Schottland-Liebesromane, 3er-Package
"Schottische Stürme", "Das schottische Geheimnis", "Ein Haus in Schottland"
Schottische Stürme
Die sympathische Anne-Sophie tritt eine Stelle als Gesellschafterin bei Lady MacAdleston an. Doch die Erben dieser zerstrittenen Familie lehnen sie ab. Welche Pläne verfolgt Dylan, der jüngste...
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Produktinformationen zu „Schottland-Liebesromane, 3er-Package “
Schottische Stürme
Die sympathische Anne-Sophie tritt eine Stelle als Gesellschafterin bei Lady MacAdleston an. Doch die Erben dieser zerstrittenen Familie lehnen sie ab. Welche Pläne verfolgt Dylan, der jüngste Sohn, zu dem sie sich hingezogen fühlt?
Das schottische Geheimnis
Eine mysteriöse Gravur im Deckel einer alten Taschenuhr ist der Schlüssel zu Elizas Herkunft. Sie reist nach Schottland, um herauszufinden, wer ihr Vater tatsächlich war. Eine berauschende Liebesnacht mit Ian ist der Anfang eines romantischen Abenteuers. Im Zuge ihrer Recherchen lernt Eliza jedoch James kennen und verfällt seinem Charme. Nun steht sie zwischen zwei Männern – und möglicherweise wird sie nicht nur die Wahrheit über ihren Vater finden.
Ein Haus in Schottland
Die Hamburger Angestellte Marie erbt zu ihrer Überraschung in Schottland ein Häuschen. Dort angekommen, stellt sich die Erbschaft als großes Anwesen heraus. Marie, eine leidenschaftliche Gärtnerin, nimmt die Herausforderung an und findet dort ihre Bestimmung und ihre Liebe.
Lese-Probe zu „Schottland-Liebesromane, 3er-Package “
Schottische Stürme von Christa CanettaProlog
Balnacrán Castle, Schottland
Heute
... mehr
Die wenigsten Menschen verfügen über das Wissen ihrer Herkunft, welche Charakterzüge ihre Ahnen hatten oder ob jemand ihrer Familie zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte an einem bestimmten Ort weilte - und ob ein Vorfahre Geheimnisse mit sich trug. Ich wusste all dies nun. Und dieses Wissen machte mir manchmal Angst. Vieles war geschehen in den letzten Monaten, und schlussendlich hatte es mich hierhergeführt. Ich stand auf einem der ältesten Teile der Burg, dem Zwinger, und blickte auf Loch Vendonan, dessen sanfte Wellen weit unter mir gegen den Fels rollten, und unter meiner rechten Hand fühlte ich den von der Sonne erwärmten Stein. Genau dort befand sich eine kleine Wölbung in der Wehrmauer, gerade eben so groß, dass meine Handinnenfläche darüber passte, und jeder meiner Finger ruhte in einer winzigen Vertiefung. Der Granit fühlte sich wie eine riesige Perle an - glatt poliert von tausend Händen im Laufe der Jahrhunderte. Viele hatten schon an diesem Ort gestanden und den Blick auf die Berge rund um Balnacrán und Loch Vendonan gerichtet. In der Galerie hing ein Gemälde meines Ururgroßvaters, und seine rechte Hand ruht ebendort, wo auch meine nun ruhte. Es war, als würde man jedem seiner Ahnen die Hand reichen. »Tja, Elisa! Nun stehst du hier«, sagte ich laut, und ein sanftes Echo folgte meinen Worten, als wollten sie mir zustimmen. Nicht, dass ich an Geister glaubte, nein, das war es nicht. Es war wie ein Gefühl. Immer wenn ich durch die Gänge wanderte, spürte ich, wie jemand mit mir ging. Meine linke Hand umklammerte Vaters Uhr - ihre Schläge pulsierten in meiner Handfläche.
Und wieder ein Abschied. Und dieser war nicht minder schwer als jener vor genau einem Jahr - als alles mit einem Abschied begann.
Für mich war es der dunkelste Tag in meinem Leben, obwohl der Himmel am frühen Morgen in Rosa getaucht war und die Sonne glühend heiß über den Dächern von Berlin aufstieg.
Es war ein warmer, goldener Herbsttag.
Der Tag, an dem ich meinen Vater zu Grabe trug.
Ich verbrachte jenen Morgen im Keller meines Elternhauses, inmitten Vaters Uhrensammlung, und war auf der Suche nach Bildern von ihm, als ich versehentlich sein Lieblingsstück, eine in die Jahre gekommene Porzellanuhr, von ihrem Bord stieß. Sie zerschellte zu meinen Füßen, und dort, inmitten all der Scherben, fand ich ein in Leinen gewickeltes Päckchen. Ich hob es auf und öffnete es.
Es war eine Savonette. Eine wunderschöne, silberne Taschenuhr. Ihr Räderwerk war stehen geblieben, doch ansonsten hatte sie keinen Schaden genommen. Sie schien mir sehr alt, doch all die Jahre gut versteckt und geschützt von dichtem Leinen, im Inneren einer Kaminuhr hatte die Zeit ihrem Glanz nichts anhaben können. Ich war mir schon damals sicher gewesen, dass Vater von dieser Uhr wusste. Wie viele Male hatte ich zugeschaut, wenn er die Uhren öffnete, sie Stück für Stück in Einzelteile zerlegte und dann wieder zusammensetzte.
Auf dem silberweißen Sprungdeckel der Savonette war ein Distelzweig eingeprägt, der sich um ein verschnörkeltes »B« schlang, und beim Öffnen der Uhr fand ich ein elfenbeinernes Ziffernblatt vor wie eine Kamee, die das Relief einer Berglandschaft enthüllte, dazu römische Ziffern und ein Stundenzeiger in der Form eines ziselierten Schwertes. Es war die Arbeit eines Meisters, und ein Blick auf den Zwischendeckel hatte seinen Namen offenbart: Mackinnon.
Mackinnon - Inverness - Neunzehnhundertvierzehn.
Der Meister war längst tot.
Das Metall wurde warm in meiner Hand. Ich blickte hoch in den Himmel. Ein Steinadler zog, getragen nur vom Wind, über Balnacrán hinweg, und sein Ruf hallte durch das Tal. Irgendwo in meiner Nähe segelte eine Möwe an den Burgmauern vorbei. Ich konnte sie lachen hören. Hinter mir vernahm ich die leisen Stimmen von Fiona und Maggie Bertram, und ich blickte auf jene Uhr hinunter und fragte mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, hätte ich sie niemals gefunden. Dies war das Land meines Vaters, hätte ich es jemals gesehen? Mein Vater war hier in Schottland geboren, so viel wusste ich damals, und er war mit meiner Mutter Annemarie nach Deutschland gegangen, um dort mit ihr zu leben. Nicht mehr und nicht weniger. Er hatte alles verschwiegen. Alles.
Der schottische Wind frischte auf und blies mir ein paar Strähnen meines Haares ins kalte Gesicht. Wieder war es Herbst, und wieder musste ich Abschied nehmen. Die Sonne am Horizont war kurz davor unterzugehen, glitzerte noch in den Wellen des Fjords. Ich blickte über Loch Vendonan hinaus aufs offene Meer. Ein kleines Boot zog von dort durch die Wellen und hielt geradewegs auf die Burg zu.
Ich erkannte es sofort.
»Was willst du denn jetzt noch hier?«, seufzte ich und hörte zu meinem eigenen Unmut die Sehnsucht deutlich heraus.
Ich schloss die Augen, verdrängte ihn aus meinem Kopf und blickte in Gedanken zurück. Hatte ich eine andere Wahl gehabt? Damals, an jenem Tag im Frühling, an dem ein Brief aus Schottland in der Post lag. Es war ein schlichtes Kondolenzschreiben von einem George Mackinnon, jedoch ohne Absender. Mackinnon - derselbe Name wie der auf dem Innendeckel der Savonette. Gab es da eine Verbindung? Tagelang hatte ich darüber nachgedacht. War es wirklich nur ein Zufall? Und wer war dieser George Mackinnon, von dem mein Vater doch nie gesprochen hatte? Woher kannte er ihn und was wusste er über ihn? Ich hatte Fragen über Fragen.
Es war wie ein Zeichen ... in jenem Moment, wo ich mich dazu entschied, nach Schottland zu fahren, setzte das Schlagwerk der Uhr wie von Zauberhand wieder ein. Und so machte ich mich ein paar Wochen danach auf den Weg in ein Land, welches ich bis dahin nur aus Vaters Erzählungen kannte. Vielleicht, so hoffte ich damals, würde ich etwas finden. Eine Antwort auf alle meine Fragen. Es war eine kleine Hoffnung, sie bedeutete mir viel, doch was ich fand - war viel mehr als eine Antwort.
Ich fand die Liebe - wenn auch nur für kurze Zeit.
Das blau-weiße Boot hielt am Steg an, er kletterte über den Bug, band es am Poller fest und sah dann zu mir hoch. Für einen kurzen Moment hielt ich inne und schaute dann doch weg, sah auf die Landschaft, die wie ein Gemälde vor mir lag und die jenem Relief auf dem Ziffernblatt der Uhr bis auf den letzten Berggipfel glich. Würde ich den Highlands nun wieder den Rücken kehren? Brachte ich es wirklich übers Herz, diese stummen Wächter, die sich in mein Herz und in meine Seele geschlichen hatten, zu verlassen? Die Uhr hatte mich hierhergeführt.
Ich blickte wieder hinunter auf den Steg.
Nur das kleine Boot taumelte sanft in den Wellen.
Ich hob die Hand, in der Vaters Uhr lag, ich spürte ihr Ticken - und ich holte weit aus ...
1
Inverness, Schottland
Vier Monate zuvor
Ich dachte eigentlich, ich würde auf riesige, graue Bergmassive blicken und auf Seen, meinetwegen auch auf grüne Hügel, doch alles, was hin und wieder zwischen den Wolken auftauchte, war braun und nicht mal besonders bergig.
Ich lehnte mich etwas mehr zum Fenster, um einen besseren Blick nach unten zu bekommen, als auch schon die nächste Windböe den winzigen Inlandsflieger erfasste, der mich von Edinburgh aus in die Hauptstadt der Highlands - nach Inverness bringen wollte und dabei anscheinend seine besten Zeiten längst hinter sich hatte. Die zierlichen Tragflächen schaukelten gefährlich, der Getränkewagen klirrte laut, die Stewardess schwankte wie betrunken, und ich krallte mich wieder am Sitz fest, als könne allein er mich vor dem sicheren Tod bewahren. Ich mochte das Fliegen an sich noch nie, fand aber die glänzende Boeing 767 und den gut aussehenden, älteren Piloten, welche ich in Berlin Tegel angetroffen hatte und die mich erst einmal nach Edinburgh bringen sollten, vertrauenerweckend - doch das hier war eindeutig zu viel. Von dem Moment an, wo die Maschine von der Startbahn in Edinburgh abgehoben hatte und mich das erste Mal durchschüttelte, wusste ich wieder, warum ich eine Abneigung dagegen hatte. Angst kam auf.
»Ladies and Gentlemen! Bitte stellen Sie die Sitze in eine gerade Position und schnallen Sie sich an! Wir werden in wenigen Minuten in Inverness landen.«
»Oh ja, bitte!«, murmelte ich und ließ die Armlehne bis zu dem Augenblick, wo die Maschine auf dem Rollfeld des kleinen Flughafens landete, anhielt und die Stewardess schließlich den Ausstieg öffnete, nicht mehr los.
Der Anblick Schottlands, der sich mir am Boden bot, war nicht weniger ernüchternd als der Blick von oben, und als ich mein Gepäck schlussendlich aus dem Flughafengebäude schob, fühlte ich mich etwas an leer stehende Gewerbegebiete in Ostberlin erinnert. Und es war kalt. Verflucht kalt.
Auf der anderen Straßenseite stand ein Van, auf dem in großen Lettern Europcar zu lesen war, und den steuerte ich nun an. »Hallo!«, grüßte ich und reichte dem älteren Herrn, der sich aus der Seitentür lehnte und sich an die Kappe tippte, meine Unterlagen. Er warf einen kurzen Blick darauf und redete dann auf mich ein.
Großer Gott! Mein Englisch war eigentlich sehr gut, doch was war das? Ich stand da und starrte ihn an. Der Mann wartete scheinbar auf eine Antwort, dann schaute er stirnrunzelnd zurück auf meine Papiere, und plötzlich hellte sich sein Blick auf. »German!«, lachte er und fügte meinen Namen nun gut verständlich hinzu. »Not Grant, Elisa Grant.«
Er hob meine Koffer auf die Ladefläche und reichte mir die Hand. »Kommen Sie!«, rief er, und ich atmete erleichtert auf.
Mein Mietwagen entpuppte sich als kleiner, blauer Toyota, und beim Anblick des Lenkrades hörte ich Mutters gut gemeinte Worte: »Leg so oft wie möglich die Linke auf die Gangschaltung, sonst greifst du mit der Rechten laufend ins Leere und krieg keinen Schreck; am Anfang sieht der gesamte Gegenverkehr so aus, als kämen dir nichts als Geisterfahrer entgegen.«
Eine Stunde später hatte ich mich verfahren. An welcher Stelle ich falsch abgebogen war, konnte ich zwar nicht mehr nachvollziehen, doch ich wusste genau, dass es eine Tatsache war. Auf dem nächsten Schild stand nämlich Urquhart Castle, und laut meiner Karte lag dies westlich von Inverness, was bedeutete, dass ich gerade dabei war, den Loch Ness zu umrunden. Na wunderbar! ... Vielleicht können Sie sogar, wenn Sie Glück haben, einen Blick auf unser liebstes Ungeheuer werfen ... Nessi, ja klar, dachte ich und blieb mit dem Wagen an einer Kreuzung stehen. Rechts ging es endlich nach Inverness und links nach Fort William. »Also rechts«, sagte ich und bog ein. Vielleicht hätte ich ja doch einem Navigationssystem Vertrauen schenken sollen, doch die Geschichten über Menschen, die plötzlich am Ufer eines Sees landeten, standen mir noch im Gedächtnis. »Na Elisa!«, sagte ich laut und blickte mich um. »Jetzt wirst du wahrscheinlich trotzdem an einem See landen.« Eines musste ich jedoch nun zugeben; es war wirklich idyllisch hier. Die Straße wurde an beiden Seiten von moosüberwucherten, halbhohen Steinmauern gesäumt, und dahinter bot sich mir ein Blick auf Felder, Bäume, Wiesen, hin und wieder auf ein etwas abseits gelegenes Cottage mit diesen unverwechselbaren Schornsteinen auf dem Dach und auf Berge - zwar nicht besonders steil, aber immerhin waren es Berge. Nach einer Weile blitzte es bläulich durch die meterhohen Büsche am Straßenrand, und dann - wie aus dem Nichts - tauchte plötzlich Loch Ness vor mir auf, und ich hielt überrascht den Atem an. Was für ein tiefes, leuchtendes Blau! Und das, obwohl der Himmel über mir teilweise bedeckt war und es auch schon ein paarmal geregnet hatte. »Okay«, murmelte ich. »Das ist wirklich beeindruckend.« Die Straße führte nun fast direkt am Ufer des Sees entlang, und ich musste mich oftmals zwingen, mehr auf die Straße und den entgegenkommenden Verkehr zu achten als auf die Landschaft.
Ein Stück weiter vor mir, auf dem Wasser ganz in der Nähe des Ufers, schaukelte ein Boot in der Dünung. Ich entschied mich spontan für einen Zwischenstopp und fuhr ein paar Meter weiter rechts in eine Parkbucht. Beim Aussteigen warf ich noch einmal einen Blick auf das Boot und sah, wie ein halbnackter Mann aufrecht darin stand.
Ich duckte mich, schlug mich durch das Gestrüpp und versteckte mich dann hinter einem Findling, an dem ich rechts vorbeischauen konnte. Der Mann stand mit beiden Beinen auf dem Rand des Ruderbootes und hatte die Arme seitwärts ausgerichtet. Neugierig schlich ich mich noch näher heran. Was zum Teufel tat er da - und wozu? Auf einmal schoss ein schwarzes Ungetüm aus dem Wasser, und ich schrie auf. Unmittelbar danach vernahm ich ein Wort, welches sich in meinen Ohren nach einem kräftigen Fluch anhörte, und beinah gleichzeitig hörte ich ein lautes Platschen. Ich wagte erst gar nicht hinzuschauen, doch da hörte ich das Gebell eines Hundes. Nessi war nur ein Neufundländer. Er hockte in dem kleinen Boot, bellte, und sein Schwanz wedelte vor Aufregung hin und her. Im Wasser davor tauchte der Kopf des Mannes auf, und seine Augen starrten mich wutentbrannt an. Mein erster Gedanke war Flucht, den ich sofort in die Tat umsetzte. Ich machte kehrt, rannte los und blieb an irgendetwas hängen, stolperte und lag schlussendlich am Boden. Schlimmer konnte es nicht mehr werden, dachte ich und machte kurz die Augen zu. Die Geräusche in meinem Rücken sagten mir, dass jemand das Ufer erklomm, und als ich einen Moment später den Schatten eines Mannes über mir aufragen sah, drehte ich mich im Liegen um.
Er wirkte wie eine Erscheinung aus Braveheart. Breitbeinig stand er vor mir, seine nassen Jeans klebten an den langen, muskulösen Beinen, und von seinem dunklen Haar tropfte das Wasser auf meine Schuhe. Neben ihm saß sein Hund - ebenfalls pudelnass - und schnupperte an meinem Hosenbein. Erfreulicherweise gab er das schnell auf, und ich schaute zu dem Schotten hoch - denn dass das ein echt schottisches Mannsbild war, war wohl klar.
Ich schluckte. Seine Miene ließ zwar keinen Zweifel daran, dass er ein wenig wütend war, obwohl ich glaubte, in seinem rechten Mundwinkel ein kleines Lächeln zu sehen, aber - Himmel! - was für blaue Augen.
»Machen Sie das öfter?«, wollte er wissen.
»Was denn?«
»Spannen.«
Für einen Augenblick glaubte ich, mich verhört zu haben, doch dann schnappte ich nach Luft. »Ich - ich habe nicht - Wie können Sie so etwas - also wirklich!«
Ich verkniff mir jedes weitere Wort, stand auf und stapfte zurück zum Wagen. »Hey!«, rief er mir nach. »Eine Entschuldigung wäre doch wohl das Mindeste. Sehen Sie sich den Schaden an!«
»Das werde ich ganz sicher nicht tun«, knurrte ich leise und tat es dann doch. Blöde Idee!
»Eine Entschuldigung?«, fragte ich. »Für was soll ich mich denn bitte entschuldigen?«
»Ich bin klatschnass!«
»Und Sie haben mich gerade eine Spannerin genannt!«, fauchte ich zurück. »Und das nur, weil ich dachte, weil ich -«
»Sie dachten doch nicht wirklich, dass ich in Gefahr wäre, oder? So dumm sehen Sie gar nicht aus.«
Der enervierte Ausdruck war jetzt völlig aus seinem Gesicht gewichen und stattdessen lachte er nun.
»Wagen Sie es ja nicht, sich über mich lustig zu machen!«, schimpfte ich. »Das kann ich nämlich gar nicht vertragen. Was haben Sie da überhaupt gemacht?« Hektisch wies ich mit meiner Hand auf den See und auf das Boot, das nun am Ufer lag. Er drehte sich kurz um und meinte: »Das war so was wie ein Ritual.«
»Ein Ritual«, wiederholte ich. »Wofür?«
»Das würden Sie nicht verstehen.«
»Ach nein?«
»Nein.«
»Woher wollen Sie denn das wissen?«
»Stellen Sie immer so viele Fragen?«
»Nein!«, sagte ich. »Eigentlich nicht. Nur, wenn mir ein arroganter, unhöflicher, ungehobelter und anscheinend völlig verrückter Schotte über den Weg läuft, dann stelle ich hin und wieder dessen Verstand in Frage. Guten Tag!«
Damit machte ich kehrt, setzte mich in meinen Wagen, startete den Motor und fuhr davon.
Etwa eineinhalb Stunden später, nachdem ich mich noch einoder zweimal verfahren und den Schotten laut verflucht hatte, war meine Wut zwar etwas verflogen, doch ich hatte genug Schottland für den ersten Tag und zog nun, wo ich endlich einen Langzeit-Parkplatz ergattert hatte, meine Koffer zu Fuß die Huntly Street in Inverness hinter mir her.
Das Hotel, welches mein Cousin André mir als Geheimtipp empfohlen hatte, lag unmittelbar an einer der Uferstraßen des Flusses Ness.
Es war ein dreistöckiges und recht unscheinbares Backsteingemäuer mit fünf breiten, ausgetretenen Stufen und einem schwarzen, schnörkeligen Geländer zur rechten Seite. Ich trug jeden meiner Koffer einzeln die Treppe hoch und schob dann die schwere Eichentür auf.
Ein Duft von alten Möbeln, Politur und Bohnerwachs drang in meine Nase. Der Raum war dezent beleuchtet und durchzogen von dunklem Holz, messingglänzenden Türknäufen und ebensolchen Lampen an den Wänden. Genau gegenüber der Eingangstür hing ein riesiges Gemälde und zeigte eine typisch schottische Landschaft - Berge und einen See. Doch was mir daran besonders gefiel, war die Farbgebung; es war alles in violetten Tönen gehalten, selbst der See leuchtete in einem Fliederton.
»Das ist Loch Carron!«, sagte eine helle, freundliche Stimme, und ich drehte mich um.
»Die Landschaft auf dem Bild, meine ich«, präzisierte die Frau hinter dem Tresen. Sie war etwa in meinem Alter, hatte schwarze Locken zum Zopf gebunden, und ihre blauen Augen blickten mich aufmerksam an. Sie lächelte. »Hallo! Willkommen im MacIntyre's! Haben Sie reserviert?«
»Oh! Ähm ... ja, habe ich.« Ich zog meine Koffer hinter mir her zum Tresen hinüber und holte tief Luft. Ich war endlich angekommen. Das Hotel schien sauber und gepflegt, und die Frau am Empfang hatte ein so offenes, sympathisches Gesicht, dass ich mich tatsächlich willkommen fühlte. »Grant ist mein Name - Elisa Grant.« Die Frau blickte in ein großes Buch, blätterte ein paar Seiten zurück und wieder vor und erneut zurück, und ich hatte schon Angst, dass meine Reservierung vielleicht doch nicht angekommen war, als sie endlich sagte: »Da sind Sie ja! Zimmer B-Sechs; das ist im zweiten Obergeschoss - mit Aussicht auf den Ness. Den Gang hier links hinunter bis zum Ende.« Sie wies mit ihrer Hand in einen schmaleren Flur. »Und dann rechts die Treppe hin-« Auf einmal hielt sie inne und musterte mich von oben bis unten, bemerkte die Grasflecken auf meiner Hose und auf der Jacke, die Schramme auf meinem Handrücken und meine regennassen Haare. »Sie sehen ziemlich erschöpft aus.«
»Fahrstuhl?«, fragte ich mit einem Kopfnicken.
Ihr Lächeln war voller Verständnis. »Sean?«, rief sie, und von irgendwoher kam eine tiefe Stimme: »Aye?«, und im nächsten Moment schaute der Kopf eines großen, dunkelhaarigen Mannes aus einer Tür im hinteren Bereich des Tresens hervor.
»Würdest du bitte die Koffer von Miss Grant in Zimmer B-Sechs tragen? Und sag Jenny Bescheid; sie soll einen kleinen Imbiss zusammenstellen, einen ordentlichen Grog bereiten und ihn im Kaminzimmer servieren!«
»Aye. Jen!«, brüllte Sean los und ließ die Tür wieder zufallen.
»Wo bin ich?«, fragte ich, angetan von ihrer Fürsorge, doch sie winkte nur ab, lachte herzlich und kam dann um den Tresen herum. »Kommen Sie! Das Kaminzimmer ist gleich hier vorn. Dort können Sie sich erst mal etwas erholen. Sie kommen aus Deutschland?«
»Ja, aus Berlin.«
»Wie lange sind Sie denn jetzt schon unterwegs?« Sie führte mich durch eine Doppeltür und wies mit ihrer linken Hand in einen der behaglichsten Räume, die ich je gesehen hatte. Ein riesiger Kamin befand sich an der Kopfseite, davor standen rostrote, knautschige Sessel mit dazu passenden Fußbänken und Tischchen, an den cremefarbenen Wänden hingen unzählige Gemälde und Fotos, und daneben standen Regale mit Büchern.
»Miss Grant?«
»Was? Oh, seit -« Ich schaute auf eine große, hölzerne Standuhr, die sechs Uhr abends zeigte, und rechnete die Stunden zusammen, die hinter mir lagen, seit ich in Berlin den Flieger bestiegen hatte. »Zwölf Stunden, in etwa - inklusive Höllenflug, mehrmaliges Verfahren und Fußmarsch im Regen.«
»Oje! Na, dann setzen Sie sich erst einmal und ruhen sich ein Weilchen aus!«
»Dieser Raum ist bezaubernd!«, sagte ich.
»Danke!« Sie schmunzelte. »Ich bin Fiona MacIntyre. Mir gehört dieses Hotel. Machen Sie es sich bequem, ja? Jenny kommt sofort.«
Ich ließ mich in einen der Sessel sinken, und mein erster Impuls war der: nie wieder aufzustehen. »Danke!«, sagte ich aus tiefstem Herzen.
Eine Stunde behaglichen Schweigens, ein Schinken-Gurken-Sandwich und einen heißen Grog später fühlte ich mich fast wie neugeboren. Ich überlegte gerade, was ich am nächsten Tag als Erstes tun sollte, als Fiona MacIntyre ihren Kopf durch die Doppeltür steckte. »Ich bin wach«, sagte ich und lächelte. »Und ich fühle mich großartig. Danke noch mal!«
»Ach, nicht dafür«, erwiderte sie und kam näher. »Kann ich noch etwas für Sie tun?«
»Sie haben schon mehr getan als üblich, denke ich.«
»Oh! Sie kennen die schottische Gastfreundschaft noch nicht, Miss Grant. Sind Sie zum ersten Mal in den Highlands?« »Ja, zum ersten Mal in Großbritannien.«
»Tatsächlich? Ich dachte, weil Ihr Name -«
»Mein Vater kam aus Schottland.«
»Aah!« Sie setzte sich mir gegenüber und nickte. »Dann sind Sie wohl hier, um Ahnenforschung zu betreiben?«
Ich musste schmunzeln. »Ja, so ähnlich. Woher wussten Sie?«
Sie lehnte sich zurück und lachte. »Sie glauben gar nicht, wie viele Hobbygenealogen die Highlands besuchen. Jedes Jahr kommen neue, doch selten aus Deutschland. Meistenteils sind es Amerikaner. Und was führt Sie als Erstes nach Inverness?«
»Eine Uhr, um ehrlich zu sein.«
»Eine Uhr?«, hakte sie nach, und ich nickte. »Ja, es war die Uhr meines Vaters. Er hatte sie all die Jahre vor uns versteckt, und nur durch einen Zufall habe ich sie gefunden.«
»Ihr Vater ist verstorben?«, fragte sie leise, und auf Anhieb vermutete ich, dass es ihr ähnlich erging wie mir. »Ja, letzten Herbst«, sagte ich.
»Hm, das tut mir leid. Es ist schwer, ich weiß - bei mir ist es jetzt zwei Jahre her. Meinem Vater gehörte dieses Hotel. Ich studierte zu der Zeit noch klassische Komposition in Glasgow. Und - na ja, nun bin ich hier.«
»Sie haben Ihr Studium einfach aufgegeben?«, fragte ich überrascht. Sie tat eine Geste, als ob die Entscheidung, ein Hotel zu führen, anstatt auf Konzertreisen zu gehen, leicht gewesen war, was sicherlich nicht der Fall war.
»Bereust du's manchmal?«, wollte ich wissen und ging, ohne darüber nachzudenken, zum Du über. Fiona lächelte mich an. »Hin und wieder«, gab sie zu. »Doch dann - auch wieder nicht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Vielleicht schaffe ich es ja doch einmal auf die Bühne der Royal Albert Hall, aber ich glaube nicht.«
»Sag niemals nie!«, meinte ich und lächelte zurück.
Fiona nickte, blickte kurz zu der Standuhr hinüber und erhob sich. »Um acht Uhr gibt es Abendessen. Du möchtest bestimmt vorher noch in dein Zimmer. Komm! Ich bringe dich hinauf.«
»Grant?« Die Stimme meiner Mutter klang ganz nah, und ich hörte die Unruhe heraus.
»Mum? Ich bin's! Ich bin angekommen.« Das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, war ich eben dabei, meine letzten Sachen in den großen Schrank zu hängen und die Tür zu schließen.
»Lieschen!«, rief sie aus. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Warum hast du nicht angerufen?«
»Tue ich doch gerade.« Ich nahm das Telefon in die rechte Hand und setzte mich auf den Stuhl am Schreibtisch. »Ich hatte mich total verfahren. Doch jetzt bin ich hier, und das Hotel ist wirklich klasse. Ach ja, sag André lieben Dank für den Tipp, ja?«
»Ja, das mache ich. Und? Wie ist es sonst?«
»Kalt ist es, Mum. Furchtbar kalt.«
»Du bist eine Frostbeule, mein Schatz. Zieh dir halt eine Jacke über. Hast du das Regencape auch eingepackt?«
»Ja, Mum. Ich habe alles, was ich brauche. Ich melde mich Ende der Woche noch mal, ja? Ich will jetzt runter zum Essen.«
»In Ordnung, Liebling. Und sei vorsichtig!«
»Wobei?«, fragte ich überrascht.
»Die schottischen Männer sind alle Herzensbrecher.«
»Mum!«, rief ich entrüstet und lachte. »Du musst nicht von dir auf andere schließen. Nur weil du dich in einen Schotten verliebt hast, muss es mir nicht auch so gehen.« Ich dachte kurz an die Begegnung mit dem Schotten und hoffte, dass ich nicht bereits auf dem besten Wege war, meine eigene Theorie zu widerlegen.
»Wie du meinst, Lieschen«, meinte Mum mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.
»Ja, genau!«, gab ich zurück. »Mach's gut. Ich hab dich lieb!«
»Ich dich auch! Tschüss!«
»Tschüss!«
Auf dem Weg hinunter zum Essen dachte ich das erste Mal seit Vaters Tod, dass Mum mit ihren zweiundfünfzig Jahren eigentlich noch viel zu jung war, um eine alleinstehende Frau zu sein, und gleichzeitig schämte ich mich für den Gedanken. Und doch - was wäre, wenn sie sich noch einmal verlieben würde? Diesen Gedanken verfolgte ich noch bis in den Speisesaal hinein, doch dann stand ich plötzlich erstarrt mitten im Raum. An einem Tisch in der Ecke saß der Schotte, den ich getroffen hatte, und Fiona stand daneben und unterhielt sich angeregt mit ihm, während sie einen Whisky einschenkte. Ich blickte zu Boden und schaute erst wieder auf, als Jennys sommersprossiges Gesicht vor mir auftauchte und ihre großen, grauen Augen fragend zu mir hochschauten. »Alles in Ordnung, Miss Grant? - Wo möchten Sie sitzen?« Ich zeigte wortlos mit dem Kopf auf einen Tisch so weit wie möglich von dem Schotten entfernt, und Jenny runzelte die Brauen, doch dann nickte sie. »Ja! Bitte schön! Möchten Sie Wein zum Essen?«
Ich nickte, schlich hinter der winzigen Jenny her bis an meinen Tisch und setzte mich mit dem Rücken zu ihm. »Nein danke, Fiona«, hörte ich ihn sagen. »Das ist wirklich nicht nötig. Sean kann mir doch auch helfen.«
»Na gut«, entgegnete Fiona. »Aber dann müssen Sie mir gestatten, Ihnen ein Lunchpaket mitzugeben. Ansonsten lasse ich Sie nicht ziehen.«
»In Ordnung, Fiona.« Er lachte auf. »Ich gebe mich geschlagen. «
»Elisa!«, rief Fiona kurz darauf, und ich konnte ihre Schuhe auf den Dielen hören. Ich hob den Kopf, drehte ihn ein wenig zur Seite und blickte plötzlich in einen Spiegel, den ich vorher nicht entdeckt hatte, und aus diesem schauten mich die blauen Augen des Schotten an. »Was sitzt du denn hier in der Ecke?«, fragte Fiona. »Ich hatte dir den Tisch am Fenster zugedacht.« Zu meiner Erleichterung stellte sie sich so hin, dass sie den Spiegel nun verdeckte. Hinter mir hörte ich ein vernehmliches Räuspern und dann das Klappern von Besteck.
Blöder Schotte!
»Elisa? Alles in Ordnung?«
»Hm, hm«, bejahte ich und lächelte möglichst sorglos, was mir wohl nicht gelang, denn Fiona setzte sich und schaute mir fragend ins Gesicht. Ich blickte über ihre Schulter in den Spiegel, sah nun jedoch nur einen dunkelblonden Haaransatz und wohl geformte Augenbrauen. Dann versuchte ich ihr wortlos mitzuteilen, dass ich nur zu gern wüsste, was der Schotte ausgerechnet in ihrem Hotel zu suchen hatte. Sie blickte hinüber zu ihm, dann wieder zu mir zurück, und schließlich runzelte sie die Stirn.
»Ich hätte gern die Suppe und dann den Lachs«, sagte ich betont lässig und versuchte, die Geräusche hinter mir zu ignorieren.
»Suppe und Lachs, soso.«
»Ja, bitte.«
»Kommt sofort«, meinte sie und hatte dabei Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen. Mit hochgezogener Augenbraue erhob sie sich von dem Stuhl und ging hinaus.
Welche nachtragenden, schottischen Geister waren dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass ich mich ausgerechnet in demselben Raum wiederfand wie der Schotte?
Ein paar Minuten später, nachdem mir das Muster der Tischdecke vor den Augen verschwamm, hörte ich, wie jemand aufstand, und einen Atemzug später vernahm ich seine dunkle Stimme an meinem Ohr. »Genießen Sie Ihr Essen, Miss! Ach - und übrigens; Zimmer B-Sieben. Nur für den Fall.«
Und dann war er fort. Ich atmete ein und merkte, dass der Duft seines Rasierwassers noch in der Luft hing.
»Gute Nacht, Fiona!«, hörte ich ihn gutgelaunt im Foyer rufen. »Ebenso!«, rief sie zurück und tauchte mit meiner Suppe in der rechten Hand an der Tür auf. In der anderen hielt sie ein Glas, stellte es vor mich hin, und der Geruch von Whisky stieg auf. »Hier!«, sagte sie. »Ich glaub, den kannst du jetzt brauchen.«
Ich nahm das Glas und leerte es in einem Zug.
»Danke!«, keuchte ich, holte tief Luft und hob den Kopf. Fiona saß neben mir und musterte mich. Ganz kurz kam mir der erschreckende Gedanke, der Schotte könne womöglich ihr Bruder sein, doch dann fiel mir auf, dass ihre blauen Augen eine völlig andere Form hatten, und auch der Rest des Gesichtes zeigte keinerlei Ähnlichkeiten.
»Woher kennst du ihn?«, fragte sie.
»Wen?«
»Ian Mackinnon.«
»Mackinnon?«
»Ja, Ian Mackinnon. Der Mann eben. Ich hatte zumindest den Eindruck, ihr würdet euch kennen.«
»Oh nein. Kennen ist zu viel gesagt. Ich - ich ... Sag mal, gibt es viele Mackinnons in Inverness?«
Fiona runzelte die Stirn. »Ja, aber Ian kommt nicht von hier.«
»Oh!«, meinte ich und griff zum Löffel. »Na, dann ist es was anderes.« Die Kräutersuppe roch köstlich, und mir lief das Wasser im Mund zusammen.
»Er gefällt dir«, stellte Fiona mit einem Lächeln fest.
»Was? Nein!«, sprudelte ich hervor. »Ganz und gar nicht. Ich war nur so - überrascht.«
»Kaum zwölf Stunden hier und schon ein echter Grant.«
»Was meinst du denn damit?«
»Ach nichts. Iss du nur deine Suppe! Der Lachs kommt auch gleich.«
Ich konnte genau hören, dass sie lachte, als sie hinausging.
2
Nach dem Dinner setzte ich mich in das Kaminzimmer, unterhielt mich eine halbe Stunde lang angeregt mit einem frischgebackenen Ehepaar aus Köln, das hier ihre Flitterwochen verbrachte, und blieb auch noch, als die beiden schließlich auf ihr Zimmer gingen. Um halb zwölf saß ich noch immer dort. Auf Zehenspitzen hatte ich mir Vaters Uhr, die Lupe und die Unterlagen aus meinem Zimmer geholt und es mir in den Sesseln am Feuer gemütlich gemacht. Aus einem Lautsprecher tönte die sanfte Stimme von Jim Kerr, und der Regen trommelte gegen die Fensterscheiben. Es war alles friedlich, bis auf den lästigen Gedanken, dass, wenn ich in meinem Bett lag, zwischen mir und dem Schotten nur eine dünne Wand war.
»Oh! Hier bist du.«
Ich drehte mich um und sah Fiona in der Tür stehen.
»Hallo! Ja, ich - bin noch nicht müde.«
»Führst du Selbstgespräche? Ich hab dich reden gehört.«
»Ja, na ja, manchmal. Du etwa nicht?«
»Doch, laufend. Was machst du da?«, fragte sie und beugte sich über den Tisch. »Ist das die Uhr, von der du erzählt hast?«
»Ja.« Ich reichte sie ihr hoch und lehnte mich im Sessel zurück. »Deshalb habe ich vorhin nach Mackinnon gefragt. Das ist der Name des Uhrmachers. Warte, ich zeige es dir.« Ich nahm ihr die Uhr wieder aus der Hand, holte meine kleine Ahle hervor, öffnete die hintere Abdeckung und gab sie ihr zurück.
»Mackinnon - Inverness«, murmelte sie. »Hm, warte. Ich hatte doch mal -« Sie legte die Uhr vorsichtig auf den Tisch, drehte sich um, ging mit gerunzelter Stirn auf eines der Bücherregale zu und zog schließlich einen Bildband heraus. »Hier sind alte Fotos von Inverness«, sagte sie. »Wenn ich mich nicht irre, befand sich damals ein Uhrmacher am Ende der High Street.« Sie blätterte das Buch durch und hielt an einer Seite inne. »Ja, genau. Schau hier! Da ist es.« Sie legte mir das Buch in den Schoß, beugte sich über meine Schulter und tippte mit ihrem Finger auf ein ganzseitiges Foto. Es war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme - eine Straßenszene aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts, im Hintergrund befand sich ein Kiltmaker-Geschäft und rechts daneben über einer breiten Tür stand Mackinnon & Son - watchmaker. Fiona nahm die Uhr vom Tisch, setzte sich in den Sessel mir gegenüber und betrachtete das Ziffernblatt. Irgendetwas in ihrem Gesicht brachte mich auf die Frage: »Was? - Was ist?«
Sie blickte auf und lächelte. »Verzeih meinen Einwand! Aber findest du nicht, dass allein diese Uhr etwas wenig ist? Ich meine, dein Vater kann sie ja überall herhaben.«
»Oh! Ja, nein. Ich meine, es ist nicht nur die Uhr.« Ich legte das Buch auf den Tisch, suchte in meinen Papieren nach dem Beileidsbrief und reichte ihn ihr. »Ja und?«, fragte sie, nachdem sie einen Blick darauf geworfen hatte.
»Das ist ein Kondolenzschreiben, wie du siehst. Es kam aber erst fünf Monate nach der Beerdigung bei uns an, ohne Absender, dafür mit einem Stempel von hier.« Ich zeigte Fiona das Kuvert und wies auf den Poststempel. »Doch soviel wir, also meine Mutter und ich, wissen«, erklärte ich ihr weiter, »hatte mein Vater keine Bekannten oder Verwandten mehr in Schottland, zumindest keine, mit denen er in Kontakt stand. Doch sieh dir den Namen an!«
»Du glaubst, da gibt es eine Verbindung?«
»Ich hoffe es zumindest.«
Fiona nickte. »Hey! Ich kann morgen mal meine Großmutter nach dem Uhrmacher fragen, wenn du möchtest.«
»Das wäre lieb! Danke!«
»Kein Problem«, sagte sie und schmunzelte auf einmal. »Was war denn nun mit Ian Mackinnon?«
»Du gibst nicht auf, oder?«
»Ich bin seit vier Jahren liiert, Elisa. Mit einem Mann, der drei Viertel eines Jahres durch die Welt reist. Bitte verzeih mir, wenn ich mich an den Neckereien anderer Menschen erfreue!«
»Neckereien! Dass ich nicht lache.«
Doch dann sah ich die Neugier in ihrem Gesicht, seufzte und erzählte ihr schließlich von dem Vorfall am See.
Als ich später die Treppen hinaufstieg, hatte ich immer noch ihr Gelächter im Ohr. Im zweiten Korridor blieb ich kurz an seiner Tür stehen und lauschte. Kein Ton drang durch.
Der Schotte schien einen gesegneten Schlaf zu haben. Ich wollte nur hoffen, dass dieser mir ebenfalls vergönnt war.
So war es zu Beginn auch, doch gegen Morgen schreckte ich, von einem fürchterlichen Geschrei geweckt, aus einem tiefen Traum und erkannte dann, dass es von dem Schotten im Nebenzimmer kam. Gleich darauf polterte es, als wäre etwas Schweres umgefallen, und sein Hund bellte. Ich sprang aus dem Bett, riss meine Tür auf, lief hinüber zu seinem Zimmer und hämmerte gegen das Holz. »Mister Mackinnon! Ist alles in Ordnung? Hallo?«
Zuerst kam keine Antwort, doch dann - »Aye! Gehen Sie weg! Ist schon gut, Jack!«
»Sind Sie sicher? Soll ich nicht vielleicht doch jemanden holen?«
»Nein, zum Teufel! Gehen Sie wieder! Ich bin in Ordnung, Herrgott!«
»Wie freundlich!«, rief ich und trat einen Schritt zurück. »Gute Nacht dann!« Ich drehte mich um, warf der Frau, die im Bademantel auf ihrer Türschwelle stand und ihren Kragen hochgeschlagen hatte, einen entnervten Blick zu, ging zurück in mein Zimmer und stieß die Tür mit dem Fuß hinter mir zu.
Als ich am darauffolgenden Morgen zum Frühstück hinunterging, hatte ich nur einen Gedanken: Bitte, lieber Gott! Verschone mich! Verschone mich vor diesem Mann!
Entweder wurde mein Gebet erhört, oder es waren andere Mächte am Werk, wie dem auch sei - ich konnte zumindest in aller Ruhe mein Frühstück genießen, denn außer mir war nur noch ein älteres Ehepaar anwesend, welches ruhig seine Mahlzeit zu sich nahm. Es war etwas gewöhnungsbedürftig, gebackene Tomaten und Grützwurst am Morgen zu essen, doch an Porridge konnte ich mich noch aus meiner Kindheit erinnern, und mit Honig und Zimt war der Körnerbrei sogar schmackhaft. Bei meiner dritten Tasse Tee überlegte ich, was ich heute tun sollte. Fiona würde ihre Großmutter erst gegen Mittag besuchen. Sie hatte mich gefragt, ob ich nicht mitgehen wollte, doch ich hatte dankend abgelehnt, warum, wusste ich selbst nicht genau. Schlussendlich entschied ich mich dazu, den Vormittag mit einem Spaziergang am Fluss entlang zu verbringen, denn die Sonne schien, und das sollte ich wohl so lange wie möglich genießen.
Später würde ich irgendwo was Schönes essen, ein paar Souvenirs kaufen und somit meinen ersten Tag hier wie eine Touristin beginnen. Ich fand die Idee so gut, dass ich bereits zwanzig Minuten später mit meinem neuen Regencape bewaffnet die Treppe erneut herunterstieg. Als ich im Foyer ankam, war meine gute Laune wieder verschwunden. Ian Mackinnon blickte kurz auf, nickte beinah unmerklich und schaute sofort wieder zurück auf die Zeitung in seinen Händen. Ich ging ohne Gruß an ihm vorbei und war schon fast zur Haustür hinaus, als ich seine Stimme hinter mir vernahm: »Tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe und dann so unwirsch reagierte. Ich bin nach dem Aufwachen meistens unausstehlich.«
Ich blieb stehen, mit der Hand an der Türklinke, und sagte: »Wie? Nur dann?«, und ging, ohne auf Antwort zu warten, hinaus, schloss die Haustür hinter mir und hielt mein Gesicht in die Sonne.
Obwohl Inverness die Hauptstadt der Highlands war, war sie trotz allem eine ganz normale Kleinstadt. Es gab wenig Dinge, die diese von anderen Städten zu Hause unterschied. Es gab Eckkneipen und Kaufhäuser, Brunnen und einen Busbahnhof, und anstatt Bratwurst und Pommes gab es Fisch und Pommes.
Ich bummelte durch die Souvenirläden, amüsierte mich beim Anblick eines Herrenclubs, und gegen ein Uhr mittags stieg ich die Stufen zum Hotel wieder hoch und traf Fiona im Foyer an.
»Da bist du ja!«, sagte sie und kam auf mich zu.
»Hallo, Fiona!« Ich küsste sie auf die Wange und schnupperte an ihrem Haar. Sie roch nach etwas Herzhaftem, nach Braten und Zwiebeln, was bedeutete, dass sie den Vormittag in der Küche verbracht hatte.
»Hast du was Schönes gekauft?«, fragte sie.
»Hauptsächlich Whisky und Marmelade.«
»Oh! Warst du bei Granny M'Or? Sie hat Marmeladen in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen.«
Ich blickte auf meine Ausbeute. »Ich habe keine Ahnung, wo ich überall war.«
Fiona lachte und band sich das Küchentuch ab. »Ich mache mich nur schnell frisch - ich glaube, ich rieche furchtbar - und dann will ich auch schon los. Möchtest du wirklich nicht mitkommen? Meine Granny würde sich freuen.«
»Meinst du wirklich?«, fragte ich und biss mir auf die Unterlippe.
»Aber natürlich! Keine Widerrede! Bring deine Sachen hoch und nimm die Uhr mit! Vielleicht weiß Granny etwas darüber.«
Granny May MacIntyre war eine liebenswerte, uralte Dame, die oben in den Bergen über Loch Ness in einem dieser Cottages wohnte, die ich bei meiner Ankunft bereits entdeckt hatte. Der Blick von ihrem Garten aus war atemberaubend. Das Gelände fiel sanft ab, ging dann in eine Wiese und in dunklen Wald über, und unter uns, tief im Tal, lag der See. Ob der Schotte da unten wieder seine Rituale abhielt?
»Zeigen Sie mir mal die Uhr, mein Kind!«, forderte Granny May mich in ihrem seltsamen Dialekt auf, und ich holte die Savonette aus meiner Tasche. »Sie ist schon ziemlich alt, Mistres MacIntyre.«
»Oh, aye? Ich auch, meine Liebe. Ich auch.« Sie nahm mir die Uhr ab, setzte sich eine kleine, silberne Brille auf die Nase, ließ den Deckel der Uhr aufschnappen und betrachtete eine Weile das Ziffernblatt. Dann schloss sie sie wieder und hielt beim Anblick der Gravur auf dem Deckel inne. »Hm«, machte sie, öffnete die Uhr erneut und blickte dann zu den Fenstern hinaus. Ich warf Fiona einen Blick zu, doch die lächelte nur.
»Wie, sagten Sie noch, ist Ihr Name?«
»Äh, Grant«, antwortete ich.
»Elisa Grant.«
»Und Ihr verstorbener Vater?«
»Max Grant.«
Granny nickte, ließ die Uhr zuschnappen, drehte sich zu uns und legte die Savonette zurück in meine Hand. »Die Gravur hier vorn«, erklärte sie und fuhr mit ihrem Zeigefinger die Form des Buchstabens nach. »Das ist ein Wappen. Das Wappen der Grants of Balnacrán. Ein Distelzweig und ein B - Balnacrán.«
Ich hörte erstaunt zu. Fiona blickte von mir zu ihrer Großmutter. »Bist du dir sicher, Granny?«
»Aye. Ich denke schon.«
»Wollen Sie damit sagen, mein Vater hätte die Uhr gestohlen? «
»Nein, mein Kind. Das wollte ich damit nicht andeuten.«
»Und der Uhrmacher?«, fragte Fiona.
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Die wenigsten Menschen verfügen über das Wissen ihrer Herkunft, welche Charakterzüge ihre Ahnen hatten oder ob jemand ihrer Familie zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte an einem bestimmten Ort weilte - und ob ein Vorfahre Geheimnisse mit sich trug. Ich wusste all dies nun. Und dieses Wissen machte mir manchmal Angst. Vieles war geschehen in den letzten Monaten, und schlussendlich hatte es mich hierhergeführt. Ich stand auf einem der ältesten Teile der Burg, dem Zwinger, und blickte auf Loch Vendonan, dessen sanfte Wellen weit unter mir gegen den Fels rollten, und unter meiner rechten Hand fühlte ich den von der Sonne erwärmten Stein. Genau dort befand sich eine kleine Wölbung in der Wehrmauer, gerade eben so groß, dass meine Handinnenfläche darüber passte, und jeder meiner Finger ruhte in einer winzigen Vertiefung. Der Granit fühlte sich wie eine riesige Perle an - glatt poliert von tausend Händen im Laufe der Jahrhunderte. Viele hatten schon an diesem Ort gestanden und den Blick auf die Berge rund um Balnacrán und Loch Vendonan gerichtet. In der Galerie hing ein Gemälde meines Ururgroßvaters, und seine rechte Hand ruht ebendort, wo auch meine nun ruhte. Es war, als würde man jedem seiner Ahnen die Hand reichen. »Tja, Elisa! Nun stehst du hier«, sagte ich laut, und ein sanftes Echo folgte meinen Worten, als wollten sie mir zustimmen. Nicht, dass ich an Geister glaubte, nein, das war es nicht. Es war wie ein Gefühl. Immer wenn ich durch die Gänge wanderte, spürte ich, wie jemand mit mir ging. Meine linke Hand umklammerte Vaters Uhr - ihre Schläge pulsierten in meiner Handfläche.
Und wieder ein Abschied. Und dieser war nicht minder schwer als jener vor genau einem Jahr - als alles mit einem Abschied begann.
Für mich war es der dunkelste Tag in meinem Leben, obwohl der Himmel am frühen Morgen in Rosa getaucht war und die Sonne glühend heiß über den Dächern von Berlin aufstieg.
Es war ein warmer, goldener Herbsttag.
Der Tag, an dem ich meinen Vater zu Grabe trug.
Ich verbrachte jenen Morgen im Keller meines Elternhauses, inmitten Vaters Uhrensammlung, und war auf der Suche nach Bildern von ihm, als ich versehentlich sein Lieblingsstück, eine in die Jahre gekommene Porzellanuhr, von ihrem Bord stieß. Sie zerschellte zu meinen Füßen, und dort, inmitten all der Scherben, fand ich ein in Leinen gewickeltes Päckchen. Ich hob es auf und öffnete es.
Es war eine Savonette. Eine wunderschöne, silberne Taschenuhr. Ihr Räderwerk war stehen geblieben, doch ansonsten hatte sie keinen Schaden genommen. Sie schien mir sehr alt, doch all die Jahre gut versteckt und geschützt von dichtem Leinen, im Inneren einer Kaminuhr hatte die Zeit ihrem Glanz nichts anhaben können. Ich war mir schon damals sicher gewesen, dass Vater von dieser Uhr wusste. Wie viele Male hatte ich zugeschaut, wenn er die Uhren öffnete, sie Stück für Stück in Einzelteile zerlegte und dann wieder zusammensetzte.
Auf dem silberweißen Sprungdeckel der Savonette war ein Distelzweig eingeprägt, der sich um ein verschnörkeltes »B« schlang, und beim Öffnen der Uhr fand ich ein elfenbeinernes Ziffernblatt vor wie eine Kamee, die das Relief einer Berglandschaft enthüllte, dazu römische Ziffern und ein Stundenzeiger in der Form eines ziselierten Schwertes. Es war die Arbeit eines Meisters, und ein Blick auf den Zwischendeckel hatte seinen Namen offenbart: Mackinnon.
Mackinnon - Inverness - Neunzehnhundertvierzehn.
Der Meister war längst tot.
Das Metall wurde warm in meiner Hand. Ich blickte hoch in den Himmel. Ein Steinadler zog, getragen nur vom Wind, über Balnacrán hinweg, und sein Ruf hallte durch das Tal. Irgendwo in meiner Nähe segelte eine Möwe an den Burgmauern vorbei. Ich konnte sie lachen hören. Hinter mir vernahm ich die leisen Stimmen von Fiona und Maggie Bertram, und ich blickte auf jene Uhr hinunter und fragte mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, hätte ich sie niemals gefunden. Dies war das Land meines Vaters, hätte ich es jemals gesehen? Mein Vater war hier in Schottland geboren, so viel wusste ich damals, und er war mit meiner Mutter Annemarie nach Deutschland gegangen, um dort mit ihr zu leben. Nicht mehr und nicht weniger. Er hatte alles verschwiegen. Alles.
Der schottische Wind frischte auf und blies mir ein paar Strähnen meines Haares ins kalte Gesicht. Wieder war es Herbst, und wieder musste ich Abschied nehmen. Die Sonne am Horizont war kurz davor unterzugehen, glitzerte noch in den Wellen des Fjords. Ich blickte über Loch Vendonan hinaus aufs offene Meer. Ein kleines Boot zog von dort durch die Wellen und hielt geradewegs auf die Burg zu.
Ich erkannte es sofort.
»Was willst du denn jetzt noch hier?«, seufzte ich und hörte zu meinem eigenen Unmut die Sehnsucht deutlich heraus.
Ich schloss die Augen, verdrängte ihn aus meinem Kopf und blickte in Gedanken zurück. Hatte ich eine andere Wahl gehabt? Damals, an jenem Tag im Frühling, an dem ein Brief aus Schottland in der Post lag. Es war ein schlichtes Kondolenzschreiben von einem George Mackinnon, jedoch ohne Absender. Mackinnon - derselbe Name wie der auf dem Innendeckel der Savonette. Gab es da eine Verbindung? Tagelang hatte ich darüber nachgedacht. War es wirklich nur ein Zufall? Und wer war dieser George Mackinnon, von dem mein Vater doch nie gesprochen hatte? Woher kannte er ihn und was wusste er über ihn? Ich hatte Fragen über Fragen.
Es war wie ein Zeichen ... in jenem Moment, wo ich mich dazu entschied, nach Schottland zu fahren, setzte das Schlagwerk der Uhr wie von Zauberhand wieder ein. Und so machte ich mich ein paar Wochen danach auf den Weg in ein Land, welches ich bis dahin nur aus Vaters Erzählungen kannte. Vielleicht, so hoffte ich damals, würde ich etwas finden. Eine Antwort auf alle meine Fragen. Es war eine kleine Hoffnung, sie bedeutete mir viel, doch was ich fand - war viel mehr als eine Antwort.
Ich fand die Liebe - wenn auch nur für kurze Zeit.
Das blau-weiße Boot hielt am Steg an, er kletterte über den Bug, band es am Poller fest und sah dann zu mir hoch. Für einen kurzen Moment hielt ich inne und schaute dann doch weg, sah auf die Landschaft, die wie ein Gemälde vor mir lag und die jenem Relief auf dem Ziffernblatt der Uhr bis auf den letzten Berggipfel glich. Würde ich den Highlands nun wieder den Rücken kehren? Brachte ich es wirklich übers Herz, diese stummen Wächter, die sich in mein Herz und in meine Seele geschlichen hatten, zu verlassen? Die Uhr hatte mich hierhergeführt.
Ich blickte wieder hinunter auf den Steg.
Nur das kleine Boot taumelte sanft in den Wellen.
Ich hob die Hand, in der Vaters Uhr lag, ich spürte ihr Ticken - und ich holte weit aus ...
1
Inverness, Schottland
Vier Monate zuvor
Ich dachte eigentlich, ich würde auf riesige, graue Bergmassive blicken und auf Seen, meinetwegen auch auf grüne Hügel, doch alles, was hin und wieder zwischen den Wolken auftauchte, war braun und nicht mal besonders bergig.
Ich lehnte mich etwas mehr zum Fenster, um einen besseren Blick nach unten zu bekommen, als auch schon die nächste Windböe den winzigen Inlandsflieger erfasste, der mich von Edinburgh aus in die Hauptstadt der Highlands - nach Inverness bringen wollte und dabei anscheinend seine besten Zeiten längst hinter sich hatte. Die zierlichen Tragflächen schaukelten gefährlich, der Getränkewagen klirrte laut, die Stewardess schwankte wie betrunken, und ich krallte mich wieder am Sitz fest, als könne allein er mich vor dem sicheren Tod bewahren. Ich mochte das Fliegen an sich noch nie, fand aber die glänzende Boeing 767 und den gut aussehenden, älteren Piloten, welche ich in Berlin Tegel angetroffen hatte und die mich erst einmal nach Edinburgh bringen sollten, vertrauenerweckend - doch das hier war eindeutig zu viel. Von dem Moment an, wo die Maschine von der Startbahn in Edinburgh abgehoben hatte und mich das erste Mal durchschüttelte, wusste ich wieder, warum ich eine Abneigung dagegen hatte. Angst kam auf.
»Ladies and Gentlemen! Bitte stellen Sie die Sitze in eine gerade Position und schnallen Sie sich an! Wir werden in wenigen Minuten in Inverness landen.«
»Oh ja, bitte!«, murmelte ich und ließ die Armlehne bis zu dem Augenblick, wo die Maschine auf dem Rollfeld des kleinen Flughafens landete, anhielt und die Stewardess schließlich den Ausstieg öffnete, nicht mehr los.
Der Anblick Schottlands, der sich mir am Boden bot, war nicht weniger ernüchternd als der Blick von oben, und als ich mein Gepäck schlussendlich aus dem Flughafengebäude schob, fühlte ich mich etwas an leer stehende Gewerbegebiete in Ostberlin erinnert. Und es war kalt. Verflucht kalt.
Auf der anderen Straßenseite stand ein Van, auf dem in großen Lettern Europcar zu lesen war, und den steuerte ich nun an. »Hallo!«, grüßte ich und reichte dem älteren Herrn, der sich aus der Seitentür lehnte und sich an die Kappe tippte, meine Unterlagen. Er warf einen kurzen Blick darauf und redete dann auf mich ein.
Großer Gott! Mein Englisch war eigentlich sehr gut, doch was war das? Ich stand da und starrte ihn an. Der Mann wartete scheinbar auf eine Antwort, dann schaute er stirnrunzelnd zurück auf meine Papiere, und plötzlich hellte sich sein Blick auf. »German!«, lachte er und fügte meinen Namen nun gut verständlich hinzu. »Not Grant, Elisa Grant.«
Er hob meine Koffer auf die Ladefläche und reichte mir die Hand. »Kommen Sie!«, rief er, und ich atmete erleichtert auf.
Mein Mietwagen entpuppte sich als kleiner, blauer Toyota, und beim Anblick des Lenkrades hörte ich Mutters gut gemeinte Worte: »Leg so oft wie möglich die Linke auf die Gangschaltung, sonst greifst du mit der Rechten laufend ins Leere und krieg keinen Schreck; am Anfang sieht der gesamte Gegenverkehr so aus, als kämen dir nichts als Geisterfahrer entgegen.«
Eine Stunde später hatte ich mich verfahren. An welcher Stelle ich falsch abgebogen war, konnte ich zwar nicht mehr nachvollziehen, doch ich wusste genau, dass es eine Tatsache war. Auf dem nächsten Schild stand nämlich Urquhart Castle, und laut meiner Karte lag dies westlich von Inverness, was bedeutete, dass ich gerade dabei war, den Loch Ness zu umrunden. Na wunderbar! ... Vielleicht können Sie sogar, wenn Sie Glück haben, einen Blick auf unser liebstes Ungeheuer werfen ... Nessi, ja klar, dachte ich und blieb mit dem Wagen an einer Kreuzung stehen. Rechts ging es endlich nach Inverness und links nach Fort William. »Also rechts«, sagte ich und bog ein. Vielleicht hätte ich ja doch einem Navigationssystem Vertrauen schenken sollen, doch die Geschichten über Menschen, die plötzlich am Ufer eines Sees landeten, standen mir noch im Gedächtnis. »Na Elisa!«, sagte ich laut und blickte mich um. »Jetzt wirst du wahrscheinlich trotzdem an einem See landen.« Eines musste ich jedoch nun zugeben; es war wirklich idyllisch hier. Die Straße wurde an beiden Seiten von moosüberwucherten, halbhohen Steinmauern gesäumt, und dahinter bot sich mir ein Blick auf Felder, Bäume, Wiesen, hin und wieder auf ein etwas abseits gelegenes Cottage mit diesen unverwechselbaren Schornsteinen auf dem Dach und auf Berge - zwar nicht besonders steil, aber immerhin waren es Berge. Nach einer Weile blitzte es bläulich durch die meterhohen Büsche am Straßenrand, und dann - wie aus dem Nichts - tauchte plötzlich Loch Ness vor mir auf, und ich hielt überrascht den Atem an. Was für ein tiefes, leuchtendes Blau! Und das, obwohl der Himmel über mir teilweise bedeckt war und es auch schon ein paarmal geregnet hatte. »Okay«, murmelte ich. »Das ist wirklich beeindruckend.« Die Straße führte nun fast direkt am Ufer des Sees entlang, und ich musste mich oftmals zwingen, mehr auf die Straße und den entgegenkommenden Verkehr zu achten als auf die Landschaft.
Ein Stück weiter vor mir, auf dem Wasser ganz in der Nähe des Ufers, schaukelte ein Boot in der Dünung. Ich entschied mich spontan für einen Zwischenstopp und fuhr ein paar Meter weiter rechts in eine Parkbucht. Beim Aussteigen warf ich noch einmal einen Blick auf das Boot und sah, wie ein halbnackter Mann aufrecht darin stand.
Ich duckte mich, schlug mich durch das Gestrüpp und versteckte mich dann hinter einem Findling, an dem ich rechts vorbeischauen konnte. Der Mann stand mit beiden Beinen auf dem Rand des Ruderbootes und hatte die Arme seitwärts ausgerichtet. Neugierig schlich ich mich noch näher heran. Was zum Teufel tat er da - und wozu? Auf einmal schoss ein schwarzes Ungetüm aus dem Wasser, und ich schrie auf. Unmittelbar danach vernahm ich ein Wort, welches sich in meinen Ohren nach einem kräftigen Fluch anhörte, und beinah gleichzeitig hörte ich ein lautes Platschen. Ich wagte erst gar nicht hinzuschauen, doch da hörte ich das Gebell eines Hundes. Nessi war nur ein Neufundländer. Er hockte in dem kleinen Boot, bellte, und sein Schwanz wedelte vor Aufregung hin und her. Im Wasser davor tauchte der Kopf des Mannes auf, und seine Augen starrten mich wutentbrannt an. Mein erster Gedanke war Flucht, den ich sofort in die Tat umsetzte. Ich machte kehrt, rannte los und blieb an irgendetwas hängen, stolperte und lag schlussendlich am Boden. Schlimmer konnte es nicht mehr werden, dachte ich und machte kurz die Augen zu. Die Geräusche in meinem Rücken sagten mir, dass jemand das Ufer erklomm, und als ich einen Moment später den Schatten eines Mannes über mir aufragen sah, drehte ich mich im Liegen um.
Er wirkte wie eine Erscheinung aus Braveheart. Breitbeinig stand er vor mir, seine nassen Jeans klebten an den langen, muskulösen Beinen, und von seinem dunklen Haar tropfte das Wasser auf meine Schuhe. Neben ihm saß sein Hund - ebenfalls pudelnass - und schnupperte an meinem Hosenbein. Erfreulicherweise gab er das schnell auf, und ich schaute zu dem Schotten hoch - denn dass das ein echt schottisches Mannsbild war, war wohl klar.
Ich schluckte. Seine Miene ließ zwar keinen Zweifel daran, dass er ein wenig wütend war, obwohl ich glaubte, in seinem rechten Mundwinkel ein kleines Lächeln zu sehen, aber - Himmel! - was für blaue Augen.
»Machen Sie das öfter?«, wollte er wissen.
»Was denn?«
»Spannen.«
Für einen Augenblick glaubte ich, mich verhört zu haben, doch dann schnappte ich nach Luft. »Ich - ich habe nicht - Wie können Sie so etwas - also wirklich!«
Ich verkniff mir jedes weitere Wort, stand auf und stapfte zurück zum Wagen. »Hey!«, rief er mir nach. »Eine Entschuldigung wäre doch wohl das Mindeste. Sehen Sie sich den Schaden an!«
»Das werde ich ganz sicher nicht tun«, knurrte ich leise und tat es dann doch. Blöde Idee!
»Eine Entschuldigung?«, fragte ich. »Für was soll ich mich denn bitte entschuldigen?«
»Ich bin klatschnass!«
»Und Sie haben mich gerade eine Spannerin genannt!«, fauchte ich zurück. »Und das nur, weil ich dachte, weil ich -«
»Sie dachten doch nicht wirklich, dass ich in Gefahr wäre, oder? So dumm sehen Sie gar nicht aus.«
Der enervierte Ausdruck war jetzt völlig aus seinem Gesicht gewichen und stattdessen lachte er nun.
»Wagen Sie es ja nicht, sich über mich lustig zu machen!«, schimpfte ich. »Das kann ich nämlich gar nicht vertragen. Was haben Sie da überhaupt gemacht?« Hektisch wies ich mit meiner Hand auf den See und auf das Boot, das nun am Ufer lag. Er drehte sich kurz um und meinte: »Das war so was wie ein Ritual.«
»Ein Ritual«, wiederholte ich. »Wofür?«
»Das würden Sie nicht verstehen.«
»Ach nein?«
»Nein.«
»Woher wollen Sie denn das wissen?«
»Stellen Sie immer so viele Fragen?«
»Nein!«, sagte ich. »Eigentlich nicht. Nur, wenn mir ein arroganter, unhöflicher, ungehobelter und anscheinend völlig verrückter Schotte über den Weg läuft, dann stelle ich hin und wieder dessen Verstand in Frage. Guten Tag!«
Damit machte ich kehrt, setzte mich in meinen Wagen, startete den Motor und fuhr davon.
Etwa eineinhalb Stunden später, nachdem ich mich noch einoder zweimal verfahren und den Schotten laut verflucht hatte, war meine Wut zwar etwas verflogen, doch ich hatte genug Schottland für den ersten Tag und zog nun, wo ich endlich einen Langzeit-Parkplatz ergattert hatte, meine Koffer zu Fuß die Huntly Street in Inverness hinter mir her.
Das Hotel, welches mein Cousin André mir als Geheimtipp empfohlen hatte, lag unmittelbar an einer der Uferstraßen des Flusses Ness.
Es war ein dreistöckiges und recht unscheinbares Backsteingemäuer mit fünf breiten, ausgetretenen Stufen und einem schwarzen, schnörkeligen Geländer zur rechten Seite. Ich trug jeden meiner Koffer einzeln die Treppe hoch und schob dann die schwere Eichentür auf.
Ein Duft von alten Möbeln, Politur und Bohnerwachs drang in meine Nase. Der Raum war dezent beleuchtet und durchzogen von dunklem Holz, messingglänzenden Türknäufen und ebensolchen Lampen an den Wänden. Genau gegenüber der Eingangstür hing ein riesiges Gemälde und zeigte eine typisch schottische Landschaft - Berge und einen See. Doch was mir daran besonders gefiel, war die Farbgebung; es war alles in violetten Tönen gehalten, selbst der See leuchtete in einem Fliederton.
»Das ist Loch Carron!«, sagte eine helle, freundliche Stimme, und ich drehte mich um.
»Die Landschaft auf dem Bild, meine ich«, präzisierte die Frau hinter dem Tresen. Sie war etwa in meinem Alter, hatte schwarze Locken zum Zopf gebunden, und ihre blauen Augen blickten mich aufmerksam an. Sie lächelte. »Hallo! Willkommen im MacIntyre's! Haben Sie reserviert?«
»Oh! Ähm ... ja, habe ich.« Ich zog meine Koffer hinter mir her zum Tresen hinüber und holte tief Luft. Ich war endlich angekommen. Das Hotel schien sauber und gepflegt, und die Frau am Empfang hatte ein so offenes, sympathisches Gesicht, dass ich mich tatsächlich willkommen fühlte. »Grant ist mein Name - Elisa Grant.« Die Frau blickte in ein großes Buch, blätterte ein paar Seiten zurück und wieder vor und erneut zurück, und ich hatte schon Angst, dass meine Reservierung vielleicht doch nicht angekommen war, als sie endlich sagte: »Da sind Sie ja! Zimmer B-Sechs; das ist im zweiten Obergeschoss - mit Aussicht auf den Ness. Den Gang hier links hinunter bis zum Ende.« Sie wies mit ihrer Hand in einen schmaleren Flur. »Und dann rechts die Treppe hin-« Auf einmal hielt sie inne und musterte mich von oben bis unten, bemerkte die Grasflecken auf meiner Hose und auf der Jacke, die Schramme auf meinem Handrücken und meine regennassen Haare. »Sie sehen ziemlich erschöpft aus.«
»Fahrstuhl?«, fragte ich mit einem Kopfnicken.
Ihr Lächeln war voller Verständnis. »Sean?«, rief sie, und von irgendwoher kam eine tiefe Stimme: »Aye?«, und im nächsten Moment schaute der Kopf eines großen, dunkelhaarigen Mannes aus einer Tür im hinteren Bereich des Tresens hervor.
»Würdest du bitte die Koffer von Miss Grant in Zimmer B-Sechs tragen? Und sag Jenny Bescheid; sie soll einen kleinen Imbiss zusammenstellen, einen ordentlichen Grog bereiten und ihn im Kaminzimmer servieren!«
»Aye. Jen!«, brüllte Sean los und ließ die Tür wieder zufallen.
»Wo bin ich?«, fragte ich, angetan von ihrer Fürsorge, doch sie winkte nur ab, lachte herzlich und kam dann um den Tresen herum. »Kommen Sie! Das Kaminzimmer ist gleich hier vorn. Dort können Sie sich erst mal etwas erholen. Sie kommen aus Deutschland?«
»Ja, aus Berlin.«
»Wie lange sind Sie denn jetzt schon unterwegs?« Sie führte mich durch eine Doppeltür und wies mit ihrer linken Hand in einen der behaglichsten Räume, die ich je gesehen hatte. Ein riesiger Kamin befand sich an der Kopfseite, davor standen rostrote, knautschige Sessel mit dazu passenden Fußbänken und Tischchen, an den cremefarbenen Wänden hingen unzählige Gemälde und Fotos, und daneben standen Regale mit Büchern.
»Miss Grant?«
»Was? Oh, seit -« Ich schaute auf eine große, hölzerne Standuhr, die sechs Uhr abends zeigte, und rechnete die Stunden zusammen, die hinter mir lagen, seit ich in Berlin den Flieger bestiegen hatte. »Zwölf Stunden, in etwa - inklusive Höllenflug, mehrmaliges Verfahren und Fußmarsch im Regen.«
»Oje! Na, dann setzen Sie sich erst einmal und ruhen sich ein Weilchen aus!«
»Dieser Raum ist bezaubernd!«, sagte ich.
»Danke!« Sie schmunzelte. »Ich bin Fiona MacIntyre. Mir gehört dieses Hotel. Machen Sie es sich bequem, ja? Jenny kommt sofort.«
Ich ließ mich in einen der Sessel sinken, und mein erster Impuls war der: nie wieder aufzustehen. »Danke!«, sagte ich aus tiefstem Herzen.
Eine Stunde behaglichen Schweigens, ein Schinken-Gurken-Sandwich und einen heißen Grog später fühlte ich mich fast wie neugeboren. Ich überlegte gerade, was ich am nächsten Tag als Erstes tun sollte, als Fiona MacIntyre ihren Kopf durch die Doppeltür steckte. »Ich bin wach«, sagte ich und lächelte. »Und ich fühle mich großartig. Danke noch mal!«
»Ach, nicht dafür«, erwiderte sie und kam näher. »Kann ich noch etwas für Sie tun?«
»Sie haben schon mehr getan als üblich, denke ich.«
»Oh! Sie kennen die schottische Gastfreundschaft noch nicht, Miss Grant. Sind Sie zum ersten Mal in den Highlands?« »Ja, zum ersten Mal in Großbritannien.«
»Tatsächlich? Ich dachte, weil Ihr Name -«
»Mein Vater kam aus Schottland.«
»Aah!« Sie setzte sich mir gegenüber und nickte. »Dann sind Sie wohl hier, um Ahnenforschung zu betreiben?«
Ich musste schmunzeln. »Ja, so ähnlich. Woher wussten Sie?«
Sie lehnte sich zurück und lachte. »Sie glauben gar nicht, wie viele Hobbygenealogen die Highlands besuchen. Jedes Jahr kommen neue, doch selten aus Deutschland. Meistenteils sind es Amerikaner. Und was führt Sie als Erstes nach Inverness?«
»Eine Uhr, um ehrlich zu sein.«
»Eine Uhr?«, hakte sie nach, und ich nickte. »Ja, es war die Uhr meines Vaters. Er hatte sie all die Jahre vor uns versteckt, und nur durch einen Zufall habe ich sie gefunden.«
»Ihr Vater ist verstorben?«, fragte sie leise, und auf Anhieb vermutete ich, dass es ihr ähnlich erging wie mir. »Ja, letzten Herbst«, sagte ich.
»Hm, das tut mir leid. Es ist schwer, ich weiß - bei mir ist es jetzt zwei Jahre her. Meinem Vater gehörte dieses Hotel. Ich studierte zu der Zeit noch klassische Komposition in Glasgow. Und - na ja, nun bin ich hier.«
»Sie haben Ihr Studium einfach aufgegeben?«, fragte ich überrascht. Sie tat eine Geste, als ob die Entscheidung, ein Hotel zu führen, anstatt auf Konzertreisen zu gehen, leicht gewesen war, was sicherlich nicht der Fall war.
»Bereust du's manchmal?«, wollte ich wissen und ging, ohne darüber nachzudenken, zum Du über. Fiona lächelte mich an. »Hin und wieder«, gab sie zu. »Doch dann - auch wieder nicht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Vielleicht schaffe ich es ja doch einmal auf die Bühne der Royal Albert Hall, aber ich glaube nicht.«
»Sag niemals nie!«, meinte ich und lächelte zurück.
Fiona nickte, blickte kurz zu der Standuhr hinüber und erhob sich. »Um acht Uhr gibt es Abendessen. Du möchtest bestimmt vorher noch in dein Zimmer. Komm! Ich bringe dich hinauf.«
»Grant?« Die Stimme meiner Mutter klang ganz nah, und ich hörte die Unruhe heraus.
»Mum? Ich bin's! Ich bin angekommen.« Das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, war ich eben dabei, meine letzten Sachen in den großen Schrank zu hängen und die Tür zu schließen.
»Lieschen!«, rief sie aus. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Warum hast du nicht angerufen?«
»Tue ich doch gerade.« Ich nahm das Telefon in die rechte Hand und setzte mich auf den Stuhl am Schreibtisch. »Ich hatte mich total verfahren. Doch jetzt bin ich hier, und das Hotel ist wirklich klasse. Ach ja, sag André lieben Dank für den Tipp, ja?«
»Ja, das mache ich. Und? Wie ist es sonst?«
»Kalt ist es, Mum. Furchtbar kalt.«
»Du bist eine Frostbeule, mein Schatz. Zieh dir halt eine Jacke über. Hast du das Regencape auch eingepackt?«
»Ja, Mum. Ich habe alles, was ich brauche. Ich melde mich Ende der Woche noch mal, ja? Ich will jetzt runter zum Essen.«
»In Ordnung, Liebling. Und sei vorsichtig!«
»Wobei?«, fragte ich überrascht.
»Die schottischen Männer sind alle Herzensbrecher.«
»Mum!«, rief ich entrüstet und lachte. »Du musst nicht von dir auf andere schließen. Nur weil du dich in einen Schotten verliebt hast, muss es mir nicht auch so gehen.« Ich dachte kurz an die Begegnung mit dem Schotten und hoffte, dass ich nicht bereits auf dem besten Wege war, meine eigene Theorie zu widerlegen.
»Wie du meinst, Lieschen«, meinte Mum mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.
»Ja, genau!«, gab ich zurück. »Mach's gut. Ich hab dich lieb!«
»Ich dich auch! Tschüss!«
»Tschüss!«
Auf dem Weg hinunter zum Essen dachte ich das erste Mal seit Vaters Tod, dass Mum mit ihren zweiundfünfzig Jahren eigentlich noch viel zu jung war, um eine alleinstehende Frau zu sein, und gleichzeitig schämte ich mich für den Gedanken. Und doch - was wäre, wenn sie sich noch einmal verlieben würde? Diesen Gedanken verfolgte ich noch bis in den Speisesaal hinein, doch dann stand ich plötzlich erstarrt mitten im Raum. An einem Tisch in der Ecke saß der Schotte, den ich getroffen hatte, und Fiona stand daneben und unterhielt sich angeregt mit ihm, während sie einen Whisky einschenkte. Ich blickte zu Boden und schaute erst wieder auf, als Jennys sommersprossiges Gesicht vor mir auftauchte und ihre großen, grauen Augen fragend zu mir hochschauten. »Alles in Ordnung, Miss Grant? - Wo möchten Sie sitzen?« Ich zeigte wortlos mit dem Kopf auf einen Tisch so weit wie möglich von dem Schotten entfernt, und Jenny runzelte die Brauen, doch dann nickte sie. »Ja! Bitte schön! Möchten Sie Wein zum Essen?«
Ich nickte, schlich hinter der winzigen Jenny her bis an meinen Tisch und setzte mich mit dem Rücken zu ihm. »Nein danke, Fiona«, hörte ich ihn sagen. »Das ist wirklich nicht nötig. Sean kann mir doch auch helfen.«
»Na gut«, entgegnete Fiona. »Aber dann müssen Sie mir gestatten, Ihnen ein Lunchpaket mitzugeben. Ansonsten lasse ich Sie nicht ziehen.«
»In Ordnung, Fiona.« Er lachte auf. »Ich gebe mich geschlagen. «
»Elisa!«, rief Fiona kurz darauf, und ich konnte ihre Schuhe auf den Dielen hören. Ich hob den Kopf, drehte ihn ein wenig zur Seite und blickte plötzlich in einen Spiegel, den ich vorher nicht entdeckt hatte, und aus diesem schauten mich die blauen Augen des Schotten an. »Was sitzt du denn hier in der Ecke?«, fragte Fiona. »Ich hatte dir den Tisch am Fenster zugedacht.« Zu meiner Erleichterung stellte sie sich so hin, dass sie den Spiegel nun verdeckte. Hinter mir hörte ich ein vernehmliches Räuspern und dann das Klappern von Besteck.
Blöder Schotte!
»Elisa? Alles in Ordnung?«
»Hm, hm«, bejahte ich und lächelte möglichst sorglos, was mir wohl nicht gelang, denn Fiona setzte sich und schaute mir fragend ins Gesicht. Ich blickte über ihre Schulter in den Spiegel, sah nun jedoch nur einen dunkelblonden Haaransatz und wohl geformte Augenbrauen. Dann versuchte ich ihr wortlos mitzuteilen, dass ich nur zu gern wüsste, was der Schotte ausgerechnet in ihrem Hotel zu suchen hatte. Sie blickte hinüber zu ihm, dann wieder zu mir zurück, und schließlich runzelte sie die Stirn.
»Ich hätte gern die Suppe und dann den Lachs«, sagte ich betont lässig und versuchte, die Geräusche hinter mir zu ignorieren.
»Suppe und Lachs, soso.«
»Ja, bitte.«
»Kommt sofort«, meinte sie und hatte dabei Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen. Mit hochgezogener Augenbraue erhob sie sich von dem Stuhl und ging hinaus.
Welche nachtragenden, schottischen Geister waren dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass ich mich ausgerechnet in demselben Raum wiederfand wie der Schotte?
Ein paar Minuten später, nachdem mir das Muster der Tischdecke vor den Augen verschwamm, hörte ich, wie jemand aufstand, und einen Atemzug später vernahm ich seine dunkle Stimme an meinem Ohr. »Genießen Sie Ihr Essen, Miss! Ach - und übrigens; Zimmer B-Sieben. Nur für den Fall.«
Und dann war er fort. Ich atmete ein und merkte, dass der Duft seines Rasierwassers noch in der Luft hing.
»Gute Nacht, Fiona!«, hörte ich ihn gutgelaunt im Foyer rufen. »Ebenso!«, rief sie zurück und tauchte mit meiner Suppe in der rechten Hand an der Tür auf. In der anderen hielt sie ein Glas, stellte es vor mich hin, und der Geruch von Whisky stieg auf. »Hier!«, sagte sie. »Ich glaub, den kannst du jetzt brauchen.«
Ich nahm das Glas und leerte es in einem Zug.
»Danke!«, keuchte ich, holte tief Luft und hob den Kopf. Fiona saß neben mir und musterte mich. Ganz kurz kam mir der erschreckende Gedanke, der Schotte könne womöglich ihr Bruder sein, doch dann fiel mir auf, dass ihre blauen Augen eine völlig andere Form hatten, und auch der Rest des Gesichtes zeigte keinerlei Ähnlichkeiten.
»Woher kennst du ihn?«, fragte sie.
»Wen?«
»Ian Mackinnon.«
»Mackinnon?«
»Ja, Ian Mackinnon. Der Mann eben. Ich hatte zumindest den Eindruck, ihr würdet euch kennen.«
»Oh nein. Kennen ist zu viel gesagt. Ich - ich ... Sag mal, gibt es viele Mackinnons in Inverness?«
Fiona runzelte die Stirn. »Ja, aber Ian kommt nicht von hier.«
»Oh!«, meinte ich und griff zum Löffel. »Na, dann ist es was anderes.« Die Kräutersuppe roch köstlich, und mir lief das Wasser im Mund zusammen.
»Er gefällt dir«, stellte Fiona mit einem Lächeln fest.
»Was? Nein!«, sprudelte ich hervor. »Ganz und gar nicht. Ich war nur so - überrascht.«
»Kaum zwölf Stunden hier und schon ein echter Grant.«
»Was meinst du denn damit?«
»Ach nichts. Iss du nur deine Suppe! Der Lachs kommt auch gleich.«
Ich konnte genau hören, dass sie lachte, als sie hinausging.
2
Nach dem Dinner setzte ich mich in das Kaminzimmer, unterhielt mich eine halbe Stunde lang angeregt mit einem frischgebackenen Ehepaar aus Köln, das hier ihre Flitterwochen verbrachte, und blieb auch noch, als die beiden schließlich auf ihr Zimmer gingen. Um halb zwölf saß ich noch immer dort. Auf Zehenspitzen hatte ich mir Vaters Uhr, die Lupe und die Unterlagen aus meinem Zimmer geholt und es mir in den Sesseln am Feuer gemütlich gemacht. Aus einem Lautsprecher tönte die sanfte Stimme von Jim Kerr, und der Regen trommelte gegen die Fensterscheiben. Es war alles friedlich, bis auf den lästigen Gedanken, dass, wenn ich in meinem Bett lag, zwischen mir und dem Schotten nur eine dünne Wand war.
»Oh! Hier bist du.«
Ich drehte mich um und sah Fiona in der Tür stehen.
»Hallo! Ja, ich - bin noch nicht müde.«
»Führst du Selbstgespräche? Ich hab dich reden gehört.«
»Ja, na ja, manchmal. Du etwa nicht?«
»Doch, laufend. Was machst du da?«, fragte sie und beugte sich über den Tisch. »Ist das die Uhr, von der du erzählt hast?«
»Ja.« Ich reichte sie ihr hoch und lehnte mich im Sessel zurück. »Deshalb habe ich vorhin nach Mackinnon gefragt. Das ist der Name des Uhrmachers. Warte, ich zeige es dir.« Ich nahm ihr die Uhr wieder aus der Hand, holte meine kleine Ahle hervor, öffnete die hintere Abdeckung und gab sie ihr zurück.
»Mackinnon - Inverness«, murmelte sie. »Hm, warte. Ich hatte doch mal -« Sie legte die Uhr vorsichtig auf den Tisch, drehte sich um, ging mit gerunzelter Stirn auf eines der Bücherregale zu und zog schließlich einen Bildband heraus. »Hier sind alte Fotos von Inverness«, sagte sie. »Wenn ich mich nicht irre, befand sich damals ein Uhrmacher am Ende der High Street.« Sie blätterte das Buch durch und hielt an einer Seite inne. »Ja, genau. Schau hier! Da ist es.« Sie legte mir das Buch in den Schoß, beugte sich über meine Schulter und tippte mit ihrem Finger auf ein ganzseitiges Foto. Es war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme - eine Straßenszene aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts, im Hintergrund befand sich ein Kiltmaker-Geschäft und rechts daneben über einer breiten Tür stand Mackinnon & Son - watchmaker. Fiona nahm die Uhr vom Tisch, setzte sich in den Sessel mir gegenüber und betrachtete das Ziffernblatt. Irgendetwas in ihrem Gesicht brachte mich auf die Frage: »Was? - Was ist?«
Sie blickte auf und lächelte. »Verzeih meinen Einwand! Aber findest du nicht, dass allein diese Uhr etwas wenig ist? Ich meine, dein Vater kann sie ja überall herhaben.«
»Oh! Ja, nein. Ich meine, es ist nicht nur die Uhr.« Ich legte das Buch auf den Tisch, suchte in meinen Papieren nach dem Beileidsbrief und reichte ihn ihr. »Ja und?«, fragte sie, nachdem sie einen Blick darauf geworfen hatte.
»Das ist ein Kondolenzschreiben, wie du siehst. Es kam aber erst fünf Monate nach der Beerdigung bei uns an, ohne Absender, dafür mit einem Stempel von hier.« Ich zeigte Fiona das Kuvert und wies auf den Poststempel. »Doch soviel wir, also meine Mutter und ich, wissen«, erklärte ich ihr weiter, »hatte mein Vater keine Bekannten oder Verwandten mehr in Schottland, zumindest keine, mit denen er in Kontakt stand. Doch sieh dir den Namen an!«
»Du glaubst, da gibt es eine Verbindung?«
»Ich hoffe es zumindest.«
Fiona nickte. »Hey! Ich kann morgen mal meine Großmutter nach dem Uhrmacher fragen, wenn du möchtest.«
»Das wäre lieb! Danke!«
»Kein Problem«, sagte sie und schmunzelte auf einmal. »Was war denn nun mit Ian Mackinnon?«
»Du gibst nicht auf, oder?«
»Ich bin seit vier Jahren liiert, Elisa. Mit einem Mann, der drei Viertel eines Jahres durch die Welt reist. Bitte verzeih mir, wenn ich mich an den Neckereien anderer Menschen erfreue!«
»Neckereien! Dass ich nicht lache.«
Doch dann sah ich die Neugier in ihrem Gesicht, seufzte und erzählte ihr schließlich von dem Vorfall am See.
Als ich später die Treppen hinaufstieg, hatte ich immer noch ihr Gelächter im Ohr. Im zweiten Korridor blieb ich kurz an seiner Tür stehen und lauschte. Kein Ton drang durch.
Der Schotte schien einen gesegneten Schlaf zu haben. Ich wollte nur hoffen, dass dieser mir ebenfalls vergönnt war.
So war es zu Beginn auch, doch gegen Morgen schreckte ich, von einem fürchterlichen Geschrei geweckt, aus einem tiefen Traum und erkannte dann, dass es von dem Schotten im Nebenzimmer kam. Gleich darauf polterte es, als wäre etwas Schweres umgefallen, und sein Hund bellte. Ich sprang aus dem Bett, riss meine Tür auf, lief hinüber zu seinem Zimmer und hämmerte gegen das Holz. »Mister Mackinnon! Ist alles in Ordnung? Hallo?«
Zuerst kam keine Antwort, doch dann - »Aye! Gehen Sie weg! Ist schon gut, Jack!«
»Sind Sie sicher? Soll ich nicht vielleicht doch jemanden holen?«
»Nein, zum Teufel! Gehen Sie wieder! Ich bin in Ordnung, Herrgott!«
»Wie freundlich!«, rief ich und trat einen Schritt zurück. »Gute Nacht dann!« Ich drehte mich um, warf der Frau, die im Bademantel auf ihrer Türschwelle stand und ihren Kragen hochgeschlagen hatte, einen entnervten Blick zu, ging zurück in mein Zimmer und stieß die Tür mit dem Fuß hinter mir zu.
Als ich am darauffolgenden Morgen zum Frühstück hinunterging, hatte ich nur einen Gedanken: Bitte, lieber Gott! Verschone mich! Verschone mich vor diesem Mann!
Entweder wurde mein Gebet erhört, oder es waren andere Mächte am Werk, wie dem auch sei - ich konnte zumindest in aller Ruhe mein Frühstück genießen, denn außer mir war nur noch ein älteres Ehepaar anwesend, welches ruhig seine Mahlzeit zu sich nahm. Es war etwas gewöhnungsbedürftig, gebackene Tomaten und Grützwurst am Morgen zu essen, doch an Porridge konnte ich mich noch aus meiner Kindheit erinnern, und mit Honig und Zimt war der Körnerbrei sogar schmackhaft. Bei meiner dritten Tasse Tee überlegte ich, was ich heute tun sollte. Fiona würde ihre Großmutter erst gegen Mittag besuchen. Sie hatte mich gefragt, ob ich nicht mitgehen wollte, doch ich hatte dankend abgelehnt, warum, wusste ich selbst nicht genau. Schlussendlich entschied ich mich dazu, den Vormittag mit einem Spaziergang am Fluss entlang zu verbringen, denn die Sonne schien, und das sollte ich wohl so lange wie möglich genießen.
Später würde ich irgendwo was Schönes essen, ein paar Souvenirs kaufen und somit meinen ersten Tag hier wie eine Touristin beginnen. Ich fand die Idee so gut, dass ich bereits zwanzig Minuten später mit meinem neuen Regencape bewaffnet die Treppe erneut herunterstieg. Als ich im Foyer ankam, war meine gute Laune wieder verschwunden. Ian Mackinnon blickte kurz auf, nickte beinah unmerklich und schaute sofort wieder zurück auf die Zeitung in seinen Händen. Ich ging ohne Gruß an ihm vorbei und war schon fast zur Haustür hinaus, als ich seine Stimme hinter mir vernahm: »Tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe und dann so unwirsch reagierte. Ich bin nach dem Aufwachen meistens unausstehlich.«
Ich blieb stehen, mit der Hand an der Türklinke, und sagte: »Wie? Nur dann?«, und ging, ohne auf Antwort zu warten, hinaus, schloss die Haustür hinter mir und hielt mein Gesicht in die Sonne.
Obwohl Inverness die Hauptstadt der Highlands war, war sie trotz allem eine ganz normale Kleinstadt. Es gab wenig Dinge, die diese von anderen Städten zu Hause unterschied. Es gab Eckkneipen und Kaufhäuser, Brunnen und einen Busbahnhof, und anstatt Bratwurst und Pommes gab es Fisch und Pommes.
Ich bummelte durch die Souvenirläden, amüsierte mich beim Anblick eines Herrenclubs, und gegen ein Uhr mittags stieg ich die Stufen zum Hotel wieder hoch und traf Fiona im Foyer an.
»Da bist du ja!«, sagte sie und kam auf mich zu.
»Hallo, Fiona!« Ich küsste sie auf die Wange und schnupperte an ihrem Haar. Sie roch nach etwas Herzhaftem, nach Braten und Zwiebeln, was bedeutete, dass sie den Vormittag in der Küche verbracht hatte.
»Hast du was Schönes gekauft?«, fragte sie.
»Hauptsächlich Whisky und Marmelade.«
»Oh! Warst du bei Granny M'Or? Sie hat Marmeladen in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen.«
Ich blickte auf meine Ausbeute. »Ich habe keine Ahnung, wo ich überall war.«
Fiona lachte und band sich das Küchentuch ab. »Ich mache mich nur schnell frisch - ich glaube, ich rieche furchtbar - und dann will ich auch schon los. Möchtest du wirklich nicht mitkommen? Meine Granny würde sich freuen.«
»Meinst du wirklich?«, fragte ich und biss mir auf die Unterlippe.
»Aber natürlich! Keine Widerrede! Bring deine Sachen hoch und nimm die Uhr mit! Vielleicht weiß Granny etwas darüber.«
Granny May MacIntyre war eine liebenswerte, uralte Dame, die oben in den Bergen über Loch Ness in einem dieser Cottages wohnte, die ich bei meiner Ankunft bereits entdeckt hatte. Der Blick von ihrem Garten aus war atemberaubend. Das Gelände fiel sanft ab, ging dann in eine Wiese und in dunklen Wald über, und unter uns, tief im Tal, lag der See. Ob der Schotte da unten wieder seine Rituale abhielt?
»Zeigen Sie mir mal die Uhr, mein Kind!«, forderte Granny May mich in ihrem seltsamen Dialekt auf, und ich holte die Savonette aus meiner Tasche. »Sie ist schon ziemlich alt, Mistres MacIntyre.«
»Oh, aye? Ich auch, meine Liebe. Ich auch.« Sie nahm mir die Uhr ab, setzte sich eine kleine, silberne Brille auf die Nase, ließ den Deckel der Uhr aufschnappen und betrachtete eine Weile das Ziffernblatt. Dann schloss sie sie wieder und hielt beim Anblick der Gravur auf dem Deckel inne. »Hm«, machte sie, öffnete die Uhr erneut und blickte dann zu den Fenstern hinaus. Ich warf Fiona einen Blick zu, doch die lächelte nur.
»Wie, sagten Sie noch, ist Ihr Name?«
»Äh, Grant«, antwortete ich.
»Elisa Grant.«
»Und Ihr verstorbener Vater?«
»Max Grant.«
Granny nickte, ließ die Uhr zuschnappen, drehte sich zu uns und legte die Savonette zurück in meine Hand. »Die Gravur hier vorn«, erklärte sie und fuhr mit ihrem Zeigefinger die Form des Buchstabens nach. »Das ist ein Wappen. Das Wappen der Grants of Balnacrán. Ein Distelzweig und ein B - Balnacrán.«
Ich hörte erstaunt zu. Fiona blickte von mir zu ihrer Großmutter. »Bist du dir sicher, Granny?«
»Aye. Ich denke schon.«
»Wollen Sie damit sagen, mein Vater hätte die Uhr gestohlen? «
»Nein, mein Kind. Das wollte ich damit nicht andeuten.«
»Und der Uhrmacher?«, fragte Fiona.
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Autoren-Porträt von Christa Canetta, Maryla Krüger
Christa Canetta studierte Psychologie und Sozialpädagogik und begann ihre journalistische Laufbahn beim SWR in Baden-Baden. Nach einem längeren Aufenthalt in der Schweiz und in Italien lebt sie nun seit vielen Jahren in Hamburg. Sie schrieb zahlreiche erfolgreiche Romane, die im Buchhandel erhältlich sind.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Christa Canetta , Maryla Krüger
- 960 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863655575
- ISBN-13: 9783863655570
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