Zum Glück fehlt nur die Liebe
Roman. Deutsche Erstausgabe
Matthew Connelly ist ein hartherziger Karrierist ohne jeden Funken Moral jedenfalls in den Augen seiner Exfreundin Amelia, die entschlossen ist, ihn beruflich zu vernichten. Als Matthew auf der Straße von dem zehnjährigen Danny und seiner kleinen...
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Produktinformationen zu „Zum Glück fehlt nur die Liebe “
Matthew Connelly ist ein hartherziger Karrierist ohne jeden Funken Moral jedenfalls in den Augen seiner Exfreundin Amelia, die entschlossen ist, ihn beruflich zu vernichten. Als Matthew auf der Straße von dem zehnjährigen Danny und seiner kleinen Schwester angebettelt wird, sieht er die Chance gekommen, sich Amelia als guter Mensch zu präsentieren und so ihre Attacken abzuwenden. Er und Danny schließen einen Deal. Doch Matthew rechnet weder mit der Cleverness des Zehnjährigen noch damit, dass er sein Herz tatsächlich an die beiden Kinder verlieren könnte.
"Eine berührende, zeitgemäße Beziehungsgeschichte. Temporeich, witzig und klug."
Booklist
"Eine berührende, zeitgemäße Beziehungsgeschichte. Temporeich, witzig und klug."
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Lese-Probe zu „Zum Glück fehlt nur die Liebe “
Kapitel eins Die Freundlichkeit Fremder
War Matthew Connelly ein schlechter Mensch? Er selbst hatte sich diese Frage nie gestellt. Darüber mochte man denken, was man wollte. Natürlich hätte es ihn überrascht zu erfahren, dass sich ein kleiner Junge genau diese Frage stellte, als Matthew in dieser Nacht die Brücke ansteuerte. Da er aber Menschen wie diesen Jungen stets übersah, fragte er sich auch nie, was sie wohl dachten, oder ob sie überhaupt etwas dachten. Für ihn waren sie so unsichtbar wie die Ameisen unter seinen Füßen, als er am Wochenende zuvor durch die Straßen von Grand Cayman geschlendert war, zusammen mit dem glücklichen Paar Amelia und Ben, die so entzückt waren, dass alles vergeben und vergessen war und sie einander gefunden hatten – was sie nur ihm verdankten. Für sie war es einfach eine gute Tat, dass er sie verkuppelt hatte. Für Matthew hingegen war es etwas vollkommen anderes, an das er zwar nicht viele Gedanken verschwendete, das er jedoch als weitere heikle Mission in einem äußerst komplexen Job betrachtete.
Der Junge, der Matthew entgegenblickte und sich, je nach Situation, Timmy, Jacob oder Danny nannte, war erst zehn Jahre alt, aber seine Mutter behauptete, für sie sei er eher schon vierzig, wenn sie seine harten Urteile über andere Menschen höre. Damit meinte sie eigentlich sein hartes Urteil über sie. Und es stimmte: Der Junge empfand sofort Abnei
gung gegen Matthew Connelly. Das lag nicht nur daran, dass er stinkreich war, obwohl er noch jung war, und einen schi cken Mantel trug, der so viel gekostet haben musste, dass er Isabelle damit ihr ganzes Leben lang hätte ernähren können. Es war auch nicht, dass er die Walnut Street so schnell entlangging, als hätte er etwas Wichtiges zu tun, obgleich es weit nach
... mehr
Mitternacht war. Es lag noch nicht mal daran, dass der Mann laut und dämlich vor sich hin sang, als wäre in dieser eisig kalten Novembernacht kein Mensch außer ihm in Philadelphia unterwegs, worauf er sicherlich auch noch stolz war, weil er es für sportlich hielt. Nein, was ihn in den Augen des Jungen wirklich abklassifizierte, waren seine Hände, die er so tief in den Manteltaschen vergraben hatte, dass man nur noch den Saum der mit Abstand teuersten Lederhandschuhe der Welt sah. Kalt konnten seine Hände nicht sein, daher gab es nur einen einzigen Grund, warum er sie so tief in die Taschen geschoben hatte: Er war selbstsüchtig, der Typ Mensch, der keinen Finger krümmte, um anderen zu helfen. Der Typ Mensch, den seine Mutter »eingefleischtes Republikanerschwein« nannte, obwohl sie nicht an die Händetheorie ihres Sohnes glaubte, sondern dem schlichteren Grundsatz folgte, dass alle Reichen Schweine waren.
Aber der Junge, der sich in dieser Nacht für den Namen Danny entschied, hatte keine Wahl: Er musste es trotzdem versuchen. Also nahm er stöhnend die dreijährige, schon ziemlich schwere Isabelle auf den Arm und rannte so schnell, wie seine dünnen Jungenbeine es ihm erlaubten, die Betontreppe hinauf. Wenn der Mann die Brücke erreichte, musste er schon da sein und ihm den Weg versperren. Als der Mann sich dann näherte, fing Danny an, lautstark zu weinen und zu brüllen: »Hilfe! Bitte, Mister! Helfen Sie meiner kleinen Schwester!«Seine Tränen waren nicht echt, denn er weinte nie, aber vor
Angst zitterten ihm die eisigen Hände noch stärker. Isabelle hatte sich den ganzen Tag übergeben, und seine Mutter hatte ihm schon tausendmal gesagt, dass man sterben konnte, wenn man sich zu oft übergab. Aber es war seine heilige Pflicht, Isabelle zu beschützen, und er würde sie erfüllen, selbst wenn es sein eigenes Leben kostete. Das war Teil des Gelübdes, das er ein paar Monate nach Isabelles Geburt abgelegt hatte. Nachdem er ein Buch über König Artus und die Ritter der Tafelrunde gelesen hatte, das seine Mutter für ihn aus der Bücherei gestohlen hatte, hatte er sich selbst zum Ritter ernannt. Aber es war nicht nur irgendein blödes Spiel. Im Buch stand auch, dass es Ritter nicht nur in der Vergangenheit gab, sondern auch heute noch jeder einer werden konnte. Zwar hatte der Junge noch nie einen Ritter getroffen, aber das war nicht besonders überraschend, da Ritter alles tun mussten, um den Ehrenkodex einzuhalten, und das war schwierig, selbst für ihn. Aber immer wenn er sein Gelübde brechen und wieder ein ganz normales Kind sein wollte, dachte er an seine Ehre, die ihm nun niemand mehr nehmen konnte – weder seine Mutter noch die Bullen, und ganz gewiss nicht dieses selbstsüchtige Arschloch, das mit Sicherheit nicht stehen bleiben würde, ganz gleich, wie sehr er, Danny, auch betteln würde.
Dass Danny sich irrte, hatte nichts mit seiner mangelnden Menschenkenntnis zu tun. In dieser Nacht war etwas mit Matthew Connelly geschehen, das noch nicht mal ein zehnjähriger Ritter mit vielen harten Erfahrungen allein an seiner Erscheinung erkennen konnte. Ansonsten war Dannys Einschätzung so treffend, dass es fast schon unheimlich war. Es stimmte, dass die meisten Menschen Matthew als reich bezeichnet hätten: Er hatte ein sechsstelliges Jahresgehalt und Aktien von Astor-Denning, dem Pharmaunternehmen, bei dem er als Manager tätig war; von seiner letzten Weihnachtsgratifikation hatte er sich den neuesten Porsche 911 gegönnt;
er besaß Immobilien in allen Teilen der Stadt, obwohl er seit zwei Jahren zur Miete in einem Loft wohnte, das zwar luxuriös war, aber doch nicht so sehr, dass es die Wissenschaftler in seinem Bekanntenkreis eingeschüchtert hätte. Es stimmte auch, dass er schnell ging, allerdings nicht, weil er am nächs ten Morgen nach Tokio fliegen musste, was er im Moment in den hinteren Teil seines Hirns verbannt hatte, sondern weil es sich gut anfühlte – nicht so gut wie das Tanzen vorhin, aber immer noch gut. Den dämlichen Ohrwurm hatte er aus dem Club, aus dem er gerade kam, als Andenken an die Frau, die er hätte mitnehmen können. Das war nichts Neues, aber heute Nacht war alles anders.
Der Abend hatte bei einem Dinner mit einem bekannten Professor der Medizin begonnen, der sich bereit erklärt hatte, sich bei der Food and Drug Administration für das neue Diabetesmedikament von Astor-Denning einzusetzen. Matthews Ziel war es, diesen Mann zufriedenzustellen: mit dem richtigen Essen, dem richtigen Wein, der richtigen Unterhaltung und, wenn es nötig war, auch mit der richtigen Frau. Aber der gute Mann wollte eigentlich nur eins: Ecstasy. Er war seit kurzem geschieden und meinte nun, er bräuchte eine Droge, durch die er all seine Gefühle für seine Exfrau »loslassen« könn te. Matthew war bereit, ein paar Anrufe zu tätigen, hoffte jedoch, dem Mann nicht mehr zuhören zu müssen, wenn seine Gefühle erst mal losgelassen würden. Als der Professor jedoch darauf bestand, die Droge mit ihm gemeinsam zu nehmen, wollte Matthew erst einfach nur lächelnd nicken und die Pille dann unter den Tisch fallen lassen. Er fürchtete nicht, erwischt zu werden, sondern die Kontrolle über das Treffen zu verlieren. Doch dann sagte der Mediziner, sie würden an ihren erweiterten Pupillen bemerken, ob die Droge wirke, und da wurde Matthew klar, dass es nicht so leicht werden würde, ihn zu täuschen, selbst wenn er high war. Und die
ser Kontakt war einfach zu wichtig, als dass er sich als Lügner entpuppen durfte. Also zum Teufel mit allen Bedenken! Der Stoff war sauber, zumindest laut seiner Quelle, und wenn was schiefging, hatte er einen ausgezeichneten Arzt dabei.
Der übergewichtige Mittfünfziger mit dem schütteren Haar hatte den Spaß seines Lebens, als er durch den Club rannte und eine Frau nach der anderen antatschte. Jeder erklärte er: »Ich weiß, ich habe E eingeworfen, aber meine Gefühle für dich sind so intensiv, dass sie echt sein müssen.« Matthews Reaktion fiel gedämpfter aus, trotzdem genoss er es. Und er war stolz auf sich, weil er sich überwunden hatte, allein nach Haus zu gehen – nachdem der Doc mit einer Blondine verschwunden war. Zwar wirkte die Pille noch, aber dadurch würde sein Heimweg eben umso fröhlicher werden, was eine verdammt nette Abwechslung war. Nach dem Kurztrip auf die Kaiman-Inseln am letzten Wochenende, nach den endlosen Meetings, Konferenzschaltungen und Rettungsaktionen Tag für Tag, und den Geschäftsessen mit Forschungspartnern, die er an fünf von sieben Abenden hatte, fühlte er sich ungewohnt erschöpft. Dabei hatte er doch unbedingt beweisen wollen, dass sich gar nichts geändert hatte, obwohl er gerade vierzig geworden war. Er war in Höchstform, konnte immer noch die Sau rauslassen, selbst wenn er es nicht mehr so ausdrückte, weil diese Phrase ihn gegenüber den jungen Frauen, mit denen er normalerweise ausging, als alten Knacker enttarnte.
Mit Hilfe der Pille ließ er sich mühelos die einunddreißig Blocks von Old City bis zur Brücke treiben und verspürte außer leichtem Zähneklappern keinerlei Nebenwirkungen. Er wohnte auf der Westseite des Flusses, um gegenüber den Akademikern in seinem Bekanntenkreis intellektueller zu wirken, aber der Loft war auch hip, weil konservative Leute sich nicht trauten, in diesem Viertel zu leben. Dabei war sein Ge
bäude so uneinnehmbar wie eine eingezäunte Privatwohnanlage und sein Porsche dort wahrscheinlich sicherer als an jedem anderen Ort der Stadt. Zwar vermied er es normalerweise, in der Nacht über die Walnut Street Bridge zu gehen, und nahm lieber ein Taxi nach Hause, aber jetzt konnte nichts seinen inneren Frieden stören, nicht mal ein schreiendes Kind an der Ufertreppe.
Als er das Kind erreicht hatte, sah er, dass es ein Bündel Kleider im Arm hielt, nur gab das Bündel Laute von sich, wie ein Kätzchen. (Oder waren es Wörter? Was es auch war, es hörte sich hinreißend an.) Matthew ertappte sich, dass er anfing zu lächeln. »Kann ich das mal halten?«, fragte er und zeigte auf das Bündel.
Er wollte nur sehen, was diese gurgelnden Laute von sich gab, aber dem schmutzigen Jungen schien das gar nicht zu passen. Er starrte ihn stirnrunzelnd an und fragte: »Was? Sind Sie ’n Perverser?«
Matthew wusste nicht warum, aber die Frage erheiterte ihn so, dass er zu lachen anfing. »Nein, bin ich nicht«, antwortete er schließlich grinsend. »Sehe ich etwa so aus?«Der Junge fluchte leise. »Sie sind betrunken.«
»Wieder falsch«, erwiderte Matthew, und dann platzte er mit etwas heraus, das er einem Erwachsenen niemals anvertraut hätte, schon gar nicht in seinem Zustand, da es seinem Prinzip widersprach, alle persönlichen Verstrickungen zu meiden: »Mein Vater ist nämlich an Leberzirrhose gestorben. Ich war noch nie betrunken und bin es auch jetzt nicht. Also bitte!« Er streckte den Arm aus und zeigte scherzhaft auf den Jungen. »Was sagst du jetzt?«
Der Junge wandte den Blick ab und starrte nachdenklich in die Ferne. Matthew jedoch war zu sehr bestrebt, sich das Bündel genauer anzusehen, um sich darum Gedanken zu machen. Und selbst wenn er gewusst hätte, dass der Junge über
Drogen nachdachte, so hätte es ihn nicht gekümmert. Was konnte der Junge schon machen? Ihn verhaften lassen, weil er zum ersten Mal im Leben E geschluckt hatte? Nach einer Weile hatte Matthew herausgefunden, was in dem Bündel steckte, und meinte entzückt: »Ein kleines Mädchen!«
»Na logisch«, erwiderte der Junge. »Das ist meine Schwes ter Isabelle.« Er zog die Decke gerade weit genug zurück, dass Matthew, der mit dem Finger auf das Bündel zeigte, die größten dunkelsten Augen erblicken konnte, die er je gesehen hatte. Puppenaugen.
Aber der Junge, der sich in dieser Nacht für den Namen Danny entschied, hatte keine Wahl: Er musste es trotzdem versuchen. Also nahm er stöhnend die dreijährige, schon ziemlich schwere Isabelle auf den Arm und rannte so schnell, wie seine dünnen Jungenbeine es ihm erlaubten, die Betontreppe hinauf. Wenn der Mann die Brücke erreichte, musste er schon da sein und ihm den Weg versperren. Als der Mann sich dann näherte, fing Danny an, lautstark zu weinen und zu brüllen: »Hilfe! Bitte, Mister! Helfen Sie meiner kleinen Schwester!«Seine Tränen waren nicht echt, denn er weinte nie, aber vor
Angst zitterten ihm die eisigen Hände noch stärker. Isabelle hatte sich den ganzen Tag übergeben, und seine Mutter hatte ihm schon tausendmal gesagt, dass man sterben konnte, wenn man sich zu oft übergab. Aber es war seine heilige Pflicht, Isabelle zu beschützen, und er würde sie erfüllen, selbst wenn es sein eigenes Leben kostete. Das war Teil des Gelübdes, das er ein paar Monate nach Isabelles Geburt abgelegt hatte. Nachdem er ein Buch über König Artus und die Ritter der Tafelrunde gelesen hatte, das seine Mutter für ihn aus der Bücherei gestohlen hatte, hatte er sich selbst zum Ritter ernannt. Aber es war nicht nur irgendein blödes Spiel. Im Buch stand auch, dass es Ritter nicht nur in der Vergangenheit gab, sondern auch heute noch jeder einer werden konnte. Zwar hatte der Junge noch nie einen Ritter getroffen, aber das war nicht besonders überraschend, da Ritter alles tun mussten, um den Ehrenkodex einzuhalten, und das war schwierig, selbst für ihn. Aber immer wenn er sein Gelübde brechen und wieder ein ganz normales Kind sein wollte, dachte er an seine Ehre, die ihm nun niemand mehr nehmen konnte – weder seine Mutter noch die Bullen, und ganz gewiss nicht dieses selbstsüchtige Arschloch, das mit Sicherheit nicht stehen bleiben würde, ganz gleich, wie sehr er, Danny, auch betteln würde.
Dass Danny sich irrte, hatte nichts mit seiner mangelnden Menschenkenntnis zu tun. In dieser Nacht war etwas mit Matthew Connelly geschehen, das noch nicht mal ein zehnjähriger Ritter mit vielen harten Erfahrungen allein an seiner Erscheinung erkennen konnte. Ansonsten war Dannys Einschätzung so treffend, dass es fast schon unheimlich war. Es stimmte, dass die meisten Menschen Matthew als reich bezeichnet hätten: Er hatte ein sechsstelliges Jahresgehalt und Aktien von Astor-Denning, dem Pharmaunternehmen, bei dem er als Manager tätig war; von seiner letzten Weihnachtsgratifikation hatte er sich den neuesten Porsche 911 gegönnt;
er besaß Immobilien in allen Teilen der Stadt, obwohl er seit zwei Jahren zur Miete in einem Loft wohnte, das zwar luxuriös war, aber doch nicht so sehr, dass es die Wissenschaftler in seinem Bekanntenkreis eingeschüchtert hätte. Es stimmte auch, dass er schnell ging, allerdings nicht, weil er am nächs ten Morgen nach Tokio fliegen musste, was er im Moment in den hinteren Teil seines Hirns verbannt hatte, sondern weil es sich gut anfühlte – nicht so gut wie das Tanzen vorhin, aber immer noch gut. Den dämlichen Ohrwurm hatte er aus dem Club, aus dem er gerade kam, als Andenken an die Frau, die er hätte mitnehmen können. Das war nichts Neues, aber heute Nacht war alles anders.
Der Abend hatte bei einem Dinner mit einem bekannten Professor der Medizin begonnen, der sich bereit erklärt hatte, sich bei der Food and Drug Administration für das neue Diabetesmedikament von Astor-Denning einzusetzen. Matthews Ziel war es, diesen Mann zufriedenzustellen: mit dem richtigen Essen, dem richtigen Wein, der richtigen Unterhaltung und, wenn es nötig war, auch mit der richtigen Frau. Aber der gute Mann wollte eigentlich nur eins: Ecstasy. Er war seit kurzem geschieden und meinte nun, er bräuchte eine Droge, durch die er all seine Gefühle für seine Exfrau »loslassen« könn te. Matthew war bereit, ein paar Anrufe zu tätigen, hoffte jedoch, dem Mann nicht mehr zuhören zu müssen, wenn seine Gefühle erst mal losgelassen würden. Als der Professor jedoch darauf bestand, die Droge mit ihm gemeinsam zu nehmen, wollte Matthew erst einfach nur lächelnd nicken und die Pille dann unter den Tisch fallen lassen. Er fürchtete nicht, erwischt zu werden, sondern die Kontrolle über das Treffen zu verlieren. Doch dann sagte der Mediziner, sie würden an ihren erweiterten Pupillen bemerken, ob die Droge wirke, und da wurde Matthew klar, dass es nicht so leicht werden würde, ihn zu täuschen, selbst wenn er high war. Und die
ser Kontakt war einfach zu wichtig, als dass er sich als Lügner entpuppen durfte. Also zum Teufel mit allen Bedenken! Der Stoff war sauber, zumindest laut seiner Quelle, und wenn was schiefging, hatte er einen ausgezeichneten Arzt dabei.
Der übergewichtige Mittfünfziger mit dem schütteren Haar hatte den Spaß seines Lebens, als er durch den Club rannte und eine Frau nach der anderen antatschte. Jeder erklärte er: »Ich weiß, ich habe E eingeworfen, aber meine Gefühle für dich sind so intensiv, dass sie echt sein müssen.« Matthews Reaktion fiel gedämpfter aus, trotzdem genoss er es. Und er war stolz auf sich, weil er sich überwunden hatte, allein nach Haus zu gehen – nachdem der Doc mit einer Blondine verschwunden war. Zwar wirkte die Pille noch, aber dadurch würde sein Heimweg eben umso fröhlicher werden, was eine verdammt nette Abwechslung war. Nach dem Kurztrip auf die Kaiman-Inseln am letzten Wochenende, nach den endlosen Meetings, Konferenzschaltungen und Rettungsaktionen Tag für Tag, und den Geschäftsessen mit Forschungspartnern, die er an fünf von sieben Abenden hatte, fühlte er sich ungewohnt erschöpft. Dabei hatte er doch unbedingt beweisen wollen, dass sich gar nichts geändert hatte, obwohl er gerade vierzig geworden war. Er war in Höchstform, konnte immer noch die Sau rauslassen, selbst wenn er es nicht mehr so ausdrückte, weil diese Phrase ihn gegenüber den jungen Frauen, mit denen er normalerweise ausging, als alten Knacker enttarnte.
Mit Hilfe der Pille ließ er sich mühelos die einunddreißig Blocks von Old City bis zur Brücke treiben und verspürte außer leichtem Zähneklappern keinerlei Nebenwirkungen. Er wohnte auf der Westseite des Flusses, um gegenüber den Akademikern in seinem Bekanntenkreis intellektueller zu wirken, aber der Loft war auch hip, weil konservative Leute sich nicht trauten, in diesem Viertel zu leben. Dabei war sein Ge
bäude so uneinnehmbar wie eine eingezäunte Privatwohnanlage und sein Porsche dort wahrscheinlich sicherer als an jedem anderen Ort der Stadt. Zwar vermied er es normalerweise, in der Nacht über die Walnut Street Bridge zu gehen, und nahm lieber ein Taxi nach Hause, aber jetzt konnte nichts seinen inneren Frieden stören, nicht mal ein schreiendes Kind an der Ufertreppe.
Als er das Kind erreicht hatte, sah er, dass es ein Bündel Kleider im Arm hielt, nur gab das Bündel Laute von sich, wie ein Kätzchen. (Oder waren es Wörter? Was es auch war, es hörte sich hinreißend an.) Matthew ertappte sich, dass er anfing zu lächeln. »Kann ich das mal halten?«, fragte er und zeigte auf das Bündel.
Er wollte nur sehen, was diese gurgelnden Laute von sich gab, aber dem schmutzigen Jungen schien das gar nicht zu passen. Er starrte ihn stirnrunzelnd an und fragte: »Was? Sind Sie ’n Perverser?«
Matthew wusste nicht warum, aber die Frage erheiterte ihn so, dass er zu lachen anfing. »Nein, bin ich nicht«, antwortete er schließlich grinsend. »Sehe ich etwa so aus?«Der Junge fluchte leise. »Sie sind betrunken.«
»Wieder falsch«, erwiderte Matthew, und dann platzte er mit etwas heraus, das er einem Erwachsenen niemals anvertraut hätte, schon gar nicht in seinem Zustand, da es seinem Prinzip widersprach, alle persönlichen Verstrickungen zu meiden: »Mein Vater ist nämlich an Leberzirrhose gestorben. Ich war noch nie betrunken und bin es auch jetzt nicht. Also bitte!« Er streckte den Arm aus und zeigte scherzhaft auf den Jungen. »Was sagst du jetzt?«
Der Junge wandte den Blick ab und starrte nachdenklich in die Ferne. Matthew jedoch war zu sehr bestrebt, sich das Bündel genauer anzusehen, um sich darum Gedanken zu machen. Und selbst wenn er gewusst hätte, dass der Junge über
Drogen nachdachte, so hätte es ihn nicht gekümmert. Was konnte der Junge schon machen? Ihn verhaften lassen, weil er zum ersten Mal im Leben E geschluckt hatte? Nach einer Weile hatte Matthew herausgefunden, was in dem Bündel steckte, und meinte entzückt: »Ein kleines Mädchen!«
»Na logisch«, erwiderte der Junge. »Das ist meine Schwes ter Isabelle.« Er zog die Decke gerade weit genug zurück, dass Matthew, der mit dem Finger auf das Bündel zeigte, die größten dunkelsten Augen erblicken konnte, die er je gesehen hatte. Puppenaugen.
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Autoren-Porträt von Lisa Tucker
Lisa Tucker ist in Missouri aufgewachsen, war Sängerin in einer Jazzband und unterrichtete Mathematik, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn in New Mexico.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lisa Tucker
- 2009, 384 Seiten, Maße: 11,9 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Rahn, Marie
- Übersetzer: Marie Rahn
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548280439
- ISBN-13: 9783548280431
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