Qualifizierte Facharbeit im Spannungsfeld von Flexibilität und Stabilität
Organisations- und personalpolitische Innovationen im Betrieb
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Produktinformationen zu „Qualifizierte Facharbeit im Spannungsfeld von Flexibilität und Stabilität “
Organisations- und personalpolitische Innovationen im Betrieb
Klappentext zu „Qualifizierte Facharbeit im Spannungsfeld von Flexibilität und Stabilität “
Veränderte Rahmenbedingungen in restrukturierten Unternehmen und Veränderungen des Erwerbspotenzials verstellen häufig die Perspektive auf einen stabilen und sozial abgesicherten Erwerbsverlauf. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes präsentieren organisatorische Bedingungen, unter denen Beschäftigte im Betrieb und auf dem Arbeitsmarkt ihre beruflichen Fähigkeiten und ihre Qualifikationen bei sich verändernden Anforderungen behalten, verwerten und weiter entwickeln können. Außerdem stellen sie Konzepte vor, mit denen Unternehmen die Versorgung mit qualifizierten Fach- und Führungskräften langfristig sichern können.
Lese-Probe zu „Qualifizierte Facharbeit im Spannungsfeld von Flexibilität und Stabilität “
Stützen für qualifizierte Facharbeit: Ansätze zum Ausgleich von Stabilität und Flexibilität im Betrieb und auf dem Arbeitsmarkt Dorothea Voss-Dahm, Gerhard Bosch, Gernot Mühge, Klaus Schmierl, Olaf Struck
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Qualifizierte Facharbeit ist häufig als Rückgrat des deutschen Produktionssystems und als Voraussetzung für eine innovationsorientierte High-Road-Strategie bezeichnet worden (Appelbaum/Batt 1994; Hall/Soskice 2001; Schlesinger/ Heskett 1991). Facharbeit, verstanden als beruflich geformtes Qualifikationsbündel, ermöglicht danach die Produktion von Gütern und Dienstleistungen auf qualitativ hohem Niveau und steht ebenso für eine zügige Umsetzung von innovativen Konzepten in marktreife Produkte. Tatsächlich ist (meist männliche) Facharbeit im industriellen Betrieb nach wie vor prägend für einen Kernbereich der deutschen Ökonomie. Qualifizierte Facharbeit auf die industrielle Produktion zu beschränken, würde ihrer Bedeutung für das deutsche Produktions- und Beschäftigungssystem allerdings nicht gerecht werden. Im Unterschied zu vielen anderen entwickelten Ländern überwiegt in Deutschland auch in Dienstleistungssektoren der Anteil der beruflich qualifizierten Beschäftigten, so dass insgesamt 63% aller Beschäftigten im Jahre 2005 über eine berufliche Ausbildung oder einen höheren beruflichen Abschluss als höchsten erreichten Bildungsabschluss verfügten (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010: 319).
Die starke Verbreitung des mittleren Qualifikationsniveaus weist auf den hohen Stellenwert des beruflichen Bildungssystems im deutschen Beschäftigungsmodell hin. Zertifikate des Systems dokumentieren erfolgreich abgeschlossene Bildungsprozesse in der Schule und im Betrieb. Sie signalisieren darüber hinaus, welches spezifische Qualifikationsbündel in die betrieblichen Arbeitsprozesse eingebracht und von Unternehmen genutzt werden kann. Damit nimmt das berufliche Bildungssystem eine Scharnierfunktion zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem ein, insbesondere beim Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt (Bosch et al. 2010). Bezogen auf den Schulabgangsjahrgang aus allgemeinbildenden Schulen konnten im Jahre 2009 rein rechnerisch 65 von 100 Schulabgänger mit einem Ausbildungsvertrag versorgt werden (BMBF 2010: 20). Damit gestaltet das duale Ausbildungssystem für die überwiegende Anzahl von Schulabgängern den Übergang von der Schule ins Erwerbssystem, wenngleich zu Recht auf Probleme bei der Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt hingewiesen wird (Baethge et al. 2007; BMBF 2010). Der Beruf wird damit für die meisten jungen Menschen in zweifacher Hinsicht zu „einer Art Startaufstellung" (Brater 2010: 826) für die Erwerbsbiografie: Zum einen ist mit dem beruflichen Status eine bestimmte soziale Position verbunden, an die gesellschaftliche Integration und Partizipation sowie spezifische Grundhaltungen und Wahrnehmungen geknüpft sind. Zum anderen werden die Entwicklungs- und Karrierechancen im weiteren Erwerbsleben durch das berufliche Fähigkeitsmuster maßgeblich beeinflusst (Shavit/Müller 2000).
An eine berufliche Ausbildung sind bestimmte Erwartungen an ihre Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt geknüpft. Aus der Perspektive von Beschäftigten wird erwartet, dass die „Startaufstellung Beruf" den Zutritt zu materiell und sozial abgesicherten Beschäftigungsverhältnissen gewährt. Dabei muss die Erwartung an eine stabile Erwerbsbiografie nicht gleichbedeutend sein mit einer lebenslangen Beschäftigung in einem Unternehmen, denn durch die überbetriebliche Regulierung von Berufsbildern werden berufliche Abschlüsse auch in anderen Unternehmen anerkannt, so dass Arbeitsplatzwechsel auch zwischen Unternehmen ohne Status- und Qualifikationsverlust möglich sein sollten. Ebenso beinhaltet eine berufliche Ausbildung Optionen auf einen beruflichen Aufstieg. Karrierechancen ergeben sich auf einem beruflichen Fundament mit entsprechender Berufspraxis zum einen im Betrieb; zum anderen verschafft die Teilnahme beispielsweise an überbetrieblich regulierten Aufstiegsfortbildungen zum Meister, Techniker oder Fachwirt auch in anderen Unternehmen Zugänge in untere und mittlere Führungspositionen. Damit liegt in der beruflichen Bildung aus Sicht der Beschäftigten als „Träger" und „Inhaber" beruflicher Qualifikation ein Potenzial für eine Balance von Flexibilität und Stabilität auf dem Arbeitsmarkt, weil sie innerhalb des beruflich abgesteckten Feldes sowohl horizontale als auch vertikale Mobilität ermöglicht. Auch aus Sicht der Unternehmen bringt der Einsatz von qualifizierter Facharbeit ein spezifisches Mischungsverhältnis von Flexibilität und Stabilität in die betriebliche Organisation: Die Signalfunktion von beruflichen Abschlüssen erleichtert es Unternehmen, sich bei Bedarf auf dem externen Arbeitsmarkt rasch mit qualifiziertem Personal zu versorgen. Ebenso eröffnen breite Berufsbilder den Unternehmen die Möglichkeit, Tätigkeitsprofile bei sich ändernden Anforderungen flexibel anzupassen und die Arbeitsorganisation zu verändern (Marsden 1999). Im Unterschied zu einer (eng) betriebsspezifischen oder rein schulischen beruflichen Ausbildung ermöglicht das berufliche Arbeitskräftemuster daher einen gewissen Grad an Polyvalenz und funktional flexiblen Einsatz von beruflich qualifizierten Beschäftigten (Sengenberger 1987).
Das berufliche Bildungssystem unterstützt Erwerbsverläufe sowie betriebliche Personaleinsatzstrategien in einer Weise, die zu einer spezifischen Balance von Stabilität und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt führen kann. Aber kann das berufliche Bildungssystem als Teil des gesamtgesellschaftlichen Systems diese Balance allein herstellen? Beinhaltet das „berufsfachliche Prinzip" nicht lediglich das Potenzial für eine solche Balance, das sich erst in Zusammenklang mit anderen Bestandsvoraussetzungen tatsächlich entfalten kann?
Bei näherer Betrachtung - und damit ist die Ausgangssituation für das Forschungsvorhaben „Beruflichkeit, Organisations- und Personalentwicklung im Spannungsfeld von Restrukturierung und Kompetenzsicherung" beschrieben1 - gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass sich die äußeren und inneren Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt und in Unternehmen dahingehend verändert haben, dass sich das Potenzial von „Beruflichkeit" offensichtlich nicht als Selbstläufer entfaltet, sondern die Balance von Stabilität und Flexibilität aktiv hergestellt werden muss. Somit besteht aus unserer Sicht aufgrund der dynamischen Entwicklung in Gesellschaft und Unternehmen ein Bedarf an Stützen für qualifizierte Facharbeit, damit die mit der beruflichen Bildung verknüpften Optionen für Beschäftigte und Unternehmen weiterhin realisiert werden können (vgl. BMBF 2007: 23). Veränderungen, die sich hemmend auf eine Balance von Flexibilitäts- und Stabilitätsinteressen der Beschäftigten und Unternehmen auswirken, sehen wir in vier Bereichen:
1. Die Infrastruktur für berufliche Bildung in den Betrieben im Kontext des demografischen Wandels: Aus Sicht von Unternehmen ist eine ausreichende Versorgung mit qualifiziertem Personal eine Voraussetzung, um erfolgreich am Wettbewerbsgeschehen teilnehmen zu können. Angesichts der demografischen Veränderungen und der sich damit verändernden Knappheitsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt dürfte eine Personalpolitik, die allein auf Einstellungen vom externen Arbeitsmarkt setzt, über kurz oder lang zu einer riskanten Strategie werden (Schnitger/Windelbrand 2008). Daher ist zu erwarten, dass Möglichkeiten der eigenen Erstausbildung wieder stärker geprüft werden, um die Rekrutierungsmöglichkeiten zu erweitern. In vielen Unternehmen scheitert die Etablierung einer eigenen betrieblichen Erstausbildung jedoch an einer betrieblich, organisatorisch, personell oder technisch unzureichenden Infrastruktur: Unternehmen sind beispielsweise so spezialisiert, dass sie nicht alle Ausbildungsinhalte innerhalb breiter Berufsbilder vermitteln oder die technische Infrastruktur für die Lehrwerkstätten nicht zur Verfügung stellen können. In einer solchen Situation können unternehmensübergreifende Lernallianzen ein Lösungsweg sein, um auf den insbesondere für das mittlere Qualifikationsniveau prognostizierten Fachkräftemangel zu reagieren (Helmrich/Zika 2010).2
2. Innere und äußere Organisation von Unternehmen: Bei steigendem Konkurrenzdruck durch die Einbindung in globale Wertschöpfungsketten, volatile Märkte sowie kurze Zeitspannen zwischen der Entwicklung und Marktreife von Produkten sind Arbeitsprozesse häufig durch kurzfristige Planungszeiträume geprägt und gehen in der Regel mit einer Delegation der Ungewissheit und Marktdrucks auf die Ebene der Beschäftigten einher (Sauer 2010; Lehndorff/Voss-Dahm 2006). Ebenso sind betriebliche Restrukturierungen bis hin zu kompletten Neuzuschnitten von (öffentlichen und privaten) Unternehmen mittlerweile kennzeichnend für das deutsche Produktions- und Innovationsmodell (Bosch et al. 2007; Moldaschl et al. 2007). Innerhalb dieser Dynamik ist die Beruflichkeit einer Bewährungsprobe ausgesetzt, weil der polyvalente Einsatz von beruflich qualifizierten Beschäftigten an seine Grenzen stoßen kann. Daraus erwächst personalpolitischer Handlungsbedarf wie zum Beispiel unternehmensinterne Umsetzungen von Personal, der organisatorisch wie auch in qualifikatorischer Hinsicht zu bewältigen ist. Unternehmensinterne Versetzungsabteilungen können hier einen organisationspolitischen Lösungsweg darstellen, um bei internen Arbeitsplatz- und Tätigkeitswechseln eine Entwertung von Qualifikation und erworbenen Fähigkeiten sowie eine Rücknahme von Leistungsbereitschaft als Folge der erlebten Unsicherheit zu verhindern.
3. Höherqualifizierung: Die genannten Veränderungen in Unternehmen sind auch folgenreich für die Aufstiegsperspektiven von beruflich qualifizierten Beschäftigten. Kennzeichnend für die Organisation in fordistisch organisierten Großunternehmen waren nach dem Fachabteilungsprinzip organisierte Einheiten, in denen berufliche Aufstiege in tief gestaffelten Hierarchien möglich waren (Baethge/Baethge-Kinsky 1998). Unter den Bedingungen der modernen Unternehmensorganisation dagegen spielt der fachliche Bezug keine überragende Schlüsselrolle mehr bei der Besetzung von Führungspositionen (Baethge/Baethge-Kinsky 1998; Faust et al. 2000). Dadurch ergeben sich neue Konkurrenzverhältnisse für aufstiegsorientierte beruflich qualifizierte Beschäftigte, insbesondere durch den im Zeitverlauf leicht zunehmenden, aber im internationalen Vergleich nach wie vor geringen Anteil von (Fach)Hochschulabsolventen (vgl. Bosch 2010; Dobischat et al. 2008). Zur Sicherung der Kooperations- und Leistungsbereitschaft beruflich qualifizierter Beschäftigter und zur Aufrechterhaltung von realistischen Optionen auf einen beruflichen und sozialen Aufstieg besteht aus Sicht der Unternehmen wie auch der Beschäftigten daher ein Bedarf an transparenten und zwischen dem beruflichen und allgemeinen Bildungssystem durchlässigen Aufstiegswegen. Über eine solche Stütze kann sichergestellt werden, dass berufliche Bildung im Zuge des langfristigen Trends der Höherqualifizierung nicht als Sackgasse, sondern weiterhin als aussichtsreicher Einstieg in einen Erwerbsverlauf angesehen wird, in dem berufliche Handlungsfähigkeit, Erfahrungs- und systematisches Wissen im Laufe des Erwerbslebens eine sinnvolle Verknüpfung erfahren (vgl. Pfeiffer 2010).
4. Mobilitätsprozesse in einem veränderten institutionellen Umfeld: Das in der berufsförmigen Organisation des Arbeitsmarktes angelegte Potenzial für Stabilität und Flexibilität am Arbeitsmarkt setzt voraus, dass Mobilitätsprozesse von beruflich qualifizierten Beschäftigen nicht mit hohen Risiken verbunden sind. Die kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitszeit und des Entgelts wie auch arbeitsrechtliche Regulierungen sind hier als zentrale Institutionen des Beschäftigungssystems zu nennen, die flexible Anpassungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt überbetrieblich stabilisierend absichern sollen. Gegenwärtige Entwicklungen lassen jedoch bezweifeln, dass diese Institutionen ihre Schutzfunktion für qualifizierte Facharbeit in ausreichendem Maße ausüben: Kostensenkungsstrategien von Unternehmen gehen in einem Umfeld nachlassender Tarifbindung bzw. Tarifkonkurrenz und damit zunehmender Differenzierung von Beschäftigungsbedingungen innerhalb und zwischen Branchen mit einer Zunahme gering sozial abgesicherter, niedrig entlohnter und befristeter Beschäftigungsverhältnisse einher (Bosch/ Weinkopf 2007; Seifert/Keller 2005; Vanselow 2010). Im Jahre 2008 verfügten 72% aller Beschäftigten, die einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle bezogen, über eine abgeschlossene Berufsausbildung (Kalina/ Weinkopf 2010). Offensichtlich geht daher die diagnostizierte stetige Verschiebung von geschlossenen hin zu offenen Beschäftigungssystemen nicht nur mit einer Abnahme der Beschäftigungsstabilität einher (Köhler et al. 2008; Struck 2006). Ebenso erhöht eine Ausweitung von externen Flexibilisierungsformen wie z.B. Outsourcing, Leiharbeit oder freie Mitarbeit in Unternehmen das Risiko von Übergängen in Beschäftigungsbereiche mit schlechteren Arbeitsbedingungen. Die Verwertung beruflicher Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt ist vor allem nicht mehr ausreichend abgesichert, wenn die unter Kosten- und Risikogesichtspunkten für Unternehmen kurzfristig günstigere Variante der Externalisierung einer dauerhaften, sozial abgesicherten Bindung der Beschäftigten vorgezogen wird. Mobilitätsprozesse können für beruflich qualifizierte Beschäftigte in diesem veränderten Umfeld dann zu einem riskanten Unterfangen werden.
Die Veränderungen in den vier genannten Feldern haben die Voraussetzungen für eine Balance von Stabilität und Flexibilität im Bereich der qualifizierten Facharbeit nachhaltig geschwächt. Soll darauf reagiert werden, stellt sich die Frage, welche Stützen für qualifizierte Facharbeit sinnvoll und notwendig sind. Welche Voraussetzungen müssen also im Betrieb und auf dem Arbeitsmarkt gegeben sein, damit das berufliche Bildungssystem und berufliche Zertifikate als „Produkte" dieses gesellschaftlichen Teilsystems mehr sind als eine traditionell bedeutsame, aber für sozial und ökonomisch ausgeglichene Anpassungsprozesse wenig leistungsfähige Form der Herstellung von Qualifikation? Diese Fragen nach der Zukunft des Berufs und der Leistungsfähigkeit des beruflichen Bildungssystems werden auf zwei unterschiedlichen Ebenen diskutiert. Zum einen mit Blick auf den Kern der beruflichen Bildung, nämlich die Bildungsinhalte, und zum anderen hinsichtlich der inner- und überbetrieblichen organisatorischen Voraussetzungen für den Aufbau, Erhalt und die Weiterentwicklung von beruflicher Qualifikation.
Die Inhalte von Berufen, die im beruflichen Aus- und Weiterbildungssystem vermittelt werden, sind von entscheidender Bedeutung, weil sie einen Beruf mehr oder weniger „attraktiv" machen. Sind beispielsweise Ausbildungsordnungen veraltet, bereitet eine Berufsausbildung nicht mehr adäquat auf die tatsächlichen Anforderungen in der Arbeitswelt vor. Berufsbilder, die mit den tatsächlichen technologischen und organisatorischen Bedingungen in Betrieben korrespondieren und daher eine Arbeitsmarktnähe aufweisen, haben für Beschäftigte und Unternehmen dagegen eine hohe Wertigkeit. Diese Arbeitsmarktnähe zu gewährleisten, ist vor allem Aufgabe der Akteure im Ordnungsgeschäft der Berufsbildung. In dieser Debatte wird ein Aspekt immer wieder kritisch diskutiert: Aufgrund der sinkenden Halbwertzeit des Wissens sowie der zunehmenden Bedeutung von personalen Kompetenzen (Selbst- und Sozialkompetenz) innerhalb einer prozessorganisierten Unternehmensorganisation wird ein abnehmender Stellenwert des fachlichen Kerns eines Berufs diagnostiziert (Baethge et al. 2006). In Einklang mit der von europäischen Institutionen proklamierten Hinwendung zum lebenslangen Lernen plädieren einige Diskutanten daher für die Stärkung einer allgemein „kompetenzorientierten" Berufsausbildung, weil ihr ein wesentlich größeres Potenzial für eine stabile Erwerbsperspektive zugeschrieben wird als einem Lernen mit starkem Fachbezug (Erpenbeck/Heyse 1999). Andere dagegen betonen, dass innerhalb von breiten Berufsbildern eine stärkere Betonung von Selbst- und Sozialkompetenzen und ein eindeutiger Fachbezug einander nicht ausschließen (Brötz/Schapfel-Kaiser 2009; Greinert 2008).
Diese berufspolitische bzw. berufspädagogische Debatte ist ohne Zweifel von Bedeutung für notwendige Weichenstellungen im beruflichen Bildungssystem. Mit Blick auf die vier zuvor genannten Bereiche, die Balancen zwischen Flexibilität und Stabilität beeinträchtigen können, erscheint uns jedoch eine Diskussion der inner- und überbetrieblichen Voraussetzungen für den Aufbau, Erhalt und bei der Weiterentwicklung von beruflichem Arbeitsvermögen von Beschäftigten in Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt ebenso wichtig zu sein. Dies insofern, als neben einem Bedarf an inhaltlicher Abstimmung von Arbeitsanforderungen und Qualifikation in Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt zugleich auch organisatorische Abstimmungen notwendig sind, um das benötigte und angestrebte Maß an beruflicher Qualifikation zu erzeugen. Welche Abstimmungsbedarfe und -probleme das im Einzelnen sind, welche Lösungswege in einzelnen Unternehmen bereits zu erkennen sind und inwieweit sie sich verallgemeinern lassen, steht im Mittelpunkt des von der Autorin und den Autoren dieses Beitrags geleiteten Projekts „Beruflichkeit, Organisations- und Personalentwicklung im Spannungsfeld von Restrukturierung und Kompetenzsicherung". In einer sozialwissenschaftlichen Perspektive gehen wir der Frage nach, inwieweit Lern- und Entwicklungsprozesse im Betrieb auch unter den genannten veränderten Rahmenbedingungen stattfinden können und welche organisatorischen Voraussetzungen innerhalb des Betriebs oder auch in überbetrieblichen Kooperationen notwendig sind, um den Aufbau, den Erhalt und die Weiterentwicklung von beruflicher Qualifikation zu ermöglichen und abzusichern.
Qualifizierte Facharbeit ist häufig als Rückgrat des deutschen Produktionssystems und als Voraussetzung für eine innovationsorientierte High-Road-Strategie bezeichnet worden (Appelbaum/Batt 1994; Hall/Soskice 2001; Schlesinger/ Heskett 1991). Facharbeit, verstanden als beruflich geformtes Qualifikationsbündel, ermöglicht danach die Produktion von Gütern und Dienstleistungen auf qualitativ hohem Niveau und steht ebenso für eine zügige Umsetzung von innovativen Konzepten in marktreife Produkte. Tatsächlich ist (meist männliche) Facharbeit im industriellen Betrieb nach wie vor prägend für einen Kernbereich der deutschen Ökonomie. Qualifizierte Facharbeit auf die industrielle Produktion zu beschränken, würde ihrer Bedeutung für das deutsche Produktions- und Beschäftigungssystem allerdings nicht gerecht werden. Im Unterschied zu vielen anderen entwickelten Ländern überwiegt in Deutschland auch in Dienstleistungssektoren der Anteil der beruflich qualifizierten Beschäftigten, so dass insgesamt 63% aller Beschäftigten im Jahre 2005 über eine berufliche Ausbildung oder einen höheren beruflichen Abschluss als höchsten erreichten Bildungsabschluss verfügten (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010: 319).
Die starke Verbreitung des mittleren Qualifikationsniveaus weist auf den hohen Stellenwert des beruflichen Bildungssystems im deutschen Beschäftigungsmodell hin. Zertifikate des Systems dokumentieren erfolgreich abgeschlossene Bildungsprozesse in der Schule und im Betrieb. Sie signalisieren darüber hinaus, welches spezifische Qualifikationsbündel in die betrieblichen Arbeitsprozesse eingebracht und von Unternehmen genutzt werden kann. Damit nimmt das berufliche Bildungssystem eine Scharnierfunktion zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem ein, insbesondere beim Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt (Bosch et al. 2010). Bezogen auf den Schulabgangsjahrgang aus allgemeinbildenden Schulen konnten im Jahre 2009 rein rechnerisch 65 von 100 Schulabgänger mit einem Ausbildungsvertrag versorgt werden (BMBF 2010: 20). Damit gestaltet das duale Ausbildungssystem für die überwiegende Anzahl von Schulabgängern den Übergang von der Schule ins Erwerbssystem, wenngleich zu Recht auf Probleme bei der Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt hingewiesen wird (Baethge et al. 2007; BMBF 2010). Der Beruf wird damit für die meisten jungen Menschen in zweifacher Hinsicht zu „einer Art Startaufstellung" (Brater 2010: 826) für die Erwerbsbiografie: Zum einen ist mit dem beruflichen Status eine bestimmte soziale Position verbunden, an die gesellschaftliche Integration und Partizipation sowie spezifische Grundhaltungen und Wahrnehmungen geknüpft sind. Zum anderen werden die Entwicklungs- und Karrierechancen im weiteren Erwerbsleben durch das berufliche Fähigkeitsmuster maßgeblich beeinflusst (Shavit/Müller 2000).
An eine berufliche Ausbildung sind bestimmte Erwartungen an ihre Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt geknüpft. Aus der Perspektive von Beschäftigten wird erwartet, dass die „Startaufstellung Beruf" den Zutritt zu materiell und sozial abgesicherten Beschäftigungsverhältnissen gewährt. Dabei muss die Erwartung an eine stabile Erwerbsbiografie nicht gleichbedeutend sein mit einer lebenslangen Beschäftigung in einem Unternehmen, denn durch die überbetriebliche Regulierung von Berufsbildern werden berufliche Abschlüsse auch in anderen Unternehmen anerkannt, so dass Arbeitsplatzwechsel auch zwischen Unternehmen ohne Status- und Qualifikationsverlust möglich sein sollten. Ebenso beinhaltet eine berufliche Ausbildung Optionen auf einen beruflichen Aufstieg. Karrierechancen ergeben sich auf einem beruflichen Fundament mit entsprechender Berufspraxis zum einen im Betrieb; zum anderen verschafft die Teilnahme beispielsweise an überbetrieblich regulierten Aufstiegsfortbildungen zum Meister, Techniker oder Fachwirt auch in anderen Unternehmen Zugänge in untere und mittlere Führungspositionen. Damit liegt in der beruflichen Bildung aus Sicht der Beschäftigten als „Träger" und „Inhaber" beruflicher Qualifikation ein Potenzial für eine Balance von Flexibilität und Stabilität auf dem Arbeitsmarkt, weil sie innerhalb des beruflich abgesteckten Feldes sowohl horizontale als auch vertikale Mobilität ermöglicht. Auch aus Sicht der Unternehmen bringt der Einsatz von qualifizierter Facharbeit ein spezifisches Mischungsverhältnis von Flexibilität und Stabilität in die betriebliche Organisation: Die Signalfunktion von beruflichen Abschlüssen erleichtert es Unternehmen, sich bei Bedarf auf dem externen Arbeitsmarkt rasch mit qualifiziertem Personal zu versorgen. Ebenso eröffnen breite Berufsbilder den Unternehmen die Möglichkeit, Tätigkeitsprofile bei sich ändernden Anforderungen flexibel anzupassen und die Arbeitsorganisation zu verändern (Marsden 1999). Im Unterschied zu einer (eng) betriebsspezifischen oder rein schulischen beruflichen Ausbildung ermöglicht das berufliche Arbeitskräftemuster daher einen gewissen Grad an Polyvalenz und funktional flexiblen Einsatz von beruflich qualifizierten Beschäftigten (Sengenberger 1987).
Das berufliche Bildungssystem unterstützt Erwerbsverläufe sowie betriebliche Personaleinsatzstrategien in einer Weise, die zu einer spezifischen Balance von Stabilität und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt führen kann. Aber kann das berufliche Bildungssystem als Teil des gesamtgesellschaftlichen Systems diese Balance allein herstellen? Beinhaltet das „berufsfachliche Prinzip" nicht lediglich das Potenzial für eine solche Balance, das sich erst in Zusammenklang mit anderen Bestandsvoraussetzungen tatsächlich entfalten kann?
Bei näherer Betrachtung - und damit ist die Ausgangssituation für das Forschungsvorhaben „Beruflichkeit, Organisations- und Personalentwicklung im Spannungsfeld von Restrukturierung und Kompetenzsicherung" beschrieben1 - gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass sich die äußeren und inneren Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt und in Unternehmen dahingehend verändert haben, dass sich das Potenzial von „Beruflichkeit" offensichtlich nicht als Selbstläufer entfaltet, sondern die Balance von Stabilität und Flexibilität aktiv hergestellt werden muss. Somit besteht aus unserer Sicht aufgrund der dynamischen Entwicklung in Gesellschaft und Unternehmen ein Bedarf an Stützen für qualifizierte Facharbeit, damit die mit der beruflichen Bildung verknüpften Optionen für Beschäftigte und Unternehmen weiterhin realisiert werden können (vgl. BMBF 2007: 23). Veränderungen, die sich hemmend auf eine Balance von Flexibilitäts- und Stabilitätsinteressen der Beschäftigten und Unternehmen auswirken, sehen wir in vier Bereichen:
1. Die Infrastruktur für berufliche Bildung in den Betrieben im Kontext des demografischen Wandels: Aus Sicht von Unternehmen ist eine ausreichende Versorgung mit qualifiziertem Personal eine Voraussetzung, um erfolgreich am Wettbewerbsgeschehen teilnehmen zu können. Angesichts der demografischen Veränderungen und der sich damit verändernden Knappheitsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt dürfte eine Personalpolitik, die allein auf Einstellungen vom externen Arbeitsmarkt setzt, über kurz oder lang zu einer riskanten Strategie werden (Schnitger/Windelbrand 2008). Daher ist zu erwarten, dass Möglichkeiten der eigenen Erstausbildung wieder stärker geprüft werden, um die Rekrutierungsmöglichkeiten zu erweitern. In vielen Unternehmen scheitert die Etablierung einer eigenen betrieblichen Erstausbildung jedoch an einer betrieblich, organisatorisch, personell oder technisch unzureichenden Infrastruktur: Unternehmen sind beispielsweise so spezialisiert, dass sie nicht alle Ausbildungsinhalte innerhalb breiter Berufsbilder vermitteln oder die technische Infrastruktur für die Lehrwerkstätten nicht zur Verfügung stellen können. In einer solchen Situation können unternehmensübergreifende Lernallianzen ein Lösungsweg sein, um auf den insbesondere für das mittlere Qualifikationsniveau prognostizierten Fachkräftemangel zu reagieren (Helmrich/Zika 2010).2
2. Innere und äußere Organisation von Unternehmen: Bei steigendem Konkurrenzdruck durch die Einbindung in globale Wertschöpfungsketten, volatile Märkte sowie kurze Zeitspannen zwischen der Entwicklung und Marktreife von Produkten sind Arbeitsprozesse häufig durch kurzfristige Planungszeiträume geprägt und gehen in der Regel mit einer Delegation der Ungewissheit und Marktdrucks auf die Ebene der Beschäftigten einher (Sauer 2010; Lehndorff/Voss-Dahm 2006). Ebenso sind betriebliche Restrukturierungen bis hin zu kompletten Neuzuschnitten von (öffentlichen und privaten) Unternehmen mittlerweile kennzeichnend für das deutsche Produktions- und Innovationsmodell (Bosch et al. 2007; Moldaschl et al. 2007). Innerhalb dieser Dynamik ist die Beruflichkeit einer Bewährungsprobe ausgesetzt, weil der polyvalente Einsatz von beruflich qualifizierten Beschäftigten an seine Grenzen stoßen kann. Daraus erwächst personalpolitischer Handlungsbedarf wie zum Beispiel unternehmensinterne Umsetzungen von Personal, der organisatorisch wie auch in qualifikatorischer Hinsicht zu bewältigen ist. Unternehmensinterne Versetzungsabteilungen können hier einen organisationspolitischen Lösungsweg darstellen, um bei internen Arbeitsplatz- und Tätigkeitswechseln eine Entwertung von Qualifikation und erworbenen Fähigkeiten sowie eine Rücknahme von Leistungsbereitschaft als Folge der erlebten Unsicherheit zu verhindern.
3. Höherqualifizierung: Die genannten Veränderungen in Unternehmen sind auch folgenreich für die Aufstiegsperspektiven von beruflich qualifizierten Beschäftigten. Kennzeichnend für die Organisation in fordistisch organisierten Großunternehmen waren nach dem Fachabteilungsprinzip organisierte Einheiten, in denen berufliche Aufstiege in tief gestaffelten Hierarchien möglich waren (Baethge/Baethge-Kinsky 1998). Unter den Bedingungen der modernen Unternehmensorganisation dagegen spielt der fachliche Bezug keine überragende Schlüsselrolle mehr bei der Besetzung von Führungspositionen (Baethge/Baethge-Kinsky 1998; Faust et al. 2000). Dadurch ergeben sich neue Konkurrenzverhältnisse für aufstiegsorientierte beruflich qualifizierte Beschäftigte, insbesondere durch den im Zeitverlauf leicht zunehmenden, aber im internationalen Vergleich nach wie vor geringen Anteil von (Fach)Hochschulabsolventen (vgl. Bosch 2010; Dobischat et al. 2008). Zur Sicherung der Kooperations- und Leistungsbereitschaft beruflich qualifizierter Beschäftigter und zur Aufrechterhaltung von realistischen Optionen auf einen beruflichen und sozialen Aufstieg besteht aus Sicht der Unternehmen wie auch der Beschäftigten daher ein Bedarf an transparenten und zwischen dem beruflichen und allgemeinen Bildungssystem durchlässigen Aufstiegswegen. Über eine solche Stütze kann sichergestellt werden, dass berufliche Bildung im Zuge des langfristigen Trends der Höherqualifizierung nicht als Sackgasse, sondern weiterhin als aussichtsreicher Einstieg in einen Erwerbsverlauf angesehen wird, in dem berufliche Handlungsfähigkeit, Erfahrungs- und systematisches Wissen im Laufe des Erwerbslebens eine sinnvolle Verknüpfung erfahren (vgl. Pfeiffer 2010).
4. Mobilitätsprozesse in einem veränderten institutionellen Umfeld: Das in der berufsförmigen Organisation des Arbeitsmarktes angelegte Potenzial für Stabilität und Flexibilität am Arbeitsmarkt setzt voraus, dass Mobilitätsprozesse von beruflich qualifizierten Beschäftigen nicht mit hohen Risiken verbunden sind. Die kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitszeit und des Entgelts wie auch arbeitsrechtliche Regulierungen sind hier als zentrale Institutionen des Beschäftigungssystems zu nennen, die flexible Anpassungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt überbetrieblich stabilisierend absichern sollen. Gegenwärtige Entwicklungen lassen jedoch bezweifeln, dass diese Institutionen ihre Schutzfunktion für qualifizierte Facharbeit in ausreichendem Maße ausüben: Kostensenkungsstrategien von Unternehmen gehen in einem Umfeld nachlassender Tarifbindung bzw. Tarifkonkurrenz und damit zunehmender Differenzierung von Beschäftigungsbedingungen innerhalb und zwischen Branchen mit einer Zunahme gering sozial abgesicherter, niedrig entlohnter und befristeter Beschäftigungsverhältnisse einher (Bosch/ Weinkopf 2007; Seifert/Keller 2005; Vanselow 2010). Im Jahre 2008 verfügten 72% aller Beschäftigten, die einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle bezogen, über eine abgeschlossene Berufsausbildung (Kalina/ Weinkopf 2010). Offensichtlich geht daher die diagnostizierte stetige Verschiebung von geschlossenen hin zu offenen Beschäftigungssystemen nicht nur mit einer Abnahme der Beschäftigungsstabilität einher (Köhler et al. 2008; Struck 2006). Ebenso erhöht eine Ausweitung von externen Flexibilisierungsformen wie z.B. Outsourcing, Leiharbeit oder freie Mitarbeit in Unternehmen das Risiko von Übergängen in Beschäftigungsbereiche mit schlechteren Arbeitsbedingungen. Die Verwertung beruflicher Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt ist vor allem nicht mehr ausreichend abgesichert, wenn die unter Kosten- und Risikogesichtspunkten für Unternehmen kurzfristig günstigere Variante der Externalisierung einer dauerhaften, sozial abgesicherten Bindung der Beschäftigten vorgezogen wird. Mobilitätsprozesse können für beruflich qualifizierte Beschäftigte in diesem veränderten Umfeld dann zu einem riskanten Unterfangen werden.
Die Veränderungen in den vier genannten Feldern haben die Voraussetzungen für eine Balance von Stabilität und Flexibilität im Bereich der qualifizierten Facharbeit nachhaltig geschwächt. Soll darauf reagiert werden, stellt sich die Frage, welche Stützen für qualifizierte Facharbeit sinnvoll und notwendig sind. Welche Voraussetzungen müssen also im Betrieb und auf dem Arbeitsmarkt gegeben sein, damit das berufliche Bildungssystem und berufliche Zertifikate als „Produkte" dieses gesellschaftlichen Teilsystems mehr sind als eine traditionell bedeutsame, aber für sozial und ökonomisch ausgeglichene Anpassungsprozesse wenig leistungsfähige Form der Herstellung von Qualifikation? Diese Fragen nach der Zukunft des Berufs und der Leistungsfähigkeit des beruflichen Bildungssystems werden auf zwei unterschiedlichen Ebenen diskutiert. Zum einen mit Blick auf den Kern der beruflichen Bildung, nämlich die Bildungsinhalte, und zum anderen hinsichtlich der inner- und überbetrieblichen organisatorischen Voraussetzungen für den Aufbau, Erhalt und die Weiterentwicklung von beruflicher Qualifikation.
Die Inhalte von Berufen, die im beruflichen Aus- und Weiterbildungssystem vermittelt werden, sind von entscheidender Bedeutung, weil sie einen Beruf mehr oder weniger „attraktiv" machen. Sind beispielsweise Ausbildungsordnungen veraltet, bereitet eine Berufsausbildung nicht mehr adäquat auf die tatsächlichen Anforderungen in der Arbeitswelt vor. Berufsbilder, die mit den tatsächlichen technologischen und organisatorischen Bedingungen in Betrieben korrespondieren und daher eine Arbeitsmarktnähe aufweisen, haben für Beschäftigte und Unternehmen dagegen eine hohe Wertigkeit. Diese Arbeitsmarktnähe zu gewährleisten, ist vor allem Aufgabe der Akteure im Ordnungsgeschäft der Berufsbildung. In dieser Debatte wird ein Aspekt immer wieder kritisch diskutiert: Aufgrund der sinkenden Halbwertzeit des Wissens sowie der zunehmenden Bedeutung von personalen Kompetenzen (Selbst- und Sozialkompetenz) innerhalb einer prozessorganisierten Unternehmensorganisation wird ein abnehmender Stellenwert des fachlichen Kerns eines Berufs diagnostiziert (Baethge et al. 2006). In Einklang mit der von europäischen Institutionen proklamierten Hinwendung zum lebenslangen Lernen plädieren einige Diskutanten daher für die Stärkung einer allgemein „kompetenzorientierten" Berufsausbildung, weil ihr ein wesentlich größeres Potenzial für eine stabile Erwerbsperspektive zugeschrieben wird als einem Lernen mit starkem Fachbezug (Erpenbeck/Heyse 1999). Andere dagegen betonen, dass innerhalb von breiten Berufsbildern eine stärkere Betonung von Selbst- und Sozialkompetenzen und ein eindeutiger Fachbezug einander nicht ausschließen (Brötz/Schapfel-Kaiser 2009; Greinert 2008).
Diese berufspolitische bzw. berufspädagogische Debatte ist ohne Zweifel von Bedeutung für notwendige Weichenstellungen im beruflichen Bildungssystem. Mit Blick auf die vier zuvor genannten Bereiche, die Balancen zwischen Flexibilität und Stabilität beeinträchtigen können, erscheint uns jedoch eine Diskussion der inner- und überbetrieblichen Voraussetzungen für den Aufbau, Erhalt und bei der Weiterentwicklung von beruflichem Arbeitsvermögen von Beschäftigten in Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt ebenso wichtig zu sein. Dies insofern, als neben einem Bedarf an inhaltlicher Abstimmung von Arbeitsanforderungen und Qualifikation in Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt zugleich auch organisatorische Abstimmungen notwendig sind, um das benötigte und angestrebte Maß an beruflicher Qualifikation zu erzeugen. Welche Abstimmungsbedarfe und -probleme das im Einzelnen sind, welche Lösungswege in einzelnen Unternehmen bereits zu erkennen sind und inwieweit sie sich verallgemeinern lassen, steht im Mittelpunkt des von der Autorin und den Autoren dieses Beitrags geleiteten Projekts „Beruflichkeit, Organisations- und Personalentwicklung im Spannungsfeld von Restrukturierung und Kompetenzsicherung". In einer sozialwissenschaftlichen Perspektive gehen wir der Frage nach, inwieweit Lern- und Entwicklungsprozesse im Betrieb auch unter den genannten veränderten Rahmenbedingungen stattfinden können und welche organisatorischen Voraussetzungen innerhalb des Betriebs oder auch in überbetrieblichen Kooperationen notwendig sind, um den Aufbau, den Erhalt und die Weiterentwicklung von beruflicher Qualifikation zu ermöglichen und abzusichern.
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Inhaltsverzeichnis zu „Qualifizierte Facharbeit im Spannungsfeld von Flexibilität und Stabilität “
Mit Beiträgen von Dorothea Voss-Dahm, Gerhard Bosch, Gernot Mühge, Klaus Schmierl, Olaf Struck, Christian Imdorf, Regula Leeman, Jürgen Howaldt, Dmitri Domanski, Carsten Wirth, Werner Nienhüser, Rainer Brötz, Knut Tullius, Christine Franz, Matthias Dütsch, Delia Wiest, Alexandra Böhm, Ina Krause
Autoren-Porträt
Dr. Dorothea Voss-Dahm und Gernot Mühge sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen. Dr. Klaus Schmierl ist Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V., ISF München.
Dr. Olaf Struck ist Professor für Arbeitswissenschaft an der Universität Bamberg.
Bibliographische Angaben
- 2011, 328 Seiten, 22 Abbildungen, Maße: 14,8 x 21 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Herausgegeben von Voss-Dahm, Dorothea; Mühge, Gernot; Schmierl, Klaus
- Herausgegeben: Dorothea Voss-Dahm, Olaf Struck, Klaus Schmierl, Gernot Mühge
- Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
- ISBN-10: 3531178598
- ISBN-13: 9783531178592
- Erscheinungsdatum: 09.12.2010
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