Mama mag keine Spaghetti / Ullstein eBooks (ePub)
Hannas Alptraum heißt Katrin, ist zwanzig Jahre jünger und die neue Freundin ihres Mannes. Ausgerechnet zur Hochzeit der gemeinsamen Tochter Julia will er sie mitbringen. Gut, dass die italienische Familie des Bräutigams Familienchaos gewöhnt ist....
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Produktinformationen zu „Mama mag keine Spaghetti / Ullstein eBooks (ePub)“
Hannas Alptraum heißt Katrin, ist zwanzig Jahre jünger und die neue Freundin ihres Mannes. Ausgerechnet zur Hochzeit der gemeinsamen Tochter Julia will er sie mitbringen. Gut, dass die italienische Familie des Bräutigams Familienchaos gewöhnt ist. Schwiegermamma Gina versucht, Hanna mit einer Portion Spaghetti aufzumuntern. Aber nicht einmal das hilft. Gina versteht die Welt nicht mehr. Doch so schnell lässt man sich in Italien keine Hochzeit vermiesen - von der deutschen Verwandtschaft schon gar nicht!
Lese-Probe zu „Mama mag keine Spaghetti / Ullstein eBooks (ePub)“
Mama mag keine Spaghetti von Tessa HennigKapitel 1
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»Wenn Sie hier bitte unterzeichnen würden«, sagte Hanna feierlich und deutete routiniert auf ein leeres Feld am Ende des Hypothekenvertrags, den das junge Paar gegenüber in einer Mischung aus Erleichterung, Vorfreude und Stolz fixierte, bevor sich die beiden einen liebevollen Blick à la »Magst du zuerst, oder soll ich?« zuwarfen. Total süß! Junge Eheleute, vor allem, wenn sie noch frisch verliebt waren, nahmen Rücksicht aufeinander und machten sich Gedanken über den anderen. Genau so, wie es in einer guten Ehe sein sollte. Hanna hoffte inständig, dass das Glück der beiden länger halten würde als ihr eigenes, weil sie der junge Mann zunehmend irritierte. Es war die Art, wie er seiner frisch Angetrauten ermutigend zunickte - einen Tick zu selbstgefällig, wie Hanna fand. Die ohnehin auf ihr »Schätzle« stolze junge Schwäbin wuchs gleich noch um ein paar Zentimeter. Sie unterschrieb eifrig und mit Hingabe. Prompt erinnerte Hanna sich daran, wie lange es gedauert hatte, bis sie den Familiennamen ihres Mannes einigermaßen leserlich draufgehabt hatte. Aus einer Schuhmacher eine Behrend zu machen, war unterschriftstechnisch sicherlich anspruchsvoller, als wenn eine gebürtige Specht nun auf Hecht umsteigen musste. Dem Schulschriftcharakter und den lieblichen Rundungen der zwei »Hs« nach zu urteilen, die der Name Heike Hecht nun mal mit sich brachte, hatte sich das junge Ding bestimmt zur Lebensaufgabe gemacht, ihren frisch Angetrauten zeit ihres Lebens mit Nestwärme und Schupf nudeln zu umsorgen. Es sprach Bände, dass sie jede Menge Platz für ihn ließ und es noch nicht einmal wagte, über die Linien des Unterschriftkästchens hinauszuschreiben. Ganz im Gegensatz zu ihrem Mann. Wie locker und lässig er diese Formalie doch erledigte - nahezu heldenhaft. Er wusste sicher ganz genau, wessen Einkommen sie diese Hypothek zu verdanken hatten. Steffens dominantes »S« und sein ziemlich flottes »Doppel-F«, das rücksichtslos bis zur kleingedruckten Rücktrittsklausel emporschoss, machten Hanna nun vollends klar, wer künftig am Herd stehen und die geplanten drei Kinder umsorgen würde. Das Doppel-F jedenfalls nicht. Dass Männer seiner Art immer in die Rücktrittsklausel hineinschrieben, musste eine tiefere Bedeutung haben.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Hanna in der Hoffnung, sich in Steffen Hecht zu täuschen. Wie will man sonst Kraft aus seinem Beruf schöpfen, der letztlich ja darin bestand, der Zukunft ihrer Kunden ein Zuhause zu geben?
»Ich kann's noch gar nicht glauben«, schmachtete die junge Frau, die ihr Gefieder gegen Schuppen eingetauscht und hoffentlich nicht den Fehler gemacht hatte, mit dem Falschen in den Hafen der Ehe geflattert zu sein.
»Ist das Ihre Tochter?«, fragte Doppel-F mindestens so schwungvoll, wie er unterschrieb.
Ganz schön dreist, aber entschuldbar, wenn einem von der Pinnwand ein frisch verliebtes Pärchen zulächelte, das de facto nicht zu übersehen war: Julia und ihr Italo-Lover Lorenzo.
Mehr als ein Nicken war trotzdem nicht drin.
»Sie ist bildhübsch«, kommentierte Steffen Hecht.
»Ja, das finde ich auch«, sagte seine Frau.
»Meine Julia! Sie wird auch bald heiraten«, sprudelte es ungewollt aus Hanna heraus.
»Wie schön. Sie freuen sich bestimmt riesig«, mutmaßte die junge Schwäbin.
Und wie! Wie konnte man sich nicht freuen, wenn die einzige Tochter sich einen partyfreudigen Spaghetti schnappte, seinetwegen die Zelte zu Hause abbrach - nebst Studium, um fortan in Florenz an der Seite eines windigen Italieners zu leben? Prompt meldete sich Hannas Magen und signalisierte aufsteigende Übelkeit. Die Hechts musste sie so schnell wie möglich loswerden.
»Also, wenn Sie noch Fragen haben«, sagte sie, stand auf und reichte den beiden die Hand. »Sie können mich jederzeit anrufen.« Die übliche Ergänzung: »... oder auf einen Kaffee vorbeikommen, wenn Sie mal in der Nähe sind«, ersparte sie sich in diesem Fall.
Freundliches Nicken, Handtasche vom Stuhl nehmen, noch mal Blicke wechseln ... »Alles Gute!« Kurz und schmerz los. Moment! Doppel-F sah nicht zu ihr, sondern erneut auf das Bild von Julia. Schwein! Doch so sind sie nun mal, allen voran ihr Mann - womit Hanna gedanklich wieder bei dem Thema war, das ihr seit Wochen nicht nur Mattigkeit und Trübsal bescherte, sondern auch noch dafür sorgte, dass sie in jedem zweiten männlichen Kunden einen potentiellen Ehebrecher sah. Warum nur hatte sie das Schicksal dazu verdonnert, Michael auf dieser italienischen Hochzeit begegnen zu müssen?
Hände schütteln. Erlösung! Hanna schloss die Tür hinter sich und ließ sich kraftlos auf ihren Bürostuhl plumpsen. Passend zu den mittlerweile dumpf in ihrer Magenwand pochenden Depressionskontraktionen fing es auch noch an zu regnen. Im Nu war die Stadt in ein diffus graues Tuch gehüllt, das die regennasse Scheibe konturlos machte. »In Italien scheint jetzt bestimmt die Sonne. Ich gönn es dir ja, mein Kleines«, säuselte sie in Richtung Bild, bevor sie es von der Pinnwand befreite, an sich nahm und mit ihrem Zeigefinger begann, über das lange Haar ihrer Tochter zu streichen.
Auch wenn Julia mittlerweile schon ein halbes Jahr in Florenz lebte, verging kein Tag, an dem sie nicht weitere Unterschiede zu Deutschland entdeckte. Warum nur waren die meisten Fensterläden der vor ihr liegenden steinernen Häuserschlucht geschlossen? In einer belebten Straße wie der Via dei Neri, die sich nur wenige Gehminuten von der Ponte Vecchio befand, gab es doch immer etwas zu sehen. Seien es knutschende Touristenpärchen, die sich in diese Seitenstraße verirrt hatten, oder Einheimische, die vor der Eisdiele unter ihrem Fenster festgewachsen schienen und nicht aufhörten, über die Politik im Land zu lamentieren - von Ehedramen mal ganz abgesehen, die bevorzugt auf dem Gehsteig nach dem Verlassen des Hauses ausgetragen wurden oder kurz bevor man in den Wagen stieg. Das Leben spielte sich draußen ab, mitten auf den schmalen Gehwegen, doch niemand schien sich dafür zu interessieren. Kein einziger notorischer Fenstergucker mit Kissen unterm Arm, wie es sie in jeder deutschen Kleinstadt gab. Sie war der Einzige und somit verdächtig, da sie einer der am Gehsteig festgewachsenen älteren Herren immer wieder neugierig beäugte. Der seit ungefähr fünf Minuten direkt unter ihrem Fenster im totalen Halteverbot parkende Wagen interessierte ihn aber anscheinend mehr: ein alter Fiat 500, aber top in Schuss und untypisch für diese Stadt, so blitzeblank, dass sein roter Lack wie neu glänzte. Gerne hätte Julia mehr von diesem schnuckeligen Oldtimer erspäht, doch ihr Blickwinkel machte das unmöglich. Sie liebte dieses Modell. Italien pur, aber leider nur noch schwer zu bekommen - noch dazu als Cabrio mit Faltdach! Was soll's, dafür hatte sie einen Italiener, der mit Sicherheit noch nicht unter der lackierten Haube eingerostet war. Julia konnte es nicht erwarten, Lorenzo auf seiner Vespa nach Hause tuckern zu sehen. Er wusste noch nicht, dass sie heute die Zusage der italienischen Sprach- schule erhalten hatte. Goodbye Lehramt Deutschland. Sie würde hier auch ohne Staatsexamen gut verdienen und wäre bei ihm, ihrem Lorenzo, doch von dem gab es weit und breit immer noch keine Spur. Dafür schossen zwei andere Vespas mit ohrenbetäubendem Lärm vorbei. Julia entschloss sich dazu, nun doch drinnen auf ihn zu warten, ging einen Schritt zurück, um das Fenster zu schließen, und stieß dabei mit dem Rücken gegen etwas Weiches. Da stand jemand hinter ihr. Julia erschrak nur für einen kurzen Moment. Sofort hatte sie den Duft seines Parfüms erkannt. Lorenzo hätte es sich also sparen können, ihr eine Hand über die Augen zu legen. Die andere Hand, die sich um ihre Hüfte schlang und an ihrem Bauch entlangfuhr, hingegen nicht. Julia liebte es, wenn er diese Stelle streichelte.
»Lorenzo ... Tu das nie wieder, wenn ich am Fenster stehe«, log sie. Denn genau dieses Verrückte und Unberechenbare an ihm war einer der Gründe, weshalb sie sich in ihn verliebt hatte.
»Ich halt dich doch. Ganz fest«, hauchte er ihr ins Ohr, bevor er sie nun näher an sich heranzog.
»Wie bist du hergekommen? Ich war die ganze Zeit am Fenster.«
»Ich hab im Büro die Augen geschlossen und mir gewünscht, bei dir zu sein ... Und hier bin ich«, erklärte er augenzwinkernd. Jetzt wollte Julia es aber genau wissen, wand sich aus seinen Armen, um ihn direkt anzusehen.
»Jetzt mal im Ernst. Wo ist die Vespa? Die hätte ich doch gehört.«
»Verkauft«, erwiderte er lapidar.
»Was? Warum das denn?«, fragte Julia fassungslos, weil sie wusste, wie sehr er an ihr hing.
»Mit der Vespa von hier zu meinen Eltern ... Und dann das ganze Gepäck. Ich hatte keine Lust, mit dem Zug zu fahren. «
Julia musterte ihn. Dieses verschmitzte Lächeln kannte sie. Blitzartig setzte sich das Puzzle in ihrem Kopf zu einem unfassbar romantischen Ganzen zusammen. Es war noch keine zwei Wochen her, als sie in seinem Beisein einem Cinquecento wehmütig am Piazza della Repubblica hinterhergesehen hatte.
»Du hast ... nein ... das glaub ich nicht«, sagte sie, auch wenn sie sich angesichts seines strahlenden Lächelns immer sicherer wurde.
»Ich konnte nicht widerstehen«, erwiderte er und zog einen Schlüsselbund aus seiner Jackentasche, den er ihr baumelnd vor die Nase hielt. Sie schnappte ihn sich und ging zur Tür.
»Jetzt gleich?«, fragte Lorenzo.
»Nicht, dass die Carabinieri den Kleinen noch abschleppen. «
Auch wenn Lorenzo sich einen leidenschaftlichen Kuss verdient hatte und der Bellini wegen der guten Job-Neuigkeiten bereits kalt gestellt war, für mehr als einen flüchtigen Kuss reichte es nicht. Eine Spritztour mit diesem Wagen ging nun mal vor!
Es gab Momente, in denen wünschte sich Hanna, in Japan zu leben, und das nicht, weil ihr die japanische Mentalität sonderlich nahe war. Großstädte wie Tokio waren zu voll und zu hektisch, Fisch war nicht ihr Ding, und Kirschblüten gab es auch in München. Doch seitdem sie von diesen neuartigen, absolut schalldichten Klokabinen in einer Zeitschrift gelesen hatte, erschien ihr Japan in einem ganz anderen Licht. Sogar Musik lief darin, um sicherzustellen, dass man sich in einer Oase des Friedens entspannen konnte. Wäre sie jetzt dort, hätte ihre Kollegin sicher nicht mitbekommen, dass sie immer noch schluchzte.
»Hanna?« Das war Susannes Stimme.
Wie peinlich. Vermutlich wusste schon die halbe Abteilung, wo sie sich aufhielt, um sich wenigstens für fünf Minuten so richtig auszuheulen. Dabei hatte Susanne sie erst ein Mal dabei auf der Damentoilette erwischt. Der Trick, mit dem sie sich als Erstklässlerin immer erfolgreich vor dem Schulsport hatte drücken können, wollte im Büro einfach nicht klappen.
»Die Winklers sind schon da. Die haben noch einen Termin beim Notar. Kommst du?«, hallte es ohne vorwurfsvollen Unterton in den Raum. Susanne wusste über ihre »schwierige Phase«, wie sie es nannte, Bescheid.
»Zwei Minuten«, rief Hanna - genug Zeit, um sich mit dem seidenweichen und nach Kamille duftenden Toilettenpapier die Nase zu putzen und die Heulschlieren zu beseitigen. Keine Schritte, kein Türknarren. Susanne musste also noch auf sie warten, sogar ziemlich lang, weil aus den »zwei Minuten« mindestens zehn geworden waren. Ihre Kollegin stand tatsächlich bei den Waschbecken. Sie wirkte nun doch etwas ungeduldig.
»Tut mir leid«, sagte Hanna.
Susanne nickte nur mitfühlend und fuhr in einer fürsorglichen Geste über Hannas Arm. »Scheißzeit. Aber du packst das!«
Hanna nahm das Kleenex, das ihr Susanne reichte, dankbar an. »Heute hätten wir unsere silberne Hochzeit gefeiert «, sagte sie bitter, darum bemüht, nicht schon wieder loszuheulen.
»Ach, Silber, die paar Jahre ... Das zählt doch eh nicht ... Ich kenne niemanden, der das groß feiert ... Wenn's jetzt die goldene wäre ...«
»Dann hätte unsere Ehe fünfzig Jahre gehalten!«, begehrte Hanna auf, bevor sie sich tapfer den Rest verlaufener Wimperntusche vor dem Spiegel aus dem Gesicht wischte. »Außerdem hatten wir schon gebucht. Zwei Wochen Gran Canaria. Im besten Hotel ... Und ich hab noch nicht mal eine Reiserücktrittsversicherung.« Sie schluchzte auf.
Susanne hielt ihr das nächste Kleenex hin. »Hanna. Es sind erst zwei Wochen. Glaub mir. Du fühlst dich mit jedem Tag, der vergeht, besser.«
»Ich fühl mich jeden Tag beschissener. Du hast ja wenigstens noch Anja und Tobias ...«
Susannes noch nicht auszugsreife Kinder waren unschlagbare Argumente.
Susanne nickte. »Vielleicht solltest du die Vollzeitstelle doch annehmen. Arbeit lenkt ab«, schlug sie vor.
So ganz unrecht hatte sie damit nicht, vor allem, wenn Hanna daran dachte, dass sich Michael dreißig Jahre lang erfolgreich damit abgelenkt hatte, während es ihre Aufgabe gewesen war, sich um den Haushalt und die Kinder zu kümmern.
»Ich pack das einfach nicht mehr«, gestand Hanna. »Jeden Tag Leute, die eine Familie gründen wollen, die sich verliebt ansehen, Pläne schmieden ...«
© List Verlag
»Wenn Sie hier bitte unterzeichnen würden«, sagte Hanna feierlich und deutete routiniert auf ein leeres Feld am Ende des Hypothekenvertrags, den das junge Paar gegenüber in einer Mischung aus Erleichterung, Vorfreude und Stolz fixierte, bevor sich die beiden einen liebevollen Blick à la »Magst du zuerst, oder soll ich?« zuwarfen. Total süß! Junge Eheleute, vor allem, wenn sie noch frisch verliebt waren, nahmen Rücksicht aufeinander und machten sich Gedanken über den anderen. Genau so, wie es in einer guten Ehe sein sollte. Hanna hoffte inständig, dass das Glück der beiden länger halten würde als ihr eigenes, weil sie der junge Mann zunehmend irritierte. Es war die Art, wie er seiner frisch Angetrauten ermutigend zunickte - einen Tick zu selbstgefällig, wie Hanna fand. Die ohnehin auf ihr »Schätzle« stolze junge Schwäbin wuchs gleich noch um ein paar Zentimeter. Sie unterschrieb eifrig und mit Hingabe. Prompt erinnerte Hanna sich daran, wie lange es gedauert hatte, bis sie den Familiennamen ihres Mannes einigermaßen leserlich draufgehabt hatte. Aus einer Schuhmacher eine Behrend zu machen, war unterschriftstechnisch sicherlich anspruchsvoller, als wenn eine gebürtige Specht nun auf Hecht umsteigen musste. Dem Schulschriftcharakter und den lieblichen Rundungen der zwei »Hs« nach zu urteilen, die der Name Heike Hecht nun mal mit sich brachte, hatte sich das junge Ding bestimmt zur Lebensaufgabe gemacht, ihren frisch Angetrauten zeit ihres Lebens mit Nestwärme und Schupf nudeln zu umsorgen. Es sprach Bände, dass sie jede Menge Platz für ihn ließ und es noch nicht einmal wagte, über die Linien des Unterschriftkästchens hinauszuschreiben. Ganz im Gegensatz zu ihrem Mann. Wie locker und lässig er diese Formalie doch erledigte - nahezu heldenhaft. Er wusste sicher ganz genau, wessen Einkommen sie diese Hypothek zu verdanken hatten. Steffens dominantes »S« und sein ziemlich flottes »Doppel-F«, das rücksichtslos bis zur kleingedruckten Rücktrittsklausel emporschoss, machten Hanna nun vollends klar, wer künftig am Herd stehen und die geplanten drei Kinder umsorgen würde. Das Doppel-F jedenfalls nicht. Dass Männer seiner Art immer in die Rücktrittsklausel hineinschrieben, musste eine tiefere Bedeutung haben.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Hanna in der Hoffnung, sich in Steffen Hecht zu täuschen. Wie will man sonst Kraft aus seinem Beruf schöpfen, der letztlich ja darin bestand, der Zukunft ihrer Kunden ein Zuhause zu geben?
»Ich kann's noch gar nicht glauben«, schmachtete die junge Frau, die ihr Gefieder gegen Schuppen eingetauscht und hoffentlich nicht den Fehler gemacht hatte, mit dem Falschen in den Hafen der Ehe geflattert zu sein.
»Ist das Ihre Tochter?«, fragte Doppel-F mindestens so schwungvoll, wie er unterschrieb.
Ganz schön dreist, aber entschuldbar, wenn einem von der Pinnwand ein frisch verliebtes Pärchen zulächelte, das de facto nicht zu übersehen war: Julia und ihr Italo-Lover Lorenzo.
Mehr als ein Nicken war trotzdem nicht drin.
»Sie ist bildhübsch«, kommentierte Steffen Hecht.
»Ja, das finde ich auch«, sagte seine Frau.
»Meine Julia! Sie wird auch bald heiraten«, sprudelte es ungewollt aus Hanna heraus.
»Wie schön. Sie freuen sich bestimmt riesig«, mutmaßte die junge Schwäbin.
Und wie! Wie konnte man sich nicht freuen, wenn die einzige Tochter sich einen partyfreudigen Spaghetti schnappte, seinetwegen die Zelte zu Hause abbrach - nebst Studium, um fortan in Florenz an der Seite eines windigen Italieners zu leben? Prompt meldete sich Hannas Magen und signalisierte aufsteigende Übelkeit. Die Hechts musste sie so schnell wie möglich loswerden.
»Also, wenn Sie noch Fragen haben«, sagte sie, stand auf und reichte den beiden die Hand. »Sie können mich jederzeit anrufen.« Die übliche Ergänzung: »... oder auf einen Kaffee vorbeikommen, wenn Sie mal in der Nähe sind«, ersparte sie sich in diesem Fall.
Freundliches Nicken, Handtasche vom Stuhl nehmen, noch mal Blicke wechseln ... »Alles Gute!« Kurz und schmerz los. Moment! Doppel-F sah nicht zu ihr, sondern erneut auf das Bild von Julia. Schwein! Doch so sind sie nun mal, allen voran ihr Mann - womit Hanna gedanklich wieder bei dem Thema war, das ihr seit Wochen nicht nur Mattigkeit und Trübsal bescherte, sondern auch noch dafür sorgte, dass sie in jedem zweiten männlichen Kunden einen potentiellen Ehebrecher sah. Warum nur hatte sie das Schicksal dazu verdonnert, Michael auf dieser italienischen Hochzeit begegnen zu müssen?
Hände schütteln. Erlösung! Hanna schloss die Tür hinter sich und ließ sich kraftlos auf ihren Bürostuhl plumpsen. Passend zu den mittlerweile dumpf in ihrer Magenwand pochenden Depressionskontraktionen fing es auch noch an zu regnen. Im Nu war die Stadt in ein diffus graues Tuch gehüllt, das die regennasse Scheibe konturlos machte. »In Italien scheint jetzt bestimmt die Sonne. Ich gönn es dir ja, mein Kleines«, säuselte sie in Richtung Bild, bevor sie es von der Pinnwand befreite, an sich nahm und mit ihrem Zeigefinger begann, über das lange Haar ihrer Tochter zu streichen.
Auch wenn Julia mittlerweile schon ein halbes Jahr in Florenz lebte, verging kein Tag, an dem sie nicht weitere Unterschiede zu Deutschland entdeckte. Warum nur waren die meisten Fensterläden der vor ihr liegenden steinernen Häuserschlucht geschlossen? In einer belebten Straße wie der Via dei Neri, die sich nur wenige Gehminuten von der Ponte Vecchio befand, gab es doch immer etwas zu sehen. Seien es knutschende Touristenpärchen, die sich in diese Seitenstraße verirrt hatten, oder Einheimische, die vor der Eisdiele unter ihrem Fenster festgewachsen schienen und nicht aufhörten, über die Politik im Land zu lamentieren - von Ehedramen mal ganz abgesehen, die bevorzugt auf dem Gehsteig nach dem Verlassen des Hauses ausgetragen wurden oder kurz bevor man in den Wagen stieg. Das Leben spielte sich draußen ab, mitten auf den schmalen Gehwegen, doch niemand schien sich dafür zu interessieren. Kein einziger notorischer Fenstergucker mit Kissen unterm Arm, wie es sie in jeder deutschen Kleinstadt gab. Sie war der Einzige und somit verdächtig, da sie einer der am Gehsteig festgewachsenen älteren Herren immer wieder neugierig beäugte. Der seit ungefähr fünf Minuten direkt unter ihrem Fenster im totalen Halteverbot parkende Wagen interessierte ihn aber anscheinend mehr: ein alter Fiat 500, aber top in Schuss und untypisch für diese Stadt, so blitzeblank, dass sein roter Lack wie neu glänzte. Gerne hätte Julia mehr von diesem schnuckeligen Oldtimer erspäht, doch ihr Blickwinkel machte das unmöglich. Sie liebte dieses Modell. Italien pur, aber leider nur noch schwer zu bekommen - noch dazu als Cabrio mit Faltdach! Was soll's, dafür hatte sie einen Italiener, der mit Sicherheit noch nicht unter der lackierten Haube eingerostet war. Julia konnte es nicht erwarten, Lorenzo auf seiner Vespa nach Hause tuckern zu sehen. Er wusste noch nicht, dass sie heute die Zusage der italienischen Sprach- schule erhalten hatte. Goodbye Lehramt Deutschland. Sie würde hier auch ohne Staatsexamen gut verdienen und wäre bei ihm, ihrem Lorenzo, doch von dem gab es weit und breit immer noch keine Spur. Dafür schossen zwei andere Vespas mit ohrenbetäubendem Lärm vorbei. Julia entschloss sich dazu, nun doch drinnen auf ihn zu warten, ging einen Schritt zurück, um das Fenster zu schließen, und stieß dabei mit dem Rücken gegen etwas Weiches. Da stand jemand hinter ihr. Julia erschrak nur für einen kurzen Moment. Sofort hatte sie den Duft seines Parfüms erkannt. Lorenzo hätte es sich also sparen können, ihr eine Hand über die Augen zu legen. Die andere Hand, die sich um ihre Hüfte schlang und an ihrem Bauch entlangfuhr, hingegen nicht. Julia liebte es, wenn er diese Stelle streichelte.
»Lorenzo ... Tu das nie wieder, wenn ich am Fenster stehe«, log sie. Denn genau dieses Verrückte und Unberechenbare an ihm war einer der Gründe, weshalb sie sich in ihn verliebt hatte.
»Ich halt dich doch. Ganz fest«, hauchte er ihr ins Ohr, bevor er sie nun näher an sich heranzog.
»Wie bist du hergekommen? Ich war die ganze Zeit am Fenster.«
»Ich hab im Büro die Augen geschlossen und mir gewünscht, bei dir zu sein ... Und hier bin ich«, erklärte er augenzwinkernd. Jetzt wollte Julia es aber genau wissen, wand sich aus seinen Armen, um ihn direkt anzusehen.
»Jetzt mal im Ernst. Wo ist die Vespa? Die hätte ich doch gehört.«
»Verkauft«, erwiderte er lapidar.
»Was? Warum das denn?«, fragte Julia fassungslos, weil sie wusste, wie sehr er an ihr hing.
»Mit der Vespa von hier zu meinen Eltern ... Und dann das ganze Gepäck. Ich hatte keine Lust, mit dem Zug zu fahren. «
Julia musterte ihn. Dieses verschmitzte Lächeln kannte sie. Blitzartig setzte sich das Puzzle in ihrem Kopf zu einem unfassbar romantischen Ganzen zusammen. Es war noch keine zwei Wochen her, als sie in seinem Beisein einem Cinquecento wehmütig am Piazza della Repubblica hinterhergesehen hatte.
»Du hast ... nein ... das glaub ich nicht«, sagte sie, auch wenn sie sich angesichts seines strahlenden Lächelns immer sicherer wurde.
»Ich konnte nicht widerstehen«, erwiderte er und zog einen Schlüsselbund aus seiner Jackentasche, den er ihr baumelnd vor die Nase hielt. Sie schnappte ihn sich und ging zur Tür.
»Jetzt gleich?«, fragte Lorenzo.
»Nicht, dass die Carabinieri den Kleinen noch abschleppen. «
Auch wenn Lorenzo sich einen leidenschaftlichen Kuss verdient hatte und der Bellini wegen der guten Job-Neuigkeiten bereits kalt gestellt war, für mehr als einen flüchtigen Kuss reichte es nicht. Eine Spritztour mit diesem Wagen ging nun mal vor!
Es gab Momente, in denen wünschte sich Hanna, in Japan zu leben, und das nicht, weil ihr die japanische Mentalität sonderlich nahe war. Großstädte wie Tokio waren zu voll und zu hektisch, Fisch war nicht ihr Ding, und Kirschblüten gab es auch in München. Doch seitdem sie von diesen neuartigen, absolut schalldichten Klokabinen in einer Zeitschrift gelesen hatte, erschien ihr Japan in einem ganz anderen Licht. Sogar Musik lief darin, um sicherzustellen, dass man sich in einer Oase des Friedens entspannen konnte. Wäre sie jetzt dort, hätte ihre Kollegin sicher nicht mitbekommen, dass sie immer noch schluchzte.
»Hanna?« Das war Susannes Stimme.
Wie peinlich. Vermutlich wusste schon die halbe Abteilung, wo sie sich aufhielt, um sich wenigstens für fünf Minuten so richtig auszuheulen. Dabei hatte Susanne sie erst ein Mal dabei auf der Damentoilette erwischt. Der Trick, mit dem sie sich als Erstklässlerin immer erfolgreich vor dem Schulsport hatte drücken können, wollte im Büro einfach nicht klappen.
»Die Winklers sind schon da. Die haben noch einen Termin beim Notar. Kommst du?«, hallte es ohne vorwurfsvollen Unterton in den Raum. Susanne wusste über ihre »schwierige Phase«, wie sie es nannte, Bescheid.
»Zwei Minuten«, rief Hanna - genug Zeit, um sich mit dem seidenweichen und nach Kamille duftenden Toilettenpapier die Nase zu putzen und die Heulschlieren zu beseitigen. Keine Schritte, kein Türknarren. Susanne musste also noch auf sie warten, sogar ziemlich lang, weil aus den »zwei Minuten« mindestens zehn geworden waren. Ihre Kollegin stand tatsächlich bei den Waschbecken. Sie wirkte nun doch etwas ungeduldig.
»Tut mir leid«, sagte Hanna.
Susanne nickte nur mitfühlend und fuhr in einer fürsorglichen Geste über Hannas Arm. »Scheißzeit. Aber du packst das!«
Hanna nahm das Kleenex, das ihr Susanne reichte, dankbar an. »Heute hätten wir unsere silberne Hochzeit gefeiert «, sagte sie bitter, darum bemüht, nicht schon wieder loszuheulen.
»Ach, Silber, die paar Jahre ... Das zählt doch eh nicht ... Ich kenne niemanden, der das groß feiert ... Wenn's jetzt die goldene wäre ...«
»Dann hätte unsere Ehe fünfzig Jahre gehalten!«, begehrte Hanna auf, bevor sie sich tapfer den Rest verlaufener Wimperntusche vor dem Spiegel aus dem Gesicht wischte. »Außerdem hatten wir schon gebucht. Zwei Wochen Gran Canaria. Im besten Hotel ... Und ich hab noch nicht mal eine Reiserücktrittsversicherung.« Sie schluchzte auf.
Susanne hielt ihr das nächste Kleenex hin. »Hanna. Es sind erst zwei Wochen. Glaub mir. Du fühlst dich mit jedem Tag, der vergeht, besser.«
»Ich fühl mich jeden Tag beschissener. Du hast ja wenigstens noch Anja und Tobias ...«
Susannes noch nicht auszugsreife Kinder waren unschlagbare Argumente.
Susanne nickte. »Vielleicht solltest du die Vollzeitstelle doch annehmen. Arbeit lenkt ab«, schlug sie vor.
So ganz unrecht hatte sie damit nicht, vor allem, wenn Hanna daran dachte, dass sich Michael dreißig Jahre lang erfolgreich damit abgelenkt hatte, während es ihre Aufgabe gewesen war, sich um den Haushalt und die Kinder zu kümmern.
»Ich pack das einfach nicht mehr«, gestand Hanna. »Jeden Tag Leute, die eine Familie gründen wollen, die sich verliebt ansehen, Pläne schmieden ...«
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Autoren-Porträt von Tessa Hennig
Tessa Hennig schreibt seit vielen Jahren erfolgreich große TV-Unterhaltung. Mit "Mutti steigt aus" gelang ihr auf Anhieb ein Bestseller. Wenn sie vom Schreiben und ihrem Wohnort München eine Auszeit benötigt, reist sie auf der Suche nach neuen Stoffen und Abenteuern gern in den Süden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tessa Hennig
- 2014, 1. Auflage, 352 Seiten, Deutsch
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 3843707170
- ISBN-13: 9783843707176
- Erscheinungsdatum: 09.05.2014
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 2.45 MB
- Ohne Kopierschutz
Family Sharing
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