Limit
Roman
1972 war der Mensch zuletzt auf dem Mond. 2025 kehrt er dorthin zurück. Er ist auf der Suche nach einem Element, das alle Energieprobleme lösen soll. Und tatsächlich werden zunächst die kühnsten Erwartungen übertroffen doch dann kommt alles anders.
lieferbar
versandkostenfrei
Taschenbuch
14.00 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Limit “
1972 war der Mensch zuletzt auf dem Mond. 2025 kehrt er dorthin zurück. Er ist auf der Suche nach einem Element, das alle Energieprobleme lösen soll. Und tatsächlich werden zunächst die kühnsten Erwartungen übertroffen doch dann kommt alles anders.
Klappentext zu „Limit “
2025: Bahnbrechende Technologien haben die Raumfahrt revolutioniert. In einem atemlosen Wettlauf fördern Amerikaner und Chinesen auf dem Mond Helium-3, ein Element, das sämtliche Energieprobleme der Welt zu lösen verspricht. Zur selben Zeit soll Detektiv Owen Jericho in Shanghai die untergetauchte Dissidentin Yoyo ausfindig machen. Was nach Routine klingt, entwickelt sich zu einer albtraumhaften Jagd, denn die ebenso schöne wie anstrengende Chinesin ist im Besitz streng gehüteter Geheimnisse und ihres Lebens nicht mehr sicher. Die Spur führt rund um den Erdball - und zum Mond, wo eine Gruppe Weltraumtouristen eine bedrohliche Entdeckung macht.
Lese-Probe zu „Limit “
Limit von Frank SchätzingEVA
I want to wake up in a city that never sleeps -
Der gute alte Frankieboy. Unerschüttert vom urbanen Wandel, solange es nach dem Aufwachen nur einen zu kippen gab.
Vic Thorn rieb sich die Augen.
In 30 Minuten würde das automatische Wecksignal die Frühschicht aus den Betten treiben. Streng genommen konnte es ihm egal sein. Als Kurzzeitbesucher war er weitgehend frei in seiner Entscheidung, wie er den Tag verbringen wollte, nur dass sich auch Gäste einem gewissen formalen Rahmenwerk anzupassen hatten. Was nicht zwangsläufig bedeutete, früh aufstehen zu müssen, doch geweckt wurde man auf jeden Fall.
If I can make it there,
I'll make it anywhere -
... mehr
Thorn begann sich loszuschnallen. Weil er allzu ausgiebige Bettruhe als verwahrlosend empfand, vertraute er sich keinem anderen Automatismus an als dem eigenen, um möglichst wenig Zeit seines Lebens schlafend zu verbringen. Zumal er selbst entscheiden wollte, wer oder was ihn zurück in die Bewusstheit rief. Thorn liebte es, seine Systeme von Musik hochfahren zu lassen. Eine Aufgabe, die er vorzugsweise dem Rat Pack zukommen ließ, Frank Sinatra, Dean Martin, Joey Bis hop, Sammy Davis junior, den räudigen Helden vergangener Epochen, zu denen er eine beinahe romantische Zuneigung pflegte. Dabei wäre nichts, aber auch gar nichts an diesem Ort den Gepflogenheiten des Rat Pack entgegengekommen. Selbst Dean Martins berühmt gewordene Feststellung Ein Mann ist so lange nicht betrunken, wie er auf dem Boden liegen und sich dabei irgendwo festhalten kann erlebte in der Schwerelosigkeit ihre physikalische Außerkraftsetzung, ganz zu schweigen davon, dass die Begeisterung des großen Trinkers, an einem Ort wie diesem nicht vom Barhocker fallen zu können, beim anschließenden Versuch, hinaus auf die Straße zu torkeln, schlagartig geendet hätte. 3 5 786 Kilometer über dem Erdboden warteten keine Nutten vor der Tür, sondern nur todbringender, luftleerer Raum.
Top of the list, king of the hill -
Thorn summte die Melodie mit, nuschelte ein schief klingendes New York, New York. Mit kaum nennenswertem Muskelzucken stieß er sich ab, entschwebte seiner Koje, ließ sich zu dem kleinen, runden Sichtfenster seiner Kabine tragen und sah nach draußen.
In der Stadt, die niemals schlief, begab sich Huros-ED-4 auf den Weg zu seinem nächsten Einsatz.
Weder kümmerte ihn die Kälte des Weltraums noch das Fehlen jeglicher Atmosphäre. Tag und Nacht, deren Aufeinanderfolge sich in solch immenser Entfernung zur Erde ohnehin mehr auf Vereinbarungen gründete als auf sinnliches Erleben, besaßen für ihn keine Gültigkeit. Sein Weckruf erfolgte in der Sprache der Programmierer. HurosED stand für Humanoid Robotic System for Extravehicular Demands, die 4 reihte ihn ein in weitere 19 seiner Art - je zwei Meter groß, Oberkörper und Kopf durchaus menschenähnlich, während die überlangen Arme im Zustand der Ruhe an die zusammengelegten Greiforgane einer Gottesanbeterin erinnerten. Bei Bedarf entfalteten sie sich zu bewundernswerter Beweglichkeit, mit Händen, die äußerst diffizile Operationen durchführen konnten. Ein zweites, kleineres Paar Arme entsprang der breiten, mit Elektronik vollgestopften Brust und diente der Assistenz. Dafür fehlten die Beine völlig. Zwar verfügte der Huros-ED über Taille und Becken, doch wo beim Menschen die Oberschenkel begannen, sprossen flexible Greifer mit Ansaugvorrichtungen, sodass er sich Halt verschaffen konnte, wo immer er gerade gebraucht wurde. Während der Pausen suchte er eine geschützte Nische auf, koppelte seine Akkus an die Stromversorgung, füllte die Tanks seiner Navigationsdüsen mit Treibstoff und ergab sich der Kontemplation der Maschine.
Inzwischen lag seine letzte Ruhephase acht Stunden zurück. Seitdem war Huros-ED-4 mit großem Roboterfleiß an den unterschiedlichsten Stellen der gigantischen Raumstation gewesen. In den Außenbezirken des Dachs, wie der dem Zenit zugewandte Teil genannt wurde, hatte er geholfen, in die Jahre gekommene Solarpaneele gegen neue auszutauschen, in der Werft Flutlichter für Dock 2 justiert, wo eines der Raumschiffe für die geplante Mars-Mission entstand. Danach hatte man ihn 100 Meter tiefer zu den wissenschaftlichen Nutzlasten beordert, die entlang der Mastausleger befestigt waren, mit der Aufgabe, die defekte Platine eines Messgeräts zur Oberflächenabtastung des Pazifischen Ozeans vor Ecuador zu entnehmen. Nach erfolgter Rekonditionierung lautete sein Auftrag nun, im Raumhafen einen der dortigen Manipulatorarme zu untersuchen, der aus unerfindlichen Gründen während eines Verladeprozesses den Dienst quittiert hatte.
Zum Raumhafen, das hieß, sich entlang der Station ein weiteres Stück abwärts sinken zu lassen, zu einem Ring von 1 80 Metern Durchmesser mit acht Liegeplätzen für an- und abfliegende Mondshuttles sowie acht weiteren für Evakuierungsgleiter. Vergaß man, dass die dort ankernden Schiffe Vakuum statt Wasser durchquerten, ging es auf dem Ring nicht anders zu als in Hamburg oder Rotterdam, den großen terranen Seehäfen, wozu ergo auch Kräne gehörten, riesige Roboterarme auf Schienen, Manipulatoren genannt. Einer davon hatte den Beladevorgang eines Fracht- und Personenshuttles, der in wenigen Stunden zum Mond starten sollte, mittendrin abgebrochen. Sämtliche Indikatoren sprachen gegen einen Ausfall. Der Arm hätte funktionieren müssen, blieb jedoch mit apparativer Sturheit jede Bewegung schuldig und hing stattdessen mit gespreizten Effektoren halb im Laderaum des Shuttles, halb draußen, was zur Folge hatte, dass sich der geöffnete Leib des Schiffs nicht mehr schließen ließ.
Auf vorgeschriebenen Flugbahnen bewegte sich Huros-ED-4 entlang angedockter Shuttles, Luftschleusen und Verbindungstunnel, Kugeltanks, Containern und Masten bis zu dem defekten Arm, der im ungefilterten Sonnenlicht kalt glänzte. Die Kameras hinter der Sichtblende seines Kopfes und an den Enden seiner Extremitäten schickten Bilder ins Innere der Kommandozentrale, als er dicht an die Konstruktion heranfuhr und jeden Quadratzentimeter einer eingehenden Analyse unterzog. Beständig glich er, was er sah, mit den Bildern ab, die ihm sein Datenspeicher zur Verfügung stellte, bis er den Grund für den Ausfall gefunden hatte.
Er stoppte. Jemand in seinem zentralen Steuermodul sagte »Verdammte Scheiße!«, was Huros-ED-4 zu einer raschen Rückfrage veranlasste. Obschon auf Abtastung der menschlichen Stimme programmiert, vermochte er in der Äußerung keinen sinnstiftenden Befehl zu erkennen. Die Zentrale verzichtete auf eine Wiederholung, also tat er vorerst nichts, als sich den Schaden zu besehen. In einem der Gelenke des Manipulators waren winzige Splitter verkeilt. Eine lange und tiefe Scharte verlief quer oberhalb der Gelenkstruktur, klaffend wie eine Wunde. Auf den ersten Blick schien die Elektronik intakt zu sein, ein reiner Materialschaden also, indes schwerwiegend genug, dass er den Manipulator veranlasst hatte, sich abzuschalten.
Die Zentrale wies ihn an, das Gelenk zu reinigen.
Huros-ED-4 verharrte.
Wäre er ein Mensch gewesen, hätte man sein Verhalten als unschlüssig bezeichnen können. Schließlich bat er um weitere Informationen, womit er auf seine eigene, vage Weise zum Ausdruck brachte, dass ihn die Sache überforderte. So revolutionär die Baureihe sein mochte - sensorbasierte Steuerung, Rückkopplung von Sinneseindrücken, flexibles und autonomes Handeln -, änderte sie doch nichts daran, dass Roboter Maschinen waren, die in Schablonen dachten. Er sah die Splitter und sah sie doch nicht. Wohl wusste er, dass sie da waren, nicht aber, was sie waren. Ebenso registrierte er den Riss, vermochte ihn allerdings mit keiner ihm bekannten Information in Übereinstimmung zu bringen. Damit existierten die defekten Stellen für ihn nicht. Als Folge war ihm schleierhaft, was genau er eigentlich reinigen sollte, also reinigte er gar nichts.
Ein Hauch Bewusstsein, und Roboter hätten ihre Existenz als wirklich sorgenfrei empfunden.
Andere sorgten sich umso mehr. Vic Thorn hatte ausgiebig geduscht, My Way gehört, T-Shirt, Turnschuhe und Shorts angezogen und soeben beschlossen, den Tag im Fitnessstudio zu beginnen, als ihn der Anruf aus der Zentrale erreichte.
»Sie könnten uns bei der Lösung eines Problems behilflich sein«, sagte Ed Haskin, in dessen Zuständigkeit der Raumhafen und die daran gekoppelten Systeme fielen.
»Jetzt gleich?« Thorn zögerte. »Ich wollte kurz aufs Laufband.« »Besser gleich.«
»Was ist los?«
»Sieht so aus, als gäbe es Schwierigkeiten mit Ihrem Raumschiff.« Thorn nagte an seiner Unterlippe. Bei der Vorstellung, sein Abflug könne sich verzögern, schrillten tausend Alarmglocken in seinem Kopf. Schlecht, ganz schlecht! Das Schiff sollte den Hafen um die Mittagszeit verlassen, mit ihm und sieben weiteren Astronauten an Bord, um die Besatzung der amerikanischen Mondbasis abzulösen, die nach sechs Monaten Trabantenexil Fieberträume von asphaltierten Straßen, tapezierten Wohnungen, Würsten, Wiesen und einem Himmel voller Farbe, Wolken und Regen heimsuchten. Obendrein war Thorn als einer der beiden Piloten für den zweieinhalbtägigen Flug vorgesehen, als Crewchef zu allem Überfluss, was erklärte, dass man ausgerechnet ihn ansprach. Und noch einen Grund gab es, warum ihm jede Verzögerung mehr als ungelegen kam -
» Was ist denn los mit der Kiste?«, fragte er betont gleichgültig. »Will sie nicht fliegen?«
» Oh, fliegen will sie schon, aber sie kann nicht. Es hat eine Panne beim
Beladen gegeben. Der Manipulator ist ausgefallen und blockiert die Luken. Wir können den Frachtraum nicht schließen.«
»Ach so.« Erleichterung durchströmte Thorn. Mit einem defekten Manipulator ließ sich fertig werden. »Und kennt ihr den Grund für den Ausfall?«
»Debris. Scharfer Beschuss.«
Thorn seufzte. Space debris! Weltraumschrott, dessen unliebsame Allgegenwart sich einer beispiellosen orbitalen Rushhour verdankte, eingeleitet in den fünfziger Jahren von den Sowjets mit ihren Sputniks. Seither zirkulierten in jeglicher Höhe die Überbleibsel Tausender Missionen: leer gebrannte Raketenstufen, ausgemusterte und vergessene Satelliten, Trümmer zahlloser Explosionen und Zusammenstöße, vom kompletten Reaktor bis hin zu winzigen Schlackebröckchen, Tröpfchen gefrorenen Kühlmittels, Schrauben und Drähtchen, Kunststoff- und Metallteilchen, Fetzen von Goldfolie und Rudimenten abgeblätterter Farbe. Die ständige Frakturierung der Bruchstücke durch immer neue Kollisionen zog deren nagetierhafte Vermehrung nach sich. Inzwischen wurde alleine das Vorhandensein von Objekten, die größer als einen Zentimeter waren, auf 900 000 geschätzt. Kaum drei Prozent davon unterlagen ständiger Beobachtung, der ominöse Rest, zuzüglich Milliarden kleinerer Partikel und Mikrometeoriten, war irgendwohin unterwegs - im Zweifel, mit der Unvermeidbarkeit, mit der Insekten an Windschutzscheiben endeten, auf einen zu.
Das Problem war, dass eine Wespe, die mit dem Impuls eines gleich großen Stückchens Space Debris in eine Luxuslimousine gesaust wäre, die kinetische Energie einer Handgranate entwickelt und einen Totalschaden verursacht hätte. Geschwindigkeiten gegenläufiger Objekte addierten sich im All auf vernichtende Weise. Selbst Partikel im Mikrometerbereich wirkten sich auf Dauer zerstörerisch aus, schliffen Solarpaneele blind, zersetzten die Oberflächen von Satelliten und rauten die Außenhüllen von Raumschiffen auf. Erdnaher Schrott verglühte über kurz oder lang in den oberen Schichten der Atmosphäre, allerdings nur, um durch neuen ersetzt zu werden. Mit zunehmender Höhe verlängerte sich seine Lebensdauer, und im Orbit der Raumstation verblieb er theoretisch bis in alle Ewigkeit. Einzig, dass man mehrere der gefähr lichen Objekte kannte und ihre Flugbahnen Wochen und Monate im Voraus berechnen konnte, verhieß einen gewissen Trost, weil es die Astronauten befähigte, die komplette Station einfach aus dem Weg zu steuern. Das Ding, das in den Manipulator gekracht war, hatte offenbar nicht dazugehört.
»Und was kann ich tun?«, fragte Thorn.
»Na ja, Crewzeit.« Haskin lachte genervt. »Sie wissen schon, knappe Ressource. Der Roboter kriegt das alleine nicht auf die Reihe. Wir müssten zu zweit raus, aber im Augenblick hab ich nur eine Kraft verfügbar. Würden Sie einspringen?«
Thorn überlegte nicht lange. Es war von epochaler Wichtigkeit, dass er pünktlich hier wegkam, außerdem mochte er Weltraumspaziergänge.
»Alles klar«, sagte er.
»Sie gehen mit Karina Spektor raus.«
Noch besser. Er hatte Spektor am Abend zuvor im Crew-Restaurant kennengelernt, eine russischstämmige Expertin für Robotik mit hohen Wangenknochen und katzengrünen Augen, die auf seine Flirtversuche mit erfreulicher Bereitschaft zur Völkerverständigung reagiert hatte.
»Bin unterwegs!«, sagte er.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Thorn begann sich loszuschnallen. Weil er allzu ausgiebige Bettruhe als verwahrlosend empfand, vertraute er sich keinem anderen Automatismus an als dem eigenen, um möglichst wenig Zeit seines Lebens schlafend zu verbringen. Zumal er selbst entscheiden wollte, wer oder was ihn zurück in die Bewusstheit rief. Thorn liebte es, seine Systeme von Musik hochfahren zu lassen. Eine Aufgabe, die er vorzugsweise dem Rat Pack zukommen ließ, Frank Sinatra, Dean Martin, Joey Bis hop, Sammy Davis junior, den räudigen Helden vergangener Epochen, zu denen er eine beinahe romantische Zuneigung pflegte. Dabei wäre nichts, aber auch gar nichts an diesem Ort den Gepflogenheiten des Rat Pack entgegengekommen. Selbst Dean Martins berühmt gewordene Feststellung Ein Mann ist so lange nicht betrunken, wie er auf dem Boden liegen und sich dabei irgendwo festhalten kann erlebte in der Schwerelosigkeit ihre physikalische Außerkraftsetzung, ganz zu schweigen davon, dass die Begeisterung des großen Trinkers, an einem Ort wie diesem nicht vom Barhocker fallen zu können, beim anschließenden Versuch, hinaus auf die Straße zu torkeln, schlagartig geendet hätte. 3 5 786 Kilometer über dem Erdboden warteten keine Nutten vor der Tür, sondern nur todbringender, luftleerer Raum.
Top of the list, king of the hill -
Thorn summte die Melodie mit, nuschelte ein schief klingendes New York, New York. Mit kaum nennenswertem Muskelzucken stieß er sich ab, entschwebte seiner Koje, ließ sich zu dem kleinen, runden Sichtfenster seiner Kabine tragen und sah nach draußen.
In der Stadt, die niemals schlief, begab sich Huros-ED-4 auf den Weg zu seinem nächsten Einsatz.
Weder kümmerte ihn die Kälte des Weltraums noch das Fehlen jeglicher Atmosphäre. Tag und Nacht, deren Aufeinanderfolge sich in solch immenser Entfernung zur Erde ohnehin mehr auf Vereinbarungen gründete als auf sinnliches Erleben, besaßen für ihn keine Gültigkeit. Sein Weckruf erfolgte in der Sprache der Programmierer. HurosED stand für Humanoid Robotic System for Extravehicular Demands, die 4 reihte ihn ein in weitere 19 seiner Art - je zwei Meter groß, Oberkörper und Kopf durchaus menschenähnlich, während die überlangen Arme im Zustand der Ruhe an die zusammengelegten Greiforgane einer Gottesanbeterin erinnerten. Bei Bedarf entfalteten sie sich zu bewundernswerter Beweglichkeit, mit Händen, die äußerst diffizile Operationen durchführen konnten. Ein zweites, kleineres Paar Arme entsprang der breiten, mit Elektronik vollgestopften Brust und diente der Assistenz. Dafür fehlten die Beine völlig. Zwar verfügte der Huros-ED über Taille und Becken, doch wo beim Menschen die Oberschenkel begannen, sprossen flexible Greifer mit Ansaugvorrichtungen, sodass er sich Halt verschaffen konnte, wo immer er gerade gebraucht wurde. Während der Pausen suchte er eine geschützte Nische auf, koppelte seine Akkus an die Stromversorgung, füllte die Tanks seiner Navigationsdüsen mit Treibstoff und ergab sich der Kontemplation der Maschine.
Inzwischen lag seine letzte Ruhephase acht Stunden zurück. Seitdem war Huros-ED-4 mit großem Roboterfleiß an den unterschiedlichsten Stellen der gigantischen Raumstation gewesen. In den Außenbezirken des Dachs, wie der dem Zenit zugewandte Teil genannt wurde, hatte er geholfen, in die Jahre gekommene Solarpaneele gegen neue auszutauschen, in der Werft Flutlichter für Dock 2 justiert, wo eines der Raumschiffe für die geplante Mars-Mission entstand. Danach hatte man ihn 100 Meter tiefer zu den wissenschaftlichen Nutzlasten beordert, die entlang der Mastausleger befestigt waren, mit der Aufgabe, die defekte Platine eines Messgeräts zur Oberflächenabtastung des Pazifischen Ozeans vor Ecuador zu entnehmen. Nach erfolgter Rekonditionierung lautete sein Auftrag nun, im Raumhafen einen der dortigen Manipulatorarme zu untersuchen, der aus unerfindlichen Gründen während eines Verladeprozesses den Dienst quittiert hatte.
Zum Raumhafen, das hieß, sich entlang der Station ein weiteres Stück abwärts sinken zu lassen, zu einem Ring von 1 80 Metern Durchmesser mit acht Liegeplätzen für an- und abfliegende Mondshuttles sowie acht weiteren für Evakuierungsgleiter. Vergaß man, dass die dort ankernden Schiffe Vakuum statt Wasser durchquerten, ging es auf dem Ring nicht anders zu als in Hamburg oder Rotterdam, den großen terranen Seehäfen, wozu ergo auch Kräne gehörten, riesige Roboterarme auf Schienen, Manipulatoren genannt. Einer davon hatte den Beladevorgang eines Fracht- und Personenshuttles, der in wenigen Stunden zum Mond starten sollte, mittendrin abgebrochen. Sämtliche Indikatoren sprachen gegen einen Ausfall. Der Arm hätte funktionieren müssen, blieb jedoch mit apparativer Sturheit jede Bewegung schuldig und hing stattdessen mit gespreizten Effektoren halb im Laderaum des Shuttles, halb draußen, was zur Folge hatte, dass sich der geöffnete Leib des Schiffs nicht mehr schließen ließ.
Auf vorgeschriebenen Flugbahnen bewegte sich Huros-ED-4 entlang angedockter Shuttles, Luftschleusen und Verbindungstunnel, Kugeltanks, Containern und Masten bis zu dem defekten Arm, der im ungefilterten Sonnenlicht kalt glänzte. Die Kameras hinter der Sichtblende seines Kopfes und an den Enden seiner Extremitäten schickten Bilder ins Innere der Kommandozentrale, als er dicht an die Konstruktion heranfuhr und jeden Quadratzentimeter einer eingehenden Analyse unterzog. Beständig glich er, was er sah, mit den Bildern ab, die ihm sein Datenspeicher zur Verfügung stellte, bis er den Grund für den Ausfall gefunden hatte.
Er stoppte. Jemand in seinem zentralen Steuermodul sagte »Verdammte Scheiße!«, was Huros-ED-4 zu einer raschen Rückfrage veranlasste. Obschon auf Abtastung der menschlichen Stimme programmiert, vermochte er in der Äußerung keinen sinnstiftenden Befehl zu erkennen. Die Zentrale verzichtete auf eine Wiederholung, also tat er vorerst nichts, als sich den Schaden zu besehen. In einem der Gelenke des Manipulators waren winzige Splitter verkeilt. Eine lange und tiefe Scharte verlief quer oberhalb der Gelenkstruktur, klaffend wie eine Wunde. Auf den ersten Blick schien die Elektronik intakt zu sein, ein reiner Materialschaden also, indes schwerwiegend genug, dass er den Manipulator veranlasst hatte, sich abzuschalten.
Die Zentrale wies ihn an, das Gelenk zu reinigen.
Huros-ED-4 verharrte.
Wäre er ein Mensch gewesen, hätte man sein Verhalten als unschlüssig bezeichnen können. Schließlich bat er um weitere Informationen, womit er auf seine eigene, vage Weise zum Ausdruck brachte, dass ihn die Sache überforderte. So revolutionär die Baureihe sein mochte - sensorbasierte Steuerung, Rückkopplung von Sinneseindrücken, flexibles und autonomes Handeln -, änderte sie doch nichts daran, dass Roboter Maschinen waren, die in Schablonen dachten. Er sah die Splitter und sah sie doch nicht. Wohl wusste er, dass sie da waren, nicht aber, was sie waren. Ebenso registrierte er den Riss, vermochte ihn allerdings mit keiner ihm bekannten Information in Übereinstimmung zu bringen. Damit existierten die defekten Stellen für ihn nicht. Als Folge war ihm schleierhaft, was genau er eigentlich reinigen sollte, also reinigte er gar nichts.
Ein Hauch Bewusstsein, und Roboter hätten ihre Existenz als wirklich sorgenfrei empfunden.
Andere sorgten sich umso mehr. Vic Thorn hatte ausgiebig geduscht, My Way gehört, T-Shirt, Turnschuhe und Shorts angezogen und soeben beschlossen, den Tag im Fitnessstudio zu beginnen, als ihn der Anruf aus der Zentrale erreichte.
»Sie könnten uns bei der Lösung eines Problems behilflich sein«, sagte Ed Haskin, in dessen Zuständigkeit der Raumhafen und die daran gekoppelten Systeme fielen.
»Jetzt gleich?« Thorn zögerte. »Ich wollte kurz aufs Laufband.« »Besser gleich.«
»Was ist los?«
»Sieht so aus, als gäbe es Schwierigkeiten mit Ihrem Raumschiff.« Thorn nagte an seiner Unterlippe. Bei der Vorstellung, sein Abflug könne sich verzögern, schrillten tausend Alarmglocken in seinem Kopf. Schlecht, ganz schlecht! Das Schiff sollte den Hafen um die Mittagszeit verlassen, mit ihm und sieben weiteren Astronauten an Bord, um die Besatzung der amerikanischen Mondbasis abzulösen, die nach sechs Monaten Trabantenexil Fieberträume von asphaltierten Straßen, tapezierten Wohnungen, Würsten, Wiesen und einem Himmel voller Farbe, Wolken und Regen heimsuchten. Obendrein war Thorn als einer der beiden Piloten für den zweieinhalbtägigen Flug vorgesehen, als Crewchef zu allem Überfluss, was erklärte, dass man ausgerechnet ihn ansprach. Und noch einen Grund gab es, warum ihm jede Verzögerung mehr als ungelegen kam -
» Was ist denn los mit der Kiste?«, fragte er betont gleichgültig. »Will sie nicht fliegen?«
» Oh, fliegen will sie schon, aber sie kann nicht. Es hat eine Panne beim
Beladen gegeben. Der Manipulator ist ausgefallen und blockiert die Luken. Wir können den Frachtraum nicht schließen.«
»Ach so.« Erleichterung durchströmte Thorn. Mit einem defekten Manipulator ließ sich fertig werden. »Und kennt ihr den Grund für den Ausfall?«
»Debris. Scharfer Beschuss.«
Thorn seufzte. Space debris! Weltraumschrott, dessen unliebsame Allgegenwart sich einer beispiellosen orbitalen Rushhour verdankte, eingeleitet in den fünfziger Jahren von den Sowjets mit ihren Sputniks. Seither zirkulierten in jeglicher Höhe die Überbleibsel Tausender Missionen: leer gebrannte Raketenstufen, ausgemusterte und vergessene Satelliten, Trümmer zahlloser Explosionen und Zusammenstöße, vom kompletten Reaktor bis hin zu winzigen Schlackebröckchen, Tröpfchen gefrorenen Kühlmittels, Schrauben und Drähtchen, Kunststoff- und Metallteilchen, Fetzen von Goldfolie und Rudimenten abgeblätterter Farbe. Die ständige Frakturierung der Bruchstücke durch immer neue Kollisionen zog deren nagetierhafte Vermehrung nach sich. Inzwischen wurde alleine das Vorhandensein von Objekten, die größer als einen Zentimeter waren, auf 900 000 geschätzt. Kaum drei Prozent davon unterlagen ständiger Beobachtung, der ominöse Rest, zuzüglich Milliarden kleinerer Partikel und Mikrometeoriten, war irgendwohin unterwegs - im Zweifel, mit der Unvermeidbarkeit, mit der Insekten an Windschutzscheiben endeten, auf einen zu.
Das Problem war, dass eine Wespe, die mit dem Impuls eines gleich großen Stückchens Space Debris in eine Luxuslimousine gesaust wäre, die kinetische Energie einer Handgranate entwickelt und einen Totalschaden verursacht hätte. Geschwindigkeiten gegenläufiger Objekte addierten sich im All auf vernichtende Weise. Selbst Partikel im Mikrometerbereich wirkten sich auf Dauer zerstörerisch aus, schliffen Solarpaneele blind, zersetzten die Oberflächen von Satelliten und rauten die Außenhüllen von Raumschiffen auf. Erdnaher Schrott verglühte über kurz oder lang in den oberen Schichten der Atmosphäre, allerdings nur, um durch neuen ersetzt zu werden. Mit zunehmender Höhe verlängerte sich seine Lebensdauer, und im Orbit der Raumstation verblieb er theoretisch bis in alle Ewigkeit. Einzig, dass man mehrere der gefähr lichen Objekte kannte und ihre Flugbahnen Wochen und Monate im Voraus berechnen konnte, verhieß einen gewissen Trost, weil es die Astronauten befähigte, die komplette Station einfach aus dem Weg zu steuern. Das Ding, das in den Manipulator gekracht war, hatte offenbar nicht dazugehört.
»Und was kann ich tun?«, fragte Thorn.
»Na ja, Crewzeit.« Haskin lachte genervt. »Sie wissen schon, knappe Ressource. Der Roboter kriegt das alleine nicht auf die Reihe. Wir müssten zu zweit raus, aber im Augenblick hab ich nur eine Kraft verfügbar. Würden Sie einspringen?«
Thorn überlegte nicht lange. Es war von epochaler Wichtigkeit, dass er pünktlich hier wegkam, außerdem mochte er Weltraumspaziergänge.
»Alles klar«, sagte er.
»Sie gehen mit Karina Spektor raus.«
Noch besser. Er hatte Spektor am Abend zuvor im Crew-Restaurant kennengelernt, eine russischstämmige Expertin für Robotik mit hohen Wangenknochen und katzengrünen Augen, die auf seine Flirtversuche mit erfreulicher Bereitschaft zur Völkerverständigung reagiert hatte.
»Bin unterwegs!«, sagte er.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
... weniger
Autoren-Porträt von Frank Schätzing
Frank Schätzing, Jahrgang 1957, studierte Kommunikationswissenschaften und war Mitbegründer der Kölner Werbeagentur Intevi. Seit den 90er Jahren ist er als Schriftsteller in Erscheinung getreten, sein größter Erfolg war >Der SchwarmLiteraturpreise:2002 - KölnLiteraturPreis2004 - Corine (Literaturpreis) in der Sparte Belletristik2005 - Kurd-Laßwitz-Preis für >Der Schwarm2005 - Deutscher Science Fiction Preis für >Der Schwarm2005 - Goldene Feder für >Der Schwarm2005 - Deutscher Krimi Preis für >Der Schwarm2006 - Dr. Kurt Neven DuMont Medaille der Westdeutschen Akademie für Kommunikation2007 - "Stein im Brett"-Preis des Berufsverbandes Deutscher Geowissenschaftler e.V. (BDG)
Autoren-Interview mit Frank Schätzing
Interview mit Frank SchätzingHerr Schätzing, Sie sind als Schriftsteller sehr vielseitig. Historischer Roman, Sachbuch, Köln-Krimi, Wissenschafts-Thriller - sie wechseln gerne von einem Genre zum anderen. In welchem Genre fühlen Sie sich am meisten „zuhause"?
Frank Schätzing: Im Ungewissen. Mich auf ein Genre festzulegen, würde mich langweilen. Ich lasse mich gerne von mir selber überraschen.
Gerade ein Wissenschafts-Thriller erfordert doch sehr viel Recherche und akribische Informationsbeschaffung. War dieses Interesse für wissenschaftliche Themen bei Ihnen schon immer so stark?
Frank Schätzing: Ich war immer schon neugierig und wollte alles verstehen, möglichst praxisnah, so, dass es Spaß macht. In der Schule wurde das nicht unbedingt als wissenschaftlichem Interesse verstanden, dieses spielerische Herangehen, da stand eher das Auswendiglernen von Formeln im Vordergrund. Meine Lehrer taten eigentlich alles, um jede aufkeimende Faszination gleich wieder zunichte zu machen. So richtig für Wissenschaft entflammt bin ich dann auch erst durch Stephen Hawkings Kurze Geschichte der Zeit. Der war auch so ein staunender, großer Junge, und er konnte hochkomplizierte Sachverhalte unterhaltsam beschreiben. Ich denke, sein Werk war die Initialzündung für spätere Bücher wie Schwarm, Nachrichten und jetzt LIMIT.
Was beeinflusst Sie bei der Themenfindung für Ihre Romane?
Frank Schätzing: Der pure Zufall. Ich suche nicht nach Ideen, ich lasse mich von ihnen finden. Einfach, indem ich mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehe. Meist sind es die Randnotizen, an denen ich hängen bleibe, Themen, über die noch nicht jeder spricht, die aber das Zeug zu mehr haben. Ich muss das Potenzial sehen, intuitiv spüren. Packt mich da was? Wenn in meinem Kopf ein
... mehr
Film losgeht, weiß ich, dass ich darüber schreiben sollte.
In LIMIT machen ein paar feine Herrschaften einen Vergnügungs-Trip zum Mond. Was halten Sie vom »lunaren Tourismus«, glauben Sie, dass es soweit jemals kommen wird und wenn ja, würden Sie dann auch gerne den Mond bereisen?
Frank Schätzing: Obama hat ja gerade verfügt, die geplanten Mondmissionen der USA zu streichen. Eigentlich nicht überraschend. Staatliche Raumfahrt tut sich schwer, schon weil der Rechtfertigungsdruck, Unsummen in Raumschiffe zu investieren, gegenüber einer krisengeschüttelten Öffentlichkeit immer größer wird. Von solcherlei Bedenken sind Privatunternehmen Lichtjahre entfernt. Sie haben mehr Geld, die besseren Leute, sind schneller, kreativer und mutiger. Und natürlich werden sie die Raumfahrt - siehe Richard Branson - einer kommerziellen Ideologie unterwerfen, also wird es Weltraumtourismus ohne Zweifel geben. Ich persönlich finde das gut. Wir haben in Millionen von Jahren die Erde erforscht, es liegt in unserer Natur, unseren Horizont zu erweitern. Ich sehe keinen Grund, warum das jenseits der Atmosphäre enden sollte. Wenn also zu meinen Lebzeiten das erste Mondhotel gebaut wird, werde ich meine Flugangst wohl überwinden müssen.
Sie greifen in LIMIT das Energieproblem unseres Planeten auf. Wie gehen Sie in Ihrem eigenen Alltag mit dem Thema Energie-Problematik um, sind Sie gerade jetzt nach dem Roman besonders dafür sensibilisiert?
Frank Schätzing: Ich war schon vorher sensibilisiert, das war ja einer der Gründe, LIMIT zu schreiben. Ich versuche vor allem, Energie nicht zu vergeuden. Ansonsten gehe ich entspannt mit dem Thema um und nutze das ganze Spektrum - ich bin kein Ökofundamentalist, ich finde es gut, wenn der Mix stimmt: Solarenergie, Wind, Wasser, Erdwärme, Bio-Treibstoff, plus ein gewisser Anteil Öl und Gas. Nur die Atomkraft sollten wir endgültig ad acta legen. Die Endlagerung ist einfach ein zu großes Problem.
LIMIT spielt in der Zukunft im Jahr 2025, das Szenario ist ja recht düster. Abgesehen davon - wie sieht Ihre Vision der Welt in 50 Jahren aus?
Frank Schätzing: Finden Sie LIMIT düster? Ich denke, das Szenario ist nicht düsterer als unsere Realität, es gibt hier wie da Licht und Schatten. Chinas wirtschaftlichen Aufstieg, um nur ein Beispiel zu nennen, halte ich keineswegs für eine Schreckensvision - als hätte der Westen ein Monopol auf die wirtschaftliche und politische Führungsrolle unseres Planeten. Die Welt ändert sich. Die Einflussverhältnisse ändern sich, für die einen zum schlechteren, für den anderen zum besseren. Die Konzernisierung der Politik wird zum Problem werden, klar, andererseits weisen sich die meisten Regierungen nicht gerade durch den nötigen Einfallsreichtum aus, den eine Welt wie unsere erfordert, da sind ihnen die Privaten weit voraus. Und 2059? Keine Ahnung. Ich denke, die Zukunft wird vor allem extremer werden. Reichere Reiche, ärmere Arme, Vernetzte und Netzlose, die fortschreitende Verelendung eines Teils unserer Gesellschaft, demgegenüber ein besseres Leben für sehr viele andere. Großartige neue Technologien, Durchbrüche in der Forschung, wirkungsvollere Medikamente - der Mensch wird die Kurve kriegen.
Führt uns Ihr nächstes Projekt eher zum Mars oder eher nach Köln?
Frank Schätzing: Ich denke, irgendwo auf halber Strecke zwischen Mars und Köln wird es sich abspielen.
In LIMIT machen ein paar feine Herrschaften einen Vergnügungs-Trip zum Mond. Was halten Sie vom »lunaren Tourismus«, glauben Sie, dass es soweit jemals kommen wird und wenn ja, würden Sie dann auch gerne den Mond bereisen?
Frank Schätzing: Obama hat ja gerade verfügt, die geplanten Mondmissionen der USA zu streichen. Eigentlich nicht überraschend. Staatliche Raumfahrt tut sich schwer, schon weil der Rechtfertigungsdruck, Unsummen in Raumschiffe zu investieren, gegenüber einer krisengeschüttelten Öffentlichkeit immer größer wird. Von solcherlei Bedenken sind Privatunternehmen Lichtjahre entfernt. Sie haben mehr Geld, die besseren Leute, sind schneller, kreativer und mutiger. Und natürlich werden sie die Raumfahrt - siehe Richard Branson - einer kommerziellen Ideologie unterwerfen, also wird es Weltraumtourismus ohne Zweifel geben. Ich persönlich finde das gut. Wir haben in Millionen von Jahren die Erde erforscht, es liegt in unserer Natur, unseren Horizont zu erweitern. Ich sehe keinen Grund, warum das jenseits der Atmosphäre enden sollte. Wenn also zu meinen Lebzeiten das erste Mondhotel gebaut wird, werde ich meine Flugangst wohl überwinden müssen.
Sie greifen in LIMIT das Energieproblem unseres Planeten auf. Wie gehen Sie in Ihrem eigenen Alltag mit dem Thema Energie-Problematik um, sind Sie gerade jetzt nach dem Roman besonders dafür sensibilisiert?
Frank Schätzing: Ich war schon vorher sensibilisiert, das war ja einer der Gründe, LIMIT zu schreiben. Ich versuche vor allem, Energie nicht zu vergeuden. Ansonsten gehe ich entspannt mit dem Thema um und nutze das ganze Spektrum - ich bin kein Ökofundamentalist, ich finde es gut, wenn der Mix stimmt: Solarenergie, Wind, Wasser, Erdwärme, Bio-Treibstoff, plus ein gewisser Anteil Öl und Gas. Nur die Atomkraft sollten wir endgültig ad acta legen. Die Endlagerung ist einfach ein zu großes Problem.
LIMIT spielt in der Zukunft im Jahr 2025, das Szenario ist ja recht düster. Abgesehen davon - wie sieht Ihre Vision der Welt in 50 Jahren aus?
Frank Schätzing: Finden Sie LIMIT düster? Ich denke, das Szenario ist nicht düsterer als unsere Realität, es gibt hier wie da Licht und Schatten. Chinas wirtschaftlichen Aufstieg, um nur ein Beispiel zu nennen, halte ich keineswegs für eine Schreckensvision - als hätte der Westen ein Monopol auf die wirtschaftliche und politische Führungsrolle unseres Planeten. Die Welt ändert sich. Die Einflussverhältnisse ändern sich, für die einen zum schlechteren, für den anderen zum besseren. Die Konzernisierung der Politik wird zum Problem werden, klar, andererseits weisen sich die meisten Regierungen nicht gerade durch den nötigen Einfallsreichtum aus, den eine Welt wie unsere erfordert, da sind ihnen die Privaten weit voraus. Und 2059? Keine Ahnung. Ich denke, die Zukunft wird vor allem extremer werden. Reichere Reiche, ärmere Arme, Vernetzte und Netzlose, die fortschreitende Verelendung eines Teils unserer Gesellschaft, demgegenüber ein besseres Leben für sehr viele andere. Großartige neue Technologien, Durchbrüche in der Forschung, wirkungsvollere Medikamente - der Mensch wird die Kurve kriegen.
Führt uns Ihr nächstes Projekt eher zum Mars oder eher nach Köln?
Frank Schätzing: Ich denke, irgendwo auf halber Strecke zwischen Mars und Köln wird es sich abspielen.
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Frank Schätzing
- 2011, 6. Aufl., 1312 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596184886
- ISBN-13: 9783596184880
- Erscheinungsdatum: 12.04.2011
Kommentare zu "Limit"
0 Gebrauchte Artikel zu „Limit“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
3.5 von 5 Sternen
5 Sterne 17Schreiben Sie einen Kommentar zu "Limit".
Kommentar verfassen