Sorry
Ihre Geschäftsidee ist revolutionär: Vier junge Unternehmer bieten Firmen den Service an, sich für deren Vergehen bei den Opfern zu entschuldigen. Das Geschäft brummt. Bis sie eines Tages eine Tote für ihr qualvolles Sterben um...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Sorry “
Ihre Geschäftsidee ist revolutionär: Vier junge Unternehmer bieten Firmen den Service an, sich für deren Vergehen bei den Opfern zu entschuldigen. Das Geschäft brummt. Bis sie eines Tages eine Tote für ihr qualvolles Sterben um Vergebung bitten sollen. Ab diesem Zeitpunkt sind die Vier nur noch Schachfiguren in einem dunklen Spiel.
Klappentext zu „Sorry “
'Ihr Angebot rüttelt die Geschäftswelt auf, denn sie entschuldigen sich für die Vergehen von Unternehmen. Sie bieten den Schuldigen Unterstützung an und helfen den Opfern. Sie selbst verdienen viel Geld damit, die vier jungen Berliner, die diese clevere Geschäftsidee hatten, irgendwann, bevor alles anfing. Immer mehr Menschen erleichtern über sie ihr Gewissen - als ihnen eines Tages jemand den Auftrag erteilt, eine Tote um Verzeihung zu bitten für die unvorstellbaren Qualen, unter denen sie starb. Hier schnappt die Falle zu. Die Lektion, die der Auftraggeber ihnen ab jetzt erteilt, ist voller Dunkelheit: Wie Schachfiguren werden sie auf eine Spur der Grausamkeit gesetzt, auf der es keine Vergebung gibt, kein Schwarzweiß mehr zwischen Opfer und Täter. Zoran Drvenkars verstörender neuer Roman erzählt auf zwingende Weise von einer Welt, in der wir der Gewalt nicht mehr ausweichen können.
Lese-Probe zu „Sorry “
Sorry von Zoran Drvenkar Es überrascht dich, wie einfach es ist, sie ausfindig zu machen. Du hast in solch einem tiefen Loch gesteckt, daß dir nichts mehr möglich erschien. Du hast dich mehr und mehr verloren, und als du dachtest, niemals wieder Licht zu sehen, fiel dir sein anderes Adreßbuch in die Hände. Er besaß zwei, auch das wußtest du nicht, wie du so vieles nicht über ihn wußtest.
Das eine Adreßbuch ist in Leder gebunden, das andere ein Oktavheft, wie ihr es in der Schule hattet. Du hast das Oktavheft durch Zufall zwischen Zeitschriften in seinem Nachttisch gefunden. Es ist voller Namen. Du hast sie gezählt. 46. Immer noch bricht Sehnsucht in dir aus, sobald du seine Handschrift siehst. Schief nach rechts geneigt, mit der Verzweiflung des Linkshänders. Deine Finger sind über die Namen, Adressen und Telefonnummern gewandert, als könntest du erspüren, was er gefühlt hat, während er sie schrieb. Zwei der Namen sind unterstrichen; es sind die einzigen Namen, die du kennst.
An dem Tag, an dem du das Oktavheft entdeckt hast, ist Licht in deine Dunkelheit gekommen. Die Namen sind das ersehnte Zeichen gewesen, auf das du gewartet hast. Ein halbes Jahr des Wartens, und dann dieses Licht. Woher hättest du auch wissen sollen, daß manche Zeichen gesucht werden müssen?
Niemand hat dir das gesagt.
... mehr
Eine der beiden Adressen ist nicht mehr gültig, aber das ist kein Problem für dich. Du hast Erfahrung damit, Menschen ausfindig zu machen. Unser System funktioniert hauptsächlich durch Informationen, und nichts ist heutzutage leichter zu bekommen. Du hast zwei Minuten gebraucht.
Die Frau ist nach Kleinmachnow gezogen. Auf dem Stadtplan findest du heraus, daß sie ihr neues Zuhause um exakt drei Kilometer Luftlinie in Richtung Süden verschoben hat. Das neue Mietshaus erinnert sehr an das alte. Wir sind Wesen der Gewohnheit. Wenn wir uns umdrehen, wollen wir wissen, was hinter uns liegt. Du wartest geduldig, bis einer der Mieter das Haus verläßt, dann steigst du hoch in das dritte Stockwerk und klingelst.
– Ja, bitte?
Sie ist jetzt Ende Vierzig und sieht aus, als wären die letzten Jahre ein langer, mühsamer Weg gewesen, den sie allein gehen mußte. Es ist egal, wie sie aussieht, du hättest sie überall wiedererkannt. Ihre Haltung, ihre Stimme. Es überrascht dich, daß du sogar ihre Gesten verinnerlicht hast. Du hattest mit dieser Frau nie eine Beziehung, dennoch ist dir alles an ihr vertraut. Wie sie sich vorbeugt, wie sie dich ansieht, das Zusammenkneifen ihrer Augen, der fragende Blick. Jedes Detail hat sich so tief in dich eingebrannt, daß es mehr als nur Erinnerung ist.
– Hallo, sagst du.
Sie zögert kurz. Sie ist sich nicht sicher, ob du eine Bedrohung bist. Du würdest sie gerne fragen, welche Bedrohung am hellichten Tag vor einem Mietshaus in Kleinmachnow auftaucht und lächelt.
– Kennen wir uns?
Da ist plötzlich Interesse in ihren Augen. Es wundert dich nicht. Sie ist ein neugieriger Mensch; auch wenn sie dich noch nicht einordnen kann, zeigt sie keine Spur von Mißtrauen. Die gefährlichsten Menschen sind nicht mißtrauisch, sie sind interessiert. Du kennst diesen Blick. Als Kind hast du einen Unfall auf der Autobahn beobachtet. All das Blut, die Scherben, herumrennende Feuer wehrleute, Flammen und öligschwarzer Rauch. Jedesmal, wenn du danach mit deinen Eltern an der Unfallstelle vorbeigefahren bist, kam diese Aufregung in dir auf.
Hier ist es passiert. Kann man noch was erkennen? Ist alles weg? Auf dieselbe Weise sieht sie dich an.
– Wir kennen uns von früher, sagst du und reichst ihr das Foto. Ich wollte nur mal hallo sagen.
Du weißt, sobald sie das Foto sieht, wird Panik in ihr hochkom
men. Vielleicht wird sie die Tür zuschlagen. Wahrscheinlich wird sie leugnen.
Sie überrascht dich, wie sie dich schon immer überrascht hat. Sie ist gut für Überraschungen, denn sie ist unberechenbar.
– Du bist das!
Im nächsten Moment öffnet sie ihre Arme und umschließt dich warm und sicher.
In der Wohnung erklärt sie, daß ihr Mann gegen sechs wieder zurückkommen wird, aber bis dahin sei ja noch ein wenig Zeit. Du weißt, daß sie geschieden ist und ihr Ex in der Nähe von Bornholm lebt. Es ist gut, daß sie dir Vertrauen vorspielt. Jede Unsicherheit ist gut.
Ihr setzt euch in das Wohnzimmer. Von deinem Platz aus kannst du auf den Balkon schauen. Ein Tisch, keine Stühle. Neben dem Tisch eine Skulptur. Ein Junge, der den Kopf senkt und die Hände zum Gebet verschränkt. Dir sind solche Skulpturen im Baumarkt aufgefallen. Manche halten ein Buch, andere haben Flügel auf dem Rücken. Du siehst schnell weg, du fühlst dich geblendet, obwohl die Sonne an diesem Tag blaß und erschöpft herabscheint.
– Möchtest du etwas trinken?
Sie bringt dir ein Glas Mineralwasser und stellt es auf den Couchtisch neben das Foto. Zwei Jungen auf einem Fahrrad. Sie grinsen, sie sind so jung, daß es schmerzt.
– Ich dachte, ich sehe dich nie wieder, sagt sie und beugt sich vor, um eine Strähne aus deiner Stirn zu streichen. Intim. Nahe. Du zuckst nicht zurück. Deine Selbstbeherrschung ist perfekt.
– Habe ich dir gefehlt? möchte sie wissen.
Ich habe in den Nächten von dir geträumt, willst du ihr antworten, aber du bist dir nicht sicher, ob es der Wahrheit entspricht. Da sind Träume und da ist die Realität, und du irrst dazwischen herum und versuchst, die beiden mit großer Mühe auseinanderzuhalten.
Sie lächelt dich an. In ihrem Blick ist jetzt nicht nur Neugierde, da ist auch eine Spur Verlangen. Du zwingst dich, nicht zur Skulptur zu schauen, du zwingst dich, ihr Lächeln zu erwidern. Dabei reißt etwas in dir. Lautlos wie ein Spinnenfaden. Ihr Verlangen ist zuviel für dich. Und du dachtest, du hättest Selbstbeherrschung. Und du dachtest, du könntest das.
– Ich müßte mal pinkeln.
– Ach, schau mal an, schämst du dich etwa vor mir? fragt sie. Dein Gesicht ist rot, die Hände ballen sich unter der Tischplatte. Scham.
– Es ist die zweite Tür von links, sagt sie und klopft dir aufs Knie. Beeil dich, sonst muß ich dich holen kommen.
Lasziv, verspielt zwinkert sie dir zu. Ich bin nicht mehr neun Jahre alt! möchtest du sie anbrüllen, aber da ist nur eine kalte Starre in dir, und diese Starre läßt nichts durch. Du stehst auf und gehst in den Flur. Du öffnest die zweite Tür von links und schließt sie hinter dir. Vor dem Spiegel hebst du den Blick, doch deine Augen weichen dir aus. Es schmerzt, es schmerzt jedesmal von neuem. Du hoffst, daß es eines Tages anders wird, diese Hoffnung hält dich aufrecht und lindert den Schmerz.
Bald ist es vorbei.
Du kniest dich auf den Fliesenboden und klappst den Toilettendeckel hoch. Du bist leise, kein Keuchen, kein Stöhnen, nur ein Plätschern ist zu hören. Als nichts mehr kommt, nimmst du die Zahnbürste aus dem Zahnputzbecher und schiebst sie dir in den Hals, um sicherzugehen, daß dein Magen auch wirklich leer ist. Danach wäschst du dir die Hände und spülst deinen Mund aus. Bevor du das Bad verläßt, steckst du die Zahnbürste ein und wischst mit Toilettenpapier sorgfältig jede Fläche sauber, die du berührt hast.Bald.
Sie sitzt noch immer auf dem Sessel und raucht – Arm angewinkelt und mit leicht nach hinten geneigtem Kopf, wenn sie Rauch aus ihrem Mund entweichen läßt. Auch diese Geste ist dir so vertraut, daß die Erinnerungen sich wie eine Handvoll Dias übereinanderlegen. Damals und Heute werden zum Jetzt, und das Jetzt wird zum Heute und zum Damals. Sie hält das Foto in der Hand und betrachtet es. Als du hinter ihr stehenbleibst, dreht sie den Kopf, und ihre Augen leuchten auf. Du richtest das Gas auf dieses Leuchten, bis die Dose leer ist und sie als wimmernder Haufen auf dem Boden liegt. Danach beginnst du, jede Spur von dir im Zimmer zu entfernen. Du trinkst das Glas aus und steckst es ein. Das Foto ist ihr aus der Hand gefallen. Du hebst es auf und steckst es ein. Du bist vorsichtig, du bist genau, du weißt, was du tust. Als sie wegzukriechen versucht, drehst du sie auf den Rücken und setzt dich auf ihre Brust. Ihre Arme sind unter dir eingeklemmt, die Augen zugeschwollen. Sie bäumt sich auf, ihre Knie kommen hoch, die Fersen trommeln auf den Teppich. Du legst eine Hand fest über ihren Mund, und mit der anderen hältst du ihr die rotz- triefende Nase zu. Es geht schnell.
Du machst ein Päckchen aus ihr. Du drückst ihr die Oberschenkel an die Brust und schiebst ihr die Arme unter die Kniekehlen. Sie ist nicht groß. Du hast an alles gedacht. Zehn Tage Planung sind genug Zeit. Sie paßt in einen von diesen schwarzen 120-Liter-Müllbeuteln. Du trägst sie aus der Wohnung. Auf der Treppe begegnet dir ein alter Mann. Du nickst ihm zu, er nickt zurück. Es ist so einfach wie Müll runterbringen.
Sie wird erst sehr spät wach.
Du bist ein wenig enttäuscht gewesen, als du die Wohnung das erste Mal betreten hast. Sie war verdreckt und verlassen, sie hatte nichts von dem, was gewesen war. Du hattest mehr erwartet. Orte mit einer solchen Vergangenheit sollten nicht verlassen sein. Es ist respektlos. Menschen pilgern nach Dachau und Auschwitz, sie schauen sich die Konzentrationslager an, als könnten sie daraus irgend etwas lernen, während einige Meter von ihrem Zuhause entfernt eine neue Form des Grauens stattfindet, ohne daß sie es mitbekommen.
© Ullstein Verlag
Die Frau ist nach Kleinmachnow gezogen. Auf dem Stadtplan findest du heraus, daß sie ihr neues Zuhause um exakt drei Kilometer Luftlinie in Richtung Süden verschoben hat. Das neue Mietshaus erinnert sehr an das alte. Wir sind Wesen der Gewohnheit. Wenn wir uns umdrehen, wollen wir wissen, was hinter uns liegt. Du wartest geduldig, bis einer der Mieter das Haus verläßt, dann steigst du hoch in das dritte Stockwerk und klingelst.
– Ja, bitte?
Sie ist jetzt Ende Vierzig und sieht aus, als wären die letzten Jahre ein langer, mühsamer Weg gewesen, den sie allein gehen mußte. Es ist egal, wie sie aussieht, du hättest sie überall wiedererkannt. Ihre Haltung, ihre Stimme. Es überrascht dich, daß du sogar ihre Gesten verinnerlicht hast. Du hattest mit dieser Frau nie eine Beziehung, dennoch ist dir alles an ihr vertraut. Wie sie sich vorbeugt, wie sie dich ansieht, das Zusammenkneifen ihrer Augen, der fragende Blick. Jedes Detail hat sich so tief in dich eingebrannt, daß es mehr als nur Erinnerung ist.
– Hallo, sagst du.
Sie zögert kurz. Sie ist sich nicht sicher, ob du eine Bedrohung bist. Du würdest sie gerne fragen, welche Bedrohung am hellichten Tag vor einem Mietshaus in Kleinmachnow auftaucht und lächelt.
– Kennen wir uns?
Da ist plötzlich Interesse in ihren Augen. Es wundert dich nicht. Sie ist ein neugieriger Mensch; auch wenn sie dich noch nicht einordnen kann, zeigt sie keine Spur von Mißtrauen. Die gefährlichsten Menschen sind nicht mißtrauisch, sie sind interessiert. Du kennst diesen Blick. Als Kind hast du einen Unfall auf der Autobahn beobachtet. All das Blut, die Scherben, herumrennende Feuer wehrleute, Flammen und öligschwarzer Rauch. Jedesmal, wenn du danach mit deinen Eltern an der Unfallstelle vorbeigefahren bist, kam diese Aufregung in dir auf.
Hier ist es passiert. Kann man noch was erkennen? Ist alles weg? Auf dieselbe Weise sieht sie dich an.
– Wir kennen uns von früher, sagst du und reichst ihr das Foto. Ich wollte nur mal hallo sagen.
Du weißt, sobald sie das Foto sieht, wird Panik in ihr hochkom
men. Vielleicht wird sie die Tür zuschlagen. Wahrscheinlich wird sie leugnen.
Sie überrascht dich, wie sie dich schon immer überrascht hat. Sie ist gut für Überraschungen, denn sie ist unberechenbar.
– Du bist das!
Im nächsten Moment öffnet sie ihre Arme und umschließt dich warm und sicher.
In der Wohnung erklärt sie, daß ihr Mann gegen sechs wieder zurückkommen wird, aber bis dahin sei ja noch ein wenig Zeit. Du weißt, daß sie geschieden ist und ihr Ex in der Nähe von Bornholm lebt. Es ist gut, daß sie dir Vertrauen vorspielt. Jede Unsicherheit ist gut.
Ihr setzt euch in das Wohnzimmer. Von deinem Platz aus kannst du auf den Balkon schauen. Ein Tisch, keine Stühle. Neben dem Tisch eine Skulptur. Ein Junge, der den Kopf senkt und die Hände zum Gebet verschränkt. Dir sind solche Skulpturen im Baumarkt aufgefallen. Manche halten ein Buch, andere haben Flügel auf dem Rücken. Du siehst schnell weg, du fühlst dich geblendet, obwohl die Sonne an diesem Tag blaß und erschöpft herabscheint.
– Möchtest du etwas trinken?
Sie bringt dir ein Glas Mineralwasser und stellt es auf den Couchtisch neben das Foto. Zwei Jungen auf einem Fahrrad. Sie grinsen, sie sind so jung, daß es schmerzt.
– Ich dachte, ich sehe dich nie wieder, sagt sie und beugt sich vor, um eine Strähne aus deiner Stirn zu streichen. Intim. Nahe. Du zuckst nicht zurück. Deine Selbstbeherrschung ist perfekt.
– Habe ich dir gefehlt? möchte sie wissen.
Ich habe in den Nächten von dir geträumt, willst du ihr antworten, aber du bist dir nicht sicher, ob es der Wahrheit entspricht. Da sind Träume und da ist die Realität, und du irrst dazwischen herum und versuchst, die beiden mit großer Mühe auseinanderzuhalten.
Sie lächelt dich an. In ihrem Blick ist jetzt nicht nur Neugierde, da ist auch eine Spur Verlangen. Du zwingst dich, nicht zur Skulptur zu schauen, du zwingst dich, ihr Lächeln zu erwidern. Dabei reißt etwas in dir. Lautlos wie ein Spinnenfaden. Ihr Verlangen ist zuviel für dich. Und du dachtest, du hättest Selbstbeherrschung. Und du dachtest, du könntest das.
– Ich müßte mal pinkeln.
– Ach, schau mal an, schämst du dich etwa vor mir? fragt sie. Dein Gesicht ist rot, die Hände ballen sich unter der Tischplatte. Scham.
– Es ist die zweite Tür von links, sagt sie und klopft dir aufs Knie. Beeil dich, sonst muß ich dich holen kommen.
Lasziv, verspielt zwinkert sie dir zu. Ich bin nicht mehr neun Jahre alt! möchtest du sie anbrüllen, aber da ist nur eine kalte Starre in dir, und diese Starre läßt nichts durch. Du stehst auf und gehst in den Flur. Du öffnest die zweite Tür von links und schließt sie hinter dir. Vor dem Spiegel hebst du den Blick, doch deine Augen weichen dir aus. Es schmerzt, es schmerzt jedesmal von neuem. Du hoffst, daß es eines Tages anders wird, diese Hoffnung hält dich aufrecht und lindert den Schmerz.
Bald ist es vorbei.
Du kniest dich auf den Fliesenboden und klappst den Toilettendeckel hoch. Du bist leise, kein Keuchen, kein Stöhnen, nur ein Plätschern ist zu hören. Als nichts mehr kommt, nimmst du die Zahnbürste aus dem Zahnputzbecher und schiebst sie dir in den Hals, um sicherzugehen, daß dein Magen auch wirklich leer ist. Danach wäschst du dir die Hände und spülst deinen Mund aus. Bevor du das Bad verläßt, steckst du die Zahnbürste ein und wischst mit Toilettenpapier sorgfältig jede Fläche sauber, die du berührt hast.Bald.
Sie sitzt noch immer auf dem Sessel und raucht – Arm angewinkelt und mit leicht nach hinten geneigtem Kopf, wenn sie Rauch aus ihrem Mund entweichen läßt. Auch diese Geste ist dir so vertraut, daß die Erinnerungen sich wie eine Handvoll Dias übereinanderlegen. Damals und Heute werden zum Jetzt, und das Jetzt wird zum Heute und zum Damals. Sie hält das Foto in der Hand und betrachtet es. Als du hinter ihr stehenbleibst, dreht sie den Kopf, und ihre Augen leuchten auf. Du richtest das Gas auf dieses Leuchten, bis die Dose leer ist und sie als wimmernder Haufen auf dem Boden liegt. Danach beginnst du, jede Spur von dir im Zimmer zu entfernen. Du trinkst das Glas aus und steckst es ein. Das Foto ist ihr aus der Hand gefallen. Du hebst es auf und steckst es ein. Du bist vorsichtig, du bist genau, du weißt, was du tust. Als sie wegzukriechen versucht, drehst du sie auf den Rücken und setzt dich auf ihre Brust. Ihre Arme sind unter dir eingeklemmt, die Augen zugeschwollen. Sie bäumt sich auf, ihre Knie kommen hoch, die Fersen trommeln auf den Teppich. Du legst eine Hand fest über ihren Mund, und mit der anderen hältst du ihr die rotz- triefende Nase zu. Es geht schnell.
Du machst ein Päckchen aus ihr. Du drückst ihr die Oberschenkel an die Brust und schiebst ihr die Arme unter die Kniekehlen. Sie ist nicht groß. Du hast an alles gedacht. Zehn Tage Planung sind genug Zeit. Sie paßt in einen von diesen schwarzen 120-Liter-Müllbeuteln. Du trägst sie aus der Wohnung. Auf der Treppe begegnet dir ein alter Mann. Du nickst ihm zu, er nickt zurück. Es ist so einfach wie Müll runterbringen.
Sie wird erst sehr spät wach.
Du bist ein wenig enttäuscht gewesen, als du die Wohnung das erste Mal betreten hast. Sie war verdreckt und verlassen, sie hatte nichts von dem, was gewesen war. Du hattest mehr erwartet. Orte mit einer solchen Vergangenheit sollten nicht verlassen sein. Es ist respektlos. Menschen pilgern nach Dachau und Auschwitz, sie schauen sich die Konzentrationslager an, als könnten sie daraus irgend etwas lernen, während einige Meter von ihrem Zuhause entfernt eine neue Form des Grauens stattfindet, ohne daß sie es mitbekommen.
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Autoren-Porträt von Zoran Drvenkar
Zoran Drvenkar, geb. wurde 1967 in Kroatien, zog als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Berlin. Seit über 20 Jahren arbeitet er als freier Schriftsteller. Zoran schreibt Romane, Gedichte, Theaterstücke und Kurzgeschichten über Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Er wurde für seine Bücher mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis. Zoran Drvenkar lebt heute in der Nähe von Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Zoran Drvenkar
- 2009, 400 Seiten, Maße: 14,5 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ullstein Hardcover
- ISBN-10: 3550087721
- ISBN-13: 9783550087721
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