Erbarmen / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.1
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Carl-Mørck-Reihe - 9 - NATRIUM CHLORID. Der neunte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q
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SPIEGEL Bestseller!
Und dann kam die Angst wie ein schleichendes Gift.
Der Albtraum einer Frau.
Ein dämonischer Psychothriller.
Die verzerrte Stimme kam aus einem Lautsprecher irgendwo im Dunklen: »Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag, Merete. Du bist jetzt hier seit 126 Tagen, und das ist unser Geburtstagsgeschenk: Das Licht wird von nun an ein Jahr lang eingeschaltet bleiben. Es sei denn, du weißt die Antwort: Warum halten wir dich fest?«
Am 2. März 2002 verschwindet eine Frau spurlos auf der Fähre von Rødby nach Puttgarden, man vermutet Tod durch Ertrinken. Doch sie ist nicht tot, sondern wird in einem Gefängnis aus Beton gefangen gehalten.
Wer sind die Täter?
Was wollen sie von dieser Frau?
Und: Kann ein Mensch ein solches Martyrium überleben?
Der erste Fall für Carl Mørck, Spezialermittler des neu eingerichteten Sonderdezernats Q bei der Kopenhagener Polizei, und seinen syrischen Assistenten Hafez el-Assad, der seinen Chefnicht nur durch unkonventionelle Ermittlungsmethoden überrascht ...
''Ein ungewöhnlich schöner und hochspannender Thriller, der einem bis zur letzten Seite den Atem abschnürt.'' politiken.dk
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Prolog
Sie kratzte sich an den glatten Wänden die Fingerspitzen blutig und hämmerte mit den Fäusten an die dicken Scheiben, bis sie ihre Hände nicht mehr spürte. Immer wieder tastete sie sich in der vollständigen Dunkelheit bis an die Stahltür heran und bohrte ihre Nägel in den Spalt. Aber die Tür ließ sich keinen Millimeter bewegen, und die Kante war scharf.
Als ihr schließlich die Fingernägel abbrachen, fiel sie keuchend auf den eiskalten Boden. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Mit aufgerissenen Augen starrte sie in die undurchdringliche Finsternis. Dann entfuhr ihrer Kehle ein Schrei. Ein Schrei, der ihr in den Ohren gellte, bis die Stimme versagte.
Als sie den Kopf in den Nacken legte, spürte sie wieder die Ahnung frischer Luft, die von der Decke herunterströmte. Wenn sie Anlauf nähme, könnte sie womöglich dort hinaufspringen und sich an irgendetwas festklammern. Vielleicht würde ja doch etwas passieren.
Ja, vielleicht wären die Teufel dort draußen gezwungen, zu ihr hereinzukommen.
Und wenn sie schnell genug war und mit ausgestreckten Fingern auf deren Augen zielte, würde es ihr vielleicht gelingen, sie außer Gefecht zu setzen. Und dann konnte sie vielleicht entkommen.
Sie saugte an ihren blutenden Fingern. Dann stützte sie sich mit den Händen vom Fußboden ab und zwang sich aufzustehen.
Blind starrte sie an die Decke. Wer mochte wissen, wie hoch die Decke war. Wer wusste, ob es überhaupt etwas gab, woran man sich festhalten konnte. Aber sie musste es versuchen. Sie musste einfach!
Sie zog ihre Jacke aus, faltete sie sorgfältig zusammen und legte sie in eine Ecke. Dann setzte sie mit ausgestreckten Armen zum Sprung an - und stieß ins Leere. Ein paarmal wiederholte sie das, lehnte sich schließlich an die Wand und ruhte sich kurz aus. Dann nahm sie erneut Anlauf und sprang mit aller Kraft hoch ins Dunkel. Die Arme ruderten nach irgendetwas Greifbarem, doch wieder fiel sie zurück auf den Boden. Sie rutschte aus, und als sie mit der Schulter auf den Beton aufschlug, versuchte sie ein Stöhnen zu unterdrücken, aber als ihr Kopf gegen die Wand knallte und sie Sterne sah, schrie sie laut auf.
Danach lag sie lange Zeit vollkommen still da. Sie hätte gern geweint. Aber wenn die Teufel da draußen sie hören konnten, glaubten sie sicher, sie wolle aufgeben. Doch sie würde nicht aufgeben. Im Gegenteil.
Sie musste auf sich achten. Für ihre Peiniger war sie die Frau im Käfig. Aber über die Abstände zwischen den Gitterstäben bestimmte sie selbst. Sie würde weiter denken, sich mit ihren Gedanken die Welt öffnen, sie würde ihnen den Gefallen nicht tun und verrückt werden. Es würde ihnen nicht gelingen, ihren Willen zu brechen, niemals. Das beschloss sie dort auf dem eiskalten Boden, und sie spürte kaum den Schmerz in der Schulter und das Pochen über dem rechten Auge, das längst zugeschwollen war.
Früher oder später würde sie ihnen entkommen.
1
2007
Carl trat einen Schritt näher an den Spiegel heran. Mit dem Zeigefinger fuhr er sich über die Stelle an der Schläfe, wo ihn die Kugel gestreift hatte. Die Wunde war verheilt, aber die Narbe zeichnete sich am Haaransatz deutlich ab. Sofern sich überhaupt jemand die Mühe machte hinzusehen.
Und wer zum Teufel sollte das schon tun?, dachte er und betrachtete prüfend sein Gesicht.
Er hatte sich verändert. Die Falten um den Mund waren tiefer geworden, die dunklen Ringe unter den Augen nicht zu übersehen. Augen, die etwas ausdrückten, das nie zu Carl Mørck gehört hatte: Gleichgültigkeit. Nein, er war nicht mehr der Alte, der erfahrene Kriminalbeamte, der für seine Arbeit brannte. Er war auch nicht mehr der elegante groß gewachsene Jütländer, bei dessen Anblick sich Augenbrauen hoben und Lippen öffneten. Aber was bedeutete das jetzt noch?
Er knöpfte sein Hemd zu, zog das Jackett über. Den letzten Rest Kaffee kippte er weg, dann knallte er die Wohnungstür hinter sich zu. Die anderen konnten ruhig merken, dass es Zeit war, aus den Federn zu kommen. Beim Zuziehen der Tür fiel sein Blick auf das Namensschild. Das musste er endlich auswechseln. Vigga war schon vor langer Zeit ausgezogen. Die Sache war gelaufen, auch wenn sie noch nicht geschieden waren.
Er ging in Richtung Hestestien. Wenn er sich beeilte, blieb ihm noch Zeit, Hardy eine halbe Stunde im Krankenhaus zu besuchen, bevor er im Präsidium sein musste.
Er sah den Kirchturm, der rot über die nackten Bäume ragte, und er versuchte, sich bewusst zu machen, wie viel Glück er gehabt hatte. Immerhin lebte er noch. Nur zwei Zentimeter weiter rechts, und auch Anker wäre noch am Leben. Nur ein Zentimeter weiter links, und es hätte ihn erwischt. Läppische Zentimeter, die ihn von dem Weg zwischen den Feldern und dem Friedhof trennten.
Carl Mørck wollte das alles gern rational verarbeiten, aber das war schwer. Vom Tod wusste er nicht viel. Nur, dass er so unvorhersehbar war wie ein Blitzschlag. Und unendlich still, wenn er eingetreten war.
Aber wie gewalttätig Sterben sein konnte und wie sinnlos, darüber wusste er alles.
Das erste Mordopfer in seiner Laufbahn brannte sich in Carls Netzhaut ein. Gerade mal zwei Wochen nach Abschluss der Polizeischule war das gewesen. Da lag klein und zart vor ihm eine Frau, erwürgt von ihrem eigenen Mann. Die stumpfen Augen und ihr Gesichtsausdruck verfolgten Carl über Wochen. Seither waren ungezählte Fälle dazugekommen. Jeden Morgen hatte er sich innerlich gewappnet und sich vorgestellt, was ihn wieder erwarten würde: blutige Kleidung, wachsbleiche Gesichter, eiskalte Fotos. Jeden Tag hatte er sich die Lügen der Menschen angehört und ihre sinnlosen Entschuldigungen. Jeden Tag ein anderes Verbrechen, jeden Tag neue Methoden. Fünfundzwanzig Jahre bei der Mordkommission der Kriminalpolizei härteten ab. Hatte er gedacht.
Bis zu jenem Tag. Da stand er einem Fall gegenüber, der seinen Panzer durchdrang.
Man hatte ihn, Anker und Hardy nach Amager geschickt. Über einen holperigen Schotterweg waren sie zu einer verfallenen Baracke gefahren.
Dort sollte eine Leiche ihre Geschichte erzählen. Wie so oft hatte der Gestank einen Nachbarn aufmerksam gemacht. Wieder so einer, der ganz für sich gelebt hatte und in seinem eigenen Müll sein alkoholisiertes Leben aushauchte. Das hatte man geglaubt, bis man den Nagel entdeckte. Ein Druckluftnagler hatte ihn dem Toten in den Schädel geschlagen. Wegen dieses Nagels war die Mordkommission der Kopenhagener Polizei eingeschaltet worden.
An jenem Tag war Carls Team an der Reihe. Weder er noch seine beiden Assistenten hatten Einwände, auch wenn sich Carl wie gewöhnlich über den Arbeitsdruck aufregte und über das langsame Tempo der anderen Teams. Aber wer hatte ahnen können, dass dieser Fall dermaßen fatal enden sollte? Dass kaum fünf Minuten, nachdem sie in den Leichengestank eingetreten waren, Anker in einer Blutlache am Boden liegen und Hardy seine letzten Schritte gegangen sein würde. Und in Carl das Feuer erloschen war, das er so unbedingt brauchte, um seinen Job bei der Kopenhagener Mordkommission zu machen.
2
2002
Die Presse liebte sie: Sie liebte Merete Lynggaards scharfzüngige Redebeiträge im Parlament und ihren Mangel an Respekt gegenüber dem Staatsminister und seinen Abnickern. Sie liebte die stellvertretende Vorsitzende der Demokratischen Partei für ihre Weiblichkeit, für ihren übermütigen Blick und die verführerischen Grübchen in den Wangen. Sie liebte sie für ihre Jugend und ihren Erfolg. Aber vor allem liebte sie Merete Lynggaard, weil sie Spekulationen Raum bot. Warum zeigte sich eine so begabte und attraktive Frau nie öffentlich mit einem Mann? Merete Lynggaard machte Auflage. Lesbisch oder nicht, sie war immer guter Stoff für die Presse.
Das alles wusste Merete nur zu genau.
»Kannst du dich denn nicht mal mit Tage Baggesen verabreden? «, fragte ihre Assistentin zum wiederholten Mal. Auf dem Weg zu Meretes Auto balancierten sie vorsichtig um die Pfützen auf dem Abgeordnetenparkplatz. »Klar, ich weiß schon, dass er nicht der Einzige ist, aber der ist total verrückt nach dir. Wie oft hat er inzwischen versucht, dich einzuladen? Hast du dir überhaupt je die Mühe gemacht, die Zettel zu zählen, die er dir auf den Tisch legt? Hast du den von heute schon gesehen? Gib ihm doch eine Chance, Merete.«
»Warum nimmst du ihn nicht?« Merete schloss ihren kleinen blauen Audi auf und deponierte die Akten auf dem Rücksitz. »Was soll ich mit dem verkehrspolitischen Sprecher der Radikalen Centrumspartei, Marion? Kannst du mir das mal sagen? Bin ich vielleicht scharf auf Kreisverkehr in Herning?«
Als Merete sich aufrichtete, sah sie vor dem Spielzeugmuseum einen Mann im hellen Trenchcoat, der gerade das Gebäude fotografierte. Oder hatte er sie fotografiert? Sie schüttelte den Kopf. Dieses Gefühl, permanent unter Beobachtung zu stehen, ärgerte sie inzwischen. Das war doch paranoid. Sie musste zusehen, so schnell wie möglich abzuschalten.
»Tage Baggesen ist fünfunddreißig Jahre alt und sieht irre gut aus. Okay, ein paar Kilo abzunehmen würde ihm nicht schaden. Aber dafür hat er einen Landsitz in Vejby. Und meines Wissens noch zwei in Jütland. Was willst du mehr?«
Merete sah sie an und schüttelte den Kopf. »Ja genau. Er ist fünfunddreißig und lebt mit seiner Mutter zusammen. Weißt du was, Marion? Nimm ihn. Ich schenke ihn dir. Er gehört dir!«
Sie nahm ihrer Assistentin einen Stoß Akten aus dem Arm und legte sie zu den anderen auf den Rücksitz. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte 17.30 Uhr. Sie war spät dran.
»Deine Stimme wird bei der Abstimmung heute Abend fehlen, Merete.«
»Und wenn schon.« Sie zuckte die Achseln. Als sie in die Politik ging, hatte es gleich zu Anfang eine feste Absprache zwischen ihr und dem Fraktionsvorsitzenden der Demokraten gegeben. Nach achtzehn Uhr stand sie nicht mehr zur Verfügung, es sei denn, zwingend notwendige Arbeiten im Ausschuss oder wichtige Abstimmungen erforderten unbedingt ihre Anwesenheit. »Kein Problem«, hatte er damals gesagt, wohl wissend, wie viele Stimmen sie auf sich zog. Dann sollte das ja wohl auch heute kein Problem sein.
»Nun komm schon, Merete. Erzähl doch mal, was du vorhast. « Ihre Assistentin neigte den Kopf zur Seite und sah sie an. »Wie heißt er?«
Merete lächelte nur und warf die Tür zu. Es war an der Zeit, Marion Koch auszuwechseln.
3
2007
Marcus Jacobsen, Chef der Mordkommission, war ein echter Chaot. Ihn scherte das nicht. Die Unordnung war nur äußerlich, ansonsten fand er sich ausgesprochen strukturiert. Alle Fälle waren in seinem Kopf ordentlich abgelegt. Nie vergaß er ein Detail. Jede Kleinigkeit hatte er auch noch nach zehn Jahren präsent.
Nur manchmal betrachtete er das Chaos in seinem Büro mit einem gewissen Unbehagen. Wenn es wie eben vollgestopft war mit scharf beobachtenden Mitarbeitern, die sich zwischen Bergen von Akten um seine Tische drängten.
Er nahm den angeschlagenen Sherlock-Holmes-Becher und trank einen großen Schluck kalten Kaffee. Schon zum vierzehnten Mal heute Vormittag dachte er an die halb volle Packung Zigaretten in der Jackentasche. Jetzt konnte man sich nicht mal mehr unten auf dem Hof eine Rauchpause genehmigen. Verdammte Vorschriften.
»Lars.« Er sah zu Lars Bjørn, seinem Stellvertreter, hinüber. Der war auf seine Bitte hin nach dem Briefing noch dageblieben. »Wenn wir nicht aufpassen, geht uns der Fahrradmord im Valbypark den Bach runter.«
Lars Bjørn nickte. »Es ist zu blöd, dass Mørck ausgerechnet jetzt zurückkommen musste. Hat gleich vier der besten Ermitt- ler mit Beschlag belegt, typisch. Und weißt du was: Fast alle beschweren sich über ihn, und rate mal, bei wem?« Als wäre er der Einzige, der sich den ganzen Mist anhören musste, dachte Jacobsen.
Aber Bjørn hatte sich in Fahrt geredet. »Er kommt viel zu spät«, fuhr er fort. »Kommandiert seine Leute herum, steckt seine Nase in die Fälle der anderen, antwortet nicht auf Anrufe, und sein Büro ist ein einziges Chaos. Und weißt du was? Jetzt hat sich sogar die Rechtsmedizin über ihn beschwert, die Rechtsmedizin! Das will was heißen. Egal, was Carl durchgemacht hat, wir müssen was unternehmen. Sonst weiß ich langsam nicht mehr, wie unsere Abteilung funktionieren soll.«
Marcus hob die Augenbrauen. Er sah Carl vor sich. Eigentlich mochte er ihn, aber dieser ewig skeptische Blick und immer diese zynischen Bemerkungen. Das war langsam wirklich nicht mehr auszuhalten. »Ja ja, ich weiß schon, was du meinst. Eng mit ihm zusammenarbeiten, das konnten wohl nur Anker und Hardy. Die zwei waren ja jeder für sich kauzig genug.«
»Marcus. Die Leute sagen es nicht so direkt, aber Mørck ist ein Albtraum, und das war er im Übrigen auch schon vorher. Der passt hier nicht hin, wir sind einfach zu sehr aufeinander angewiesen. Als Kollege ist Carl eine Katastrophe, und das war er vom ersten Tag an. Warum hast du ihn überhaupt aus Bellahøj hierhergeholt?«
Marcus sah seinen Stellvertreter fest an. »Weil der Mann ein phantastischer Ermittler ist. Deshalb!«
»Ja, ja, ja. Ich weiß, dass wir ihn nicht einfach vor die Tür setzen können, und schon gar nicht nach dieser Sache. Aber dann, Marcus, müssen wir uns was überlegen.«
»Er ist erst gut eine Woche wieder im Dienst. Wir müssen ihm eine Chance geben. Wie wäre es, wenn wir ein bisschen schonend mit ihm umgingen?«
»Sehr witzig. In den letzten Wochen sind hier mehr Fälle aufgelaufen, als wir bis zu unserer Rente bewältigen können. Und du weißt, dass darunter ein paar richtig große Dinger sind. Das Feuer draußen am Amerikavej. War das jetzt Brandstiftung oder nicht? Der Bankraub am Tomsgårdsvej, ein Toter. Die Vergewaltigungsgeschichte in Tårnby, das Mädchen ist elendig verreckt. Die Messerstecherei im Südhafen, ein Jugendlicher musste dran glauben. Und dann auch noch dieser Fahrradmord im Valbypark. Ganz zu schweigen von all den alten Fällen. Bei den meisten haben wir nicht mal einen Anhaltspunkt. Und dann sitzt da so ein Albtraum wie Mørck: unleidlich, faul, mürrisch, nörgelig, mies zu seinen Kollegen, und sorgt dafür, dass das Team auseinander bricht. Und du willst, dass wir den Schongang einlegen? Marcus, schick Mørck zum Teufel. Wir brauchen hier frisches Blut. Ich weiß selbst, dass das hart klingt. Aber ich meine es ernst.«
Der Chef der Mordkommission nickte. Er hatte seine Leute während des Briefings beobachtet. Sie waren durch die Bank wortkarg, überarbeitet und total angespannt. Klar wollten die nicht auch noch von Mørck angemacht werden.
Sein Stellvertreter stellte sich ans Fenster und sah zu den gegenüberliegenden Gebäuden hinüber. »Ich hätte einen Vorschlag «, sagte er nach kurzem Schweigen und drehte sich um. »Vielleicht kriegen wir Zoff mit dem Berufsverband, aber das glaube ich nicht.«
»Verdammt, Lars, ich kann mich jetzt nicht auch noch mit dem Verband anlegen, das schaffe ich nicht. Die haben wir auf der Stelle hier, falls du vorhast, ihn zu degradieren.«
»Im Gegenteil, wir loben ihn hoch!«
»Aha.« Jetzt musste Marcus auf der Hut sein. Er wusste, dass sein Stellvertreter ein unglaublich guter Ermittler war, er hatte viel Erfahrung, und jede Menge aufgeklärter Fälle gingen auf sein Konto. Aber für eine Stelle als Führungskraft mit Personalverantwortung musste er noch viel lernen. Hier im Haus gab man Mitarbeitern nicht so ohne weiteres einen Tritt in den Arsch oder lobte sie weg.
»Du meinst, dass wir ihn für eine Beförderung vorschlagen sollen? Wie stellst du dir das vor? Und im Übrigen - wer soll ihm denn Platz machen?«
»Ich weiß, dass du fast die ganze Nacht unterwegs gewesen bist. Den Vormittag warst du mit dem verdammten Mord draußen in Valby beschäftigt. Deshalb hast du wahrscheinlich noch keine Nachrichten gehört. Weißt du, was heute Morgen im Parlament los war?«
Marcus Jacobsen schüttelte den Kopf. Bjørn hatte recht, er hatte den Kopf voll mit den neuerlichen Wendungen im Valbypark-Fall. Bis gestern Abend hatten sie eine gute und zuverlässige Zeugin. Die ganz offenkundig noch mehr zu erzählen hatte. Sie waren überzeugt gewesen, in dem Fall kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Aber dann war die Zeugin plötzlich umgefallen. Total verstummt. Höchstwahrscheinlich hatte man jemanden in ihrer nächsten Umgebung bedroht. Sie hatten sie verhört, bis sie mürbe war, sie hatten mit ihren Töchtern und mit ihrer Mutter geredet, aber alle schwiegen. Vermutlich aus Angst. Nein, er hatte nicht sonderlich viel geschlafen. Und für mehr als die Schlagzeilen in den Tageszeitungen hatte es nicht gereicht.
»Wieder die Dänemarkpartei?«
»Du sagst es. Ihr rechtspolitischer Sprecher hat mal wieder seinen Lieblingsvorschlag unterbreitet, du weißt schon: im Zusammenhang mit der Polizeireform. Dieses Mal bekommen sie die Mehrheit. Marcus, das wird angenommen. Piv Vestergård wird ihren Willen bekommen.«
»Das glaubst du doch selbst nicht.«
»Zwanzig Minuten hat sie vom Rednerpult heruntergewettert. Und die Regierungsparteien werden sie auf jeden Fall unterstützen. Auch wenn die Konservativen natürlich protestieren werden.«
»Und?«
»Ja, was glaubst du? Sie brachte vier Beispiele von wirklich üblen Fällen, die alle erfolglos eingestellt wurden. Das sei der Öffentlichkeit nicht zuzumuten: eine Polizei, die nicht in der Lage ist, diese schweren Straftaten aufzuklären. Und sie hatte noch mehr Beispiele in der Hinterhand, das kann ich dir versichern.«
»Scheiße! Glaubt die eigentlich, die Kriminalpolizei stellt diese Fälle zum Vergnügen ein?«
»Sie deutete sogar an, es handele sich möglicherweise um einen bestimmten Typ von Fällen ...«
»So ein Blödsinn! Welche denn zum Beispiel?«
»Zum Beispiel Fälle, bei denen die Opfer Mitglieder der Dänemarkpartei oder der Liberalen waren.«
»Die Alte ist doch nicht ganz bei Trost!«
Lars Bjørn schüttelte den Kopf. »Die andere Kategorie seien Fälle, bei denen Kinder verschwunden sind, oder solche, bei denen politische Organisationen terroristischen Übergriffen ausgesetzt waren. Ausgesprochen brutale Verbrechen.«
»Ja klar, die ist auf Stimmenfang.«
»Sicher. Aber sie hat es geschafft: Die Vertreter sämtlicher Parteien haben sich zu Verhandlungen im Justizministerium versammelt. Die Akten gehen von dort blitzschnell zum Finanzausschuss. Und wenn du mich fragst, gibt's innerhalb der nächsten zwei Wochen eine Entscheidung.«
»Und worauf genau soll das hinauslaufen?«
»Auf die Einrichtung eines neuen Dezernats. Ihre Partei hat sogar schon einen Namen dafür: Dezernat Q. Keine Ahnung, ob das ein Scherz sein soll.« Er lachte gequält.
»Und mit welchem Ziel soll das Dezernat antreten? Unaufgeklärte Fälle aufzuklären vielleicht?«
»Genau. Das Ziel wird sein, ›Fälle von besonderem Interesse‹ neu aufzurollen. So haben sie es formuliert.«
»Fälle von besonderem Interesse neu aufrollen.« Der Chef der Mordkommission nickte. »Ja, das klingt nach Piv Vestergård. Hört sich doch gut an. Und wer wird beurteilen, welche Fälle sich dieser Bezeichnung als würdig erweisen? Hat sie das auch gesagt?«
Sein Stellvertreter zuckte die Achseln.
»Okay. Sie bittet uns also, das zu tun, was wir immer tun. Und sonst?«
»Also: Das neue Dezernat ist dann zwar für landesweite Fälle zuständig. Aber es sieht so aus, als soll es administrativ der Kopenhagener Mordkommission zugeordnet werden ...«
Jacobsen starrte seinen Stellvertreter sprachlos an. »Das ist nicht ihr Ernst! Und überhaupt: Was heißt denn da administrativ?«
»Wir stellen das Budget zur Verfügung und sind für die Abrechnung und Buchhaltung verantwortlich. Wir stellen das Büropersonal zur Verfügung. Ach ja, und die Räumlichkeiten.«
»Verstehe ich nicht. Das neue Dezernat hier in Kopenhagen soll jetzt auch uralte Fälle aus anderen Landesteilen aufklären? Da machen die Kollegen doch nie mit. Die werden Repräsentanten in der Abteilung einfordern.«
»Glaub ich nicht. Sie verkaufen das Ganze den Regionen gegenüber einfach als Entlastungsmaßnahme. Und die werden sich sicher nicht um diese ollen Kamellen reißen.«
»Das soll mit anderen Worten heißen, dass wir unter diesem Dach jetzt auch noch eine mobile Einsatztruppe für aussichtslose Fälle haben werden? Mit meinen Mitarbeitern als Backoffice? Nein, zum Teufel, das kann doch nicht wahr sein!«
»Marcus, hör mal zu. Es geht um ein paar wenige Mitarbeiter für ein paar Stunden dann und wann. Das ist nichts.«
»Das klingt aber nicht wie nichts.«
»Also, dann sage ich dir jetzt mal, wie ich es sehe. Okay?«
Der Chef der Mordkommission rieb sich die Stirn.
»Marcus, damit verbunden ist Geld.« Er unterbrach sich und sah seinem Chef eindringlich in die Augen. »Nicht viel, aber genug, um einen Mann in diesem Dezernat zu beschäftigen und gleichzeitig noch ein paar Millionen Kronen in unsere eigene Abteilung zu pumpen.«
»Ein paar Millionen? Ist das die Größenordnung?«
»Ja, wir sprechen hier nicht von Peanuts. Und wir werden diese Abteilung blitzschnell aus dem Boden stampfen, Marcus.
Die rechnen doch damit, dass wir uns auf die Hinterbeine stellen, aber das tun wir nicht. Wir legen ihnen unser Konzept vor und kümmern uns um das Budget. Die Aufgaben müssen wir ja nicht zu sehr spezifizieren. Und dann setzen wir Carl Mørck als Leiter des neuen Dezernats ein. Muss ja schließlich jemand sein mit viel Erfahrung. Sehr viel leiten muss er da nicht, denn er ist das Dezernat in Personalunion. Also: Er hat einen verantwortungsvollen Posten, den er selbstständig gestaltet. Und wir können ihn so von den anderen fernhalten.«
»Carl Mørck als Leiter des Dezernats Q!« Marcus Jacobsen spielte das alles in Windeseile einmal durch. Eine solche Abteilung konnte mit einem Budget von weniger als einer Million Kronen im Jahr auskommen. Einschließlich Reisen und Laboruntersuchungen und allem, was sonst noch dazugehörte. Blieben immer noch ein paar Milliönchen für einen Teil der Mordkommission - der sich dann auch mit eher älteren Fällen befassen würde. Vielleicht nicht gerade mit Sonderdezernat-Q- Fällen, aber etwas in der Art. Fließende Übergänge, das war der Schlüssel zu dem Ganzen. Genial. Einfach genial.
4
2007
Hardy Henningsen war der größte Mitarbeiter, der je im Polizeipräsidium gearbeitet hatte. In seinen Papieren vom Militär stand: »zwei Meter sieben«, aber das konnte nicht sein. Bei Festnahmen wurde immer Hardy vorgeschickt, wenn den Tätern ihre Rechte vorgelesen wurden. Dann mussten die Typen ihren Kopf in den Nacken legen, was auf die meisten Eindruck machte.
In dieser Situation war Hardys Größe kein Vorteil. Soweit Carl es beurteilen konnte, war es nicht möglich, seine langen, gelähmten Beine richtig auszustrecken. Carl hatte der Krankenschwester vorgeschlagen, das Fußende des Betts abzumontieren, aber das überstieg offenbar ihre Kompetenz oder Fähigkeiten.
Hardy schwieg dazu. Sein Fernseher lief Tag und Nacht. Menschen gingen in seinem Zimmer ein und aus, aber er reagierte nicht darauf. Er lag einfach nur in der Klinik für Wirbelsäulenverletzungen in Hornbæk und versuchte zu leben. Kaute das Essen, das man ihm vorsetzte. Zuckte manchmal leicht mit den Schultern - das Einzige vom Hals an abwärts, worüber er noch Kontrolle hatte. Regungslos ließ er die Krankenschwestern sich mit seinem unhandlichen gelähmten Körper abquälen. Wenn sie ihn im Schritt wuschen, Kanülen in ihn steckten und den Beutel mit den Ausscheidungen auswechselten, starrte er nur stumm an die Decke. Nein, Hardy sprach kaum noch.
»Ich habe wieder im Präsidium angefangen«, sagte Carl und zog Hardys Bettdecke zurecht. »Die arbeiten unter Hochdruck an dem Fall, aber bislang gibt es keine Spur. Ich bin aber sicher, dass sie ihn kriegen; den, der auf uns geschossen hat.«
Hardys schwere Augenlider zuckten nicht einmal. Er würdigte weder Carl eines Blickes noch den aufgeregten Nachrichtensprecher von TV2, der über die Tumulte bei der Räumung des Jugendzentrums berichtete. Ihm war alles egal. Nicht einmal die Wut war geblieben. Carl verstand ihn besser als irgendwer sonst. Wenngleich er es Hardy nicht zeigte: Auch ihm war längst alles vollkommen scheißegal. Wer auf sie geschossen hatte, interessierte ihn einen Dreck. Was würde es auch ändern? Waren es nicht die, dann waren es eben die anderen gewesen. Da draußen lief genug von diesem Abschaum herum.
Er nickte der Krankenschwester, die mit einem frischen Tropf hereinkam, kurz zu. Als er letztes Mal dagewesen war, hatte sie ihn gebeten, draußen zu warten, während sie Hardy fertig machte. Das war nicht gut angekommen, und man konnte spüren, dass sie es sich gemerkt hatte.
»Ach, Sie hier?«, sagte sie spitz und schaute auf die Uhr.
Copyright © 2009 der deutschsprachigen Ausgabe: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München.
Ausgezeichnet mit dem Schwedischen Krimipreis 2010
- Autor: Jussi Adler-Olsen
- 2011, 22. Aufl., 432 Seiten, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung:Thiess, Hannes
- Übersetzer: Hannes Thiess
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423212624
- ISBN-13: 9783423212625

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5 Sterne
108 von 160 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Tintenherz, 12.03.2011
Als Buch bewertetMerete Lynggards, Parlamentsabgeordnete, wird 2002 auf einer Fähre zwischen Rødby und Puttgarden entführt und gefangengehalten. Dieser Fall wird nicht geklärt und zu den Akten gelegt. 2007 wird ein Sonderdezernat mit dem Spezialermittler Carl Mørck eingerichtet und der Fall wird wieder aufgerollt. Es werden Unstimmigkeiten in den Ermittlungsarbeiten aufgedeckt und der Sonderling Carl Mørck untersucht Fährten in allen möglichen Richtungen.
Der Schreibstil ist leicht verständlich und flüssig zu lesen.
Der ständige Wechsel in den Jahreszahlen 2002 und 2007 baut die Spannung unerträglich gut auf. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen.
Beim Lesen habe ich mir immer wieder die Frage gestellt: Was kann der Organismus und die Psyche eines Menschen alles aushalten? Lt. diesem Buch auf jeden Fall eine Menge.
Das Buch ist zwar unbeschreiblich grausam, aber unheimlich spannend. -
4 Sterne
100 von 144 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Annika, 25.07.2012
Als eBook bewertetWow, ich hatte die ersten 3 Adler Olsen Bücher schon auf meinem ebook-Reader drauf und ich war gefesselt vor Spannung!
Beide Daumen hoch, dadurch bin ich erst zum Krimifan geworden :-) -
5 Sterne
74 von 116 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Anke, 14.11.2011
Als eBook bewertetEin super spannendes Buch,ein kauziger Kriminalinspektor incl,Mitarbeiter mit interessantem Hintergrund ....Lesevergnügen pur
-
5 Sterne
69 von 116 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Afrikafrau, 24.04.2012
Als Buch bewertetDieser skandinavische Thriller ist der 1. Fall von Carl Morck, der Vizekommissar des Sonderdezernats Q.
Der Leser kommt erst allmählich dahinter und die Spannung des Buches baut sich langsam auf. Trotzdem ist es flüssig und interessant zu lesen. 420 Seiten Thriller Spannung.
Grüße von Afrikafrau. -
5 Sterne
54 von 84 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Brigitte G., 30.01.2012
Als eBook bewertetExtrem spannend, ich konnte fast gar nicht mehr aufhören mit Lesen.
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