?«, gab Isabél die Frage zurück.
»Weil ... weil ... wegen vorhin«, stammelte Alfonso mit schwerer Zunge.
»Es ist vorbei«, sagte sie gefasst. »Danke, dass du dich um mich sorgst. Deine Sorge ist unbegründet.«
Alfonso freute sich und errötete. »Ich muss deine Ehre verteidigen«, sagte er ernst und griff zum Gürtel, wo ein fein ziselierter kleiner Dolch steckte. »Hier gibt es so viele seltsame Menschen. Die Hofdamen der Königin fassen mich immer an und lächeln mir zu und sagen so eigenartige Dinge. Ich möchte nicht, dass die Männer dich auch anlächeln und anfassen und solche Dinge sagen.«
Isabél straffte sich, und sie presste ihre Hände zu Fäusten.
»Das werden sie nicht, verlass dich drauf. Sie werden es nicht wagen, weil ich es nicht zulasse.« Sie blickte ihn entschlossen an. »Weil du es nicht zulassen wirst.«
In einer gefühlvollen Anwandlung nahm sie ihren Bruder in die Arme und drückte ihn an sich. »Du bist ein wahrer Kavalier.«
Es war natürlich eine Illusion, dass Alfonso sie vor irgendetwas beschützen konnte. Er war viel zu jung und unerfahren. Er besaß Mut und den festen Willen, seine Schwester vor allem Unrecht zu beschützen. Mehr nicht. Armer Alfonso!
Während sie ihren Bruder noch in den Armen hielt, wünschte sich Isabél, Beatríz wäre bei ihr.
Königin Juanas Auftritt zeigte ernste Folgen. Nicht nur die Prügelei im Saal hinterließ bei den Beteiligten sichtbare Spuren. Was vormals nur unter der Decke äußerlicher Verstellung schwelte, trat nun offen zutage: die Spaltung des Hofes in Befürworter und Gegner der Königin und ihres Kindes.
Einer der härtesten Gegner Juanas war Erzbischof Carillo. Er, der zunächst die Infantin unter großem Pomp getauft hatte, zweifelte nun ihre Rechtmäßigkeit an. Nicht zuletzt das unbotmäßige und selbstherrliche Auftreten Don Beltráns brüskierte den Hof und gab Juanas Gegnern kräftig Nahrung.
In Burgos versammelte der Erzbischof Gesinnungsgenossen um sich und erörterte die Lage.
»Keiner, dessen Geist wach genug ist, wird bestreiten, dass der König keine Mittel scheut, um seiner Kinderlosigkeit abzu helfen. Ich meine keine medizinischen Mittel.« Carillo blickte auffordernd in die Runde. Neben ihm saß sein Neffe Juan Pacheco, der zustimmend nickte.
»Ich meine«, fuhr Carillo fort, »die überaus deutliche Günstlingsbezeugung Don Beltráns. Immerhin ist er der erste Favorit des Königs und hat sich demzufolge auch dem Willen des Königs zu unterwerfen. Und wenn der König Nachwuchs will ...«
»Ich glaube, wir brauchen hier nicht für den Umstand zu argumentieren, dass der König nicht Vater des Kindes ist«, warf Pacheco ein. »Das ist inzwischen die öffentliche Meinung. Don Beltrán hat es übrigens nie abgestritten. Und da er auch der Favorit der Königin ist, braucht man nur eins und eins zusammenzuzählen.«
Carillo lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Lippen.
»Es gibt noch einen ganz anderen Beweis«, sagte er in die entstandene Pause hinein, in der die Anwesenden miteinander heftig diskutierten. Alle wandten ihm die Köpfe zu. Selbstzufrieden strich er über seinen Bauch, als hätte er soeben ein köstliches Mahl zu sich genommen. »Kraft meines Amtes als Beichtvater kommen mir natürlich all die großen und kleinen Sünden der Mätressen des Königs zu Ohren. Wie es ihre Pflicht ist, schildern sie mir alle Einzelheiten der Zusammenkünfte mit dem König.« Carillo räusperte sich. »In Anbetracht des Beichtgeheimnisses darf ich sie hier nicht weiter ausführen. Besonders seine damalige Favoritin Catalina de Santoval wurde diesbezüglich befragt.«
Er verzog das Gesicht. Der König selbst hatte Catalina zur Äbtissin des Klosters Dueña ernannt. Jedermann wusste, wie sauer Carillo dies aufgestoßen war. Es wurde immer deutlicher, dass der Erzbischof nicht nur gegen Juana und ihr Kind, sondern vor allem gegen den König war.
»Jedenfalls sind die Beweise einer Impotenz des Königs derart gravierend, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt, als die Legalität der Infantin abzuerkennen.«
Ein zustimmendes Gemurmel setzte ein. Carillo hob die Hand. »Wir fordern die Auslieferung Don Beltráns! Wir fordern die Aberkennung der Thronfolge für Juana. Der Adel steht hinter uns. Wir werden Enrique zwingen, seine Tochter, diese Beltraneja, zu enterben. Damit ist der Weg für Alfonso als Thronfolger frei.«
Pacheco beugte sich zu Carillo herüber. »Vergesst mir den guten Fadrique nicht, lieber Onkel. Ich bin fiberzeugt, er kennt auch ein paar Geheimnisse, die er mir nicht anvertrauen wollte. Der König hat Pläne mit seiner Halbschwester.«
Carillo grinste selbstgefällig. »Glaubst du, das weiß ich nicht? Wer wäre ich, wenn ich nicht jedem dieser Intriganten zwei Schritte voraus wäre? Natürlich hat der König Pläne mit Isabél. Aber es stört nicht unseren Plan. Alfonso ist wichtig. Er wird in unserem Sinne handeln. Weißt du, der Adel ist wetterwendig. Er sagt zu allem ja, wenn er davon nur seine Vorteile hat und seine Privilegien nicht gefährdet sieht. Das Wort Treue kennt er nicht. Die Granden kennen nur das Schwert und die Annehmlichkeiten des Lebens. Wir aber, mein lieber Pacheco, wir sind die Köpfe, die das Ganze steuern.«
In Kastiliens kleinem Nachbarreich Aragón herrschte König Juan, der erst mit einundsechzig Jahren den Thron bestiegen hatte. So klein sein Königreich auch war, so verbissen verteidigte es König Juan gegen jegliche äußere Angreifer, auch wenn sie noch so sehr in der Übermacht waren. Besonders das große Kastilien beäugte König Juan argwöhnisch. Ständig bestrebt, seiner Herrschaft Glanz und Glorie zu verleihen, setzte er dafür alle verfügbaren Mittel ein, seinen Ehrgeiz, seine Raffgier und auch seinen Geiz.
Sein größter Ehrgeiz war jedoch, über Kastilien zu herrschen. War es auch unmöglich, den größeren Nachbarn mit Waffengewalt zu erobern, so gab es jedoch die Möglichkeit, wenigstens zusammen mit Kastilien zu herrschen. Seine Hinterhältigkeit und Verschlagenheit kannten keine Skrupel, die kastilische Opposition zu unterstützen und für seine Zwecke zu nutzen. Er musste nur auf die passende Gelegenheit warten. Wie eine Spinne im Netz lag König Juan von Aragón auf der Lauer. Er besaß ausgezeichnete Kontakte nach Kastilien, denn sein Schwiegervater war kein Geringerer als Admiral Fadrique Enriquez, dessen nicht minder machthungrige Tochter der König geheiratet und die ihm den Sohn Fernando geboren hatte.
In Kastilien braute sich etwas zusammen, hatte ihm Don Fadrique zugeflüstert. Und er konnte sich sogar der Unterstützung Erzbischof Carillos sicher sein.
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Autoren-Porträt von Susan Hastings
Susan Hastings, geboren 1954, hat seit den 1990er Jahren zahlreiche historische Liebesromane und historische Romane bei verschiedenen Verlagen veröffentlicht. Sie lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Leipzig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Susan Hastings
- 2012, 565 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3863656520
- ISBN-13: 9783863656522
- Erscheinungsdatum: 01.12.2012
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